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elements38 Quarterly Science Newsletter Evonik-Innovationspreis 2011 And the winner is ... Gedruckte Elektronik Transistormatrix aus der Lösung Ausgabe 1|2012 2 Inhalt 6 Titelmotiv Messplatz für Dünnschichttransistoren im Rahmen des Projekts „Gedruckte Elektronik“ NEWS 28 4 4 5 5 Evonik baut für rund 500 Millionen € Methionin-Komplex in Singapur Mehr Kapazitäten für Polyamid 12 in Deutschland und Asien Kapazität für PLEXIGLAS® Formmassen in Schanghai verdoppelt Neue Produktionsanlage für Kosmetikrohstoffe in Brasilien geplant Evonik-Innovationspreis 2011 6 And the winner is ... Kategorie neues Produkt/neue Systemlösung 8 Dauerhafter Schutz für Photovoltaikmodule Kategorie neuer oder verbesserter Prozess 12 Ein Katalysator für den Erfolg NEWS 17 Pumpenimplantat aus VESTAKEEP® PEEK hilft gegen Aszites 17 Tego Innovationszentrum in Singapur und Schanghai eröffnet 34 Gedruckte Elektronik 18 Transistormatrix aus der Lösung NEWS 26 PEEK-Polymer der nächsten Generation 26 25 Jahre Superabsorberproduktion in Krefeld 27 Labor- und Produktionskapazität für hochpotente Wirkstoffe erweitert Standortmanagement 28 Neues Infracor-Verfahren zur Wasserbehandlung mit Chlordioxid INNOVATIONSMANAGEMENT 34 Netnography: Auf Volkes Stimme hören NACHWUCHSFÖRDERUNG 42 Im Klassenzimmer der Zukunft news 46 Evonik meets Science Japan 46 Barrierefolie FLEXOSKIN® schützt flexible Photovoltaik 47 Partnerschaft mit der Universität Minnesota elements38 Ausgabe 1|2012 47 Impressum E d itorial 3 Chemie 2.0 Wollten Sie schon immer mal wissen, wie Sie Schweißflecken vermeiden können? Wie nützlich ein Gebissreiniger sein kann, wenn Sie das Wassersystem Ihres Wohn mobils einer Generalreinigung unterziehen wollen? Oder wie Sie das vergilbte Gehäuse Ihrer Waschmaschine wieder weiß kriegen? Dann sollten Sie in Blogs und Internetforen stöbern. Sie können sicher sein, dass fast jedes Problem, und sei es noch so schräg, im Netz nicht nur diskutiert, sondern auch auf verblüffend kreative Weise gelöst wird. Das ist nicht nur für die User, sondern auch für Forscher inter essant, weil sich das im Netz gesammelte Wissen der Verbraucher für die Suche nach Innovationen nutzen lässt. Wir haben es mit Hilfe der Netnography – das Wort leitet sich aus „Internet“ und „Ethnography“ ab – ausprobiert und sind so zu neuen Ideen für die Anwendung von Wasserstoffperoxid gekommen. Und das, obwohl Wasserstoffperoxid eines unserer ältesten Produkte ist. Doch sein Innovationspotenzial ist längst noch nicht ausgereizt. Zum Beispiel ist es uns mit dem HPPO-Verfahren zur Herstellung von Propylenoxid aus Propen und Wasser stoffperoxid gelungen, einen zusätzlichen Markt für Wasserstoffperoxid zu schaf fen. Welche Bedeutung das Verfahren für uns hat, lässt sich auch an unserem Inno vationspreis ablesen, den wir wie jedes Jahr kurz vor Weihnachten unternehmens intern vergeben haben. Er ging an einen neuen Prozess, der die Herstellung des für das HPPO-Verfahren benötigten Katalysators TS-1 umweltfreundlicher macht. Der zweite Preis in der Kategorie neues Produkt bzw. neue Systemlösung ging übrigens an unser Polyamid VESTAMID® für die Rückseitenabdeckung von Photo voltaikmodulen, das die Module dauerhaft schützt. Beide Projekte stellen wir Ihnen in dieser Ausgabe ausführlich vor. Die Netnography am Beispiel von Wasserstoffperoxid zeigt, welcher Nutzen sich aus dem Internet ziehen lässt, wenn man mit der Technologie umzugehen weiß. Ein Wissen, mit dem unsere Kinder wie selbstverständlich aufwachsen. Wer Jugendliche beim Umgang mit Spielkonsole, Tablet-PC oder Smartphone beobachtet, kann nur staunen, wie sie diese Geräte intuitiv bedienen, ohne auch nur einen Ge danken an Bedienungsanleitungen zu verschwenden. Diese Leichtigkeit im Umgang mit moderner Technik wollen wir nutzen, um bei Kindern Freude und Interesse an Naturwissenschaft und Technik zu wecken. Zum einen mit der neuen Lernplattform der Evonik Stiftung im Internet: Hier können Grundschulkinder der Zeichentrickfigur Professor Proto in die Reagenz gläser schauen und dabei spielerisch eine ganze Menge über Chemie erfahren. Zum anderen mit dem Cyber Classroom, einer innovativen 3-D-Lern- und -Lehrum gebung, die älteren Schülern komplexe Inhalte anschaulich vermittelt. Wir haben jetzt vier Schulen mit Cyber-Classroom-Stationen ausgestattet, zu denen neben Hard- und Software auch mehrere Chemie-Module gehören, die für diesen Anlass neu entw ickelt wurden. Der Cyber Classroom setzt da an, wo das eigene Vorstel lungsvermögen die Schüler im Stich lässt, indem er zum Beispiel chemische Reak tionen zum dreidimensionalen Erlebnis macht – interaktiv und ebenso intuitiv zu bedienen, wie die Schüler das von ihrer Spielkonsole kennen. Für die Jugend lichen ist das eine Art Chemie 2.0, die sie ermutigen soll, ihren natürlichen Drang, Neues auszuprobieren, auch in den MINT-Fächern zu realisieren. Patrik Wohlhauser Mitglied des Vorstandes der Evonik Industries AG elements38 Ausgabe 1|2012 4 N e ws Evonik baut für rund 500 Millionen € Methionin-Komplex in Singapur Mit der bisher größten Chemieinvestition stärkt Evonik das Kerngeschäft mit essen ziellen Aminosäuren für die Tierernährung: Der Konzern wird in Singapur einen Methionin-Komplex mit einer Jahreskapazität von 150.000 Tonnen errichten und dafür rund eine halbe Milliarde € investieren. In dem vollständig rückintegrierten Komplex auf Jurong Island wird Evonik nicht nur die für die Tierernährung gefragte Aminosäure Methionin produzieren, sondern auch sämtliche dafür strategisch wichtigen Rohstoffe. Das neue Werk soll bereits im zweiten Halbjahr 2014 den Betrieb aufnehmen und mehrere hundert Mitarbeiter beschäftigen. Wesentliche Engineering- und Rohstoff verträge sind inzwischen vergeben und die Vorarbeiten zum Baubeginn gestartet. Mit dem Neubau sowie dem Ausbau der vier bestehenden Produktionsanlagen für Methionin will Evonik ab 2014 auf eine jährliche Gesamtkapazität von 580.000 Tonnen kommen – dies ist ein Plus von gut 60 Prozent innerhalb von fünf Jahren (2010: 360.000 Tonnen). „Methionin ist eines unserer Kern geschäfte, das wir mit dieser Großinvestition nun auch im Wachstumsmarkt Asien deutlich stärken wollen. Wir wollen damit auch in In modernen Ernäh rungskonzepten für Geflügel, Schweine und Fische wird der Einsatz von MetAMINO® immer wichtiger Asien nah bei unseren Kunden und ein langfristig zuverlässiger und starker Partner sein“, erläuterte Dr. Klaus Engel, Vorstands vorsitzender von Evonik Industries. Evonik versteht sich als Weltmarktführer für Methio nin, das unter dem Namen MetAMINO® vermarktet wird. Dr. Reiner Beste, Leiter des Geschäfts bereichs Health & Nutrition, ergänzte: „Mit dem Schritt nach Singapur sind wir dann in den wichtigen Weltregionen mit modernen und hocheffizienten Produktionsstätten präsent. Wir haben unsere bestehenden Anlagen in Nordamerika und Europa bereits konsequent ausgebaut, um den steigenden Bedarf zu bedienen und unsere führende Wettbewerbsposition zu sichern.“ DL-Methionin ist eine unverzichtbare Aminosäure für die gesunde und umweltfreundliche Tierernährung. Besonders in modernen Ernährungskonzepten für Geflügel, Schweine und Fische spielt der ausgewogene Einsatz von MetAMINO® eine zunehmende Rolle. Wesentlicher Treiber hierfür ist die Annahme, dass der Fleischkonsum durch steigenden Wohlstand weltweit auch langfristig weiter steigen wird. Dies erfordert sowohl unter ökologischen als auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine effizientere Ver sorgung der Tiere mit Nährstoffen. Mehr Kapazitäten für Polyamid 12 in Deutschland und Asien Eine noch junge Anwendung für Polyamid 12 von Evonik sind Gasrohre, wie sie beispielsweise in städtischen Verteilernetzen im Druckbereich zwischen 10 und 20 bar zum Einsatz kommen elements38 Ausgabe 1|2012 Evonik Industries beabsichtigt, die Kapa zitäten für den Spezialkunststoff Polyamid 12 auszubauen. Zum einen erweitert der Konzern die bereits bestehende Anlage in Marl spürbar. Zum anderen hat der Vorstand jetzt der Vor- und Basisplanung einer neuen großen Anlage für Polyamid 12 in Asien zugestimmt. Die um 5.000 Tonnen erweiterte Produktionskapazität in Marl soll 2012 in Betrieb gehen. Der mit 20.000 Tonnen sehr deutliche Ausbau in Asien soll innerhalb von drei Jahren abgeschlossen sein. Er bedarf noch der Zustimmung der Gremien. Dr. Dahai Yu, im Evonik-Vorstand für das Segment Specialty Materials zuständig, sagte: „Mit dem beabsichtigten deutlichen Kapazitätsausbau wollen wir unsere führende Position bei Polyamid 12 langfristig absichern. Dabei setzen wir auf das Wachstum sowohl in den etablierten Märkten als auch in den aufstrebenden Regionen wie Asien.“ Poly amid 12 wird in innovativen und hochwertigen Produkten im Automobilbereich, in Elektrik und Elektronik, für Haushaltsgeräte, bei Sportartikeln sowie in der Industrie eingesetzt. Darüber hinaus hat Evonik gemeinsam mit Kunden neue Anwendungen in der Öl- und Gasförderung sowie in der Gasver teilung entwickelt. „Als einziger integrierter Hersteller von Polyamid 12 verfügt Evonik über eine wettbewerbsfähige und ausgezeichnete Technologieplattform“, betonte Gregor Hetzke, Leiter des Geschäftsbereichs Per formance Polymers. Evonik produziert Polyamid 12 ausgehend von Butadien über verschiedene Zwischenstufen zum Mono mer Laurinlactam, das zum Polyamid 12 polymerisiert. Dieses verarbeitet das Unternehmen zu sogenannten Compounds weiter, in denen dem Basispolymer für die verschiedenen Spezialanwendungen Zusatzstoffe beigemischt werden. Evonik vermarktet Polyamid 12 als Konstruktionswerkstoff unter dem Markennamen VESTAMID® und als Beschichtungspulver unter dem Namen VESTOSINT®. Ne ws 5 Kapazität für PLEXIGLAS® Formmassen in Schanghai verdoppelt Im letzten Quartal 2011 wurde die zweite Ausbaustufe der PMMA-Anlage von Evonik in Schanghai abgeschlossen und in Betrieb genommen. Damit wird die regionale Kapa zität für Formmassen aus Polymethyl methacrylat (PMMA) auf ca. 40.000 Tonnen verdoppelt. Mit der PMMA-Anlage, Teilstück eines World-Scale-Methacrylatkomplexes, startete 2008 die Produktion von PLEXIGLAS® Form massen für den chinesischen und übrigen asiatischen Markt. Evonik hatte mit dem Methacrylatkomplex und einem Gesamt investitionsvolumen von mehr als 200 Mil lionen € frühzeitig sein Engagement in der Region deutlich gemacht. Die jetzt erfolgte Kapazitätserweiterung trägt dem ungebrochenen Wachstum des Marktes Rechnung und stellt einen weiteren Schritt in der langfristigen Asien-Stra tegie des Unternehmens dar. „Mit der Maß nahme wollen wir unsere Position als einer der weltweit größten Anbieter von Spezial polymeren ausbauen und unseren Standort Schanghai stärken “, so Gregor Hetzke, Lei ter des Geschäftsbereichs Performance Polymers von Evonik. Unter dem Namen PLEXIGLAS® genießen PMMA-Formmassen von Evonik international eine hohe Bekanntheit. Die Produkte werden als umfassendes Sortiment an PLEXIGLAS® Formmassen in die unterschiedlichen Industriezweige wie beispielsweise die Automobil-, Beleuchtungs- und Elektronik branche geliefert. Der jetzt erfolgte Ausbau der PMMA-Anlage trägt auch dem stei genden Bedarf in Europa Rechnung und be deutet für Kunden außerhalb Asiens eine erhöhte Versorgungssicherheit hinsichtlich PLEXIGLAS® Formmassen. Neue Produktionsanlage für Kosmetikrohstoffe in Brasilien geplant Evonik treibt die Planung für eine neue Produktionsanlage voran, die in Americana im brasilianischen Bundesstaat São Paulo eine große Bandbreite von Inhaltsstoffen für die Kosmetik- und Konsumgüterindustrie produzieren soll. Das Investitionsvolumen soll im mittleren zweistelligen Millionen-EuroBereich liegen. Die Anlage soll eine Jahreskapazität von mehr als 25.000 Tonnen haben und Anfang 2014 mit der Produktion beginnen. Das Gesamtprojekt bedarf noch der Zustimmung der Gremien. „Ziel des Projektes ist es, über eine Produktion in Americana den Markt in Brasilien und Südamerika vor Ort noch besser zu bedienen“, betonte Patrik Wohlhauser, der im Vorstand von Evonik für das Segment Consumer, Health & Nutrition und für die Region Südamerika zuständig ist. Kunden in der Region beliefert Evonik bereits über ein eigenes Service- und Logistikzentrum in Guarulhos (Brasilien). Auch diese Aktivitäten sollen künftig verstärkt werden. „Mit einer Produktionsanlage in Brasilien wollen wir unser globales Produktions netzwerk für die Konsumgüterindustrie stär- ken. Evonik will damit auch Südamerika als interessantes Wachstumsfeld für sich erschließen“, erklärte Dr. Claus Rettig, Leiter des Geschäftsbereichs Consumer Specialties. Evonik verfügt über Produktionsstandorte für Kosmetikrohstoffe in Europa, den USA und Asien. Für Asien hat Evonik zudem Ende März 2011 den Bau einer weiteren Anlage zur Produktion von Inhaltsstoffen für die Kosmetik und Haushaltskonsumgüter angekündigt: Die Produktion in Schanghai (China) mit einem Investitionsvolumen im oberen zweistelligen Millionen-Euro-Bereich soll etwa in zwei Jahren in Betrieb gehen. elements38 Ausgabe 1|2012 6 E vonik-Inn ovations preis 2011 And the winner is ... VESTAMID® für die Rückseitenabdeckung von Photovoltaikmodulen und das neue Misch oxidverfahren zur Herstellung des Katalysators TS-1, der unter anderem beim HPPOVerfahren zum Einsatz kommt: Das sind die Gewinner des unternehmensinternen EvonikInnovationspreises 2011. Der Vorstandsvorsitzende Dr. Klaus Engel und Vorstandsmitglied Patrik Wohlhauser verliehen am 21. Dezember 2011 in Essen bereits zum elften Mal in Folge den begehrten Preis, mit dem einmal im Jahr Mitarbeiterteams für herausragende Entwicklungen ausgezeichnet werden. Das Preisgeld in Höhe von jeweils 30.000 € geht in der Kategorie neues Produkt/neue Systemlösung an ein Team des Geschäftsbereichs Performance Polymers und in der Kategorie neuer oder verbesserter Prozess an ein Team aus den Bereichen Inorganic Materials und Advanced Intermediates. Sechs Teams – je drei pro Kategorie – hatten zuvor den Einzug ins Finale geschafft und damit gute Chancen, den Innovationspreis zu gewinnen. „Sie alle haben mit Ihren Projekten Originalität, Kreativität, technische Kompetenz und vor allem ein gutes Gespür für den Markt und seine Bedürfnisse bewiesen“, lobte Wohlhauser. „Das sieht man daran, dass alle nominierten Projekte den Sprung vom Labor in den Markt bereits erfolgreich vollzogen haben. Mit dem Preis würdigen wir die Besten der Besten dieses Jahres.“ Vierzehn Teams hatten sich diesmal um den Preis beworben – neun in der Kategorie neue Produkte/neue Systemlösungen und fünf in der Kategorie neue oder verbesserte Prozesse. Anfang Oktober hatte eine Jury die sechs Finalisten anhand von Kriterien wie wirtschaft liche Bedeutung, ökologische Vorteile und gesellschaftlicher Nutzen ausgewählt. In einer abschließenden Sitzung am Tag der Preisverleihung wählte eine zweite Jury, der neben Wohlhauser und Dr. Peter Nagler, Leiter Corporate Innovation Strategy & Management, drei Geschäftsbereichsleiter sowie drei Professoren angehörten, die Gewinner aus. Zuvor hatten die nominierten Teams noch einmal Gelegenheit, der Jury ihr Projekt zu präsentieren und sie im persönlichen Gespräch vom Nutzen und wirtschaftlichen Potenzial ihrer Ent wicklung zu überzeugen. „Denn“, so Wohlhauser, „Innovation ist ohne Sales und Marketing nicht möglich.“ elements38 Ausgabe 1|2012 E vonik-Inn ovati onspreis 2011 Der Preis in der Kategorie neues Produkt/neue Systemlösung geht an: Der Preis in der Kategorie neuer oder verbesserter Prozess geht an: Dr. Franz-Erich Baumann, Bernd Beckmann, Claudia Behrens, Michael Beyer, Dr. Harald Häger, Martin Himmelmann, Reinhold Steiner, Dr. Andreas Pawlik, Dr. Martin Wielpütz Geschäftsbereich Performance Polymers Dr. Kai Schumacher, Dr. Christian Schulze Isfort, Dr. Steffen Hasenzahl, Dr. Helmut Mangold, Dr. Andreas Hille, Dr. Martin Mörters, Dr. Wolfgang Lortz, Dr. Reinhard Vormberg, Rainer Loutschni, Friedhelm Collmann, Dr. Stefan Wieland, Dr. Michael Grün, Dr. Jörg Pietsch, Kurt-Alfred Gaudschun Geschäftsbereich Inorganic Materials Für das Projekt: VESTAMID® für die Photovoltaik 7 Dr. Bernd Jäger, Tibor Kovacs Geschäftsbereich Advanced Intermediates Für das Projekt: Die Mischung macht’s: Neues Verfahren macht Herstellung des Katalysators TS-1 umweltfreundlicher elements38 Ausgabe 1|2012 8 E vonik-Inn ovations preis 2011 K ategorie neue s produk t/N eue s ys temlös un g Dauerhafter Schutz für Photovoltaikmodule Rückseitenfolien aus Polyamid – eine leistungsstarke fluorfreie Alternative Das Dobratsch-Gipfelhaus (Alpenvereinshütte in Kärnten, Österreich) in einer Höhe von 2.143 m elements38 Ausgabe 1|2012 9 Mit Rückseitenfolien auf Basis von VESTAMID® lassen sich Solarmodule dauerhaft vor Umwelt- und Witterungseinflüssen bewahren, mit zusätzlichen Vorteilen gegen über klassischen Lösungen. Der Geschäftsbereich Performance Polymers bekam für diese Entwicklung, die sich bereits im Markt etabliert hat, den Evonik-Innova tionspreis 2011 in der Kategorie neues Produkt/neue Systemlösung verliehen. Alle Szenarien prognostizieren einen weiteren drastischen Anstieg des künftigen Weltenergie bedarfs im Lauf dieses Jahrhunderts. Neben dem wachsenden Bedarf der Industrienationen werden vor allem die Schwellenländer einen gewaltigen Energiehunger entwickeln. Bereits im Jahr 2003 wies der „Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen“ darauf hin, dass nur Photovoltaik und Solarthermie den entscheidenden Beitrag zur künftigen Deckung des Weltenergie bedarfs leisten können. Vor allem in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhun derts wird die Rolle der Sonnenenergie in diesem Szenario drastisch an Bedeutung gewinnen. Fossile Energieträger, Kernenergie, aber vermehrt auch erneuerbare Energien aus Wasserkraft, Wind oder Geothermie liefern zwar ebenfalls wichtige Beiträge, aber verglichen mit der Menge der jährlich zu uns gelangenden Sonneneinstrahlung verblassen alle anderen Energiereserven im wahrsten Sinne des Wortes. Diese Ausgangssituation erklärt das große Inte resse an der Erzeugung von Strom aus Sonnenlicht. Vor allem die Photovoltaikindustrie legte in den ver gangenen Jahren ein rasantes Wachstum hin. Ein jähr liches Marktwachstum von mehr als 30 Prozent war nichts Ungewöhnliches. Der zunehmende Wett bewerb in der Branche und die Innovationen bei Prozessen und Materialien führen dazu, dass parallel die Preise für Solarmodule in der jüngsten Vergan genheit drastisch gesunken sind: im Schnitt jährlich um 18 Prozent, im vergangenen Jahr gab es teils sogar Preisstürze in Höhe von 40 Prozent. Alle Marktbeobachter gehen davon aus, dass die ser Trend weiter anhalten wird. Selbst wenn sich in Deutschland durch eine weiter sinkende Einspeise vergütung gewisse Sättigungstendenzen abzeichnen sollten, wird die steigende weltweite Nachfrage dies mehr als kompensieren. Die Branche spürt einen ziemlichen Kostendruck und sucht Möglichkeiten zur Optimierung. Einen Beitrag dazu liefert die neu ent wickelte fluorfreie Rückseitenfolie aus Polyamid, die kostengünstiger hergestellt werden kann, umwelt freundlicher ist und dennoch alle geforderten Eigen schaften einer Rückseitenfolie erfüllt. Ein herkömmliches Modul, das Sonnenlicht in elektrische Energie umwandelt, besteht aus einer Frontscheibe, hinter der die Solarzellen aus Silizium liegen. Zum Schutz vor mechanischen Belastungen sind die Zellen von beiden Seiten in Folien einge bettet, bei denen es sich in den meisten Fällen um ein EVA-Copolymer (Ethylenv inylacetat) handelt. Auf der sonnenabgewandten Seite schließt die Rückseitenfolie das Modul ab. Sie erfüllt zwei Auf gaben: Zum einen schützt sie die aktiven Elemente vor Witterungseinflüssen, wie Feuchtigkeit oder ul travioletter Strahlung. Zum anderen liefert sie die erforderliche elektrische Isolation. Seit Jahrzehnten besteht die Rückseitenfolie aus einem FluorpolymerPolyester-Verbund. Dieses fluorierte Foliensystem gehörte für die Branche zu einem Modul wie das Messer zur Gabel. Und genau für dieses Foliensystem hat der Geschäftsbereich Performance Polymers von Evonik gemeinsam mit der Isovoltaic AG eine äußerst wirkungsvolle Alternative entwickelt, die alle gefor derten Aufgaben erfüllt, ohne die Nachteile der bis herigen Folien in Kauf nehmen zu müssen. Die Hersteller müssen für 20, teils sogar 25 Jahre garantieren können, dass ihre Solarmodule widrigsten Umweltbedingungen widerstehen: hoher Luftfeuch tigkeit in den Tropen genauso wie einer erhöhten UV-Strahlung im Gebirge oder einem rauen 333 elements38 Ausgabe 1|2012 10 E vonik-Inn ovations preis 2011 K ategorie neue s produk t/N eue s ys temlös un g Aufbau eines herkömmlichen Solarmoduls. Für die Abdeckung der Rückseite hat Evonik fluorfreie Formmassen aus Polyamid entwickelt, die nicht nur recycelt werden können, sondern auch bessere Eigenschaften aufweisen Frontglas Einkapselung Solarzellen Einkapselung Rückseitenfolien Solarmodule müssen mindestens 20 Jahre halten Wüstenklima. Bislang gibt es keine standortspezifi schen Vorgaben für Solarmodule – jedes muss alle diese Auflagen erfüllen, die die Hersteller in umfang reichen Tests durch unabhängige Prüfeinrichtungen nachweisen müssen. Angesichts dieser Anforderungen nahm die Branche den hohen Preis des bewährten Folienver bunds in Kauf. Der relative Anteil der Rückseitenfolie an den Modulkosten ist im Lauf der Zeit allerdings immer weiter gestiegen: Lag er vor Jahren aufgrund des damals erheblich höheren Preises für die Silizi umzellen bei zwei bis drei Prozent, macht er inzwi schen bereits sechs Prozent der Modulkosten aus. Das ist kein Pappenstiel für einen Hersteller, der Prozesse und Kosten optimieren muss. Hinzu kommt, dass die Branche vor einigen Jah ren schmerzhaft zu spüren bekam, wie die Her stellung der Rückseitenfolie das Wachstum der Solarindustrie vorübergehend limitierte: Weil die verwendete fluorhaltige Folie nicht in ausreichenden Mengen am Markt verfügbar war, konnte die Bran che nicht so viele Module fertigen, wie sie hätte ver kaufen können. Es war die „zweite Rohstoffkrise“ der Photovoltaik, nachdem einige Zeit zuvor schon mal das Silizium knapp geworden war. Doch das klassische Rückseitenfolienmaterial hat noch einen weiteren Nachteil: den ökologisch bedenklichen Fluoranteil von etwa 40 Prozent. Laut der europäischen Richtlinie für Elektro- und Elekt ronik-Altgeräte, die im Jahr 2005 in Kraft getreten ist, müssen die Hersteller ihre Module am Ende des Lebenszyklus zurücknehmen und recyceln oder fach gerecht entsorgen. Der Fluorgehalt der Rückseiten folie erschwert ein Recycling ziemlich – die Entwick elements38 Ausgabe 1|2012 lung einer fluorfreien Alternative für Rückseitenfo lien stellt somit einen unschätzbaren Wert dar. So gab es für die Modulhersteller also inzwischen genügend Gründe, sich nach Materialalternativen für die Rück seitenfolie umzuschauen. Hier setzte der Geschäftsbereich Performance Polymers von Evonik in Zusammenarbeit mit dem Partner Isovoltaic an. Evonik verfügt über ein um fangreiches Polymer- und Extrusions-Know-how, während Isovoltaic über das entsprechende Knowhow für die Herstellung und Anwendung von Folien verfügt. Die im österreichischen Lebring ansässige Isovoltaic AG ist der Marktführer für Entwicklung und Produktion von Rückseitenfolien für Solarmo dule, hat also direkten Zugang zu den Kunden. Für Evonik wiederum waren Polymere für diese Art der Anwendung Neuland. Als Ausgangsmaterial für eine neue Rückseiten folie dient das etablierte VESTAMID®, ein Hoch leistungspolyamid, das sich bereits in vielen Anwen dungen bewährt: zum Beispiel in Pumpenrädern, geräuschfreien Getrieben, Sportschuhen oder Off shore-Ölleitungen. Da der Werkstoff eine hohe Chemikalienbeständigkeit besitzt, was gleichzeitig auch Witterungsbeständigkeit bedeutet, und eine hohe mechanische Belastbarkeit, lagen seine Eigen schaften gar nicht so weit weg von dem geforderten Eigenschaftsprofil. Allerdings war es unerlässlich, das Polyamid 12 zu modifizieren. Polyamid – fluorfrei und leistungsfähig Mechanische Prüfung (links) und optische Kontrolle (Mitte) von Rückseitenfolien für Solarmodule bei der Isovoltaic AG, um sicher zustellen, dass die Folien die Solarzellen langfristig und zuver lässig schützen und isolieren. Folienlami nierung – eine von zwei Aufbauvarianten (rechts) Durch die gezielte Optimierung einzelner Bausteine wie auch durch die Anpassung und Nutzung von Synergien einzelner Füllstoffe und Stabilisatoren ge lang es dem Geschäftsbereich Performance Polymers, beispielsweise die Hafteigenschaften von VESTAMID®Folien gegenüber herkömmlichen fluoridhaltigen Rückseitenfolien signifikant zu erhöhen sowie selbst für den Hochleistungswerkstoff VESTAMID® bemer kenswerte Temperatur- und UV-Stabilitäten zu erzie len. Gleichzeitig konnten die Reflexionseigenschaften dieser Folien drastisch erhöht werden, was je nach Aufbau der Solarmodule einen erhöhten Wirkungs grad der Module ermöglicht. Der Teufel steckt dabei allerdings im Detail: Die Mischung dieser einzelnen Bausteine zu einem maß geschneiderten Compound stellte eine weitere enorme Herausforderung dar. Hier gelang es dem Geschäftsbereich Performance Polymers, durch Ein satz und gezielte Optimierung neuester Filtrat ions technologien sowie durch Weiterentwicklung und Übertragung der bestehenden Compoundiertechno logien auf neue Produktionsstraßen einen neuen Standard zu setzen bei der Formmassequalität – zum Beispiel in Bezug auf verringerte Agglomerate sowie Gele. Aufgrund des hohen Qualitätsanspruchs kann diese Formmassequalität dem Partner Isovoltaic repro duzierbar und ohne Chargenschwankungen zur Verfügung gestellt werden. Daraus kann Isovoltaic extrem dünne Folien herstellen. Auf Basis der von Evonik entwickelten Formmas sen hat der Partner Isovoltaic zwei Aufbauvarianten für neue Rückseitenfolien entwickelt. Der erste Auf bau orientiert sich in der Herstellung sehr stark an der klassischen Rückseitenfolie: Dazu wird eine dünne VESTAMID®-Folie extrudiert und beidseitig auf eine Trägerfolie aus PET (Polyethylentereph thalat) auflaminiert. Der zweite Aufbau kommt dagegen ganz ohne Laminierung aus. Dazu bedient man sich der gleich zeitigen Co-Extrusion von drei Polyamidschichten. Wer sich Extrusionsverfahren vergegenwärtigt, Zwei Aufbauvarianten entwickelt bekommt schnell eine Vorstellung von der Komple xität dieser Aufgabe: Das Kunststoffgranulat jeder Schicht wird zunächst durch Scherung und Temperaturzufuhr zu einer hochviskosen Formmasse aufgeschmolzen, die dann als breiter Schmelzevor hang auf eine Walze abgelegt wird – und das für drei Schichten gleichzeitig. Die Co-Extrusion ermöglicht somit, durch die gezielte Optimierung der einzelnen Schichten diese direkt, das heißt ohne den Einsatz von vernetzenden Klebstoffen, miteinander zu verbinden. Dieser Auf bau bietet eine fluorfreie und darüber hinaus rein thermoplastische Rückseitenfolie und ermöglicht so neue Dimensionen in Bezug auf einfaches Recycling der Module am Ende des Lebenszyklus. Beide beschriebenen Aufbauten der Rückseiten folie sind fluorfrei, kostengünstiger als die klassi schen Rückseitenfolien und diesen in ihren Eigen schaften mindestens gleichwertig, wenn nicht sogar leicht überlegen. Isovoltaic hat diese neuen Rückseitenfolien 2009 als ICOSOLAR® APA bzw. ICOSOLAR® AAA mit großem Erfolg am Markt eingeführt. Es sieht so aus, als ob die Solarbranche nur darauf gewartet hat, ihre grüne Technologie fluorfrei und damit „noch ein biss chen grüner“ zu machen. 777 kontakt Dr. Martin Wielpütz Geschäftsbereich Performance Polymers +49 2365 49-86725 [email protected] elements38 Ausgabe 1|2012 12 E vonik-Inn ovations preis 2011 K ategorie neuer od er v er be ss erter Proz e ss Ein Katalysator für den Erfolg Katalysen sind dann besonders erfolgreich, wenn Prozess und Katalysator ein perfekt eingespieltes Team bilden. Für die Synthese von Propylenoxid haben Evonik-Experten Katalysatorherstellung und Produktionsverfahren entscheidend verbessert – mit einem großen Plus für Wirtschaftlichkeit und Umwelt. Dafür erhielt das Team den Evonik-Innovationspreis 2011 in der Kategorie neuer oder verbesserter Prozess. Herstellung von Titansilikalit 1 durch Hydrothermalsynthese. Dabei werden die Katalysatorrohstoffe gemeinsam mit einem Templat in wässriger Lösung unter Hitze und Druck zum fertigen Zeolith auskristallisiert elements38 Ausgabe 1|2012 Struktur von Titansilikalit 1 In Lehrbüchern sehen katalysierte Reaktionen meist ganz einfach aus: Sie folgen häufig dem simp len Schema [Katalysator] A+B C+D Mit der Realität hat diese Formel leider wenig zu tun. Denn Katalysatoren sind keine Wundermittel per se. Sie funktionieren in der großtechnischen Anwendung nur dann ausreichend effizient und selektiv, wenn fachübergreifend Katalysator-Spezialisten und Ver fahrenstechniker gemeinsam Prozess und kataly tische Reaktion perfekt aufeinander abstimmen. Ein besonders gelungenes Beispiel dafür ist die großtech nische Herstellung von Propylenoxid mit Hilfe von Titansilikalit 1. Titansilikalite (TS) sind kristalline Molekularsiebe der Zusammensetzung (SiO2)1-X(TiO2)X, in denen Ti tan-(IV-)Zentren wenige Prozent der Siliziumzentren im Kristallgitter ersetzen. Sie ermöglichen selektive Oxidationen mit Wasserstoffperoxid. Durch Koor dination an die Titan-(IV-)Zentren wird Wasserstoff peroxid aktiviert und kann in diesem Zustand leicht ein Sauerstoffatom an zu oxidierende Verbindungen übertragen. Neben der Synthese von Lactamen und Phenolderivaten ist die bedeutendste großtechnische Anwendung die Synthese von Propylenoxid aus Pro pen und Wasserstoffperoxid. Propylenoxid ist eine Schlüsselkomponente unter anderem für Polyure thane (PU). Polyurethane gehören zu den wichtigs ten Kunststoffen weltweit: Sie dienen als besonders leichte und strapazierfähige Werkstoffe im Automobilbau etwa für Sitzpolster oder Arma turenbretter, und mit PU-Schäumen werden Gebäude fassaden und Kühlgeräte gedämmt und hochwertige Kaltschaummatratzen gefertigt. Mit der wachsenden Nachfrage nach energie sparenden Dämmstoffen und Leichtbaustoffen wächst auch der Bedarf an Propylenoxid. 2008 wurden welt weit rund 5,5 Millionen Tonnen der farblosen, hoch reaktiven und leichtflüchtigen Flüssigkeit hergestellt, 2010 waren es bereits über 6,5 Millionen Tonnen. Bis 2015 könnte der globale Bedarf auf schätzungsweise 10 Millionen Tonnen anwachsen. Evonik beschäftigt sich mit Propylenoxid schon seit den 1990er Jahren. Und zwar auf zwei Ebenen: zum einen mit der großtechnischen Umwandlung von Propylen zu Propylenoxid mit Wasserstoffperoxid als Oxidationsmittel, zum anderen mit der Entwicklung des TS-1 als maßgeschneiderten Katalysators für die dafür notwendige selektive Oxidation. Zum KernKnow-how von Evonik gehört unter anderem die Bereitstellung von perfekten Katalysatorrohstoffen. Dabei gilt: Die Ausbeute der Reaktion sollte ein Maximum zeigen, gleichzeitig muss die Bildung mög licher Nebenprodukte minimiert werden. Genauso bedeutend ist, dass der Herstellungsprozess für den Katalysator ökonomisch und ökologisch optimiert ist: Je weniger Nebenprodukte, je weniger Abfälle, je ge ringer der Energieverbrauch, umso nachhaltiger ge staltet sich der Prozess. Für die Herstellung von TS-1 existieren mehrere Wege. Herkömmliche Verfahren nutzen als Quellen für Silizium und Titan komplexe Ester-Verbindungen, daher spricht man hier von der Ester-Route. Nachteil dieser Verfahren: Die Rohstoffe für die Herstellung des Katalysators sind teilweise sehr kostspielig, weil die eingesetzten Alkoxide eine sehr hohe Reinheit aufweisen müssen. Außerdem entsteht bei der Aus bildung der Kristalle ein Hydrogel aus Titandioxid und Siliziumdioxid. Dabei setzen die Estergruppen große Mengen Ethanol frei, die entsorgt oder ver wertet werden müssen. Eine wesentliche Rolle bei der Ausbildung des Kristallgitters spielt das sogenannte Templatmolekül. Dabei handelt es sich um ein recht großes und sper riges Ionenpaar. Es wirkt wie eine Art molekulare Know-how für maßgeschneiderte Katalysatoren Schablone, die Form und Größe der reaktiven Poren im Katalysatorgitter vorgibt. Bei der Kristallisation unter Druck und erhöhten Temperaturen – der sogenannten Hydrothermalsynthese – reagieren die Rohstoffe um dieses Templatmolekül herum und bilden innerhalb von einigen Stunden das Gerüst für den katalytisch wirksamen Zeolith. Das Salz wird nach der Kristallisation entfernt. Evonik produziert TS-1 bereits seit den 1990er Jahren, weil das Unternehmen damals schon er kannte, dass sich mit diesem Katalysator viel verspre chende neue Märkte und Anwendungen für das 333 elements38 Ausgabe 1|2012 14 E vonik-Inn ovations preis 2011 K ategorie neuer od er v er be ss erter Proz e ss Abbildung 1 Evonik ist es gelungen, die pulver förmigen Katalysatorrohstoffe ohne Zugabe von Fremdstoffen in eine gebrauchsfertige Dispersion zu überführen, die durch das Templatmolekül (TPAOH) stabilisiert wird. In der Katalysator-Produktion wird mit der Dispersion in der nachfolgenden Hydrothermalsynthese eine optimale Kristallisation des Zeolithen erreicht pH TPA+ + OH – TPAOH Stabilisierung Scherung Abbildung 2 Vorteile der neuen MOX-Route sind unter anderem die hohe Katalysatorausbeute bezogen auf das Reaktorvolumen sowie der deutlich geringere Verbrauch an Templat. Zudem sind keine organischen Lösungsmittel nötig, und es entstehen keine Produk tionsabfälle Ausbeute Katalysator/ Reaktorvolumen Euro TS-1/Enichem Optimierte Ester-Route (Evonik) MOX-Route Ausbeute Katalysator/ Reaktorvolumen 5 Abbildung 3 Der HPPO-Prozess Templateinsatz 1,4 1,2 H3C CH2 + O [TS–1] H2O2 H2O Schematische Darstellung der HPPO-Technologie 4 Propen 1,0 Templateinsatz 3 0,8 H2O2 Propenrückführung MeOHRückführung Reaktionseinheit 0,6 2 Druckentlastung/Propenrückführung 0,4 Reinigung Propylenoxid 1 Methanolverarbeitung 0,2 Propylenoxid 0 elements38 Ausgabe 1|2012 + H3C 0 Abwasser 333 Oxidationsmittel Wasserstoffperoxid erschließen lassen. Evonik ist mit einer Jahreskapazität von rund 650.000 Tonnen Wasserstoffperoxid und Standorten in Europa und vielen außereuropäischen Ländern ein bedeutender Hersteller des umweltfreundlichen Bleich- und Oxidationsmittels. Seit Ende der 1990er Jahre produziert Evonik TS-1 nach einem selbst entwickelten Verfahren: Anstelle der Si- und Ti-Esterverbindungen werden – mit Hilfe des AEROSIL®-Verfahrens – maßgeschneiderte Si-TiMischoxide als Katalysatorrohstoffe eingesetzt. Dabei werden Silizium- und Titanverbindungen als Gemisch in einer Flamme hydrolysiert. Diese Reaktion erzeugt Siliziumdioxid und Titandioxid in einer Zusammensetzung, wie sie auch der katalytisch wirk same Zeolith am Ende benötigt. Die Vorteile dieser Mischoxid-(MOX-)Route liegen auf der Hand: Die eingesetzten Rohstoffe sind von hoher Reinheit, sie sind schwermetall- und alka limetallfrei und schleusen damit keine unerwünschten Störstoffe in den Prozess. Alkalimetalle beispiels weise stören die Ausbildung der Poren im Kristall gitter, das würde die katalytische Wirkung stark min dern. Bei der MOX-Route entstehen zudem keine Nebenprodukte wie beispielsweise Alkohole. Daher liegt die Ausbeute an Katalysator im Vergleich zur Ester-Route deutlich höher. Mit dem Verfahren von Evonik lässt sich TS-1 deshalb einfacher und umweltschonender erzeugen. Der hochreine Katalysator erhöht zudem die Ausbeu ten bei der späteren Propylenoxid-Synthese, denn bereits kleine Verunreinigungen durch zum Beispiel Eisenverbindungen würden die Selbstzersetzung des Oxidationsmittels beschleunigen. Die pulverförmigen Katalysatorrohstoffe, die bei der MOX-Route entstehen, können in verschiedenen Formulierungen großtechnisch eingesetzt werden. Standardmäßig würde dieses Pulver bei der Hydro thermalsynthese gemeinsam mit dem Templat in wässriger Lösung unter Hitze und Druck zum fertigen Zeolith auskristallisiert. Allerdings gibt es dabei ein entscheidendes Problem: Das nötige Einbringen grö ßerer Mengen Pulver in Wasser ist recht umständlich, langwierig und erfordert spezielles Know-how. Ein großer Fortschritt ist daher die Optimierung der Katalysatorherstellung, die Evonik-Experten aus unterschiedlichen Geschäftsbereichen gemeinsam entwickelt haben. Spezialisten der Geschäftsgebiete Catalysts und Silica gelang es, das sonst übliche Pul ver in eine gebrauchsfertige Dispersionen zu über führen. Das erleichtert Umgang und Handhabung der Rohstoffe bei der Katalysatorsynthese enorm. Gebrauchsfertige Dispersion statt Pulver Dispersionen müssen für eine sichere und großtech nische Anwendung stabil sein. Auch hier erzielte Evo nik einen wesentlichen Fortschritt: Es werden keine zusätzlichen Additive als Stabilisatoren eingesetzt, die die Kristallisation stören könnten. Damit kann man auch hochkonzentrierte Formulierungen mit 15 bis 50 Prozent Feststoffgehalt erzeugen, die direkt in der nachfolgenden Hydrothermalsynthese eingesetzt werden können. Dies erlaubt in der Hydro thermalsynthese eine optimale Kristallisation des Zeolithen, die einen perfekten Katalysator für den großtechnischen Einsatz in der Propylenoxid-Pro duktion ergibt. Da das MOX-Pulver sehr fein verteilt und hoch konzentriert vorliegt, wird der Verbrauch an Tem plat reduziert – auch das trägt zur Wirtschaftlichkeit der MOX-Route bei. Nach der Kristallisation wird der Zeolith getrocknet, kalziniert und durch geeignete Formgebungsverfahren in eine für den Einsatz im Reaktor benötigte Struktur gebracht. Das HPPO-Verfahren: sauber und direkt Zum maßgeschneiderten Katalysator gehört der passende Prozess. Üblicherweise wird Propylenoxid in der Großchemie durch Verfahren hergestellt, die gewichtige Nachteile haben. Pro Tonne Produkt entstehen zwei Tonnen Nebenprodukte wie beispiels weise Kalziumchlorid oder Phenylethanol, das zu Styrol weiterverarbeitet werden kann. Diese Stoffe müssen teuer entsorgt oder separat vermarktet wer den. Außerdem sind bei herkömmlichen Verfahren die Investitionskosten für die Anlagen recht hoch. Die Prozesse erzeugen zudem viel Abwasser und haben einen hohen Energieverbrauch. Daher hat Evonik gemeinsam mit Uhde das Hydrogen-Peroxide-to-Propylene-Oxide-Verfahren, kurz HPPO, entwickelt und patentiert. Beim HPPOVerfahren dient Wasserstoffperoxid als Oxidations mittel und als Nebenprodukt der Reaktion fällt nur Wasser an. Diese Variante benötigt eine vorgeschal tete Anlage zur Herstellung von Wasserstoffperoxid, im Gegensatz zu anderen Verfahren aber keine Märkte oder Entsorgungsstrukturen für Neben- oder Koppelprodukte. Abwassermenge und Energie verbrauch sind deutlich reduziert. Sauberer und direkter kann ein Verfahren kaum sein. Im Vergleich zu herkömmlichen Herstellungsverfahren bietet HPPO also entscheidende Vorteile hinsichtlich Wirt schaftlichkeit und Umweltverträglichkeit. Auch für das Verfahren gilt: Was einfach klingt, ist in Wirklichkeit eine Herausforderung für die großtechnische Umsetzung. Die katalytische Her stellung von Propylenoxid ist eine partielle Oxidation. Die Kunst der Verfahrenstechnik besteht darin, ein Sauerstoffatom an die Doppel bindung des Propylens zu addieren und gleich 333 elements38 Ausgabe 1|2012 16 E vonik-Inn ovations preis 2011 K ategorie neuer od er v er be ss erter Proz e ss Wasserstoffperoxidanlage der Evonik Degussa Peroxide Korea Co., Ltd. in Ulsan (Korea). Sie beliefert die SKC, die in unmittelbarer Nachbar schaft Propylenoxid nach dem HPPO-Verfahren von Evonik und Uhde produziert 333 zeitig zu verhindern, dass das Kohlenstoffgerüst zu Aldehyden, Säuren oder sogar zu Kohlendioxid oxidiert wird. Nach der Öffnung der Doppelbindung muss das Propylenoxid quasi der Reaktion entzogen werden. Hier zeigt sich das perfekte Zusammenspiel zwi schen Verfahren und Katalysator: Das Besondere am maßgeschneiderten TS-1 von Evonik ist seine Struk tur, die dafür sorgt, dass nach der partiellen Oxida tion die Reaktion gestoppt wird. Seine Hohlräume im Kristallgitter sind groß genug für die Ausgangsstoffe Propylen und Wasserstoffperoxid. Die Verfahrens weise ist patentiert und ein wichtiger Schlüssel zur erfolgreichen großtechnischen Umsetzung des Ver fahrens. Seit 2008 betreibt das koreanische Unternehmen SKC in Südkorea die weltweit erste großtechnische Anlage zur Herstellung von Propylenoxid nach dem HPPO-Verfahren von Evonik und Uhde. Die Kapazi tät der Anlage liegt bei 100.000 Tonnen jährlich. Erfolgreiche Großproduktion gestartet Eine zweite Anlage ist bereits in Planung. Die chine sische Jishen Chemical Industry Co., Ltd. hat mit Evonik und Uhde ein Abkommen zur Lizenzierung der HPPO-Technologie abgeschlossen und wird im Nord osten Chinas, in der Provinz Jilin, Propylenoxid nach diesem Verfahren herstellen. Evonik wird in unmit telbarer Nachbarschaft eine neue Produktionsanlage für Wasserstoffperoxid errichten und das Wasser stoffperoxid über eine Pipeline direkt in die künftige benachbarte Propylenoxidanlage der Jishen Chemical Industry liefern. Die Wasserstoffperoxidanlage, die voraussichtlich bis Ende 2013 fertig gestellt sein soll, wird eine Jahreskapazität von 230.000 Tonnen haben. Experten gehen davon aus, dass neue Anlagen für die Propylenoxidsynthese künftig ausschließlich das HPPO-Verfahren nutzen. Evonik ist das einzige elements38 Ausgabe 1|2012 Unternehmen, das die Prozesstechnologie für das Verfahren, den dafür nötigen Katalysator und auch den Ausgangsstoff Wasserstoffperoxid aus einer Hand liefern kann. Paketlösungen dieser Art sind in einer globalisierten Welt mit ihren hohen Ansprü chen an Wirtschaftlichkeit der Verfahren und Qua lität der Produkte eine für alle Beteiligten gewinn bringende Option. Damit das möglich wurde, waren gleich auf zwei Ebenen Quantensprünge notwendig: zum ersten bei der Entwicklung der Mischoxid-Route für die wirtschaftliche und nebenproduktarme Her stellung des Katalysators, zum zweiten bei Entwick lung und Umsetzung des HPPO-Verfahrens für eine wirtschaftliche und umweltverträgliche Propylen oxid-Herstellung in großtechnischem Maßstab. Erworbenes Know-how dient nur selten aus schließlich einem einzigen Zweck. Das ist auch bei TS-1 nicht anders: Die Erfahrungen, die Evonik mit der Herstellung hochreiner Zeolithe und der Formu lierung konzentrierter und gebrauchsfertiger Dis persionen gemacht hat, sind in Zukunft auch für an dere Anwendungen wertvoll – beispielsweise immer dort, wo natrium- und erdalkalifreie Rohstoffe für siliziumreiche Zeolithsynthesen benötigt werden. Mit diesem Know-how will Evonik künftig die Wün sche und Anforderungen seiner Kunden individuell bedienen und gleichzeitig herkömmliche Prozesse durch innovative neue Ansätze ablösen. 777 kontakt Dr. Andreas Hille Geschäftsbereich Inorganic Materials +49 7623 91-7262, [email protected] Dr. Reinhard Vormberg Geschäftsbereich Inorganic Materials +49 6181 59-13292, [email protected] Dr. Stefan Wieland Geschäftsbereich Inorganic Materials +49 6181 59-8706, [email protected] Tibor Kovacs Geschäftsbereich Advanced Intermediates +49 6181 59-3833, [email protected] Ne ws 17 Pumpenimplantat aus VESTAKEEP® PEEK hilft gegen Aszites Das neu entwickelte ALFAPump™-System von SequanaMedical (Schweiz) hilft Patien ten, die an überschüssiger Flüssigkeit im Bauchraum leiden: Das batteriebetriebene Pumpenimplantat basiert auf dem PEEKPolymer VESTAKEEP® von Evonik Industries und hat die CE-Zulassung erhalten. Es pumpt die überschüssige Flüssigkeit aus der Bauch höhle in die Blase, von wo sie vom Patienten auf natürlichem Weg ausgeschieden werden kann. Bisher musste das Wasser bei regel mäßigen Arztbesuchen durch schmerzhafte Parazentese abgesaugt werden. Insbesondere Patienten mit Lebererkrankungen, konges tiver Herzinsuffizienz und bestimmten Krebs arten sind von Aszites betroffen. Das neuartige System besteht aus einer subkutan implantierten Pumpe und einem Kathetersystem: Ein Katheter verbindet den Bauchraum mit der Pumpe, ein anderer die Pumpe mit der Blase. Möglich wird die neue Technologie durch die Verwendung von VESTAKEEP® PEEK, einem Polyetheretherketon, das sich insbesondere durch seine Biokompatibilität und Biostabilität auszeichnet. Im Gegensatz zu Metall liegt der Ionengehalt von VESTAKEEP® PEEK bei nahezu null, wodurch Wechsel reaktionen mit dem Körper vermieden werden. Zudem ist das PEEK-Implantat deutlich leichter als ein vergleichbares Metallimplantat. Die VESTAKEEP® PEEK iGrades sind speziell an den dauerhaften Verbleib im menschlichen Körper angepasst und können bei Bedarf auch röntgentransparent eingestellt werden, so dass sie keine Artefakte auf dem Röntgen bild bilden. „Das ALFAPump™-System verbessert nicht nur die Lebensqualität des Patienten, sondern stellt auch eine kostengünstige Lösung dar“, so Dr. Noel Johnson, Geschäfts führer von SequanaMedical. Marc Knebel, Director Business Management VESTAKEEP® Medical & Implants, ergänzt: „Das ALFA Pump™-System zeigt exemplarisch die zahlreichen Vorteile von PEEK gegenüber Metall in diesem Bereich. Auch andere Bereiche wie zum Beispiel Wirbelsäulenimplantate profitieren von diesen Vorteilen.“ Für den Einsatz von PEEK spricht auch die gute Verarbeitbarkeit: VESTAKEEP® PEEK Polymer lässt sich sowohl im Spritzguss- als auch in spanabhebenden Verfahren her stellen und unterstützt damit die Design freiheit bei der Entwicklung neuer Implantat technologien. Tego Innovationszentrum in Singapur und Schanghai eröffnet Evonik Industries hat sein erstes Forschungsund Entwicklungszentrum für Additive im Bereich Lacke und Farben im asiatischen Markt eröffnet. Das Tego Innovationszentrum umfasst die beiden Standorte Singapur und Schanghai und wird Teil des globalen EvonikInnovationsnetzwerks sein. Das Investment beläuft sich auf einen einstelligen MillionenUS-Dollar-Betrag. Von Singapur und Schanghai aus wird Evonik Hersteller der Lack- und Farbenindus trie in Indien und Asien betreuen. Ziel der Zusammenarbeit ist es, vor Ort mit individuellen Lösungen die Wettbewerbs- und Inno vationsfähigkeit der asiatischen Kunden zu stärken. Die Forschung richtet sich an den lokalen Bedürfnissen aus. Im Mittelpunkt stehen dabei zukunftsweisende, umweltfreundliche Lacksysteme und damit der Me gatrend Ressourceneffizienz. „Für die Lack- und Farbenindustrie erwartet Evonik in den nächsten Jahren in Asien das höchste Marktwachstum weltweit“, so Dr. Thomas Haeberle, im Vorstand von Evonik zuständig für das Segment Ressource Effi ciency, zu dem auch der Geschäftsbereich Coatings & Additives gehört. „Mit der höchsten Nachfrage rechnen wir dabei im Segment der umweltfreundlichen Lacke. Unser neues Tego Innovationszentrum adressiert exakt diese Wachstumsmärkte. Mit unserem Know- how und unserem internationalen Forschungs netzwerk sind wir für die Wettbewerbser fordernisse unserer Kunden hervorragend aufgestellt.“ Das Tego Innovationszentrum an den beiden Standorten Singapur und Schanghai soll eine noch engere Zusammenarbeit mit asia- tischen Herstellern ermöglichen. Deshalb setzt Evonik dort auf Forscher und Spezialis ten aus der Region. Zu Anfang werden etwa 20 bis 25 Mitarbeiter beschäftigt sein. Mitarbeiter aus Indien, Südostasien sowie Nordasien werden von Singapur aus ihre Heimatmärkte betreuen. In Schanghai werden chinesische Fachkräfte arbeiten. Neben der Zusammenarbeit mit Geschäftspartnern wird ein besonderer Schwerpunkt auf Forschungskooperationen mit lokalen Spit zenuniversitäten liegen. Dieser ständige Austausch soll die lokalen und asiatischen Anforderungen bestmöglich bedienen. Die drei Laborgruppen an den Standorten decken zusammen alle Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in Bezug auf Addi tive für Farben und Lacke ab: Im SyntheseLabor werden chemische Strukturen für potenzielle neue Produkte entwickelt. Eine Vorauswahl (Screening) sowie das vorläufige Produktdesign übernimmt das Labor zur Formulierungsentwicklung. Die Entwicklung der Endprodukte sowie deren Vermarktung liegen im Kompetenzbereich des Labors für strategische Marktentwicklung. elements38 Ausgabe 1|2012 18 GEDRUCKTE ELEKTRON IK Transistormatrix aus der Lösung Mit einer grundlegend neuen Technologie lässt sich die Ansteuerungselektronik von Flüssigkristalldisplays sehr viel günstiger fertigen. Evonik zeigt Displayherstellern damit gleichzeitig einen Entwicklungspfad zu künftigen Fertigungsverfahren der gedruckten Elektronik auf. Nach der Entwicklung im Science-to-Business Center Nanotronics der Creavis hat der Evonik-Geschäftsbereich Coatings & Additives dieses Innovationsprojekt, das den Namen „Electronic Solutions“ trägt, sowie die insgesamt rund 20 Projektmitarbeiter zum Jahresanfang übernommen. Seit Creavis angetreten ist, um neue Geschäftsfelder zu entwickeln, ist damit zum ersten Mal ein Projekt dieses Umfangs in einen Geschäftsbereich übergegangen. [TEXT: Dr. Ralf Anselmann, Dr. Jürgen Steiger] In den vergangenen zwanzig Jahren hat sich eine Revolution in der Welt der Bildschirme vollzogen. Nachdem jahrzehntelang die Kathodenstrahlröhre Bauform und Bildqualität von Fernsehern und Com putermonitoren geprägt hat, ist die Bautiefe der Dis plays inzwischen immer weiter geschrumpft, wäh rend die Bildschirmgröße immer weiter zugenommen hat. Gleichzeitig haben in den vergangenen Jahren kleine, hochauflösende Displays durch Smartphones massiv an Bedeutung gewonnen und stellen nach Stückzahl inzwischen das mit Abstand größte Seg ment des Display-Markts dar. Ein Ende der technolo gischen Entwicklungen ist derzeit nicht abzusehen: Industrie und Verbraucher verlangen nach weiteren Innovat ionen. Realisieren lassen sich Displays mit verschiedenen Verfahren, die sich nach der Anwendung und den zulässigen Kosten richten – selbstverständlich auch nach dem technisch Machbaren. Laut dem US-Markt forschungsunternehmen Display Search haben Flüs sigkristallbildschirme (LCDs) als Technologie dabei den mit Abstand größten Marktanteil. Sie stehen für rund 80 Prozent des Markts mit Fernsehgeräten, Notebooks und Smartphones als typischen Einsatz bereichen. Daneben gibt es noch weitere Display- elements38 Ausgabe 1|2012 Technologien, die einen nennenswerten Marktanteil haben. Beispiele sind elektrophoretische Verfahren, wie sie in den meisten E-Book-Lesegeräten zum Ein satz kommen, oder organische Leuchtdioden (OLEDs), unter anderem bei Smartphone-Displays. Gemeinsam ist allen Bildschirmtechnologien, dass die Pixel in der Regel einzeln ansteuerbar sind. Möglich macht das eine Matrix aus Dünnschichttran sistoren (Thin Film Transistors, TFT), die als TFTBackplane bezeichnet wird. Da jedes Pixel zur Farb darstellung aus drei Subpixeln in den Grundfarben Rot, Grün und Blau aufgebaut ist, sind für die elekt ronische Steuerung eines einzigen Pixels drei Tran sistoren erforderlich. Und weil HDTV-taugliche Fern seher, inzwischen der Standard bei Neugeräten, mit 1.920 mal 1.080 gut zwei Millionen Pixel besitzen, stecken in ihrer Backplane rund sechs Millionen TFTs. Bilddiagonalen von mehr als einem Meter sind bei Flachbildfernsehern heute nichts Ungewöhnliches mehr, jedoch sind 0,75 m der Standard. Daher müssen die Display-Hersteller TFT-Backplanes großflächig herstellen können, um entsprechende Kostenziele und Qualitäten zu erreichen. Schon denkt die Bran che über Bildschirme mit der vierfachen HDTV- 333 Rubr ik 19 Reinraum in Marl: Hier arbeitet Evonik an neuen oxidischen Halbleitern für Dünnschichttransistoren, die statt mit Vakuumtechniken einfach aus Lösung auf das Substrat aufgebracht werden können. Die so produzierten Dünnschichttransistoren sollen die Herstellung von Flachbildschirmen nicht nur einfacher und kostengünstiger machen, sondern auch dem hoch aufgelösten Fernsehen der Zukunft den Weg ebnen Aufbau eines LCD-Bildschirms. Moderne HDTVGeräte haben eine Auflösung von 1.920 mal 1.080 Pixel, die zur Farbdarstellung aus den Grundfarben Rot, Grün und Blau von jeweils drei TFTs ange steuert werden. Ein solches Gerät enthält damit 6.220.800 Dünnschichttransistoren Polarisator Glasplatte RGB-Farbfilter Elektroden Orientierungsschicht Distanzhalter Flüssigkristalle Orientierungsschicht Dünnschichttransistor (TFT) Elektroden Glasplatte Polarisator Lichtquelle elements38 Ausgabe 1|2012 20 GEDRUCKTE ELEKTRON IK Evonik-Mitarbeiter bei der Erfassung von Messdaten. In den Reinräumen werden Materialien für Dünn schichttransistoren unter Reinraumbedin gungen nicht nur aufgebracht, sondern auch elektronisch vermessen. Die Beur teilung der elektronischen Messergebnisse direkt nach der Her stellung ist dabei ein wichtiger Faktor für eine schnelle Rückmel dung an die Material entwickler 333 Auf lösung nach – oder gar noch mehr. Ein treibender Grund sind 3-D-Displays, die oft mindes tens die doppelte Pixelzahl erfordern, um HDTV-Auf lösungen erreichen zu können. Schließlich müssen sie jedem Auge eine hochauflösende Ansicht bieten. Die Backplanes müssen dann entsprechend mehr Dünnschichttransistoren unterbringen, um mit der selben Technologie die Pixel zu steuern – zum Bei spiel gut 24 Millionen bei Quad-HD-Auflösung. Und da die Bildwiederholraten ebenfalls steigen sollen, müssen die TFTs sich auch noch deutlich schneller schalten lassen. Es ist fraglich, ob das mit dem heute am häufigsten eingesetzten Transistormaterial, dem amorphen Silizium, gelingt. Steigende Ansprüche an die Auflösung durch 3-D-Displays Ein Maß für die Schaltbarkeit eines Dünnschichttran sistors ist die Ladungsträgermobilität des verwende ten Halbleiters. Für elektrophoretische Displays, wie sie in E-Book-Readern wie etwa im Kindle von Ama zon zu finden sind, reichen Ladungsträgermobilitäten von deutlich weniger als einem Quadratzentimeter pro Volt und Sekunde aus: Schließlich müssen die Le segeräte keine bewegten Bilder oder schnelle Bild wechsel wiedergeben können. Für LCD-Fernseher sollten die Ladungsträgermobilitäten dagegen zwi schen 1 und 10 Quadratzentimeter pro Volt und Se kunde liegen – je nach Qualitätsanspruch. Die höhe ren Werte sind mit amorphem Silizium nicht oder nur mit einem sehr hohen Aufwand für die Steue rungselektronik zu erreichen. elements38 Ausgabe 1|2012 Displays aus organischen Leuchtdioden, wie sie in verschiedenen Smartphones verbaut sind, erfordern sogar Halbleiter mit Ladungsträgermobilitäten von mehr als zehn Quadratzentimeter pro Volt und Se kunde. Heute verwenden die Hersteller dafür vor al lem Transistoren aus polykristallinem Silizium, weil dieses eine deutlich höhere Ladungsträgermobilität aufweist. Allerdings verursachen kristalline Materialien na turgemäß Inhomogenitäten, die die Größe der pro duzierbaren Backplanes limitieren. Denn an den Grenzflächen, die durch die Kristallisation entstehen, sinkt die Beweglichkeit der Ladungsträger. Amorphes Silizium hat gerade den Vorteil, dass es sich aufgrund seiner Struktur sehr homogen auf große Flächen auf bringen lässt. Zwar gibt es heute Silizium, sogenann tes LTPS (Low-temperature Polycrystalline Silicon), das sich durch eine sehr hohe Ladungsträgermobilität auszeichnet, allerdings ist die Produktion von TFTBackplanes damit recht aufwändig. Eine Alternative zum amorphen Silizium, die deutlich höhere Ladungsträgermobilitäten verspricht, sind amorphe Metalloxidhalbleiter wie Indium-Gal lium-Zink-Oxid (IGZO). Die Ladungsträgermobilitä ten dieser Materialklasse liegen im Bereich von zehn Quadratzentimeter pro Volt und Sekunde – genug also, um auch künftigen Schaltanforderungen in LCDund OLED-Bildschirmen gerecht zu werden. Ver schiedene Hersteller haben in den vergangenen Jah ren auf Fachkonferenzen bereits entsprechende Pro totypen präsentiert. Diese Halbleitermaterialien gel ten als sehr viel versprechend, weshalb die Display-Hersteller derzeit Anlagen und Prozesse qua lifizieren und auswählen. Auftragen lassen sich solche Metalloxide und amorphes Silizium zum Beispiel durch Sputtern. Bei diesem Verfahren, auch Kathodenzerstäubung genannt, lösen energiereiche Ionen einzelne Atome aus einem Siliziumfestkörper heraus. Die Silizi 333 GEDRUCKTE ELEKTRONIK 21 EU-Projekt oricla Maßstab für gedruckte RFID-Logistik Die Arbeitsgruppe zur gedruckten Elektronik im Science-toBusiness Center Nanotronics hat im Rahmen eines Forschungs projekts zusammen mit Partnern auch Materialien für eine RFID-Technologie entwickelt, die als Benchmark in der Szene gelten dürfte: einen bidirektionalen Schaltkreis auf der Basis von organischen und metalloxidischen Halbleitern in komplementärer Logik – also in der Technologie, die heute in allen gängigen Computerchips Verwendung findet. An dem EUgeförderten Projekt mit Namen ORICLA wirkten das belgische Forschungsinstitut IMEC, die Niederländische Organisation für Angewandte Naturwissenschaftliche Forschung (TNO) sowie PolyIC, ein Pionier der gedruckten organischen Elektronik, mit. Die Idee der RFID (Radio Frequency Identification) ist die eindeutige, automatische Identifikation von Waren auf der Ebene von Produkt- oder Verpackungseinheiten. Der Schalt kreis, den Evonik mit den drei Partnern hergestellt hat, ist in der Lage, nicht nur Daten wie zum Beispiel den standardisierten Europäischen Produktcode (EPC) an ein Lesegerät auszugeben, sondern tatsächlich mit dem Reader zu kommunizieren. So lassen sich zum Beispiel unterschiedliche Artikel auf einem Förderband strukturiert identifizieren. Die Übertragungsrate des Chips liegt derzeit bei 10 Kilobit pro Sekunde und soll bis Ende des Projektes auf 25 Kilobit pro Sekunde ansteigen. Die RFID arbeitet derzeit bei der HF-Frequenz von 13,56 Megahertz. Bis Ende des Projektes soll eine RFID bei 867 Megahertz realisiert werden – das wäre ein weiteres Novum im Bereich der organischen und großflächigen Elektronik. Das Projekt ist – ebenso wie die lösemittelbasierte Prozessierung von oxidischen Halbleitern für Dünnschichttransistoren – Anfang 2012 zum Geschäftsgebiet Coatings & Additives übergegangen. elektronisches papier mit lösung von creavis Prototyp E-Paper Der Prototyp des elektronischen Papiers von Toppan Printing mit Dünnschichttransistoren aus oxidischen Halbleitern von Evonik Dass das Verfahren von Evonik, oxidische Halbleiter für Dünn schichttransistoren aus Lösung zu verarbeiten, funktioniert, hat sich bereits vor gut zwei Jahren anhand eines ersten Demons trators gezeigt: eines Prototyps für elektronisches Papier, den die Toppan Printing Co., Ltd., einer der weltweit größten Druck konzerne mit Sitz in Tokio, entwickelt hat. Für diesen Prototyp erzeugte Toppan Printing die Oxid-Halbleiter-Schicht der TFTs mittels eines aus Lösung verarbeitbaren oxidischen Halbleiters von Evonik. Dieser wurde in einem vakuumfreien, lösemittel basierten Prozess durch Spin Coating aufgebracht; die anderen Schichten entstanden in einem Standard-Beschichtungsverfahren. Gemeinsam konnten Toppan Printing und Evonik die Verarbei tungstemperatur des Halbleiters auf 270 °C senken – ein Wert, der damals um 100 °C niedriger lag als bei den bisher bekannten, aus Lösung verarbeitbaren oxidischen Halbleitern. Bei einer Ladungsträgerbeweglichkeit von 0,5 Quadratzentimeter pro Volt und Sekunde beträgt das Ein-aus-Verhältnis der TFTs 105 und ist damit vergleichbar der Ladungsträgerbeweglichkeit und dem Ein-aus-Verhältnis eines konventionellen amorphen Silizium-TFT. In der Zwischenzeit konnte die Ladungs trägerbeweglichkeit bei dieser Verarbeitungstemperatur sogar noch um den Faktor 10 gesteigert werden. elements38 Ausgabe 1|2012 22 GEDRUCKTE ELEKTRON IK Lösemittelbasiertes Verfahren für einfache und kostengünstige Herstellung von TFTs umatome schlagen sich dann kontrolliert auf dem Substrat nieder, auf dem die TFT-Backplane entste hen soll. Dünne Schichten aus amorphem Silizium lassen sich alternativ auch mit der chemischen Gasphasenabscheidung (CVD) erzeugen, bei der an der Oberfläche eines erhitzten Substrats aufgrund einer chemischen Reaktion Silizium aus der Gasphase abgeschieden wird. Beide Verfahren, Sputtern und CVD, funktionie ren nur im Vakuum, so dass die Display-Hersteller für die Anlagen hohe Investitionen tätigen müssen. Doch es geht bei Metalloxiden auch anders. Wissen schaftler des Science-to-Business Center Nanotronics der Creavis haben ein Verfahren entwickelt, wie sich Metalloxid-TFTs mit einem lösungsmittelbasierten Prozess fertigen lassen. Während die funktionalen Schichten heute mittels teurer Vakuumtechnik aufgebracht werden, lassen sich die Materialien von Evonik einfach aus Lösung aufbringen. In Zukunft sollen diese Materialien mittels eines Druckverfahrens direkt struk turiert aufgebracht werden. Dadurch entfällt die aufwändige Strukturierung mittels Photolithographie Aufbringung (CVD oder Sputtern) Beschichten Drucken Heute Morgen Übermorgen Prozessschritte, die für die konventionelle Strukturierung einer Halbleiterschicht derzeit benötigt werden und die in Zukunft durch einen einzigen Druckschritt ersetzt werden könnten UV Belacken Ausheizen Halbleiter Substrat (SiOx) Belichten Entwickeln Reinigen Entfernen des Photolacks (Resist Stripping) elements38 Ausgabe 1|2012 Nassätzen GEDRUCKTE ELEKTRONIK 23 Diese Technologie hat gleich mehrere Vorzüge ge genüber Sputtern oder CVD. Erstens ist für das Beschichtungsverfahren kein Vakuum erforderlich, was die Investitionen für eine entsprechende Anlage auf einen kleinen Teil der Summe senkt, die für eine CVD-Anlage erforderlich ist. Zweitens ist die Abscheidung aus der Flüssigkeit technisch eher leicht zu skalieren: Vereinfacht gesprochen müsste eine Beschichtungsanlage nur verbreitert werden. Doch das sind noch nicht alle Vorteile. Denn mit einer Abscheidung aus der flüssigen Phase kann ein Hersteller bereits heute die Weichen für die Zukunft der gedruckten Elektronik stellen: Sowohl bei der Prozessierung des Halbleiters aus einer Flüssigkeit als auch beim Druck kommen neu artige lösemittelbasierte „Halbleiter-Tinten“ zum Ein satz – der Übergang von der Vakuumbeschichtung zur lösungsmittelbasierten Beschichtung erscheint so als logischer Schritt auf dem Weg zum hoch aufgelösten Druck elektronischer Schaltkreise in der Zukunft. Mehr noch: Für zukünftige flexible Displays müs sen die Hersteller das heute verwendete Glassubstrat durch eine Kunststofffolie als Träger ersetzen. Die meisten heutigen Halbleitermaterialien erfordern allerdings Temperaturen von weit über 250 °C, damit sie sich verarbeiten lassen. Dagegen lassen sich 333 Neues Verfahren auch für Substrate aus Kunststoff geeignet Messdaten einer Schicht. Jeder Transistor im Flachbildschirm funktioniert wie ein elektrischer Schalter und steuert die Helligkeit des Bildpunktes. Für einen schnellen Bildaufbau und einen guten Kontrast des angezeigten Bildes sind dabei ein hoher Strom im An-Zustand und ein großes Verhältnis zwischen An- und Aus-Zustand des Transistors wichtig. Beides erfüllen die Materialien von Evonik Aus-Zustand An-Zustand Drain-Strom [Ampere] Schaltbereich Messplatz zur Kontaktierung eines Testsubstrates 1m 100 µ 10 µ 1µ 100 n 10 n 1n 100 p 10 p 1p –20 –15 –10 –5 0 5 10 15 20 25 30 Gate-Spannung [Volt] elements38 Ausgabe 1|2012 24 GEDRUCKTE ELEKTRON IK von der wissenschaft zum geschäft Wechsel von Creavis zu Coatings & Additives Der Übergang des Projekts gedruckte Elektronik von Creavis zum Geschäftsbereich Coatings & Additives am 1. Januar 2012 war eine Premiere für Evonik. Es war der erste Transfer eines im Rahmen des Science-to-Business-(S2B-)Konzepts aufge bauten Geschäftsfeldes zusammen mit allen Mitarbeitern und der entwickelten Forschungs- und Anwendungstechnik in einen Geschäftsbereich. „Für Creavis ist die Überführung dieses Innovationsprojekts ein großer Erfolg“, sagte Dr. Harald Schmidt, Leiter der Creavis. „Als strategische Forschungs- und Entwicklungseinheit ist es unsere Aufgabe, neue Geschäftsgebiete für Evonik aufzubauen und zukunftsweisende Technologieplattformen zu entwickeln. Das haben wir mit der gedruckten Elektronik eindrucksvoll umgesetzt.“ Dr. Ulrich Küsthardt, Leiter des Geschäftsbereichs Coatings & Additives, betonte: „Wir sind fest davon überzeugt, dass wir mit unserer Kompetenz bei Coatings auf der einen Seite und dem Wissen über den Aufbau von Geschäften auf der anderen Seite genau die Richtigen sind, um das Geschäfts elements38 Ausgabe 1|2012 feld in diesem Zukunftsmarkt zu platzieren und weiterzuentwickeln. Wir können uns vorstellen, dass wir für die Nutzung von Coatings-Systemen und Additiven im Bereich der Elek tronik völlig neue Anwendungsgebiete erschließen.“ Nanotronics war das erste S2B-Center der Creavis; es startete 2005. Bearbeitet wurden hier neben der gedruckten Elektronik die Projekte Low Cost Flexible Solar Cells und Smart Coatings. Das Solarprojekt wird innerhalb der Creavis weitergeführt. Die Ergebnisse des Projektes Smart Coatings – Formulierungen, Know-how, Kundenkontakte – werden von externen Partnern verwertet. Derzeit laufen Lizenzverhand lungen mit verschiedenen Unternehmen. Darüber hinaus unterhält Creavis noch die beiden S2BCenter Biotechnologie und Eco², die sich mit weißer Biotech nologie bzw. Energieeffizienz und Klimaschutz beschäftigen, sowie das „Advanced Project House Light & Electronics“ in Taiwan und das Projekthaus Systemintegration, das kurz vor dem Abschluss steht. GEDRUCKTE ELEKTRONIK 25 Charakterisierung von Dünnschichttransistoren 333 mit den lösungsmittelbasierten Metalloxiden der Creavis die Temperaturen so weit senken, dass auch Kunststofffolien als Träger genutzt werden können. Ein weiterer Pluspunkt in Sachen Zukunftssicherheit für die neue Technologie. Die Wissenschaftler aus dem Science-to-Business Center Nanotronics haben für den Flüssigprozess Wege gefunden, damit nach dem Auftragen und spä teren Verdunsten des Lösungsmittels homogene amorphe Metalloxidschichten mit möglichst wenigen inneren Grenzflächen zurückbleiben. In der flüssigen Phase durfte es zudem zu keiner Sedimentation kom men. Nur so lassen sich sehr dünne Schichten auf Flächen mit mehreren Metern Seitenlänge herstellen, bei denen die Kenndaten der Dünnschichttransistoren im Betrieb nur um wenige Prozent voneinander abweichen. Der Geschäftsbereich Coatings & Additives hat zum Januar 2012 die rund 20 Mitarbeiter sowie die Ausrüstung des Nanotronics-Projekts komplett in die Bereichsforschung übernommen. Ein Schritt, den es in diesem Ausmaß im Konzern zuvor noch nie gegeben hat. Die aktuellen Geschäftspläne sehen vor, die Entwicklung in den kommenden Jahren in ein Geschäft umzusetzen, welches das Potenzial einer Produktlinie oder gar eines Geschäftsgebiets errei chen könnte. Das Team von „Electronic Solutions“ arbeitet hierfür mit einigen der weltweit führenden Display-Hersteller zusammen. Im nächsten Schritt geht es darum, die Entwick lung den prozessspezifischen Anforderungen der Hersteller anzupassen. Für Evonik wäre dies ein völ lig neuer Markt, für den das Chemieunternehmen bislang nichts im Produktportfolio führt. 777 Dr. Ralf Anselmannn leitet seit dem 1. Januar 2012 im Geschäftsbereich Coatings & Additives den Bereich Electronic Solutions. Er studierte Chemie an der Uni versität Kaiserslautern. Nach der Promotion 1986 begann er seine berufliche Laufbahn bei der Merck KGaA in Darmstadt in der Sparte Pigmente. 1988 ging er für fünf Jahre nach Savannah (Georgia, USA), um dort am Produktionsstandort für Pigmente eine lokale Forschungs- und Anwendungstechnikeinheit aufzubauen. Nach der Rückkehr arbeitete er in verschiedenen Funktionen der Forschung und des technischen Marketings in Darmstadt. 2001 wechselte er aus der operativen Verantwortung für R&D/AT Cosmetic Pigments in die Zentrale Geschäftsentwicklung Chemie mit Verantwortung für die Geschäftsentwicklung der Nanomaterialien der Merck KGaA. 2004 wechselte er von Merck zu Evonik und baute dort als Leiter das Science-to-Business Center Nanotronics mit den Pro jekten „Printed Electronics“, „Low Cost Flexible Solar Cells“ und „Smart Coatings“ auf. +49 2365 49-7279, [email protected] Dr. Jürgen Steiger ist seit dem 1. Januar 2012 im Geschäftsbereich Coatings & Additives im Bereich Electronic Solutions für die gedruckte Elektronik verantwortlich. Er studierte Physik und Materialwissen schaft in Freiburg i. Br., London, Heidelberg und Darmstadt. Nach der Promotion 2001 arbeitete er zunächst über drei Jahre bei einem Start-up-Unter nehmen in Frankfurt am Main im Bereich organischer Leuchtdioden. Er beschäftigte sich dabei vor allem mit dem Ink-Jet-Druck von Polymeren für Displays und war für die technische Betreuung verschiedener Displayhersteller zuständig. 2004 wechselte er zum Science-to-Business Center Nanotronics der Creavis in das Projekt Printed Electronics, das er seit 2007 leitet. Im Jahr 2005 vollendete er ein berufsbegleiten des MBA-Studium. +49 2365 49-5933, [email protected] elements38 Ausgabe 1|2012 26 N e ws PEEK-Polymer der nächsten Generation VESTAKEEP® Ultimate ist ein verbessertes Polyether etherketon (PEEK) von Evonik, das eine um 25 Prozent höhere Schlagzähigkeit besitzt als Standard-PEEK und damit die Lebensdauer von dynamisch belasteten Formteilen verdoppelt. Diese technische Weiterent wicklung ermöglicht bestimmte Hochleistungslösungen und kann so zur ersten Wahl für PEEK-Polymer-Fragen in vielen Anwendungen werden. Im Automobil- und Flugzeugbau beispielsweise sorgt VESTAKEEP® Ultimate für mehr Beständigkeit gegenüber stetig steigenden Belastungen von Kunst stoffteilen. So profitieren Sensoren oder Kugellager von der hohen Abriebbeständigkeit. Auch tief unter dem Meeresboden bietet VESTAKEEP® Ultimate Vorteile: Als Dichtungsmaterial eingesetzt, hält es den hohen Temperaturen in vielen hundert Metern Tiefe stand. Die sehr guten mechanischen Eigenschaften sorgen so für mehr Zuverlässigkeit bei der Förderung von Erdöl aus besonders tief gelegenen Quellen. Und VESTAKEEP® Ultimate steigert die Prozesssicherheit in der Halbleiterfertigung, beispielsweise bei der Produktion von Siliziumwafern. Grund dafür sind die hohe Temperaturbeständigkeit und der besonders geringe Ionengehalt von VESTAKEEP®. Doch nicht nur in den Anwendungen, auch bei der Verarbeitung hat VESTAKEEP® Ultimate Vorteile: Dank seiner hohen Schmelzefestigkeit lassen sich unter anderem Rohre mit großem Durchmesser besser verarbeiten. „Mit VESTAKEEP® Ultimate zeigen wir, dass die Spitze der Kunststoffpyramide noch lange nicht erreicht ist“, so Dirk Heinrich, Director Business Management VESTAKEEP®. „Und die Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen: Wir arbeiten weiterhin intensiv an der Ver besserung unserer Produkte, um den steigenden Anforderungen Rechnung zu tragen.“ VESTAKEEP® Ultimate (oben) besitzt eine um 25 Prozent höhere Schlagzähigkeit als Standard-PEEK (unten) 25 Jahre Superabsorberproduktion in Krefeld Ruhigere Nächte für Millionen von Kindern und Eltern, weniger Tränen und mehr Kom fort – das sind die trockenen Fakten, für die ein Stoff aus der Chemie sorgt: der Superabsorber. Er ist das technologische Geheim nis, das hinter dem weltweiten Erfolg von Einwegwindeln steckt. Seit 25 Jahren werden am Standort Kre feld Superabsorber großtechnisch produziert. Die Kügelchen können bis zum 500-Fachen ihres Eigengewichts an Flüssigkeit aufnehmen und verwandeln diese in ein Gel. Selbst unter Druck – wenn sich das Baby auf die Windel setzt – wird die Flüssigkeit, anders als beim Schwamm, nicht wieder abgegeben. Aufgrund ihrer Saugkraft sind Superabsorber ein begehrtes Produkt im Hygienebereich elements38 Ausgabe 1|2012 und werden in Babywindeln, Damenhygieneund Inkontinenzprodukten eingesetzt. Evonik ist einer der weltweit größten Hersteller von Superabsorbern mit Krefeld als zentralem Produktionsstandort für Europa. Im Jahr 1986 wurde die erste Großpro duktionsanlage für Superabsorber in Krefeld in Betrieb genommen. Sie kennzeichnet den internationalen Durchbruch für die Super absorbermarke FAVOR®. Mit der Forschung an Superabsorbern hatte man am Standort Krefeld schon in den 1970er Jahren begonnen. Heutzutage sind FAVOR®-Superab sorber in mehr als 40 Milliarden Windeln jährlich enthalten. Dass Windeln um mehr als die Hälfte kleiner und dünner wurden – von über 100 Gramm in den 1980er Jahren auf heute nur noch etwa 40 Gramm –, zählt mit zu den fortschrittlichen Errungenschaften. Und die Entwicklung geht weiter. Auch wenn Babywindeln nur ein paar Stunden getragen werden: Sie müssen hohe Erwartungen er füllen. Ein guter Grund also für fortwährende Innovationen der FAVOR®-Superabsorber. Eng zusammen mit führenden Herstellern von Hygieneprodukten arbeitet ein Team von Forschern und Anwendungstechnikern in den Laboren von Evonik an neuen, noch besseren Superabsorbern und den Trends von morgen. Der Trend geht eindeutig zu immer weniger Zellstoff. Ziel sind ultradünne Hygie neprodukte, die für noch besseren Tragekom fort, weniger Verpackung und auch weniger N e ws 27 Abfall sorgen. Dafür muss zum Beispiel die Aufnahmekapazität der Superabsorber weiter erhöht oder die Flüssigkeitsverteilung noch exakter den Anforderungen der Kunden angepasst werden. Am Ende der derzeit absehbaren Ent wicklung stehen Superabsorber mit noch mehr Speichervolumen, die die Produktion von erheblich dünneren Einwegwindeln erlauben und den Herstellern eine deutliche Verringerung des Rohstoffeinsatzes und damit eine Reduzierung der Herstellungsschritte, Produktions- und Transportkosten ermöglichen. Gut denkbar, dass künftig kein Unter schied mehr zwischen normaler Unterwäsche und einer Windel zu erkennen sein wird. Nach der Anlage in Krefeld wurde ein Jahr später, 1987, eine Anlage in Greensboro (North Carolina, USA) in Betrieb genommen. In den Jahren 1992 und 1999 folgten weitere Anlagen in Krefeld, 1993 und 2000 weitere Anlagen in Greensboro. Im Jahr 1996 kamen Anlagen in Garyville (Louisiana, USA) und 2006 in Rheinmünster hinzu. In SaudiArabien hat Evonik im August 2011 einen Joint-Venture-Vertrag mit der Saudi Acrylic Acid Company (SAAC) zur Produktion von Superabsorbern abgeschlossen. Die Anlage mit einer jährlichen Kapazität von 80.000 Tonnen soll Ende 2013 in Betrieb gehen. Damit geht Evonik einen wichtigen Schritt im attraktiven Markt Mittlerer Osten. Labor- und Produktionskapazität für hochpotente Wirkstoffe erweitert Evonik Industries hat in Hanau ein Labor für hochpotente Wirkstoffe (HPAPI, Highly Potent Active Pharmaceutical Ingredients) in Betrieb genommen und gleichzeitig bei Tippecanoe Laboratories am Standort Lafayette (Indiana, USA) seine cGMP-Kapazitäten für diese Wirk stoffe im Kilogrammmaßstab erweitert. Mit dem neuen Labor kann das Unternehmen nun auch in Deutschland Synthesen für derartige Wirkstoffe entwickeln und optimieren. Mit der Kapazitätserweiterung verfügt Evonik über ein Reaktorvolumen für HPAPI von insgesamt 170 Kubikmetern. Davon entfallen ca. 135 Kubikmeter auf die Produktion der HPAPI im Tonnenmaßstab und ca. 35 Kubikmeter auf die Kleinmengen produktion und die Herstellung von Entwicklungsmengen. „Damit decken wir bei der Exklusivsynthese das ganze Spektrum der Herstellung hochpotenter Wirkstoffe von der klinischen Phase bis hin zur Kommerzialisierung ab“, betont Dr. Klaus Stingl, Leiter der Produktlinie Exklusivsynthese im neu geschaffenen Geschäfts gebiet Health Care. Hochpotente Wirkstoffe sind pharmazeutische Wirkstoffe, die bereits in sehr niedrigen Konzentrationen wirken. Maximal 0,2 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht oder 10 Milligramm pro Tag genügen, um einen signifikanten therapeutischen Effekt hervorzurufen. Zu den HPAPI zählen unter anderem Hormone, Peptide und Zytostatika zur Behandlung von Krebserkrankungen. „Die Nach frage nach Syntheseentwicklung und Kleinmengenproduktion von HPAPI für die klinische Phase hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen“, begründet Stingl die Investition in Hanau und Tippe canoe. Gründe dafür seien unter anderem neue Entwicklungen in der Behandlung von Tumoren und endokrinen Erkrankungen. Wegen ihrer hohen Wirksamkeit müssen bei der Handhabung der HPAPI allerdings besondere Maßnahmen zum Schutz von Umwelt, Labor- und Produktionsmitarbeitern ergriffen werden. Alle HPAPI-Einrichtungen von Evonik sind so ausgelegt, dass auch Wirkstoffe gehandhabt werden dürfen, für die die erlaubte Arbeits platzkonzentration (TWA, acht Stunden) bei nur 0,1 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft liegt. „Derzeit gibt es weltweit nur wenige Unternehmen, die überhaupt mit hochpotenten Wirkstoffen arbeiten dürfen“, sagt Kevin Haehl, am Evonik-Standort Tippecanoe verantwortlich für die Exklusivsynthese von Wirkstoffen. „Evonik gehört dabei zu den leis- Labor für hochpotente Wirkstoffe tungsstärksten Anbietern, weil wir als eines der ganz wenigen Unternehmen auch derart niedrige Arbeitsplatzgrenzwerte einhalten können. Das heißt, wir können auch solche Wirkstoffe sicher handhaben, die wegen ihrer extrem hohen Wirksamkeit beispielsweise bei der Zerstörung von Krebstumoren für den gesunden Menschen möglicherweise schädlich sind.“ Schwerpunkt der Exklusivsynthese von hochpotenten Wirkstoffen ist der Standort Tippecanoe, den Evonik Anfang 2010 von dem amerikanischen Pharmaunternehmen Eli Lilly erworben hat. Die rund 650 Mitarbeiter des Standorts besitzen mehr als 20 Jahre Erfahrung in Handhabung, Syntheseentwicklung und Produktion der HPAPI. Mit der Etablierung eines entsprechenden Labors in Hanau steht ein Teil dieses speziellen Know-hows nun auch in Europa zur Verfügung. elements38 Ausgabe 1|2012 28 s tandortm anagement Neues Infracor-Verfahren zur Wasserbehandlung mit Chlordioxid Mit einem neuen Verfahren auf Basis von Chlordioxid hat die Infracor GmbH, die als Tochter von Evonik Industries den Chemiepark Marl versorgt, die Biozidbehandlung von Kühlwasser sicherer und wirtschaftlicher gemacht. [ text Hans Duve, Dr. Beate Kossmann, Dr. Franz-Josef Peveling ] elements38 Ausgabe 1|2012 s tandortm anagement 29 Im Chemiepark Marl arbeiten rund 10.000 Menschen. Das Gelände erstreckt sich über eine Fläche von rund 6,5 Qua dratkilometer. Das Foto links zeigt die Nasskühltürme Die Infracor GmbH versorgt in Marl einen der gro ßen Chemiestandorte Deutschlands. Die Versorgung des Standorts mit Kühlwasser erfolgt über 16 Rück kühlwerke mit einer Umwälzleistung von ca. 80.000 m³/h. Die Kühlsysteme gehören zur Gruppe der kreislaufgeführten Nasskühltürme. Als Kühlturm zusatzwasser wird Wasser aus dem Wesel-DattelnKanal verwendet, das nach der Aufbereitung in Form einer Teilentkarbonisierung in den Kühlsystemen mehrfach eingedickt wird. Die Fahrweise ist schwach alkalisch. Die chemische und mikrobiologische Qua lität des Kühlwassers unterliegt einer engmaschigen Steuerung und Überwachung. Kühlwasser in Rückkühlwerken bietet ideale Bedingungen für die Vermehrung von Mikroorga nismen. Mikrobielles Wachstum in Kühlsystemen ist immer mit der Bildung von Biofilmen verbunden, die alle wasserführenden bzw. feucht gehaltenen Oberflächen eines Kühlsystems in unterschiedlicher Dicke bedecken. Biofilme bestehen aus einer Vielzahl unterschiedlichster Arten von Mikroorganismen, die sich in eine Matrix aus extrazellulären polymeren Substanzen (EPS) einbetten. Innerhalb eines Biofilms gibt es völlig unterschiedliche Lebensräume, die je nach Nährstoffangebot, Sauerstoffkonzentration oder anderen Einflüssen von unterschiedlichsten Konsor tien von Mikroorganismen bewohnt werden. Für Mikroorganismen bietet das Leben im Biofilm vielfältige Vorteile wie zum Beispiel: • Schutz gegen Biozide und anderen Stress, •stabile Mikro-Lebensräume mit hoher Zell dichte, •einen reichhaltigen Genpool und einen erleich terten Gentransfer, der die Adaption an verän derte Lebensumstände vereinfacht, •den Austausch von Stoffwechselprodukten bzw. die Wiederverwendung von Nährstoffen. Für ein Kühlsystem ist der Aufbau von Biofilmen immer mit gravierenden Nachteilen verbunden: Biofilme verursachen eine deutliche Verschlechte rung des Wärmeübergangs (Tab. 1), führen zu 333 Mikrobielles Wachstum in Kühlsystemen elements38 Ausgabe 1|2012 30 s tandortm anagement 333 mikrobiell beeinflusster Korrosion (MIC) und sind die Basis für das Wachstum von Legionellen und damit die Ursache einer ständigen Rekontamination des Kühlwassers mit Legionellen. Zur Kontrolle des mikrobiellen Wachstums in Kühlsystemen ist deshalb eine effiziente Biozidbehandlung unverzichtbar. Die Kühlwasserdesinfektion im Chemiepark Marl erfolgt derzeit überwiegend durch eine Biozid behandlung mit einer Kombination aus Chlor, Natri umbromid und einem nichtionischen Tensid. Die desinfizierende Wirkung des Chlors beruht im Wesentlichen auf seiner Eigenschaft als Oxidations Tabelle 1 Wärmeleitfähigkeit einiger Metalle und Verbindungen Material Wärmeleitfähigkeit (W/m*K) Kupfer 380,0 Kohlenstoffstahl 45,0 Rostfreier Stahl 15,0 Kalziumcarbonat 2,6 Biofilm 0,6 Literatur: Aquaprox, Kühlwasserbehandlung, Springer Verlag, 2007, S. 64 Abbildung 1 Anteil der freien Säuren HOCl und HOBr in Abhängigkeit vom pH-Wert HOCI H+ + OCl – HOBr H+ + OBr – Anteil freie Säure [%] 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 4 5 6 7 8 9 10 11 12 pH mittel. Wirksames Agens ist die undissoziierte hypo chlorige Säure, die in Abhängigkeit vom pH-Wert unter Bildung von Hypochlorit-Ionen dissoziiert. Die pH-Werte des Kühlwassers liegen mit Werten bis ca. pH 7,8 – je nach Fahrweise des spezifischen Rück kühlwerks – in einem Bereich, in dem Chlor allein keine ausreichende Wirkung mehr besitzt. Zur Verbesserung der bioziden Wirksamkeit wird Chlor daher in Kombination mit Natriumbromid an gewendet, wodurch aufgrund der Bildung von hypo bromiger Säure die biozide Wirksamkeit im relevan ten pH-Bereich verbessert wird. Diese Zusammen hänge sind in Abbildung 1 dargestellt. Sie zeigt die Anteile der freien hypochlorigen (HOCl) und hypo bromigen Säure (HOBr) und deren ionisierter Formen in Abhängigkeit vom pH-Wert. Führungsgröße für die Biozidbehandlung des Kühlwassers ist das Redoxpotenzial, das daher kon tinuierlich gemessen wird. Das Redoxpotenzial eines Wassers ist charakteristisch für die Geschwindigkeit der Keimtötung durch oxidierende Desinfektions mittel, wobei gilt: je höher das Redoxpotenzial, desto schneller die Keimtötung, und umgekehrt. Die Bio zidbehandlung erfolgt stoßweise, indem beim Unter schreiten bestimmter Redoxwerte die Chlorungs anlage startet und beim Überschreiten bestimmter Schaltpunkte wieder stoppt. Der entscheidende Nachteil einer Kühlwasser desinfektion mit Chlor/Bromid ist deren stark ein geschränkte Wirksamkeit gegenüber Mikroorganis men im Biofilm. Außerdem wird die Veralgung der Kühlturmeinbauten nicht in ausreichendem Maße verhindert. Je nach Situation – beispielsweise bei massivem Algenbewuchs der Kühlturmeinbauten oder bei erhöhten Legionellenbefunden – ist daher der zusätzliche Einsatz von Peressigsäure als ergän zende Maßnahme unverzichtbar. Peressigsäure hat neben desinfizierenden auch belagslösende Eigen schaften. Die Kühlwasserdesinfektion mit Chlordioxid bie tet im Vergleich zu den überwiegend eingesetzten oxidierenden Bioziden wie Natriumhypochlorit, Chlor oder Chlor/Bromid substanzielle Vorteile hin sichtlich mikrobiozider Wirksamkeit und Umwelt verhalten. Die chemischen Eigenschaften von Chlor dioxid unterscheiden sich grundlegend von denen des Chlors. Chlordioxid ist ein sehr gut wasserlös liches Gas; es dissoziiert nicht, sondern liegt als freies Radikal in Wasser vor. Dadurch ist seine Desin fektions- bzw. Oxidationswirkung unabhängig vom pH-Wert. Chlordioxid: ideales Biozid zur Kühlwasserdesinfektion elements38 Ausgabe 1|2012 s tandortm anagement 31 Chlordioxid löst überdies Biofilme bzw. verhindert deren Entstehung und begrenzt so eine fortwährende Rekontamination des Wassers beispielsweise mit Legionellen. Im Gegensatz zu Chlor führt es nicht zur Bildung von Trihalogenmethanen, und die Bildung organisch gebundener Halogene (AOX) oder anderer unerwünschter organischer Desinfektionsbeipro dukte ist ebenfalls fast vollständig ausgeschlossen. Diese Eigenschaften machen Chlordioxid zu einem idealen Biozid bzw. Oxidationsmittel in der Wasser behandlung. Chlordioxid ist zur Trinkwasserdesin fektion zugelassen. Trotz der substanziellen Vorteile in Bezug auf Wirkung und Umweltverhalten ist die Anwendung von Chlordioxid insbesondere in der Kühl- und Pro zesswasserdesinfektion eher selten. Ein Grund hier für ist der hohe Aufwand hinsichtlich Anlagentech nik, Betrieb, Wartung und Personalschulung sowie für die Überwachung zur Vermeidung des Risikos einer Chlordioxidemission oder -explosion – ein Auf wand, der beim Betrieb von Chlordioxidanlagen nach dem heutigen Stand der Technik erforderlich ist.1 Chlordioxid ist ein giftiges Gas mit einem Arbeits platzgrenzwert von 0,1 ppm bzw. 0,3 mg/m³. Ober halb einer Konzentration von 10 Volumenprozent in der Gasphase kann Chlordioxid explodieren. Eine solche Chlordioxidkonzentration stellt sich bei 20 °C oberhalb einer wässrigen Chlordioxidlösung von 8 g/l ein. Die Gefahr eines Zerfalls wässriger Lösun gen besteht oberhalb einer Konzentration von 28 g/l. Aufgrund dieser Eigenschaften kann Chlordioxid nicht in den benötigten Mengen gelagert oder trans portiert werden, sondern muss immer direkt am Ein satzort erzeugt werden. Die Erzeugung von Chlor dioxid für die Wasserbehandlung erfolgt überwie gend in Natriumchlorit-basierten Prozessen, wobei der Säure-Chlorit-Prozess zu chlorfreiem Chlor dioxid führt (Abb. 2). 1 O n-Site Chlorine dioxide: A Review of uses, safety and new processes; Nowosielski; Official Proceedings – International Water Conference (2004), 65, S. 213–225. Abbildung 2 Prozesse zur Erzeugung von Chlordioxid zur Wasserbehand lung. Sie basieren überwiegend auf Natriumchlorit, wobei beim Säure-Chlorit-Prozess chlorfreies Chlordioxid entsteht Chlor-Chlorit-Prozess: 2ClO2 + 2 NaCl 2 NaClO2 + Cl2 Säure-Chlorit-Prozess mit Mineralsäuren, z. B. HCl: 4 ClO2 + 5 NaCl + 2 H2O 5 NaClO2 + 4 HCl Chlordioxidanlagen nach dem Stand der Technik sind wie folgt gekennzeichnet: •Die Aufstellung in personenbegangenen Räumen erfordert komplexe Sicherheitsvorkehrungen zur Absicherung der mit dem Prozess verbundenen Risiken einer Chlordioxidemission oder -explosion. •Die Chlordioxidsynthese aus verdünnten Edukten führt zu einer langsamen, temperaturabhängigen Reaktion mit unvollständiger Umsetzung (85 bis 90 Prozent Ausbeute). Die maximale Chlordioxid konzentration im Reaktor wird auf 20 g/l be grenzt. Die Reaktoren müssen hermetisch ver schlossen sein und sind häufig Druckbehälter. •Lange Reaktionszeiten erfordern große Reak torvolumina, die beträchtliche Mengen Chlor dioxid beinhalten. Liegt die Erzeugungskapazität der Anlage beispielsweise bei 1 kg Chlordioxid pro Stunde, befinden sich im Reaktor ca. 160 g Chlor dioxid. Um dennoch die Vorteile von Chlordioxid nutzen zu können, hat die Infracor ein neues Verfahren ent wickelt, zum Patent angemeldet und in der Praxis zum Einsatz gebracht. Es schließt die Betriebsrisiken von Chlordioxidanlagen nach dem Stand der Technik aus und ermöglicht eine sichere und wirtschaftliche Anwendung von Chlordioxid. Beim Infracor-Verfahren (Tab. 2, Abb. 3, S. 32) wird das Chlordioxid ausschließlich im zu behandelnden Wasser erzeugt, und bis zur Reaktion bleiben die Edukte strikt voneinander getrennt. Die Chlordioxid synthese erfolgt dabei unter optimierten Reakt ions bedingungen aus konzentrierten Edukten und resul tiert in einer schnellen, temperaturunabhängigen 333 Infracor-Verfahren: gravierende Vorteile bei Sicherheit und Wirtschaftlichkeit elements38 Ausgabe 1|2012 32 s tandortm anagement Tabelle 2 Vergleich der Chlordioxiderzeugung nach dem Stand der Technik und nach dem Infracor-Verfahren Parameter Konventionelle Technik Ort der ClO2-Erzeugung Personenbegangene Räume Infracor-Verfahren Im zu behandelnden Wasser Konsequenz Primäre Ursache für das Risikopotenzial (ClO2Emission oder -Explosion) Umfangreiche Sicherheits technik notwendig Möglichkeit zur Prozessoptimierung Chemische Reaktion – Reaktorbedingungen Zu steuernde Edukte 25%ige NaClO2-Lösung, 30%ige HCl und Verdünnungswasser 25- oder 31%ige NaClO2-Lösung, 30%ige HCl ClO2-Konzentration 20 g/l > 80 g/l Reaktionszeit ≥ 600 sec, temperaturabhängig 5 sec, nicht temperaturabhängig Ausbeute 85–95 % > 98 % Spezifisches Reaktorvolumen (Kapazität 1 kg ClO2/h) 8.000 ml 16 ml Vorhandene Menge an ClO2 (Kapazität 1 kg ClO2/h) 160 g ClO2 in personen begangenen Räumen 1,4 g ClO2 im zu behandelnden Wasser Reaktordesign Geschlossen, häufig Druckbehälter Offen, Reaktionszone in direktem Kontakt zum Prozesswasser Verdünnung Zielkonzentration, z. B. 0,5 ppm Direkt oder über Verdünnungstank Direkt Abbildung 3 Prinzipskizze des Infracor-Verfahrens zur Wasserbehandlung mit Chlordioxid. Die Chlordioxiderzeugung erfolgt ausschließlich im zu behandelnden Wasser 5 6 3 4 HCI NaCIO2 1 2 7 8 9 1 und 2: Chlordioxiderzeugung aus konzentrierten Edukten; diese werden außerhalb des zu behandelnden Wassers strikt getrennt gehalten 3 und 4: Dosierpumpen 5 und 6: Edukte werden über Schlauch-in-Schlauch-Leitungen zum Reaktor geführt 7: Der Reaktor zur Chlordioxiderzeugung befindet sich direkt im zu behandelnden Wasser. Die optimierten Reaktionsbedingungen sind gekennzeichnet durch sehr kurze Reaktionszeit, Ausbeute größer 98 Prozent, Temperaturunabhängigkeit, hohe Chlordioxidkonzentration. Das spezifische Reaktorvolumen ist um den Faktor 500 minimiert, die enthaltene Menge Chlordioxid auf unter ein Prozent reduziert 8: Injektor, verbunden mit Steigleitung des Kühlturms zur sofortigen Verdünnung und Verteilung der Chlordioxidlösung 9: Chlordioxidlösung mit einer Konzentration von kleiner oder gleich 3 g/l elements38 Ausgabe 1|2012 333 Reaktion mit Ausbeuten von mehr als 98 Prozent. Die Chlordioxidkonzentration im Reaktor beträgt 80 g/l. Das spezifische Reaktorvolumen ist um den Faktor 500 verkleinert, die darin enthaltene Chlor dioxidmenge auf unter ein Prozent reduziert. Der Reaktor ist direkt zum umgebenden Wasser geöffnet. Der Vorteil: Hat die Anlage beispielsweise eine Er zeugungskapazität von 1 kg Chlordioxid pro Stunde, beträgt die Menge an Chlordioxid im Reaktor nur ca. 1,4 g, und diese wird infolge des direkten Austauschs mit dem umgebenden Wasser sofort auf eine unbe denkliche Konzentration verdünnt. In Tabelle 2 sind die Parameter der Chlordioxiderzeugung nach dem Stand der Technik und nach dem Infracor-Verfahren im Vergleich dargestellt. Entscheidende Vorteile der Chlordioxiddesin fektion wurden im Chemiepark Marl bereits in der Praxis verifiziert. Dazu gehören das Ablösen von Biofilmen bzw. Belägen, die auch noch nach der Ver rieselung bestehende Wirksamkeit und damit die Verhinderung einer Veralgung der Kühlturmeinbau ten sowie die Reduktion der AOX auf Werte unter 50 µg/l. Bei der Umstellung von Chlor/Bromid auf Chlor dioxid kann in der Anfangsphase über einen Zeitraum von einigen Monaten der Verbrauch an Chlordioxid um ein Vielfaches zunehmen und die DOC- und AOXWerte steigen (DOC: gelöster organischer Kohlen stoff). In dieser Phase werden vorhandene Biofilme abgelöst. Das führt unter anderem zur Freisetzung der darin abgelagerten chlororganischen Verbindun gen und damit zu erhöhten AOX- und DOC-Werten und verursacht eine erhöhte Chlordioxidzehrung (Abb. 4, 5). Der anfängliche Chlordioxidverbrauch in einem umgestellten Rückkühlwerk betrug etwa 220 kg pro Woche und reduzierte sich im Verlauf von etwa sechs Monaten auf 28 bzw. 13 kg pro Woche. Bei der Umstellung auf Chlordioxid stiegen die AOX-Werte zunächst auf fast das Doppelte an. Parallel zur Abnahme des Chlordioxidverbrauches reduzierte sich die AOX-Konzentration auf Werte unter 50 µg/l. Die Umlaufleistung des betrachteten Kühlsystems betrug ca. 3.500 m³/h, die Dosierung zur Einstellung eines Redoxpotenzials zwischen 330 und ca. 500 mV variierte zwischen 0,7 und 0,3 ppm. Ein weiteres Rückkühlwerk wurde über einen Zeitraum von 1,5 Jahren ausschließlich mit Chlor dioxid desinfiziert. Entgegen der Annahme, dass Chlordioxid bei der Verrieselung vollständig ausstrip pen würde und damit die Kühlturmeinbauten unbe handelt wären, blieben die Kühlturmeinbauten während dieses Zeitraumes sauber bzw. algenfrei. Parallel zum Einsatz in der Kühlwasserdesinfek tion im Chemiepark Marl wurde das Infracor-Verfah ren an Ashland Hercules Water Technologies, eines der weltweit führenden Unternehmen auf dem Markt der Wasserbehandlung, lizenziert und ist mittler weile in zahlreichen industriellen Kühlsystemen in Europa im Einsatz. 777 s tandortm anagement 33 Abbildung 4 Verlauf des Chlordioxidver brauchs und der AOX-Werte nach Umstellung der Kühl wasserdesinfektion von Chlor/Bromid auf Chlordioxid (Rückkühlwerk F) AOX AOX [% zu vor CIO2] 200 CIO2-Verbrauch [kg/Woche] Umstellung auf CIO2 250 189 % 221 kg 169 % 150 200 216 kg 149 % CIO2-Verbrauch 150 100 119 kg 100 80 kg 50 50 27 % 28 kg 0 13 kg 15. März Abbildung 5 Auszug aus der Online-Analytik des Rückkühlwerks F nach Um stellung der Biozidbehandlung auf Chlordioxid. Direkt nach der Umstellung steigt der online gemessene Indikatorwert für den DOC-Gehalt des Kühlwassers an, während das Redoxpotenzial stagniert bzw. sogar abfällt, obwohl die hier anfänglich eingesetzte Chlordioxidmenge ca. 20fach höher ist als die – nach diesem Reinigungsschritt – notwendige Dosiermenge. Dies ist darauf zurückzuführen, dass durch Ablösung des Biofilms die Zehrung des Chlordioxids stark erhöht ist 18. März 19. April 13. Mai 15. Juni 20. Juli 17. Aug. 16. Sep. Redoxpotenzial [mV] DOC-Gehalt [dimensionslos] 3,00 0 12. Okt. 700 Umstellung auf CIO2 DOC Redoxpotenzial 150 0,00 18.03.2010 03:20:56 Hans Duve leitete bis zu seinem Ruhestand im Herbst 2011 den Betrieb Wasserreinigung des Geschäftsgebiets Verund Entsorgung des Geschäftsbereichs Site Services von Evonik. 18.03.2010 03:34:05 18.03.2010 23:47:14 19.03.2010 10:00:23 Dr. Beate Kossmann arbeitet im Bereich Kälte-, Wasser-, Druck luftversorgung und Abwärmenutzung des Geschäftsgebiets Verund Entsorgung des Geschäftsbereichs Site Services von Evonik. +49 2365 49-6139 beate.kossmann@ infracor.de 19.03.2010 20:13:32 20.03.2010 06:26:42 Dr. Franz-Josef Peveling leitet die Betriebe Kälte-, Wasser-, Druckluftversorgung und Abwärmenutzung des Geschäftsgebiets Ver- und Entsorgung des Geschäftsbereichs Site Services von Evonik. +49 2365 49 2822 franz-josef.peveling@ infracor.de elements38 Ausgabe 1|2012 34 INNOVATI ONSMANAGEMENT Netnography Auf Volkes Stimme hören Wasserstoffperoxid ist eine schon seit bald 200 Jahren bekannte Verbindung, für die es heute viele wichtige Anwendungen gibt. Evonik, als einer der großen Hersteller dieser Chemikalie, geht nun bei der Suche nach weiteren Märkten neue Wege. Das Unternehmen nutzt dazu das Wissen der Massen – ein Schatz, der in Blogs und sozialen Netzwerken schlummert. Diesen Schatz hat Evonik mit Hilfe von Hyve gehoben, einem Unternehmen, dessen Spezialität es ist, via OnlineCommunities unverfälschte, alltagsnahe Einblicke in die Welt der Konsumenten und Verbraucher zu geben. [ text Andreas Beer, Constanze Casper, Robert Katzer, Dr. Yücel Önal ] elements38 Ausgabe 1|2012 INNOVATI ONSMANAGEMENT 35 Die klassische Anwen dung von Wasserstoffperoxid ist das umweltschonende Bleichen von Papier und Zellstoff Wasserstoffperoxid ist eine eher unscheinbare Flüssigkeit, farblos, dem Wasser nicht unähnlich. Es findet vor allem in der Papier- und Zellstoffindus trie breite Anwendung. Bei Evonik gehört Wasser stoffperoxid seit Jahrzehnten fest zum Portfolio. Mit einer Kapazität von rund 650.000 Tonnen ist das Spezialchemieunternehmen weltweit ein bedeuten der Hersteller des umweltfreundlichen Bleich- und Oxidat ionsmittels. Und obwohl Wasserstoffperoxid eines der ältesten Produkte des Konzerns ist, ist es noch immer ein höchst innovatives. Denn das Ziel von Evonik ist es, neben den klassischen Anwen dungen neue Märkte für den Produkt-Oldie zu erschließen. Dass dies immer wieder gelingt, zeigt zum Bei spiel die jüngste Innovation: das HPPO-Verfahren (Hydrogen Peroxide to Propylene Oxide), das Evonik gemeinsam mit dem in Dortmund ansässigen Ingeni eur-Unternehmen Uhde für die Herstellung von Pro pylenoxid entwickelt hat. Die Idee dahinter: Evonik wendet das Verfahren nicht selbst an, sondern vergibt Lizenzen, liefert das Wasserstoffperoxid und er schließt sich so eine Anwendung, die es in dieser Form bislang nicht gab: der großtechnische Einsatz von Wasserstoffperoxid in der chemischen Synthese. Ein Plan, der voll aufgegangen ist: Evonik hat das HPPO-Verfahren mittlerweile zum zweiten Mal in Asien lizenziert und damit seinen Anteil am Wasser stoffperoxidmarkt in dieser Region erheblich gestei gert. Propylenoxid ist ein Vorprodukt für Polyurethan schäume, mit denen etwa Kühlschränke oder Häuser isoliert werden, um Energie zu sparen. Im Vergleich zu herkömmlichen Produktionsverfahren für Propy lenoxid erfordert die HPPO-Technologie deutlich ge ringere Investitionen. Gleichzeitig lassen sich mit ihr hohe Ausbeuten erzielen, und im Gegensatz zu den konventionellen Verfahren entstehen außer Wasser keine Nebenprodukte in nennenswerten Mengen. Die Entwicklung des HPPO-Verfahrens folgte einem klassischen Ansatz, der Expertenwissen vor aussetzt: Was ist technisch machbar, was verlangt der Markt und wie lässt sich beides für das Unternehmen gewinnbringend in Innovation übersetzen? Zwar hat diese Herangehensweise auch künftig ihre volle Berechtigung, doch reicht sie heutzutage nicht mehr aus. Gerade um neue Märkte zu erschließen, kann es auch sinnvoll sein, nicht den Experten auf die Suche nach Innovationen anzusetzen. Denn der kompetente Fachmann mit seinem umfangreichen Wissen denkt zwangsläufig in Kategorien, die ihm vertraut sind. Auf der Suche nach Innovationen kann es aber hilf reich sein, die ausgetretenen Pfade zu verlassen und völlig neue Quellen anzuzapfen. Ein solcher Ansatz, den der Geschäftsbereich Advanced Intermediates bei der Suche nach neuen WasserstoffperoxidAnwendungen verfolgt hat, ist die Netnography. Das englische Kunstwort aus „Internet“ und „Eth nography“ ist eine qualitative Methode, die zu einer vorgegebenen Fragestellung die Kommunikation in Quellen wie Blogs, Foren, Ratgeberportalen und so zialen Medien erfasst, kategorisiert und auswertet. Wichtig bei der Herangehensweise ist, dass die Zuhören statt diskutieren Beobachtung der Community keinen Einfluss auf Art und Inhalt der Kommunikation nimmt. Es geht also nicht darum, mit Anwendern zu diskutieren oder ihre Meinung zu einem bestimmten Thema einzuholen, sondern darum, einfach zuzuhören. Sozusagen „listen to the community“ statt „listen to the customer“. Die Idee dahinter ist simpel: Menschen lösen Pro bleme oft dadurch, dass sie Produkte oder Verfah ren für ihre Bedürfnisse zweckentfremden. Sie pro bieren einfach so lange herum, bis es klappt. Dass die Lösung funktioniert, können die Nutzer oft gar nicht rational begründen; der Erfolg gibt ihnen aber recht. Allerdings gleicht die Netnography der berühm ten Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Eine der größten Herausforderungen besteht ja gerade darin, den ungeschliffenen Diamanten zu entdecken – die relevantesten und innovativsten Kommentare der Nutzer. Strukturiert lässt sich dieses Ziel nur durch einen softwareunterstützten Ansatz erreichen. Zunächst müssen die richtigen Stichworte festgelegt und die richtigen Quellen identifiziert werden. Dann folgt die eigentliche Phase der Beobachtung. Sie liefert erste Ergebnisse, die Experten dann katego risieren müssen, um eventuell weiterführende Beob achtungen und Analysen anschließen zu können. Das kann so weit gehen, dass mit Anwendern, die beson ders kreative Ideen haben, vertiefende Gespräche stattfinden. Die Bereitschaft dieser Nutzer, ihr Wis sen mit anderen zu teilen, ist übrigens erstaunlich hoch. Oft freuen sie sich darüber, dass ihnen endlich jemand zuhört. 333 elements38 Ausgabe 1|2012 36 INNOVATI ONSMANAGEMENT Die Netnography-based Ideation Blogs Review sites Usergenerated content Communication platforms Social networks Forums 1 Identifikation und Auswahl von Online-Quellen 2 Recherche und Identifikation von Anwendungsfehlern Netnography auch für exotische Themen geeignet Für Evonik hat der Münchner Spezialist Hyve eine „Netnography-based Ideation“ für Wasserstoffper oxid durchgeführt. Die Hyve AG, gegründet im Jahr 2000, ist als Urheber des Begriffs „Customized Inno vation“ Pionier im Bereich Open Innovation und Web 2.0. Ihr Anliegen ist es, den Verbraucher von Anfang an – von der Idee bis zur Produktion – in die Pro duktentwicklung einzubeziehen, um die Unterneh men dabei zu unterstützen, noch erfolgreichere und verbrauchergerechtere Innovationen auf dem Markt zu etablieren. Das Internet bietet dabei ideale Vor aussetzungen, um die Bedürfnisse, Wünsche und das Produktwissen hunderter und sogar tausender Men schen in die Marketing- und Entwicklungsabteilun gen innovierender Unternehmen zu integrieren. Mit intelligenten webbasierten Verfahren und Tools wird die Innovationskraft von Communities ausgeschöpft. Durch interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiede ner Professionen wie Marktforscher, Social-MediaExperten und Designer identifiziert Hyve dabei un verfälschte Consumer Insights und beantwortet diese mit und für Endverbraucher sowie B2B-Kunden in Form von Ideen, Konzepten und Produkten. Dass der Ansatz von Hyve nicht nur eine vage Hoffnung ist, sondern tatsächlich funktioniert, hat zum Beispiel der Konsumgüterhersteller Beiersdorf erfahren dürfen. Das Unternehmen hat mittels Net nography sein Deo „Invisible for Black & White“ ent elements38 Ausgabe 1|2012 3 Interdisziplinäre Ideation wickelt, das gelbe Flecken auf Weiß und weiße Rück stände auf Schwarz verhindert. Wer Zweifel daran hat, dass das Verfahren im B2BBereich genauso gut funktioniert wie im B2CBereich, wird durch das Internet schnell eines Besseren belehrt: Tatsächlich scheint das Netz groß genug zu sein, um auch zu solchen speziellen Themen ausreichend viele Nutzer in Communities zusammenzuführen. Für den einen oder anderen mag es auch schwer vorstellbar sein, dass sich Menschen im Internet intensiv über Schweißflecken und ihre Vermeidung austauschen. Genau das findet jedoch aufgrund der wahrgenommenen Anonymität auch zu intimeren Themen sehr offen statt – und in spirierte Beiersdorf zu dem neuen Deodorant. Für die Analyse des Themas Wasserstoffperoxid kombinierte Hyve die bewährte Methode der Netnography mit einer Kreativphase zu einer Netnography-based Ideation, um die gewonnenen Einsichten mit den Technologien und Interessen von Evonik abzustimmen und neue Anwendungsfelder darzulegen. In einem ersten Schritt wurden geeignete Quellen im Internet identifiziert, die sich mit Wasserstoffper oxid auseinandersetzen. Dabei wurden sowohl Kon sumentenbeiträge in Online-Communities als auch Fachartikel in die Analyse eingeschlossen. So konnten 47 Einsatzgebiete von Wasserstoffperoxid identifi ziert werden, die über die bereits abgedeckten Ein satzfelder von Evonik hinausgingen und sich in vier Themenblöcke gliederten: Bleiche, Desinfektion, Treibstoff und Energie sowie Sauerstoff und freie Radikale. INNOVATI ONSMANAGEMENT 37 4 Vertiefende Detailrecherche 5 Ideen- und Konzeptvisualisierung Diese Ideen aus dem Internet lieferten die Inspirat ionsbasis für einen interdisziplinären Kreativ workshop mit Produktdesignern, in dem sowohl Nutzerideen weiterentwickelt als auch initiale Pro duktlösungen als Antwort auf teilweise verdeckt kommunizierte Bedürfnisse erarbeitet wurden. So entstanden an einem halben Tag rund 110 Ideen und Konzepte, von denen etwa zehn Prozent für die finale Betrachtung ausgewählt und aufbereitet wurden. Diese analysierten Evonik und Hyve in einem weite ren Schritt genauer. Neben einer zweiten netnographischen Phase, die tiefer in die identifizierten Gebiete eintauchte, such ten sie wissenschaftliche Studien zu der jeweiligen Anwendung und charakterisierten den möglichen Markt. So ergab sich mit dem Projekt eine Mischung aus interessanten Anwendungsfeldern von Nutzern in Online-Communities ebenso wie weiterent wickelte Konzepte durch Hyve, die, getreu dem Motto „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“, alle samt zur einfachen und plakativen Kommunikation von den Produkt- und Industriedesignern auf ver schiedenste Art visualisiert wurden. Dabei ist die Community bei der Nutzung von Wasserstoffperoxid verblüffend einfallsreich. Das Anwendungsspektrum der Bastler reicht von der 333 Im Netz kursieren zahlreiche Rezepte, wie sich wertvolle Metalle aus Elektronikschrott zurückgewinnen lassen – unter anderem mit einer Mischung aus Salzsäure und dreiprozentigem Wasserstoffperoxid elements38 Ausgabe 1|2012 38 INNOVATI ONSMANAGEMENT Für Internetnutzer könnte auch die Frischwasserversorgung im Wohnmobil ein Fall für Wasserstoff peroxid sein Verblüffender Einfallsreichtum Goldgewinnung über den Antrieb von selbst gebau ten Hubschraubern bis hin zur Reparatur von Fahrradreifen. Beispielsweise tauschen sich HobbyGoldwäscher in Foren über die neusten Verfahren aus, wie sich aus Elektroschrott besonders wirkungs voll das darin enthaltene Gold gewinnen lässt, ohne große Mengen unerwünschter Nebenprodukte zu bekommen – immerhin stecken in 300 Gramm Elek troschrott bis zu fünf Gramm Gold. Verschiedene Rezepte sehen eine Mischung aus Salzsäure und drei prozentigem Wasserstoffperoxid vor, wie es zum Bei spiel in der Apotheke erhältlich ist. Auch bei der Rückgewinnung von Metallen wie Platin oder Silber nutzen die „Goldwäscher“ Wasserstoffperoxid, für Silber zum Beispiel in Verbindung mit Natriumhyd roxid. Eine ebenfalls sehr aktive Gruppe sind Besitzer von Wohnwagen oder Wohnmobilen. Sie diskutieren im Internet immer wieder darüber, wie sich die Frischwasserversorgungsanlage effektiv reinigen lässt. Vom Gebissreiniger bis zu Wasserstoffperoxid kommen dabei ganz verschiedene Mittelchen zum Einsatz. Diese Diskussion hat Hyve auf weitere Out door-Anwendungen übertragen, etwa die Wasser aufbereitung in Katastrophengebieten oder ganz all gemein die Reise in Ländern mit schlechten sanitären Verhältnissen. Ein anderes Thema, das die Community bewegt, ist die Verringerung von Dieselemissionen. Aus elements38 Ausgabe 1|2012 Berechnungen zur Rußkinetik von Dieselmotoren ist bekannt, dass der überwiegende Teil des Rußes noch innerhalb des Zylinders wieder oxidiert wird. Bei den hohen Temperaturen, die während der Verbrennung im Motor herrschen, ist es vor allem das Hydroxyl radikal, das zur Rußoxidation beiträgt. Durch eine Einspritzung von Wasserstoffperoxid lässt sich die Hydroxylkonzentration in einer späten Phase der Verbrennung erhöhen, wodurch sich bei idealer Mischung die Rußbildung erheblich reduzieren lässt. Zu dieser Thematik gibt es sogar Promotionen. Da das Feld der Tüftler im Bereich der Antriebe besonders groß ist, überrascht es nicht, dass die Net nography auch hier fündig wurde. Die Community treibt sowohl selbst gebaute einsitzige Hubschrauber mit Wasserstoffperoxid an als auch Raketenautos oder Zusatztriebwerke für Fahrzeuge mit gewöhn lichem Verbrennungsmotor. Selbst detaillierte Ideen, wie der Antrieb einer Armprothese mittels Wasser stoffperoxid und katalytischer Düsen kursieren im Internet. Eine Weiterentwicklung dieser Gedanken brachte das Hyve-Team auf die Idee, Wasserstoffperoxid als Treibmittel in einem Reparatursatz für Fahrradreifen einzusetzen: Der Fahrer würde dann einfach eine kleine Kartusche mit Wasserstoffperoxid und dem Dichtmittel aufs Ventil aufsetzen und in den Reifen blasen. Warum, so eine weitere Idee aus dem Kreativ workshop, könnte man Wasserstoffperoxid nicht auch einer Wandfarbe beimischen? Schon heute ver wenden Menschen Wasserstoffperoxid, um Schim melflecken von Wänden zu entfernen. Es hat den INNOVATIONS MANAGEMENT 39 Wasserstoffperoxid, das als Bestand teil der Wandfarbe vor Schimmel schützt – auch diese Idee leitete sich von Erfahrungen ab, die Nutzer in Blogs und Diskussionsforen im Internet austauschen Eine von vielen entwickelten Ideen: Wasserstoffperoxid als Treibmittel in einem Reparatursatz für Fahrradreifen Vorteil, dass es im Vergleich zu manch anderem Mit tel weniger aggressiv ist und sich daher gut an porö sen Materialien wie Tapeten oder Textiloberflächen verwenden lässt. Das zunächst geschützt als Partikel in die Farbe eingebrachte Wasserstoffperoxid könnte durch den ultravioletten Anteil des Sonnenlichts seine bleichende Wirkung dann an der Wand entfal ten. Das intensive Weiß nach dem Anstrich würde so für einen längeren Zeitraum erhalten bleiben. Ein anderes Problem, mit dem sich die Internet gemeinde auseinandersetzt, ist die Reinigung von Kunststoff, da weiße Gartenstühle, Waschmaschinen oder Computergehäuse und -monitore im Lauf der Zeit zum Vergilben neigen, wenn sie ultraviolettem Licht oder Wärme ausgesetzt sind. Besitzer von his torischen Computern haben wohl durch Zufall her ausgefunden, dass Kunststoffgehäuse durch Abreiben mit einer 30-prozentigen Wasserstoffperoxidlösung wieder wie neu aussehen. Sie beließen es jedoch nicht bei einer eher unhandlichen Flüssigkeit, sondern entwickelten in gemeinsamer Zusammenarbeit eine Paste mit weite ren Inhaltsstoffen, die sich einfach auf Geräte auftra gen lässt und in Verbindung mit Sonnenlicht optimale Ergebnisse liefert. Betroffene Kunststoffe wie Poly propylen, High-Impact-Polystyren oder AcrylnitrilButadien-Styrol sind heutzutage in vielen Anwen dungen im Einsatz. Gleichzeitig ist es für Anwender derzeit aus Sicherheitsgründen nicht ohne Weiteres möglich, so hoch konzentriertes Wasserstoffperoxid für den Privatgebrauch zu kaufen. Zugegeben, das sind teils schräge Ideen, teils Ideen, die nicht ganz neu sind. Aber entscheidend ist, 333 Akquisition Wasserstoffperoxidgeschäft in Kanada gekauft Evonik Industries hat das Wasserstoffperoxidgeschäft der Kemira Chemi cals Canada Inc. erworben. Die Transaktion umfasst die Produktions stätte in Maitland (Ontario, Kanada) und das Kundenportfolio. Auch die Mitarbeiter wechseln zu Evonik. „Mit dieser Transaktion gehen wir einen weiteren Schritt in unserer globalen Wachstumsstrategie für Wasserstoffperoxid“, erklärte Jan Van den Bergh, Leiter des für Wasserstoffperoxid verantwortlichen Geschäftsbereichs Advanced Intermediates bei Evonik. „Unsere Wachs tumsstrategie baut auf neue Technologien wie im chinesischen Jilin, wo wir eine Anlage zur chemischen Direktsynthese von Propylenoxid mit H2O2 beliefern werden, und auf gezielte Akquisitionen wie jetzt in Kanada“, führte Van den Bergh weiter aus. Die Produktion in Maitland wird vor allem die nordamerikanische Zellstoff- und Papierindustrie mit H2O2 als umweltfreundlichem Oxidationsmittel beliefern. Durch die Neuakquisition ist Evonik einer der Marktführer für Was serstoffperoxid in Nordamerika (Kanada und USA). Mit der Übernahme erhöht das Unternehmen seine Kapazitäten für H2O2 in Nordamerika um 44.000 auf über 200.000 Jahrestonnen. Dort produziert der Konzern bereits heute H2O2 an den beiden Standorten Gibbons (Alberta, Kanada) und Mobile (Alabama, USA). elements38 Ausgabe 1|2012 40 INNOVATI ONSMANAGEMENT H 2 O 2 in der Treibstofftechnologie Hoch konzentriert ins All Am 21. Oktober 2011 hat eine russische Sojus-ST-Trägerrakete vom Weltraumbahnhof Kourou (Französisch-Guyana) zum ersten Mal einen Satelliten des Galileo-Satellitennetzwerks in den Orbit gebracht. Für den nötigen Schub sorgte auch eine Spezialität von Evonik: PROPULSE™, ein hoch konzentriertes, 82,5-prozentiges Wasserstoffperoxid. Damit wurde zum ersten Mal Wasserstoffperoxid von Evonik in der Treibstoff technologie einer Weltraumrakete eingesetzt. Es treibt die Turbopumpen an, die die eigentlichen Treibstoffe, das Kerosin und den flüssigen Sauerstoff, in die Raketentriebwerke drücken. Mehrere Tonnen H2O2 werden dabei während der Startphase innerhalb weniger Minuten verbraucht. Der neue Weltraumbahnhof in Kourou ist in einer Zusam menarbeit westeuropäischer Staaten mit Russland unter Führung der europäischen Raumfahrtbehörde ESA erbaut worden. Hinter dem ehrgeizigen Projekt steht eine multi nationale Zusammenarbeit, wie sie noch vor Jahren kaum denkbar gewesen ist. Nach Auflösung der Sowjetunion hatte die russische Weltraumbehörde Roskosmos engeren Kontakt zur ESA gesucht. Nachdem sich ESA und Roskosmos auf eine Zusammenarbeit bei Sojus-Starts in Französisch-Guayana geeinigt hatten, suchte das russische Unternehmen TsENKI, Dienstleister für Raketenstarts und für deren Versorgung mit Treibstoffkomponenten, auf dem weltweiten Markt nach kompetenten und zuverlässigen Partnern. Bei hoch konzentriertem Wasserstoffperoxid fiel die Wahl auf Evonik, weil das Spezialchemieunternehmen über breites Know-how nicht nur bei Produktion und Einsatz, sondern auch bei Transport und Lagerung verfügt. Hier gilt es, die Neigung von H2O2, sich bei Wärme oder in Gegenwart von Schwermetallen zu zersetzen, zu unterdrücken – zum einen wegen der Sicherheit und zum anderen, um dem Kunden die gewünschte Qualität gleichbleibend und verlässlich liefern zu können. Darüber hinaus benötigt gerade die Anwendung in Raketen ein besonders reines Wasserstoffperoxid. Verun reinigungen würden den Katalysator deaktivieren. Für den Transport von hoch konzentriertem H2O2 hat Evonik besondere, speziell zugelassene Behältnisse ent wickelt. Die Innenwände dieser Thermo-Container werden zunächst in einem aufwändigen Verfahren gebeizt, danach wird eine schützende Passivierungsschicht aufgetragen und mit Wasserstoffperoxid behandelt. Dazu kommen Druck entlastungssysteme sowie Temperatur- und GPS-Über wachung. Derart sicher verpackt gelangt das Wasserstoff peroxid vom badischen Produktionsstandort Rheinfelden auf der Schiene zum Verschiffungshafen an der Nordsee und dann weiter über den Atlantik nach Französisch-Guayana in Südamerika. elements38 Ausgabe 1|2012 Hoch hinaus: Das hoch konzentrierte H2O2 – 82,5 Prozent – zersetzt sich an einem Schwer metallkatalysator unter großer Hitzeentwicklung. Es entstehen gasförmiger Sauerstoff und Wasser dampf. Gemeinsam treiben sie die Turbopumpen an, die mit 20.000 bis 30.000 Umdrehungen pro Minute durch Schau felräder das Kerosin und den flüssigen Sauerstoff in die Raketentriebwerke drücken, um den nötigen Schub zu erzeugen INNOVATI ONSMANAGEMENT 41 333 dass die Wirtschaft sie bislang nicht oder nur ein geschränkt als Markt identifiziert und bearbeitet hat. Evonik hat inzwischen aus den intensiver analysier ten Anwendungsideen drei ausgewählt, die ein Pro jektteam nun weiter evaluieren wird. Diese Zahl mag vielleicht zunächst klein erschei nen, aber auf keinem dieser drei Anwendungsfelder sind Evonik und seine Kunden bislang aktiv und haben entsprechend auch keine Kompetenzen. Mit anderen Worten: Es wäre sehr unwahrscheinlich ge wesen, diese möglichen Innovationen auf klassischem Wege zu entdecken. Angesichts einer Dauer der Netnography-based Ideation von nur zwei Monaten bei überschaubaren Kosten hat sich dieser Innovati onsansatz als sehr effiziente Methode zur Ideenfin dung erwiesen, die nun auch andere Bereiche bei Evonik erproben wollen. 777 Auf einen Blick Das Wasserstoffperoxid geschäft von Evonik Evonik hat global eine Kapazität von rund 650.000 Tonnen Wasserstoffperoxid. Eine neue Anlage für weitere 230.000 Jahrestonnen baut Evonik in Jilin (China). Dort soll das H2O2 als umweltfreundliches Oxidationsmittel für die chemische Direktsynthese von Propylenoxid eingesetzt werden. Produktionsstätten gibt es bereits in Deutschland, Belgien, Österreich, den USA, in Kanada, Brasilien, Korea, Indonesien, Neuseeland und Südafrika. Das Einsatzspektrum von H2O2 ist sehr breit. Die größten Mengen gehen noch in die Zellstoff bleiche und in die Waschmittelindustrie. Zunehmend nutzt die chemische Industrie Was serstoffperoxid aber auch als umweltfreundliches Oxidationsmittel in der chemischen Synthese. Weitere Anwendungen liegen beispielsweise im Umweltschutz, bei Verpackungen sowie in der Elektronikindustrie. Oder in Antriebssystemen für Weltraumraketen, wie der Raketenstart in Kourou gezeigt hat. Andreas Beer, Diplom-Produktdesigner (FH), arbeitete nach seinem Studium der Produkt- und Um weltgestaltung an der HfG Schwäbisch Gmünd als Leiter für ein Investitionsgüterprojekt bei neunzig° design in Stuttgart. 2005 wechselte er zum InnovationDesign-Team der Hyve AG, wo er vor allem Kunden der Bereiche Electronic Goods und Capital Equipment betreut. Sein Aufgabenschwerpunkt bei Hyve sind Ideation und Konzeption sowie klassisches Industrie design. Als geprüfter Patentreferent betreut er zudem das in den Projekten erzeugte geistige Eigentum hinsichtlich gewerblicher Schutzrechte bis in die Unter nehmen der Kunden hinein. +49 89 189081-413, [email protected] Constance Casper verstärkt seit 2010 das Netno graphy-Team der Hyve AG. Neben ihren Aufgaben als Projektleiterin beschäftigt sie sich mit der Weiterent wicklung der Netnography-Methode und der Kombi nation des quantitativen Monitorings mit der qualita tiven netnographischen Analyse. Nach Informatik- und Japanologiestudium sowie mehrjährigen Auslandser fahrungen in Japan und Schweden absolvierte sie den auf Konsumentenforschung fokussierten Masterstu diengang Consumer Science mit Schwerpunkt auf Open Innovation und Lead-User-Forschung im Nach haltigkeitsbereich. Anschließend beschäftigte sie sich als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU München mit der Konsumentenintegration in nachhaltige Ent wicklungen im Mobilitäts- und Wohnbereich. +49 89 189081-208, [email protected] Robert Katzer arbeitet als Strategiereferent im Bereich Controlling & Strategie des Evonik-Geschäfts bereichs Advanced Intermediates. Nach dem Studium des Chemieingenieurwesens an der Friedrich-Alexan der-Universität Erlangen absolvierte er ein Projekt kompetenz-Studium in Berlin mit Abschluss Master of Business and Engineering; parallel arbeitete er bei der Gambro Dialysatoren GmbH & Co. KG in der Anlagenplanung. 2000 kam er zu Evonik. Nach verschiedenen Stationen in der Fluidverfahrenstechnik im Servicebereich Verfahrenstechnik & Engineering und im Projekthaus Process Intensification der Creavis übernahm er Anfang 2009 seine aktuelle Aufgabe. +49 6181 59-12655, [email protected] Dr.-Ing. Yücel Önal arbeitete seit Sommer 2010 im Bereich Innovation Management des Evonik-Geschäfts bereichs Advanced Intermediates an strategischen Projekten; seit dem 1. Februar 2012 leitet er die Prozessentwicklung im Geschäftsgebiet Agrochemicals & Polymer Additives von Advanced Intermediates am Standort Jayhawk in Galena (Kansas, USA). Önal studierte Chemie und promovierte an der Technischen Universität Darmstadt, wobei er während seines Studiums zahlreiche Preise erhielt, unter anderem den DECHEMA-Studentenpreis für effizientes Studium und den Young Scientist Prize der International Association of Catalysis Society. 2005 startete er seine berufliche Laufbahn bei Evonik als Projektleiter im Servicebereich Verfahrenstechnik & Engineering. +1 620 783-3123, [email protected] elements38 Ausgabe 1|2012 42 NACH WUCHSFÖRDERUNG Im Klassenzimmer der Zukunft Im Raum schwebende Moleküle, chemische Reaktionen und Prozesse in Form dreidimensionaler Bilder: An der Elsa-Brändström-Realschule in Essen wird Chemie seit Kurzem zum Erlebnis. Denn in dem von Evonik Industries gesponserten Cyber Classroom sind die Schülerinnen und Schüler im Unterricht nicht nur dabei, sondern mittendrin. Im wahrsten Sinne des Wortes. Die Elsa-Brändström-Realschule in Essen ist eine von bundesweit vier Schulen, die Evonik mit Cyber-Class room-Stationen ausgestattet hat. Von links: Chemielehrer und stellvertretender Rektor der Realschule Andreas Roy-Werner, Eissa Rashed Nasraalla und Ravi Frewer elements38 Ausgabe 1|2012 NACH WUCHSFÖRDERUNG 43 Auf den ersten Blick scheint es so, als ob Ravi Frewer ein neues Spiel an einer Konsole ausprobiert. Ausgestattet mit einer 3-D-Brille bewegt er den Con troller in seiner Hand vorsichtig zur Seite und wieder zurück, neugierig und zugleich kritisch beäugt von seinen Klassenkameraden. Und von Lehrer Andreas Roy-Werner. Denn der 15-jährige Schüler steht nicht etwa in seinem eigenen Zimmer und er steuert auch keine Figur durch einen virtuellen Parcours. Viel mehr befindet er sich in einem Klassenraum der Es sener Elsa-Brändström-Realschule und bewegt einen dreidimensionalen Zeigestock. Mit dem soll er nun die auf einer Leinwand zur Verfügung stehenden Chlor- und Natriumatome so zusammenstellen, dass daraus Natriumchlorid entsteht. Das besagt jedenfalls die Aufgabenstellung im rechten Teil des Splitscreens, die Ravi Frewer auch dazu auffordert, die entspre chende Reaktion im Funktionsraum durchzuführen. Ob er das richtig macht, sagt ihm die Reaktions gleichung unterhalb des Funktionsraums. Begeht er einen Fehler, leuchtet ein rotes „Reset“ auf und er muss das Ganze noch einmal neu anfangen. Andreas Roy-Werner sieht den Versuchen von Ravi Frewer schweigend zu. Schließlich ist die Vor gehensweise in dem virtuellen Klassenraum selbst erklärend, die Bedienung intuitiv. „Und wie das Ganze gesteuert wird, wissen die Jugendlichen von ihren Spielkonsolen – oft besser als ich“, lacht der Chemielehrer, der zugleich stellvertretender Rektor der Realschule ist. Bereits während des Pilotversuchs hat er festgestellt, dass sich durch den Cyber Class room die Motivation seiner Schüler erhöht und das Verständnis von chemischen Prozessen und Reak tionen gesteigert hat. „Weil wir nun leichter von der stofflichen Ebene aus dem Labor in die atomare Welt wechseln können.“ Die Elsa-Brändström-Realschule in Essen ist eine von bundesweit vier Schulen, die Evonik mit solchen Cyber-Classroom-Stationen ausgestattet hat, zu denen neben Hard- und Software (und den erforder lichen 3-D-Brillen) auch mehrere neu entwickelte Chemiemodule gehören. In die (Weiter-)Entwicklung der Inhalte wurden und werden die beteiligten Schu len einbezogen. Während Evonik Hilfestellung in Sachen Chemie gibt, wird die Umsetzung von der Visenso GmbH in Stuttgart durchgeführt, die diese neuartige 3-D-Lehr- und -Lernumgebung entwickelt hat. Für Chemielehrer Roy-Werner besonders wich tig: „Wir können auf diese Weise eigene Themen in die Module einbringen.“ So wurde beispielsweise schon ein kleiner Film über die im Labor durch geführte Verbrennung von Eisenwolle in das Modul eingestellt. Ein Versuch, der im virtuellen Chemie raum nun von der visuellen Ebene in die Molekülund Theorieebene verlegt wird. Für die Elsa-Brändström-Realschule mit ihren ins gesamt rund 600 Schülerinnen und Schülern stellt der Cyber Classroom eine ideale Ergänzung des Chemieunterrichts dar. Zum einen, weil es nur einen richtigen Chemieraum gibt. Zum anderen, weil man sich davon erhofft, mehr Schüler für den Chemie unterricht gewinnen und begeistern zu können. „Wir könnten so etwas als Schule nicht, dafür fehlt uns das Geld, aber auch die Struktur“, weiß Andreas RoyWerner. Umso erfreuter ist er darüber, dass seine Schule in das Sponsoring-Projekt von Evonik aufgenommen wurde. Zumal er sieht, wie das Konzept von seinen Schülern angenommen wird. Gerade hat Eissa Rashed Nasraalla den Controller übernommen und dreht ein Kugelteilchen-Modell dreidimensional um seine eigene Achse. Während er damit bestens klarkommt, findet er etwas anderes doch gewöhnungsbedürftig: „Der Unterricht läuft jetzt fast ohne Lehrer ab.“ Für schlimm hält er das nicht, nur eben für anders und neu. Das ist der Cyber Classroom bei aller Begeiste rung für die Bereicherung seines Unterrichts aller dings auch für Lehrer Roy-Werner. Er gibt im Hin blick auf den problemlosen und schnell erlernten Umgang seiner Schüler mit der Station offen und mit einem leichten Augenzwinkern zu: „Das funktioniert glücklicherweise langsam genug, dass auch wir Lehrer noch mitkommen.“ Der Cyber Classroom ist das Klassenzimmer der Zukunft. Nicht nur in Chemie. Das Natriumchlorid gitter im Cyber Class room. Mit Hilfe der 3-D-Technik werden Moleküle, chemische Reaktionen und deren Anwendungen visualisiert elements38 Ausgabe 1|2012 44 NACH WUCHSFÖRDERUNG Interview Drei Fragen an Prof. Dr. Dr.-Ing. Jivka Ovtcharova Cyber Classrooms: Lernen als emotionales Erlebnis Prof. Dr. Jivka Ovtcharova beschäftigt sich mit dem Management komplexer Informationen in EngineeringProzessen und ihrer Visualisierung: Seit 2003 leitet sie das Institut für Informationsmanagement im Ingenieurwesen (IMI) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und ist Direktorin im Bereich Intelligent Systems and Produc tion Engineering des Forschungszentrums Informatik (FZI). Sie ist außerdem die Gründerin des Lifecycle Engi neering Solutions Center (LESC), eines Virtual-RealityZentrums am KIT, das Einblicke in die Welt von morgen ermöglicht. Hier kann beispielsweise mit Hilfe virtueller Prototypen der Lebenszyklus eines in der Entwicklung befindlichen Produkts interaktiv erzeugt, bewertet und optimiert werden. Aber nicht nur Forschern, sondern auch Kindern steht das Zentrum offen. Das LESC war das erste C³-Lab in Deutschland, ein zertifizierter Cyber Classroom, wo zum Beispiel chemische Prozesse in dreidimensionale Bilder verwandelt und so erlebbar werden. Kinder und Lehrer können diese dreidimensionale Lernumgebung am LESC kennenlernen und testen. Prof. Dr. Jivka Ovtcharova im Lifecycle Engineering Solutions Center, einem Virtual-Reality-Zentrum am KIT. Hier lassen sich Eigenschaften und Funktionen von zukünftigen Produkten realitätsnah darstellen und wahrnehmen elements38 Ausgabe 1|2012 Was können und sollen Kinder im dreidimensionalen Cyber Classroom lernen, das sie mit herkömmlichen zweidimensionalen Lehrmitteln – also Schulbüchern – nicht lernen können? Innovative Visualisierung von Lehrinhalten wird durch den Einsatz von Virtual-Reality-Technologien zum emotionalen Erlebnis, wodurch sich die Wissensinhalte besser vermit teln lassen. Der Cyber Classroom, die virtuelle 3-D-Lernund -Lehrumgebung, erfüllt alle Anforderungen an den modernen Unterricht, denn komplexe, bislang nicht darstell bare oder nur schwer erklärbare Unterrichtsinhalte lassen sich mit Hilfe von 3-D-Echtzeitmodulen besser darstellen und vermitteln. So können beispielsweise Moleküle im Raum bewegt oder Proteine verschoben werden. Ist es erwiesen, dass Kinder im Cyber Classroom tatsächlich mehr lernen? Und welche Fächer sind am besten geeignet? Dass der Einsatz von 3-D-Inhalten nicht nur die Motivation und Lernbereitschaft der Schüler steigert, sondern sich auch positiv auf ihr Lernverhalten auswirkt, belegt eine europäische Studie von Texas Instruments. An dieser Studie nahmen zwischen Dezember 2010 und Mai 2011 insgesamt 740 Schüler im Alter zwischen 10 und 13 Jahren und 47 Leh rer aus 15 Schulen in Deutschland, Frankreich, Italien, den Niederlanden, der Türkei, Großbritannien und Schweden teil. Dabei wurde untersucht, ob der Einsatz von futuristi schen dreidimensionalen Unterrichtstechniken einen Mehr wert gegenüber klassischen (2-D-)Lehrmethoden erbringt. Das Ergebnis spricht für sich: Im Durchschnitt traten bei 86 Prozent der Schüler durch den 3-D-Unterricht höhere Lernerfolge ein als bei der Anwendung zweidimensionaler Lernmethoden (52 Prozent). Der Cyber Classroom verfügt über Lernmodule für unterschiedliche Lehrbereiche, zum Beispiel in den Fächern Biologie, Physik, Chemie, Mathe matik, Kunst und Sport. Nutzen Sie Virtual Reality auch in Ihren Vorlesungen als Lehrmittel? Im Virtual-Reality-Praktikum, das unter anderem an mei nem Institut im Lifecycle Engineering Solutions Center ange boten wird, entwickeln die Studierenden selbstständig einen Fahrsimulator in Virtual Reality. Mit visuellem Programmie ren und Parameteränderungen können sie die Auswirkung von physikalischen Größen untersuchen und, unterstützt mittels moderner Virtual-Reality-Lösungen, am Fahrsimula tor live erleben. Die Studierenden können auf diese Weise durch Vernetzung von Denken, Handeln und Intuition Fähig keiten zum Erkennen und Lösen von interdisziplinären Prob lemen auf dem Gebiet der MINT-Fächer (Mathematik, Infor matik, Naturwissenschaften und Technik) entwickeln. NACH WUCHSFÖRDERUNG 45 Chemie für Kinder Probieren und Experimentieren im Internet-Labor der Evonik Stiftung Chemie so spannend wie nie: www.professor-proto.de ZEI TMA SCH INE Wie wird aus Kartoffeln Klebstoff? Und wie macht man eigentlich Geheimtinte? Antworten auf diese und andere span nende Fragen gibt Professor Proto im Internet in seinem Fantastischen Institut. Neugierige Nachwuchswissenschaftler dürfen ihm in seinem virtuellen Labor in die Reagenzgläser schauen. Denn bei der neuen Lernplattform der Evonik Stiftung ist Nachmachen ausdrücklich erlaubt. Aber Vorsicht: Es besteht Spaßgefahr. 1884 Rosa Pausbäckchen und wuscheliges Haar: Der knuffige Professor soll über die Inter net-Plattform der Evonik Stiftung schon Grundschulkinder für Chemie begeistern. Damit die jungen Menschen spielerisch mit den MINT-Fächern (Mathematik, In formatik, Naturwissenschaften und Tech nik) vertraut werden, können sie am In ternet-Institut die wunderbare Welt der Wissenschaft entdecken. Auf www.pro fessor-proto.de erleben Kinder die Ge schichte der Chemie anhand praktischer Beispiele: Wie wirkt Backpulver, wie ent stand Porzellan? Faszinierende Versuche zum Selbermachen hält Proto für die klei nen Besucherinnen und Besucher eben falls bereit. Bisher hat die Evonik Stiftung aus schließlich Studierende der Naturwissen schaften am Ende ihrer akademischen Laufbahn gefördert. Gemeinsam mit ihnen ist das Fantastische Institut entstanden. Zum Jahrestreffen 2010 durften die Sti pendiaten in Erinnerungen an ihre ersten Versuche schwelgen und dabei Konzepte erarbeiten, um Kinder spielerisch an Naturwissenschaften heranzuführen. Die Gruppe von Michael Werhahn, KarlSebastian Mandel, Johannes Wehner und Boris Burger hatte dabei die Idee zu der Lernplattform im Internet. Burger weiß, wie wichtig es ist, möglichst früh die Freude an der Forschung zu wecken: Er sagt: „Ich selbst habe früher gerne eine TV-Sendung gesehen, in der spannende Experimente spielerisch aufbereitet wurden. Das hat mich fasziniert und in die Naturwissenschaft gezogen. Ich denke, das kann auch bei anderen Kindern funk tionieren.“ Ist das Grundinteresse einmal geweckt, sei die Neugier nach Wissen programmiert, meint Boris Burger. Auch die Jurymitglieder der Evonik Stiftung hat das Konzept der Lernplatt form sofort inspiriert. Der Evonik-Vor standsvorsitzende, Dr. Klaus Engel, sagt: „Die Evonik Stiftung hat sich auf die Fahne geschrieben, Kinder für Naturwissen schaft zu begeistern, und das Internet ist ein sehr gutes Medium dafür, denn es ist für alle jungen Menschen zugänglich und interaktiv.“ Ab sofort ist das Fantastische Institut für alle geöffnet, die schon Spaß an Chemie haben oder ihn noch bekom men möchten. Professor Proto jedenfalls freut sich schon auf viele neugierige Be sucher in seinem Labor. Was man jetzt auf den Seiten des Fant astischen Instituts findet, soll der Auftakt zu einer stetig wachsenden Lern plattform sein. Die Geschäftsführerin Erika Sticht möchte die Plattform ge meinsam mit Kindern, Eltern und Leh rern weiterentwickeln: „Wir freuen uns auf das erste Feedback von unseren Nutzern und hoffen auf viele Ideen für weitere Experimente.“ Professor Proto jedenfalls steht bereit. Und für alle besonders Wissbegierigen lüftet er schon jetzt das Geheimnis, woher er seinen Namen hat: Der ist seinen Erfin dern eingefallen, als sie über Protonen nachgedacht haben; das sind kleine Teil chen, die mit viel Energie und einer posi tiven Einstellung in der Welt unterwegs sind – eben genau so wie Professor Proto. Engagement für bildung P r o f e s s o r P r o to’s Fantastisches Institut Chemie für coole Leute Cyber Classroom Die Zukunft des Chemieunterrichts Evonik Industries hat vier Schulen in Essen, Bornheim, Freigericht und Rheinfelden mit je einem Cyber Classroom ausgestattet. Anlässlich der ersten „Evonik-Cyber-Classroom-Convention“ am Strittmatter-Gymnasium in St. Georgen im Schwarzwald sagte Evonik-Chef Dr. Klaus Engel: „Die 3-D-Lernumgebung ermöglicht es den Schülern, die kom plexen Inhalte der Chemie in Theorie und Praxis anschaulich zu erleben und so besser zu verstehen.“ Engagement für Bildung und Ausbildung ist ein Kernanliegen von Evonik. Engel dazu: „Wir wollen bei den Schülern Freude und Interesse an Naturwissenschaft und Technik wecken, denn gerade in diesen Fächern benötigt das Industrieland Deutsch land mehr talentierten und engagierten Nachwuchs.“ Die erste „Evonik-Cyber-Classroom-Convention“ nutzten Lehrer der Elsa-Brändström-Realschule Essen, der Europaschule Bornheim bei Wesseling, der Kopernikusschule Freigericht bei Hanau und der Gewerbeschule Rheinfelden zum Erfah rungsaustausch mit Kollegen des Strittmatter-Gymnasiums. Die Schule in St. Georgen wendet die Technik des virtuellen Klassenzimmers bereits seit mehr als zwei Jahren in mehreren Fächern an. Entwickelt hat diese neuartige 3-D-Lern- und -Lehrumge bung die Visenso GmbH aus Stuttgart. Technologien, die bis lang vor allem beispielsweise in der Automobilindustrie oder auch im Anlagenbau genutzt wurden, hat Visenso für den Unterricht an Universitäten und Schulen weiterentwickelt und so zugänglich gemacht. elements38 Ausgabe 1|2012 46 N e ws Evonik Meets Science Japan Im kalten, aber sonnigen Tokio richtete Evonik Ende vergangenen Jahres das Wissenschaftsforum Evonik Meets Science Japan 2011 aus. Mehr als 20 Teilnehmer aus der akademischen Welt Japans und 30 des Konzerns folgten der Einladung des japanischen Technologie-ScoutingTeams, des Innovations-Netzwerks und des Bereichs Kommunikation, um sich mit dem Themenschwerpunkt Katalysatoren zu befassen. Dr. Georg Oenbrink vom Bereich Corporate Innovation Strategy & Managment begrüßte mit Prof. Dr. Akira Suzuki von der Hokkaido University den Nobelpreisträger für Chemie des Jahres 2010 als Auftaktredner. Suzuki referierte über „Kreuz kupplungsreaktionen von Organoborverbindungen – eine einfache Methode für C-C-Bindungen“. Chief Innovation Officer Dr. Peter Nagler hieß die Teilnehmer des Symposiums am zweiten Tag willkommen. Neben Prof. Stefan Buchholz, Leiter des Inno vationsmanagements des Geschäftsbereichs Advanced Intermediates, der einen Vortrag zur Katalysatorenfor schung von Evonik hielt, präsentierten eine Reihe führender japanischer Universitätsprofessoren ihre Beiträge. Es folgte eine lebhafte Diskussion zwischen Vertretern aus Industrie und Wissenschaft. Ulrich Sieler, Regional President Japan, erklärte: „Von der engen Kommunikation und dem Dialog mit japanischen Universitäten werden sowohl Evonik als auch die Wissenschaftler Japans im Hinblick auf zukünftige Entwicklung profitieren. Japan und Deutschland haben einen ähnlichen Hintergrund. Beide Länder zeichnen sich durch herausragende Technologie und Innovationskraft aus. Diese Veranstaltung war ein Meilenstein in unserem Bestreben, uns mit höchstqualifizierten japanischen Forschern zusammenzuschließen, und öffnete darüber hinaus eine Tür für junge und begabte japanische Wissenschaftler.“ Prof. Dr. Akira Suzuki (rechts), der 2010 mit dem Nobelpreis in Chemie ausgezeichnet wurde, und Dr. Peter Nagler, Chief Innova tion Officer von Evonik Bis zu 100 Millionen € für Venture-Capital-Aktivitäten Dr. Bernhard Mohr, Leiter Corporate Venturing von Evonik elements38 Ausgabe 1|2012 Evonik Industries will seine Innovations fähigkeit mittel- und langfristig weiter stärken und baut dazu eine neue Organisations einheit „Corporate Venturing“ innerhalb des Innovation Managements des Konzerns auf. Über Corporate Venturing will Evonik in vielversprechende Start-ups und führende spezialisierte Venture-Capital-Fonds mittelfristig ein Gesamtvolumen von bis zu 100 Millionen € investieren. Diese Investitionen sollen ihren Schwerpunkt in Europa, den USA und Asien haben. „Evonik verfolgt eine ambitionierte Wachstumsstrategie“, sagte Patrik Wohl hauser, Vorstandsmitglied von Evonik. „Cor porate Venturing bietet eine ideale Ergänzung zu den bestehenden Innovationsprozessen und -strukturen des Konzerns. Das Ziel unserer Innovationsmaßnahmen ist die langfristige Erhaltung und der Ausbau unserer hohen Technologiekompetenz. Mit Corporate Venturing ergänzen wir unseren Ansatz von Open Innovation und schaffen ausgezeichnete Möglichkeiten, die Entwicklung neuer Geschäfte zu beschleunigen und zukünftige Wachstumsfelder zu erschließen.“ „Unsere Venture-Capital-Investitionen in innovative Ideen und Lösungen werden sich an den für Evonik wichtigen Megatrends Ressourceneffizienz, Gesundheit, Ernährung und Globalisierung ausrichten. Zusätzlich wird unser Corporate Venturing neue, strategisch relevante Sachgebiete prüfen“, erklärte Dr. Peter Nagler, Chief Innovation Officer von Evonik. „Die Stärken von Evonik beinhalten ein ausgewogenes Spektrum an Geschäftsakti vitäten und Endmärkten, die enge Zusam menarbeit mit den Kunden und eine marktorientierte Forschung und Entwicklung“, sagte Dr. Bernhard Mohr, Leiter Corporate Venturing von Evonik. „Dadurch wollen wir als verlässlicher Partner für unsere VentureInvestments auftreten und deren erfolgreiches Wachstum nicht nur finanziell, sondern auch mit technischem Know-how und strategischen Erkenntnissen unterstützen. Davon wollen auch wir profitieren.“ Ne ws 47 Partnerschaft mit der University of Minnesota Im Rahmen der Veranstaltung Evonik Meets Science in Pittsburgh (Pennsylvania, USA) unterzeichnete Evonik eine Vereinbarung mit der University of Minnesota für die erste strategische Hochschulpartnerschaft des Unter nehmens in Nordamerika. Durch die Verein barung wird der Konzern ein offizielles Mit glied der industriellen Partnerschaft der Universität zur Forschung in Grenzflächenund Werkstofftechnologie, kurz IPRIME (Industrial Partnership for Research in Inter facial and Materials Engineering). Die University of Minnesota ist eine der größten US-amerikanischen Universitäten und wurde von Evonik aufgrund der hervorragenden Leistungen in ihrer wissenschaft lichen und ingenieurtechnischen Forschung und Lehre als erste Partnerhochschule außerhalb Deutschlands ausgewählt. Diese Part nerschaft ermöglicht dem Konzern den Zugang zu modernsten Forschungseinrich tungen, Technologien und Hochleistungs geräten. Forschungsuniversitäten wie die University of Minnesota sind vielversprechende Quellen für innovative Technologien, spezielles Fachwissen, potenzielle Mitarbeiter und fruchtbare Forschungsgemeinschaften. „Die Partnerschaft bietet Evonik nicht nur den Zugang zu innovativen wissenschaft lichen Forschungseinrichtungen, sondern auch die ausgezeichnete Möglichkeit, talentierte Ingenieure und Wissenschaftler zu fin den. Hier liegt auch das Potenzial für neue Technologien zu den drei bekannten Mega trends von Evonik: Ressourceneffizienz, Gesundheit und Ernährung sowie Globali sierung“, so Tom Bates, Regional President Nordamerika. Vier Studiengänge der University of Min nesota sind für Evonik von großem Interesse: Biokatalyse und Biopolymere, Grundlagen von Beschichtungsprozessen, Mikrostruk turierte Polymere und Erneuerbare Rohstoffe zur Energiegewinnung. Die Partnerschaft mit der University of Minnesota passt zum Bestreben des Teams von Corporate Innovation Strategy & Man agement, die Beziehungen zur US-amerika nischen Forschungsgemeinschaft zu stärken und Evonik systematisch auf der „chemischen Landkarte“ der Region zu verankern. „Wir sind sehr stolz darauf, dem IPRIME-Pro gramm der University of Minnesota beitreten zu dürfen, das Zugang zu Forschungspro grammen und -gemeinschaften ermöglicht“, so Dr. Georg Oenbrink, Global Head von Innovation Networks & Communications. Das Team von Corporate Innovation Strategy & Management wird in der Region weiterhin nach Universitäten in der Nähe großer Standorte von Evonik suchen, die eine enge Verbindung zwischen Chemie, chemischer Verfahrenstechnik und Werkstoffkunde bieten, und so dabei helfen, Kontakte zwischen Wissenschaftlern und Ingenieuren herzustellen. Die 1851 gegründete University of Minnesota umfasst fünf verschiedene Universitätsgelände und beschäftigt 25.000 Mitarbeiter. Derzeit studieren hier rund 65.000 Studenten Impressum Herausgeber Evonik Industries AG Corporate Innovation Strategy & Management Rellinghauser Straße 1–11 45128 Essen Wissenschaftlicher Beirat Dr. Norbert Finke Corporate Innovation Strategy & Management [email protected] Redaktion Dr. Karin Aßmann (verantwortlich) Evonik Services GmbH Konzernredaktion [email protected] Redaktionelle Mitarbeiter Christa Friedl Walter Klöters Katharina Kruppa Michael Vogel Fotos Evonik Industries Dirk Bannert Dieter Debo Stefan Wildhirt PVI Photovoltaic Installations GmbH, Klagenfurt (S. 8) Isovoltaic AG (S. 10 +11) Fotolia: Michael Gray (S. 5) Spectral-Design (S. 19) flashpics (S. 39) Getty Images: Mark Willamson (S. 37) Tom Kelley Archive (S. 38) Barry Winiker (S. 47) Mauritius Images: Stock4B (S. 34) Gestaltung Michael Stahl, München Druck Laupenmühlen Druck GmbH & Co.KG, Bochum Nachdruck nur mit Genehmigung der Redaktion elements38 Ausgabe 1|2012 www.evonik.de Bei uns bekommen Sie für jede Aufgabe den richtigen Partner. 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