Zwang und Gewalt in der Psychiatrie Kurze Vorstellung

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Zwang und Gewalt in der Psychiatrie Kurze Vorstellung
Fachtag der Evangelischen Gesellschaft am 29.9.2010
„Und bist du nicht willig…
Zur Ambivalenz von Zwang in der Sozialen Arbeit“
AG 2: Zwang ohne Gewalt? Fürsorge von der klinischen bis zur
ambulanten Psychiatrie – Input I Jürgen Baur, sozialpsychiatrischer
Wohnverbund, eva
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Zwang und Gewalt in der Psychiatrie
Kurze Vorstellung:
Leite ein Team des betreuten Wohnens mit ca. 40 Plätzen, in dem ca.
die Hälfte der Bewohnerinnen vorbestraft sind und ca. ¼ aktuell noch
Bewährungsauflagen haben. Das betreute Wohnen findet praktisch
immer auch in Wohnraum von uns statt, ob in Wohngemeinschaften oder
Einzelwohnungen, weil die Menschen keinen Zugang zu Wohnungen
haben.
Aufnahmen aus der Forensik finden statt im Rahmen der Aussetzung der
Unterbringung unter Auflagen und Führungsaufsicht in der Regel für drei
bis fünf Jahre. Aufnahmen aus dem Strafvollzug entweder nach Absitzen
der gesamten Strafe ohne Bewährungszeit oder die Reststrafe wird zur
Bewährung unter Auflagen ausgesetzt. Vorstrafen finden sich nicht
selten bei Menschen, die aus Einrichtungen für obdachlose Menschen
aufgenommen werden.
Als ich gefragt wurde, ob ich etwas zu dem Thema Zwang und Gewalt
sagen will, habe ich zuerst nachgefragt, von welcher Seite aus
betrachtet. Aus meiner Sicht ist dieses Thema keine Einbahnstraße,
auch wenn mein Eindruck sicher stark von meiner Arbeit geprägt wird, so
möchte ich doch sagen, dass Gewalt und/oder auch Kriminalität mehr
Einzug in die Sozialpsychiatrie gefunden hat, ob weil wir uns mehr mit
diesem Personenkreis auseinandersetzen oder ob es hier tatsächlich
eine Zunahme gibt.
Ich kann und will nicht alles was ich Ihnen sage, ausschließlich unter
dem Blickwinkel unserer Arbeit mit Menschen aus der Forensik
betrachten. Es gibt keine scharfen Grenzen und es ist uns auch gar nicht
möglich unser Handeln alleine danach auszurichten, ob wir es mit einem
Menschen aus der Forensik, dem Strafvollzug, mit oder ohne Auflagen
zu tun haben.
Wie ja schon in der Einladung zu diesem Fachtag zum Ausdruck
gebracht wurde, beginnt der Zwang in der Regel bereits bei der
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Fachtag der Evangelischen Gesellschaft am 29.9.2010
„Und bist du nicht willig…
Zur Ambivalenz von Zwang in der Sozialen Arbeit“
AG 2: Zwang ohne Gewalt? Fürsorge von der klinischen bis zur
ambulanten Psychiatrie – Input I Jürgen Baur, sozialpsychiatrischer
Wohnverbund, eva
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Aufnahme, der allergrößte Teil der Menschen, die wir aufnehmen
kommen zu uns, weil
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sie durch Auflagen in einer betreuten Wohnform leben müssen
sie selbst keine Wohnung haben
bisherige Wohnformen nicht weiter finanziert werden
sie nicht mehr in der Familie leben können
Dabei kann allerdings nicht außer Betracht gelassen werden, dass an
diesen Situationen die Menschen immer auch ihren Anteil dran haben,
auch wenn sie das oft ganz anders sehen.
Hinzu kommt, dass wir uns auf dem Feld der Eingliederungshilfe
bewegen, wo davon ausgegangen wird, dass hier auf der einen Seite
Menschen sind, die sehr genau beschreiben, wo sie ihren
Unterstützungsbedarf sehen und welche Ziele sie erreichen wollen und
auf der anderen Seite die Anbieter sitzen, die eben ganz genau diese
nachgefragte Leistung erbringen.
Wenn wir uns nun noch mal vergegenwärtigen, woher die Menschen
kommen, die wir aufnehmen und was die Gründe dafür waren, warum
sie bei uns einziehen wollen/müssen, und dies in Verbindung bringen mit
der Ideenwelt der Eingliederungshilfe, befinden wir uns bereits in einem
Dilemma und mit wir meine ich hier tatsächlich alle Beteiligten also die
Anbieter, die Klienten/Bewohner und auch die Mitarbeiter bei den
Kostenträgern.
Nach erfolgter Aufnahme setzt sich nun dieses Dilemma fort, manchmal
verschärft es sich geradezu. Die vor der Aufnahme –unter den
genannten Rahmenbedingungen- getroffenen Vereinbarungen
(IBRP/Hilfeplan/Betreuungsvertrag o.ä.) geraten nicht selten schnell in
Vergessenheit, erleben mal mehr, mal weniger Veränderungen und
Anpassungen. Einerseits nicht gerade verwunderlich, andererseits
trotzdem ärgerlich, weil die ersten Auseinandersetzungen geradezu
vorprogrammiert sind.
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Fachtag der Evangelischen Gesellschaft am 29.9.2010
„Und bist du nicht willig…
Zur Ambivalenz von Zwang in der Sozialen Arbeit“
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ambulanten Psychiatrie – Input I Jürgen Baur, sozialpsychiatrischer
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Diese Beschreibung entspricht natürlich in keinster Art und Weise dem,
was wir alle lernen und anwenden, nämlich Vorgänge und Prozesse
positiv zu beschreiben. Ich möchte es mir hier aber ersparen, diesen
Prozess nochmals anders zu beschreiben, sondern vielmehr auf einige
Erfahrungen meines Teams einzugehen:
Zu Zwang und Gewalt gehört aus unserer Sicht der Begriff der
Kontrolle:
Kontrolle hat mehrere Funktionen, dient der Sicherheit von
Mitarbeiterinnen, der Sicherheit des Umfelds, aber auch der Sicherheit
von Klientinnen. Dabei geht es um die Sicherheit, dass jemand mit
Auflagen die Sicherheit gewinnt, diese auch erfüllen zu können, bzw.
verbindliche Unterstützung dabei erfährt diese zu erfüllen.
Wir sind aber auch dafür verantwortlich, für unsere eigene Sicherheit
Sorge zu tragen und den Ansprüchen anderer, des Umfelds aber auch
den Ansprüchen von Richtern, Bewährungshelfern, der Forensik.
Auch wir erfahren ja oft Kontrollen im Leben, die wir sicher manchmal als
ärgerlich empfinden, aber auch sehen, dass diese Kontrollen nützlich
und hilfreich sind. Vor nicht allzu langer Zeit haben wir alle vehement
mehr Kontrolle der Banken gefordert, die Qualitätskontrolle ist aus
unserer Arbeit nicht mehr wegzudenken.
Kontrolle soll in erster Linie zur Einsicht bewegen, aber auch Regeln und
Normen durchsetzen. Kontrolle bedeutet aber auch Dinge
voranzutreiben, zu verbessern, zu entwickeln.
Der Gegenpol zur Kontrolle ist Vertrauen, einem ganz wichtigen
Bestandteil in unserer Arbeit. Vertrauen schafft
Entwicklungsmöglichkeiten und Freiräume. Vertrauen braucht aber eben
auch eine Basis, gerade in Betreuungen, die auch mit Sicherheit zu tun
hat, muss dieses Vertrauen behutsam von beiden Seiten aufgebaut
werden.
Ich denke, wir bewegen uns viel lieber in dem Bereich des Vertrauens
als im Bereich der Kontrolle. Es braucht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
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Fachtag der Evangelischen Gesellschaft am 29.9.2010
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AG 2: Zwang ohne Gewalt? Fürsorge von der klinischen bis zur
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die bereit sind Kontrolle gewissenhaft und zuverlässig auszuüben, die
Notwendigkeit ersehen, die positiven Aspekte schätzen, sich aber auch
der Grenzen bewusst zu sein.
Ich glaube, wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die Möglichkeit
Kontrolle oder auch Zwang auszuüben, auch etwas mit Macht zu tun hat.
Vermutlich sind wir jetzt schon wieder in einem Spannungsfeld, weil wir
uns ja so verstehen, dass wir mit Menschen auf gleicher Augenhöhe
verhandeln. Wie ist es uns nun möglich, einerseits auf gleicher
Augenhöhe zu verhandeln und gleichzeitig die Macht zu haben, zu
kontrollieren und in einem gewissen Rahmen auch Zwang auszuüben.
Wir versuchen gar nicht so zu tun, als ob wir an gewissen Punkten
verhandeln und auch nicht, dass wir uns hier auf gleicher Augenhöhe
bewegen. Es geht stark darum immer und schon von Anfang an (schon
vor der Aufnahme) für Klarheit und Transparenz zu sorgen. Alle
Beteiligten müssen die Regeln und Grenzen sehr genau kennen. Nur auf
dieser Basis können wir Beziehungen aufbauen, gegenseitiges
Vertrauen schaffen. Es muss deutlich sein, wo wir uns im Bereich des
Verhandelns und wo wir uns im Bereich von Grenzen bewegen.
Wir denken, dass darin das Verhandeln auf gleicher Augenhöhe besteht.
Nur wenn uns dann ein spielerischer -kein leichtfertiger- Umgang mit
Kontrolle und Zwang gelingt, erhalten wir uns den Spaß an unserer
Arbeit. Wir können Kontrolle und Zwang als Teil, aber eben immer nur
als Teil unserer Arbeit betrachten.
Wir sind stolz, Menschen mit Vorstrafen, Auflagen, Gefährdungspotential
und nicht selten mit einer zusätzlichen Suchtproblematik zu betreuen.
Wir wollen diesen Menschen die Möglichkeit geben, Angebote wie des
betreuten Wohnens zu nutzen. Dabei wollen wir mutig sein, aber nicht
leichtfertig, wir müssen Risiken einschätzen und auf dieser Grundlage
gemeinsam Entscheidungen treffen. Gemeinsam hat hier eine ganz
besondere Bedeutung, weil gerade in einem solchen Feld, immer auch
die gegenseitige Kontrolle der Mitarbeiterinnen eines Teams
untereinander ein unverzichtbarer Bestandteil des Handelns ist.
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Fachtag der Evangelischen Gesellschaft am 29.9.2010
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In unserem Team haben wir vor zwei Jahren etwas genauer unsere
Rollen und Methoden untersucht. Zu unserer eigenen Überraschung hat
sich dabei gezeigt, dass Humor (wir sehen das durchaus als Methode)
bei den Menschen aus der Forensik eine gleich große Rolle wie bei den
anderen betreuten Menschen gespielt hat. Das hat uns nochmals
bestätigt, dass es durchaus möglich ist, auch Zwangsbetreuungen so
ausgefüllt werden können, dass allen Beteiligten dabei das Lachen nicht
vergeht.
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