Erfahrungsbericht: Praktikum Lenovo Beijing, China Von November

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Erfahrungsbericht: Praktikum Lenovo Beijing, China Von November
Erfahrungsbericht: Praktikum Lenovo Beijing, China
Von November 2009 bis Februar 2010 habe ich in Peking bei Lenovo (PC-Hersteller) 11 Wochen
Praktikum im Human Resources-Bereich absolviert.
Ich kann jedem nur empfehlen ein Praktikum in China zu absolvieren, sei es noch so kurz. Die
Corporate Culture in chinesischen Unternehmen, die freundlichen, aufgeschlossenen Leute und die
zahlreichen Chancen sich weit über seinen Fachbereich hinaus weiterzuentwickeln sind nur ein Teil
der Erfahrungen, die ich nie geahnt hätte machen zu können. Gleichzeitig reflektiert man bei einem
Auslandspraktikum die deutschen Zustände und Methoden und erweitert seinen Blickwinkel
beträchtlich.
Vorbereitung
Da es sich bei meinem Praktikumsplatz IAESTE-organisatorisch um eine späte Offerte handelte,
hielt sich der organisatorische Aufwand stark in Grenzen im Vergleich zum normalen Ablauf. Ein
paar Formulare ausfüllen, ein paar Tage warten, ein kurzes Skype-Interview mit meiner direkten
Vorgesetzten und zwei Monate nach meiner ersten Anfrage an IAESTE saß ich auch schon in
Peking am Schreibtisch. Die allgemeine Reisevorbereitung fiel mir nicht schwer, da ich einige
Monate zuvor schon einmal nach China gereist bin. Nur das Arbeitsvisum kostete etwas Zeit, da
alles Weitere über IAESTE China in Schanghai abgewickelt werden musste und dort jeweils
individuell ein Einladungsschreiben aufgesetzt wird. Generell ist Geduld eine sehr nützliche Tugend
in China.
Ankunft in Peking
Am Flughafen in Peking angekommen, wurde ich von meinem lokalen IAESTE Mentor abgeholt
und direkt zur Unterkunft gebracht (Home-Stay bei der Familie eines Arbeitskollegen). Eigenes
Zimmer, aber kein eigener Wohnungsschlüssel. Danach besorgten wir noch eine Prepaid-Karte fürs
Handy.
Arbeiten bei Lenovo
Der Arbeitgeber Lenovo ist ein Hybrid aus chinesischer und U.S.-Computerschmiede, mit so
manchen Eigenarten in Sachen Unternehmenskultur. Morgens erschallt die Unternehmenshymne
aus den Lautsprechern, im E-mail-Verkehr hat jeder zusätzlich einen englischen Namen, den seine
Kollegen jedoch nicht kennen. Die Arbeitsatmosphäre ist unverkrampft und Überstunden die Regel.
Im gesamten Komplex kann man sehr leicht Leute aus anderen Ressorts kennenlernen und auch
einige ausländische Kollegen nach ihren Erfahrungen fragen. Außer Change Management in Sachen
Unternehmenskultur ist aber leider nicht viel Besonderes zu beobachten im Betriebsablauf. Die
angewandten Methoden im HR-Bereich sind einfacher Natur und auch sonst stecken die
Management-Instrumente noch in eher unausgereiften Entwicklungsstufen. Dennoch ist es
spannend diese Entwicklung mitzuverfolgen, wenn sich Ideen-Management-Prozesse
weiterentwickeln und jeder Mitarbeiter von sich aus die Möglichkeit hat die Veränderungsprozesse
mitzugestalten.
Unterbringung
Den ersten Monat verbrachte ich bei der Familie eines meiner Arbeitskollegen aus einer anderen
Abteilung. Da er ausnahmslos jeden Tag Überstunden machte, war er aber im Grunde nur zum
Schlafen zu Haus. Die erwartete Möglichkeit bei dieser Art Unterbringung meine Sprachkenntnisse
zu vertiefen fand deshalb leider nicht statt. Einige Wochen später zog ich in eine Jugendherberge, da
die Gastfamilie aus gesundheitlichen Gründen andere Familienmitglieder einquartieren musste und
ich deshalb aus Platzgründen gebeten wurde auf eine neue Unterkunft auszuweichen. Durch die
extreme Zuwanderung vom Land schießen die Mieten in Peking durch die Decke und für mich als
Praktikant war es selbst mit der Hilfe des lokalen Mentors nicht möglich eine bezahlbare Unterkunft
zu finden, ergo: Jugendherberge. Insgesamt war das ganz gut so, da sich von da an mein Arbeitsweg
von 1,5 auf 0,5 Stunden reduzierte und plötzlich die Möglichkeit zum Sammeln von
Spracherfahrung mit den unterschiedlichsten chinesischen Dialekten außerhalb der Arbeit gegeben
war.
Betreuung durch lokales Komitee
Der lokale IAESTE-Mentor war noch unerfahren in Sachen Praktikantenaustausch, bemühte sich
aber sehr um alles Organisatorische. Das Betreuungsprogramm umfasste Flughafenabholung,
Prepaid-Karte kaufen und eine Graduiertenveranstaltung seiner Uni. Er war stets hilfsbereit und
freundlich.
Spracherfahrung
Die Möglichkeiten sind unbegrenzt. Ob man sich bemüht während der Arbeit so viel wie möglich
Chinesisch mit seinen Kollegen zu sprechen oder ob man sein Verhandlungsvokabular bei der
Schnäppchenjagd auf den Märkten aufpoliert. Ob man sich beim Mittagessen mit Kollegen aus den
verschiedensten Regionen mit unterschiedlichen Dialekten unterhält oder mit ihnen Karaoke singen
geht. Auch die Möglichkeit an Veranstaltungen des Toastmasters Communication Club
teilzunehmen und dort mit den ausländischen Kollegen Sprachaustausch in deren jeweiliger
Muttersprache zu betreiben ist gegeben. Ganz nebenbei verbesserte sich mein Hörverstehen, da im
Großraumbüro, wo ich arbeitete, ausschließlich Chinesisch unter den Kollegen gesprochen wurde.
Kulturelle Unterschiede
Im Alltag sollte man sich auf eine Problemlösungsweise einstellen, die praktisch, aber nicht
langfristig orientiert ist. Probleme werden meist symptomatisch, nicht an der Wurzel angepackt. Im
Unternehmen sollte man sich frühzeitig darauf einstellen, dass bei egal welchem Projekt, jederzeit
jedes Detail bis zur letzten Minute noch verändert werden kann, d.h. bei der Bearbeitung einer
langfristigen Aufgabe immer periodisch gegenchecken, ob sich die Meinungen nicht mittlerweile
geändert haben und manche Dinge an denen man arbeitet obsolet geworden sind. Allgemein kann
der Meinungsbildungsprozess langwierig und auf den ersten Blick verwirrend sein. Auf Zusagen
sollte man sich nicht verlassen. Das sind meist nur Versprechungen, da es Chinesen schwerfällt ein
Anliegen eines noch so fernen Bekannten abzulehnen. Darauf sollte man also nicht bauen. Es hilft,
wenn man diese Denkweise frühzeitig akzeptiert und seine Kommunikationsfrequenz bei der
Bearbeitung von Projekten hoch hält. Des Weiteren ist für alle Belange immer ein nachdrückliches
Anschieben von Nöten, was zunächst etwas ermüden kann. Benötigt man eine Response, muss man
Mitarbeiter meist gängeln, aus deutscher Perspektive. Aus chinesischer Sicht ist aber nur dieses
Pushen der einzige Indikator für die Wichtigkeit der Response.
Freizeitgestaltung
Am Besten selbst aktiv werden, da junge Leute in China sehr auf Shopping, Karaoke (KTV
genannt) und Essen gehen fokussiert sind. Party heißt in China oft an einem 2-stündigen Essen
teilzunehmen. Will man sie für etwas Neues begeistern ist auch hier das ständige Pushen von Nöten,
aber dann ist selbst so etwas Ausgefallenes wie Paintball oder Laser Tag in richtig großen Teams
möglich. Also bloß nicht zimperlich sein. An sich ist Sightseeing eine unerschöpfliche Quelle des
Vergnügens in China. Man hat stets gute Verkehrsanbindungen und niedrige Preise. Konzerte und
Sportplätze sind leider überteuert. Allgemein zahlt man für westliche Freizeitaktivitäten stets einen
Popularitätsaufschlag, der es nicht wert ist. Die Parks sind sehr gepflegt und immer gut zur
Erholung, selbst im Winter.
Nützliche Tipps
Es gibt zwei Arten von Prepaid-Karten für Handys. Die Variante vom Kiosk ist ohne monatliche
Gebühr. Die Variante mit monatlicher Gebühr direkt vom Anbieter ist ebenfalls "prepaid", wobei
man aber noch einen Vertrag unterzeichnen muss und seinen Pass vorzulegen hat. Aufladen kann
man beide Varianten aber über die gleichen Wege: das Terminal beim Anbieter oder über eine
Guthabenkarte vom Kiosk.
Am besten macht man sich schon vor der Anreise mit der Internetzensur in China vertraut, wenn
man sein privates Notebook in der Freizeit nutzen möchte. Ein beträchtlicher Teil des Internet ist
nicht verfügbar. Die wirksamsten Umgehungsmöglichkeiten erfordern etwas Einarbeitung.
Bei der Ankunft kauft man sich am besten sofort eine IC-Card für Bus und U-Bahn. Das spart Zeit
und Geld. Ab 23 Uhr ist man auf Taxis angewiesen. Nachtbusse verkehren nicht.
Alles in Allem
Das Praktikum an sich war so facettenreich und der Freiraum so groß, dass ich in vielen Bereichen
dazulernen konnte. Die Menschen sind so unglaublich aufgeschlossen, warmherzig und lebensfroh.
Das reißt einen mit. Mir fällt jetzt erst auf wie selten die Menschen in Deutschland lächeln. Es gibt
natürlich auch unendlich viel an kulturellen Schätzen zu entdecken.
Wer Probleme mit Menschenmassen, unhygienischen Zuständen oder chinesischem Essen (ganz
anders als hier im "China"-Restaurant) hat, sollte sich besser für ein Praktikum in einem anderen
Land entscheiden. Insbesondere Leute mit Atemwegsvorerkrankungen sollten es sich zweimal
überlegen für längere Zeit nach Peking oder in eine andere chinesische Großstadt zu gehen. Die
Luftverschmutzung ist leider beträchtlich. Ansonsten spricht jedoch nichts dagegen und man sollte
sich diese bereichernde Erfahrung nicht entgehen lassen.
Stephan Paul, Rostock, den 16.02.2010