DER FLUCH DES GOLDES

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DER FLUCH DES GOLDES
DER FLUCH DES GOLDES
Die Chronik eines Konfliktes, der schon vor 500 Jahren begann.
Seit einem Monat streikt eine ganze Region im Norden Perus gegen ein Bergbauprojekt.
Tausende Menschen protestieren in Cajamarca gegen die geplante Gold- und Kupfermine
CONGA. Der Konflikt ist das Resultat aus Armut, sozialer Ungerechtigkeit und
Umweltverschmutzung, von denen Cajamarca schon seit Jahren Zeuge ist. Doch der
Fluch des Goldes begann schon viel früher.
Der Schatz der Inkas
Als im April des Jahres 1532 die spanischen Eroberer unter Führung von Francisco
Pizarro an der nordperuanischen Küste landeten, gab es Peru noch gar nicht. Stattdessen
erstreckte sich das Reich der Inkas vom heutigen Ecuador im Norden über Peru und
Bolivien bis nach Chile und Argentinien. Die Spanier ahnten bereits vom Schatz der Inkas
und begaben sich nach Cajamarca, wo der Herrscher Atahualpa sich von den Strapazen
des Krieges gegen seinen Bruder Huáscar erholte. Am 16. November 1532 trafen die
Konquistadoren auf den Inka-Herrscher. Es kam zur Schlacht von Cajamarca, bei der
Atahualpa von den Spaniern gefangen genommen wurde. Als dieser die Gier der Fremden
nach Gold bemerkte, versprach er ihnen ein gigantisches Lösegeld: Einen Raum voll Gold
und zwei voll Silber, so hoch wie seine Hand reichte. Dafür sollten die Spanier Atahualpa
freilassen. Mehr als drei Monate lang brachten die Untertanen des Inkas Gold- und
Silberschätze nach Cajamarca. Es wird geschätzt, das die Spanier rund 16.000 Kilogramm
Gold und 180.000 Kilogramm Silber einschmolzen. Doch sie hielten nicht ihr Versprechen.
Am 26. Juli 1533 wurde Atahualpa hingerichtet. Es war der Beginn des Unterganges des
Inkareiches. Und der Beginn des Fluch des Goldes. In der Kolonialzeit starben tausende
versklavte Indigene in den Minen der Spanier. Zudem brachten viele von den Europäern
eingeschleppte Krankheiten das Andenvolk an den Rand der Existenz. Wissenschaftlern
zufolge verringerte sich der Bevölkerungsanteil der Indigenen in den ersten Jahren der
Kolonisation durch eingeführte Seuchen um über 50%. Sie starben an Pocken oder
Masern, weil ihr Immunsystem keine Antikörper gegen die, für die Andenregionen bis
dahin unbekannten, Erkrankungen bilden konnte.
Die Goldmine Yanacocha
Die Unabhängigkeit Perus vom spanischen "Mutterland" bedeutete nicht die
Unabhängigkeit von transnationalen Unternehmen, die nach wie vor das Land ausbeuten.
In den 1990er Jahren siedelte sich die Bergbaufirma Minera Yanacocha in Cajamarca an.
Minera Yanacocha gehört zu 51,35 Prozent dem US-amerikanischen Konzern Newmont
Mining Corporation, zu 43,65 Prozent der peruanischen Firma Mina Buenaventura und zu
fünf Prozent der Weltbank. Sein erstes Bergbauprojekt war die Goldmine Yanacocha, die
sich nur 48 Kilometer nördlich der Stadt Cajamarca im gleichnamigen Departement
befindet. Es ist die größte Goldmine Lateinamerikas und die zweitgrößte der Welt. Sie
besteht aus fünf offenen Tagebauen, in denen per Zyanidverfahren Gold gewonnen wird.
Den Namen hat die Mine von einem Bergsee - Yanacocha ist quechua und bedeutet
"schwarzer See" - den es heute nicht mehr gibt.
Der Reichtum geht - Umweltverschmutzung und Armut kommen
Seit 20 Jahren nun operiert die Goldmine Yanacocha in Cajamarca - mit verheerenden
Wirkungen auf Natur und Bevölkerung. Bei dem Goldabbau in offenem Tagebau kommt es
zu gravierendem Landschaftsverbrauch. Ganze Berge werden einfach abgebaggert,
Ökosysteme werden irreversibel zerstört, das Mikroklima verändert. Der intensive
Wasserverbrauch, sowie die Absenkung des Grundwasserspiegels, führen zu
Wassermangel in den umliegenden Gemeinden und Städten. Der Einsatz giftiger
Chemikalien wie Zyanid führt zur Verschmutzung von Wasser, Luft und Boden. Seit Beginn
der Minenaktivitäten wurden zahlreiche Fischsterben registriert. Die Fruchtbarkeit der
Äcker ist deutlich zurückgegangen. Auch auf den Abraumhalden befindet sich
schwermetall- und arsenbelastetes Gestein, das mit der Zeit vom Regen ausgewaschen
wird. Im Jahr 2007 wies eine Studie der Biologischen Fakultät der Staatlichen Universität
von Cajamarca nach, dass das Arsen über das Trinkwasser in den Körper der Bewohner
Cajamarcas gelangt. Dabei wurden Haarproben dutzender Personen aus
unterschiedlichen Stadtteilen genommen und auf den Arsengehalt geprüft. Das Ergebnis
ist alarmierend: Die Probandengruppe, die Trinkwasser aus der Aufbereitungsanlage "El
Milagro" - welche mit Minenabwasser von Yanacocha gespeist wird - konsumierten,
wiesen einen höheren Arsengehalt auf, als Probanden, die Zugang zu anderen
Trinkwasserquellen hatten. Dabei wurde teilweise der als ungefährlich geltende Grenzwert
von 1 ppm Arsen überschritten. Arsen wirkt toxisch auf Leber, Nieren und dem
Nervensystem, ebenso kann es Lungenkrebs auslösen. 70 Prozent der Cajamarquinos
beziehen Wasser aus "El Milagro".
Der größte Umweltskandal des Unternehmens Minera Yanacocha ereignete sich jedoch im
Jahr 2000 im kleinen Dorf Choropampa. Auf dem Weg von der Goldmine Yanacocha nach
Lima, verlor am 2. Juni 2000 ein LKW rund 151 Kilogramm Quecksilber und vergiftete die
Umwelt und über 1.200 Menschen. Dies war der bisher größte Quecksilberunfall weltweit.
Das Bergbauunternehmen machte die Bevölkerung nicht nur nicht auf die Gefahr
aufmerksam, sondern forderte sie sogar auf, das giftige Quecksilber gegen ein Trinkgeld
mit der Hand einzusammeln. Bis heute haben die Betroffenen keine angemessene
Entschädigung erhalten. Minera Yanacocha spielt auf Zeit, etliche Vergiftete sind bereits
gestorben.
All diese Skandale soll die Bevölkerung Cajamarcas auf sich nehmen - zum Wohle der
wirtschaftlichen Entwicklung des Landes, so Minera Yanacocha und die peruanische
Regierung. Im Jahr 2005 wurden nach offiziellen Angaben 3.333.088 Unzen Gold (rund 95
Tonnen) in der Mine Yanacocha gefördert. Der Goldpreis und damit die Gewinne des
Unternehmens stiegen in den letzten Jahren stetig. Doch von diesem Reichtum hat
Cajamarca bisher nichts gesehen. Das Nationale Statistische Institut (INEI) informierte im
Monat Mai diesen Jahres, dass Cajamarca das zweitärmste Departement Perus sei.
Gerade mal die Hälfte der Bevölkerung könne seine Grundbedürfnisse - meistens
geradeso - befriedigen. Gemäß Daten aus dem Jahr 2010 leiden 32 Prozent der unter
fünfjährigen Kinder an chronischer Unterernährung. 44 Prozent der Bevölkerung muss
ohne Wasseranschluss im Haus leben, 55 Prozent haben keinen Strom. Die Vertreibung
hunderter Bauern durch transnationale Bergbauunternehmen in Cajamarca, sowie die
Zerstörung wertvollen Ackerlandes, lassen die Bevölkerung weiter verarmen. Auch das
Versprechen, der Bevölkerung gutbezahlte Arbeit in den Minen zu geben, wird von den
Firmen nicht eingehalten. Nach offiziellen Angaben arbeitet lediglich 1,5 Prozent der
arbeitsfähigen Bevölkerung im Bergbausektor. Die Politik als Komplize krimineller
Machenschaften der Unternehmen, trägt Mitschuld an diesen Fehlentwicklungen.
Der Konflikt um "Minas Conga"
Seit Anfang August 2011 investiert Minera Yanacocha in das Gold- und
Kupferbergbauprojekt
"Minas
Conga".
Im
selben
Monat
begannen
die
Auseinandersetzungen mit den betroffenen Dorfgemeinden. Dutzende tote Forellen und
eine tote Kuh waren die ersten Opfer des vergifteten Wassers im Dorf Agua Blanca, im
Conga-Gebiet. Dieses Ereignis, sowie die gewaltsame Vertreibung von Bauernfamilien
aus dem Einflussbereich der Mine, waren die Initialzündung für den Widerstand gegen das
gigantische Minenprojekt, welches zahlreiche Dörfer und Städte wie Cajamarca,
Bambamarca und Celendín, in seiner Wasserversorgung bedroht. Ab dem Jahr 2014 soll
die Förderung von Gold, Kupfer und Silber beginnen. 92.000 Tonnen Gestein sollen ab
diesem Zeitpunkt täglich verarbeitet werden. Dafür sollen fünf Bergseen zerstört, das
Grundwasser abgepumpt, 260 Hektar Sumpf trockengelegt und zahlreiche sensible
Hochlandökosysteme irreversibel vernichtet werden. Der Protest formierte sich langsam.
Er begann mit kleinen Mahnwachen am Hauptplatz der Stadt Cajamarca, die überwiegend
von der Umweltverteidigungsfront organisiert wurden. Von Anfangs zwanzig Teilnehmern,
wurden es fünzig, schließlich hunderte. Es wurde der erste unbefristete Generalstreik ab
dem 24. November 2011 ausgerufen. Tausende Menschen demonstrierten zwölf Tage lang
gegen "Minas Conga". Straßen wurden gesperrt, Geschäfte, Schulen und alle öffentlichen
Einrichtungen wurden geschlossen. Den Höhepunkt der Proteste erlebte die Region am
30. November, als rund 50.000 Menschen allein in der Stadt Cajamarca demonstrierten.
Weitere Tausende Menschen protestierten in Celendín, Bambamarca, Jaen und anderen
Orten des Departement. Die peruanische Regierung reagierte mit Repression. Zwei
dutzend angeschossene Demonstranten, verhaftete Minengegner und die Militarisierung
Cajamarcas reichten ihr nicht. Sie verhängte am 4. Dezember den Ausnahmezustand über
die Region. Daraufhin folgte der Rücktritt des halben Kabinetts aus Protest an der
Entscheidung des Präsidenten Ollanta Humala, Cajamarca weiter zu militarisieren. Der
letzte Dialogversuch zwischen Regierung und Minengegnern scheiterte am 19. Dezember.
Nach der Aufhebung des Ausnahmezustandes folgten weitere Demonstrationen und ein
zehntägiger nationaler Wassermarsch im Februar 2012 mit einer eindrucksvollen
Abschlusskundgebung in der Hauptstadt Lima mit rund 30.000 Teilnehmern aus dem
ganzen Land. Doch die Regierung zeigte sich unnachgiebig und drückte ein PseudoGutachten durch, dass die Umweltverträglichkeitsstudie von "Minas Conga" legitimieren
sollte. Daraufhin begann die erneute Besetzung der bedrohten Bergseen durch die Bauern
der Umgebung, sowie tägliche Mahnwachen und einige kleinere befristete Streiks und
Demonstrationen. Die Bevölkerung Cajamarcas fühlte sich übergangen und entschloss
sich schließlich zu einem neuen unbefristeten Streik ab dem 31. Mai diesen Jahres. Seit
einem Monat streikt nun die gesamte Region, Demonstrationen finden täglich trotz brutaler
Polizeiübergriffe statt. Mehr als hundert Verletzte und dutzende Verhaftete wurden
inzwischen gezählt. In den letzten Wochen des Streiks war der einzige Kontakt zwischen
der Zentralregierung in Lima und den Demonstranten in Cajamarca die Waffen und Stiefel
der Polizei. Die Fronten sind verhärtet. Während für die Mehrheit der Demonstranten
"Minas Conga" auf keinen Fall machbar ist, beharrt die Regierung unter Ollanta Humala
auf die Durchführung des Projektes. Mit seinem Vorschlag an Minera Yanacocha, doch
zwei der Seen nicht in eine Abraumhalde zu verwandeln, erregte er weiteren Zorn der
Cajamarquinos. Minera Yanacocha jedoch antwortete prompt, die Rettung der zwei Seen
sei für sie sowieso nicht wirtschaftlich. Inzwischen hat das Bergbauunternehmen mit den
ersten Baumaßnahmen begonnen. Die Privatpolizei von Minera Yanacocha "schützt" das
Gebiet vor unbefugtem Betreten. Im Juli schließlich eskalierte der Konflikt. Eine heftige
Auseinandersetzung zwischen Demonstranten und Polizei in Celendín führte zu den
ersten Todesopfern und zahlreichen Verletzten. Die Regierung rief daraufhin in der Nacht
vom 3. Juli den Ausnahmezustand für die drei Provinzen Celendín, Hualgayoc und
Cajamarca aus. Weitere heftige Zusammenstöße zwischen Conga-Gegnern und
Staatsgewalt sorgten für weitere Todesopfer und Verletzten.
Trotz der zunehmenden Konflikte im Land, von denen über 60 Prozent Umweltkonflikte
sind, hat die peruanische Regierung noch immer keine Strategie für ihre Lösung. Ex-Militär
Ollanta Humala glaubt noch immer, Soldaten und Polizei würden die Ordnung in den
Konfliktregionen wiederherstellen. Inzwischen meldete sich auch die Ombudsstelle für
Menschenrechte zu Wort und verurteilte das gewaltsame Vorgehen der Polizei gegen
Demonstranten und Menschenrechtsanwälte.
Die Rolle der Bauernwehr bei den Protesten
In einem Staat, in dem ein großer Teil der Bevölkerung auf sich selbst angewiesen ist,
entwickeln sich zahlreiche unabhängige Strukturen, die den Staat ersetzen sollen. In den
13 Provinzen von Cajamarca ist die Bauernwehr ("Ronda Campesina") eines der
grundlegenden sozialen Gewebes der Bauerngemeinden. Seit den 1980er Jahren, als der
interne Konflikt das Land heimsuchte, und die Bauern im Kampf gegen die Guerilla
"Leuchtender Pfad" von der Regierung bewaffnet wurden, existieren die Bauernwehren
ganz legal. Und sie haben mehr moralische Autorität als Bürgermeister, Richter und Polizei
zusammen. Sie gelten als nicht korrupt und sind basisdemokratisch organisiert. Sie
nehmen die Gerechtigkeit selbst in die Hand, wo es keinen Rechtsstaat gibt. Viehdiebe
und korrupte Bürgermeister werden ebenso mit Peitschen- oder Stockhieben bestraft, wie
betrunkene Männer, die ihre Frauen schlagen. Dank ihrer starken Vernetzung mit den
Bauernwehren - und ihrem städtischen Ableger, die Bürgerwehr ("Rondas Urbanas") verschiedener Gemeinden, spielen sie bei der Organisation der Proteste und Streiks in
Cajamarca eine grundlegende Rolle. Außerdem sorgen sie für mehr Sicherheit und
versuchen, infiltrierte Störenfriede ausfindig zu machen. Dank der Bauernwehr blieben die
Proteste im November vergangenen Jahres weitgehend friedlich.
Idelso Hernández ist der Präsident der Verteidigungsfront für die Interessen der Region
Cajamarcas (Fredirc), sowie Vorsitzender des Streikkomitees, in dem alle Anti-CongaGruppen vernetzt sind. Auch ist Hernández Rondero, also Mitglied der Bauernwehr. Und
das ist kein Zufall. Die Proteste in der Stadt Cajamarca funktionieren vor allem dank der
Logistik der Rondas. Seit Beginn des Streikes befinden sich beispielsweise rund 2000
Personen aus Hualgayoc (Bambamarca) und Celendín - zwei der am stärksten von "Minas
Conga" betroffenen Provinz - in Cajamarca, wo sie die Nächte in den Einrichtungen der
Kirche San Francisco, die sich am Hauptplatz der Stadt befindet, verbringen. Aber es sind
nicht immer dieselben zweitausend Menschen. Alle drei bis vier Tage werden die Gruppen
ausgetauscht. Die, die bereits protestiert haben, gehen, während weitere Bauern aus
anderen Gemeinden anreisen. So sind die Demonstranten immer "frisch" für den Streik.
"Diese Art des Kampfes wurde von den Rondas schon in den Jahren vor dem Krieg gegen
den "Leuchtenden Pfad" entwickelt", erklärt Hernández. Eine Strategie, die sich noch
heute bewährt.
// Anne Grit Bernhardt
// 06. Juli 2012

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