Göttlich – eine Fotografische Gegenüberstellung

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Göttlich – eine Fotografische Gegenüberstellung
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Eugen Kleindienst
Gesichter und ihre Botschaft
Zur Ausstellung „Göttlich – eine Fotografische Gegenüberstellung“
Göttlich
Während seiner langen Geschichte war der Campo Santo Teutonico im
Schatten von St. Peter oftmals Ort besonderer Begegnungen. Päpste
und Kardinäle, gekrönte Monarchen und Präsidenten fanden sich ein.
Die Fotos des Biberacher Fotografen Andreas Reiner bringen nun in 50
Bildern
Gäste ins traditionsreiche Haus, die mit einem einzigartigen
Motto auftreten. „Göttlich“ überschreibt der Künstler seine 2014
aufgenommenen
Porträts
von
lachenden
Ordensfrauen
aus
Untermarchtal. Was berechtigt zu dieser doch recht kühn anmutenden
Qualifizierung? Antworten findet diese Frage in der Begegnung mit den
Bildern und den Frauen, die sie gegenwärtig setzen.
Blicken wir ihnen ins Gesicht. Lassen wir ihr freundliches Lächeln, ihr
herzliches Lachen, ihre entspannte Gelassenheit, das Leuchten ihrer
Augen, die Spuren, die das Leben in ihre Gesichter eingezeichnet hat,
auf uns wirken. Kaum einer wird sich der Wirkung der Bilder entziehen
können. Sie sind so ganz anders als man erwarten würde, so gänzlich
wider das Klischee vom katholischen Ordensleben, bei dem man alles
andere als ein Land des Lächelns vermuten will. Schon die ersten
Eindrücke der Fotoserie machen klar, warum diese 50 Bilder schlicht mit
dem Titel „göttlich“ überschrieben werden dürfen. Das sind nämlich nicht
nur einfach Fotos. Da ist mehr im Spiel. Man begegnet bodenständigen,
echten Menschen, sieht Gesichter mit einer Botschaft, erlebt Frauen, die
teilhaben lassen an einer Wirklichkeit, die sie ausfüllt. Ihr Lachen wirkt
deshalb auch nicht wie ein aufgesetztes Dauergrinsen, weder künstlich
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noch maskenhaft. Es passt zu ihnen, ist echt. Ihr Lachen legt die innere
Prägung der Schwestern offen, vor allem ihre Freiheit. Da treten uns
ganz andere Typen entgegen als sie uns die angeblich so schöne Welt
des Marketings, des Erfolges und der Selbstdarstellung täglich über die
Medien präsentiert. Mit Überraschung und vielleicht auch mit stiller
Bewunderung blicken wir durch die 50 Gesichter in eine Welt, in der
noch andere Dinge von Bedeutung sind als das in unserem
gewöhnlichen Alltag der Fall ist. Sie sind also ganz anders, jene Frauen,
die ihr Leben dem Dienst am kranken und bedürftigen Menschen
widmen, dem Charisma des Ordens vom hl. Vinzenz von Paul. Warum
sollten wir das nicht göttlich nennen?
Beate vivere
Die Kongregation der Barmherzigen Schwestern dient im Geist ihres
Gründers, des hl. Vinzenz von Paul, den Kranken und Armen. Ihr
biblischer Leitspruch lautet: „Caritas Christi urget nos. Die Liebe Christi
drängt uns“ (2 Kor 5,14). Ein so hohes Leitbild in alltägliches Handeln zu
übersetzen, ist ein anspruchsvoller Weg. Dass es dabei nicht nur um
Institutionen geht, sondern um den glaubwürdigen Beitrag jedes
einzelnen, macht uns Papst Franziskus geradezu leidenschaftlich klar.
Die Botschaft lebt vor allem vom Zeugen.
Diese
Fotoausstellung
zeigt
daher
nicht
große
Bauwerke
und
eindrucksvolle Institutionen, sondern Menschen. Mehr noch: Menschen
mit einem Lachen im Gesicht, Menschen, die einen offenen Blick haben,
die Aufmerksamkeit und Zuwendung zeigen. Christliche Liebe ist keine
Theorie. Wir finden sie in der Praxis oder gar nicht. Auch der völlig
säkularisierte, nicht gläubige Mensch weiß den Wert solcher Haltung und
Gesten zu schätzen. Sie sind nämlich Teil des gelungenen Mensch-
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seins und für jeden unersetzlich. Im Gottesdienst zur Amtsübernahme
am 19. März 2013, hatte Papst Franziskus den Mut, von der Zärtlichkeit
zu sprechen. „Das Sichkümmern, das Hüten verlangt Güte, es verlangt,
mit Zärtlichkeit gelebt zu werden“. Die Frauen, denen wir ins Angesicht
schauen, machen das wahr. Was kann ein Lächeln zur rechten Stunde
an Gutem bewirken! Diese Gesichter wirken auf den Betrachter wie ein
Weckruf. Warum also machen wir es nicht ebenso? Der Papst hat Recht,
wenn er sagt: „Wir dürfen uns nicht fürchten vor Güte, vor Zärtlichkeit“.
Die Botschaft der Gesichter rührt an das Selbstverständnis des Christen,
das in seinem Kern Liebe heißt. Papst Benedikt XVI. hat uns in seinen
Enzykliken einen Kompass für die richtige Kursbestimmung hinterlassen.
„Gott ist Liebe“ lautet der Titel seines ersten Rundschreibens, den er in
seinen Enzykliken „Caritas in veritate“ und „Spe salvi“ fortführt. Sich dem
anderen mit dem Herzen zuwenden, entscheide über die volle
Leuchtkraft christlicher Liebe (Deus caritas est 31). In „Spe salvi“
schreibt Benedikt XVI.: „Nicht die Wissenschaft erlöst den Menschen.
Erlöst wird der Mensch durch die Liebe“ (Spe salvi 26). Solche
Gedanken können abgehoben wirken, bloß „spirituell“. Die 50 lachenden
Gesichter der Untermarchtaler Ordensfrauen lassen sie aber konkret
werden, machen diese Spiritualität fest in ihren persönlichen Biografien.
Die Schwestern haben sich in afrikanischen Krankenstationen ebenso
dem Dienst am Menschen gewidmet wie in deutschen Kindergärten,
Krankenhäusern, Sozialstationen und Hospizen. Man muss großen
Respekt haben vor solchen Lebenswegen. Wenn diese oftmals dem
menschlichen Leid und den Schattenseiten des Lebens ausgesetzten
Biografien das Lachen nicht verlernt haben, muss in ihnen etwas zu
finden sein, was dem Leben einen festen Grund gibt und es glücklich
macht.
Der
frühere
Bischof
von
Aachen
sprach
in
diesem
Zusammenhang vom „beate vivere“, vom glücklichen, gelingenden
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Leben, dessen Grund er in einem lebendigen Glauben sah. Wie
Hemmerle verwies auch der Theologe Eugen Biser in einer Kurzformel
auf den tragenden Kern eines (christlichen) Lebens, auf den Kern des
„beate vivere“. Es steht im Brief des Apostels Johannes, ist das UrCredo des Evangelisten und lautet: „Wir haben an die Liebe geglaubt,
die Gott zu uns hat“ (1 Joh 4,16). Wer den Ordensfrauen in ihre
Gesichter sieht, spürt, wovon da die Rede ist und er spürt auch, dass es
wahr ist, so wahr, dass man es von ihren Gesichtern ablesen kann.
Die Krise lebt, der aber Glaube auch
Die Bilder der 50 barmherzigen Schwestern aus Untermarchtal, die für
einige Wochen im Campo Santo Teutonico zu Gast sind, treten an
diesem Ort ein in den Raum der Geschichte der Kirche. Eines der
großen Ereignisse der jüngsten Kirchengeschichte ging vor 50 Jahren,
nur einen Steinwurf vom Campo Santo Teutonico, zu Ende. Papst Paul
VI. schloss am 8. Dezember 1965 das II. Vatikanische Konzil, an dessen
Umsetzung die Kirche bis heute arbeitet. Wie würden die Gesichter auf
den
Bildern
aussehen,
wären
sie
damals
abgebildet
worden?
Wahrscheinlich wäre ein solches Projekt damals aber ebenso wenig in
den Sinn gekommen wie es Chancen auf Umsetzung gehabt hätte.
Schon die damals gebräuchliche Ordenstracht schuf Distanz. Nicht nur
äußerlich hat sich in den Jahrzehnten seit dem II. Vatikanischen Konzil
viel verändert. Das Erscheinungsbild der Kirche und ihrer Orden ist
anders geworden. Manche bewerten das immer noch, manchmal
nostalgisch, als Verlust. Die Säkularisierungsschübe seit den 60-er
Jahren des letzten Jahrhunderts haben für viele Menschen Kirche und
Orden zu seltenen, seltsamen und irgendwie entrückten Phänomenen
gemacht. Die Krise des Glaubens und mehr noch der Institutionen, auch
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der Institution Kirche, zeigt sich wie in einem Brennglas an den
Ordensgemeinschaften. Mancher Optimismus hat sich verloren und statt
des erwarteten Aufbruchs kam manche Krise. Grundfalsch wäre es aber,
das Totenglöcklein anzuschlagen. Wir sehen an den Fotografien der
Ausstellung, dass den Frauen offenbar das Lachen nicht vergangen ist.
Die Krise lebt, der Glaube aber auch. Was fehlt, ist nicht die Anziehung
gelebten Glaubens. Es fehlt an Begegnungen. Begegnungen mit
Glaubenden lösen – wie wir an Gesichtern der Ausstellung sehen – auch
heute noch Überraschung aus und wecken Neugier. Solange wir in
solche Gesichter schauen dürfen, ist das Potential des Glaubens noch
lange nicht erschöpft, auch nicht in Europa.
Natürlich bedarf es dazu der Stärkung der Kräfte, die solche Gesichter
prägen. Die Erneuerung des Glaubens und der Kirche ist ein
Dauerprojekt, das seit 50 Jahren unter den Vorzeichen der Reformen
des II. Vatikanischen Konzils steht. Ordensgemeinschaften kommt dabei
eine besondere Rolle zu; sie sind exemplarische Orte des Kirche-Seins
und des Zeugnisses für den Glauben, Orte, die positive Überraschungen
auslösen und Suchende anziehen können. Deshalb hat es mehr als nur
symbolischen Wert, dass 50 Jahre nach dem II. Vatikanischen Konzil
Papst Franziskus ein Jahr der Orden ausgerufen hat. Hier geht es nicht
um Nabelschau, sondern um Entdeckung und Belebung eines
wesentlichen Teiles echten christlichen Lebens und gelebter kirchlicher
Gemeinschaft. Die Fotos aus Untermarchtal fügen sich gut ein in diesen
Impuls zum Jahr der Orden. Wo Kirche lebt, wo sie Begegnung sucht,
wo sie den Menschen dienen will, löst sie Überraschung aus. Die 50
Fotos der Untermarchtaler Schwestern zeigen in unserer Nähe eine
Dimension von Glaube und Kirche, die Papst Franziskus weltweit
Aufmerksamkeit verschafft: eine den Menschen zugewandte Kirche, eine
Kirche für die Armen und für den Dienst an den Menschen als zentrales
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Reformprojekt im Geist des II. Vatikanischen Konzils. Das ist uraltes
christliches Erbe, Urgestein kirchlicher Glaubwürdigkeit. Wenn das heute
Überraschung
auslöst,
dann
nicht
aus
Effekthascherei.
Die
Überraschung kommt aus derselben Wirklichkeit, die auch die lachenden
Gesichter der Ausstellung prägt. Das macht neugierig und lässt hoffen.
Die Welt braucht eben mehr als Produktivität und Wettbewerb. Die
Gesichter der Ausstellung zeigen das. Sie sagen auch, dass es für
dieses „Mehr“ auch konkrete Orte gibt, gerade eben Gemeinschaften
des Glaubens.
Befreiendes Lachen
In einer Besprechung der ersten Station der Fotoausstellung in
Untermarchtal in der ZEIT/Christ & Welt erinnert der Autor an das
Anarchische, an die Gefährlichkeit des Lachens. Umberto Eco hat in
seinem Roman „Der Name der Rose“ den Bibliothekar alles tun lassen,
um die Lektüre der Abhandlung über die Komödie des Aristoteles zu
verhindern. Dieser habe das Lachen als Erbe der Götter gesehen, durch
das sich Menschen vom Tier unterschieden. Dagegen sei das Lachen
bald in Verruf geraten, weil es in Gegensatz zu Respekt und Furcht
gesehen wurde. „Ohne Furcht kein Glaube“. Es erstaunt doch sehr, dass
der genannte Beitrag einen türkischen Vizeregierungschef (Bülent Arınç)
zitieren kann, der türkischen Frauen die Heiterkeit in der Öffentlichkeit
verbieten wolle, da sich das Lachen nicht mit der Tugendhaftigkeit
vertrage und zum Sittenverfall beitrage.
Lachen hat etwas Befreiendes, etwas Souveränes. Das Lachen den
Göttern zuzuschreiben, Lachen für göttlich zu halten, zeigt in die richtige
Richtung. Es geht um etwas Besonderes. Lachende Schwestern zu
fotografieren, ist trotzdem eine sehr ungewöhnliche Sache. Warum aber
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nicht? Glaube und Religion mit Lachen in Verbindung zu bringen, ist
allemal besser als mit der Geschichte von Gewalt und religiösem Zwang.
Die Religion ist eine ernste Sache – gewiss. Aber sie darf die Grenze zur
Ideologie nicht überschreiten, die sie diskursunfähig, intolerant und sogar
gewalttätig machen kann. Ein Fanatiker lacht nicht. Lachen schützt also
vor Ideologie und ist somit ein Akt geistig-seelischer, auch religiöser
Hygiene. Papst Benedikt XVI. wusste, warum er vor pathologischen
Formen des Religiösen warnte. Papst Johannes XXIII. wird das Wort
zugeschrieben: Johannes, nimm dich nicht so wichtig. Man kann sich
Johannes XXIII. sehr gut – auch über sich selbst – lachend vorstellen.
Papst Franziskus lacht oft und gerne. Christen sind keine Ideologen.
Christen sind Menschen, auch Christen und Christinnen in Orden. Das
Lachen gehört dazu und es ist ein Zeichen für die guten Veränderungen
der letzten Jahrzehnte.
Auf Dialog angelegt
Als die Ausstellung „Göttlich- eine fotografische Gegenüberstellung“ in
Untermarchtal eröffnet wurde, stand sie unter dem Patronat des früheren
Ministerpräsidenten
Erwin
Teufel.
Er
war
begeistert
von
der
Lebensfreude, die die Bilder ausstrahlen. Voller Sympathie soll er gesagt
haben: „Genauso sind sie, meine Mädle!“. Die Ausstellung ist eine
Gegenüberstellung. Einander gegenüber stehen die Gesichter der
Schwestern und die Betrachter. So stehen sich Glaube und Leben,
Kirche und Welt, unser Alltag und die Welt der Religion oftmals nur
einander gegenüber. Alles hängt nun davon ab, die Klischees und
Vorurteile beiseite zu lassen, die Perspektive zu erweitern und
Begegnung zuzulassen. Ein Erwin Teufel, vertraut mit der katholischen
Welt, fühlte sich dann zum Sympathiebekenntnis gedrängt. Andere
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werden schon bewegt durch die Überraschung und durch den Respekt
für solche Biografien und deren Botschaften. Der Fotograf Andreas
Reiner spricht davon, dass ihn die Begegnungen mit den Schwestern
verändert und neue Perspektiven eröffnet haben. Die Gegenüberstellung
dient in diesem Fall also nicht der Identifizierung von Personen. Sie will
Begegnung bewirken und einen Prozess auslösen. Der Betrachter kann
nicht einfach kommen, konsumieren und gehen. Es bleibt nicht aus, dass
er sich zu dem, was er sieht irgendwie verhalten muss. Die fotografische
Gegenüberstellung will eine Bewegung (Emotion) auslösen, wobei die
Frage nach dem jeweils eigenen Standort wie von selbst entsteht. Diese
Bilder sind auf Dialog angelegt.
Start für viele Stationen
Alle Wege führen nach Rom, sagt ein alter Spruch. Dank der Initiative
der Botschafterin Deutschlands beim Heiligen Stuhl, Annette Schavan,
und des Rektors des Campo Santo Teutonico, Dr. Hans-Peter Fischer,
kamen die Fotos aus Untermarchtal nach Rom, wo sie in der Osterzeit
2015 von sehr vielen Pilgern gesehen werden können. Rom ist ein
Multiplikator. Von Rom führen auch viele Straßen zurück. Die
Begegnung mit den Fotos in Rom soll deshalb auch ein Startsignal
werden für viele andere Orte im deutschen Sprachraum, die kreative
Wege suchen, dem Glauben im Heute zu begegnen.

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