Passion of the Cut Sleeve (Translation and Analysis) By Luke (Lutz
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Passion of the Cut Sleeve (Translation and Analysis) By Luke (Lutz
Passion of the C ut Sleeve (T ranslation and A nalysis) By L uke (L utz) Niederer Monterey Institute of International Studies G raduate School of Interpretation and T ranslation „L eidenschaft der abgeschnittenen Ä rmel” 1 How violent are the seasons of love and hatred By observing the fate of Mizi Xia, we can guess What will happen to favorites of later times. “Even the future a hundred ages hence may be foretold.” Sima Qian Danksagungen Ich möchte mich zunächst bei der Betreuerin meiner Diplom-Arbeit, Prof. Andrea Hofmann-Miller bedanken, die mich mit äußerster, beinah übermenschlicher Geduld (und sie weiß wovon ich spreche), über einen langen Zeitraum bei dieser Arbeit unterstützt und begleitet hat. Nach langem Hin und Her, durch alle Höhen und Tiefen hindurch, die man bei der Betreuung einer solchen Arbeit durchlebt, hat sie stets an das „Endresultat” geglaubt. Des weiteren gilt mein Dank meinem Partner von beinahe 20 Jahren und jetzigem Ehemann, Heinz-Dieter Sürth, der der erste Leser dieser Arbeit war und der mir mit seiner trockenen und klaren Art half, noch unklare und undeutlich formulierte Passagen zu glätten und lesbarer zu machen. Er kannte das englische Original nicht, und ging daher unbefangen an das Material heran. Es war auch von Vorteil, dass Heinz-Dieter nicht in der Übersetzungsbranche arbeitet, und daher stets einen frischen Blick auf die Übersetzung hatte. Mein Dank gilt auch Lotte Schmitt, meiner zweiten Leserin, die mir als Übersetzerin mit ihrem Fachwissen und ihrem unbestechlichen Blick für Details eine große Hilfe war. Es bedurfte vieler langer Telefonate zwischen Kalifornien und Oregon, und später zwischen Berlin und Oregon, dem Hin- und Hersenden unterschiedlicher Versionen, um schließlich eine Übersetzung zu erhalten, mit der wir beide zufrieden sein konnten. 2 Des Weiteren gilt mein Dank meiner langjährigen Freundin, Kommilitonin und Kollegin Zoe Pei-Rong Lin, die mir beim Verständnis der klassischen chinesischen Texte eine unermessliche Hilfe war. Erst durch Sie habe ich viele der Gedichte in ihren Tiefen und ihren Vieldeutigkeiten vollkommen verstanden. Aufgrund ihrer Anregungen habe ich Teile des von mir im Rahmen dieser Arbeit ins Deutsche übersetzten Gedichts neu übersetzt. E inleitung „Passions of the Cut Sleeve” von Bret Hinsch fiel mir durch Zufall vor Jahren in der Chinatown von San Francisco in die Hände. Ich hatte durch die Abteilung „Gebrauchte Bücher“ in meiner Lieblingsbuchhandlung in Chinatown gestöbert und entdeckte dabei dieses Buch. Das Thema Homosexualität im antiken China hatte mich schon seit langem interessiert, und da ich bis dato noch kein so umfassendes Werk zu diesem Thema gefunden hatte, entschloss ich mich zum Kauf des Buches. Das war einige Jahre bevor ich mich entschied am Monterey Institute of International Studies (MIIS) meinen M.A. in Übersetzung zu machen. Als es daran ging meine Diplomarbeit zu schreiben, hatte ich zunächst einige andere Bücher und Themen in die Vorauswahl genommen. Es handelte sich dabei um Themen wie „Non-Proliferation“ oder „Nationale Minderheiten in China“. Keines der Themen fesselte mich jedoch genug, um sie für meine Diplomarbeit zu verwenden. Da fiel mir dann dieses Buch wieder in die Hände und der Entschluss war gefasst, das Buch (oder zumindest einige Kapitel daraus) zum Thema meiner Diplomarbeit zu machen. Ich hatte mich schon seit langem für die Geschichte der Homosexualität in anderen Kulturkreisen, d.h. außerhalb des so genannten westlichen Kulturkreises, in dem ich aufwuchs, interessiert. Durch meine Beschäftigung mit chinesischer Sprache, Kultur, Politik und Gesellschaft im Rahmen meines Studiums in Deutschland, in den USA, als auch währende meines einjährigen China-Aufenthalts, wurde meine Interesse noch weiter verstärkt. 3 Leser, die um die Geschichte der Homosexualität im antiken China wissen, sind sich bewusst, dass eine große Menge alter chinesischer Texte existiert, die teilweise recht deutlich, zuweilen auch verschleiert, oft jedoch in poetischer Form, die offen gelebte Liebe zwischen Männern der damaligen Zeit beschreiben. Im vorliegenden Werk wird dieses im modernen China immer noch tabuisierte Thema umfassend behandelt. Ein herausragendes Merkmal dieses Buches ist, dass der Autor nicht die weit verbreiteten Vorurteile hinsichtlich des täglichen Lebens und der Kultur des antiken Chinas hervorhebt, und somit der Ansicht, dass sich zu der damaligen Zeit alles nur um die Familie und den Clan gedreht habe, ein Absage erteilt. Dies steht in Kontrast zu einem an amerikanischen Universitäten weit verbreiteten Werk zum Thema chinesische Geschichte: „China, seine Geschichte und Kultur von W. Scott Morton“1. Im Werk Mortons wird dem Leser der Eindruck vermittelt, dass das China der Antike eine vollkommen homogene, heterosexuell ausgerichtete Gesellschaft gewesen sei. In seinem Buch „Passion of the Cut Sleeve“ führt Hinsch an, dass dies nicht der Fall war, vor allem auch nicht was Toleranz gegenüber Homosexualität betraf. Hinsch beschreibt in seinem Buch, dass in einer der ersten Zusammenfassungen (Kompendium) dichterischer Anthologien, dem Buch der Lieder aus der Zhou-Dynastie (1122-256 v. Chr.), mehrere Gedichte erwähnt sind, in denen die Liebe bzw. eine starke emotionale Verbindung zwischen zwei Männern beschrieben wird. Hinsch lässt dabei nicht unerwähnt, dass die Sprache und Ausdrucksweise in den chinesischen Werken der damaligen Zeit in der Regel nicht geschlechtsspezifisch einzuordnen war, und es daher durchaus möglich sei, dass sich Dichter auf Beziehungen zwischen Männern oder Frauen bezogen haben könnten. Es legt aber auch einige Beweise vor, dass viele Literaten späterer Dynastien ihre Leser bewusst darauf hinwiesen, dass sich diese frühen Autoren in ihren Werken durchaus auf Männer bezogen. 1 William Scott Morgan, China: Its History and Culture, Lippincott & Crowell Publications, 1995 4 In einer Geschichte aus der Zhou-Zeit2 wird erwähnt, dass die Liebe zweier Männer so stark war, dass sie nach ihrem Tod nebeneinander beerdigt wurden. In der Geschichte wird beschrieben, dass auf einem Hügel neben den beiden Gräbern plötzlich zwei Bäume zu wachsen begannen und ihre Zweige sich so stark ineinander verwuchsen, dass man den Eindruck haben konnte, dass sie sich umarmten. Diese Allegorie wurde über Jahrhunderte von Generation zu Generation als die Geschichte vom „Baum, der sich das Kissen teilte” weitergegeben und wurde als eine Geschichte verstanden, welche die Liebe zwischen zwei Männern „verklärte“. Obwohl in dieser Geschichte der Begriff Homosexualität nie erwähnt wird, existieren doch Hinweise in diesem Text, wie beispielsweise „Sie waren sich zugeneigt wie Mann und Frau”. Hinsch geht davon aus, dass diese Männer eine sexuelle und emotionale Beziehung miteinander hatten, die so stark war, dass sie sogar den Tod überdauerte. In einer anderen Geschichte wird die Homosexualität der Zhou-Zeit noch wesentlich anrührender erzählt. Die Rede ist hier von der Beziehung des Herzog von Ling von Wei (534 – 439 v. Chr.), die in dem historischen Werk Han Fei Zi3 beschrieben wird. In dieser Geschichte wird erzählt, wie der Günstling des Herzogs, Mizi Xia, zusammen mit dem Herrscher einen Spaziergang unternahm. Bei ihrem Spaziergang kamen die beiden zu einem Pfirsichbaum. Mizi Xia und der Herzog griffen sich Pfirsiche von diesem Baum und begannen sie zu essen. Mizi Xia bemerkte, dass sein Pfirsich wesentlich saftiger war, als der Pfirsich des Herzogs. Mizi Xia aß seinen Pfirsich nicht weiter, sondern gab den Rest des Pfirsichs seinem Herrn. Im historischen Text wird der Herzog mit den Worten zitiert: „Wie tief doch deine Liebe für mich ist. Du kümmerst dich nicht um deinen Hunger und denkst nur daran, mir die besten Dinge zu essen zu geben.“ Hinsch unterstreicht, dass dieser Ausdruck wahrer Liebe, als „Halbgegessener Pfirsich“ bezeichnet, und als Begriff über viele Generationen weitergegeben wurde und auch heute noch in der Literatur als ein dezenter Hinweis auf Homosexualität verwendet wird. 2 Lin Zaiqing, Chengzhai Zaiji - Ursprünglich aus Weixingshi Guanzhaizhu, Zhongguo Tongxinglian Mishi , 1:30. 3 Erwähnt in Han F ei Shuo Nan, Shuo Yuan von Liu Xiang und in Duanxiu Pian von Wuxia Ameng. Auch zitiert in Van Guliks Sexual Life in Ancient China , S. 63. Des Weiteren in Xiangyan Congshu (Collective Writings on Fragrant Elegance) Shanghai, 1909-1911. 5 Als einen weiteren Beweis dafür, wie stark der Einfluss der Homosexualität auf das tägliche Leben im damaligen China war, nennt Hinsch eine Episode aus der Zeit der Zhou-Dynastie4. Es gab einen Zeitraum, in dem sich der kaiserliche Hof in einer tiefen Krise befand, da viele Posten am Hof und in der Regierung mit Männern besetzt wurden, die sich nur dadurch hervortaten, dass sie besonders attraktiv waren, aber vollkommen inkompetent in den ihnen zugeschanzten Posten. Der Autor weist auf mehrere Literaten der damaligen Zeit hin, die sich gezwungen sahen scharfe Kritik an dieser Einstellungspraxis zu üben, nämlich Männer einzustellen, die nur aufgrund äußerlicher Vorzüge Posten erhielten. Diese Praxis existierte offensichtlich über viele Dynastien hinweg. Von einem Schreiber der Han-Zeit wird in „Intrigen aus der Zeit der streitenden Reiche“5 erwähnt, dass ein hübscher Junge einen alten Kopf in den Ruin treiben könne. Hinsch erwähnt des Weiteren, dass es genügend Beweise gäbe, die verdeutlichen, dass Homosexualität zu der Zeit, als im Jahr 206 v. Chr. die Zhou- durch die Han-Dynastie abgelöst wurde, am kaiserlichen Hof als eine akzeptierte sexuelle Variante betrachtet wurde. Er weist darauf hin, dass ab dieser Zeit Literaten, um die „engvertrauten“ männlichen Freunde des Herrschers zu beschreiben, immer häufiger das Wort „Favorit“ zu verwenden begannen, wahrscheinlich als ein Euphemismus für homosexuelle Liebhaber. Die so genannten Favoriten stiegen meist weit auf der Karriereleiter am Hof hoch und genossen umfangreiche Privilegien, die von ihrer außergewöhnlich intimen Beziehung mit dem Kaiser herrührten. Hinsch spekuliert, dass Homosexualität weit verbreitet gewesen sein muss und daher in den Schriften der zeitgenössischen Literaten nur Erwähnung fand, wenn eine homosexuelle Beziehung von bedeutendem historischem Einfluss war. Hinsch führt weiter aus, dass besonders die Literaten der Han-Zeit, ein Bild der Offenheit gegenüber der gleichgeschlechtlichen Tradition zeichneten. Hinsch erwähnt dabei besonders die berühmte Geschichte von Kaiser Ai und seinem Favoriten, Dong Xian. In 4 5 Crump, Zhan Guo Ce, S. 62 Xun Xi, Buch Zhou (Ji Zhong Zhou Shu) 6 der Einleitung zu dieser Geschichte weist Hinsch darauf hin, dass der Kaiser von vielen Literaten der damaligen Zeit als jemand beschrieben wurde, der kein Interesse an Frauen hatte. Um die chinesische Haltung der damaligen Zeit zur Homosexualität zu verdeutlichen, stellt der Autor kurze Passagen aus mehreren klassischen Werken vor, in denen die Liebe des Kaisers zu seinem angehimmelten Dong Xian beschrieben wird. Eines Tages, schlief der Kaiser während des Tages und Dong Xian lag mit einem Teil seines Körpers auf dem Ärmel des Kaisers. Als der Kaiser aufstehen wollte, schlief Dong Xian immer noch. Da der Kaiser Dong Xian nicht stören wollte, schnitt der Kaiser den Ärmel seines Gewands ab und stand auf. Seine Liebe und Zuneigung kannten keine Grenzen! Hinsch erklärt, dass der rasante Aufstieg von Dong Xian, fast bis zum höchsten Amt im Reich, ein klarer Beweis dafür ist, dass im damaligen China Homosexualität kein Hindernis beim Aufstieg in der Gesellschaft darstellte. Er glaubt nicht nur, dass Homosexualität durchaus akzeptiert war, sondern dass sie sogar die Grundlage der Oberschicht bildete. In „Passions of the Cut Sleeve” wird dokumentiert, dass auch in der späteren chinesischen Literatur ein Vielzahl von Referenzen zum halbgegessenen Pfirsich und dem abgeschnittenen Ärmel zu finden sind, womit starke Zuneigung zwischen Männern beschrieben wird - also homosexuelle Liebe. Der Autor weist darauf hin, dass alle Kaiser über die Jahrhunderte hinweg ihre persönlichen Favoriten hatten, und bezieht sich unter anderem auch auf die vielen belegten homosexuellen Affären der Kaiser der Ming-Dynastie Wuzong (1506-1522), Shenzong (1573-1620) und Xizong (1621-1628). Das gesamt Werk hindurch legt der Autor umfangreiche Beweise für die vielen Aspekte homosexuellen Lebens, von der Han- bis zur Ming-Zeit (1368-1644) vor. Er führt aus, dass über die Jahrhunderte ein umfangreiches Vokabular entstand, um die Beziehungen zwischen Menschen des gleichen Geschlechts zu beschreiben. Beispiel hierfür sind: männlicher Wind („Nan Feng“, „Freund des abgeschnittenen Ärmels (Duan Xiu)“, 7 „Halbgegessener Pfirsich“ und „Miteinander verkettete Jadescheiben“. Hinsch schreibt auch, dass erst ab der letzten kaiserlichen Dynastie, der Qing-Dynastie (1644-1912), negative Begriffe für Homosexualität ihren Weg in die chinesische Literatur fanden. Der Autor stellt die These auf, dass Homosexualität während der chinesischen Kaiserzeit gegenüber der Heterosexualität mehrere Vorteile besaß. Arrangierte Ehen waren damals die Regel. Sie dienten in erster Linie der Verbindung zweier Haushalte (die zu verheirateten Personen wurden in der Regel nicht einmal nach ihrer Einwilligung gefragt). Der Autor ist daher der Ansicht, dass viele der verheirateten Paare dann in ihrer Ehre feststellen mussten, dass sie sexuell nicht kompatibel waren. Hinsch meint, da Homosexualität nicht als Schande empfunden wurde und gleichzeitig nicht die Gefahr bestand schwanger zu werden, diese Form von Sexualität für viele als eine attraktive Option für sexuelle Beziehungen außerhalb der Ehe gegolten haben muss. Der Autor betont, dass sexuelle Beziehungen zwischen einer Ehefrau und einem Mann, der nicht ihr Ehemann war, aufgrund der strengen Moralgesetze, die für Frauen der damaligen Zeit galten, ausgeschlossen waren. Im Gegensatz dazu konnten Ehemänner problemlos Liebesbeziehungen mit anderen Männern unterhalten, sozusagen, um sich geistige und sexuelle Wünsche und Bedürfnisse außerhalb der Ehe zu erfüllen. Laut Hinsch war in der Oberschicht nicht nur die Wahl des richtigen Favoriten von großer Bedeutung. Da es zur damaligen Zeit keine verlässliche Empfängnisverhütung gab, bot sich homosexueller Sex als Ersatz für außerehelichen Sex an, da man sich bei dieser Form der Sexualität keine Gedanken um eine mögliche Empfängnis machen musste. Der Autor erinnert den Leser daran, dass unverheiratete Mütter, in einer Gesellschaft, die großen Wert auf Abstammung und den Ahnenkult legte, der Gefahr der Ausgrenzung und Verdammung ausgeliefert waren. Auch das Kind, das einer solchen außerehelichen Beziehung entstammte, lief Gefahr als „Bastard” sein Leben zu verbringen zu müssen. H erausforderungen 8 Je mehr ich mich in die Übersetzung vertiefte, merkte ich, dass mir durch das Ausgangsmaterial einige Stolpersteine in den Weg gelegt wurden. Das größte Problem bestand darin, dass der Autor viele der in seinem Werk verwendeten Gedichte selbst übersetzt hatte, oder angab, Sie übersetzt zu haben. Wie sich während der Recherche zu der Arbeit herausstellte, waren viele der vom Autor verwendeten Übersetzungen bereits vorher von anderen Autoren übersetzt und die von Hinsch angefertigten Übersetzungen orientieren sich entweder sehr stark an diesen Übersetzungen oder wurden in kaum abgeänderter Form übernommen. Es lagen auch oft keine allgemein anerkannten, „offiziellen“ oder üblichen Übersetzungen der Gedichte und Geschichten vor. So wusste ich nicht, ob ich die vom Autor übernommenen Übersetzungen wiederum ins Deutsche übersetzen sollte, oder ob ich mir zunächst die Originale besorgen sollte. Bei meiner Recherche musste ich jedoch leider feststellen, dass viele dieser Gedichte und Geschichten nur sehr schwer zu finden sind; die meisten mir zugänglichen Bibliotheken verfügten nicht über die benötigten Werke. Manche der vom Autor von anderen Autoren übernommenen Gedichte entstammen aus Werken, die vergriffen Je mehr ich mich in die Übersetzung vertiefte, und auf immer mehr bereits übersetzte Versionen der verwandten Gedichte und Geschichten stieß, desto frustrierender wurde die Recherche. Es wurde bald klar, dass die von mir ursprünglich angedachte Idee, selbst aus dem chinesischen Original die in Hinschs Buch zitierten Gedichte und Geschichten zu übersetzen, den Rahmen dieser Arbeit sprengen würden. Ich entschloss mich daher die von Hinsch verwendeten Übersetzungen zu verwenden und nur anhand eines Beispiels die unterschiedlichen Übersetzungsansätze anderer Autoren aufzuzeigen und abschließend mit meiner „neuen“ Übersetzung zu vergleichen. Ein Gedicht für das mehrere übersetzte englische Versionen vorliegen, ist das zwölfte Gedicht aus der Reihe „Gedichte von unseren Herzen“ ( Poems from our Heart/詠怀诗) von Ruan Ji/阮籍 (210 – 263 n. Chr.) aus der Reihe „Neue Lieder von den Jadeterassen“ (Songs from a Jade Terrace/玉臺新詠) 9 Chinesisches Original: 昔日繁華子 安陵與龍陽 夭夭桃李花 灼灼有輝光 悅懌若九春 磬折似秋霜 流眄發媚姿 言笑吐芬芳 擕手等歡愛 宿昔同衾裳 願為雙飛鳥 比翼共翱翔 丹青著名誓 永世不相忘 Übersetzung von Ann Birrell (New Songs from a Jade Terrace) 1982 In olden times the gay boys, Anling and Lunyang, Fresh, fresh blossom of peach and plum, Glowing, glowing with a brilliant sheen, Happy as nine springs, Pliant as if bold by autumn frost. Melting glances soften pretty faces, Words and laughter release their scent. Holding hands they share love's rapture, Spend nights sharing a fitted quilt. 10 I long to be birds flying double, Wing to wing I'll both soar and glide. Cinnabar and green paint inscribe their clear vow: "To eternity I'll never forget you!" Übersetzung von Bret Hinsch in Passion of the Cut Sleeve: In days of old there were many blossom boys An Ling and Long Yang. Young peach and plum blossoms, Dazzling with glorious brightness. Joyful as nine springtimes; Pliant as if bold by autumn frost. Roving glances gave rise to beautiful seductions; Speech and laughter expelled fragrance. Hand in hand they shared love's rapture, Sharing coverlet and bedclothes. Couples of birds in flight, Paired wings soaring. Cinnabar and green pigments record a vow: "I'll never forget you for all eternity." Noch eine andere Version von Ronald Suleski Ph.D., Boston 2002 11 In olden days were many handsome youths like An Ling and Long Yang. Young peach and plum blossoms, Dazzling and radiant. They were as joyful as nine spring times And lithe as branches bent under the autumn frost. Roving glances led to beautiful seductions, Speech and laughter were filled with fragrance. Partners clasping each other would welcome love Together under the covers and blankets. They were as two birds in flight, Their paired wings soaring, Using cinnabar ink they’d write their vows, “I’ll never forget you. Ursprüngliche deutsch Übersetzung von Lutz Niederer, basierend auf Bret Hinschs Übersetzung aus dem Chinesischen: In früheren Zeiten gab es viele „Blütenjungs”An Ling und Long Yang. Junge Pfirsich- und Pflaumenblüten, Sie strahlten eine wunderbare Helligkeit aus. 12 So voller Freude, wie neun Frühlinge, Leicht gebeugt, als ob Herbstfrost sich auf sie gelegt hat. Ein Auge riskierend, schließlich in einer wunderbaren Verführung endend, Reden und Lachen strömten Wohlgeruch aus. Hand in Hand teilten sie die Verzückung ihrer Liebe, Teilten Decken und Laken. Vogelpaare fliegen, ihre Flügel vereint im Emporsteigen. Zinnober und grüne Blätter (Pigmente) werden Zeugen eines Schwures: „Ich werde dich nie vergessen, bis an das Ende aller Tage”. Nach Lesen des chinesischen Originals und Heranziehen mehrerer vorliegender Übersetzungen, sowie ausgiebigen Diskussionen mit chinesischen Muttersprachlern (einige davon mit Übersetzungshintergrund) meine überarbeitete Übersetzung: In alter Zeit lebten hübsche Jungs Anling und Longyang waren die Namen Frische junge Blüten von Pfirsich und Pflaume Das Anlitz strahlenden, glühenden Glanz verströmend Voller Glück und Freude wie der Frühling Gehorsam und geschmeidig wie biegsame Äste Mit ihren eleganten Blicken umgarnten sie Ihr Lachen und Reden war von betörendem Duft 13 Hand in Hand in Liebe verbunden Teilten sich Decken und Gewänder Verzehrten sich danach wie zwei Vögel zu fliegen Flügel an Flügel miteinander gleitend In Tinte bezeugt wurde der Schwur Bis an das Ende aller Tage – Ich gehöre Dir Darüber hinaus existiert noch eine weitere übersetze Version des Autors 小明雄 (Xiao Mingxiong), vom chinesischen ins englische, in seinem Werk (History of Homosexuality in China/中国同性爱史录) Hong Kong 1984. Ich stieß bei meinen Recherchen immer wieder auf Verweise auf diese Version, konnte jedoch leider keine Übersetzung ausfindig machen. Mehrere Versuche, den Autor direkt zu kontaktieren, scheiterten. W as hat mich zur Ä nderung der Übersetzung bewogen? Beim Vergleich aller Übersetzungen, vor allem derer von Ann Birrell und von Bret Hinsch selbst, stellte ich fest, dass sich beide Übersetzer in ihrer Übersetzung von vermeintlich klaren Aussagen im Originaltext haben „hinreißen“ lassen, diese ohne Hinterfragen der Subtilität und Mehrdeutigkeit des klassischen Chinesisch ins Englische zu übertragen. Vor dem Hintergrund meiner Recherche, die alleine für dieses kurze Gedicht unzählige Stunden verschlang, kann ich ihnen das nicht einmal übel nehmen. Klassische chinesische Werke zeichnen sich dadurch aus, dass Vieles nur angedeutet wird, unausgesprochen bleibt, Bezug genommen wird auf andere klassische Werke oder Figuren der chinesischen Geschichte etc. Bei dem vorliegenden Gedicht könnte ein uninformierter Leser beispielsweise zu dem Eindruck gelangen, dass es sich bei den beiden Personen Anling und Longyang um ein 14 Paar handelt, das zur gleichen Zeit lebte, wobei Anling ca. 100 Jahre vor Longyang gelebt hatte und sie beide die Liebhaber zweier unterschiedlicher Kaiser/Könige waren. Ich möchte hier nur drei Beispiele angeben, bei denen ich meine, dass sowohl Ann Birrell als auch Bret Hinsch und teilweise Ronald Suleski zu wörtlich übersetzt haben. 九春 (jiu chun) Wörtlich übersetzt bedeutet 九春 wirklich neun Frühlinge (九 neun und 春 Frühling). Es liegt also auf der Hand, dies als „Happy as nine springs“ (Ann Birrell) oder als „Joyful as nine springtimes“ (Bret Hinsch) zu übersetzen. Das ergibt Sinn, da man damit zum Ausdruck bringen möchte, dass die Freude oder das Glück dem von neun Frühlingen entsprach, wenn man den Frühling als eine frohe, neues Leben bildenden Abschnitt des Jahres und Zeit des Gedeihens und Sprießens versteht. Bei meiner Nachforschung habe ich aber heraus gefunden, dass im chinesischen Altertum die drei Frühlingsmonate in 90 Tage eingeteilt waren und für einen Abschnitt von 10 Tagen der Begriff „春“, was heute im modernen Chinesisch nur noch als Frühling übersetzt wird, verwendet wurde. Neun „ 春“ ergeben als einfach nur einen Frühling. Nicht eine Schwalbe macht den Frühling, sondern neun 春. 丹青(danqing) Hier fällt auf, dass alle drei Übersetzer ins Englische sich auf den Begriff „Cinnabar“ verwendet haben, was im Deutschen als Cinnabarit oder auch als Zinnober übersetzt wird. Bei Cinnabarit handelt es sich um ein Mineral, das schon in sehr früher Zeit in China Tinte beigefügt wurde, um das Geschriebene oder Gemalte haltbarer zu machen und für die Nachwelt zu erhalten. Insofern, als dass es sich hier um einen Liebesschwur handelt, bietet sich diese Interpretation an. Das Problem dabei ist, dass 15 丹青 in den meisten Wörterbüchern nur als eine Farbmischung von rot und grün angegeben wird. Andere Nachschlagewerke wiederum sprechen in einer Nebenbedeutung von „Historischen Aufzeichnungen", ja sogar von "Geschichte". Das eigentliche Wort für "Cinnabar" oder „Zinnober“ ist jedoch 丹铅 (danqian) oder 丹砂 (dansha). Mir ist nicht klar, wieso sich alle drei Autoren hier für Zinnober entschieden haben. Ich habe mich in meiner revidierten Übersetzung entschlossen neutral zu bleiben und einfach den Begriff "Tinte" zu verwenden, da Tinte, in der Farbe „danqing“ ein auch heute noch übliche Tinte ist, die für Unterschriften und offizielle Dokumente verwendet wird. Ich war der Meinung, auch nach Rücksprache mit mehreren chinesischen Muttersprachlern, dass die Farbe für die Wichtigkeit des Schwurs letztendlich keine Rolle spielte und habe mich daher bewusst von allen drei anderen Übersetzern abgesetzt. 秋霜 (qiushuang) 秋霜 bedeutet wörtlich „Winterfrost“ oder „Winterreif“. Und wenn man diesen Begriff neben dem Wort „Frühling“ in der Zeile davor liest, dann bietet sich einem die wörtliche Übersetzung der beiden Gegensätze an. Es geht jedoch hier nicht hauptsächlich um den Winter und den Frost, sondern um die Biegsamkeit von Ästen, wie sie sich „verbeugen“. Wenn man dann noch weiß, dass sich die beiden ersten Zeichen des Satzes 磬折 (qingzhe) nicht nur mit geknickt oder umgeknickt, sondern auch als Symbol von ehrfürchtig und respektvoll übersetzen lassen, dann ergibt die wörtliche Übersetzung mit Anspielung auf Winter und Frost keinen Sinn. Es geht hier viel mehr darum, gerade auch im Gegensatz zum vorhergehenden Satz (voller Glück und Freude, wie der Frühling), dass sich beide Liebhaber ihren „Herren“ gegenüber durch Freude und Frohsinn auszeichneten, andererseits Ihnen aber auch Respekt und Hochachtung entgegenbrachten, wie es in der sehr klassen- und standesbewussten chinesischen Gesellschaft erwartet wurde. Zugegebenermaßen ist die Übersetzung von 磬折 (qingzhe) nicht einfach, da 磬 (qing) die Bezeichnung für ein bestimmtes Amulett ist und nur das Zeichen 折 (zhe) beugen, nach vorne beugen, bedeutet. Es bedurfte 5 Wörterbücher und Gesprächen mit zwei Muttersprachlern um die klassische, übertragene Bedeutung des Wortes zu 16 entschlüsseln. Die wörtliche Verwendung der Übersetzung von Ann Birrell durch Bret Hinsch (pliant as if bold by autumn frost) deutet für mich darauf hin, dass er an dieser Stelle kapitulierte und einfach eine bereits vorliegende Version übernahm. Von allen drei englischen Übersetzungen ist die von Ronald Suleski meines Erachtens am gelungensten, auch wenn er auf den Bezug zu Winter und Frost nicht verzichtet. 17 Übersetzung der ersten drei K apitel von „Passions of the Cut Sleeve“ Pfirsiche, Plüschkissen und Politik Z hou-Dynastie (1122 bis 256 v. C hr.) Mit den Ursprüngen der homosexuellen Tradition Chinas verhält es sich wie mit so vielen anderen Aspekten der chinesischen Kultur; sie wurzeln im Verborgenen und Unergründlichen des chinesischen Altertums. In der Mythologie finden wir eine ästhetisch ansprechende, aber faktisch unzuverlässige Begründung für die Entstehung der Homosexualität. Seit altersher beschrieben Gelehrte, auf der Suche nach einer bequemen „Ätiologie”, die Gegenwart und verfolgten sie dann zurück in die Epoche des „Gelben Kaisers“ (Huang Di), der Quelle chinesischer Kultur6. Diese Praxis bedeutete die wahren Ursprünge eines Phänomens zu verleugnen. Es scheint daher beinahe unvermeidlich, dass ein traditionalistischer Gelehrter der späten kaiserlichen Epoche sich auf diesen alten „kulturellen” Helden bezog, indem er schrieb, dass das Phänomen der „hübschen Jungen” mit dem Gelben Kaiser seinen Anfang nahm.7 Unsere historische Untersuchung liefert ein nüchterneres Bild. Sie setzt an bei der ZhouDynastie (1122 bis 256 v. Chr.), einer Zeit, zu der die Homosexualität schon recht verbreitet gewesen zu sein scheint. Da es hinsichtlich der Homosexualität so gut wie keine archäologischen Funde gibt, die als Beweis dienen könnten, müssen wir uns vollkommen auf schriftliche Dokumente verlassen. Sich auf frühe Texte zu verlassen birgt potenzielle Probleme, deren wir uns von Beginn an bewusst sein sollten. Zusätzlich zu offensichtlichen interpretativen Fragen wie Textkorruption und Hermeneutik besteht bei den meisten Texten das Problem, dass sie ein verzerrtes Bild der Gesellschaft des 6 Siehe das Beispiel Zou Yan in Wing-tsit Chans, A Sourcebook in Chinese Philosophy (Princeton, 1963), S. 247. 7 Xiaomingxiong, Zhongguo tongxingai shilu (History of homosexuality in China) (Hong Kong, 1984, S.19. 18 Altertums bieten. Da eine zahlenmäßig kleine Elite über diese frühe Literatur Kontrolle ausübte, wird in der Regel nur das Leben der obersten Gesellschaftsschichten beschrieben. Da das Hauptaugenmerk historischer Berichte meist auf dem Leben am Hof lag, bestimmten politische Interessen den Inhalt und die Darstellung der Berichte. Dadurch war der Rahmen der historischen Literatur eng abgesteckt. Der verzaubernde Glanz des höfischen Lebens blendet daher sowohl den Blick der historischen Autoren wie auch unseren, und verstellt uns den Blick auf den Alltag des Durchschnittsbürgers der damaligen Zeit. Das „Buch der Lieder” (Shi-jing), Chinas älteste erhaltene Gedichtanthologie, stellt eine wertvolle Ausnahme dar, da in diesem Werk das Leben außerhalb des Hofes beschrieben wird. Der Inhalt stammt vermeintlich überwiegend aus populären Liedern und Gedichten. Viele der Verse verfügen jedoch über eine Geschichte, die weit in die Vergangenheit zurückreicht, weit vor die Zeit ihrer Kompilation im siebten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Im Gegensatz zu den gestelzten und hochstilisierten Versen vieler höfische Dichter, kommen in den Gedichten dieser Anthologie die Interessen und Sorgen des durchschnittlichen Bauern und Soldaten zum Ausdruck, wie die Gefahr einer drohenden Hungersnot, die Verwüstungen des Krieges und, was für uns von Bedeutung ist, die Höhen und Tiefen der Liebe. Die Tatsache, dass Substantive und Pronomen im klassischen Chinesisch nicht eindeutig einem Geschlecht zugeordnet werden können, erschwert die Suche nach frühen Gedichten mit homosexuellem Inhalt. So bezieht sich der häufig verwendete Begriff „hübsche Person” (Mei Ren) in der Regel auf eine Frau. Der namhafte Literat Zhao Yi aus der Qing-Dynastie weist jedoch darauf hin, dass sich dieser Begriff in vielen frühen Texten auf gutaussehende Männer bezieht8. Aufmerksame Gelehrte, wie z.B. Hans 8 Zhao Yi, Gai yu cong kao (Ausgabe von 1790), 43:5B-6A. Zhao Yi stellt hier fest: „Unter Männern gibt es solche, die „Hübsche Personen“ (Mei Ren) genannt werden“. Er zitiert dann mehrere Beispiele aus alten Texten, um diese Behauptung zu untermauern. 19 Frankel weisen auf diese Mehrdeutigkeit in ihren Übersetzungen des „Buchs der Lieder” hin. Ein Beispiel dafür ist: Da ist eine hübsche Person Klar, strahlend und gutaussehend Unerwartet treffen wir aufeinander Mein Verlangen erweckend9 Obwohl Frankel „mein rein” als „schöne Frau” übersetzt, macht er sich die Mühe, darauf hinzuweisen, dass der Terminus hier auch „gutaussehender Kerl” bedeuten könnte. Die knappe Ungenauigkeit des Gedichtes lässt Raum für mehrere mögliche Interpretationen. Ein Mann trifft auf eine Frau, eine Frau trifft auf einen Mann, oder handelt es sich um das Zusammentreffen zweier Menschen desselben Geschlechts?10 Diese sprachliche Mehrdeutigkeit macht es unmöglich, viele potenzielle Hinweise auf homosexuelle Liebe in China aus dem dominierenden heterosexuellen Kontext herauszulösen. Dieses Problem gilt für alle chinesischen Gedichte. In anderen Gedichte aus dem „Buch der Lieder” werden starke emotionale Beziehungen zwischen Männern noch deutlicher dargestellt. So wird z.B. in einem Abschnitt die gegenseitige Bewunderung zweier athletischer Adelsmänner dargestellt. Wie schön er doch war! Ja, er traf mich in den Bergen von Nah. Unsere Streitwagen, Seit an Seit jagten wir zwei Eber. Er beugte sich zu mir und sagte ich sei sehr flink. Wie stark er doch war! Ja, er traf mich auf der Straße bei Nah. 9 Shi Jing, Gedicht Nummer 94, in Hans H. Frankels, The F lowering Plum and the Palace Lady: Interpretation of Chinese Poetry (New Haven, 1976), S. 52-53 10 Shi Jing, Gedichte Nummer 31, 56, 57, 61, 68, 84, 86, 87 und 116 in der Übersetzung von Waley stellen nur einige Beispiele für eine mögliche Interpretation sowohl heterosexueller oder auch homosexueller Beziehungen dar. 20 Seit an Seit jagten wir zwei Hirsche. Er beugte sich zu mir und sagte „wohl getan”.11 Wie herrlich er doch war! Ja, wir trafen uns an den südlichen Hängen von Nah. Seit an Seit jagten wir zwei Wölfe. Er beugte sich zu mir und sagte „das war gut”. In einem ähnlichen Gedicht kommt die intime Kameradschaft zwischen zwei virilen Kriegern zum Ausdruck. Wie kannst Du nur sagen Du hättest keine Kleidung? Ich teile meine mit Dir, Der König stellt seine Armee auf, wir ordnen unsere Streitäxte und unsere Mao- Lanzen, Deine Feinde sind auch die meinen. Wie kannst Du nur sagen Du hättest keine Kleidung? Ich teile meine Hosen mit Dir, Der König stellt seine Armee auf, wir ordnen unsere Ma- und Ji- Lanzen, Zusammen mit Dir schreite ich voran. Wie kannst Du nur sagen Du hättest keine Kleidung? Ich teile meine Röcke mit Dir, Der König stellt seine Armee auf, wir ordnen unsere Mäntel und scharfen Waffen, Zusammen mit Dir werde ich marschieren.12 11 Artur Waley, Übersetzung, The Book of Songs (New York, 1937), S. 292, Nr. 265 Bernhard Karlgren, Übersetzung, The Book of Odes: Chinese Text, Transcription, and Translation (Stockholm, 1950), S. 86, Nr. 133. Ich habe die von Karlgren verwendete Großschreibung und Romanisierung (Anmerkung des Übersetzers: Transliteration der chinesischen Schriftzeichen) leicht verändert. 12 21 Anhand dieser und vieler anderer Gedichte der Sammlung lässt sich erkennen, dass in der Gesellschaft der frühen Zhou-Zeit öffentlich zur Schau gestellte Zugneigung zwischen Männern gutgeheißen wurde. Eine solche Atmosphäre, in der es die gesellschaftlichen Konventionen erlaubten, dass sich Männer gegenseitig offen, ja überschwänglich und ungeniert bewunderten durften, war dem pan-sexuellen Ethos der königlichen Höfe der Zhou- und Han-Dynastie sicherlich äußerst zuträglich. Die sexuellen Konventionen der oberen Gesellschaftsschichten des alten Chinas scheinen nichts gemein zu haben mit den täglichen Bräuchen der Landbevölkerung. Gemäß der sexuellen Etikette an den Höfen der Zhe wurde von den oberen Rängen erwartet, dass sie einer rigideren sexuellen Ethik zu folgen hatten, als es die recht pragmatischen, landesüblichen Bräuche forderten. Hochzeitszeremonien kamen in diesem Kontext eine größere Bedeutung zu. Für den Adel spielte die Blutsverwandtschaft bei der Weitergabe vererbbarer Privilegien eine zentrale Rolle. Für die „besiegte” bzw. die eroberte Landbevölkerung, wie auch für die wachsende städtische Klasse, hing jegliche politische Einflussnahme vom Erhalt der auf blutsverwandtschaftlichen Traditionen beruhenden Herrschaft der Klans (Sippen) ab.13 Heterosexualität ermöglichte daher den Zugang zum dicht gewobenen sozialen und politischen Netz, das die chinesische Gesellschaft des Altertums zusammenhielt. Außerhalb der Ehe und des patriarchalen Erbrechts war das allgemeine sexuelle Ethos jedoch recht undefiniert. Sowohl Homosexualität als auch außerehelicher heterosexueller Sex waren in der Gesellschaft der Zhou-Zeit akzeptiert. Unsere Informationen zur Homosexualität der Zhou-Zeit entstammen ausschließlich Quellen der oberen Klassen, in denen die Ehe dem blutsverwandtschaftlichen Wohl untergeordnet war. Die Ehe wurde als die Vereinigung zweier Gruppen unterschiedlicher Herkunft verstanden und nicht als eine romantische Beziehung zwischen zwei Individuen. In einer Ehe, in der die Romantik keine Rolle spielte, war es dem Ehegatten frei gestellt, außerhalb der Ehe nach romantischer Liebe und befriedigendem Sex zu suchen. Selbst aus der Frühzeit gibt es Belege für Männer, die neben einer heterosexuellen Ehe eine 13 [Du Zhengsheng] Tu Cheng-sheng, Zhoudai chengbang (Zhou-dynasty city states) (Taipei, 1979) S. 5559 und mehreren weiteren Stellen im Text. 22 romantische homosexuelle Beziehung aufrechterhielten, ohne dies als widersprüchlich zu empfinden. Da diese sexuelle Dichotomie zwischen Pflicht und Lust der blutsverwandtschaftlichen Tradition entstammte, sollte dieses gesellschaftliche Phänomen so lange weiter existieren, wie Blutsverwandtschaft als Grundlage für die sozialen Strukturen diente. In den meisten Gesellschaften, einhergehend mit der Entwicklung komplexerer Wirtschaftssysteme, werden soziale Strukturen nach und nach auf der Berufsebene und über die sozialen Klassen neugeordnet, und weniger über verwandtschaftliche Beziehungen. In China ist jedoch bis zum heutigen Tag die blutsverwandtschaftliche Beziehung die elementare soziale Kraft geblieben. Eine Gesellschaft, die anhand von blutsverwandtschaftlichen Strukturen organisiert ist, bringt die manchmal problematische Kombination von heterosexueller Ehe und homosexuellen romantischen Beziehungen mit sich. Diese Gesellschaftsstruktur verhinderte und verhindert noch immer das Herausreifen einer von der Ehe unabhängigen homosexuellen Lebensweise, ganz im Gegensatz zur Entwicklung im heutigen Westen. Politische Faktoren haben auch Einfluss auf die soziale Organisation. Der politische Aufbau der Zhou-Dynastie zeichnete sich durch eine allmählich abnehmende Rolle der Bedeutung der Zentralmacht und einer parallel dazu stattfindenden entsprechenden Zunahme der Autonomie des örtlichen Adels aus. In der zweiten Hälfte der ZhouDynastie hatte sich der Zhou-Monarch zu einer reinen Symbolfigur entwickelt, während mächtige regionale Herrscher nach Hegemonie über das von chinesischer Kultur beeinflusste Gebiet trachteten. Die politischen und militärischen Verwerfungen, die mit dieser kontinuierlich stattfindenden Veränderung der Machtstrukturen einhergingen, brachen die bestehende soziale Ordnung auf und führten dazu, dass „Bürgerliche” eine immer größere Rolle am Hof spielten.14 Der Bedarf der untereinander konkurrierenden Staaten an Philosophen, Militärstrategen und Künstlern führte dazu, dass der soziale Status dieser Berufsgruppen an Bedeutung gewann. 14 Die dramatischen Umbrüche bezüglich der sozialen Muster, die mit dem Chaos der Frühlings- und Herbstepoche sowie der Zeit der streitenden Reiche einhergingen, werden von Cho-yun Hsu in dem Werk „Ancient China in Transition: An Analysis of Social Mobility, 722—222 B.C. “ Stanford, 1965) beschrieben. 23 Es scheint, dass die Auflösung der sozialen Strukturen einer anderen Gruppe ebenfalls Vorteile verschaffte. Jeder Mann, dem es gelang die sexuelle Gunst seines Herren zu gewinnen, hatte die Chance seine Macht und Privilegien ganz entscheidend auszubauen. Obwohl Homosexualität an den Königshöfen bereits in früheren Zeiten existiert haben mag (wofür uns leider nur sehr fragmentarische Beweise vorliegen), haben doch die Höflinge und ihre aristokratischen Liebhaber aus der Periode der östlichen Zhou-Dynastie als die ersten eindeutig zu identifizierenden „praktizierenden Homosexuellen” Chinas zu gelten. Sie etablierten ein klassenorientiertes Muster männlicher Homosexualität, das bis zum Untergang des kaiserlichen Chinas Bestand hatte. Es bietet sich an, die Geschichte der Homosexualität der Zhou-Zeit mit einer Beschreibung der unbeständigen Liebe des Herzogs von Wei (534 bis 493 v. Chr.) zu Mizi Xia zu beginnen. Mizi Xia gilt als der bekannteste Protagonist homosexueller Liebe dieser Epoche. Seine Geschichte, die im klassischen philosophischen Werk von Han Feizi beschrieben wird, hatte einen großen Einfluss auf nachfolgende Generationen, was dazu führte, dass der Name Mizi Xia im Lauf der Zeit zu einem Synonym für Homosexualität wurde. Durch ihre außergewöhnliche Ausstrahlung wurde diese Erzählung zu einem Ausgangspunkt homosexueller Tradition, wie auch zu einer maßgeblichen Quelle anhand derer sich die Mehrheit belesener Chinesen ein Bild von der Homosexualität machte.15 In vergangenen Zeiten lebte am Hofe des Herrschers von Wei ein gewisser Mizi Xia, der die Gunst (chong) seines Herrschers gewann. Gemäß der Gesetze des Staates Wei wurde jeder bestraft, der ohne das Wissen des Herrschers seine Kutsche benutzte. Die Strafe bestand in der Amputation der Füße. Es begab sich aber, dass Mizi Xias Mutter erkrankte. Mizi Xia erfuhr davon durch einen Boten, der sich nachts Zugang zum Hof verschafft 15 Mizi Xias Biografie erscheint in den Shuo Nan von Han Fei, den Shuo Yuan von Liu Xiang sowie in der Sammlung Duanxiu Pian (Sammlung der abgeschnittenen Ärmel), wo sie von einem anonymen Gelehrten unter dem Pseudonym Wuxia Ameng, unter Einbeziehung von Angaben aus den beiden früheren Versionen, editiert wurde. Eine kurze Beschreibung des Duanxiu Pian erscheint in Van Gulik, Sexual Life in Ancient Chinaa, S. 63. Die am leichtesten zugängliche Version des Duanxiu Pian erschien in Band 9 des Xiangyan Congshu (Gesammelte Werke zu Wohlriechender Eleganz) (Shanghai, 1909 - 1911), die von Van Gulik auch ich den „Kurzfassungen“ seines oben erwähnten Werks beschrieben werden. Als Quelle für die hier zitierte Übersetzung kehrte ich zum Originaltext von Han Fei zurück. 24 hatte. Mizi Xia fälschte daraufhin einen Befehl des Herrschers, setzte sich in die Kutsche und fuhr los, um seine kranke Mutter zu besuchen. Als der Herrscher davon erfuhr, war er voll des Lobes für Mizi Xia. „Wie pflichtbewusst (xiao) er doch gegenüber seiner Mutter ist. In dem Bestreben seiner Mutter zu helfen, vergaß er vollkommen, dass er Gefahr lief, dafür die Füße abgehackt zu bekommen. ” Ein anderes Mal spazierte Mizi Xia mit dem Herrscher durch einen Hain. Er biss in einen Pfirsich, der sich als sehr süß herausstellte. Er aß nicht weiter, sondern gab den restlichen Pfirsich seinem Herrscher, der daraufhin ausrief: „Wie wahr doch deine Liebe für mich ist! Du dachtest nicht an deinen eigenen Hunger und bist nur darum bemüht mir Gutes zu Essen zu reichen! ” Jahre später, als Mizi Xias Schönheit zu verblassen begann und die Leidenschaft des Herrschers für ihn erlosch, wurde er eines Verbrechens gegen seinen Herrscher bezichtigt. Der Herrscher sprach: „Man sollte nicht vergessen, dass er einmal meine Kutsche gestohlen hat und mir ein anderes Mal einen halb gegessenen Pfirsich anbot. ”Mizi Xia hatte sich nicht anders als sonst verhalten. Der Grund, dass er in früheren Zeiten gepriesen und später eines Verbrechens bezichtigt wurde, lag darin, dass sich die Liebe seines Herrschers in Hass verwandelt hatte. Wenn Du die Liebe des Herrschers gewinnst, wird deine Weisheit geschätzt und du bist in seiner Gunst. Aber wenn er dich hasst, wird nicht nur deine Weisheit abgelehnt, sondern du wirst auch als ein Verbrecher betrachtet und verstoßen. Der Drachen kann dressiert und gefügig gemacht werden, so dass du am Ende sogar auf seinem Rücken reiten kannst. Aber an der Unterseite seines Halses hat der Drache Schuppen mit einem Durchmesser von einem Fuß, die von seinem Körper abstehen. Jeder der aus Versehen in diesen Schuppen hängen bleibt, ist des Todes. Der weltliche Herrscher verfügt ebenfalls über borstige Schuppen.16 Die Absicht des Autors dieser Zeilen, Han Fei Zi, war es nicht, soziale Werte zu ergründen oder homosexuelles Verhalten anzugreifen. Als ein legalistischer Denker ging es ihm darum darzustellen, welche Gefahr für einen Herrscher in der institutionalisierten Günstlingswirtschaft lag. Das Ideal der Legalisten war eine von persönlichen Beziehungen freie Regierung, die an Gesetze gebunden war und nicht an Personen. 16 Burton Watson, Übersetzung, Han Fei Tzu: Basic Writings (New York, 1964) S. 78—79. Wie auch an anderen Stellen in diesem Buch habe ich die Wades-Giles-Romanisierung in Pinyin geändert. Ich habe auch Watsons Fehler bezüglich des Vornamens Mizi Xias berichtigt. 25 Favoriten stellten eine Gefahr für diese Ordnung dar, da sie durch die Liebe, die der Herrscher für sie empfand, an Einfluss gewannen. Es fällt auf, dass Han Feizi die Person Mizi Xias und den Herzog nicht über ihre sexuelle Orientierung definiert, wie das der Fall im zeitgenössischen Westen war, sondern basierend auf ihrer sozialen Beziehung. Konfuzius (Kongzi) hat das Primat der zwischenmenschlichen Beziehungen etabliert, als er das Wesen der Weisheit als etwas bezeichnete, das in der wahrhaften Hingabe der den Menschen geschuldeten Pflicht lag.17 Die Betonung des zwischenmenschlichen Beziehungsgeflechts und die im Gegensatz dazu untergeordnete Rolle der psychologischen Essenz führen dazu, dass weder Han Feizi noch irgendeine andere Quelle der Zhou-Zeit Begriffe verwendet, die dem Terminus „homosexuell” gleichzusetzen sind. Anstelle dessen wird der Terminus „chong” verwendet, mit dem eine hierarchische Beziehung beschrieben wird, in der ein Gönner höheren Rangs einen anderen Mann begünstigt, der auch sein Sexualpartner ist. „Chong” ist auch nicht ansatzweise als ein Äquivalent zum Begriff „Homosexualität” zu verstehen. Der Begriff wird auch im Zusammenhang mit heterosexuellen oder nichtsexuellen Beziehungen verwendet. In manchen alten Texten wird der Begriff sogar verwendet, um „Respekt für die Seelen” zu beschreiben.18 Die Tendenz, homosexuelles Verhalten als ein soziale Beziehung zu beschreiben und in ihrem Kern nicht als eine erotische Beziehung zu verstehen, hat sich in China bis ins 20. Jahrhundert erhalten. Zu diesem Zeitpunkt gelang es der westlichen Wissenschaft in China ihre Vormachtstellung einzunehmen. Durch Han Feizis positive Schilderung Mizi Xias wird die in dieser Geschichte im Großen und Ganzen positive Darstellung der Homosexualität unterstrichen. Zunächst 17 Analects 6.22 Han Fei verwendet das Wort Chong, um das das Konzept der „Gunst, Gewogenheit” zu bezeichnen, ein Begriff, der häufig für besonders beliebte und geliebte weibliche Konkubinen verwendet wurde. Das klassische Wörterbuch Shuo Wen definiert Chong wörtlich als „jemanden ehren (mit dem man gemeinsam lebt) (zun ju), wobei Ju auch eine Person beschreiben kann, die über besondere Begabungen verfügt (Xu Shen und Duan Yucai, Shuowen Jiezi Zhu (Shanghai, 1981, S. 340). 18 26 riskiert Mizi Xia für die seiner Mutter gegenüber erbrachte „Kindespflicht” furchtbar verstümmelt zu werden und sich außerdem den Zorn des Herrschers dafür zuzuziehen, dass er die Kutsche des Herrschers stiehlt, um zu seiner kranken Mutter zu eilen. Mizi Xias Verhalten im Pfirsichhain wird von Han Feizi als Ausdruck der Intimität zwischen zwei Liebenden betrachtet. Die gesamte Erzählung hindurch wird Mizi Xia als selbstlos und voller Liebe für den Herzog beschrieben. Es ist die Unzuverlässigkeit des Herzogs, die zum Ruin von Mizi Xia führt. Das morbide Ende ist lediglich typisch für die Literatur der Epoche und ist nicht als eine Verunglimpfung der Homosexualität zu verstehen. Selbst das brutale, unerwartet gewalttätige Ende der Geschichte schafft es nicht, das beim Leser zu Beginn der Geschichte entstandene Bild von der tief empfundenen Liebe auszulöschen. Es ist sogar möglich, dass gerade das brutale, abrupte Ende der Geschichte der Grund dafür war, dass die Erzählung überhaupt aufgezeichnet wurde. Han Feizi beschreibt die in der Geschichte vorkommende Homosexualität nicht als pervers oder außergewöhnlich, sondern erwähnt diese Tatsache wie viele Erzählungen der damaligen Zeit nur am Rande. Er verwendet die Geschichte nur als ein besonders klares Beispiel in einer generellen Diskussion des Themas Staatskunst. Die Beschreibung der Homosexualität im Kontext sozialer Beziehungen kommt in der Geschichte des Herzogs von Jing aus dem mächtigen Staat Qi in ganz extremer Weise zum Ausdruck. Die Geschichte ist dem philosophischen Werk „Frühling und Herbst des Meisters Yan” entnommen. Herzog Jing aus dem Staate Qi war außergewöhnlich attraktiv. Einem Beamten niederen Ranges wurde eines Tages vorgeworfen, dass er den Herrscher wegen seiner außergewöhnlichen Schönheit angestarrt habe. Der Herzog sagte daraufhin zu seinen Höflingen: „Fragt ihn warum er mich so anstarrt und sich seines Rangs ungemessen verhält.” Der Beamte antwortete daraufhin: „Wenn ich mich dazu äußere, werde ich sterben und wenn ich mich nicht äußere werde ich auch sterben. Ich bewunderte nur die Schönheit des Herzogs.” 27 Der Herzog rief daraufhin aus: „Er begehrte mich. Tötet ihn!” Yanzi warf daraufhin ein: „Mir kam zu Ohren, dass ihr einem Beamten zürnt.” Der Herzog erwiderte: „Dem ist so. Er hat mich begehrt und ich werde ihn dafür töten.” Yanzi erwiderte: „Ich habe gehört, dass es nicht richtig ist, sich dem Verlangen zu widersetzen, und dass Hass auf die Liebe Unglück bringt. Obwohl er herausgefordert wurde, Euch zu begehren, das Gesetz sieht nicht vor, dass er dafür getötet wird.”19 Dem Rat Yanzis folgend vergab der Herzog Jing dem Beamten nicht nur seinen Fehltritt, sondern beförderte ihn in eine hochrangige Stellung als Aufseher der herzoglichen Bäder. Als der niedrigrangige Beamte den Herzog Jing so suggestiv anstarrte, verstieß er ganz eindeutig gegen akzeptierte soziale Konventionen und trat als die dominierende Kraft in ihrer Beziehung auf. Der große, unüberbrückbare soziale Unterschied, der zwischen den beiden bestand, verlangte geradezu nach einer strengen Bestrafung. Von einem niedrigrangigen Beamten ausgehende sexuelle Avancen wurden als eine Herausforderung des sozialen Status des höherrangigen Herzogs verstanden. Außer in Yanzis Erzählung von Herzog Jing wird auch in einer anderen aus der Epoche überlieferten Geschichte von einem in seinen Herrscher verliebten schüchternen Beamten namens Zhuang Xin berichtet. Es handelt sich dabei um Xiang Cheng, den mächtigen Herrscher des Staates Chu. Die Erzählung beginnt mit einer Beschreibung Xiang Chengs, seiner stattlichen Erscheinung, seinen herrlichen Gewändern, seinem Jadeschmuck. Anschließend wird das kühne Werben Zhuang Xins beschrieben. Der Oberbeamte Zhuang Xin hat eine Audienz bei dem Herrscher Xiang Cheng. Er fragte den Herrscher, ob er seine Hand halten dürfe. Der Gesichtsausdruck Xiang Chengs änderte sich, aber er sagte kein Wort. 19 Zitiert in Weixingshi Guanzhaizhu, Zhongguo Tongxinglian Mishi (Die verborgene Geschichte der chinesischen Homosexualität), Band 1 (Hong Kong, 1964), S. 13. 28 Zhuang Xin rückte nach hinten, stand auf und sagte: „Hat mein Herrscher jemals vom Herrscher von E gehört? Er pflegte in aquamarinblauen Booten zu reisen, die verziert waren mit geschnitzten Vogelbildern und bedeckt mit azurfarbenen Decken. Männer aus Yue schlugen die Ruder und sangen zum Klang von Glocken und Trommeln: Was für ein herrlicher Abend dies ist, just der richtige Abend, um zu diesem Inselchen inmitten des Stroms zu kommen! Was für ein herrlicher Tag dies ist, um ein Boot mit euch, meinem Prinzen zu teilen! Ich bin es nicht wert so begehrt zu werden, wann empfand ich jemals solche Scham? Mein Herz ist so verwirrt, euch begegnet sein zu dürfen! Es sind Bäume in den Bergen und Zweige an den Bäumen. Ich verzehre mich danach euch zu gefallen, doch ihr wisst nicht um mich.”20 Daraufhin riss Herzog E eine der azurfarbenen Decken hoch und erwiderte: „Der Herrscher Xiang Cheng nahm auch Zhuangs Xins Hand und gab ihm eine höhere Stellung.”21 In dieser Geschichte fand es Zhuang Xin unangemessen, als erster sexuelle Avancen zu machen, da er sich in einer untergeordneten sozialen Stellung befand. Xiang Chengs verdutzte Reaktion auf die Direktheit seines Untergebenen zwang Zhuang Xin in seiner Verzweiflung, die Geschichte des Marquis von E zu erzählen. In der chinesischen Rhetorik ist es nicht unüblich, durch Bezugnahme auf historische Vorgänge eigenes Verhalten zu rechtfertigen. Laut der von Zhuang Xin erzählten Geschichte war dem Marquis von E auch ein Beamter in Liebe zugetan. Nachdem der Marquis von E durch die Gesänge der Ruderer seiner königlichen Barkasse von der Liebe seines Beamten 20 „Song of the Boatswain of Yüeh”, Übersetzung, Irving Y. Lo, in „Sunflower Splendor: Three Thousand Years of Chinese Poetry”, Hrsg. Wu-Chi Liu und Irving Yucheng Lo (Garden City, N.Y., 1965) S. 26. Dieses Gedicht ist auch in der Anthologie der Westlichen Han-Dynastie Shuo Yuan erhalten. 21 Wuxia Ameng, Hrsg. Duanxiu Pian, 9:1 B-2A. 29 erfuhr, akzeptierte er die Zuneigung des unbekannten Verehrers. In einem parallelen Ende akzeptierte auch der tief bewegte Herzog Xiang Cheng, nachdem er die Geschichte gehört hatte, die ihm von seinem Bewunderer entgegengebrachte Liebe. Die beiden Erzählungen von Herzog Xiang Cheng und Marquis E unterscheiden sich stark von der Erzählung über die Beziehung zwischen dem Beamten und Herzog Jing. Augenscheinlich konnte die Liebe einen Herrscher in manchen Fällen dazu bewegen, über die Unangemessenheit sexueller Avancen eines Untergebenen hinwegzusehen. Ein weiterer interessanter Hinweis ergibt sich aus der Beschreibung des Werbens von Zhuang Xin um Xiang Cheng. Von großer Bedeutung für die Struktur dieser Erzählung ist, wie Zhuang Xins die unerwiderte Liebe des Beamten für Marquis E zitiert. Zhuang Xin betrachtete seine Misere nicht in zeitlicher Isolation, sondern nahm im Gegenteil Bezug auf eine homosexuelle Tradition. Indem er seine eigene Situation in einen breiteren sozialen und historischen Kontext einbettete, verschuf er sich selbst Trost und konnte ein Beispiel aus der Vergangenheit nutzen, um sein Verhalten in der Gegenwart zu rechtfertigen. Sich auf die Vergangenheit zu stützen, um die Gegenwart zu formen, stellt den Beginn einer kontinuierlichen, dokumentierten homosexuellen Tradition Chinas dar. In einer weiteren Erzählung aus dem Staate Chu wird die Liebe Wang Zhongxians zu einem gutaussehenden und gebildeten Untertanen namens Pan Zhang verklärt. Bei dieser Erzählung handelt es sich sicherlich um die positivste und romantischste Darstellung aus der Zhou-Periode. Der junge Pan Zhuang war von großer Schönheit (mei) und zeigte tadelloses Verhalten. Die Menschen der damaligen Zeit waren äußerst angetan von ihm. Wang Zhongxian aus dem Staate Chu hörte von seinem Ruf und forderte die Schriften Pan Zhuangs an. Später wollte Wang Zhongxian zusammen mit Pan Zhuang studieren. Sie verliebten sich auf den ersten Blick und waren in Zuneigung einander zugetan wie Ehemann und Ehefrau. Sie teilten das Bett miteinander und ihre intime Beziehung war schrankenlos. 30 Nach ihrem gemeinsamen Tod trauerten alle um sie. Bei ihrem gemeinsamen Begräbnis auf dem Lofu-Berg fing ein auf der Bergspitze befindlicher Baum mit langen Ästen und dicken Blättern plötzlich an zu wachsen. Alle Äste umschlangen sich gegenseitig. Von den Menschen der damaligen Zeit wurde dies als ein Wunder betrachtet. Der Baum wurde der „Baum des geteilten Kissens” genannt.22 In dieser Erzählung stoßen wir wahrscheinlich auf den ersten Vergleich zwischen homosexueller Liebe und heterosexueller Ehe. Die Ausgabe aus der Zeit der YuanDynastie, der der Schreiber der Ming-Dynastie die Erzählung entnommen zu haben scheint, kommt direkt auf den Punkt: „Sie... waren einander zugetan wie Ehemann und Ehefrau.” Da keine ursprüngliche Ausgabe dieser Erzählung die Zeit überlebt hat, ist die ursprüngliche Wortwahl nicht gesichert. Die grundsätzliche Absicht, die hinter der Erzählung steckt ist jedoch unbezweifelbar: zwei Männer hatten eine sexuelle und emotionale Bindung, die so stark war, dass sie sogar den Tod überdauerte. Wenn die Wurzeln dieser Geschichte im chinesischen Altertum liegen, was sehr wahrscheinlich ist, stellt sie den ersten Fall einer Art von Paarbildung dar, die sich später in Richtung gleichgeschlechtlicher Eherituale entwickelte. Aus dieser Geschichte ergibt sich auch deutlich, dass die beiden Liebenden ihre homosexuellen Gefühle als den Kern ihres emotionalen und erotischen Lebens betrachteten. Im Text wird jedoch bei der Beschreibung des Paares keine Bezeichnung wie „homosexuell” verwendet, sondern ihre Beziehung (wie Ehemann und Ehefrau) und ihre Gefühle werden hervorgehoben. Auch hier wird erneut die chinesische Tendenz deutlich, eine sexuelle Systematik aufzubauen, die auf sozialen und emotionalen Bindungen basiert und nicht auf eine grundlegende, angeborene sexuelle Identität hinzuweisen, wie dies im heutigen Westen oft der Fall ist. 22 Ebd., 9:2 A; entnommen aus Lin Zaiqings Chengzai Zaji . Diese Zuordnung erscheint in Weixingshi Guanzhaizhu, Zhongguo Tongxinglian Mishi 1:30. 31 Ein Wort sticht in dieser Passage hervor, mei, das verwendet wird, um Pan Zhangs gutes Aussehen zu beschreiben. Heutige chinesische Leser verbinden dieses Wort in der Regel mit weiblicher Schönheit, der Gebrauch des Wortes im Zusammenhang mit Männern gilt als etwas affektiert. Wie bereits zuvor im Fall des „Buchs der Lieder” erwähnt, wurde im chinesischen Altertum das Wort „mei” für die Beschreibung der Schönheit und Güte beider Geschlechter verwendet. Wenn man die aus der Zhou- und Han-Zeit erhaltenen Aufzeichnungen zur Bisexualität in Betracht zieht, so scheinen geschlechtsneutrale Begriffe zur Beschreibung von Attraktivität konsistent verwendet worden zu sein. Im antiken Griechenland, noch bekannter für praktizierte Bisexualität, existierte mit dem Begriff kalos ein ähnliches Konzept, um die Schönheit von Männern und Frauen zu beschreiben. Aber im Gegensatz zum chinesischen Begriff beinhaltete der griechische Begriff nicht die zusätzliche Bedeutung innerer Schönheit, sondern bezog sich nur auf die äußerliche Erscheinung von Männern, Frauen, Tieren und Objekten.23 Im Laufe der Jahrhunderte verlor mei nach und nach seine allgemeine Bedeutung und wurde, wenn auf Männer angewandt, zur Beschreibung femininer und sexuell passiver Männer und Knaben verwendet. Die literarische Ausdruckskraft wird in der Erzählung von Pan Zhang und Wang Zhongxian in ihrer eleganten Einfachheit ergänzt, indem auf eine in der heterosexuellen Liebe häufig verwendete Konvention zurückgegriffen wird: das Bild der sich in einander verschlingenden Äste eines Baums. In dem berühmten Gedicht aus der Han-Dynastie „Der Pfau flog nach Südosten” wird ein ähnliches Bild verwendet, das Bild zweier in sich verschlungener Bäume über dem Grab zweier Liebenden. Im Osten und Westen pflanzten Sie eine Kiefer und eine Zeder, links und rechts pflanzten sie chinesische Parasolbäume und Paulowinia. Ihre Äste bedeckten sich gegenseitig, Ihre Blätter verschlingen sich ineinander. 23 Dover, Greek Homosexuality, S. 16 32 Die Verwendung eines weit verbreiteten heterosexuellen Motivs durch den unbekannten Autor, zur Beschreibung der Liebe zwischen Pan Zhuang und Wang Zhongxian, zeigt die Annäherung heterosexueller und homosexueller Ideale im chinesischen Altertum. Außerdem dient das Bild zweier sich in einander verschlingender Bäume einer in der Bildkunst der Han-Dynastie weitverbreiteten symbolischen Darstellung eines günstigen Omens.24 Wenn es in Bezug auf menschliche Beziehungen verwendet wird, bedeutet dies, dass diese Beziehung von den Göttern ausdrücklich gutgeheißen wurde. Dieser Erzählung ist eine gewisse Bedeutung zuzumessen, ohne dass dabei das Ausmaß „ausschließlicher” homosexueller Beziehungen im China der Zhou-Zeit überbewertet werden sollte. Die meisten Männer des alten Chinas scheinen heterosexuellen Geschlechtsverkehr gepflegt zu haben, ob aus Lust oder aus Pflichtgefühl sei dahingestellt. Für die Armen spielte die Fortpflanzung eine entscheidende wirtschaftliche Rolle. In der Landwirtschaft wäre es für Bauern ohne die Hilfe der Kinder im Alter sehr schwierig gewesen. Der blühende Markt mit Kindersklaven im frühen China dient als Beweis für den hohen wirtschaftlichen Wert von Kindern.25 Zusätzlich zu diesem wirtschaftlichen Anreiz existierte die religiöse und soziale Bedeutung der Fortsetzung der Blutslinie. Dies war vor allem der Fall am königlichen Hof, wo Kinder als Erben einer Dynastie und durch die Rolle, die sie bei der Vereinigung zweier Familien durch Heirat spielten, von großem Wert waren. Die Unverzichtbarkeit von Kindern, sowohl für Herrscher als auch für Bauern, erklärt die weitverbreitete Bisexualität, im Gegensatz zu rein homosexuellen Beziehungen, im alten China. Für nur wenige Privilegierte bot sich überhaupt die Option einer monogamen homosexuellen Beziehung. Da Bisexualität in den höchsten Rängen der Höfe des chinesischen Altertums praktiziert wurde, wurde das Verhältnis zwischen Politik und Sex immer komplizierter. Das von 24 Doi Yoshiko, Kodai Chūgoku no gazōseki (Alte chinesische Steinreliefs) (Kyoto, 1986), S. 55 – 58, 60 – 71, 76; Edouard Chavannes, La sculpture sur pierre en Chine au tems des deux dynasties Han (Paris, 1893), S. 10. 25 T'sung-tsu Ch’ü, Han Social Structure , Hrsg. Jack L. Dull (Seattle, 1972), S. 110, 141, 158, 182, 334, sowie C. Martin Wilbur, Slavery in China During the Former Han Dynasty, 206 B.C. – A.D. 25 (Chicago, 1943), S. 67-68, 85-88. 33 Song Chao erwähnte Beispiel verdeutlicht das Potenzial für chaotische Verhältnisse. In frühen Aufzeichnungen wird erwähnt, dass er von „blendendem Aussehen war und dem Staate Wei als hochrangiger Beamter diente. Er wurde dann zu einem Favoriten des Herzogs Ling von Wei.”26 Die gleichzeitige Erwähnung von gutem Aussehen und einer bevorzugten Stellung als Beamter deutet auf einen möglichen Zusammenhang zwischen beiden Sachverhalten hin. Ablehnung offen gelebter Homosexualität hätte sicherlich dazu geführt, dass solche Männer von diesen Posten ausgeschlossen worden wären. Wie jedoch in mehreren Passagen geschildert, wurden manche Männer nicht nur auf hohe offizielle Posten berufen, sondern wurden auch zu sexuellen Favoriten ihrer jeweiligen Herrscher. In der gesamten Geschichte des chinesischen Altertums scheint die allgemeine Haltung gegenüber homosexueller Liebe von Toleranz geprägt gewesen zu sein. Ein Beweis dafür ist die Darstellung Homosexueller als erfolgreiche Beamte und Herrscher. Die selbstlose Liebe des Königs Wen von Chu zu Marquis Shen ist ein Beispiel für bewundernswerte Tugend in einem homosexuellen Kontext. Der sterbende König, dessen Favorit Shen war, befahl ihm nach der Beerdigung in den Staat Zheng zu fliehen, wo er dann dem dortigen Herrscher als Favorit hätte dienen können. König Wen wusste ob der Verwundbarkeit seines Favoriten angesichts absehbarer, von Eifersucht genährter Intrigen, sobald Shen nicht mehr den königlichen Schutz genießen sollte.27 Durch die Übergabe seines Liebhabers an einen anderen Monarchen hoffte König Wen seinem Schützling fortwährenden Erfolg zu sichern. Selbst noch auf dem Totenbett galten alle seine Gedanken seinem Favoriten. Bei Hofe war die Sicherheit eines männlichen Favoriten vollkommen in den Händen seines aristokratischen Liebhabers. Wie das Beispiel Marquis Shens zeigt, zwang der Tod oder politische Absturz eines Gönners den Geliebten die Aufmerksamkeit anderer mächtiger Aristokraten auf sich zu ziehen. Herr Angling dachte jedoch an eine permanentere Bindung an das Los seines Geliebten. 26 27 Wuxiang, Hrsg. Duanxiu Pian 9:1A-B. ebd., 9:1A. 34 Jing Yi überredete An Ling: „Eure Exzellenz verfügen über keinerlei Errungenschaften mit denen ihr euch schmücken könntet noch habt ihr nahe Verwandte, die begehrte Posten begleiten, doch trotzdem seid ihr äußerst wohlhabend. Alle Bürger des Staates werfen ihre langen Ärmel zurück, um sich vor euch zu verbeugen und rücken ihre Kleidung zurecht, um vor euch zu knien. Warum? Weil der König, denen die ihm Freude bereiten, zu viel zukommen lässt. Wenn dem nicht so wäre, besäßt ihr nicht einen großen Besitz.” „Aber”, fuhr Jiang Yi fort, „die, deren Beziehung auf Wohlstand beruht, werden feststellen, dass sobald die Beziehung beendet ist, der Wohlstand ebenfalls aufgebraucht ist. Die, deren Beziehung auf ihrer eigenen Attraktivität beruht, werden feststellen, dass mit dem Verblühen ihrer Schönheit, die Liebe sich auch ändert. Das ist der Grund, warum eine weibliche Favoritin selten mehr als eine Schlafmatte verbraucht und warum ein favorisierter Minister selten lange genug im Amt ist, um all seine Kutschen auszufahren.”28 Die Beobachtungen Jiang Yis finden ihre Bestätigung im Beispiel von Mizi Xia. In diesem Fall bestand für An Ling die einzige Möglichkeit eine immerwährende Beziehung einzugehen und dadurch im Staate Chu für alle Zeiten in Ehren gehalten zu werden, darin, den König zu bitten mit ihm gemeinsam im königlichen Grab beerdigt zu werden. An Lings Entscheidung war dabei vom gleichen Gedanken getragen, der die Herrscher des Altertums dazu brachte, bei königlichen Beerdigungen menschliche Opfer zu fordern. Die damaligen Herrscher wurden gewöhnlich nur mit ihrer Gattin beerdigt. Bedeutende Offizielle (Beamte) wurden unter Umständen in der Nähe des königlichen Grabs beerdigt. Einen männlichen Favoriten jedoch zusammen mit dem König zu beerdigen, wäre sehr außergewöhnlich gewesen. Es wäre damit suggeriert worden, dass der Status dem einer königlichen Gattin gleichkäme. 28 J.I. Crump, Übersetzung, Chan-kuo Ts’e (Oxford, 1970), S. 227 - 228 35 An Ling erwiderte mit tränenüberströmten Gesicht:„Im Palast liegt meine Matte neben der des Königs. Wenn der König reist, teile ich seine Kutsche. Seit tausend Herbsten drängt es mich, meinen eigenen Körper zuerst gen Hades (Gelbe Quellen) zu schicken, um dort für meinen Prinzen als ein Schild gegen die Ameisen zu dienen.”29 Um seine Anerkennung für solch tiefe Hingabe zum Ausdruck zu bringen, nahm der König die Situation zum Anlass, seinen geliebten An Ling zunächst einmal zum Lehnsherren zu machen. Diese Erzählung unterstreicht einen bedeutenden Fakt: im alten China konnten Männer wie Frauen, durch den klugen Einsatz von Sex, politisch wie sozial nach oben steigen. Wie bereits zuvor erwähnt, zeichnete sich die späte Zhou-Zeit durch zunehmende soziale Veränderungen aus. Da erbliche Privilegien an Bedeutung verloren, wurden Talent und Fähigkeit zu immer wichtigeren Faktoren für den sozialen Aufstieg. Die „Kunst der Erotik” galt als eines der Talente. Für Frauen war der Erfolg als Sexpartnerin eines der wenigen Mittel, um innerhalb des höfischen Haushalts aufzusteigen. Diese „Aufstiegsmöglichkeit” existierte während der gesamten Epoche der kaiserlichen Dynastien fort. Wie auch Männern, so konnten Frauen Posten zugeteilt bekommen, indem sie Kapital aus ihrem guten Aussehen schlugen. Um die politische Mobilität des alten Chinas zu verstehen, darf man die sinnliche und die sexuelle Rolle von Männern dieser Zeit nicht außer Acht lassen. Die weitverbreitete Meinung, dass Beamte im China der Zhou-Zeit manchmal durch ihre körperlichen Reize zu Macht gelangten, wird durch eine voyeuristische Erzählung bestätigt. Die Geschichte begab sich im 7. Jahrhundert n. Chr., als Chong’er aus dem Staat Jin beim Herrscher von Cao Zuflucht suchte. Der Herzog hatte gehört, dass Chong’er doppelte Rippen habe. Um sich selbst ein Bild von diesem einzigartigem anatomischen Zustand zu machen, bohrten der Herzog und seine Frau ein Loch in die Wand, um Chong’er beim Bad zu beobachten. Die versammelte Schar der Voyeure wurde jedoch unerwartet Zeuge eines Sexualakts zwischen Chong’er und zwei 29 Ebd. S. 299 36 Gefolgsmännern. Der Anblick des Sexualakts forderte die Frau eines hochrangigen Beamten zu der witzig gemeinten Bemerkung heraus, dass die beiden Gefolgsmänner Chong’ers wohl das Zeug zu Staatsministern hätten. Obwohl als humorvolle Anspielung auf die eigennützigen Motive vieler höfischer Favoriten gedacht, wäre der Witz dieser Anspielung verloren gewesen, wenn es nicht Allgemeingut gewesen wäre, dass Beamte sich gelegentlich an die Macht hochschliefen.30 Der Geliebte eines Herrschers konnte sich seines hohen Beamtenpostens und großzügiger Einkünfte sicher sein. Aber während das Vorhandensein sexueller Favoriten als ein Ausdruck weitverbreiteter Toleranz gegenüber homosexuellem Verhalten zu verstehen ist, darf nicht übersehen werden, dass Männer, die sexuelles Entgegenkommen einsetzten, um sozial aufzusteigen, getadelt und mit Verachtung bestraft wurden. Die Praxis, die Berufung auf offizielle Posten von sexuellen Fähigkeiten und gutem Aussehen und nicht von politischem Können abhängig zu machen, stößt schon sehr früh in der chinesischen politischen Theorie auf Ablehnung. Ein Kapitel im „Buch der Lieder (Shi-Jing)” mit dem Titel „Anweisungen des Yi (Yi-Lun)” enthält eine Serie strenger Anweisungen eines tugendhaften Ministers an den jungen König von Shang. Wenn der Text auch meist nicht eindeutig der Shang-Zeit zugeordnet wird, so stammt er doch zumindest aus der späten Zhou- oder frühen Han-Zeit. In dieser Passage führt der weise Berater alle möglichen Ablenkungen auf, denen sich ein unerfahrener Herrscher ausgesetzt sieht: Er warnte alle, die einen hochrangigen Posten innehatten: „Wenn ihr es wagen solltet, in euren Palästen ständigen Tanz und in euren Gemächern trunkenes Singen gewähren zu lassen, so nenne ich das den Weg des Schamanen. Wenn ihr es wagen solltet, nur auf Reichtum und Frauen aus zu sein und euch beim ziellosen Umherschweifen und Jagen verliert, so nenne ich das den Weg der Ausschweifungen. Wenn ihr es wagen solltet, 30 Diese Geschichte erscheint sowohl in Zuo Zhuan and Guo Yu; siehe auch James Legges Übersetzung, The Chinese Classics, Bd. 5 (Oxford und Hong Kong, 1868-1893), S. 187, die Geschichte erscheint zusammengefasst in Van Guliks, Sexual Life in Ancient China , S. 93. 37 weise Worte zurückzuweisen, sich den Loyalen und Aufrechten zu widersetzen, die Bejahrten und Tugendhaften von euch zu schicken und stattdessen die Nähe der schamlosen Jugend sucht, so nenne ich das den Weg der Aufruhr. Sollte ein hochrangiger Adeliger oder Beamter auch nur einem dieser Wege mit ihren zehn üblen Lastern verfallen sein, so ist seine Familie unausweichlich dem Untergang geweiht. Sollte ein Prinz des Landes diesen Lastern zum Opfer fallen, so wird sein Staat zerstört werden.”31 Der Terminus „Wan Tong“ bedeutet wortwörtlich „schamlose Jugend”. James Legge, ein früher Übersetzer der chinesischen Klassiker, übertrug den Terminus ins englische als „procacious youths”. Ganz offensichtlich meinte er „protacious”, eine viktorianische Umschreibung für „widernatürliche Unzucht bzw. Sodomie”32. Legge ist der Ansicht, dass in dieser Passage vielleicht die Praxis der männlichen Favoriten angeprangert wird, die von anderen Autoren in großer Breite untersucht worden ist. In der späten Zhou-Zeit hatte sich die Vermischung von politischer und sexueller Günstlingsschaft zu einer großen Gefahr für eine ordentliche Verwaltung entwickelt, sodass Philosophen sich gezwungen sahen, sich gegen diese Praxis auszusprechen. In zwei politischen Texten der Guanzi-Anthologie wird das Günstlingswesen an erster Stelle in einer Liste genannt, die sich mit den größten Bedrohungen für eine gute Regierung beschäftigt.33 Der scharfsinnige Mozi wiederholt diese Warnung noch detaillierter: Herrscher beschäftigen ihre Verwandten oder Männer, die reich und berühmt sind oder wohlgestaltet und gutaussehend. Aber nur weil ein Mann reich und berühmt ist, oder wohlgestaltet und gutaussehend, bedeutet dies nicht, dass er sich weise verhält und bei der Sache ist, wenn er auf einen Posten befördert wird. Wenn solche Männer mit der 31 Clae Waltham, Shu Ching, Book of History: A Modernized Edition of the Translation of Ja mes Legge (Chicago, 1971), S. 74-76 32 Mehr zu James Legges Übersetzung und Anmerkungen siehe The Chinese Classics, Bd. 3: The Shoo King (Nachdruck Hong Kong, 1960) S. 196-197, siehe auch Waltham, Shu Ching 33 Identische Listen werden im Ban F a aufgeführt, einem politischen Text, der sich mit großer Wahrscheinlichkeit auf das späte vierte bis zum frühen dritten Jahrhundert datieren lässt, Sowie in Zhong Ling, einem Huanglao-Text aus dem dritten Jahrhundert v.Chr.; siehe auch W. Allyn Rickett, Übersetzung; Guanzi: Political, Economic, and Philosophical Essays from Early China Bd. 1 (Princeton, 1985), S. 143, 247. 38 Aufgabe der Ordnung des Staates betraut werden, so bedeutet dies, den Staat in die Hände von Männern zu geben, die weder weise noch intelligent sind. Und wir alle wissen, dass dies den Staat in den Untergang führen wird. Außerdem vertrauen Herrscher und hochrangige Beamte in die geistigen Fähigkeiten eines Mannes, weil sie an seinem Äußeren Wohlgefallen finden. Sie lieben diese Männer ohne sich Gedanken um deren Wissen zu machen. Das führt dazu, dass ein Mann, der nicht in der Lage ist für hundert Mann die Verantwortung zu übernehmen, einen Posten übertragen bekommt, auf dem er für tausend Mann Verantwortung trägt, und ein Mann, der nicht in der Lage ist für tausend Mann Verantwortung zu tragen, einen Posten erhält, auf dem er für zehntausend Mann Verantwortung trägt. Warum machen Herrscher das? Weil derjenige, der von ihnen auf einen solchen Posten befördert wird, einen protzigen Titel erhält und reich belohnt wird. Das bedeutet, dass sie den Mann nur beschäftigen, weil ihnen sein Äußeres gefällt.34 Mozis Warnung deutet auf einen allgemeinen Trend hin, demnach homosexuelle Liebe in der Politik des alten Chinas eine Rolle spielte. Diese Sitte war nicht nur auf China beschränkt. Islamische und japanische Herrscher waren bekannt dafür, männliche sexuelle Favoriten mit Regierungsämtern zu betrauen.35 Im Falle Chinas schien Mozi jedoch beunruhigt gewesen zu sein, dass solche Praktiken, wie auch in weniger prominenten Fällen, in denen gutes Aussehen belohnt wurde, eine Bedrohung für die Leistungsfähigkeit der Regierung darstellten. Es scheint, als ob im alten Beamtentum die Homosexualität so verbreitet war, dass sie in dem aus der Han-Dynastie überlieferten machiavellischen Werk „Zhanguo Ce” (Pläne der kämpfenden Reiche), einer Sammlung von Anekdoten, die sich mit den politischen Ränken der Prä-Han-Zeit beschäftigt, Erwähnung findet. In einer der Anekdoten lesen wir von einem Herzog Xian aus dem Staate Jin, der einen seiner Favoriten als eine Art Geheimwaffe verwendete, um unter 34 Diese Übersetzung lehnt sich eng an Burton Watsons Übersetzung in Mo Tzu: Basic Writings (New York, 1963). Ich habe mehrer kleiner Änderungen vorgenommen, um die von Watson in seiner Übersetzungen verwendeten Kosenamen an die von mir verwendeten anzupassen. 35 Bezüglich der Praxis im muslimischen Albanien siehe Louis Cromptons, Byron and Greek Love: Homophobia in 19th Century England (Berkeley and Los Angeles, 1985), S. 135; bezüglich Japan, siehe Donald H. Shively, „Tokugawa Tsunayoshi, The Genroku Shogun“ in Personality in Japanese History, Hrsg. A. M. Craig und D. H. Shively (Berkeley and Los Angeles, 1970), S. 97 - 99. 39 seinen Feinden Falschinformationen zu streuen. Der Erfolg dieser Methode verdeutlicht, welche herausragende Rolle männliche Favoriten im politischen Leben der Zhou-Zeit spielten. Der Herzog Xian wollte den Staat Yu angreifen, befürchtete jedoch dabei auf Gong Zhiqi zu treffen. Xun Xi sagte: „Laut den gesammelten Werken von Zhou (Ji Zhong Zhou Shu) kann ein gutaussehender Kerl einen alten Mann ruinieren. Sendet dem König einen attraktiven Jungen, mit der Anweisung Gong Zhiqi zu ruinieren. Die Warnungen Zhong Zhiqis werden unerhört bleiben und er wird fliehen müssen.” Genau dies geschah, Herzog Xian griff den Staat Yu an und verleibte ihn sich ein.36 Xun Xi wies auf die weitverbreitete Meinung hin, dass ein gutaussehender Kerl einen alten Mann ruinieren könne. Dies sollte jedoch nicht als eine Verurteilung der Homosexualität verstanden werden. Das Originalzitat lautet nämlich: „Ein gutaussehender Kerl kann einen alten Mann ruinieren, eine hübsche Frau kann eine Zunge verknoten.” Der Autor dieser Zeilen verglich zwei unterschiedliche Sexualpartner, eine hübsche Frau und einen gutaussehenden Mann und stellte fest, dass beide in der Lage sind, mit sexueller Lust Männer zu blenden und sie dazu zu bringen, Dinge zu tun, die sie unter normalen Umständen niemals tun würden. Es wird ganz allgemein vor Sex als einer zerstörerischen Kraft gewarnt. Mozis und Xun Xis abstrakte Moralvorstellungen finden in historischen Schriften Bestätigung, dass nämlich ein Herrscher durch das Gewähren besonderer Privilegien gegenüber seinen Favoriten Gefahr läuft, schwerwiegende Fehlentscheidungen zu treffen. In einer anderen Geschichte wird von einem historischen Vorfall berichtet, der Leidenschaft, die der Herzog Huan aus dem Staate Song für Xiang Dui empfand. Der Herzog brachte schließlich große Unruhe an seinen Hof, da er seinen Favoriten seinem eigenen Sohn vorzog, was als eine klare Verletzung der guten Sitten betrachtet wurde. Seine Entscheidung brachte den Staat Song an den Rand eines Bürgerkriegs. 36 Meine Übersetzung folgt der Übersetzung von Crump, Chan-kuo Ts’e, S. 62. 40 Xiang Dui war ein hochrangiger Beamter des Staates Song. Er war der Favorit des Herzog Huan, der ihn zu einem Militärbefehlshaber ernannte. Der Sohn des Herzogs, Tuo, besaß vier Schimmel. Xiang Dui wollte diese Schimmel. Der Herzog nahm sie seinem Sohn weg, färbte ihre Mähne und Schwänze zinnoberrot ein und gab sie Xiang Dui. Der Sohn des Herzogs war außer sich und ließ Xiang Dui durch seine Gefolgsleute aufspüren. Xiang Dui bekam es mit der Angst zu tun und versuchte zu fliehen. Der Herzog ließ die Tore schließen und weinte um ihn, bis seine Augen blutunterlaufen waren.37 Xiang Duis gedankenlose Selbstsucht führte sowohl zu seinem eigenen Ruin als auch zum Ruin seines Liebhabers. Er vertrat den Typ Mann, den Mozi und Xun Xi fürchteten. Als ein letztes Beispiel für fehlgeleitete homosexuelle Liebe während der Zeit der ZhouDynastie soll die Geschichte von Herrn Long Yang dienen. Long Yang wollte durch eine ausgeklügelte öffentliche Zurschaustellung seiner Besorgnis einen Beweis für seine Zuneigung für den König von Wei liefern. Der König von Wei und Long Yang fischten zusammen. Long Yang brach plötzlich in bittere Tränen aus; der König fragte ihn warum er denn weine. Long Yang antwortete: „Weil ich einen Fisch gefangen habe.” - „Aber warum weinst Du dann?” fragte der König. Long Yang antwortete: „Als ich den Fisch fing, war ich zunächst sehr glücklich. Aber nachdem ich einen noch größeren gefangen hatte, wollte ich den kleineren Fisch wieder in den Fluss zurückwerfen. Wegen diesem schlechten Verhalten werde ich aus deinem Bett verstoßen werden.” „Es gibt unzählige Schönheiten auf dieser Welt. Sobald sie hören, dass ich eure Gunst gewonnen habe, werden sie ihre Kleidersäume heben und behänd zu euch eilen. Ich bin wie der zuerst gefangene Fisch. Ich werde auch in den Fluss zurückgeworfen werden. Wie kann ich da nicht weinen?” 37 Wuxia Ameng, Hrsg. Duanxiu Pian 9:1 B. 41 Aufgrund dieses Vorfalls gab der König von Wei überall bekannt, dass jeder, der es wage andere Schönheiten zu erwähnen, zusammen mit seiner gesamten Familie exekutiert werden würde.38 Diese Erzählung zeigt auf anschauliche Weise das Ausmaß sexuellen Opportunismus, wie er am Zhou-Hof üblich war. Es bestand ein ausgeprägter Konkurrenzkampf unter den vielen Anwärtern, die um die Gunst des Herrschers buhlten. Dieser ständige Kampf um das sexuelle Interesse des Herrschers machte das Leben eines Favoriten sehr unsicher. Wie ein weiser Beobachter zu einem gutaussehenden Favoriten bemerkte: „Eure Exzellenz dient dem König mit eurer Schönheit und Qi dient ihm mit Weisheit. Mit dem Alter schwindet die Schönheit, wohingegen die Weisheit zunimmt. Wenn eine täglich zunehmende Weisheit eine ständig abnehmende Schönheit herausfordert, dann befindet ihr euch in Schwierigkeiten.”39 Favoriten, die nur aufgrund ihres Äußeren ihren Posten innehatten, waren unausweichlich den Intrigen des Hofes ausgesetzt. So wie auch immer mehr Fische im See waren, so gab es auch Männer und Frauen in genügender Anzahl, die darauf aus waren, zum Liebhaber eines mächtigen Herrschers aufzusteigen.40 Die klugen und talentierten unter ihnen stellten für die, deren Posten vollkommen von ihren sexuellen Diensten abhing, eine große Gefahr dar. Die Erzählung von Long Yang ist das letzte historische Beweisstück, das uns bezüglich der homosexuellen Praktiken der Zhou-Zeit vorliegt. Die verfügbaren Quellen sind äußerst knapp. Da gleichgeschlechtliche Liebe für die Literaten der Zhou-Zeit nichts Außergewöhnliches darstellte, ließen sie es meist unerwähnt, solange es nicht in einem größeren Kontext Erwähnung fand. Es bleibt trotzdem festzuhalten, dass Berichte aus allen Regionen des frühen Chinas überliefert sind, die den Eindruck vermitteln, dass Homosexualität am Hof offen gelebt wurde. Nur wenn politische Entscheidungen durch 38 Ebd. 9:2A. Crump, Chan-kuo Ts'e, S. 356 40 In der schwulen Umgangssprache des heutigen Taiwans wird für „cruising” auch heute noch der Ausdruck „Fische fangen”(diao yu) oder manchmal noch direkter „Leute fangen” (diao ren). Obwohl diese Metapher sich unabhängig von der Geschichte des Herrn Long Yang entwickelte, so zeigt dies doch eine gewisse Kontinuität in der allgemeinen Auffassung von Homosexualität. 39 42 Aussehen beeinflusst wurden, fand das die Kritik der Moralisten. In allen anderen Fällen schien Homosexualität als eine von vielen Formen sexuellen Ausdrucks betrachtet worden zu sein. Mit so relativ wenigen Beweisen wäre es jedoch verwegen, allgemein gültige Schlussfolgerungen für die exakte Ausdrucksform der Homosexualität in dieser Zeit zu ziehen. Wir können jedoch zumindest eine wichtige Schlussfolgerung ziehen: Homosexualität wurde von der politischen Elite der Zhou-Zeit zumindest toleriert, wenn nicht sogar akzeptiert. 43 A bgeschnittene Ä rmel – der letzte Schrei H an-Dynastie (206 v. C hr. – 220 n. C hr.) Zwischen dem Zusammenbruch der Zhou-Dynastie und der Gründung der Han-Dynastie im Jahr 206 v.Chr. erlebte China eine Epoche schmerzhafter, jedoch entscheidender politischer Umwälzungen. Unter dem Ansturm mehrerer Armeen des Qin-Staates wurde die bereits zermürbte Zhou-Monarchie schließlich weggefegt. Zum ersten Mal zollten alle Untertanen des chinesischen Siedlungsraums (alle Bewohner unter dem Himmel/ Tianxia) einem einzigen mächtigen Herrscher Tribut. Aber die Qin-Herrscher sollten sich schon bald als unerträgliche Herrscher entpuppen. Durch monumentale öffentliche Bauprojekte wurden die Massen zur Zwangsarbeit verpflichtet und die, die diesem Schicksal entrinnen konnten, litten unter den drakonischen Gesetzen. Bücher wurden verbrannt und Gelehrte bei lebendigem Leib beerdigt. Weitverbreitete Unzufriedenheit mit den Qin sorgte dafür, dass die Dynastie nach nur einer Generation zu Fall gebracht wurde. Es dauerte Jahrzehnte, bis die zerstörte Nation von mehreren aufeinander folgenden Han-Herrschern aufgebaut und wiedervereint wurde. Obwohl der traumatische Übergang von der Zhou- zur Han-Dynastie erhebliche politische Unruhe mit sich brachte, scheinen die sexuellen Verhaltensmuster der sozialen Eliten davon nicht entscheidend beeinflusst worden zu sein. In den historischen Aufzeichnungen der gesamten Han-Dynastie wird ganz offen von der Bisexualität mehrerer Han-Kaiser berichtet. Diese sexuell unersättlichen Monarchen verfügten über einen umfangreichen Harem an Ehefrauen und Konkubinen, während sie sich gleichzeitig regelmäßig mit männlichen Favoriten vergnügten. Im Gegensatz zum heterosexuellen Geschlechtsverkehr, der für den Fortbestand der Dynastie Pflicht war, waren ihre homosexuellen Beziehungen vollkommen freiwillig. Die Entscheidung dieser Herrscher den „halben Pfirsich zu essen” und die offene und direkte Art und Weise, in denen zeitgenössische Werke von ihren Liebesaffären berichteten, lässt nur den Schluss zu, dass, 44 wie schon in der Zhou-Zeit, die sozialen Eliten der Han-Zeit Homosexualität weiterhin als einen akzeptierten Bestandteil des Sexuallebens betrachteten. Wie in der Zhou-Zeit beschäftigen sich die meisten Aufzeichnungen der Han-Zeit mit dem Leben der Herrscher. Das ist der Grund, warum die männlichen Liebhaber der HanKaiser als die fast ausschließliche Quelle zur Homosexualität während der Han-Zeit dienen. Edward Gibbon schreibt, dass von einer einzigen Ausnahme abgesehen, alle der ersten vierzehn Kaiser des römischen Reiches entweder bisexuell oder homosexuell waren.41 Für zwei Jahrhunderte, als sich die Han auf der Höhe ihrer Macht befanden, kann davon ausgegangen werden, dass China von zehn offen bisexuellen Kaisern regiert wurde.42 Um sich eine Vorstellung von der Verbreitung der Homosexualität am Hof der Han zu machen, ist es sinnvoll sich die Liste der Han-Kaiser mit einigen ihrer bevorzugten Favoriten vor Augen zu führen. Kaiser Regierungszeit Männlicher Favorit ∕Favoriten Gao 206-195 v. Chr. Jiru Hui 194-188 v. Chr. Hongru Wen 179-157 v. Chr. Deng Tong, Zhao Tan, Beigong, Bozi Jing 156-141 v. Chr. Zhou Ren Wu 140-87 v. Chr. Han Yan, Han Yue, Li Yannian Zhao 86-74 v. Chr. Jin Shang Xuan 73-49 v. Chr. Zhang Pengzu 41 Boswell, Christianity, Social Tolerance, and Homosexuality, S. 61. Siehe Tabelle 1 in Fang-fu Ruan und Yung-mei Tsai, „Male Homosexuality in the Traditional Chinese Literature,” Journal of Homosexuality 14, Nr. 3-4 (1987): 23. 42 45 Yuan 48-33 v. Chr. Hong Gong, Shi Xian Cheng 32-7 v. Chr. Zhang Fang, Chunyu Zhang Ai 6 v. Chr. - 1 n. Chr. Dong Xian Die hier genannten männlichen Favoriten werden den jeweiligen Kaisern in den offiziellen geschichtlichen Werken der Epoche zugeschrieben, sowohl in den „Aufzeichnungen des Historikers (Shiji)” von Sima Qian, als auch in der „Geschichte der Han-Dynastie” (Han Shu) von Ban Gu. In beiden Fällen handelt es sich um anerkannte Werke, in denen die Biographien der männlichen Favoriten der Kaiser in ausführlichen Kapiteln detailgenau beschrieben werden.3 Diese Geschichten überliefern uns ein ausführliches Bild des kaiserlichen Hofes, an dem den männlichen Favoriten des Kaisers große Bedeutung zukam. Auf vielfältige Weise wurde Homosexualität zu einem herausragenden Merkmal am Hof der frühen Han-Zeit. Der herausragende Historiker Sima Qian unterstreicht in der Einleitung zu den Biographien dieser einflussreichen Männer die Macht der kaiserlichen Favoriten. Die dem Herrscher dienten und mit Erfolg seine Ohren und seine Augen erfreuten, seine Gunst und Zuneigung erheischten, taten dies nicht nur mithilfe von Lust oder Liebe, sondern ein jeder hatte sehr ausgeprägte Talente. Daher entschloss ich mich die Biographien der männlichen Favoriten der Kaiser zu schreiben. Wie es schon in der Redewendung heißt: „Ein paar Tage guten Wetters sind für die Ernte wichtiger als harte Arbeit auf dem Feld, von seinen Vorgesetzten gemocht zu werden ist mehr wert als ein treuer Dienst.” Das ist nicht nur eine Redewendung. Und es sind nicht nur Frauen, die über ihr Aussehen das Interesse des Herrschers erwecken können, Höflinge und Eunuchen haben auch eine Begabung für dieses Spiel. 3 Sima Qian, Shi Ji , Kapitel 125; Ban Gu, Han Shu,, Kapitel 93. 46 In alter Zeit hat sich so mancher Mann seinen Platz am Hofe auf diese Weise erkämpft.4 Der erste Han-Herrscher war Kaiser Gao, besser bekannt als Gaozu. Er und sein Nachkomme, Kaiser Hui begründeten die Han-Tradition, Beamte, die bereit waren ihre sexuelle Begabung einzusetzen, zu begünstigen. Als die Han an die Macht kamen, verfiel Kaiser Gaozu, trotz seiner Derbheit und seiner ungehobelten Manieren, den Reizen eines jungen Burschen namens Ji. Kaiser Hui hatte einen Jungen namens Hong zum Favoriten. Weder Ji noch Hong waren besonders talentiert noch verfügten sie über besondere Fähigkeiten. Beide kamen aufgrund ihres Aussehens und Ihrer Anmut zu Ansehen. Sie waren Tag und Nacht an der Seite des Kaisers und alle hohen Minister mussten bei ihnen um Audienz bitten, wenn sie mit dem Kaiser sprechen wollten.5 Die Liebhaber der Herrscher wurden im Lauf der Zeit auf hohe offizielle Posten befördert. Aufgrund ihres sehr intimen Verhältnisses mit dem Kaiser kamen diese in den Genuss außergewöhnlicher Privilegien. Sie verfügten über noch mehr Macht, wenn es darum ging, wer außer ihnen Zugang zum Zentrum des Han-Kosmos haben sollte. Ein Vorfall aus der Regierungszeit Gaozus verdeutlicht über wie viel Macht man verfügte, wenn man das Vertrauen des Kaisers besaß. Gaozu erkrankte ernsthaft und befürchtete, dass der autonome Adel die Gelegenheit nutzen könne, um seine junge Dynastie zu Fall zu bringen. Er zog sich in das Palastinnere zurück, wobei es nur einem einzigen Eunuchen gestattet war, ihn zu versorgen. Fan Kuai, ein Liebhaber Gaozus, überzeugte den Kaiser seine Isolation zu beenden, wodurch eine ernsthafte politische Krise beigelegt werden konnte. 4 [Sima Qian] Ssu-ma Ch'ien, Records of the Grand Historian of China, Übersetzung, Burton Watson (New York, 1961), S. 2:462 5 ebd. 47 Als Kaiser Gaozu krank war, erholte er sich im Palastinneren und befahl den Torwächtern, dass kein Beamter Zutritt haben solle. Keiner wagte einzutreten. Nachdem mehr als zehn Tage verstrichen waren, gelang es Fan Kuai in die innerste Kammer des Palastes vorzudringen. Alle hochrangigen Beamten folgten ihm. Als er den Kaiser auf einem Kissen liegen sah, mit nur einem Eunuchen an seiner Seite, fingen Fan Kuai und die ihn begleitenden Beamten bitterlich zu weinen an. Er sagte: „In der Vergangenheit sind eure Majestät und ich zusammen zu Reichtum und Größe gekommen. Was zählt da eure Gesundheit? Das ganze Reich ist wohl bestellt. Was bedeutet eure Erschöpfung? Eure Majestät verwaltet die wichtigsten Angelegenheiten des Reiches nicht allein. Als der Kaiser dies hörte, lachte er und stand auf. ”6 Fan Kuai und seinesgleichen wurden mit Liebe, Reichtum und, wie dieser Vorfall zeigt, mit Macht belohnt. In späteren Dynastien geschah es immer seltener, dass einem kaiserlichen Favoriten innerhalb eines kurzen Zeitraums der Aufstieg aus vollkommener Unbekanntheit in die riskante Position eines mächtigen Emporkömmlings gelang. Der Grund dafür war, dass von der Bürokratie rationale Methoden entwickelt wurden, mit deren Hilfe die Ränge gefüllt werden konnten, sowie die Existenz eines regulären Beförderungs- und Degradierungssystems. Durch die weitverbreitete Günstlingswirtschaft war im bürokratischen System der Han-Zeit jedoch Gunst und Einfluss von größerer Bedeutung als Begabung. Adelige und hochrangige Beamte nutzten gegenseitig ihren Einfluss und erwarteten, dass ihnen als Gegenleistung ein Gefallen geleistet würde. Ein solches System konnte relativ einfach von denen ausgenutzt werden, die bereit waren, für einen Posten mit Sex zu bezahlen. Am Fall von Deng Tong zeigt sich, wie es selbst für ungebildete Personen möglich war, indem sie beabsichtigt oder unbeabsichtigt die Aufmerksamkeit des Kaisers auf sich zogen, durch die Gunst des Kaisers auf hohe Posten befördert zu werden. Deng Tong gelang es, von seiner Position als einfacher Knecht in eine lukrative Position aufzusteigen, die dem Rang einer kaiserlichen Konkubine entsprach. Obwohl sie recht lang ist, empfiehlt es sich seine Biographie in Gänze zu lesen, da in ihr alle möglichen Phasen im 6 Aus Du Yous Tongdian, so zitiert in Wuxia Ameng, Hrsg. Duanxiu Pian 9:3A. 48 Leben eines kaiserlichen Favoriten am Hof der Han beschrieben werden, aus tiefster Armut zu Reichtum und wieder zurück in die Armut. Obwohl die Lebensläufe der meisten kaiserlichen Favoriten der Han-Zeit weniger aufregend als die von Deng Tong waren, zeigt sein Lebenslauf die Risiken des unerwarteten Erfolgs dieser Männer. Unter den Herren, die am Hof des Kaisers Wen seine Gunst genossen, befand sich ein Höfling namens Deng Tong und seine Eunuchen Zhao Tan und Beigong Bozi. Beigong Bozi war ein achtbarer und herzlicher Mensch, während Zhao Tan die Aufmerksamkeit des Kaisers auf sich zog, weil er in astrologischen Dinge sehr bewandert war. Beide begleiteten den Kaiser regelmäßig bei seinen Ausfahrten in der kaiserlichen Kutsche. Deng Tong schien über keine besonderen Talente zu verfügen. Deng Tong stammte aus Nan An in der Provinz Shu (heutiges Sichuan). Da er wusste wie man Boote steuerte, wurde er zu einem gelb-bemützten Bootsmann am Hofe des Kaisers befördert. Es begab sich, dass der Kaiser träumte, dass er versuchte in den Himmel aufzusteigen, aber unfähig war, nach oben zu gelangen. Da erhielt er plötzlich einen Schubs von einem gelb-bemützten Bootsmann und er gelang in den Himmel. Als sich der Kaiser umdrehte, um sich den Mann anzusehen, bemerkte er, dass die Naht des Umhangs des Bootsmanns im Rücken aufgegangen war, genau unterhalb der Schärpe. Nachdem der Kaiser aufgewacht war, begab er sich auf die Terrasse des Lapping-Wassers, die sich in der Mitte des Azursees befand und suchte dort fieberhaft nach dem Mann, der ihn in seinem Traum in den Himmel gestoßen hatte. Er stieß dort auf Deng Tong, der zufällig auch einen Riss im Rücken seines Umhangs hatte, genau wie der Mann in seinem Traum. Der Kaiser befahl ihn zu sich und fragte ihn nach seinem Namen. Als er hörte, dass sein Familienname Deng (aufsteigend) und sein Vorname Tong (erreichen) war, war der Kaiser außer sich vor Glück. Von diesem Zeitpunkt an überhäufte der Kaiser Deng Tong mit nicht enden wollenden Ehren und Gunst. 49 Deng Tong für seinen Teil zeichnete sich auf seinem Posten durch große Ehrlichkeit und Umsicht aus. Er verkehrte nicht mit Leuten außerhalb des Palastes und obwohl der Kaiser ihm freie Tage gewährte, um seine Heimat zu besuchen, ging er nur sehr widerwillig auf Heimaturlaub. Das Ergebnis war, dass ihn der Kaiser mit Geschenken verwöhnte, so dass er ein Milliardenvermögen in Bargeld anhäufte und auf den Posten eines hochrangigen Barons befördert wurde. Der Kaiser besuchte Deng Tong von Zeit zu Zeit zuhause, um sich dort die Zeit zu vertreiben. Außer seiner Begabung den Kaiser zu unterhalten, verfügte Deng Tong über keine weiteren Talente. Es blieb ihm versagt anderen bei ihrer Beförderung am kaiserlichen Hof dienlich sein zu können. Er verwendet stattdessen alle seine Anstrengungen darauf, seine eigene Position am Hof zu festigen und sich dem Kaiser anzudienen. Eines Tages rief der Kaiser einen Mann zu sich an den Hof, der sich dadurch auszeichnete, anhand des Gesichts eines Menschen sein Schicksal voraussagen zu können. Er untersuchte Deng Tongs Gesicht und sagte zum Kaiser: „Dieser Mann wird verarmen und an Hunger sterben.” Der Kaiser erwiderte: „Aber ich bin derjenige, der ihn zu Reichtum gebracht hat. Wie sollte er jemals verarmen?” Diesen Vorfall nahm der Kaiser zum Anlass, Deng Tong das Recht einzuräumen, in einigen kupferreichen Bergen der Region Yan in der Provinz Shu Bergbau zu betreiben und in eigener Verantwortung Kupfermünzen zu prägen. Im Lauf der Zeit fand das sogenannte „Deng-Familiengeld” im gesamten Reich Verwendung. Dies soll eine Vorstellung vermitteln, wie wohlhabend Deng Tong war. Einmal litt der Kaiser an einem Tumor und Deng Tong sah es als seine Aufgabe an den Tumor selbst, um Infektionen zu verhindern, ständig mit dem Mund sauberzusaugen. Seine Krankheit machte den Kaiser depressiv. Er fragte Deng Tong beiläufig: „Im ganzen Reich, wer denkst Du, liebt mich am meisten?” 50 Deng Tong antwortete: „Sicherlich liebt niemand Eure Majestät mehr als der rechtmäßige Thronfolger.” Zu einem späteren Zeitpunkt als der rechtmäßige Thronfolger sich nach dem Wohlbefinden seines Vaters erkundigte, zwang ihn der Kaiser den Tumor mit dem Mund auszusaugen. Der Thronfolger tat wie man ihm befahl und schaffte es den Tumor sauberzusaugen. Seinem Gesichtsausdruck konnte man jedoch entnehmen, dass er den Geschmack widerlich fand. Als er später herausfand, dass Deng Tong routinemäßig den Tumor des Kaisers saubergesaugt hatte, schämte er sich sehr, ließ es aber nicht nach außen dringen. Von diesem Zeitpunkt an hegte er jedoch einen Groll gegen Deng Tong. Nach dem Tod Kaiser Wens bestieg Kaiser Jing den Thron. Deng Tong verließ den Hof und kehrte in seine Heimat zurück. Kurz nach seiner Rückkehr in die Heimaterreichten Berichte den kaiserlichen Hof, dass er von ihm geprägte Münzen über die Grenze zu den Barbaren geschmuggelt hatte. Er wurde zu Ermittlungszwecken den Strafverfolgungsbehörden übergeben und es stellte sich heraus, dass die Anschuldigungen durch die Beweismittel größtenteils bestätigt wurden. Er wurde verurteilt und sein gesamtes Vermögen wurde von der Regierung eingezogen. Es wurde behauptet, dass sein Vermögen nicht ausreiche, um für den entstandenen Schaden aufzukommen und dass er der Regierung mehrere Millionen an Bargeld schuldete. Die ältere Schwester Kaiser Jings, Prinzessin Chang, schenkte Deng Tong Geld, was von den Staatsbeamten jedoch auch umgehend beschlagnahmt wurde, so dass Deng Tong zum Schluss nur die Nadel übrig blieb, mit der er seine Kappe feststeckte. Prinzessin Chang unterstützte ihn jedoch weiter mit Essen und Kleidung, in Form eines Darlehens, so dass es für den Staat nicht möglich war, diese Geschenke ebenfalls zu konfiszieren. Am Ende besaß Deng Tong nicht mal mehr eine Kupfermünze und starb, abhängig von der Gunst anderer, in einem fremden Haus.7 7 [Sima Qian] Ssu-ma Ch’ien, Records of the Grand Historian 2:462- 464 51 Deng Tong war nur einer von vielen Männern im Lauf der Geschichte, die durch ihre sexuelle List in bedeutende Stellungen gelangten. Es existierten viele Erfolgsgeschichten8 von Männern, die gewillt waren, Homosexualität zu ihrem Vorteil zu nutzen. Da bereits viele erfolgreich diese Aufstiegsmöglichkeit genutzt hatten, gewann die Vorgehensweise im Lauf der Zeit allgemeine Akzeptanz, um sozial und politisch aufzusteigen. In diesem System war es möglich, von einem niederen Bootsmann in den Rang einer favorisierten männlichen Konkubine aufzusteigen, was enormen Reichtum mit sich brachte. Obwohl die Erwähnung des „Geschenks von Milliarden in Bargeld” sicherlich eine literarische Übertreibung darstellt, so wird uns dadurch doch eine Vorstellung vom Umfang der materiellen Entlohnung Deng Tongs vermittelt. Für einen durchschnittlichen Bauernhaushalt, der 4000 pro Jahr9 ausgab, schien auch nur ein Bruchteil des Nettovermögens Deng Tongs unvorstellbar. Im Besitz des Münzprägungsrechts zu sein, war ebenfalls ein sehr lukratives und ehrenhaftes Privileg, was in der Regel von der Regierung nicht aus der Hand gegeben wurde.10 Die intensive Rivalität zwischen Deng Tong und dem rechtmäßigen Thronfolger, dem zukünftigen Kaiser Jing, stellt eine besonders bemerkenswerte Episode dar. Deng Tongs überragendes Prestige versetzte ihn in die Lage, sich sogar gegen den Thronerben behaupten zu können. Deng war jedoch nicht der Erste, der aus Loyalität die Geschwüre einer höherstehenden Person sauber leckte. Es wird berichtet, dass in der Han-Dynastie Wunderheiler Ihre Wunderkräfte benutzten, um sich selbst in eine Art Geschwür zu verwandeln, um dann einen unerfahrenen Novizen aufzufordern, die Pusteln als Zeichen unerschütterlicher Zugneigung zu lecken.11 Als jedoch der rechtmäßige Thronfolger gezwungen wurde diese unappetitliche Pflicht am verfaulten Fleisch des Kaisers durchzuführen, war es nur eine Frage der Zeit, bevor er sich für diese ekelerregende Erniedrigung rächen würde. Es war offensichtlich, dass Kaiser Jing Deng Tong nicht 8 Ich habe diesen Begriff entnommen aus "The Types of Upward Mobility" in Yung-teh Chow Werk Social Mobilty in China: Status Careers Among the Gentry in a Chinese Community (New York, 1966) S. 210 9 Cho-yun Hsu, Han Agriculture: The Formation of Early Chinese Agrarian Economy (206 v.Chr - 220 n.Chr.), Hrsg. Jack L. Dull (Seattle, 1980) S. 78 - 79 10 Siehe Song Xuwu, Xi Han huobi shi chugao (Vorläufiges Konzept zur Geschichte der Währung der westlichen Han-Dynastie) (Hong Kong, 1971) 11 Donald John Harper, „Das 'Wu shi erh ping fang': Übersetzungen und Prolegomena”(Ph.D. Dissertation, University of California, Berkeley, 1982) S. 62 52 wegen seiner Homosexualität ablehnte, er hat ja schließlich selbst einen Geliebten. Jings Hass auf Deng Tong rührte von einer persönlichen Abneigung her. Das Leben Deng Tongs wirft ein Licht auf die Quelle, aus der sich die Macht sexueller Favoriten speiste. Eine emotionale Bindung zwischen ihm und dem Herrscher konnte sich für einen Favoriten auszahlen. Je größer die Ergebenheit war, desto größer war auch der Einfluss. Aber da der Schutz des Favoriten direkt von der Zuneigung des Kaisers abhing, stellte jede politische Verwerfung am Han-Hof potenziell eine tödliche Gefahr für einen angreifbaren Favoriten dar. So wollte beispielsweise ein kaiserlicher Hofkanzler aus politischen Gründen Rache an Deng Tong nehmen. Er klagte Deng Tong an, dem Kaiser gegenüber nicht genügend Respekt zu zeigen und befahl seine Köpfung. Nur ein Eingreifen des Kaisers in letzter Minute hielt die Klinge vom Hals Deng Tongs fern. Favoriten wie Deng Tong mussten nicht nur Rivalen innerhalb der kaiserlichen Familie fürchten, sondern auch solche innerhalb der Regierungsbürokratie. In den Passagen in den „Aufzeichnungen des Historikers (Shiji)” und den „Geschichten der Han-Dynastie” (Han Shu), die sich auf Deng Tong und andere Favoriten beziehen, sehen wir die Entstehung eines umfangreicheren Vokabulars für die Beschreibung von Homosexualität. In beiden Werken tragen die Abschnitte, die sich mit Favoriten beschäftigen, den Titel „Ning Xing)”. Ursprünglich bezeichnet Ning „kunstvolle Schmeichelei”. Im alten Wörterbuch Shuo Wen wird Xing als „unter einem günstigen Stern stehend und Katastrophen vermeidend” definiert. Die Bedeutung von Xing wurde im Lauf der Zeit immer spezifischer. Im Wörterbuch Ci Hai der Ming-Dynastie wird Xing mit Liebe und Wohlwollen gleichgesetzt, gleichbedeutend mit dem älteren Terminus Chong. Es scheint, als ob diese Definition während der Han-Zeit gültig war. Das bedeutet, dass die Kapitelüberschriften zu übersetzen sind als: (Diejenigen denen) Gunst (durch) kunstvolle Schmeichelei (zugute kommt), eine Wortwahl, die der Tendenz der Han-Zeit entspricht, Sexualität über soziale Beziehungen zu beschreiben. Des Weiteren taucht auch der Begriff Ai Ren in Han-Texten auf. Wörtlich bedeutet dieses 53 zusammengesetzte Wort Liebhaber/Liebhaberin und ist im heutigen China (VR) der übliche Begriff, um den Ehegatten oder die Ehegattin zu bezeichnen. Das Zhou-Wort Chong taucht in Han-Texten weiterhin als Synonym für Xing auf. In den Werken der Han-Zeit zum Thema kaiserliche Favoriten werden keine Ursachen für Homosexualität beschrieben. Wie die meisten anderen Schreiber, so erwähnten die Schreiber der Han-Zeit nur das Außergewöhnliche und nicht das Alltägliche. Da Homosexualität ein Teil des täglichen Lebens war, finden wir keine hasserfüllte Hetze, leidenschaftliche Verteidigung oder ausführliche Erklärungen. Stattdessen versuchen die Historiker Sima Qian und Ban Gu die berüchtigten Praktiken zu beschreiben und zu verstehen, die eingesetzt wurden, um über die Gewährung sexueller Gunst auf politische Posten befördert und entlohnt zu werden. Sie zeigen auf, dass Sex bei der Vergabe offizieller Posten weiterhin eine Rolle spielte, eine Praktik, die seit den Zeiten Mozis scharf kritisiert wurde. Diese „Regierungsmethode” wurde nicht nur von Wen angewandt, sondern auch von seinem Sohn Jing. Der berühmteste Favorit Kaiser Jings war Zhou Ren. Zhou Ren zeichnete sich durch seine Begabung in den „geheimen Spielen” aus, die in den kaiserlichen Boudoirs stattfanden und an denen der Kaiser großen Gefallen fand. Aufgrund der von Zhou Ren dem Kaiser gegenüber dargebrachten sexuellen Gunst, wurde er wie auch seine Familie, vom Kaiser, der Aristokratie und den Beamten mit Ehrungen und Geschenken überhäuft.12 Diese Privilegien gingen auf seine Nachkommenschaft über, die dadurch in der Lage war, in die höchsten Kreise der Regierung aufzusteigen. Wie die Karrieren von Zhou Ren und Deng Tong zeigen, profitierte die gesamte Familie wirtschaftlich und sozial von der sexuellen Gunst eines Favoriten, der die Möglichkeit hatte, Privilegien auf Familienmitglieder zu übertragen. Zhou Ren verstand es, sich mit dem Nachfolger seines Liebhabers gut zu stellen und entrann dadurch dem Schicksal Deng Tongs. Er konnte seinen hohen sozialen Status halten und an seine Nachkommenschaft weitergeben. Ähnliche wirtschaftliche 12 Ban Gu, Han shu (Beijing, 1974), 46: 2203. 54 Bedingungen motivierten weniger hochstehende Favoriten bis hinunter zu gewöhnlichen Prostituierten, wie sie in der späteren Literatur Erwähnung finden. Li Yannian soll als weiteres Beispiel eines Favoriten dienen, dessen Schicksal eng mit dem Schicksal eines anderen Mitglieds seiner Familie verbunden war. Der Aufstieg seiner Schwester zu einer Favoritin von Kaiser Wu ging seinem eigenen Aufstieg voraus. Li Yannian stammte aus Zhongshan. Sein Vater, seine Mutter, seine Brüder und Schwestern, wie auch er selbst, waren ursprünglich Sänger. Li Yannian war eines Verbrechens überführt und zur Kastration verurteilt worden. Er wurde zum Hundehüter im Palast ernannt. Später empfahl Prinzessin Pingyuan dem Kaiser die jüngere Schwester Li Yannians, Fräulein Li, die sich durch eine Begabung für Tanz auszeichnete. Als der Kaiser sie sah, fand er Gefallen an ihr und ließ sie in die Frauengemächer des Palasts bringen. Gleichzeitig ließ er Li Yannian zu sich rufen und beförderte ihn auf einen höheren Posten. Li Yannian war ein guter Sänger, der sich darauf verstand, neue Melodien zu komponieren. Es begab sich, dass der Kaiser zu einigen Hymen Musik komponiert haben wollte, die dann für Zupfinstrumente arrangiert werden sollte. Die Musik sollte dann bei den Opferzeremonien für Himmel und Erde, die der Kaiser eingeführt hatte, aufgeführt werden. Li Yannian stellte sich der Aufgabe und erledigte sie zur vollen Zufriedenheit des Kaisers. Er komponierte für die neu geschriebenen Texte Melodien und arrangierte die Musik für Zupfinstrumente. In der Zwischenzeit gebar seine Schwester, die Hofdame Li, dem Kaiser einen Sohn. Li Yannian trug inzwischen das Siegel eines „zweitausend Picul-Beamten” und schmückte sich mit dem Titel „Harmonisierer der Melodien”. Er verbrachte Tag und Nacht an der Seite des Kaisers, und die Gunst die er genoss, sowie die ihm entgegengebrachten Ehrungen, standen denen, die Han Yan in früherer Zeit „genossen“ hatte, in nichts nach. 55 Nach einigen Jahren begann sein jüngerer Bruder Li Ji eine Affäre mit einer der Palastdamen. Er wurde im Lauf der Zeit immer arroganter und unvorsichtiger in seinem Verhalten. Nach dem Tod der Hofdame Li schwandt des Kaisers Zugneigung für die beiden Li Brüder. Zuguterletzt ließ er sie verhaften und anschließend hinrichten.13 Wieder hatte es ein attraktiver junger Mann aus einfachen Verhältnissen geschafft, die Gunst des Kaisers zu gewinnen und in den Genuss entsprechender Vergünstigungen zu gelangen. Zunächst nahm Li Yannian am Glück der Hofdame Li teil, wurde dann aber im Handumdrehen durch den nachfolgenden Favoriten Wei Qing ersetzt und teilte damit das Schicksal Mizi Xias. Wie so viele andere Favoriten war Li Yannian ein Eunuch. Die stereotypische Darstellung der Eunuchen der Han-Zeit rührt vom verweiblichten Verhalten von Männern wie Zhao Zhong her, der sich selbst als „Mutter” Kaiser Lings bezeichnete und sich oft selbst als Frau ausgab. Das Verhalten und die überlieferte Attraktivität von favorisierten Eunuchen steht im Gegensatz zu dieser grotesken Karikatur kastrierter und übergewichtiger androgyner Männer. Männer, die einen hohen gesellschaftlichen Status genossen, mögen Eunuchen als Sexualpartner bevorzugt haben, da sich diese durch sexuelle Passivität auszeichneten und sie dadurch in eine klar definierte Sexualrolle passten. Da in den meisten Epochen Eunuchen aus den niedrigsten sozialen Schichten der chinesischen Gesellschaft und den unterwickelten, an Kernchina angrenzenden Stammesgebieten entstammten, ist davon auszugehen, dass die vornehmen und kultivierten Kaiser das derbe Aussehen und ungehobelte Verhalten der meisten Eunuchen als abstoßend empfanden. Nur in den Epochen in denen Eunuchen am Hof aufstiegen, erhielten sie auch die entsprechende Bildung und den Feinschliff, der von denen, die selbst in vornehmer Umgebung erzogen worden waren, geschätzt wurde. Zu gewissen Zeiten der Han-Epoche gelang es Eunuchen wie Li Yannian durch ihren anerzogenen Charme die Zuneigung ihrer jeweiligen Herrscher zu gewinnen. 13 [Sima Qian] Ssu-ma Ch' ien, Records of the Grand Historian 2:466. 56 Sowohl Eunuchen als auch unkastrierte Favoriten kamen in den Genuss großzügiger Belohnungen. Die Liebe Kaiser Ais für seinen Favoriten Dong Xian war sehr berühmt und verdeutlicht, in welchem Umfang ein treuer kaiserlicher Gönner seinem Favoriten Privilegien zugute kommen lassen konnte. Sie zeigt auch welche politischen Auswirkungen eine solche Beziehung haben konnte. Nachfolgend wird das Leben Dong Xians in den „Geschichten der Han-Dynastie” (Han Shu) zusammengefasst. Dong Xians Vater, der ein hochangesehener Zensor war, ernannte Dong Xian zu einem Gefolgsmann am Hof Kaiser Ais. Dong Xians Schönheit rief Bewunderung hervor. Kaiser Ai wurde seiner ansichtig und sprach fortan von Dong Xians Körperhaltung und seinem Aussehen. Der Kaiser fragte: „Was ist mit diesem Gefolgsmann Dong Xian?” Das war der ursprüngliche Anlass, aus dem Dong Xian mit dem Kaiser in Kontakt trat. Ab diesem Augenblick wurde er zum Favoriten des Kaisers. Die Liebe Dong Xians und die Gunst, die er dem Kaiser gewährte, nahmen von Tag zu Tag zu. Er bekleidete ein hohes Amt und jedes Jahr wurden ihm 1000 Piculs (60 Tonnen) Getreide gewährt. Die Hochschätzung, die ihm zuteil wurde, alarmierte den Hofstaat. Dong Xian war immer freundlich, umgänglich und ein guter Schmeichler. Er verstand es zu verführen, indem er unbeirrt an seinem Ziel fest hielt. Jedes Mal, wenn ihm angeboten wurde Urlaub zu nehmen, lehnte er ab. Er verließ stattdessen den Hof nie, sondert studierte dort Medizin. Der Kaiser hatte Schwierigkeiten, Dong Xian zu zwingen, nach Hause zurückzukehren. Er ließ Dong Xians Ehefrau an den Hof rufen, wo sie wie ein Hofbeamter in den Regierungsgebäuden ihren Wohnsitz nahm. Der Kaiser rief auch Dong Xians Söhne und Töchter an den Hof und musste feststellen, dass auch sie klug und wohlerzogen waren. Der Kaiser hob Dong Xians Vater in den Adelsstand zum Marquis von Guannei mit einem dazugehörigen Lehen. Dong Xian selbst wurde zum Marquis von Gao An ernannt. Beide Lehen waren jeweils 2000 Piculs (120 Tonnen) Getreide pro Jahr wert. Sämtliche 57 Mitglieder in Dong Xians Haushalt, bis hinunter zu den Sklaven, wurden vom kaiserlichen Hof begünstigt. Der Premierminister protestierte wiederholt dagegen, da er der Meinung war, dass wegen Dong Xian das staatliche Regelwerk in einem chaotischen Zustand war.14 Die Macht und die Privilegien Dong Xians waren außergewöhnlich. Die schiere Anzahl und Wiederholungen machen es unnötig hier näher darauf einzugehen. Seine Biographie ist eine Aufzählung der höchsten Ämter und Titel. Auf seinen höchst dotierten Posten wurde er ernannt, als er 22 Jahre alt war. Er wurde sogar mit dem Bau des kaiserlichen Grabs betraut, einer Aufgabe von höchster zeremonieller Bedeutung und Feierlichkeit. Dong Xiangs Macht war so umfassend, dass es ihm sogar gelang, eines der bedeutendsten Bodenreformprojekte der Han-Zeit zu blockieren, da jegliche mit einer Bodenreform einhergehende Beschränkung vor allem für die reichsten Untertanen des Reiches, zu denen er selbst auch zählte, die größten Auswirkungen gehabt hätte.15 Ein zu Besuch weilender Anführer eines nördlichen Nomadenstammes machte während eines Festes eine Bemerkung bezüglich des, für eine Person in so hoher Position, als unpassend empfundenen Alters. Der Kaiser erklärte ihm, dass der Grund für Dong Xians hohe Stellung in so jungen Jahren in seiner Weisheit begründet sei. Daraufhin erhob sich der Nomadenführer, verbeugte sich vor dem „Wunderknaben” und beglückwünschte seinen Gastgeber ob des Glückes, einen lebenden Weisen in ihrer Mitte begrüßen zu dürfen. Der wahre Grund für Dong Xians hohen Rang war natürlich im genauen Gegenteil zu Weisheit begründet. Sexuelle Gunst und eine privilegierte Herkunft waren die wahren Gründe, warum jemand den Gipfel irdischen Erfolgs erklommen hatte, in einem Alter, das sogar bei ausländischen Besuchern Erstaunen hervorrief. Dong Xians Familie profitierte auch in außergewöhnlichem Maße von seiner Stellung als Favorit. Sein Vater, Schwiegervater, Bruder und Enkel wurden alle mit Ämtern und 14 Wuxia Ameng, Hrsg. Duanxiu Pian 9:5B-6A. Um Wiederholungen zu vermeiden, wurde für diesen Abschnitt eine editierte Übersetzung des Originals verwendet. Um die Lesbarkeit zu erhöhen, habe ich Ellipsen gelöscht. 15 Hsu, Han Agriculture , S. 22, 49. 58 Privilegien bedacht. Es sollte uns nicht erstaunen, dass der Kaiser bereit war, die Familie seines Liebhabers zu belohnen. Diese Praxis stellt eine direkte Parallele zu der üblichen Sitte dar, wichtige Beamte aus den Familien kaiserlicher Gemahlinnen zu wählen.16 Die Familie eines Favoriten mit der gleichen Wertschätzung wie die Familie einer favorisierten Konkubine zu behandeln, zeigt die Ähnlichkeiten in der Perzeption des frühen Chinas bezüglich männlicher und heterosexueller Konkubinen. Vor seinem Tod schlug Kaiser Ai ganz offen vor, das Reich in die Hände von Dong Xian zu geben. Die kaiserlichen Berater verwarfen diesen Vorschlag umgehend.17 Aber nichtsdestotrotz übergab der Kaiser, der weder über einen Sohn noch einen rechtmäßigen Erben verfügte, bereits auf dem Totenbett liegend, die kaiserlichen Siegel an Dong Xian und ernannte ihn zum Kaiser. Er berief sich dabei auf einen historischen Präzedenzfall, als der mystische Kaiser Yao zu Gunsten von Shun abdankte, anstatt den Thron seinem Sohn zu hinterlassen. Die vielen politischen Feinde Dong Xians waren von dieser dürftigen Rechtfertigung der Legitimität nicht beeindruckt. Er wurde zum Selbstmord gezwungen und der Usurpator Wang Mang setzte an seiner Stelle ein Kind auf den Thron, das an seiner Statt regierte. Später beseitigte Wang Mang den Kinderkaiser und regierte offiziell selbst.18 Kaiser Ai war der letzte erwachsene Kaiser der westlichen Han-Dynastie. Durch den fehlgeschlagenen Versuch, die Kaiserwürden auf seinen Liebhaber zu übertragen, war das Schicksal seiner Dynastie besiegelt. Zwischen dem Kaiser und seinem Favoriten bestand eine enge Verbindung, die jedoch nicht stark genug war, um die Regeln der traditionellen Thronfolge außer Kraft zu setzen. Da gegen Wang Mang kein erfolgreicher Widersacher aufgeboten werden konnte, bedeutet dies das Ende der westlichen Han-Dynastie. Die Liebe Kaiser Ais zu Dong Xian, mit ihren bedeutenden politischen Konsequenzen, sticht als das herausragende Beispiel für Günstlingswirtschaft am Hof der Han hervor. Aber das Bewusstsein, dass jeder Mann, dem es gelang die Aufmerksamkeit des Kaisers 16 Ch’ü, Han Social Structure , S. 168 – 174. Michael Loewe, „The Former Han Dynasty,” in The Ca mbridge History of China , Hrsg. Denis Twitchett und Michael Loewe (Cambridge, 1986), 1:220. 18 ebd. S. 227 - 229 17 59 auf sich zu ziehen, großzügigste Belohnungen zu erwarten hatte, änderte das Leben am Hof auf viel subtilere Weise. Wie im nachfolgenden Auszug aus den „Geschichten der Han-Dynastie” (Han Shu) beschrieben, führte die Aussicht zum Sexualpartner des Kaisers erkoren zu werden dazu, dass sich Dong Xian wie auch andere, sehr auffallend kleidete. Dieser Trend führte dazu, dass der Han-Hof sich zu einer Bühne für extravagantes Geckentum entwickelte. Die Höflinge überboten sich darin, sich als verführerische Schönheiten darzustellen. Sie sprachen gekünstelt, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Im Kontrast dazu trug Dong Xian ein einfaches Gewand, aus graufarbener einfacher Seide. Es hing an ihm wie die Flügel einer Zikade. Der Kaiser betrat das Quartier und befahl Dong Xian in ein leichtes, kurzärmliges Kleidungsstück zu schlüpfen. Dong Xian trug dazu keinen extravaganten langen Gürtel oder einen langen Rock. Die Tatsache, dass die beiden miteinander schliefen, empörte die Palastbewohner.19 Ein ähnlich stark ausgeprägter Fokus für Männermode führte zu Änderungen in der Kleiderordnung am Hofe des Han-Kaisers Hui. Wie Sima Qian bemerkte, waren alle Palastbediensteten am Hof des Kaisers Hui geschminkt und trugen Kappen mit grellen Federn und Schärpen aus Meeresmuscheln.20 Dieses Bild, von in kostbare Stoffe gehüllten und mit versponnenen Accessoires drapierten Höflingen, bestrebt sich auf dem Feld der Schönheit mit anderen einen Wettkampf zu liefern, begeisterte auch noch nachfolgende Generationen. Die bereits erwähnte Zeile von Sima Qian taucht in der Tang-Dynastie wieder auf, in den „Poetischen Essays zum allerhöchsten Glück”, die in den Dunhuang-Höhlen gefunden wurden.21 Die Tatsache, dass ein Mann in der Han-Zeit seinen zukünftigen Wohlstand sichern konnte, indem er das Interesse des Kaisers weckte, muss bei Lesern der Tang-Zeit einen tiefen Eindruck hinterlassen haben, so wie dies auch bei heutigen Lesern der Fall ist. Die Umstände führten zu einer zunehmenden Raffinesse 19 Wuxia Ameng, Hrsg. Duanxiu Pian 9:8A. [Sima Quan] Ssu-ma Ch’ien, Records of the Grand Historian 2:462. 21 Bo Xingjian, „Tiandi yinyang jiaohuan dale fu (Poetische Essays zur sexuellen Vereinigung und der göttlichen Freude von Himmel und Erde und Ying und Yang), in Shuangmei ying'an congshu („Sammlung der Schatten der paarweisen Pflaumen“), Hrsg. Ye Dehui (Nachdruck Hong Kong, Datum unbekannt), S. 8A. 20 60 in Kleidung und Schmuck, einer Mode, die heutzutage als verweichlicht gelten mag. Von Bedeutung ist, dass dieses Phänomen während einer Epoche weit verbreitet war, die für ihren offenen Umgang mit Homosexualität bekannt war. In den nachfolgenden Dynastien assoziierte man männliche Kosmetik mit passiver Homosexualität, der Schauspielerei und Prostitution. Während der Han-Dynastie verband man diese Affektiertheit jedoch eher mit einem gewissen Dandytum als mit Verweiblichung. Eine ähnlich ausgeprägte Extravaganz in der Kleidung zeichnete den Hof von Louis XIV aus, wo diese Extravaganz von eleganten Adeligen nicht als weibisch, sondern als ein Zeichen von Vornehmheit betrachtet wurde. Am Han-Hof führte das Bewusstsein, dass sexuelle Gunst zu Ehren und Reichtum führen konnte, zu einer Betonung des Äußerlichen, wie sie an allen Königshöfen anzutreffen ist. Obwohl Favoriten am Hof ihrem Äußeren große Aufmerksamkeit widmeten, wurden sie von den Autoren der Han-Zeit trotzdem nicht stereotypisch als verweichlicht oder verweiblicht beschrieben. Der Kaiser Wu und sein Favorit Han Yan versinnbildlichen das Ideal von Herrscher und Favorit. Han Yan war ein unehelicher Enkel Han Tuidangs, des Marquis von Gonggao. Als der jetzige Kaiser noch König von Jiaodong war, studierten er und Yan zusammen die Kunst des Schreibens. Sie fanden beide großen Gefallen aneinander. Später, als der Kaiser zum Thronfolger ernannt worden war, vertiefte sich ihre Freundschaft mehr und mehr. Yan war ein begabter Reiter und Bogenschütze und verstand es auch sehr gut, sich beim Kaiser einzuschmeicheln. Er kannte sich in den Kampftechniken der Barbaren gut aus. Dies war der Grund dafür, dass der Kaiser, nachdem er den Thron bestiegen hatte und mit der Planung eines offenen Angriffs auf die Xiongnu begonnen hatte, Yan noch mehr Respekt entgegenbrachte und ihn mit noch mehr Ehren überhäufte. Yan wurde bald in den Rang eines hochrangigen Lords erhoben und wurde vom Kaiser mit Geschenken überhäuft, die denen Deng Tongs, in den Tagen als er am kaiserlichen Hof in hoher Ehre stand, in nichts nachstanden. 61 Zu dieser Zeit war Yan ständig an des Kaisers Seite, Tag und Nacht. Es begab sich, dass des Kaisers jüngerer Bruder Liu Fei, der König von Jiangdu, der an den Hof gekommen war, um seine Aufwartung zu machen, vom Kaiser die Erlaubnis erhielt, ihn auf die Jagd im Shanglin Park zu begleiten. Der Befehl, die Straßen für die kaiserliche Kutsche freizumachen, war bereits erteilt worden. Der Kaiser war jedoch noch nicht bereit, so dass er Yan bat, in der Begleitkutsche zusammen mit 50 oder 100 Reitern vorauszufahren, um das Jagdwild zu beobachten. Als der König von Jiangdu die Jagdpartei aus der Ferne herannahen sah, dachte er, es handle sich um den Kaiser, so dass er seinen Bediensteten befahl, die Straße zu verlassen. Er selbst kniete am Straßenrand, um den Kaiser zu grüßen. Yan raste jedoch an ihm vorbei, ohne Notiz von ihm zu nehmen. Nachdem Yan vorbeigebraust war, erkannte der König von Jiangdu seinen Irrtum und war außer sich. Tränenüberströmt suchte er die Kaiserin Mutter auf. Er sagte: „Ich möchte die Königswürde für das mir überlassene Königreich zurückgeben und stattdessen Leibwächter im Palast werden. Vielleicht wird mir dann soviel Ehre wie Han Yan zuteil.” Seit dieser Zeit hegte die Kaiserin Mutter einen Groll gegen Yan. Da er dem Kaiser zu Diensten stand, war es Yan gestattet, die Frauengemächer des Palastes jederzeit zu besuchen. Er war nicht an die sonst übliche Regel gebunden, die den Zutritt zu den Frauengemächern untersagte. Später kam der Kaiserin Mutter jedoch zu Ohren, dass Yan eine unzulässige Affäre mit einer der Damen hatte. Die Kaiserin Mutter war außer sich und schickte einen Boten zu Yan, mit dem Befehl, dass er sich das Leben nehmen möge. Obwohl der Kaiser versuchte das Verhalten Yans zu entschuldigen, gelang es ihm nicht, die Anordnung der Kaiserin Mutter aufzuheben und Yan wurde gezwungen, sich umzubringen.22 Traditionelle Historiker betrachten Kaiser Wu als den Inbegriff eines maskulinen Kaisers. Sein Name (Wu) bedeutet „kriegerisch” und er war während seiner langen Regentschaft damit beschäftigt, die umliegenden nicht-chinesischen Völker unter seine Herrschaft zu zwingen. Wu erlangte Ruhm sowohl als Krieger wie auch als Jäger. Sein Liebhaber teilte diese Interessen mit ihm. Außer dass er belesen und intelligent war, genoss Han Yan 22 [Sima Qian] Ssu-ma Ch'ien, Records of the Grand Historian 2:465-466 62 typische männliche Interessen, wie Reiten, Bogen schießen und die Kriegskunst. In dieser Hinsicht war er ein Inbegriff der von der Aristokratie seit der Shang-Zeit hochgeschätzten männlichen Tugenden. Viele Offizielle am Hof setzten in ihrem Bemühen Gunst zu gewinnen, prunkvolle Eleganz ein. Im Gegensatz dazu standen Kaiser Wus und Han Yans intime Beziehung eher in der Tradition der frühen Zhou-Zeit, nach der Männer, die eine enge Freundschaft oder gar Liebe verband, sich in ihrem Verhalten nicht von anderen Männern unterschieden. Mit diesem homosexuellen Ethos entstand jedoch auch die Notwendigkeit heterosexueller Ehe. Zwei Anekdoten sollen die Mechanismen bisexuellen Verhaltens, das auch weit über die Grenzen des kaiserlichen Hofs verbreitet war, verdeutlichen. In der ersten Anekdote wird die Geschichte eines Sklaven namens Qin Gong erzählt, dem jungen, gutaussehenden Geliebten des Generals Liang Ji. Der General war nicht nur verheiratet, sondern seine Gattin befand sich auch im Besitz sexuell expliziter Bilder des Favoriten ihres Gatten.23 Liang Ji führte ganz offen eine Beziehung mit seiner Gattin und seinem männlichen Favoriten, eine duale Beziehung, die durch die in der damaligen Zeit gültigen sozialen Konventionen bezüglich Ehe und Sklaverei gedeckt wurde. Da Qin Gong ein Sklave war, also ein Inbegriff der über Klassenunterschiede definierten homosexuellen Rolle, befand er sich im Besitz seines Herren, genauso wie sein Herr auch eine weibliche Konkubine hätte besitzen können. Genauso wie von chinesischen Ehefrauen erwartet wurde, die Zuneigung ihrer Männer mit weiblichen Konkubinen zu dulden, duldete Liang Jis Gattin die Liebelei ihres Mannes mit einem männlichen Sklaven. Durch die Vermischung von Bisexualität, Sklaverei und Ehe wird diesem Beispiel früher chinesischer sozialer Beziehungen eine komplexe Dimension hinzugefügt. Es handelt sich hierbei jedoch nicht um einen Einzelfall. In einem ähnlichen Fall ging es auch um Bisexualität in der Ehe und das Ergebnis war sehr ähnlich: General Huo Guang unterstand der außergewöhnlich gut aussehende Sklavenaufseher Feng Zidu. Huo Guang liebte und begünstigte ihn. Er plante viele seiner Vorhaben 23 Wuxia Ameng, Hrsg. Duanxiu Pian 9:8B-9A. 63 gemeinsam mit ihm. Feng Zidu war sehr mit sich selbst zufrieden, da er genügend Macht besaß, um selbst in der Hauptstadt einen Umsturz herbeiführen zu können. Später wurde über ihn gesagt: „In früheren Zeiten gab es einen Sklavenaufseher namens Feng Zidu, der Huo Guang unterstand. Er war ein Favorit Huo Guangs und seine Machtfülle entsprach der eines Generals. Diese führte in den von Ausländern besuchten Weinschenken zu großem Gelächter.” Nach dem Tod Huo Guangs wurden seine Witwe Xian Guang und Feng Zidu beobachtet, wie sie sich im Haus vergnügten und sich dabei gut verstanden.24 Huo Guang, der 68 v. Chr. starb, war der überragende Politiker seiner Zeit. Trotz der Tatsache, dass sein Liebhaber nur ein Sklavenaufseher war, wurde er von seiner Ehefrau mehr als nur toleriert. Nach dem Tod Huo Guangs trauerten beide gemeinsam um ihn, um dann selbst miteinander eine leidenschaftliche Liebesaffäre zu beginnen. Nachfolgende Generationen und womöglich sogar ihre Zeitgenossen betrachteten die Beziehung einer so hochstehenden Frau wie Xian Guang mit einer Person so niederer Herkunft als ein Zeichen allergrößter Verruchtheit. Es wurde erwartet, dass sich eine Witwe ihres sozialen Rangs nach dem Tod Ihres Mannes nur mit Sexualpartnern einließ, die der Oberklasse angehörten. Diese „korrekte” Verhaltensweise wird wesentlich später in einer Kurzgeschichte aus der Tang-Zeit „Das Haus der verspielten Göttin (You Xian Ku)” beschrieben. Nach dem Ende der Tang-Dynastie wurde von einer Witwe ganz selbstverständlich erwartet, für den Rest Ihres Lebens keusch zu leben. Für den chinesischen Mann hatte die Austauschbarkeit passiver männlicher und weiblicher Sexualpartner keinerlei anrüchigen Beigeschmack. In einer Gesellschaft, in der nicht zwischen Heterosexualität und Homosexualität unterschieden wurde, konnten Männer die gesamte Bandbreite ihrer sexuellen Wünsche ausleben. Die umfangreichste Studie zu männlicher Homosexualität aller Zeiten wurde in den vierziger Jahren in den USA von Alfred Kinsey durchgeführt. Das Ergebnis dieser Studie war, dass selbst in einer Gesellschaft mit einer sehr ausgeprägten feindlichen Einstellung gegenüber der Homosexualität, über ein Drittel der erwachsenen männlichen amerikanischen 24 ebd., 9:4B-5A 64 Bevölkerung homosexuelle Erfahrungen gesammelt hatten.25 In einer Gesellschaft, wie der des frühen Chinas, in der gleichgeschlechtliche Beziehungen akzeptiert, ja gar respektiert wurden, in der gleichzeitig jedoch auf heterosexueller Ehe bestanden wurde, scheint es plausibel, dass Bisexualität mindestens so populär war wie „reine” Homosexualität oder gar strikte Heterosexualität. Leider erlaubt die geringe Menge an überlieferten Daten keinen konkreten Aufschluss darüber, wie verbreitet Homosexualität in der Oberklasse war, ganz zu schweigen von der Verbreitung in der frühen chinesischen Gesellschaft im Allgemeinen. In diesen Berichten sind auch Hinweise auf den Ursprung bestimmter Praktiken zu finden, aus denen sich später gleichgeschlechtliche Ehen entwickelten. Eine dieser Traditionen war das männliche gegenseitige Kennenlernen (Pair Bonding), ein integraler Bestandteil homosexueller Beziehungen der Zhou- und Han-Zeit, wobei die tiefe Zuneigung die männliche Paare füreinander empfanden, größte Wertschätzung erfuhr. Ein weiterer Vorläufer der gleichgeschlechtlichen Ehe war die Praxis eines defakto männlichen Konkubinats. Es käme einer vollkommenen Verzerrung des chinesischen Konzepts der Ehe gleich, wenn wir sie unter Verwendung der spezifischen Begriffe des modernen Westens betrachten würden. Seit altersher konnten wohlhabende chinesische Männer zusätzlich zu ihren regulären Ehefrauen ihren Haushalt durch den Kauf von Konkubinen „auffüllen”. Da diese Frauen oft ihren Familien abgekauft wurden, glich der Vorgang eher dem Kauf von Sklaven. Der Status einer Konkubine unterschied sich jedoch vom Status eines Sklaven, da sie, indem sie ihrem Herren sexuell zu Diensten war, einen besonderen sozialen und rechtlichen Status erringen konnte. Der Erwerb von Männern und Jungen durch die wohlhabende Klasse des frühen Chinas scheint viele Parallelen mit dem Konkubinat aufzuweisen. Bei einem berühmten Vorfall brachte zum Beispiel ein männlicher Liebhaber einen anderen Favoriten Kaiser Wus um. Der Kaiser war außer sich und beruhigte sich erst, als er den Grund für den Mord 25 Siehe Alfred C. Kinsey und andere: Sexual Behavior in the Human Male (Philadelphia, 1948); siehe auch Paul Gebhard, „Incidence of Overt Homosexuality in the United States and Western Europe” in National Institute of Mental Health Task Force on Homosexuality: F inal Report and Background Papers (Washington, 1972), S. 22-30. 65 herausfand. Der Ermordete hatte eine der weiblichen kaiserlichen Konkubinen verführt. Männliche Favoriten hatten Zugang zum kaiserlichen Harem, da sowohl männliche als auch weibliche Sexualpartner Zutritt in das streng bewachte Palastinnere hatten, um dem Kaiser sexuell zu Diensten sein zu können. In späteren Dynastien wurde der Zugang zum Palastinneren noch mehr eingeschränkt, so dass der privilegierte Zugang eines Favoriten immer mehr zu einem außergewöhnlichen Vorrecht wurde. Diese Ähnlichkeit in Bezug auf den Zugang männlicher und weiblicher Konkubinen zum Kaiser unterstreicht die Übereinstimmung der sozialen Rolle beider Geschlechter.26 Selbst die zur Beschreibung dieser Beziehungen verwendeten Begriffe ähneln denen, die in Bezug auf das Konkubinat verwendet wurden.27 Innerhalb des gesellschaftlichen Systems der Han-Zeit, war Homosexualität im Vergleich zur Heterosexualität in mehreren Beziehungen vorteilhafter. So konnte zum Beispiel die zwischen zwei Männern aus einer Liebesbeziehung hervorgehende Freundschaft, auch nach der (heterosexuellen) Eheschließung als eine zusätzliches emotionales „Ventil” dienen. Die Wahl des richtigen Geliebten konnte dem sozialen Emporkömmling sogar von Nutzen sein. Und zu einer Zeit, in der keine verlässlichen Verhütungsmittel existierten, wurden durch die Praxis der Homosexualität unverheiratete Mütter „verhindert”, die sicherlich in einer Gesellschaft, die sehr großen Wert auf Vorfahren und Verwandtschaft (Blutslinien) legte, einen recht problematischen Stand gehabt hätten. Wenn es dann zu einer heterosexuellen Hochzeit kam, so wurde diese vollkommen vom männlichen Haushaltsvorstand geplant. Die beiden direkt davon betroffenen Parteien mussten nicht einmal gefragt werden. Die Ehe war nur der Zusammenschluss zweier Haushalte, die individuellen Interessen des Einzelnen wurden dem Gesamtinteresse des Haushalts untergeordnet. So war es nicht verwunderlich, dass viele Paare emotional oder sexuell nicht miteinander klar kamen. Für die Ehefrau, von der erwartet wurde, dass sie ihrem Gatten treu war, gab es keinen akzeptierten Ausweg aus dieser Situation. Aber Männer konnten einer unbefriedigenden ehelichen Situation auf mehrere Weisen 26 27 Van Gulik, Sexual Life in Ancient China , S. 62 Begriffe wie Chong und Bi bezogen sich ursprünglich auf das weibliche Konkubinat. 66 entfliehen. Ein wohlhabender Mann kaufte einfach Konkubinen oder weiblichen Sklaven, um seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen. Andere Männer wiederum hatten außereheliche heterosexuelle Affären mit Frauen außerhalb ihres eigenen Haushalts. Homosexualität, weder mit dem Makel der Schande belegt noch mit der Gefahr von Schwangerschaft verbunden, entwickelte sich zu einer attraktiven Option für die Männer, die nach sexueller Befriedigung außerhalb ihres Haushalts suchten. Innerhalb der Ehe besaß der Mann uneingeschränkte Autorität. In der Vor-Han-Zeit hatte ein Mann das Recht seinen eigenen Sohn zu töten28 und Beispiele für diese Macht über Leben und Tod sind auch selbst in der Han-Zeit zu finden. Eine Frau würde es nicht wagen, ihren Mann in einer so essentiellen Frage wie seiner Sexualität in Frage zu stellen, noch würde sie Widerspruch einlegen, wenn ihr Gatte nach anderen Sexualpartnern Ausschau hält, wie z.B. nach Konkubinen. Es war sogar so, dass Eifersucht einer der sieben Gründe war, auf Grund derer ein Mann die Scheidung beantragen konnte.29 Diese Anerkennung der Polygamie als eine Sitte der Han, die nicht in Frage gestellt wurde, sanktionierte männliche Promiskuität. Ehefrauen waren rechtlich verpflichtet, sich dem Wunsch ihres Mannes nach alternativen Sexualpartnern zu fügen, worunter auch Männer fielen. Da Frauen keinerlei Mitspracherecht in Bezug auf ihr Sexualleben hatten, konnten Männer sich ganz nach Laune ihren homosexuellen Neigungen hingeben. Die Regierung mischte sich in den sexuellen „Status Quo“ nicht ein, da es dem jeweiligen Haushalt überlassen blieb, die meisten den Haushalt betreffenden sittlichen Angelegenheiten selbst zu regeln. In einer patriarchalischen Gesellschaft bedeutete dies, dass in Fragen der Sexualmoral unausweichlich zugunsten der Interessen des Mannes entschieden wurde. Die Struktur des Han-Haushalts ermöglichte somit die Akzeptanz männlicher Homosexualität. 28 Ch’ü, Han Social Structure , S. 22 Diese Sitte existierte bereits lange vor der Han-Zeit, siehe He Xiu und andere: Chunqiu Gongyang zhuan zhu shu (Mit Anmerkungen versehene Kommentare zu den Frühjahrs- und Herbstannalen) (Shanghai, S ibu beiyao, Datum unbekannt) , 8:10A. 29 67 Diese offene Atmosphäre ermöglichte die weitere Entwicklung des Bewusstseins einer homosexuellen Tradition, wobei viele der anrührenden Beispiele aus der historischen Han-Literatur stammten. Die berühmte Geschichte von Kaiser Ai und seinem Favoriten Dong Xian wird als das bedeutendste Beispiel dieser Han-Tradition betrachtet. Wie Ban Gu so treffend beobachtete: „Von Natur hatte Kaiser Ai kein Interesse an Frauen.”30 Die ehrliche Zuneigung, die er für seinen geliebten Dong Xian empfand, fesselte die Allgemeinheit. Die nachfolgende kurze Passage, in der die Liebe Kaiser Ais zu Dong Xian beschrieben wird, gilt als der einflussreichste Text in der chinesischen homosexuellen Tradition: Kaiser Ai schlief am helllichten Tag und Dong Xian hatte sich über den Ärmel des Kaisers ausgestreckt. Als der Kaiser aufstehen wollte, schlief Dong Xian noch immer. Da er ihn nicht stören wollte, schnitt der Kaiser seinen eigenen Ärmel ab und stand auf. So weit gingen seine Liebe und Rücksichtnahme!31 So wie Mizi Xia dem Ausdruck „Pfirsiche essen” eine homosexuelle Konnotation verliehen hatte, so diente das Bild des abgeschnittenen Ärmels als Ausdruck der Hingabe Kaiser Ais zu Dong Xian und wurde im weiteren Sinne als ein Ausdruck homosexueller Liebe verstanden. Alle Höflinge Kaiser Ais imitierten den abgeschnitten Ärmel, manchmal auch als „abgehackter Ärmel” bezeichnet, als ein Zeichen der Hochachtung für die Liebe ihres Kaisers zu Dong Xian.32 Die zarte Kraft dieses Bildes, ein Heer opulent gekleideter Höflinge, gehüllt in exzellente, bunte Seidentuniken, jede mit einem fehlenden Ärmel, beschäftigte die Vorstellungskraft der Leser beinahe zwei Jahrhunderte lang. Der knapp gehaltene Bericht zum Thema abgeschnittener Ärmel floss in eine bereits bestehende Tradition homosexueller Schriften ein, die selbst für Kaiser Ai bereits eine historische Dimension angenommen haben mussten. Männer von dynastischer Bedeutung 30 Zu weiterem Kontext zu dieser Frage, siehe [Ban Gu] Pan Ku, The History of The Former Han Dynasty, Übersetzung von Homer H. Dubs und P’an Lo-chi, Bd. 3 (Baltimore, 1955), S. 38-39. 31 Wuxia Ameng, Hrsg. Duanxiu Pian 9:5B. 32 ebd., 9:8A. 68 waren nicht allein in ihrer gegenüber anderen Männern empfundenen Zuneigung. In später erschienen literarischen Werken wurde wiederholt auf die komplette Integration der Homosexualität in das Leben am frühen chinesischen Hof, wie in den „Aufzeichnungen des Historikers“ sowie dem Werk „Geschichte der Früheren HanDynastie” beschrieben, Bezug genommen. Dies gab Männern nachfolgender Generationen die Möglichkeit, ihr eigenes Verlangen im Kontext einer uralten Tradition zu sehen. Indem Sie ihre Gefühle als „Leidenschaft des abgeschnittenen Ärmels” betrachteten, wurden sie sich des Stellenwerts von Männerliebe in der Geschichte ihrer Gesellschaft bewusst. Der dramatische Aufstieg Dong Xians, der beinahe zur Kaiserwürde führte, markiert einen Höhepunkt in der chinesischen homosexuellen Tradition und zeigt gleichzeitig den großen Einfluss der Homosexualität auf die chinesische Gesellschaft. Liebe zwischen Männern war nicht nur akzeptiert, sie durchdrang auch das Geflecht der Oberschicht. Von der Welt der Politik bis hin zu der oberflächlichen Welt der Männermode spielte die Homosexualität eine bedeutende Rolle. Als die westliche Han-Dynastie in ihrem Zenith stand war dieser große Einfluss auf die gesellschaftlichen Eliten am ausgeprägtesten. Während dieser Epoche kam der Homosexualität im täglichen Leben am Hofe eine bedeutende Rolle zu und ihr wurde große Achtung entgegengebracht. Die Muster und Bilder männlicher Homosexualität, die während der Zhou-Zeit entstanden waren und während der Han-Dynastie ihre endgültige Verwirklichung fanden, erfuhren in nachfolgenden Dynastien eine Weiterentwicklung. Pulverisierte Jade Drei Königreiche und sechs Dynastien (220 bis 581) Die nationale Einheit Chinas, die vier Jahrhunderte angedauert hatte, endete nach dem Zusammenbruch der Han-Dynastie im Jahr 220 n. Chr. und es begann eine Zeit des Chaos und der Zersplitterung. Die Epoche war gekennzeichnet durch gegenseitige 69 Vernichtungskriege, schwache Kaiser, starke Generäle und metaphysische Philosophien. Bis zur Gründung der glanzvollen Tang-Dynastie im siebten Jahrhundert lösten sich über vier Jahrhunderte in rascher Reihenfolge Herrscher und Dynastien ab. Wie in vorhergehenden Epochen spielte Homosexualität im Sexualleben der sozialen Elite weiterhin eine Rolle. Berühmte Kaiser, Dichter und Philosophen bekannten offen Ihre Zuneigung zu anderen Männern. Der Enthusiasmus mit dem sich die herrschenden Eliten der auf die Han folgenden weniger bedeutenden Dynastien der Homosexualität hingaben, verleitete Autoren zu der Bemerkung, dass am kaiserlichen Hof die Praxis der halb gegessenen Pfirsiche und abgeschnittenen Ärmel sehr populär zu sein schien. Die offiziellen Aufzeichnungen der kurzlebigen Liu-Song-Dynastie gehen in ihrer Beschreibung des Ausmaßes der Verbreitung der Homosexualität in der Oberschicht noch weiter: Ab der Regierungszeit von Xianning bzw. Taikang der westlichen Jin Dynastie (275-290 n.Chr.) blühte das männliche Günstlingswesen stark auf und stand der Frauen gegenüber erbrachten Bewunderung in nichts nach. Alle Herren am Hof und Beamten schätzten dies. Alle Männer des Reiches pflegten diese Sitte. Es ging sogar so weit, dass sich Ehegatten von Ihren Frauen abwandten. Unverheiratete, verärgerte Frauen wurden eifersüchtig.1 In einem konkreten Fall beschreibt der Dichter Liu Xiaozhuo (481 – 539 n. Chr.) in einem Gedicht, die Angst einer Ehefrau, von ihrem Gatten zugunsten eines Jungen vernachlässigt zu werden. Das Gedicht endet mit den Worten: „Sie zögert, traut sich nicht näher zu kommen, Sie hat Angst, dass er sie mit einem übriggebliebenen Pfirsich vergleichen könne.”2 Es wird sich nie mit Sicherheit belegen lassen, ob die allgemeine Bewunderung der Männerliebe tatsächlich zu einer Abnahme heterosexueller Ehen und Unruhe unter den unverheirateten Frauen der damaligen Zeit geführt hatte. Es scheint möglich, dass wie von diesem Autor beobachtet, Junggesellen, die Männer bevorzugten, ihre Ehe so lange 1 Wang Sunu, Zhongguo Changji Shi (Geschichte der Prostitution in China) (Shanghai,, 1935), S. 64 Ann Birrell, Übersetzung, New Songs from a Jade Terrace: An Anthology of Early Chinese Love Poetry (London, 1982), S. 290 2 70 wie möglich hinauszögerten. In Berichten aus der damaligen Zeit finden Männer Erwähnung, die bereits beim Anblick einer Frau die Flucht ergriffen.3 Selbst wenn wir das Ausmaß der Übertreibung, zu der frühere Historiker neigten, in Betracht ziehen, so deuten diese Passagen auf die nach dem Zusammenbruch der HanDynastie weiterhin bestehende Sichtbarkeit der Homosexualität hin. Von R.H. van Gulik, einem Gelehrten, der sich mit der chinesischen Sexualgeschichte befasste, wird das späte dritte Jahrhundert als eine Epoche beschrieben, in der die Offenheit mit der männlicher Homosexualität begegnet wurde, ein besonders großes Ausmaß erreicht hatte.4 Des Weiteren ermöglicht uns die große Vielfalt an Quellen, die für diese Periode zur Verfügung stehen, im Vergleich zu früheren Quellen einen breiter gefächerten Einblick in die Situation der Homosexualität. In der offiziellen Geschichtsschreibung finden wir weiterhin detaillierte Informationen zum täglichen Leben und Liebesleben der herrschenden Elite. In weniger formalen Arbeiten werden außerdem Beamte, Schreiber und andere Männer von weniger hohem Rang beschrieben. Diese neuen Quellen enthalten ausreichend Informationen, die es erlauben, sich näher mit dem Phänomen homosexueller Beziehungen und den Idealen männlicher Schönheit zu beschäftigen. Was die Terminologie betrifft, so werden viele der in den Aufzeichnungen der Han-Zeit zum ersten Mal in Erscheinung tretenden Wörter auch nach dem Untergang der Dynastie weiter verwendet. Die Verwendung der Wörter „chong“ und „xing“, die in den Geschichten dieser Epoche oft Erwähnung finden, sind der Ausdruck einer schon früher existierenden und nun fortbestehenden Tendenz, Sexualität im Rahmen von sozialen Rollen und nicht im Sinne von sexueller Substanz zu beschreiben. Ein weniger objektiver Terminus findet ebenfalls Anwendung: „xie xia“5. Xie bedeutet sowohl „dreckig” als auch „nackt”, wodurch der „fleischliche” Aspekt von Sex mit einem negativen Werturteil belegt wird. Xia bedeutet „Intimität” oder „intim” und tritt manchmal auch einzeln auf. 3 Xiaomingxiong, Zhongguo Tongxing Ai Shilu, S. 77 Van Gulik, Sexual Life in Ancient China , S. 159-160. Der Autor weist dabei besonders auf die beiden Regierungsepochen Xianning (275-279) und Taikang (280-289) hin, zwei Epochen in denen Homosexualität besonders populär gewesen sein soll. 5 Für ein Beispiel siehe Li Yanshou, Hrsg. Bei Shi (Geschichte des Nordens), (Beijing, 1974), 92:3017. 4 71 Das zusammengesetzte Wort bedeutet soviel wie „ungebührliche Vertrautheit” und wurde von Geschichtsschreibern zensierend verwendet, um zum Ausdruck zu bringen, dass sie den unangebrachten Einfluss, den Favoriten am Hofe ausübten, ablehnten. In der „Geschichte der Wei-Dynastie” (Wei Shu) finden wir ein frühes Beispiel für die Verwendung eines neuen Terminus, mit dem die homosexuelle Anziehungskraft von Männern beschrieben wurde: Nan Feng, was wörtlich als „männlicher Wind” zu übersetzen ist. Eine passendere Übersetzung wäre jedoch „männlicher Brauch” oder „männliche Praxis”. Diesem Terminus kommt in der Entwicklung der Sexualterminologie große Bedeutung zu, da frühere Termini ausschließlich soziale Beziehungen beschrieben hatten, wohingegen dieser Terminus den homosexuellen Akt selbst beschrieb. Nan Feng entwickelte sich zu einem populären Begriff und findet auch heute noch in der Literatursprache Verwendung, um männliche Homosexualität zu beschreiben. Von der offiziellen Geschichtsschreibung der Nördlichen Qi-Dynastie (550 – 577 n.Chr.) wurden dem bereits existierenden Vokabular weitere Termini hinzugefügt. In diesem Werk wird die Freude von „Nanse”, wobei „se“ sexuelle Anziehungskraft, Leidenschaft oder Lust beschreibt. Diesen Terminus könnte man als „männliche Erotik” übersetzen, was bezeichnend ist für einen neuen Trend, nach dem Sexualität über den sexuellen Akt und nicht mehr über die soziale Rolle definiert wird. Während dieser Periode wird deutlich, dass die chinesische Sprache zur Beschreibung der Homosexualität ein Vokabular entwickelte, das bis zur Einführung westlicher wissenschaftlicher Terminologie im späten 19. Jahrhundert mit seiner expliziten Klassifizierung von Sexualität fortbestand. Der größte Teil der offiziellen Geschichte der Dynastien ist auf die Frühzeit der TangDynastie datiert. Dies bedeutet, dass in ihnen oft die Besorgnis des Autors und der Epoche, in der der Autor lebte, nämlich die Tang-Zeit, zum Ausdruck kommt, so wie auch die Besorgnisse der beschriebenen Epoche. Diese Geschichten enthalten Abschnitte, in denen das Leben der männlichen Favoriten des Kaisers detailliert beschrieben wird. 72 Die Bezeichnungen dieser Abschnitte stehen weiterhin in Bezug zu Geschehnissen der Han-Zeit, wobei sie jedoch modifiziert sind. So wurden beispielweise in den Aufzeichnungen der Wei (Wei Shu) die Praxis der Han-Zeit, die Biographien mehrerer kaiserlicher Favoriten in einem Kapitel für die offizielle Geschichte der Dynastie zusammenzufassen, übernommen. Der Wei-Titel für dieses Kapitel ist Enxing, wodurch er sich in der Konnotation von ähnlichen Kapitelüberschriften in den „Aufzeichnungen des Historikers” und der „Geschichte der Früheren Han-Dynastie” unterscheidet. In der Bedeutung von Gunst und kaiserlichem Charme ist „En” nicht die negative Assoziierung des Terminus Ning (kunstvolle/raffinierte Schmeichelei) zugeordnet, der in der Han-Zeit Verwendung fand. Dieses Kapitel in der Geschichte der Wei-Dynastie (Wei Shu) kann daher wörtlich als Favoriten übersetzt werden. In der „Geschichte der Song-Dynastie” (Song Shu) wird die etymologische Wurzel dieses speziellen Titels erklärt. Die „Geschichte der Han-Dynastie” (Han Shu) enthält diese Tabellen der Bevorzugten Noblen (Enzhe Hou Biao) und die „Biographien derer, die Gunst durch kunstvolle Schmeichelei erlangen” (En xing pian).6 Wie in der Geschichte des Nordens (Bei Shi) dargestellt wird, folgen die nachfolgenden Geschichtsdarstellungen dem Beispiel der Geschichte der Wei-Dynastie, einschließlich eines Kapitels zum Thema Favoriten.7 Nur die „Geschichte der Südlichen Qi-Dynastie” (Nan Qi Shu) weicht in ihrer Terminologie für dieses Kapitel ab, indem das Kapitel „Bevorzugte Beamte” (Xing Chen) genannt wird, ein Titel der anderen Titeln in seiner Konnotation ähnelt. Viele dieser Geschichtsschreiber empfanden die Themen Sex und politische Günstlingswirtschaft aufgrund ihrer eigenen konfuzianischen Empfindlichkeiten offensichtlich als recht geschmacklos, und sahen sich daher gezwungen, die Aufnahme der Kapitel zum Thema kaiserliche Favoriten zu rechtfertigen. Diese Aussagen ermöglichen einen nur selten gebotenen Einblick in die Haltung gegenüber einer bestimmten Form der Homosexualität, wie sie in der Frühzeit existierte. Sie zählen zu einer der wenigen erhaltenen abstrakten Überlegungen in der chinesischen Literatur, die zu diesem Thema existieren. Als einer der Gründe, warum das Thema 6 7 Chen Yue, Hrsg. Song Shu (Annalen der Liu Song) (Beijing, 1974), 92:2302. Li Yanshou, Bei Shi 92:3018. 73 Günstlingstum miteinbezogen wurde, erklären mehrere Geschichtsschreiber, dass sie diese Biographien geschrieben hätten, da vorhergehende Chroniken, wie z.B. die „Geschichte der Han-Dynastie” (Han Shu) ebenfalls solche ein Kapitel enthalten hätten. Andere Gründe zeigen eine Perspektive in Bezug auf die Haltung der Gelehrten dieser Zeit gegenüber des männlichen Günstlingstums bei Hofe. In der „Geschichte der nördlichen Qi-Dynastie” wird sexuelle Günstlingswirtschaft als Teil einer übergreifenden natürlichen Ordnung betrachtet. „Wo es himmlische Omen gibt, gibt es auch Menschen, die nach ihnen handeln. Wenn es einen Stern in Form eines bevorzugten Beamten gibt, so werden sie sich um ihn neben dem kaiserlichen Thron scharen.”8 Kaiserlich Favoriten werden durch himmlische Notwendigkeiten hervorgebracht, weshalb die Pflicht des Historikers darin liegt, den Einfluss zu beschreiben, den diese Männer auf die Regierung haben. Andere Historiker bevorzugten einen ernsthafteren Ton, indem sie das Leben dieser Favoriten als Warnung für zukünftige Herrscher verwendeten, indem sie aufzeigten, dass zu viel Macht in den Händen von Geliebten gefährlich war. Die „Geschichte der SongDynastie” (Song Shu) beginnen mit einer moralistischen Parallele. Es wird dargelegt, dass der Unterschied zwischen begabten Beamten und Favoriten genauso groß ist, wie der von Konfuzius beschriebene Unterschied zwischen Ranghohen (Junzi) und Rangniedrigen (xiaoren).9 Diese Historiker sprechen sich nicht gegen Favoriten aufgrund ihrer sexuellen Praktiken aus, sondern nur wegen des schädlichen Einflusses ihres politischen Opportunismus. Die reich ausgeschmückte „Geschichte des Südens” (Nan Shi) unterstreicht diesen Punkt auf poetische Weise: „Manche von Menschen unternommene Handlungen stinken zum Himmel wie Abalone, andere riechen betörend wie Orchideen. Einfache Menschen haben das Potenzial entweder einen untergeordneten oder einen übergeordneten Rang 8 9 Xiao Zixian, Hrsg. Nan Qi Shu (Geschichte der südlichen Qi-Dynastie) Chen Yue, Song Shu 94:3018. 74 einzunehmen.”10 In der Geschichte der Song-Dynastie werden historische Beispiele aufgeführt, die diese Aussage bekräftigen. In diesen Beispielen wird betont, dass das Günstlingstum eine nachteilige, zerstörerische Wirkung auf das Regierungsgeschäft hat und zu Querellen und Fraktionsbildung führen kann. Der Historiker kommt zu dem Schluss, dass Günstlingstum letztendlich zum schnellen Fall einer Dynastie führt.11 Dieser moralische Didaktismus, der historische Beispiele für Favoriten verwendet, findet seine eleganteste Ausformung in der „Geschichte des Nordens” (Bei Shi). Hier weist der Autor auf Favoriten als ein Beispiel für die Kräfte hin, die „das Wertvolle zerstören und die Arbeit einer guten Regierung beschädigen.” Er macht das Günstlingstum verantwortlich für Korruption und den Fall früherer Dynastien, wie der Yin, besser bekannt unter dem Namen Shang. Er bezeichnet daher die Beispiele hemmungslosen Günstlingstums als „Yin-Spiegel”, in dem sich die Fehler der Vergangenheit spiegeln, mit der Absicht daraus Lehren für die Gegenwart zu ziehen.12 Indem Sie das Günstlingstum aus einer historischen Perspektive betrachten, bekunden diese Gelehrten ein konkretes Gefühl für die literarischen und historischen homosexuellen Traditionen. In der „Geschichte des Nordens” (Bei Shi) wird das Günstlingstum bis in die frühen Dynastien der Xia und Shang datiert.13 In der „Geschichte der Südlichen Qi-Dynastie” (Nan Qi Shu) werden die zahlreichen Belege für das Günstlingswesen während der Dynastien der Zhou und Han betont.14 Und in der „Geschichte des Südens” (Nan Shi) wird bemerkt, dass diese Praktiken weitergeführt wurden, wodurch eine Beziehung zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart hergestellt wurde. „Während der Dynastien der Liang und Chen änderten sich diese Bräuche nicht. Da die vier Dynastien unter dem Günstlingstum litten, schreibe ich jetzt dieses Kapitel und setze damit die Arbeit früherer Historiker fort.”15 Die Literatur dieser Periode weist auch eine Tendenz auf, sich auf die Vergangenheit zu beziehen, um 10 Li Yanshou, Hrsg. Nan Shi (Geschichte der Südlichen Dynastien) (Beijing, 1973), 77:1913. Chen Yue, Song Shu 94:2301-2302 12 Li Yanshou, Bei Shi 92:3017-3018 13 ebd. 92:3017. 14 Xiao Zixian, Nan Qi Shu 56:971-2. 15 Li Yanshou, Nan Shi 77:1914. 11 75 dadurch die Gegenwart zu verstehen. Zusammengenommen weisen historische Schriften und die Literatur dieser Zeit ein deutlich zu Ausdruck kommendes Bewusstsein in Bezug auf die männliche homosexuelle Tradition auf. Außer über die Tradition wird in diesen dynastischen Geschichtssammlungen auch über recht zeitgenössische Themen gesprochen, wobei ganz unverblümt das Ausmaß der Homosexualität im täglichen Leben des Hofes anerkannt wird. Ein Historiker beklagt sich, wie weitverbreitet das Günstlingstum zum Ende der Qi-Dynastie gewesen sei.16 In der „Geschichte der Südlichen Qi-Dynastie” (Nan Qi Shu) wird bemerkt, „Jeder am Hof sehnt sich nach Intimität”.17 Die schiere Anzahl an Biographien, die aus diesen dynastischen Geschichtssammlungen überlebt haben, die die Epoche des Zerfalls des Reiches nach dem Fall der Han beschreiben, ist ein Beleg für das Ausmaß des Günstlingstums. Die „Geschichte des Nordens” enthält alleine 40 Biographien zum Thema Günstlingstum. Die vollständige Übersetzung und Erläuterung dieser Aufzeichnungen würden alleine schon ein Buch füllen. Da bei der Beschreibung des Lebens dieser Favoriten oft Themen aus vorausgehenden Kapiteln ausführlich wiederholt werden, möchte ich hier nur einige allgemeine, für diese Epoche jedoch typische Trends herausstellen. Ein durchgängiges Thema, das sich bis zur unglücklichen Geschichte von Mizi Xia zurückverfolgen lässt, handelt von der Unbeständigkeit der Zuneigung des Herrschers. Ein lebensmüder Historiker sinnierte: „Die alten (Favoriten) waren nicht die ursprünglichen alten, da die neuen bereits alt geworden waren. Die intimen (Favoriten) waren nicht die ursprünglichen, da die früheren zweitrangigen Favoriten nun zu den intimen Favoriten geworden waren.”18 Die Stellung eines Favoriten war in der Regel nicht sicher. Wenn man außerdem das weitverbreitete Chaos der Epoche hinzunimmt, war es nicht sicher, dass man, wenn man einmal die Zuneigung des Herrschers gewonnen 16 Li Baiyao, Hrsg, Bei Qi Shu (Geschichte der Nördlichen Qi-Dynastie) (Beijing, 1974), 50:685. Xiao Zixian, Nan Qi Shu 56:972. 18 Li Yanshou, Nan Shi 77:1943. 17 76 hatte, dadurch zu Reichtum oder Macht gelangte. Die schiere Menge an kaiserlichen Favoriten während dieser Epoche zeigt ihre Kurzlebigkeit auf. Diese Favoriten werden oft im größeren Kontext kaiserlicher Sinnesfreuden beschrieben. Ihre inhärente Unbeliebtheit rührte von der Tendenz, dass sie den Herrscher von den wichtigen Angelegenheiten des Staats ablenkten. Ein Historiker verwendete den „Rokoko” Prosa-Stil der Epoche, um zu beschreiben, welchen Verlockungen ein Kaiser ausgesetzt war. Mit Toren wie die der jadenen Halle des Reiches und einem Heim, das einer goldenen Grotte gleicht, Konkubinen und dienenden Frauen, der Musik von Yans, Qins, Cais und Zhengs, aus Perlen gefertigten Teichen mit jadenen Brücken, sich tummelnden Fischen, Drachen, Pfauen und Pferden, mit Blumen geschmückten Hallen voller Freude, deren glitzernde Strahlen selbst die azurfarbenen Wolken durchdringen – schaden sie doch dem Funktionieren einer guten Regierung und verletzen Menschen. Intime Favoriten gehören auch zu diesen Ablenkungen. Und mit den Berichten über junge Herrscher und weitverbreitetem Chaos habe ich festgehalten, wie Schmeichler und Übeltäter vorherrschen.19 Von diesem Historiker wird zwar nicht betont, dass Favoriten die einzige Bedrohung für das problemlose Funktionieren der Regierung darstellten, aber er stellt sie in den Kontext der großen Anzahl an Ablenkungen, die jeden undisziplinierten Herrscher korrumpieren konnten. Die Gefahr, die von den Favoriten ausging, konnte jedoch nicht vermieden werden. Ein Kapitel der Biographien endet mit einer langen Liste berühmter kaiserlicher Favoriten. Am Ende dieser Aufzählung stellt der verzweifelte Historiker die rhetorische Frage, wie ein so weit verbreitetes Phänomen überhaupt hätte vermieden werden können.20 19 20 ebd. Shen Yue, Song Shu 94:2318. 77 Was die Favoriten selbst betraf, so finden wir, wenn wir ihre Lebensläufe genauer beleuchten, eine stereotype Formel, die auf jeden einzelnen Favoriten zutrifft, wie das sonst üblicherweise in chinesischen Biographien der Fall ist. Da Favoriten ihren Aufstieg durch irreguläre Kanäle bewerkstelligten, sind ihre Lebensläufe durch eine große Anzahl unterschiedlicher Hintergründe, Fähigkeiten, Errungenschaften und Schicksale gekennzeichnet. Viele stammten aus einflussreichen Familien, was nachvollziehbar ist, da die Kinder von Beamten und Adeligen den größtmöglichen Zugang zu den jeweiligen Herrschern hatten. Wang Zhongxing kam zum Beispiel als Sohn eines Beamten zur Welt. Ihm gelang es später zum Favoriten von Kaiser Wei Gaozu21 (viertes Jahrhundert) emporzusteigen. Wang Zhongxings Rivale um die Gunst von Kaiser Gaozu, Wang Rui, stammt dagegen aus einem armen Elternhaus. Sein verarmter Vater verdiente sich seinen Lebensunterhalt als Astrologe und Wahrsager.22 Zhou Shizhen stammt aus noch niedrigeren Verhältnissen, die unter denen eines Dieners lagen.23 Manche Favoriten stammten aus Händlerfamilien der Unterschicht. Dai Faxing verkaufte zum Beispiel von klein an mit seinem Vater zusammen grobe Hanfkleidung auf dem Markt.24 In diesen Biographien finden wir sogar Favoriten mit unterschiedlichen ethnischen Hintergründen. Die Bedeutung, die Menschen zentralasiatischer Herkunft im China dieser Zeit spielten, wird verdeutlicht durch den Aufstieg Gao a'Nagong, der nomadischer Herkunft war, sowie durch die „Tanzenden Sogdianischen Jungen” der nördlichen Qi Herrscher.25 Die Herkunft des Favoriten war nicht von Bedeutung. Es war sicher, dass er zu Reichtum kommen und unter Umständen sogar einen hohen Rang bekleiden würde. David Johnson betont sogar, dass es zur damaligen Zeit für Menschen aus einfachen Verhältnissen eine der wenigen Möglichkeiten war, eine hohe gesellschaftliche Stellung zu erreichen.26 Zur damaligen Zeit erregten Favoriten das Interesse des Herrschers auf unterschiedliche Weise. Manche arbeiteten am Hof als Verwaltungsangestellte und Beamte in der 21 Wei Shou, Hrsg. Wei Shu (Geschichte der Wei-Dynastie) (Beijing, 1974), 93:1996-1997. ebd., 93:1988-1996 23 Li Yanshou, Nan Shi 77:1935-1936 24 ebd., 77:1914-1916 25 Li Baiyao, Bei Qi Shu 50:690-692, 694 26 David George Johnson, „The Medieval Chinese Oligarchy: A Study of the Great Families in Their Social, Political, and Institutional Setting" (Ph.D. Dissertation, University of California, Berkeley, 1970), S. 92. 22 78 Bürokratie wie z.B. Liu Xizong.27 Durch das von Gewalt geprägte Chaos der damaligen Zeit hatten Militärs engen Kontakt mit dem Kaiser. Viele Favoriten wie z.B. Xu Yuan beeindruckten während sie auf militärischen Expeditionen waren.28 Und natürlich enthalten diese Geschichten auch die eine oder andere Mär übernatürlicher Phänomene wie z. B. Ju Sengzhens Aufstieg zum Favoriten der dem Kaiser einen verheißungsvollen Traum erzählte.29 Viele Favoriten fanden Erwähnung aufgrund Ihrer besonderen Fähigkeiten. Manche waren recht gelehrt. Xu He schrieb zum Beispiel mehrere Bücher und genoss es mit buddhistischen Mönchen über die Feinheiten der Metaphysik zu diskutieren.30 Andere, wie Ju Sengzhen, wurden aufgrund der Schläue und des Geschicks gepriesen, die sie in Schlachten gezeigten hatten. Bei einem anderen Historiker findet Ji aufgrund seiner Eloquenz, seines guten Aussehens und seiner Eleganz besondere Erwähnung, da er seinen Heldenmut mit einem eleganten Äußeren kombinierte. Mu Tipo erreichte eine gewisse Bekanntheit aufgrund seines erotischen Geschicks, das, wie uns der Historiker versichert, dem seiner Mutter in nichts nachstand. Seine Mutter hatte aufgrund derselben „Begabung” eine Anstellung am Hof gefunden.31 Manche Männer erregten das Interesse des Kaisers aufgrund ihrer ungewöhnlichen Begabung. Li Xian beeindruckte seinen kaiserlichen Liebhaber zum Beispiel durch seine Reitkunst. He Shikai wiederum lullte den Kaiser durch seine wunderschönen auf der Laute gespielten Melodien ein.32 Die Gunst, die diesen Männern gewährt wurde, brachte viele praktische Vorteile mit sich. Für politisch ambitionierte wie z.B. Ru Hao konnte kaiserliche Gunst zu einem hohen Rang und großer Macht führen.33 Manche wurden sogar geadelt. Wang Rui stieg zum Beispiel aus sehr einfachen ärmlichen Verhältnissen empor und wurde später vom Kaiser als König mit Land belehnt. Solche Männer wurden im Lauf der Zeit unermesslich reich. Da ihm die Worte fehlten, um das Ausmaß des Reichtums, mit dem Wang Rui überhäuft 27 Li Yanshou, Nan Shi 77:1927. ebd. ,77:1917-1919. 29 Xiao Zixian, Nan Qi Shu 56:972-975. 30 Wei Shou, Wei Shu 93:2007-2009. 31 Li Baiyao, Bei Qi Shu 50:689-690. 32 Wei Shou, Wei Shu 93:2002, Li Baiyao, Bei Qi Shu 50:686-689. 33 Wei Shou, Wei Shu 93:2001-2002 28 79 wurde, zu beschreiben, erklärte der Autor der Geschichte der Wei-Dynastie: „Die Menge an Flitter und Kleidern, die er geschenkt bekam, war einfach unvorstellbar.”34 Die Favoriten genossen außerdem spezielle Privilegien. Manche mussten nicht einmal die seltsamen Rituale/Formalitäten einhalten, die normalerweise für den Kontakt zwischen dem Kaiser und seinen Höflingen galten. He Shikai und sein kaiserlicher Liebhaber hielten sich nicht an die zeremoniellen Regeln, wie sie für den Umgang zwischen Kaiser und Untertan bestanden.35 Da er sich vielleicht bewusst war, in welche außergewöhnliche Position ihn seine Beziehung mit dem Kaiser versetzte, bezeichnete He Shikai „persönlichen Service” für den Kaiser als den wichtigsten Dienst überhaupt.36 Manchen Favoriten gelang es langfristig, den gesellschaftlichen Aufstieg ihrer Familien zu etablieren. Darin ähnelten sie den Familien der Han-Zeit, deren Sohn als Favorit oder deren Tochter als Gemahlin dem Kaiser dienten. In der Biographie Wang Ruis wird beschrieben, wie seine Familie mit Ehren überhäuft wurde. Seine Mutter wurde nach ihrem Tod geehrt und sein Vater und seine Brüder kamen in den Genuss hoher Ränge am kaiserlichen Hof. Außerdem wurden auch vielen seiner Söhne hohe Ränge und beachtliche Prominenz zuteil. Sogar Mitglieder der Familien seiner Brüder wurden auf hohe Posten befördert.37 Die Privilegien, die Favoriten wie Guo Xiu genossen, erlaubten es ihm, seinen Söhnen eine klassische Ausbildung zukommen zu lassen, wodurch deren Kinder die Chance erhielten, in das Beamtenwesen aufgenommen zu werden.38 Andere Favoriten wie z.B. Hou Gang erhöhten die Erfolgsaussichten ihrer Kinder, indem sie sie mit Sprösslingen anderer reicher Familien verheirateten. Die Lebensabende dieser Favoriten waren sehr unterschiedlich. Manche lebten glücklich bis ins hohe Alter. Liu Xizong starb zum Beispiel im Alter von 77 Jahren. Manche erhielten sogar ein Staatsbegräbnis. Beim Tod Wang Ruis war eine große Trauer zu spüren und es wurden umfangreiche Vorkehrungen für sein Begräbnis getroffen. Andere hatten weniger Glück. Zhao Xiu missbrauchte seine beachtlichen Machtbefugnisse, 34 ebd., 93:1989 Li Baiyou, Bei Qi Shu 50:687. 36 ebd.,50:688 37 Wei Shou, Wei Shu 93:1990-1996 38 Li Baiyou, Bei Qi Shu 50:686. 35 80 wodurch er sich bedeutende Rivalen zu Feinden machte, was dazu führte, dass er denunziert wurde, was schließlich zu seinem gewaltsamen Tod führte.39 Wenn ein Favorit in Ungunst gefallen war, hatte das in der Regel auch für seine Familie negative Auswirkungen. Als Ru Hao aufgrund seiner Verwicklung in eine höfische Intrige umgebracht wurde, ereilte seinen Sohn dasselbe Schicksal. Die Kräfte, die für Macht und Reichtum genutzt werden konnten, trugen in sich auch den Samen der Schande/Unehre und sogar des Todes. Die „Verwendung” von Eunuchen als sexuelle Favoriten von Kaisern, eine Praxis, die von der Han- bis zur Qing-Zeit üblich war, verdient erwähnt zu werden, da manche der Männer kastriert wurden.40 Um diese Präferenz verstehen zu können, muss man sich vor Augen führen, dass Eunuchen zur „Grundausstattung” eines jeden chinesischen kaiserlichen Hofes gehörten. Es wurde daher nicht als unangebracht empfunden, sie als sexuelle Objekte zu betrachten. Der unkomplizierte Zugang, den die Eunuchen zum Bett des Kaisers hatten, machte ihre Verwicklung in die sexuellen Aktivitäten des Kaisers beinahe unausweichlich. Glücklicherweise beginnt die Diskussion der Sexualität in dieser Epoche auch Bereiche außerhalb des Kaiserhofs zu erfassen. Während die Schriften der Zhou und Han sich überwiegend mit den Affären der Herrscher und ihrer Liebhaber beschäftigten, finden wir in Aufzeichnungen der Epoche, die auf den Sturz der Han-Dynastie folgte, ausführliche Beispiele, die sich mit einer größeren Gruppe von Personen des öffentlichen Lebens beschäftigen. Es ist das erste Mal, dass wir in diesen Quellen Hinweise darauf finden, dass Homosexualität nicht nur am Kaiserhof verbreitet war, sondern auch in den oberen Schichten der Gesellschaft. Dieses neue Literaturgenre kommt im Werk „Was die Welt so redet, neu erzählt”(Shi Shuo Xin Yu) von Liu Yiqing (403 - 444) zum Ausdruck. Es handelt sich dabei um eine Sammlung von Anekdoten und Gesprächen, einem lebendigen, geistreichen Potpourri berühmter Zitate und interessanten Tratsches. Das Werk ist aufgeteilt in verschiedene Rubriken, die anhand bestimmter Schlagwörter angeordnet sind, 39 40 Wei Shou, Wei Shu 93:1998:2000. Für Beispiele, siehe Li Baiyou Bei Qi Shu 50:694 und Li Yanshou, Bei Shi 92:3029-3030. 81 wie z.B. „Angelegenheiten des Staates” und „Briefe und Gelehrsamkeit”. Eine Rubrik befasst sich ausschließlich mit prominenten männlichen Schönheiten der Epoche. Die Einbeziehung eines Extrakapitels, das sich mit der äußeren Erscheinung und dem Verhalten bekannter Männer beschäftigt, zeigt, wie sehr attraktive Männer bewundert wurden. Dies ist eine Widerspiegelung der weitverbreiteten Bewunderung, wie sie vor dem Fall der Han-Dynastie existierte. Dieses Kapitel gibt Anlass zu der Vermutung, dass sich Männer des 5. Jahrhunderts regelmäßig über männliche Schönheit unterhielten und sie bewunderten. In dieser Bewunderung schwingt oft ein sexueller Unterton mit, wie z.B. in der Freundschaft zwischen dem Dichter Pan Yue (247 – 300) und Xiahou Zhan (243 – 291) beschrieben. Ein Text beschreibt sie als „eingeschworene Brüder”, die „infolgedessen gemeinsam durch die Gegend zogen”.41 Laut „Was die Welt so redet, neu erzählt” hatten Pan Yue und Xiahou Zhan hübsche Gesichter und beide genossen es sehr, gemeinsam spazieren zu gehen. Zeitgenossen beschrieben sie als „ mit einander verbundene Jade-Scheiben”.42 Dieses Motiv der verbundenen Jade-Scheiben taucht Jahrhunderte später wieder in den „Poetischen Essays zum allerhöchsten Glück” auf, in einem Abschnitt, der sich mit Homosexualität beschäftigt. Es ist daher davon auszugehen, dass Leser der Tang-Zeit die Beziehung der beiden Männer als eine sexuelle Beziehung betrachteten. Die Beschreibung der Liebe von Pan Yue und Xiaohou ist nicht die einzige Passage in „Was die Welt so redet, neu erzählt”, die homosexuelle Konnotationen enthält. Hua Wen (312 – 373), ein mächtiger Großmarschall am östlichen Jin-Hof, fragte seinen Untergebenen Wang Xun um seine Meinung bezüglich der äußeren Erscheinung des Prinzkanzlers Sima Yu. (Sima Yu war bekannt für sein gutes Aussehen und sein würdevolles Auftreten.) Wang Xun antwortete: „Der Prinzkanzler hat die Verantwortung für die Regierung übernommen und besitzt die natürliche Majestät eines göttlichen Herrschers. Aber Eure Exzellenz wird ebenfalls von allen Männern bewundert. Weshalb 41 Bawang Gushi , geschrieben von Lu Lin im vierten Jahrhundert. [Liu Yiqing] Liu I-ch’ing. Shih-shuo hsin-yü: A New Account of Tales of the World, Übersetzung von Richard B. Mather (Minneapolis, 1976), S. 310. 42 82 sonst sollte der Vizepräsident des Hofsekretariats sich Euch untergeordnet haben?”43 Diese Passage macht deutlich, wie eine untergeordnete Person sich bei einem Vorgesetzten durch Bemerkungen einschmeicheln konnte, indem er die Schönheit des Vorgesetzten mit der eines Herrschers verglich, der für sein gutes Aussehen bekannt war, dem andere Männer erlagen.44 Gutes Aussehen konnte auch von Nutzen sein, wenn es darum ging, andere Regierungsbeamte für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. Währende dieser gesamten Epoche schätzen Männer daher gutes Aussehen. Manche von ihnen versuchten sogar ihr Aussehen künstlich zu verbessern. In einer Quelle des frühen fünften Jahrhunderts finden wir eine Kritik an Zuo Si (datiert 306), da er sich nicht für gute Manieren oder Schmuck interessierte.45 Entsprechend der ästhetischen Norm jener Zeit konnte ein Mann sein Aussehen verbessern, indem er weißen Puder auftrug. Eine weit verbreitete Redeweise besagte, dass die Wertschätzung des weißen Puders sich nicht nur auf den sichtbaren Teil des Körpers bezog. „Geöltes Haar, gepudertes Gesicht und ein kleiner, schimmernder Po” beschrieben den idealen Mann.46 Die Verwendung von Gesichtspuder durch Männer geht mindestens bis in die Han-Zeit zurück. In der Mitte des zweiten Jahrhunderts rief ein Offizieller bei den Höflingen große Empörung hervor, als er bei einem kaiserlichen Begräbnis mit gepudertem Gesicht erschien. Der chinesische Begriff „barbarisches Puder” deutet darauf hin, dass diese Praxis ursprünglich von NichtChinesen stammt. Zum Zeitpunkt des Falls der Han-Dynastie war die Verwendung des „barbarischen Puders” zur Aufhellung der Gesichtshaut bereits so populär, sowohl bei Männern als auch Frauen, dass der Staat Wei während der Epoche der drei Reiche aus dem Handel mit Puder ein staatliches Monopol machte, was ein deutlicher Hinweis auf die hohen zu erzielenden Gewinne war.47 43 ebd., S.316 Wie im Werk Xu Jin Yangqiu des Literaten Tan Daoluan aus dem fünften Jahrhundert beschrieben: „Der Kaiser [Sima Yu] war elegant in seinen Manieren und seinem Benehmen und seine Bewegungen waren gediegen und umsichtig.” (ebd.) 45 ebd. 46 Hou Lichao, Zhongguo Meinanzi Zhuan (Biographien hübscher chinesischer Männer) (Taipei, 1986), S. 91. 47 Ying-shih Yü, Trade and Expansion in Han China: A Study in the Structure of S ino-Barbarian Economic Relations (Berkeley and Los Angeles, 1967), S. 213. Durch das Han-Wörterbuch Shiming wird bestätigt, dass „barbarisches Puder” verwendet wurde, um das Gesicht zu pudern. 44 83 In Aufzeichnungen aus den dem Fall der Han-Dynastie folgenden Epochen finden wir viele Hinweise auf die Verwendung von Puder durch Männer. He Yan wurde als „von Natur aus exzentrisch” beschrieben. Er hatte, egal ob er aktiv war oder ob er sich ausruhte, immer eine Puderquaste in seiner Hand. Egal wo er ging, er blickte immer hinter sich, auf seinen eigenen Schatten.48 Darauf basierend schloss ein scharfzüngiger Kommentar in „Was die Welt so redet, neu erzählt” aus dem 16. Jahrhundert: „Seine (Yans) Schönheit hing im Prinzip von äußerlichem Schmuck ab”.49 In „Was die Welt so redet, neu erzählt” wird von einem Vorfall berichtet, bei dem der Kaiser Zweifel äußerte, dass das Gesicht He Yans von Natur aus so weiß sein könne. Er dachte sich daher einen Plan aus, um herauszufinden ob He Yan Kosmetik benutzte. He Yan war von elegantem Aussehen und Benehmen und sein Gesicht war extrem weiß. Kaiser Wen aus dem Staate Wei (r.220-226) hatte den Verdacht, dass er Puder verwendete. Mitten im Hochsommer bot er ihm heiße Suppe und Klößchen an. Nach dem Essen begann He Yan stark zu schwitzen. Er wischte sich sein Gesicht mit seiner scharlachroten Robe ab, aber seine Gesichtsfarbe wurde noch weißer als sie zuvor war.50 He Yan hatte Glück, dass er an diesem Tag sein Gesicht nicht gepudert hatte. Helle Haut galt in China lange Zeit als ein Zeichen von Schönheit. Es ist in der Tat so, dass in den meisten agrarisch geprägten Gesellschaften helle Haut die reichen Grundbesitzer von den armen Bauern unterscheidet. Erst mit dem Erstarken der Mittelklasse, wie beispielsweise in den Vereinigten Staaten, wurde eine gebräunte Haut zum Symbol für knapp bemessene Freizeit und für ein Flugzeugticket zu einem weit entfernten Urlaubsziel. Da Männer im China der Frühzeit ein blasses Antlitz als attraktiv empfanden, priesen sie oft ein bleiches Gesicht als perfekten Kontrast zu strahlenden schwarzen Augen. Als der 48 Aus dem Werk Wei Lue von Hu Huan aus dem dritten Jahrhundert, in [Liu Yiqing] Liu I-ch'ing, ShiShuo Hsin-Yü, S. 309. 49 Der Kommentar von Liu Jun (462-521), ebd. 50 [Liu Yiqing] Liu I-ch'ing, Shi-Shuo Hsin-Yü, S. 308. 84 Meisterkalligraph Wang Xizhi (309 – ca. 365) den hauptstädtischen Intendanten Du Yi (d. vor 335) sah, seufzte er voller Bewunderung: „Sein Gesicht ist wie erstarrte Salbe und seine Augen sind wie zwei schwarze Punkte aus Lack. Dieser Mann stammt aus dem Reich der Götter und Unsterblichen.”51 Du Yi war so berühmt für sein Aussehen, dass nach seinem Tod, wenn das Aussehen anderer Männer gepriesen wurde, seine Bekannten bemerkten: „Es ist wirklich schade, dass du niemals Du Yi zu Gesicht bekommen hast, das ist alles.”52 Die Bewunderung weißhäutiger Männer findet auch noch in einem anderen Abschnitt von „Was die Welt so redet, neu erzählt” Erwähnung. Hier wird die Haut des hochrangigen Beamten Wang Yan mit dem weißen Griff einer zeremoniellen Fliegenklatsche verglichen. „Wang Yans Gesicht und äußere Erscheinung waren symmetrisch und wunderschön. Er hielt ständig eine aus dem Schweif des Sambarhirsches gefertigte Quaste, die mit einem weißen Jadegriff versehen war, in seiner Hand. Seine Hand war vom Griff nicht zu unterscheiden.53 In dieser Passage findet eine andere Metapher Anwendung, mit der männliche Schönheit beschrieben wurde: der Vergleich mit Jade. Der „Mann aus Jade” war ein Sinnbild absoluter männlicher körperlicher Schönheit. Diese Schönheit wurde versinnbildlicht durch den Gelehrten Pei Kai (237-291). Pei Kai war von außergewöhnlicher Schönheit und hatte herausragende Manieren. Selbst wenn er seine offizielle Kopfbedeckung abgelegt hatte, in einfacher Kleidung und mit nicht gerichtetem Haar, strahlte er immer noch eine große Attraktivität aus. Seine Zeitgenossen betrachteten ihn als einen „Mann aus Jade”. Einer der ihn sah, bemerkte: „Pei Kai zu betrachten, ist als ob man auf der Spitze eines Bergs aus Jade entlang ging und das Licht sich in einem selbst reflektiert.”54 Durch die Bezugnahme auf einen Mann aus Jade und auf Berge aus Jade verband man männliche Schönheit mit dem wertvollsten und schönsten Material, welches das alte 51 ebd., S. 314. In einer weniger euphemistischen Übersetzung würde man wahrscheinlich „erstarrte Salbe” durch „Schmalz” ersetzen. 52 ebd. 53 ebd., S. 310 54 ebd., S. 311 85 China kannte. Im Kontrast zur aufdringlichen Brillanz von Gold stellte die eiskalte Schönheit von Jade eine elegante Untertreibung dar. Diese Metapher taucht erneut in einer anderen Beschreibung von Wang Yan auf, in der ein mächtiger General seine Schönheit noch eindringlicher pries. Wahrscheinlich bemüht eine noch schmeichelhaftere Beschreibung als eine Fliegenklatsche zu finden, schrieb der General: „Wenn er (Wang Yan) sich in einer Gruppe von Männern befindet, ragt er wie eine Perle oder Jade aus der Mitte von Fliesen und Steinen heraus.“55 In ihren extravaganten Beschreibungen männlicher Schönheit verwendeten Männer der damaligen Zeit oft Bilder aus der Natur. Vielleicht kommt in dieser Tendenz der große Einfluss, den der naturorientierte Neo-Taoismus der damaligen Zeit auf alle Bereiche des intellektuellen Lebens und der Literatur ausübte, zum Ausdruck. In einem Bericht aus dem vierten Jahrhundert wird berichtet, wie ein junger Mann beim Anblick des Kanzlers Wang Dato der östlichen Jin-Dynastie sich fühlte, „als ob eine erfrischende Briese ihn ergriffen habe und ihn liebkoste”.56 In „Was die Welt so redet, neu erzählt” wird ein Zeitgenosse zitiert, der sich euphorisch über Wang Meng äußerte: „Wie leicht und luftig sein graziöses Emporsteigen doch ist.”57 Ein Bewunderer von Sima Yus angenehmen Äußeren erklärte, dass wenn dieser den kaiserlichen Hof zur morgendlichen Audienz betrat, ein alles erhellendes Strahlen den Raum erfüllte, wie wenn Morgenwolken langsam entschwinden.58 Der Beamte Wang Gong (datiert 398) wurde als „geschmeidig und schimmernd bezeichnet, ganz wie eine Weide im Frühling”.59 Wang Shao (fl. ca. 350) war so berühmt für seine Erscheinung, dass ein mächtiger Bewunderer über ihn sagte „er hat ganz klar und unzweifelhaft die Federn eines Phoenix.”60 In der großen Auswahl verfügbarer Quellen dieser Zeit finden wir zum ersten Mal Beweise für die Existenz von Homosexualität in den Rängen des Militärs. In den Kreisen großer Künstler und Philosophen waren zum Beispiel der hochgeachtete Dichter Pan Yue 55 ebd., S. 312 ebd., S. 314. Dieses Zitat ist erhalten in Pei Qis Yu Lin. 57 ebd., S. 315 58 ebd., S. 316 59 ebd., S. 317 60 ebd., S.315 56 86 und der Meisterkalligraph Wang Xizhi beide glühende Verehrer männlicher Schönheit. Es ist von großer Bedeutung, dass die größte intellektuelle Kraft der damaligen Zeit, Xi Kang (223- 262) den begnadeten Dichter Ruan Ji zum Geliebten hatte, der auch der Autor eines wunderschönen Loblieds über die männlichen Liebenden der Zhou- und HanDynastie war. Selbst auf erhaltenen gravierten Steinporträts aus dieser Zeit werden diese beiden Liebenden als nebeneinander sitzend dargestellt.61 Xi Kang, als das herausragendste Mitglied der Gruppe „Die sieben Wertvollen des Bambushains” (Zhulin qixian), einer philosophischen und literarischen Gesellschaft talentierter „Bohemiens”, erlangte vor allem wegen seiner vollendeten Dichtkunst und Einhaltung der neo-taoistischen Prinzipien, welches beides die etablierten Gelehrten schockierte, Berühmtheit. Während seiner Lebenszeit war Xi Kang jedoch für sein Aussehen genauso berühmt wie für seine Begabungen und seinen Intellekt. In seiner Biographie wird sein herausragendes Äußeres erwähnt. „Kang war sieben (chinesische) Fuß, acht Zoll groß, mit einem sehr ausdrucksvollen Gesicht. Er behandelte seinen Körper ganz wie Erde oder Holz und fügte nie einen äußerlichen Schmuck hinzu oder unternahm etwas, um sich herauszuputzen. Er besaß jedoch die Grazie eines Drachen und die Schönheit eines Phönix.62 Manche Zeitgenossen beschrieben ihn als „wie der Wind, unter den Kiefern, groß und zart wehend.” Ein anderer Bewunderer meinte, dass Xi Kang majestätisch in die Höhe rage, ganz wie eine einsame, allein stehende Kiefer. Aber wenn er betrunken sei, würde er zur Seite lehnen, wie ein Jadeberg, der kurz davor ist, in sich zusammen zu fallen.63 Am überschwänglichen Lob seiner Zeitgenossen wird deutlich, dass Xi Kang über ein außergewöhnliches Aussehen verfügte; die stereotypische taoistische Metapher von der Kiefer repräsentiert seinen transzendentalen Charakter, wohingegen Jade und Phönix seine Schönheit symbolisieren. Eine Geschichte, die über Xi Kang erzählt wird, hat Parallelen zu einer Geschichte im Zusammenhang mit der Frau des Herzogs Gong von Cao aus der Zhou-Dynastie, der durch ein Loch in der Wand beobachtete, wie ein adliger Gast Sex mit einem männlichen 61 Chugoku no hakubutsukan (Chinesische Museen) (Tokio und Beijing), 1982), Bd. 4. Abb.90. [Liu Yiqing] Liu I-Ch'ing, Shi-Shuo Hsin-Yü, S. 309. 63 ebd. 62 87 Faktotum hatte. In der Variation dieses alten Themas beobachtete die Frau von Shan Tao heimlich die nächtlichen Aktivitäten Xi Kangs und seines Liebhabers Ruan Ji. Offensichtlich beeindruckt von der sexuellen „Begabung“ Xi Kangs und Ruan Jis, im Vergleich zu ihrem Gatten, erzählte sie Shan Tao, das er mit den beiden nur auf intellektueller Ebene mithalten könne. Das erste Mal als Shan Tao Xi Kang und Ruan Ji traf freundeten sich die drei an. Diese Freundschaft war „stärker als Metall und duftete so herrlich wie Orchideen”. Shans Frau, die Dame Han, erkannte, dass die Freundschaft ihres Mannes mit diesen beiden Männern sich von gewöhnlichen Freundschaften unterschied und befragte ihn dazu. Shan antwortet: „Als Freunde in meinen reifen Jahren kommen nur diese beiden Herren in Betracht”. Seine Frau erwiderte: „Im Altertum spionierte Xi Fujis Frau auch persönlich Hu Yan und Zhao Cui aus. Ich würde das auch gerne bei deinen beiden Freunden machen. Seid ihr damit einverstanden?” Eines Tages besuchten die beiden Männer Shan Tao und seine Frau drang darauf, beide übernachten zu lassen. Nachdem der Wein und das Fleisch vorbereitet waren, machte sie noch in derselben Nacht ein Loch in die Wand und kehrte nicht vor dem Morgengrauen in ihr Zimmer zurück. Als Shan hereinkam, fragte er sie: „Was meinst du zu den beiden Männern?” Seine Frau antwortete: „Deine Fähigkeiten lassen sich in keiner Weise mit ihren vergleichen. Du solltest nur mit ihnen befreundet sein, basierend auf deiner Menschenkenntnis und deiner Urteilskraft.“64 In dieser von einem „komischen Voyerismus“ handelnden Geschichte finden wir eine Bestätigung dafür, dass führende Literaten Homosexualität offen diskutierten und praktizierten. Shan Taos Frau war sich nicht nur der homosexuellen Tradition bewusst, was durch ihre Bezugnahme auf die berühmte Geschichte aus der Zhou-Zeit, in der es um 64 ebd., S. 346-347 88 homosexuellen Voyerismus geht, deutlich wird, sondern sie lobte auch Xi Kang und Ruan Ji für ihre sexuellen Fähigkeiten. Im Vergleich zu diesen egalitären Freundschaften wird durch die Geschichte der ungewöhnlichen Freundschaft zwischen Yu Xin (513-581), dem Autor des berühmten Werks „Klage um Jiangnan” und Wang Shao, die Frage aufgeworfen, inwiefern durch Klasse und Alter bestimmte Beziehungen sich ändern konnten, wenn der soziale Status und das Alter der Partner sich änderte. In seiner Jugend sah Wang Shao gut aus. Yu Xin nahm ihn in sein Haus auf und er wurde sein Liebhaber. Sie genossen die Freuden des „abgeschnittenen Ärmels” (homosexuelle Liebe). Wang Shao wurde von Yu Xin mit Kleidung und Essen versorgt und Yu Xin gab ihm alles. Wang Shao empfing die Gäste und diente auch als Yu Xins Mundschenk. Später wurde Wang Shao zum „Zensor” von Yingzhou ernannt. Als Yu Xin nach Westen, nach Jiangling ging, gelang er auf seiner Reise zu Jingxia. Wang Shao grüßte Yu Xin sehr halbherzig. Wie sie beieinander saßen, nahm die Zuneigung von Wang Shao für ihn ab. Nachdem Yu Xin zum Fest gekommen war, gewährte er ihm einen Platz neben seiner Couch. Yu Xin sah wie ein Witwer aus. Yu Xin ertrug das nicht länger. Er hatte dem Alkohol heftig zugesprochen und sprang direkt auf Wang Shaos Couch. Er trampelte auf dem Essen herum und kickte es vom Tisch. Er schaute Wang Shao direkt in die Augen und sagte: „Heute erscheint mir dein Auftreten im Verhältnis zu deinem früheren Auftreten sehr seltsam!” Andere Gäste traten in die Halle und Wang Shao war die Situation äußerst peinlich.65 Trotz des späteren Aufstiegs Wang Shaos in den Beamtenrang, was ein Indiz war, dass er kein gewöhnlicher männlicher Prostituierter war, war er doch in seiner Jugend auf die Förderung durch den illustren Dichter Yu Xin angewiesen. Als Ausgleich dafür, dass er Gäste unterhielt, als Mundschenk diente und seine sexuellen Dienste anbot, wurde ihm 65 Wuxia Ameng, Hrsg., Duanxiu Pian 9:9B-10A (mit Auslassungen) 89 Kleidung, Essen und eine Unterkunft gestellt. Obwohl es nicht ungewöhnlich war, dass höchst belesene Männer den Reichen als „Faktotum” dienten, war Wang Shao sein früheres „Dienerverhältnis” in der Anwesenheit seines früheren Herren nicht angenehm. Auf jeden Fall hatten Wang Shaos früher geleisteten „Dienste” keinen Einfluss auf seine Beamtenkarriere. Es gelang ihm, einen hohen Posten zu erringen, was ein Indiz dafür ist, dass die damalige Gesellschaft sexuelle Unterwürfigkeit in der Beziehung zwischen bedeutenden Männern nicht allzu scharf kritisierte. Es blieb nicht aus, dass die Komplexität homosexueller Beziehungen zum Entstehen poetischer Werke führte, in denen solche miteinander in Konflikt stehenden Gefühle für alle Zeiten verewigt wurden. Ruan Ji (210-263), der Liebhaber Xi Kangs, war einer der berühmtesten Dichter, der sich homosexuellen Themen widmete. Diese Arbeit, eine von mehreren aus der Sammlung von Liebesgedichten namens „Jadeterrassen”, die sich mit dem Thema Homosexualität beschäftigen, illustriert auf wunderbare Weise den reichen visuellen Fundus, der Männern der damaligen Zeit zur Verfügung stand, um ihre Liebe zu einem anderen Mann zu beschreiben und zu konzeptualisieren. In alter Zeit lebten hübsche Jungs An Ling und Long Yang war ihr Name Frische junge Blüten von Pfirsich und Pflaume Das Anlitz strahlenden, glühenden Glanz verströmend Voller Glück und Freude wie der Frühling Gehorsam und geschmeidig wie biegsame Äste Mit ihren eleganten Blicken umgarnten sie Ihr Lachen und Reden war von betörendem Duft Hand in Hand in Liebe verbunden Teilten sich Decken und Gewänder 90 Verzehrten sich danach wie zwei Vögel zu fliegen Flügel an Flügel miteinander gleitend In Tinte bezeugt wurde der Schwur Bis an das Ende aller Tage – Ich gehöre Dir66 Das Gedicht beginnt mit einem Bezug auf die Vergangenheit, eine nicht unübliche schriftstellerische Konvention. Diese Technik legt die Betonung auf die Tradition, die alle diese Ereignisse zusammenhält. Diese Technik fand in der frühen homosexuellen Literatur für einen kurzen Zeitraum Anwendung. Das Heraufbeschwören der noblen Vergangenheit gab dem Werk des Autors automatisch eine Aura von Würde und Bedeutung. Ruan Ji fährt fort mit den Namen zweier berühmter Favoriten der ZhouDynastie: Meister An Ling und Meister Long Yang. Diese beiden Männer bildeten zusammen mit Mizi Xia und Dong Xian den Pantheon von Männern, die später von nachfolgenden Generationen als Symbole der Männerliebe betrachtet werden sollten. Gebildete Chinesen durch alle Dynastien hindurch betrachteten diese Ikonen männlicher Homosexualität ähnlich wie Europäer des Mittelalters Ganymed betrachteten. Das Gedicht endet mit einer (anschaulichen) Lobrede auf die Hingabe, die durch diese beiden frühen Figuren zum Ausdruck gebracht wurde. Der Dichter Zhang Hanbian (265-420) der Jin-Dynastie schrieb ebenfalls ein Gedicht, in dem er die Männerliebe pries. Dieses Gedicht ist ein Tribut an Zhou Xiaoshi, in dem der Autor die Reize des Jungens überschwänglichst beschreibt. Der Schauspieler Zhou wandelt elegant umher, jugendlich und zart ist der Junge, nur 15 Jahre jung. Wie die östliche Sonne, 66 ebd., 9:2B,ursprünglich von Ruan Jis Young Huai Shi Bashier Shou. 91 wohlriechende Haut, zinnoberrote Schminke, Einfachheit gemischt mit „Verruchtheit”. Dein Kopf dreht sich – Ich küsse dich, Lotus und Hibiskus. Deine Erscheinung ist rein, dein Gewand ist neu. Der Wagen folgt dem Wind, dem Nebel und Wogen von Dunst hinterher fliegend. Extravagantem und Festlichkeiten gewogen, Ausschau haltend nach den Müßiggängern und den Schönen. Ein angenehmer Ausdruck erfreut sich im Lachen, ein schöner Mund erfreut sich mit Reden.67 Der von Zhang so verehrte Zhou Xiaoshi war in Wirklichkeit ein männlicher Prostituierter. Im Gedicht wird sein Alter mit 15 angegeben. Das Ausmaß der Prostitution von jungen Männern während der Jin-Dynastie ist nicht bekannt. Aber hier werden Andeutungen bezüglich der Existenz eines Netzwerks von Förderern und wohl auch ganz offener männlicher Prostitution gemacht. Wenn männliche Prostitution auch in früheren Zeiten existiert haben mag, so entstand in dieser Epoche ein Literaturgenre, das die offene Diskussion sexueller Themen aufnahm und damit in gewandter Weise Zeugnis von der Praktik männlicher Prostitution ablegte. Dieses Gedicht stellte auch schon zu einem frühen Zeitpunkt eine Beziehung zwischen dem Schauspielerberuf und der Prostitution her, eine Verbindung, die während nachfolgender Dynastien noch deutlicher hervortrat. Zhou Xiaoshi war jung, gebrauchte jedoch schon Kosmetika, um sein Aussehen zu verbessern. Vielleicht war es die übertriebene Verwendung von Schminke durch männliche Prostituierte und Schauspieler, die im Lauf der Zeit dazu führte, dass weißes Puder in den folgenden Jahren von den Männern der Oberklasse immer weniger verwendet wurde. Kosmetik wurde nicht nur mit 67 „Zhou Xiaoshi” von Wuxia Ameng, Hrsg., Duanxiu Pian 9:9A. 92 sexueller Passivität in Verbindung gebracht, sondern erhielt im Lauf der Zeit auch eine klassendefinierende Konnotation. In späteren Epochen wurden „gepuderte Männer” immer mehr degradiert, auf die niedrigste Stufe sexueller Unterwürfigkeit. Aber trotz Zhou Xiaoshis Zwang seinen Körper zu verkaufen, um überleben zu können, wird sein Leben vom Dichter als sorglos und leicht beschrieben. Der Zhou Xiaoshi in Zhang Hanbians Gedicht lebt in einer Welt duftender Blumen, prachtvoller Kleidung, des Genusses und munterer Festlichkeit. Natürlich entspringt diese Beobachtung dem Blickwinkel seines Kunden. Der Junge selbst mag bezüglich der Demütigungen und Unsicherheiten seines Lebens eine ganze andere Sicht gehabt haben. Lesern nachfolgender Epochen dürften die in diesem Gedicht zu Tage tretende voreingenommene Sichtweise nicht entgangen sein. Der Dichter Liu Zun (d.535) der Liang-Dynastie versuchte in seinem Gedicht „Zahlreiche Blüten”, das von Kronprinz Xiao Gang in Auftrag gegeben worden war, eine ausgeglichenere, fairere Sicht der Dinge zu präsentieren. Wie der Junge Zhou doch zu bedauern ist! Er lächelt kaum, pflückt Orchideen so professionell. Frische Haut, die blasser ist als gepuderte Weißheit, Mund und Gesicht wie rosafarbene Pfirsichblüten. Er umarmt seine Schleuder in der Nähe von Diaoling, und wirft seinen Stab östlich der Lotusblätter. Handgelenke wirbeln durch wohlriechenden „Moschus”, Leichte Gewänder dem Wind ausgeliefert. Glücklich, wer auserwählt ist, ein Kissen wegzustoßen, in den blumigen Hallen zu dienen. Vergoldete Paravents schützen seine Bettdecke aus den gletscherblauen Federn des Eisvogels. Indigofarbene Tücher bedecken seinen duftenden Kleiderschrank. 93 Von früher Jugend an kannte er den Schmerz der Verachtung und des Hohns, Worte zurückhaltend, zu beschämt, um zu sprechen. Die Gunst des abgeschnittenen Ärmels wird reich belohnt, Die Liebe des halb gegessenen Pfirsichs stirbt nie. Augenbrauen, was ist der Sinn von Eifersucht? Neue Gesichter strömen ständig durch den Palast.68 Die in diesem Gedicht aufgezeigte Perspektive zeichnet ein wesentlich unglamouröseres Bild vom Leben eines jungen, männlichen Favoriten. Während das frühere Werk die sexuellen Begegnungen mit „Lotus und Hibiskus” verglich, pflückt er hier „professionell” Orchideen und wirft seinen Stab, um Kunden anzulocken. „Blumige Hallen” sind nur ein Ort, an dem Geschäfte abgewickelt werden. Die Demütigungen und Erniedrigungen haben ihm psychische Wunden zugefügt, die dazu führten, dass er nicht in der Lage war, selbstbewusst zu kommunizieren. Aber zugleich wird Zhou in diesem Gedicht auch als äußerst attraktiv beschrieben. Seine blasse Haut und seine rosige Gesichtsfarbe beschwören das Bild weiblicher Schönheit herauf, das ganz offensichtlich auf sexuell passive Männer übertragen wurde. Der Dichter stellt eine Verbindung mit der homosexuellen Tradition her, indem er den „abgeschnittenen Ärmel“ erwähnt. Liu stellt fest, dass die Liebe zwischen Männern nicht frivol ist, dass aber das Leben männlicher Favoriten etwas Mitleiderregendes an sich hat. Er zitiert auch den Fall Mizi Xias, indem er Bezug nimmt auf die „Liebe des halb gegessenen Pfirsichs”. Ironischerweise stellt er fest, dass die Liebe zwischen „sozial” dominanten und unterwürfigen Männern ewig ist, obwohl Mizi Xia, nachdem sein Liebhaber genug von ihm hatte, ein unglückliches Ende nahm. Das ist unter Umständen auch das Schicksal des im Gedicht beschriebenen jungen Favoriten. Wenn im Lauf der Zeit sein blühendes Aussehen verblasst, so wird auch die Leidenschaft, die er zu entfachen pflegte, erlöschen. Sein späteres Leben erscheint unsicher. Das Gedicht endet 68 „Fanhua Shi”, von ebd. , 9:9B. In meiner Übersetzung habe ich viel übernommen aus Birells Übersetzung New Songs from a Jade Terrace S. 213. 94 mit der Ankunft eines Schwarms neuer „Augenbrauen”, eine „Synekdoche” für junge Schönheiten, die dazu führen wird, dass er in Vergessenheit geraten wird. Der voreingenommene Blick Liu Zuns auf das Leben eines Favoriten, der hier zum Ausdruck kommt, bedeutet nicht, dass dieser Dichter der Liang-Dynastie Homosexualität generell ablehnte. Er kritisierte nur die sozialen Bedingungen, unter denen die männlichen Favoriten gezwungen waren zu leben. Was die Realität der sexuellen Beziehungen zwischen alten und jungen Männern, die sich hinter der nach außen hin glänzenden Fassade abspielte, anging, so waren andere nicht weniger kritisch. Das berühmteste Gedicht der damaligen Epoche, das sich mit dem Thema Homosexualität beschäftigte, wurde von Kaiser Jianwen (r.550-551) der Liang-Dynastie geschrieben. Jianwen, ein begnadeter Dichter, blieb vor allem wegen seiner Texte bekannt, in denen er Pflaumenblüten und weibliche Schönheit beschreibt. Eines seiner größten Werke ist jedoch ein kurzes Loblied auf seinen geliebten Jungen. Bezaubernder Junge – Du bist so schön! Du bist noch schöner als Dong Xian und Mizi Xia. Unsere federnen Vorhänge sind durchdrungen vom Duft des Morgens, hinter dem perlenen Schirm höre ich das entfernte Tropfen einer abendlichen Wasseruhr. Eisvogelblaue Decken tragen die Farben von Mandarinenten, Der Vorhang unseres Bettes ist ausgeschmückt mit Elfenbein. Du bist so jung und frisch wie Zhou Xiaoshi, Dein Gesicht ist noch schöner als rosarote Wolken am morgendlichen Himmel. Ärmel aus königlichem jadenem Brokat, Tunika aus leichtem, blumigem Stoff. Wenn Du Deine Hosen berührst, erröte ich leicht. Wenn Du Deinen Kopf zur Seite legst, fallen zwei Locken zur Seite. Deine scheuen Blicke zaubern immer ein Lächeln auf meine Lippen. 95 Jadegleiche Hände greifen nach Blumen. Tief in Deinem Herzen befürchtest Du wohl, dass Du nicht mein letzter Fang sein wirst, Aber Deine intime Liebe für mich ist noch immer so wie die der „früheren Kutsche” Du allein schaffst es die Mädchen von Yan eifersüchtig zu machen, Sogar die Frauen von Zheng bringst Du zum Seufzen.69 Wie schon in Liu Zuns poetischer Beschreibung von Zhou Xiaoshi so wird auch in diesem Gedicht die homosexuelle Tradition der Zhou und Han heraufbeschworen. Die größte Ehre, die Jianwen seiner liebsten Schönheit zukommen lassen konnte, war zu verkünden, dass seine Schönheit sogar noch die von Mizi Xia und Dong Xian übertraf. Der Dichter macht dann Anspielungen auf ihre intime Beziehung, indem er den Anblick, die Gerüche und die Geräusche ihrer Schlafkammer beschreibt. Eine Beschreibung des Aussehens und der Kleidung des nicht bei seinem Namen genannten Jungen steigert sich in die Beschreibung der Auswirkungen, die diese Äußerlichkeiten auf den Dichter haben. Zum Abschluss des Gedichts werden vom Dichter wieder Verweise auf berühmte männliche Liebhaber des chinesischen Altertums bemüht. Der „letzte Fang” bezieht sich auf eine Konversation zwischen dem König von Wei und Meister Long Yang, in der die Liebe eines Herrschers mit dem Fischfang verglichen wird. Die „frühere Kutsche” bezieht sich auf die unzulässige Nutzung der Kutsche seines Herrschers durch Mizi Xia, um seine kranke Mutter zu besuchen. Mit diesen Andeutungen wird sowohl auf die positive als auch die negative Seite der Liebe zwischen Männern hingewiesen. Aber die Schönheit des Jungens von Jianwen übertrifft nicht nur die berühmten Schönheiten des chinesischen Altertums, sondern ruft auch die Eifersucht der schönsten zeitgenössischen Frauen hervor. In der Regel interessierte sich die Literatur dieser Periode für das Thema Homosexualität auch außerhalb des kleinen Kreises des kaiserlichen Hofes, mindestens bis zur Ebene der 69 Dieses Gedicht war zuvor übersetzt worden. Es erscheint als „Sein Lieblingsjunge” in Birells New Songs from a Jade Terrace , S. 200-201; und als der „Junge Lustknabe” in John Marney, Beyond the Mulberries: An Anthology of Palace-Style Poetry by E mperor Chien-wen of the Liang Dynasty (505-551) (Taipei, 1982), S. 114-116. 96 Literaten hinab. Manchmal wird die „Leidenschaft des abgeschnittenen Ärmels” als ein Feuer von brennender Intensität beschrieben, wie in dem Gedicht des Dichters Liu Hong aus dem sechzehnten Jahrhundert. So hübsch wie er ist, ragt er aus der Menge heraus, seine helle Haut, so exquisit. Elegante Augenbrauen wölben sich sanft über seinen zwei Augen, wohltönend fließt seine murmelnde Stimme dahin.70 Die Knappheit dieses kurzen Liebesgedichts lässt dem Leser viel Raum für Fantasie. Es ist nicht möglich in irgendeiner Form Rückschluss auf die Gesellschaftsschicht der beiden Liebenden zu ziehen, so wie es auch nicht klar ist, ob es sich hierbei nur um kameradschaftliche Liebe handelt oder bereits um eine Günstlingsbeziehung. Was wir sehen, ist eine Liebe, die so intensiv ist, dass sie in einem Vers verewigt wurde, um so der Nachwelt einen Augenblick privater Leidenschaft zu überliefern. Andere Beispiele sind einfacher zu verstehen. Der berühmte Erneuerer der Dichtkunst Wu Jun (469-520) beschreibt, wie die Liebe gutaussehender Jungen von jedem, der bereit war den entsprechenden Preis zu bezahlen, erkauft werden konnte. Das Lächeln Dong Shengs ist von wahrem Charme, Zi Du hat so wunderschöne Augen. Millionen zahlen für ein Wort, Tausend in bar erkauft die Aufgabe. Erwähne nicht die Versteck spielende Malve! Wen kümmert schon sanftmütige und milde Tugend? Ich will, dass du deine bestickte Decke bringst, Komm und lege dich neben deinen Mann von Yue!71 70 71 Birrell, New Songs from a Jade Terrace , S. 292 ebd., S. 165 97 In diesem Gedicht tritt ein anderer Aspekt der „Leidenschaft des abgeschnittenen Ärmels” zu Tage. Während Liu Hong seine Liebe mit blumig ausgeschmückten Begriffen beschreibt, die in einer idealisierten physischen Erscheinung zum Ausdruck kommt, legt Wu Jun seinen Augenmerk auf das wesentlich profanere Thema käuflicher Jungen. Beide Gedichte deuten auf eine Gesellschaft hin, in der Homosexualität längst die engen Grenzen des kaiserlichen Hofes hinter sich gelassen hat und von den akademischen Schichten und ebenso dem Beamtentum praktiziert wird. Der Eine spricht von wahrer Liebe, der Andere von kommerzialisierter Lust. Zusammen geben uns beide Gedichte die Möglichkeit, die Homosexualität in ihrer Janusköpfigkeit zu sehen und die „Leidenschaft des abgeschnittenen Ärmels” mit all ihrem widersprüchlichen Abwechslungsreichtum. Bibliographie: C hinese E nglish Dictionary (H an Y ing Da C i Dian), Shanghai Jiaotong Daxue Chubanshi (Press of the Shanghai Jiaotong University), Shanghai, 1997 Das Neue C hinesisch-Deutsche Wörterbuch (X in H an De C i Dian), Beijing Waiguoyu Xueyuan Deyu Xi, (Foreign Language Institute Beijing, German Faculty), Beijing, 1985 M atthews C hinese E nglish Dictionary, Revised American Edition, Harvard University Press, Cambridge, Mass., 1931 L angenscheidts G roßwörterbuch (Der G roße M uret-Sanders), Langenscheidt-Verlag, Berlin/München, 1996 Bolschoi K itaisko-Russkij Slowar (G roßes C hinesisch-Russisches Wörterbuch), Verlag NAUKA, Moskau, 1993 Sexual L ife in A ncient C hina, R.H. van Gulik, Verlag E.J. 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