Schmerzgrenzen Punkgeheimnisse Ins Rampenlicht

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Schmerzgrenzen Punkgeheimnisse Ins Rampenlicht
K O N Z E R T E MUSIK
GRINDCORE
INDIE-POP
ELECTRO-POP
Schmerzgrenzen
Punkgeheimnisse
Ins Rampenlicht
Napalm Death spielen immer noch
das ungezähmte Biest
Soko tauscht sensible Gitarrenballaden gegen 80er-Sound
Die Pianistin Dillon paart MinimalElektronik mit Romantik
Früher, auf ihrem ersten Album „Scum" aus
dem Jahr 1987, machte diese Band kurzen
Prozess. Da dauerte ihr Song „You Suffer" gerade mal vier Sekunden. Auch sonst gingen
Napalm Death sofort bei jeder sich bietenden
Gelegenheit ins Extrem. Der Sänger röhrte
sich den Schlund heiser, Gitarrist und Bassist
hielten stur die Hochgeschwindigkeit und der
Drummer spielte seine Blast-Beats, ohne die
Orientierung zu verlieren. So ist „Scum" als
Auslöser der Grindcore-Welle in die Geschichte der Rockmusik eingegangen. Danach hat
die Band aus Birmingham nie nachgelassen.
In den Neunzigern haben Napalm Death ihren
Sound griffiger gemacht und an den Fusionsgedanken im Crossover-Metal angepasst,
aber ein Jahrzehnt später kehrten sie wieder
mit voller Überzeugung zu ihrem kompromisslosen Stil zurück. Jetzt sieht es so aus, als
nähme ihre Karriere noch einmal richtig Fahrt
auf. Ihr neues Album „Apex Predator - Easy
Meat" ist eines ihrer besten überhaupt. Tempo
und Brachialität sind immer noch vorhanden,
aber man entdeckt auch unterschiedliche
Klangfarben und Brüche. In „Hierarchies"
lässt sich die Band erst von Barney Greenways Fauchen anpeitschen, dann folgt der
Wechsel in eine düstere Passage, die an Killing Joke denken lässt und den Ökozid zum
Thema hat. Das ist das Gute bei Napalm
Death: Bei aller Berserker-Brutalität kommt
der Kopf nicht zu kurz.
THOMAS WEILAND
Platinblondes Haar hat Soko jetzt und schaut
damit so aus als wäre ihr Papa Andy Warhol.
Nicht nur räumlich ist die 28-jährige Soft-Punkerin von Paris nach Kalifornien umgezogen
- auch musikalisch hat sich was bewegt: Ihre
Fender-Gitarre stellt Soko auf maximalen Hall.
Keyboards, Drums und Bässe, die sie selbst
einspielt, geben den Songs auf der neuen
Platte „My Dreams Dictate My Reality" mehr
Drive als den morbide schönen Folkballaden
des Debüts 2012. Das klingt nach einer Prise
80er-Jahre-Goth. Fürs betörende Duett „Lovetrap" hat sich Soko Lo-Fi-Zauberer Ariel
Pink mit aufs Segelboot geholt. Auf Sokos
sinnliche Stimme ist natürlich nach wie vor
Verlass. Deshalb hatte Spike Jonze sie ja auch
neben Scarlett Johansson als Sprechstimme
für den Oscar-Erfolg „Her" engagiert. Sehen
kann man Soko darin so wenig wie im viralen
Youtube-Hit „First Kiss" mit ihrem Song „We
Might Be Dead by Tomorrow". 100 Millionen
(!) Klicks für Leute, die sich eben noch nicht
kannten und dann zaghaft freudig knutschen.
Wenn man Soko dann aber mal auf der Bühne
sieht, sollte man sich auf allerlei gefasst machen: Räder schlägt sie und zieht auch mal
das Top aus, um oberkörperfrei „Who Wears
the Pants??" zu performen, den „absolut lesbischsten Track, den ich jemals geschrieben
habe", wie sie sagt.
STEFAN HOCHGESAND
Wenn Dillon zum Abschluss des „Foreign
Affairs"-Festivals auftritt, wird noch etwas von
Shakespeares Tragödien und Jan Fabres
24-Stunden-Theaterexzess in der Luft hängen.
Das dürfte der Songschreiberin gefallen, denn
Theaterräume liebt sie, gern spielt sie vor bestuhlten Reihen. Immer, wenn sie ihren nachtwachen Dream-Pop in Theatern aufführte - ob
zu Gast im HAU, der Volksbühne oder den
Münchner Kammerspielen -, fühlte sie sich
am richtigen Ort, erzählte sie mal; die richtige
Intensität sei dann da, damit ihre inneren Geschichten zum Leben erwachen. Es sind zwar
sehr persönliche Dramen, mit denen Dillon
ihre bisherigen beiden Alben gefüllt hat. Doch
hat ihre minimalistische Musik bei allem Intimen auch etwas elegant Inszeniertes: Kein
leises Störmoment, keine unterschwellige Irritation wirkt zufällig. So ist das auch auf ihrem
neuen Album „The Unknown", auf dem der
Grundton monochromer und elektronischer
ist als zuvor und auf dem die Wahlberlinerin
nicht mehr ganz so mädchenhaft klingt wie
noch auf dem Debüt von 2011. Den Auftritt im
Haus der Berliner Festspiele hat die Mittzwanzigerin nun eigens auf den Festivalrahmen
abgestimmt. Dafür hat sie ihre Klangpalette
erweitert und die Stimmen eines Frauenchors
in ihre Songs eingewoben. Die Fixen Nixen,
sonst auf Lieder der klassischen Romantik
spezialisiert, werden Dillon live begleiten.
„A Family Affair" nennt Dillon das, und es
klingt fast wie der Beginn einer Freundschaft.
GRETCHEN
Obentrautstr. 19-21, Kreuzberg, So 12.7., 20 Uhr,
WK: 18 € zzgl. Gebühr
SO 36
Oranienstr. 190, Kreuzberg, Sa 11.7., 21 Uhr, WK: 18
€ zzgl. Gebühr
ULRIKE RECHEL
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HAUS DER BERLINER FESTSPIELE
Schaperstr. 24, Wilmersdorf, So 5.7., 21-22 Uhr,
WK: 24 € zzgl. Gebühr
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TIP BERLIN
14/2015
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