als PDF - Katharina von der Leyen

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als PDF - Katharina von der Leyen
EXPERTEN-TALK
KAT H A R I NA
VO N D E R L EY E N
Journalistin
und Bestsellerautorin
(„Braver Hund!“).
T H O M A S BAU M A N N
ist Inhaber des
Hundezentrums Baumann in
Großbeeren bei Berlin.
JA N N I J B O E R
kommt aus dem humanpädagogischen Bereich,
seit 1984 professioneller Hundetrainer und Gründer
von „Natural dogmanship“.
GABY ABELS
Hunde- und Verhaltenstrainerin mit eigener Schule in
Schenefeld bei Hamburg.
CLARISSA
VO N R E I N H A R D T
Hundetrainerin mit
eigenem Fachbuchverlag
(animal learn)
im bayerischen Bernau.
D R . BA R BA R A
SCHÖNING
unterhält eine tierärztliche
Praxis für Verhaltenstherapie und die Hundeschule
„Struppi & Co“ in Hamburg.
WIE
ERZIEHT MAN
EINEN
?
HUND
MIT LECKERLIS UND GUTEM ZUREDEN
SAGEN DIE EINEN – DIE ANDEREN GLAUBEN:
MIT STRENGER KONSEQUENZ. DOGS
BAT EXPERTEN DER SZENE UM GENAUIGKEIT
Fotos: philipp rathmer Moderation: katharina von der leyen
I NA BAU M A N N
früher Hundeführerin beim Bundesgrenzschutz,
entwickelte mit ihrem Mann Thomas ein
Mentaltraining unter anderem für ängstliche Hunde.
DR. DORIT
FEDDERSEN-PETERSEN
Fachautorin und Verhaltensforscherin an der
Universität Kiel mit Schwerpunken
zu Haustierwerdung und zur Funktion des
Sozialspiels bei Wölfen und Hunden.
[3]
[4] EXPERTEN-TALK
KATHARINA VON DER LEYEN:
Beim Thema „Lob und Strafe“ herrscht
große Verunsicherung: Strafe ist mittlerweile zum Unwort in der Hundeerziehung
geworden, während eine Erziehung, die
ausschließlich auf Lob basiert, anderen
nicht artgerecht erscheint. Woran soll sich
der Hundehalter nun also orientieren?
THOMAS BAUMANN: Mit dem Begriff
Strafe hat der Hundehalter zu viele Fehlassoziationen. Mit Strafe verbindet man Schuld
und Sühne. Strafe folgt auf Unrecht, auf
vermeintlich falsches, ja, böswilliges Verhalten. Das Wort Strafe richtet sich auf emotionale oder moralische Inhalte und umfasst
häufig Aggression bis hin zu Prügel.
CLARISSA VON REINHARDT: Auch
Machtkampf zwischen Hund und Halter.
THOMAS BAUMANN: Wir sprechen
mit Kunden davon, Verhalten zu korrigieren
oder Verhalten zu manipulieren. So nehme
ich viel heraus aus der Emotionalität. Ziel der
Korrektur ist ja das Positive, darum sehe ich
die Korrektur an sich als etwas Positives an.
Heutzutage kann man einen Verhaltensabbruch dem Hund völlig aggressionsfrei und
ruhig vermitteln. Dann bin ich nicht mehr in
der Strafe, sondern auf einer korrigierenden
Sachebene. Auch wenn man in der Biologie
noch immer von Strafe spricht.
DR. DORIT FEDDERSEN-PETERSEN:
Ich finde es nicht richtig, Aggression, Strafe
oder derlei herauszunehmen, aus Angst, es
könne missverstanden werden. Dann wird
es nämlich ganz bestimmt missverstanden.
Man muss eben erklären: Was bedeutet verhaltensbiologisch Strafe und was negativer
Bereich? Warum denn nicht?
DR. BARBARA SCHÖNING: Wir verwenden den Begriff in unseren Kursen durchaus, wenn auch mit den entsprechenden
Relativierungen. Weil wir denken, dass die
Besitzer damit etwas anfangen können. In der
Lerntheorie und auch neuropsychologisch
begibt man sich ja schon mit dem Vorenthalten einer erwarteten Belohnung in den negativen, sogenannten aversiven Bereich.
DR. DORIT FEDDERSEN-PETERSEN:
… der dazugehört.
CLARISSA VON REINHARDT:
Ich würde Thomas Baumann durchaus Recht
geben: dass die Wortwahl sehr wichtig ist.
Der Begriff Dominanz wurde ebenfalls
jahrzehntelang fehlinterpretiert. Natürlich
gibt es sie, aber nicht in dem Sinn, dass der
Hund mich dominieren will und all diesem
Schwachsinn. Wenn man im Unterricht steht
und sagt: Strafe ist durchaus wichtig, aber
wir machen das ganz anders als früher, dann
bleibt doch beim Kunden hängen: also doch
Strafe – und dann geht es los mit Leinenruck, Schlägen und Anschreien.
DR. DORIT FEDDERSEN-PETERSEN:
So einfach, wie du denkst, sind die Menschen
nicht. Das glaube ich einfach nicht.
JAN NIJBOER: Ich will da auch nicht so
schnell aufgeben. Ich denke, man sollte Menschen nicht unterschätzen, man kann ihnen
viel erklären. Das ist doch Wortangst. Aber
wenn Menschen das missverstehen, muss
man ihnen das eben erklären. Bei Dominanz
reden viele Hundehalter gar nicht über
Dominanz, sondern über Unterdrückung.
CLARISSA VON REINHARDT: Wir
benutzen Begriffe wie korrigierend eingreifen, disziplinieren und Grenzen setzen.
JAN NIJBOER: Korrigieren wird dann
später die gleiche negative Aufladung bekommen. Dann hat man das Problem doch
nur verschoben. Die Lerntheorien würde
ich allerdings gern außen vor lassen, weil sie
meistens die artgerechte Kommunikation
übergehen. Soziale Konditionierung ist aber
nur über Kommunikation möglich.
DR. BARBARA SCHÖNING: Die Basis
ist das soziale Miteinander. Das muss der
erste Ansatz sein: Wie läuft die Kommunikation zwischen Hund und Halter? Was läuft
da in diesem sozialen Gefüge? Und darin
muss man dann individuell die geeigneten
Lösungsansätze finden.
THOMAS BAUMANN: Der Hund hat
Bedürfnisse, an denen ich mich orientieren
muss, und der Mensch hat in der sozialen
Kommunikation auch eigene Bedürfnisse.
Wo liegen die Schnittstellen? Was passt zu
diesem Menschen, was kann er leisten, welche Art der Beschäftigung passt zu diesem
Hund, welche passt nicht? Diese gemeinsamen Schnittstellen müssen wir ausbauen.
Das ist individuelle Erziehungsberatung.
KATHARINA VON DER LEYEN: Was
mache ich aber, wenn mein junger Hund am
Tischbein meines Esstisches knabbert?
CLARISSA VON REINHARDT: Wenn
mein Hund an dem Tischbein knabbert, dann
sage ich „Geh weg“ oder „Nein“ oder irgendetwas Ähnliches und zeige ihm mit ruhiger
Handbewegung, dass ich das nicht will.
»WENN ICH EINEN HUND IMMER
GLEICH KORRIGIERE, WENN ICH IHM
SAGE: DAS IST FALSCH UND DAS
AUCH, DANN WIRD ER RELATIV HART«
TR AI NERI N GABY ABELS rät dazu, den Hund auch mal abzulenken, um Konflikte zu vermeiden.
KATHARINA VON DER LEYEN: Und
was, wenn der Hund dann nicht so reagiert,
wie ich es in dem Zusammenhang möchte?
CLARISSA VON REINHARDT: Das
käme auf den Hund an. Bei einem Hund in
der Renitenzphase, der mir zu verstehen gibt:
„Du sagst zwar nein, aber ich mach mal weiter“, würde ich mit der Stimme einfach ein
bisschen deutlicher werden. Wenn er weitermacht, würde ich ihn schließlich hinausschicken, aber nicht im Sinn von aussperren, sondern nach dem Motto: „Weg von hier. Geh,
wohin du willst, aber weg von dem Reiz.“
DR. DORIT FEDDERSEN-PETERSEN:
Kann ich ihn nicht herunterdrücken? Kann
ich ihn nicht zur Seite schieben?
CLARISSA VON REINHARDT: Also, zur
Seite schieben würde ich ihn eventuell schon,
aber für mich ist Herunterdrücken eine
Maßnahme, die ich nur benutze, wenn es
wirklich hart auf hart kommt.
KATHARINA VON DER LEYEN:
An welcher Körperstelle genau?
CLARISSA VON REINHARDT:
Im Nacken- oder Schulterbereich.
JA N NIJ B O E R : Ich würde den Hund
anschubsen und anknurren.
THOMAS BAUMANN: Wenn er das
Stuhlbein anknabbert, sage ich auch nein.
Wenn er auf das Nein nicht hört – wobei ich
die Stimmlage nicht verstärke, um keine
Konditionierung auf eine höhere oder lautere Stimmlage zu erreichen –, setze ich auch
den Schnauzen- oder Nackengriff ein. Dieses
Herunterdrücken ist kein Zu-Boden-pressen,
sondern ein kurzer Impuls, sei es über den
Fang oder über das Genick, und dazu kommt
noch mal das Nein. Und jetzt folgt aber
gleich im Anschluss eine wichtige Kompensation: „Hey, das geht ja klasse, jawohl!“
Dann bin ich auf der sicheren Seite.
CLARISSA VON REINHARDT:
Die meisten Leute lassen die Dinge einfach
zu lange laufen. Wenn dann praktisch
nichts mehr geht, kommt die Megadisziplinierung, auf die der Hund heftig reagiert,
weil er mangelnde Frustrationstoleranz hat
und vorher nie eine angemessene Grenzsetzung erfahren hat. Ein normales Abbrechen hat bei denen nie stattgefunden. Jetzt
bekommt er Angst, weil die Reaktion des
Menschen viel zu heftig ausfällt.
DR. BARBARA SCHÖNING: Von unseren Verhaltenspatienten, die mir aus Sicht
des Besitzers mit Verhaltensproblemen vorgestellt werden, sind zu fast hundert Prozent
Hunde, die in keinen klaren Spielregeln
leben. Das ist wirklich sehr auffällig: Egal
woher diese Hunde stammen, aus welcher Art
der Aufzucht, der Haltung, aus dem Tierschutz, diese eine Gemeinsamkeit existiert
tatsächlich. Das Fehlen von klaren Spielregeln sorgt beim Hund aber für Stress, sorgt
für Angst, sorgt für Frustration. Und das ist
dann die Basis für weitere Probleme.
KATHARINA VON DER LEYEN: Das
Gute an Regeln und Ritualen ist auch, dass
man einfach mal sagen kann: Wunderbar, ich
muss jetzt nicht mehr nachdenken.
GABY ABELS: Genau, ich habe ein Ritual,
an dem kann ich mich festhalten kann. In
manchen Fällen sollte man den Hundebesitzern aber erklären, dass es manchmal besser
ist, den Hund einfach abzulenken. Die Leute
haben ein Problem, das sie stört, denken aber
nicht darüber nach, ob sie dem Hund vielleicht einfach eine Alternative geben können.
Ich mache einfach etwas anderes, und der
Hund denkt sich: „Boah, was macht die denn
Tolles“, ohne dass ich das Tischbein wirklich
zum Problem mache, weil das nur ein kleines
Langeweile-Nagen war.
THOMAS BAUMANN: Aber der Hund
soll doch merken, dass das jetzt stört.
GABY ABELS: Klar, wenn er denkt: „Du
kannst mich mal, den Tisch finde ich viel
besser, der schmeckt mir nämlich schon die
ganze Woche“, dann muss ich vorher ein
Nein konditioniert haben oder ihn zum Beispiel hinausbringen. Ein Hund, der mit Strafe
oder Korrektur wenig konfrontiert war, wird
relativ leicht zu beeindrucken, also weichführig sein. Ein Hund, den ich aber immer
gleich korrigiere, weil ich ihm sage, das finde
ich falsch, das finde ich falsch, und das übrigens auch – der wird relativ hart. Wenn später
die Pubertätsprobleme mit anderen Hunden kommen, muss ich zur Not bei den hart
gemachten Hunden ziemlich viel Zwang
anwenden, damit die überhaupt reagieren.
JA N NI JBOER
schubst und knurrt bei
der Hundeerziehung.
»VIELE REDEN
AUF DEN HUND
EIN, BIS KEIN
WORT ETWAS
BEDEUTET. DIE
SPRACHE WIRD
GRÖBER STATT
FEINER. DAS
MACHT JA DAS
ANKNURREN
SO TOLL«
DR. BARBARA SCHÖNING: Man muss
für jeden Hund die Korrektur individuell
finden. Wir bestärken unsere Hundebesitzer
eher nicht darin, körperlich zu manipulieren, weil das nach unserer Erfahrung nur die
wenigsten Hundehalter wirklich gut können.
INA BAUMANN: Ich kenne auch viele
Hunde, die bei dem ersten Schubser, den ich
mache, stark beeindruckt sind.
JAN NIJBOER: Das ist ein Problem für
viele Hundebesitzer, die das möglicherweise
nicht erkennen können. Aber ich sehe sofort:
Das ist ein Hund, bei dem ich wirklich vorsichtig sein muss. Wie beim Kind, da sage ich:
Das kann ich jetzt nicht tun. Und sofort
[6] EXPERTEN-TALK
fängt die Unterlippe an zu zittern und das
Kind fängt schon fast an zu weinen. Einem
anderen sagt man: „Lass das verdammt noch
mal sein“, und der lacht dich aus. Auch unter
Hunden gibt es extreme Unterschiede.
DR. BARBARA SCHÖNING: Wir
machen immer wieder die Erfahrung, dass
der Besitzer mit einer Nicht-Vorstellung zu
uns kommt: „Der Hund soll nicht das Tischbein anknabbern.“ Er hat aber keine Alternativ-Vorstellung von der Situation. Diese
Nicht-Vorstellungen sind aber Sackgassen:
Der Hund kann sich nämlich nicht „nicht
ver-halten“. Ich als Trainer muss also fragen:
Wie möchten Sie denn, dass er sich stattdessen verhält? Wenn dann kommt: „Er soll
ruhig daneben liegen“, dann haben wir ein
Ziel, auf das wir hinarbeiten können.
GABY ABELS: Viele Hundehalter warten
geradezu auf diese Handlung, die der Hund
nicht vornehmen soll, übersehen aber die
ganzen anderen Sachen, die er zwischendurch
auch macht, damit sie dem Hund auch mal
sagen können: „Hey, das ist ja toll, was du da
jetzt gerade machst!“
THOMAS BAUMANN: Der Hund scheint
immer derjenige zu sein, der schwierig ist,
sonst kommen die Leute gar nicht zu uns.
Aber man muss sich als Trainer genau ansehen: Was für einen Typ Menschen habe ich
vor mir? Wie ist seine Körpersprache, wie
seine Lautsprache, wie gehe ich als Trainer
auf ihn ein? Wie sage ich, dass es vielleicht gar
nicht der Hund ist, der ein Problem hat, sondern dass der Mensch nicht in der Lage ist,
zu seinem Hund durchzudringen, weil er die
richtige Sprache dazu nicht gelernt hat?
GABY ABELS: Deshalb ist es sinnvoll,
genau zu gucken: Macht der Hund das auch
bei mir als Trainer? Wenn er bei mir das,
was beim Besitzer nicht klappt, ohne Widerstand durchführt, erkennt der Besitzer: Der
Hund kann es, das Problem liegt eher bei mir.
JAN NIJBOER: Man muss nicht den Konflikt mit dem Hund angehen, sondern den
Beziehungskonflikt zwischen dem Menschen
und dem Hund. Dabei ist das Wichtigste,
dass der Mensch nicht deshalb etwas tut, weil
der Hundetrainer es ihm sagt, sondern dass
er selbst Ursache und Wirkung versteht.
»WÖLFE UND
AUCH HUNDE
IN GRUPPEN
SETZEN MIT
ABSICHT EINE
TABUZONE.
SIE GEBEN ZU
VERSTEHEN:
HIER FRESSE
ICH UND DU
HAUST AB«
D R. D O R I T
FE D D ER S EN - P ET ER S EN
über die Erkenntnisse
ihrer kynologischen
Grundlagenforschung.
KATHARINA VON DER LEYEN:
Ich decke meinen Kaffeetisch mit Schwarzwälder Kirschtorte, muss auf die Toilette, und
wenn ich zurückkomme, steht mein Hund
mit allen vier Füßen in der Torte. Wie löse ich
denn nun diesen Beziehungskonflikt?
JAN NIJBOER: In so einem Fall würde ich
sagen: Wie kannst du diese Sahnetorte da
stehen lassen? Ein normal intelligenter Hund
würde diese Chance sicher nutzen, und ich
würde ihm darin auch Recht geben.
THOMAS BAUMANN: In diesem Fall ist
das Kind erst einmal in den Brunnen gefallen. Aber der Hundebesitzer möchte nunmal
wissen, was er tun kann, damit er das nächste
Mal die Torte stehen lassen kann.
JAN NIJBOER: Ich würde ihm raten, die
Torte bis zum Kaffeetrinken wegzustellen. Es
wurde bei Kindern und Erwachsenen erforscht, dass sie Zurückhaltung nicht leisten
können – der Hund kann es auch nicht.
DR. D ORIT FEDDERSEN-PETERSEN:
Das kann er selbstverständlich leisten! Ich
gehe einmal zu meiner Grundlagenforschung
zurück. Wölfe und auch die Hunde in den
Gruppen provozieren solche Situationen
ganz auffällig: Sie holen Futter heran, dann
kommen die Welpen und werden angeknurrt, die kommen näher und pföteln, und
es wird genüsslich vor ihnen herumgeknabbert – die werden so richtig in diese Situation hineingebracht: „Dies ist eine Tabuzone,
jetzt fresse ich und du haust gefälligst ab.“
Das akzeptieren die Junghunde auch. Aber
das muss gelernt werden.
JAN NIJBOER: Gilt das auch, wenn die
Person nicht im Raum ist?
DR. DORIT FEDDERSEN-PETERSEN:
Hunde können es verlässlich lernen –
mit Sicherheit!
DR. BARBARA SCHÖNING: Aber auch
ein Nein muss trainiert werden. Nur wenn
der Hund vorher über eine entsprechende
Trainingssequenz gelernt hat, was dieses Wort
bedeutet, kann es angewendet werden.
KATHARINA VON DER LEYEN: Mein
alter Mops hatte eine Spielzeugente, die für
alle anderen Hunde tabu war. Die legte er in
die Mitte des Zimmers und setzte sich dann
etwas entfernt hin, um abzuwarten, dass
jemand die Ente auch nur anguckt – dann
schoss er los wie eine Kanonenkugel und
setzte einen saftigen Kinnhaken beim anderen Hund an. Das machte er auch bei allen
Besuchshunden. Vor einem Jahr ist der Mops
gestorben, aber bis heute spielt keiner der
anderen Hunde mit dem Ding.
DR. BARBARA SCHÖNING: Der hat
das Tabuisieren mit den anderen geübt.
CLARISSA VON REINHARDT: Es gibt
auch Sonderfälle. Ein Hund, der im Überlebenstraining gelernt hat, dass er klauen
muss, weil er sonst verhungert, mit dem muss
ich sicher öfter oder länger üben. Eventuell
bekommt man es auch nie mehr heraus.
THOMAS BAUMANN: Auch wenn Hunde
schon gelernt haben, dass sie mit strategischer Intelligenz ihre Lust befriedigen
können, geht es nicht nur um den existenziellen Werte des Fressens. Das sind eigentlich tolle Hunde, weil die derart strategisch
glänzen können. Und dann funktioniert
es vergleichsweise schwer.
JAN NIJBOER: Wenn man also über
Strafe oder Korrektur spricht, ist es wichtig,
es so arttypisch wie möglich zu machen.
THOMAS BAUMANN: Bei einem
Schimpansen würde ich zum Beispiel keinen
Schnauzengriff anwenden, aber bei einem
Hund könnte ich mir vorstellen, dass ich mal
kurz über die Schnauze greife.
DR. DORIT FEDDERSEN-PETERSEN:
Wenn der Kontext gerade passt.
JAN NIJBOER: Korrekturen sollen immer
kontextbezogen sein. Allerdings sehe ich
viele Menschen, die beim Schnauzengriff ins
Maul greifen, es zusammenkneifen. Dabei
geht es um die Geste, nicht um Schmerzen.
THOMAS BAUMANN: Ich habe für Kunden zwei abgegriffene Stoffhunde, mit denen
wir bei Trockenübungen dem Hundebesitzer
klarmachen, eben nicht den Fang des Hundes zusammenzudrücken. Das ist für den
Hund unangenehm und kein Schnauzengriff.
CLARISSA VON REINHARDT: Ich bin
gegen den Schnauzengriff, weil die Leute
immer meinen, dass sie damit das Gleiche
machen, was ein Hund bei einem Hund
macht. Das können wir gar nicht, weder anatomisch noch im richtigen Timing noch im
richtigen sozialen Konsens. Ich sage deshalb:
Lieber nicht, denn die Wahrscheinlichkeit,
dass es verkehrt gemacht wird, ist zu groß.
Dann gebe ich ihnen eine andere Möglichkeit.
JAN NIJBOER: Das macht das Knurren so
toll. Viele Besitzer reden auf den Hund ein,
sie reden und reden, bis kein Wort mehr eine
Bedeutung hat – das ist eine Form der Desensibilisierung. Statt dass man die Kommunikation in Richtung Verfeinerung entwickelt,
geht es mit der Sprache zur Vergröberung.
KATHARINA VON DER LEYEN:
Ich finde es wichtig, dass man den Kunden
erklärt, dass derlei im Zweifelsfall möglich ist.
Sonst setzt sich die Vorstellung durch, dass
man den Hund beim Grenzen setzen nicht
anfassen, ihn nie körperlich begrenzen darf.
Die bekommen völlig verschrobene Ideen
von dem Wort Zwangseinwirkung, dabei ist
ja schon die Leine eine Art Zwangsmittel.
DR. BARBARA SCHÖNING: Da sind
wir wieder bei den Dogmen.
THOMAS BAUMANN: Wie diejenigen,
die sagen: Leinenruck oder Leinenimpuls
ist immer schlecht. Da muss ich sagen: Es
kommt darauf an. Da geht es eher um Inkompetenz: Nicht der Leinenimpuls an sich
ist schlecht, sondern vielleicht eher die Art
und Weise, wie er durchgeführt wird.
CLARISSA VON REINHARDT: Bei
der Frage, warum Menschen in das andere
Extrem der Hundeerziehung verfallen und
meinen, alles über eine antiautoritäre Erziehung lösen zu wollen, muss man die Humanpsychologie ins Spiel bringen: Hinter der
antiautoritären Erziehung steckt der Wunsch,
sich klar von früheren, weit verbreiteten, harten Erziehungsmitteln zu distanzieren.
JAN NIJBOER: Wenn in unserer Kultur
über Hundekommunikation geredet wird,
wird häufig eher über Kommandos geredet.
Kommando bedeutet so viel wie Befehlsgewalt. Und das bedeutet im Prinzip so viel wie
„Schalte dein Denken aus und mach dies und
das.“ Aber der Hund ist ein soziales Wesen.
Ich finde, man sollte seinem Hund lieber absolut klarmachen, was man nicht möchte,
statt ihm pausenlos zu sagen, was er tun soll.
Denn dann steht er pausenlos unter Strom.
DR. DORIT FEDDERSEN-PETERSEN:
Warum ist ein Hund sozial? Das möchte ich
gern einmal wissen.
JAN NIJBOER: Der Hund ist genau wie
der Mensch auf der Suche nach Sicherheit,
Geborgenheit. Er will nicht allein sein, Alleinsein bedeutet eine Gefahr.
DR. DORIT FEDDERSEN-PETERSEN:
Aufeinander bezogen leben hat Vorteile.
Egoismus ist die Basis für Sozialverhalten, als
Überlebensvoraussetzung schlechthin.
DR. BARBARA SCHÖNING: Jeder will
seinen eigenen Zustand optimieren. Und
als soziales Lebewesen geht das nur in
der Zusammenarbeit.
THOMAS BAUMANN: Indem ich dem
anderen etwas gebe, bereichere ich mich und
erfülle damit auch meine Bedürfnisse. Das
ist im Grunde genommen Egoismus.
DR. DORIT FEDDERSEN-PETERSEN:
Egoismus fördert ja auch den sogenannten
Altruismus, die Uneigennützigkeit. Ich helfe
jemandem. Wenn ich in der Gruppe helfe
oder ich auf Gruppenleben ausgerichtet bin,
kann ich davon ausgehen, dass man mir
»BEIM SCHNAUZENGRIFF GEHT ES UM
KORREKTUR. NICHT DARUM, DEN FANG
DES HUNDES ZUSAMMENZUDRÜCKEN.
DENN DAS IST FÜR IHN UNANGENEHM«
T H OM A S BAU M A N N demonstriert Hundebesitzern anhand von Stoffhunden die Anwendung von Impulsen.
[8] EXPERTEN-TALK
auch hilft. Man stellt sich aufeinander ein.
JAN NIJBOER: Und das kommt nur dann
zustande, wenn man gleiche Ziele hat. Hat
man aber kein gleiches Ziel mehr, dann tut
jeder etwas für sich.
KATHARINA VON DER LEYEN:
Ich möchte wissen, ob Lob weniger problematisch ist. Kann man auch falsch loben?
INA BAUMANN: Es gibt viele, die situationsbedingt die falsche Lobform wählen: Die
loben immer hektisch oder in auffallend hohen Quietschtönen. Es wird überhaupt zu
viel gelobt, so dass den Hund gar nicht mehr
» MENCHEN
UND HUNDE
SIND SICH
ÄHNLICH:
JEDER WILL
SEINEN
ZUSTAND
OPTIMIEREN.
DAS GEHT
BEI SOZIALEN
LEBEWESEN
EBEN NUR
ZUSAMMEN«
DR. BAR BAR A
S C HÖN I NG
weiß, dass Menschen
einander gern etwas
geben, nur um
Freude auszudrücken.
interessiert, ob er gelobt wird oder nicht.
Wenn man dem Hundeführer mal das richtige Lob zum richtigen Zeitpunkt beibringen
würde, auch ein bisschen reduziert, dann
hätten wir wesentlich weniger Probleme.
THOMAS BAUMANN: Anfassen ist zum
Beispiel ein sehr wirksames Lob. Nach einem
Verhaltensabbruch nehme ich den Hund zu
mir und fasse ihn ähnlich dem TellingtonTouch an: Fast alle Hunde drücken sich dann
heran, gerade die unsicheren, weil die Bindungsstruktur gefördert wird.
JAN NIJBOER: Mir scheint, viele Menschen loben den Hund häufig, um ihn zu entschädigen: Du hast für mich etwas geleistet,
dafür bekommst du jetzt etwas. Ich finde das
sehr schade. Dieser Mensch fängt an, den
Hund anhand von erbrachter Leistung zu beurteilen. Lob kann viel kaputt machen.
THOMAS BAUMANN: Aber auch sehr
viel Gutes leisten!
JAN NIJBOER: Lob kann fatal sein.
Ich vergleiche das jetzt mal mit dem Menschen: Ein Kind kommt mit guten Noten von
der Schule nach Hause, Papa zieht das
Portemonnaie und bezahlt das Kind. Das ist
pädagogisch daneben. Und doch identisch
mit den Leckerli-Belohnungen beim Hund.
CLARISSA VON REINHARDT: Das eine
ist Motivation, das andere Freundschaft, das
eine schließt das andere ja nicht aus.
THOMAS BAUMANN: Nach meiner
Erfahrung reagieren Hunde mit einer ausgeprägten Unsicherheit besser auf soziale Aktivität als auf Leckerlis. Ein instabiler, ängstlicher Hund klammert sich zwar gerne an die
Futtertasche, findet es aber schöner, wenn
die sogenannte Freundschaft im Sinne einer
sozialen Bindung zum Menschen entsteht.
JAN NIJBOER: Also geht es um Stimmungsübertragung. Das ist ein wesentlicher
anderer Punkt. Wenn zum Beispiel Holland
gegen Deutschland ein Tor macht, dann gibt
es auf der Tribüne die La-Ola-Welle.
THOMAS BAUMANN: Wann gibt’s denn
so ein Tor? Das wird nie passieren (lacht).
JAN NIJBOER: Jedenfalls wird da nicht mit
Gummibärchen geworfen, stattdessen wird
Stimmung übertragen – man ist begeistert.
Es geht um das Wir-Gefühl.
DR. BARBARA SCHÖNING: Ich glaube,
Menschen meinen, Freude besser ausdrücken zu können, wenn sie etwas geben. Man
würde also vielleicht auch Blumen auf das
Spielfeld werfen, wenn man das dürfte.
CLARISSA VON REINHARDT: Das
finde ich sehr wichtig: Um Bindung und eine
Beziehung aufzubauen, muss ich dem Hund
vermitteln, dass ich mich über die gleichen
Dinge freue wie er. Wenn mir mein Chef eine
Prämie verspricht, wenn ich ein Projekt für
ihn erledige, werde ich sehr motiviert sein, das
zu machen. Aber deshalb bin ich nicht mit
ihm befreundet. Mit wem freunde ich mich
an? Mit einem, bei dem ich das Gefühl habe,
wir haben gleiche Interessen. Deshalb ist es
wichtig, auch mal einen Vorschlag vom Hund
anzunehmen: Du findest das toll, im Bach zu
planschen? Ich auch! Es ist ein Unterschied,
ob ich am Bach stehe und dem Hund einen
Stock hineinwerfe oder ob ich mit dem Hund
in diesen Bach gehe und mit ihm dort zusammen plansche.
DR. DORIT FEDDERSEN-PETERSEN:
Ganz wichtig ist dabei immer, dass der
Mensch zu seinem Hund authentisch ist. Das
er sich nicht verstellt, verbiegt oder sonst was
macht und deshalb künstlich wirkt.
DR. BARBARA SCHÖNING: Es geht
doch immer um Erfolg oder Misserfolg für
das Individuum, in unserem Fall für den
Hund. Was generiert im Hundehirn eine Erfolgsmeldung, was meldet einen Misserfolg?
Ein Langzeitgedächtnis wird dort belastbar
produziert, wo das interne Belohnungssystem
des Gehirns aktiviert wurde. Und das wird
aktiviert über ganz subjektive, ganz individuelle Erfolgsmeldungen. Sozialkontakt gehört
dazu: Was macht der Sozialpartner? Und
was löst dessen Handlung dann beim Hund
wieder aus? Das alles fließt in das ein, was
wir als Belohnung und Strafe bezeichnen, was
wir einsetzen, um das Verhalten des Hundes
zu beeinflussen oder zu manipulieren. Bei
dem einen sind es vielleicht Leckerchen, mit
dem ich dann am besten arbeiten kann,
und bei einem anderen Hund muss es etwas
anderes sein – vielleicht eine Stimmungsübertragung, oder eine soziale Interaktion.
Es ist immer ganz individuell.
  

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