Anleitung - TU Dresden

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Anleitung - TU Dresden
Technische Universität Dresden
Physikalisches Praktikum
Institut für Kern- und Teilchenphysik
Fortgeschrittenenpraktikum
AG Strahlenschutzphysik
J. Henniger, M. Sommer
10/04
Versuch AK
Bestimmung der spezifischen Aktivität in Umweltproben
(AK)
Aufgabenstellung
1.1
Energiekalibrierung des HP-Ge-Halbleiterdetektors
1.2
Bestimmung des Energieauflösungsvermögens sowie des Fano-Faktors
1.3
Bestimmung des absoluten Vollenergie-Ansprechvermögens im
Energiebereich zwischen 120 keV und 1500 keV
1.4
Bestimmung von Summationskorrekturen durch Abstandsvariation
1.5
Qualitative Bestimmung der in Umweltproben enthaltenen radioaktiven Nuklide
1.6
Bestimmung der spezifischen Aktivitäten der gefundenen radioaktiven Nuklide
unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Proben- und Messgeometrien
1.7
Gegebenfalls Zusatz- bzw. Alternativaufgaben, welche sich am laufenden
Mess- und Überwachungsbetrieb orientieren
Zielstellung des Versuchs AK
Radioaktivität spielt in allen Bereichen der Umwelt eine Rolle. Natürliche Prozesse,
insbesondere jedoch der Einfluss menschlichen Handelns können dabei zu starken
Inhomogenitäten und Erhöhungen führen. Das Leben auf der Erde wurde zwar schon
immer durch ionisierende Strahlung beeinflusst, allerdings können Werte stark
oberhalb der üblichen Mittelwerte zu gesundheitlichen Schäden führen. Aus diesem
Grund ist eine Überwachung der Radioaktivität in der Umwelt unabdingbar.
Als Ursache erhöhter Umweltradioaktivität kommen im Wesentlichen folgende
Punkte in Frage:
• bergbauliche Tätigkeit, insbesondere im Bereich von Uran- und anderen Schwermetallvorkommen,
• Fallout und Kontaminationen in Folge des Reaktorunglücks in Tschernobyl 1986
sowie weiterer Unfälle,
• globaler Fallout in Folge atmosphärischer Kernwaffenversuche bis in die
sechziger Jahre,
• natürliche geologische Gegebenheiten und kosmische Strahlung,
• mögliche Emissionen aus der Medizin, beim Betrieb wissenschaftlicher Beschleuniger u. a.,
• planmäßiger (genehmigter) Eintrag radioaktiver Substanzen in die Umwelt bei der
Wiederaufarbeitung, beim Betrieb von Reaktoren und weiteren kerntechnischen
Anlagen.
Auf dieser Basis kann grob abgeschätzt werden, welche Nuklide in Umweltproben zu
erwarten sind, welche charakteristischen Strahlungsarten und –energien diese
1
emittieren und welche Messverfahren am besten geeignet sind, entsprechende
Proben qualitativ und quantitativ zu analysieren.
Im vorliegenden Versuch soll mit der hochauflösenden γ-Spektrometrie ein in der
Praxis bedeutendes Verfahren vorgestellt werden. Obwohl damit nur γ-Strahlung
nachgewiesen werden kann, reicht es zur Analyse der meisten Proben vollkommen
aus. Im Wesentlichen müssen nur bei reinen α- und β -Strahlern Einschränkungen
gemacht werden. Dies betrifft insbesondere die beim Reaktorbetrieb entstehenden
Transurane, einige Spaltprodukte wie 90Sr und einige natürliche radioaktive Nuklide
wie Tritium (3H) und 14C. Da α- und β -Messverfahren wegen der kurzen Reichweite
dieser Strahlungsarten sehr aufwendig sind, greift man auf diese nur in begründeten
Fällen zurück. Vielfach kann ein Nachweis auch indirekt über die γ-Strahlung der
Tochternuklide in den Zerfallsreihen erfolgen.
Grundlagen der Radioaktivität
Instabile Atomkerne wandeln sich spontan auf direktem Wege oder als Zerfallskette
in mehreren aufeinanderfolgenden Schritten in einen stabilen Kern um. Dabei
werden Teilchen und/oder Photonen emittiert. Diese Photonen können einerseits als
γ-Strahlung, andererseits aber auch als Röntgenemission entstehen. Beiden
Varianten gemeinsam ist der Liniencharakter der Strahlung, dass also genau
definierte Energien emittiert werden. Gleichzeitig sind auch die Emissionswahrscheinlichkeiten der Linien genau festgelegt. Die hochauflösende γ-Spektrometrie
nutzt diese beiden Eigenschaften der Photonenstrahler sowohl zur qualitativen als
auch zur quantitativen Analyse.
Eine weitere wesentliche Eigenschaft des radioaktiven Zerfalls ist die statistische
Natur der Ereignisse. Jeder instabile Kern besitzt unabhängig von seiner
Vorgeschichte die gleiche Umwandlungswahrscheinlichkeit, wobei der Zeitpunkt
seiner Umwandlung unbestimmt ist. Bekannt ist nur die Wahrscheinlichkeit, mit der
das Ereignis innerhalb eines vorgegebenen Zeitintervalls eintritt. Daher ist für sehr
viele zum Zeitpunkt t vorhandene, gleichartige, instabile Kerne N die Anzahl der im
Mittel auftretenden Umwandlungen dN anhand des Zerfallsgesetzes
dN = −λ ⋅ N ⋅ dt
(1)
berechenbar, wobei λ die nuklidspezifische Zerfallskonstante darstellt. Daraus folgt
das exponentielle Umwandlungsgesetz in der Form
N (t ) = N (0) ⋅ e − λ ⋅ t
.
(2)
N(t) ist die Zahl der Kerne zum Zeitpunkt t und N(0) die Zahl der Kerne zum
Zeitpunkt t0 = 0 . Die Lösung der Gleichung (2) für den Fall N (t ) = 1/ 2 ⋅ N (0) ergibt
die sogenannte Halbwertszeit T1/ 2 entsprechend der Beziehung
T1 2 =
ln 2
.
λ
(3)
Die Umwandlungsrate oder die Aktivität A ist die Zahl der spontanen Kernumwandlungen pro Zeiteinheit und zur Anzahl der instabilen Kerne proportional. Es gilt
somit
2
A(t ) = −
dN
ln 2
= λ ⋅ N (t ) =
⋅ N (t )
dt
T1 / 2
(4)
und daraus
A(t ) = A0 ⋅ e
−λ ⋅ t
= A0 ⋅ e
− ln 2⋅ t
T1 / 2
1
= A0 ⋅  
2
t
T1 / 2
,
(5)
wobei A0 = A (0) die Aktivität zum Zeitpunkt t0 = 0 und A (t) die Aktivität zum
Zeitpunkt t ist. Die Einheit der Aktivität ist s-1 mit dem eigenen Namen Becquerel
(Bq).
Die wichtigste historische Aktivitätseinheit war das Curie (Ci), welches der Aktivität
von 1 g 226Ra entspricht. Diese Einheit spielt z. T. noch heute eine Rolle, die
Umrechnung erfolgt über 1 Ci = 3,7 . 1010 Bq.
Dabei stellt die Aktivität infolge der statistischen Natur der Radioaktivität nur einen
Erwartungswert der Zahl der wirklich stattfindenden Zerfälle dar. Diese unterliegt der
sogenannten Poisson-Verteilung (siehe Versuch PV!). Eine der Eigenschaften der
Poisson-Verteilung ist die genau definierte Varianz, welche immer gleich der Zahl der
beobachteten Ereignisse N ist:
σ2 =N.
(6)
Zur radiologischen Bewertung von Umweltproben wird im Allgemeinen die sog.
spezifische Aktivität angegeben, also die auf die Probenmasse bezogene Aktivität.
Alternativ dazu stellt eine Aktivitätskonzentration eine auf ein bestimmtes Volumen
bezogene Größe dar und wird zur Bewertung von flüssigen bzw. gasförmigen Proben
(z. B. Wasser oder Milch) genutzt. Für die Verwendung von Stoffen als
beispielsweise Baumaterial oder Nahrungsmittel gibt es Grenz- und Richtwerte für
die Konzentration bestimmter Nuklide. Innerhalb der 238U- und 232Th-Zerfallsreihen
erfolgt diese Einschätzung nur anhand der Nuklide 226Ra bzw. 224Ra. Deren
Folgeprodukte werden wegen der kurzen Halbwertszeit als gegeben angenommen
und wurden bei der Festlegung der Grenzwerte schon berücksichtigt.
In Umweltproben ist im Allgemeinen der Nachweis von drei Gruppen von γ-Strahlern
zu erwarten. Es handelt sich dabei im Einzelnen um:
•
40
K als primordiales Nuklid mit der praktisch in allen Spektren zu findenden
9
Emission bei 1460,75 keV und einer Halbwertszeit von 1,28 ⋅ 10 Jahren,
• die γ-Strahler in den Zerfallsreihen der ebenfalls primordialen Nuklide 238U und
232
Th, hierbei insbesondere 234mPa, 226Ra, 214Pb und 214Bi aus der Uran-RadiumReihe sowie 228Ac, 212Pb, 212Bi und 208Tl aus der Thorium-Reihe, welche
zahlreiche Linien emittieren,
• langlebige Spaltprodukte (T1/2 in der Größenordnung von Jahren) von Kernwaffenversuchen und vom Reaktorunfall in Tschernobyl; heute noch bedeutsame
γ-Strahler sind 137Cs und bei sehr genauen Messungen 134Cs.
Mittels sehr genauer Messungen lassen sich weitere primordiale, kosmogene und
künstliche Nuklide nachweisen. Diese spielen aber im Rahmen des Versuchs keine
Rolle. Kurz nach nuklearen Ereignissen sind zahlreiche andere, allerdings meist
kurzlebige Spaltprodukte messbar. Genauso können in Proben, die an Beschleu3
nigern bestrahlt wurden, aus dem medizinischen Bereich stammen oder anderweitigen nicht natürlichen Ursprungs sind, beliebige Nuklide auftreten. Jedoch
können viele Varianten aufgrund sehr kurzer Halbwertszeiten (Ausnahme Zerfallsreihen!) praktisch ausgeschlossen werden.
Grundlagen des Messverfahrens
HPGe-Detektoren (High Purity Germanium, Reinstgermanium) sind aufgrund ihrer
physikalischen und elektronischen Eigenschaften in der Lage, Photonenstrahlung im
Energiebereich zwischen etwa 10 keV und einigen MeV mit einem guten Energieauflösungsvermögen und hohem Ansprechvermögen zu registrieren.
Die von der Quelle ausgesendeten Photonen treten mit dem Detektormaterial
Germanium im wesentlichen über die bekannten Prozesse
•
Photoeffekt,
•
inkohärente Streuung (Comptoneffekt) und
•
Paarbildung
in Wechselwirkung und übertragen dabei einen Teil oder aber ihre gesamte Energie
auf den Ge-Kristall. Der Energieübertrag führt über Sekundäreffekte zu einer
Ionisation, d. h. zur Erzeugung von Ladungsträgerpaaren. Deren Zahl ist praktisch
proportional zur absorbierten Energie, sie ist ebenfalls statistisch verteilt.
Die mittlere Ionisationsenergie in Germanium beträgt wi = 2,95 eV . Die Statistik der
Ionisationsprozesse ist hauptverantwortlich für die Verbreiterung des an sich
„scharfen“ Ereignisses (Photonenemission & Energieübertragung) im Spektrum zu
einem charakteristischen Peak mit einer endlichen Halbwertsbreite (siehe Abb. 1).
Diese Halbwertsbreite (FWHM – Full Width at Half Maximum) ist ein Maß für das
Energieauflösungsvermögen (siehe Abb. 2).
500
Peaklage
400
GaußApproximation
N
Halbwertsbreite
(FWHM-Full Width
at Half Maximum
300
200
100
0
Untergrundlinie
657
658
659
660
E
661
662
663
keV
Abb. 1: Typischer Peak mit den zur Approximation notwendigen Größen.
4
6000
5000
N
4000
3000
2000
1000
0
332
333
334
335
E
336
keV
Abb. 2: Auflösung mehrerer sich überlagernder Peaks. Die Halbwertsbreite stellt
einen Richtwert für die Auflösbarkeit zweier dicht nebeneinander liegender
Peaks dar. In HPGe-Spektren lassen sich mittels moderner Analyseverfahren noch Peaks mit Energiedifferenzen von wenigen 100 eV auflösen.
Ginge man bei den sekundären Ionisationsprozessen von statistisch unabhängigen
Ereignissen aus, könnte für den Erwartungswert des Energieauflösungsvermögens
wieder die Poisson-Verteilung zugrunde gelegt werden
FWHM th = σ = 2,355 ⋅ Eabs ⋅ wi .
(7)
Formel (7) gibt den Verlauf zwar qualitativ richtig wieder, jedoch sind die
experimentell bestimmten Halbwertsbreiten deutlich kleiner. Deshalb wurde der
sogenannte Fano-Faktor F für alle elektronischen energiedispersiven Detektoren als
Verhältnis aus beiden Werten definiert. Je nach Bauart und Messprinzip bewegt sich
F meist zwischen 0,1 und 0,5.
Die Ladungsträger driften nun infolge der angelegten Spannung (1500 ... 2000 V) zu
den Detektorelektroden. Im Ergebnis entsteht ein kurzer Stromimpuls, welcher vom
ladungsempfindlichen Vorverstärker zu einem der Ladung proportionalen Spannungsimpuls im Millivolt-Bereich umgeformt wird. Der regelbare Hauptverstärker
vergrößert den Impuls bis in den Volt-Bereich. In einem 14-bit Vielkanalanalysator
erfolgt dann anhand der Impulshöhe die lineare Zuordnung in einen von
16384 Kanälen.
Ein Maß für die Qualität der gesamten beschriebenen Auswerteelektronik stellt die
Linearität des Verfahrens dar. Der Zusammenhang zwischen Kanalnummer und
Energie sollte sich immer als
E abs = a + bK
(8)
darstellen lassen, wobei Eabs die absorbierte Energie und K die Kanalnummer ist. Da
die Parameter a (Energie cut-off) und b (Kanalbreite) neben der eingestellten
5
Verstärkung des Hauptverstärkers auch schwach von weiteren, nicht immer klar
quantifizierbaren und zeitlich nicht stabilen Faktoren abhängen, muss vor Beginn
einer Messkampagne immer eine sogenannte Energiekalibrierung durchgeführt
werden. Damit wird sichergestellt, dass die Zuordnung zwischen Kanal und Energie
meist nur um einen, höchstens aber um 3-4 Kanäle variiert. Selbst während der
Messungen sollte man dies anhand immer wieder auftretender Energielinien
regelmäßig kontrollieren.
Die Primärprozesse Zerfall, Wechselwirkung und Ladungsanregung erfolgen sehr
schnell mit Zeitkonstanten zwischen Femto- und Nanosekunden. Die Elektronik
arbeitet dagegen um mehrere Größenordnungen langsamer, was zwei verschiedene
Effekte zur Folge hat. Einerseits kommt es zur Nichtregistrierung von Photonen
während der sogenannten Totzeit, also während der Verarbeitung des vorherigen
Impulses, andererseits können zwei schnell aufeinander folgende Ereignisse „gleichzeitig“, d. h. als Summenimpuls verarbeitet werden.
Die Totzeit kann bei bekannter mittlerer Verarbeitungszeit problemlos korrigiert
werden, was die Auswertesoftware automatisch durchführt (Beachten Sie den
Unterschied zwischen Real Time und Live Time!). Der Summationseffekt wiederum
hat sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf das Messverfahren. Er hat
erstens zur Folge, dass aufeinander folgende Wechselwirkungen mit ein und
demselben Photon (z. B. zuerst inkohärente Streuung, danach Photoeffekt des
gestreuten Photons) zu einem Impuls zusammengefasst werden. Für Photonenenergien oberhalb einiger 100 keV ist dieser Effekt bedeutsam, da die Wirkungsquerschnitte des Photoeffektes dann vergleichsweise klein sind und selten die volle
Energie übertragen wird. Durch Summation einer oder mehrerer inkohärenter
Streuungen mit einem abschließenden Photoeffekt steigt damit die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung der „vollen“ Energie deutlich an. Aus diesem Grund
wird der entsprechende Peak als Vollenergiepeak und nicht als Photopeak
bezeichnet. Analoge Betrachtungen können auch für den Fall der Paarbildung
angestellt werden.
Eine weitere, jedoch negative Auswirkung des Summationseffektes ist die
gleichzeitige Registrierung von zwei verschiedenen Photonen. Dabei spielt die
Detektion von Photonen unabhängiger Zerfälle kaum eine Rolle, solche Ereignisse
treten nur bei sehr hohen Zählraten auf. Oft sind jedoch Kaskaden mit den meist
üblichen sehr kurzen Lebensdauern der Zwischenzustände Bestandteil eines
Zerfallschemas. Dann ist die Wahrscheinlichkeit einer Summation nicht mehr
vernachlässigbar. Einerseits treten dann Summenpeaks auf, andererseits gehen alle
Ereignisse, bei denen ein Vollenergieereignis mit irgend einer anderen
Wechselwirkung zusammenfällt, für die Bestimmung des Vollenergieansprechvermögens bei der Kalibrierung bzw. für die Aktivitätsberechnung einer Probe
verloren. Korrekturen hierzu sind rechnerisch machbar, setzen allerdings die genaue
Kenntnis des Zerfallschemas voraus. Einen gewissen Ausweg stellt die
Vergrößerung des Abstandes zwischen Probe und Detektor dar, wobei sich aber das
absolute Ansprechvermögen entsprechend verringert.
Eigenschaften typischer γ - Spektren
Betrachtet werden soll am Anfang das durch den Detektor registrierte Spektrum
eines γ-Strahlers mit nur einer emittierten Energie. Ein Beispiel hierfür ist das Nuklid
137
Cs, welches als langlebiges Spaltprodukt eine große Bedeutung besitzt. Es
6
wandelt sich mit einer Halbwertszeit von etwa 30 Jahren durch β --Zerfall in 137Ba um.
Etwa 85% der Umwandlungen erreichen einen angeregten Zustand des Bariums, der
eine Halbwertszeit von 2,55 min besitzt. Die Abregung erfolgt nun unter Aussendung
von 661 keV - γ-Strahlung. Ein typisches Spektrum einer solchen Quelle und seine
wichtigsten Bestandteile sind in Abb. 3 dargestellt.
100000
Vollenergiepeak
10000
1000
Rückstreupeak
Comptonkante
N
100
10
1
100
200
300
400
500
600
E
keV
700
Abb. 3: Durch inkohärente Streuung dominiertes Spektrum (137Cs – 662 keV, logarithmische Darstellung).
100000
Vollenergiepeak
10000
N
1000
100
10
10
20
30
40
50
E
Abb. 4: Durch Photoeffekt dominiertes Spektrum (241Am – 59,6 keV).
7
keV
60
Ein Spektrum wie in Abb. 3 wird wegen der hohen Compton-Querschnitte im
mittleren Energiebereich als Compton-dominiert bezeichnet. Zum Vergleich wird in
Abb. 4 ein durch Photoeffekt dominiertes Spektrum gezeigt. Als Beispiel dient wieder
ein Spektrum mit nur einer bestimmenden Energie, es handelt sich hier um 241Am.
Als Drittes soll in Abb. 5 noch ein Spektrum behandelt werden, bei dem die
Paarbildung eine Rolle spielt. Es handelt sich dabei um die hochenergetische
Emission des durch Neutroneneinfang gebildeten kurzlebigen Nuklids 24Na. Es
zeigen sich drei Peaks, und zwar der Vollenergiepeak sowie der Single- und der
Double-Escapepeak. Die Escapepeaks vereinigen alle Ereignisse, bei denen eines
oder beide der bei der Annihilation entstandenen 511 keV-Photonen den Detektor
ohne Wechselwirkung verlassen.
10000
Vollenergiepeak
Double-Escape-Peak
1000
N
Single-Escape-Peak
100
10
1400
1800
2200
E
2600
keV
3000
Abb. 5: Escapeeffekte der 511 keV-Vernichtungsstrahlung der bei Paarbildung entstandenen Positronen (24Na – 2754 keV, logarithmische Darstellung).
Im Übrigen können auch sogenannte Röntgen-Escapepeaks im Spektrum eine Rolle
spielen. Da an jedem Vollenergieereignis ein Photoeffekt beteiligt ist, welcher an den
inneren Schalen der Atomhülle am wahrscheinlichsten ist, wird auf das Photoelektron
nicht wirklich die volle (Rest-)Energie übertragen. Vielmehr verbleibt die
Bindungsenergie, für die K-Schale an Ge immerhin über 13 keV, erst einmal im
Kristall. Erst mit der Aussendung von Fluoreszenzstrahlung oder Auger-Elektronen
erfolgt eine Abregung des Atoms. Die Energie der Auger-Elektronen verbleibt in
praktisch jedem Fall im Kristall, wird also zusammen mit der Photoenergie als
Vollenergieereignis registriert. Die Röntgenstrahlung kann dagegen, immer in
Abhängigkeit vom Aufbau des Detektors, diesen durchaus verlassen. Damit gibt es
Ereignisse gleicher Energie = Vollenergie – Bindungsenergie. Allerdings sind solche
Effekte für großvolumige Detektoren meist zu vernachlässigen.
8
Vollenergieansprechvermögen
Die Vollenergiepeaks bilden die Basis für die analytische Auswertung eines
Spektrums. Einerseits lassen sich den Peakenergien eindeutig Nuklide zuordnen,
andererseits hat der Detektor abhängig von der Energie ein sogenanntes
Vollenergieansprechvermögen. Dies ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein von einer
Quelle ausgesendetes Photon im Vollenergiepeak registriert wird. Dieser Wert hängt
nicht nur von der Energie und von den Wechselwirkungseigenschaften des Detektors
ab. Besonderen Einfluss haben auch die geometrischen Verhältnisse der Quelle.
Im Rahmen der Kalibrierung wird das Vollenergieansprechvermögen für mittig auf
dem Detektor aufliegende Punktquellen bestimmt. Dies geschieht mit Hilfe eines
Kalibrierquellensatzes, welcher möglichst den gesamten detektierbaren Energiebereich des Systems überdecken sollte. Das Vollenergieansprechvermögen berechnet
sich bei bekannter Aktivität A der Quelle als
ε ( Eγ ) =
N
i .
Aν t
i
(9)
Dabei wird die Peaksumme Ni als Nettoeffekt durch das Auswerteprogramm
bestimmt, nachdem durch den Nutzer der interessierende Bereich ROI (Region of
Interest) festgelegt wurde. νi ist die Emissionswahrscheinlichkeit der entsprechenden
Linie, t die totzeitkorrigierte Messzeit (Live Time).
20
"Knie"
%
16
12
ε
8
4
0
0
400
800
E
1200
1600
keV
Abb. 6: Typischer Verlauf des absoluten Vollenergieansprechvermögens eines
großvolumigen Halbleiterdetektors. Unterhalb des „Knies“ dominiert die
Selbstabsorption des Detektoraufbaus, oberhalb bestimmen nur die
Wechselwirkungseigenschaften des aktiven Detektorvolumens den Verlauf.
9
Bei hohen Energien beträgt ε je nach Detektor 1-2 %. Hin zu niedrigeren Energien
steigt dieser Wert meist über 10 %, für großvolumige Detektoren über 100 cm3 auch
über 20 %. Unterhalb bestimmter Energien, hier sehr stark bauartabhängig, sinkt das
Ansprechvermögen wieder und geht schnell gegen Null (siehe Abb. 6). Dieser Effekt
ist durch die Selbstabsorption in der Detektorkonstruktion (Kapselungen, Schutzhüllen, Totschichten an der Kristalloberfläche) begründet. Die Energiegrenze, das
sogenannte „Knie“, lässt sich durch die gewählte Detektorbauart und spezielle
Materialauswahl weit in Richtung niedriger Energien verschieben.
Das Verhältnis zwischen dem Vollenergieansprechvermögen einer Punktquelle und
dem einer beliebigen Volumenquelle (Geometriefaktor) hängt stark von der
Photonenenergie ab. Eine Punktquelle, welche sich in einem größeren Abstand zum
Detektor befindet, hat allein aufgrund der geometrischen Verhältnisse ein geringeres
Ansprechvermögen als eine auf dem Detektor aufliegende. Volumenquellen ließen
sich als Kombination vieler solcher Punktquellen darstellen, es ergäbe sich also als
Überlagerung ein gewisser mittlerer Wert für den Geometriefaktor. Hinzu kommt
allerdings in diesem Fall noch die Absorption innerhalb der Probe, welche energie-,
material- und dichteabhängig ist (siehe Abb. 7). Eine analytische Lösung des
Problems ist aufgrund der Komplexität kaum noch möglich.
Abb. 7: Darstellung zur Verdeutlichung des Geometrieeinflusses auf das Vollenergieansprechvermögen einer Detektor-Probe-Konstellation
Für die Berechnung von Geometriefaktoren beliebiger Proben können jedoch
Computersimulationen mit Hilfe der Monte-Carlo-Methode (MCM) genutzt werden.
Basierend auf der genauen Kenntnis der Eigenschaften der auftretenden
Wechselwirkungen wird dabei der Weg von Photonen (ggf. auch Teilchen usw.)
durch die Geometrie simuliert und die an den Detektorkristall abgegebene Energie
registriert. Für eine ausreichend hohe Zahl an Quellteilchen kann nun die Zahl der
Vollenergieereignisse und damit der Geometriefaktor bestimmt werden. Dieser ist wie
10
in der Realität mit einem statistischen Fehler behaftet. MCM sind zwar sehr
aufwendig, aber mit der heutigen Rechentechnik durchaus mit üblichen PC
durchführbar. Die AG Strahlenschutzphysik am IKTP besitzt seit vielen Jahren
Erfahrungen mit solchen Simulationen. Das selbst entwickelte Programmsystem
AMOS setzt die zugrunde liegenden Verfahren sehr fortschrittlich um und erreicht
dadurch - verglichen mit anderen Programmen (z. B. MCNP) - eine sehr hohe Performance.
Hinweise zur Auswertung von Spektren
Für eine erfolgreiche Analyse der Spektren sollten folgende Punkte beachtet werden:
•
Durch eine saubere Energiekalibrierung wird die Abweichung zwischen realer
und gemessener Peakenergie minimiert. Schätzen Sie die maximal möglichen
Abweichungen schon während der Kalibrierung ab und grenzen Sie dann das
Suchintervall der unbekannten Energien ein.
•
Die Messzeit muss an die Aktivität der Proben angepasst werden. Erst
oberhalb bestimmter Impulszahlen im Peak (Net Area) kann eine
ausreichende statistische Sicherheit angenommen werden. Berechnen Sie
also immer den statistischen Fehler der Messungen, legen Sie einen
akzeptablen Fehler fest und passen notfalls die Messzeit an.
•
Für die Zuordnung einer Peakenergie zu einem Nuklid stellt die InternetBibliothek Table of Isotopes unter http://ie.lbl.gov/toi ein nützliches Werkzeug
dar. Dagegen sind die vom Programm GammaVision „angebotenen“ Nuklide
oft keine gute Basis, da die zugrunde liegende Bibliothek nur wenige Nuklide
enthält. Die Table of Isotopes enthält auch viele weitere Nukliddaten wie
Emissionswahrscheinlichkeiten, Zerfallsschemata usw.
•
Wird anhand eines auftretenden Peaks ein Nuklid vermutet, sollte im
Emissionsspektrum kontrolliert werden, welche wichtigen Emissionen noch
auftreten müssten. Zumindest solche mit derselben oder höherer Emissionswahrscheinlichkeit sollten dann im Spektrum sichtbar sein.
•
Sehr viele Nuklide haben nur eine kurze Halbwertszeit. Aus diesem Grund
können sie meistens ausgeschlossen werden. Ausnahmen bilden „frische“
Proben (jünger als 10 Halbwertszeiten) sowie alle Nuklide der Zerfallsreihen,
welche aus den Mutternukliden nachgebildet werden.
Untergrundspektrum
Obwohl den Detektor eine Bleiabschirmung umgibt, ist eine Registrierung „externer“
Photonen nicht auszuschließen. Für Proben hoher Aktivität, wie die Kalibrierquellen,
verschwindet der sogenannte Untergrund bzw. Nulleffekt in den statistischen
Schwankungen des Probenspektrums. Je kleiner jedoch die Probenaktivität ist, desto
größer wird der Einfluss des Untergrundes. Deshalb erfolgen regelmäßig Untergrundmessungen mit hohen Messzeiten.
Im Untergrundspektrum findet man alle in der Umwelt stärker vorkommenden
Nuklide, also 40K, die Nuklide der 238U- und 232Th-Zerfallsreihen (im Prinzip
theoretisch auch 235U + Folgeprodukte) und 137Cs. Damit würde der Nulleffekt vor
allem die Analyse dieser Nuklide verfälschen. Das Programm GammaVision bietet
als Option den Untergrundabzug an. Dabei werden verschiedene Messzeiten von
Probe und Nulleffekt über die Life Time Ratio ausgeglichen. Geringe Verschiebungen
11
der Energiekalibrierung finden jedoch keine Beachtung, was in seltenen Fällen zu
Problemen führt und notfalls manuell ausgeglichen werden kann.
Aktivitätsbestimmung
Anhand der gemessenen Nettopeakfläche, der gegebenen Emissionswahrscheinlichkeit, des für Punktquellen bestimmten Ansprechvermögens und des sich aus der
Monte-Carlo-Simulation ergebenden Geometriefaktors kann die Aktivität bzw. mit der
Probenmasse die spezifische Aktivität berechnet werden. Die Berechnung sollte für
alle wichtigen Emissionen eines Nuklids separat erfolgen, wobei sich die Ergebnisse
(im Rahmen der statistischen Fehler) nicht wesentlich voneinander unterscheiden
sollten. Als Aktivitätsangabe dient dann der Mittelwert.
Aktivitäten und spezifische Aktivitäten werden immer auf das konkrete Nuklid
bezogen. Eine Aufsummierung dieser Aktivitätswerte ergibt keinen Sinn, da sich die
Grenzwerte ebenfalls immer nur auf konkrete Nuklide beziehen und sich z. T. um
Größenordnungen unterscheiden. Eine Ausnahme bilden die Nuklide einer
Zerfallsreihe. Da die schweren Nuklide oberhalb des Radiums kaum langreichweitige
Strahlung aussenden und die für den Strahlenschutz wesentlichen leichteren Nuklide
sehr kurze Halbwertszeiten besitzen und sich damit im Allgemeinen im radioaktiven
Gleichgewicht befinden, wird die Aktivitätsangabe dieser Nuklide immer auf die
sogenannten Leitnuklide 226Ra und 224Ra bezogen. Bei der Festlegung der
entsprechenden Grenzwerte wurde die zwangsläufig vorhandene Aktivität der
Folgeprodukte schon mit einbezogen.
Spezifische Aktivität, Grenzwerte
Für den Schutz der Bevölkerung vor einer inakzeptabel erhöhten Strahlenbelastung
werden Grenz-, Richt- und Freigabewerte für Aktivitäten, spezifische und
flächenbezogene Aktivitäten sowie Aktivitätskonzentrationen festgelegt. Die Höhe
der Grenzwerte richtet sich nach der zulässigen Belastung von bestimmten
Bevölkerungsgruppen (Kinder, Schwangere, gebärfähige Frauen, beruflich
strahlenexponierte Personen usw.), nach den Nukliden und der geplanten
Verwendung des Materials (Nahrungsmittel, Baustoff, Ablagerung usw.). In
bestimmten Fällen (Not- und Katastrophensituationen) werden auch höhere Werte
zugelassen. Die genauen Werte sind in der Strahlenschutzverordnung tabelliert,
welche unter http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/strlschv_2001/index.html abrufbar ist und auch am Versuchsplatz zur Verfügung steht.
Bei den meisten im Versuch zu untersuchenden Proben handelt es sich um
Volumenproben fester Stoffe, für welche die spezifischen Aktivitäten zu bestimmen
und mit den entsprechenden Grenzwerten zu vergleichen sind. Für die als
Punktquelle gekennzeichneten Proben ist dagegen die gemessene Aktivität mit der
Freigrenze zu vergleichen.
12
Allgemeine Hinweise
Raum und Betreuung
• Andreas-Schubert-Bau 423
• Betreuer im Wintersemester 2004/2005: Dr. J. Henniger,
Institut für Kern- und Teilchenphysik, AG Strahlenschutzphysik
• Kontakt über HA 32479 oder [email protected]
• persönlich: ASB Zimmer 409
Hinweise zur Versuchsausstattung
•
HPGe-Halbleiterdetektor mit ladungsempfindlichem Vorverstärker und
Kryostat
Spannungsversorgung, spektrometrische Elektronik mit Hauptverstärker und
Vielkanalanalysator (NomadPlus-Koffer)
PC mit Software „GammaVision“ zur Ansteuerung von Detektor und Elektronik
und zur Auswertung der Spektren
•
•
Satz kalibrierter γ-Strahlungsquellen (Fa. Amersham)
Umweltproben unterschiedlicher Geometrie sowie Proben künstlicher
Radioaktivität
Monte-Carlo-Programm AMOS zur Berechnung relativer Geometriefaktoren
•
•
•
Versuchsvorbereitung
Aneignung der physikalischen und messtechnischen Grundlagen anhand dieser
Versuchsanleitung und der angegebenen Literatur, insbesondere:
•
•
•
Radioaktivität (Größen, Umwandlungsarten, natürliche und künstliche
Radionuklide, Entstehung bzw. Erzeugung, Zerfallsschemata,
Verzweigungsverhältnisse, Lebensdauern, Emissionswahrscheinlichkeit)
Radioaktivität in der Umwelt
Wechselwirkungsprozesse ionisierender Strahlung mit Materie (insbesondere
Photonenwechselwirkungen)
•
γ-Spektrometrie mit HPGe-Detektoren (Detektoreigenschaften, physikalische
•
•
Vorgänge zum Strahlungsnachweis, Komplexität der Spektren, Totzeit u. a.)
Verfahren zur Aktivitätsbestimmung (Koinzidenzmethode u. a.)
Kenntnisse aus der Durchführung der Versuche RM2 und FA des
Messpraktikums bzw. GA und CS des Fortgeschrittenenpraktikums.
13
Empfohlene Literatur und Links zur Vorbereitung
[1] W. Stolz:
Radioaktivität - Grundlagen, Messung,
Anwendung, B.G. Teubner
Verlagsgesellschaft Stuttgart-Leipzig 1996
[2] B. Dörschel, V. Schuricht, J. Steuer: Praktische Strahlenschutzphysik,
Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg,
Berlin, New York 1992
[3] H. Krieger:
Grundlagen der Strahlungsphysik und des
Strahlenschutzes, B.G. Teubner
Verlagsgesellschaft Stuttgart-LeipzigWiesbaden 2004
[4] T. Mayer-Kuckuk:
Kernphysik (Eine Einführung), B.G. Teubner
Verlagsgesellschaft Stuttgart-Leipzig 1994
[5] M. Sommer, J. Henniger,
D. Hermsdorf
Anlagen und Ergänzungen zur Versuchsbeschreibung AK auf der Homepage der AG
Strahlenschutzphysik (ASSP) des IKTP
http://pssrs1.phy.tu-dresden.de/issp/
[6] Bundesrecht
Strahlenschutzverordnung 2001 in der
Fassung vom 18.06.2002 im Internet unter
http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/
strlschv_2001/index.html
[7] R.B. Firestone, L.P. Ekström
LBNL Isotopes Project, LUNDS Universitet,
Table of Radioactive Isotopes, im Internet
unter http://ie.lbl.gov/toi
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