Sparkassen suchen Abwehrstrategie

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Sparkassen suchen Abwehrstrategie
Handelsblatt Nr. 192 vom 05.10.05 Seite 25
Sparkassen suchen Abwehrstrategie
Unternehmensberater empfehlen im Kampf gegen Direktbanken aggressives Marketing
PETER KÖHLER HANDELSBLATT, 5.10.2005 FRANKFURT/M. Die Sparkassen haben im
Konkurrenzkampf mit den Direktbanken keine Zeit mehr zu verlieren. Denn die Wettbewerber wie
ING Diba oder Postbank dringen immer tiefer in bislang sicher geglaubte Marktsegmente vor,
warnen Unternehmensberater. "Zwar sind rund 70 Prozent der Sparkassenkunden treu, sie wollen
vor allem eine Filiale in ihrer Nähe und eine flächendeckende Geldversorgung", sagt Oliver Mihm,
Vorstandsvorsitzender der auf den Finanzmarkt spezialisierten Beratungsgesellschaft Investors
Marketing. Aber fast jeder dritte Kunde ist laut Mihm bei Produkten wie etwa der Baufinanzierung
zum Wechsel zu anderen Anbietern bereit.
Die Abwanderung in der Baufinanzierung schmerzt die Sparkassen besonders stark, da sie hier die
meist zehnjährige Kundenbindung verlieren. Früher hatten die Sparkassen einen Marktanteil im
Neugeschäft von rund 60 Prozent. Doch in den vergangenen Monaten haben sie hier deutliche
Einbrüche erlitten (siehe Grafik). Jetzt planen sie für die kommenden Monate eine
Vertriebsoffensive, um den Erfolg der Direktbanken zu bremsen.
Die öffentlichen Kreditinstitute sind derzeit unschlüssig, was die richtige Strategie gegen die
aggressiven Wettbewerber sein könnte. Sparkassen-Präsident Dietrich Hoppenstedt will zweigleisig
vorgehen: mit einem umfassenden Beratungskonzept für Vorsorge, Finanzierung sowie
Absicherung und mit so genannten "Leuchtturmprodukten". Diese sollen bundesweit beworben
werden und sich mit attraktiven Konditionen auf Einlagenzinsen, Baufinanzierungen und den
Verbraucherkredit konzentrieren.
"Das Bewerben von zentralen, bundesweit angebotenen Produkten ist der richtige Weg", sagt
Mihm. So sehe der Konsument, dass die Sparkassen bei Produkten wie Ratenkredit und
Baufinanzierung mithalten können. Allerdings müsse bei den "Leuchtturmprodukten" ein Preis
draufstehen, sonst erreiche man nur ein Viertel des möglichen Effekts. Genau darüber haben die
Sparkassen aber noch nicht entschieden. Eine bundesweit einheitliche Werbung mit knallharten
Zinsangeboten ist für die Institute mit dem roten "S" fast unmöglich, weil gemäß ihrer dezentralen
Struktur die Vorstände vor Ort über die Konditionen entscheiden. Außerdem müssen sie richtig
Geld in die Hand nehmen, denn alleine die ING Diba gibt in diesem Jahr rund 100 Mill. Euro für
Werbung aus.
Da sich die Sparkassen-Finanzgruppe gegen eine eigene Direktbank sträubt, sind flächendeckende
Angebote sehr schwierig umzusetzen. "Die Sparkassen haben das große Problem einer
Wahrnehmungslücke", sagt ein Berater. Die Zweigstellen finde man zwar an jeder Ecke, es fehlten
aber insbesondere im Bereich der Standardprodukte attraktive Preisangebote. Beratung sei ein
probates Mittel, um Kunden zu halten, aber es wirke nicht im Neugeschäft. Hier könne eine eigene
Direktbank vorteilhaft sein.
Über die Bedeutung der Filialen und der Kundennähe gibt es geteilte Meinungen. Die Sparkassen
müssten ihre Stärken besser zur Geltung bringen, findet Markus Thiesmeyer, Partner der
Unternehmensberatung zeb. "Die Wiederbelebung der Filiale in ihrer Ankerfunktion ist ein wichtiger
Erfolgsfaktor", so Thiesmeyer. Andere Experten halten dagegen, dass der Zug zum InternetBanking
von Generation zu Generation stärker werde.
In der Erprobung ist bei den Sparkassen auch ein Konzept für den "mobilen Vertrieb". Damit soll
auch verlorenes Terrain an unabhängige Finanzberater wie den AWD oder die DVAG zurückerobert
werden. Leuchtturmprodukte und mobiler Vertrieb lösen auch nicht das generelle Problem der
Positionierung. "Das Verschwinden der Mitte sehen wir auch in der Bankenwelt", erklärt Hermann
Wagner, Vorstandsmitglied bei Ernst & Young und zuständig für den Bereich Global Financial
Services. Zuwachsraten seien vor allem bei Anbietern zu erwarten, die Standardprodukte zu
Kampfpreisen anbieten oder im beratungsintensiven Privatkundengeschäft tätig sind. Außerdem
würden die Sparkassen stärker mit branchenfremden Anbietern konfrontiert. "Diese Konkurrenz
wird zunehmen, wir nennen das den Tchibo-Effekt", sagt Wagner.
Auf der Tchibo-Startseite im Internet findet man unter "Finanzideen" mittlerweile zahlreiche
Finanzierungsangebote, hinter denen Gesellschaften wie die Royal Bank of Scotland stehen. "Noch
beschäftigen wir uns mit der Diba, aber Tchibo & Co wird unser nächstes Problem", sagt ein
Sparkassenmanager. Es brennt also an allen Ecken und Enden im Privatkundengeschäft. Am 7.
November treffen sich deshalb alle deutschen Sparkassenvorstände in Berlin, um Antworten für die
neue Zeit zu finden.