Unterhaltspflicht der Kinder
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Unterhaltspflicht der Kinder
Erstellt von Ida Schneider, Abteilung Sozialpolitik und Sozialrecht, 11 Juni 2014 Informationsblatt zur Unterhaltspflicht der Kinder bei ungedeckten Heimkosten von Eltern 1. Ungedeckte Heimkosten Ist eine Heimunterbringung notwendig, entstehen hierfür sehr hohe Kosten für den Untergebrachten, die er grundsätzlich selbst tragen muss. Reicht das Einkommen und Vermögen desjenigen nicht aus, um die Kosten im Pflege- oder Altenheim zu bestreiten, werden Unterhaltspflichtige, in der Regel Kinder des Leistungsempfängers, mit einbezogen, um die Zahlung der ungedeckten Heimkosten sicherzustellen. Bevor geklärt wird, ob sich unterhaltspflichtige Familienangehörige an den Kosten beteiligen müssen, tritt das zuständige Sozialamt in Vorkasse. Die Leistungen der Sozialhilfe werden abhängig von dem Einkommen und Vermögen des Leistungsempfängers bewilligt. 2. Vermutung der Leistungsfähigkeit der Unterhaltspflichtigen Die Unterhaltspflichtigen werden vom Sozialamt angeschrieben und um Auskunft bezüglich der Einkommens- und Vermögenslage gebeten. Es wird ihnen mitgeteilt, dass die Unterhaltsansprüche des Elternteils bis zur Höhe der Sozialhilfeaufwendungen auf den Sozialhilfeträger übergehen, da das Sozialamt zunächst selbst in Vorkasse für die ungedeckten Heimkosten ihres Elternteils tritt. Dies erfolgt von Amts wegen und es spielt dabei keine Rolle, ob der Leistungsempfänger selbst gegen diese Vorgehensweise ist. Die Mitteilung ist kein Verwaltungsakt, setzt allerdings den Unterhaltspflichtigen in Verzug. Kommt der Unterhaltspflichtige dieser Anfrage des Sozialamtes nicht nach, kann das Sozialamt die Auskunft förmlich durch einen Verwaltungsakt verlangen. Die Offenlegung des Einkommens und Vermögens gegenüber dem Sozialamt ist in solchem Fall obligatorisch und kann gesetzlich durchgesetzt werden. Die Überprüfung der Einkommens- und Vermögenslage erfolgt in der Regel bei dem Verwandten ersten Grades – also bei den Kindern des Leistungsberechtigten. Kinder sind aufgrund der familiären Solidargemeinschaft grundsätzlich verpflichtet, im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten Unterhalt für ihre pflegebedürftigen Eltern zu zahlen. Mehrere Kinder haften anteilig nach Maßgabe ihrer jeweiligen Erwerbs- und Vermögensverhältnisse. Es wird die Leistungsfähigkeit aller Kinder gleichermaßen überprüft. Zum Unterhalt des Elternteiles werden aber nur leistungsfähige Kinder herangezogen. Ist eines von den Kindern selbst hilfebedürftig oder erzielt nur ein geringes Einkommen, bleibt dieses Kind bei der Unterhaltsverpflichtung vorerst außen vor. Seine Unterhaltsfähigkeit wird aber in regelmäßigen Abständen geprüft. Wenn beispielsweise die ungedeckten Heimkosten in Höhe von 300 Euro im Monat zu begleichen sind und ein Unterhaltsberechtigter insgesamt zwei Kinder hat, davon aber nur ein Kind für die Bestreitung dieser Summe leistungsfähig ist, muss dieses Kind die Kosten allein tragen. 3. Gesetzliche Ausschlusstatbestände Es gibt gesetzliche Ausnahmen, in welchen Fällen die Unterhaltspflicht gegenüber Eltern vorerst entfällt. 1 Erstellt von Ida Schneider, Abteilung Sozialpolitik und Sozialrecht, 11 Juni 2014 Der Übergang des Anspruchs des Sozialhilfeträgers ist dann ausgeschlossen, wenn die unterhaltspflichtige Person zum Personenkreis des § 19 SGB XII (Sozialgesetzbuch Zwölf) gehört - also selbst von Sozialhilfeleistungen abhängig ist. Ebenso ist der Übergang ausgeschlossen, wenn die unterhaltspflichtige Person mit dem Leistungsberechtigten im zweiten Grad verwandt ist. Gleiches gilt für Unterhaltsansprüche gegen Verwandte ersten Grades, wenn diese Person schwanger ist oder ein leibliches Kind bis zur Vollendung seines sechsten Lebensjahres betreut. 4. Selbstbehalt 4.1 Selbstbehalt eines Alleinstehenden Einem Unterhaltspflichtigen, der alleinstehend ist, bleibt ein Selbstbehalt in Höhe von 1.600 Euro im Monat (Stand 2013 – 2-jährige Anpassung). Der Selbstbehalt entspricht dem Betrag, der dem Unterhaltspflichtigen nach Abzug der Unterhaltsansprüche zumindest für die eigene Lebensführung bleiben muss. Er umfasst den Lebensbedarf nach den Maßstäben der Grundsicherung für Erwerbsfähige, übliche Versicherungen, angemessene Wohnkosten einschließlich Heiz- und Nebenkosten sowie für Erwerbstätige einen weiteren Betrag als Anreiz zur Erwerbstätigkeit. Der Selbstbehalt wird auf seine Angemessenheit hin je nach Einzelfall ggf. richterlich geprüft und ist bei unvermeidbar hohen unterhaltsrechtlich erheblichen weiteren Aufwendungen entsprechend zu erhöhen. Allerdings sind manche höheren monatlichen Ausgaben des Unterhaltspflichtigen, wie etwa die Haltungskosten für ein Pferd, nach Ansicht der Richter des Bundesgerichtshofs bereits durch den Selbstbehalt gedeckt. 4.2 Selbstbehalt bei Verheirateten Hat ein Unterhaltspflichtiger selbst keine wesentlichen Einkünfte, ist aber verheiratet, wird auch das Einkommen des Ehe- oder Lebenspartners bei der Berechnung des Elternunterhalts herangezogen. Das ist gesetzlich so vorgesehen. Für Aufsehen unter den Betroffenen sorgte in diesem Zusammenhang das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28. Juli 2010 (Aktenzeichen XII ZR 140/07). Im Urteil wurde dargelegt, wie die Leistungsfähigkeit verheirateter Unterhaltspflichtiger zu berechnen ist, wenn der Unterhaltspflichtige über ein niedrigeres Einkommen verfügt als der Ehepartner. Die Prüfung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen erfolgt in mehreren Schritten und ist der jeweiligen Familiensituation angepasst. Von dem Familieneinkommen (Nettoerwerbseinkommen) wird der Familienselbstbehalt abgezogen. Er beträgt für ein Ehepaar 2.900 Euro monatlich (Stand 2013). Im Familienbedarf von 2.900 Euro sind Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 800 Euro berücksichtigt. Sind die tatsächlichen Kosten der Unterkunft höher, muss dies bei der Berechnung Berücksichtigung finden. Für den Elternunterhalt muss der Unterhaltspflichtige den Differenzbetrag zwischen seinem Einkommen und seinem Anteil am individuellen Familienbedarf einsetzen. Dem Unterhaltspflichtigen verbleibt der Anteil, den er zum Familienbedarf beizutragen hat. Kosten für Fahrten zum Arbeitsplatz oder ins Pflegeheim sowie private Kranken- und Rentenversicherungen können einzelfallbezogen gesondert geltend gemacht werden und reduzieren das unterhaltsrelevante Einkommen (BGH, Beschluss vom 5. Februar 2014, Az. XII ZB 25/13). Die genaue Überprüfung der Höhe 2 Erstellt von Ida Schneider, Abteilung Sozialpolitik und Sozialrecht, 11 Juni 2014 des Unterhalts für ein Elternteil im Heim können Rechtsanwälte vornehmen. Auf diesem Gebiet sind die Fachanwälte für Familienrecht spezialisiert. 4.3 Heranziehung des Vermögens Nicht nur das Einkommen, sondern auch das Vermögen der unterhaltsverpflichteten Kinder kann grundsätzlich zum Unterhalt der Eltern herangezogen werden. Allerdings gelten für die Heranziehung des Vermögens Grenzen. Es wird beispielsweise ein angemessenes selbst genutztes Wohneigentum geschützt. Lediglich ein Wohnvorteil wird dann auf das Nettoeinkommen aufgeschlagen, weil keine Mietkosten anfallen. Befreit vom Einsatz für Elternunterhalt sind weitere Vermögenswerte. In einem zu entscheidenden Fall akzeptierte der Bundesgerichtshof knapp 100.000 Euro als unantastbares Vermögen zur Altersvorsorge. Insgesamt können während des gesamten Berufslebens in die private Altersvorsorge fünf Prozent des jährlichen Bruttogehalts eingezahlt werden. Die Altersvorsorgeform spielt dabei keine Rolle. Es muss nur erkennbar sein, dass es sich um eine Möglichkeit der langfristigen Altersvorsorge handelt. Der Bundesgerichtshof erkannte auch einen „Notgroschen“ für den Unterhaltsverpflichteten von etwa 10.000 Euro an (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 7. August 2013, Az. XI ZB 269/12). 5. Keine oder beschränkte Unterhaltspflicht wegen unbilliger Härte Auch wenn leistungsfähige Kinder der Eltern bei Bezug der Sozialhilfe dem Gesetz nach unterhaltspflichtig sind, gibt es einzelne Familienkonstellationen, wo die Heranziehung der Kinder zum Elternunterhalt ausnahmsweise nicht erfolgt. Das Gesetz sieht in § 1611 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) Schranken für die Unterhaltspflicht der Kinder gegenüber den Eltern vor, wenn es sich bei der Inanspruchnahme der Kinder für diese um eine unbillige Härte handeln würde. Das Gesetz nennt hierfür mehrere Gründe. Was unter dem Begriff der unbilligen Härte zu verstehen ist, unterliegt den sich wandelnden Anschauungen in der Gesellschaft. Was in früheren Zeiten im Rahmen eines Familienverbandes als selbstverständlicher Einsatz der Mitglieder der Familie ohne weiteres verlangt wurde, wird heute vielfach als Härte empfunden. Ist der Unterhaltsberechtigte durch sein sittliches Verschulden bedürftig geworden, hat er seine eigene Unterhaltspflicht gegenüber dem Unterhaltspflichtigen grob vernachlässigt oder sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen oder einen nahen Angehörigen des Unterhaltspflichtigen schuldig gemacht, so braucht der Verpflichtete nur einen Beitrag zum Unterhalt in der Höhe zu leisten, die der Billigkeit entspricht. Die Verpflichtung fällt ganz weg, wenn die Heranziehung des Verpflichteten grob unbillig wäre. Grob unbillig wäre ein Unterhaltsrückgriff, wenn das Kind von dem unterhaltsberechtigten Elternteil sexuell missbraucht wurde. Ebenso ist es eine unbillige Härte, wenn die Mutter das Kleinkind bei den Großeltern lässt und jahrelang keinen Kontakt zu diesem Kind hatte. Ausgenommen ist als unbillige Härte eine Vernachlässigung des Kindes, die krankheitsbedingt war. Der Bundesgerichtshof entschied dazu am 15. September 2010 (Az. XII ZR 148/09), dass eine Vernachlässigung des Kindes aufgrund einer psychischen Erkrankung dessen Unterhaltspflicht nicht entfallen lasse. Der Senat hat entschieden, dass eine psychische Erkrankung, die dazu geführt hat, dass der pflegebedürftige Elternteil der früheren Unterhaltsverpflichtung seinem Kind gegenüber 3 Erstellt von Ida Schneider, Abteilung Sozialpolitik und Sozialrecht, 11 Juni 2014 nicht gerecht werden konnte, nicht als ein schuldhaftes Fehlverhalten betrachtet werden kann. Die diesbezügliche Belastung des Kindes sei schicksalsbedingt und von der familiären Solidarität umfasst. Sie rechtfertige es nicht, bei einer späteren Bedürftigkeit des Elternteils die Unterhaltslast dem Staat aufzubürden. Die familiäre Solidarität entfällt jedoch, wenn es für die Vernachlässigung des Kindes einen „erkennbaren Bezug zum Handeln des Staates“ gibt und diese beispielsweise durch eine kriegsbedingte Abwesenheit entstanden ist. Der Übergang des Unterhaltsanspruchs eines Elternteils auf den Träger der Sozialhilfe kann dann wegen unbilliger Härte ausgeschlossen sein, wenn der Elternteil wegen einer auf seine Kriegserlebnisse zurückzuführenden psychischen Erkrankung nicht in der Lage war, für das auf Elternunterhalt in Anspruch genommene Kind zu sorgen. Eine weitere unbillige Härte liegt auch vor, wenn der Unterhaltspflichtige den unterhaltsberechtigten Sozialhilfeempfänger bereits vor Eintritt der Sozialhilfe über das Maß einer zumutbaren Unterhaltsverpflichtung hinaus betreut oder gepflegt hat (Senatsurteile vom 21. April 2004 – Az. XII ZR 251/01 und vom 23. Juni 2010 – Az. XII ZR 170/08). Die Einstandspflicht der Kinder ist jedoch gegeben, wenn über mehrere Jahrzehnte hinweg kein Kontakt mehr zu dem Vater bestanden hat, aber derjenige das zum Unterhalt verpflichtete Kind bis zu seinem 18. Lebensjahr gemeinsam mit der Mutter großgezogen hat. (Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 12. Februar 2014 – Az. XII ZB 607/12). 6. Unterhaltsrechtliche Leitlinien des Oberlandesgerichts Koblenz Neben dem BGB dienen bei der Beurteilung eines angemessenen Unterhalts die unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate der Oberlandesgerichte. Diese werden alle zwei Jahre im Rahmen der Anpassung der Düsseldorfer Tabelle überarbeitet. Die Leitlinien beruhen auf für typische Sachverhalte geltenden Erfahrungswerten. Sie sollen zu einer einheitlichen Rechtsprechung beitragen. Sie haben jedoch keine bindende Wirkung und können die Prüfung des Einzelfalls nicht ersetzen. Für Rheinland-Pfalz werden die Leitlinien des Oberlandesgerichts Koblenz bei der Beurteilung eines angemessenen Unterhalts herangezogen. Diese Leitlinien sind auch unter folgendem Link zu finden: http://www.mjv.rlp.de > Unterhaltsrichtlinien. 7. Rechtsschutz Sollte es zu einer Situation kommen, in der jemand zu dem Elternunterhalt herangezogen wird und ist die vom Sozialamt berechnete Höhe für den Unterhaltsschuldner anzuzweifeln, ist der Weg zu einem Rechtsanwalt zu empfehlen. Auf diesem Gebiet sind die Fachanwälte für Familienrecht spezialisiert.. Auch wenn das Sozialamt in diesen Fällen als Behörde agiert und die Unterhaltsansprüche auf sich überleitet, handelt es sich bei der tatsächlichen Feststellung der Unterhaltspflicht und Höhe nicht um eine sozialrechtliche sondern um eine familienrechtliche Angelegenheit. Sollte eine Klage beabsichtigt werden, wird die Sache bei dem zuständigen Familiengericht des Amtsgerichts anhängig. 4 Erstellt von Ida Schneider, Abteilung Sozialpolitik und Sozialrecht, 11 Juni 2014 Stand Juni 2014 Verfasserin: Ida Schneider 5