Kitesurfen(PDF-Format)

Transcrição

Kitesurfen(PDF-Format)
Fotos: Frédérick Pattou
Foto: Advance
... wenn Gleitschirme surfen
Foto: Frédérick Pattou
Von Sascha Burkhardt
KITESURFEN:
E I N N E U E R T R E N D S P O R T M A C H T S I C H B R E I T. M I T
E I N FA C H E N M I T TE L N „V O L L F UN “ : M A N B RA U C HT DA Z U N U R EI N E N
L E N K D R AC HE N (O D ER „ KI T E“ ), E I N E G U T E MÜ T Z E W I N D , E I N S UR F B RE T T
(ODER KITEBOARD), UND SCHO N JAGT DER FAHRER IM AFFE NZA HN Ü BER
DEN S EE ODER DA S M EE R. M IT DEN FR ÜHE REN LENKDRACH EN HABEN D IE
K ITES NUR NOC H WE NIG GEMEIN. HEUTE SEHEN SIE EH ER WI E
G L E I T S C H I R M E I M M I N I - F O R M AT A U S . D A S I S T K E I N Z U F A L L . V I E L E
G L E I T S C H I R M - H E R S T E L L E R W I E A D VA N C E , W I N D T E C H U N D P E R C H É D R Ä N G E N I N D E N E R WA C H E N D E N M A R K T, U N D B E K A N N T E P I L O T E N W I E K A R I
E I S E N H U T O D E R A R M I N H A R I C H V E R S C H R E I B E N S I C H D E M N E U E N S P O R T.
Fliegen oder Surfen? Kiten ist beides ...
G L E I TS C H I RM H AT SI C H F Ü R S I E I N D ER SZ E N E U MG ES EH EN U N D E I N E N
ANFÄNG ERK URS BESU CH T - IN DE R KIT EBOARD-SCHULE DES GL EITS C H I R M - W E LT M E I S T E R S J O H N P E N D R Y !
7-01
53
Hochsprung oder
Tiefflug?
Der neue Sport zieht nicht nur
Gleitschirm-Piloten vom Himmel,
auch etliche Windsurfer steigen um
und tauschen ihre Surfsegel gegen
die himmlischen Zugkräfte eines
Kites. Denn das Ganze ist nicht nur
einfacher aufzubauen, sondern
bringt auch mehr „Fun“. Für geübte
Fahrer ist das Springen sehr viel einfacher als mit dem Windsurfer. Die
Sprünge sind höher, weiter, spektakulärer. Kunststück: Schließlich
hängt der Fahrer unter einem echten
Fluggerät! Und die Gleitschirmflieger,
die bei Starkwind ihren Schirm gegen
einen Kite tauschen, die genießen
echtes Flugfeeling! Die Franzosen,
die diesem Sport an ihren StarkwindSpots im Mittelmeer entscheidende
Impulse gegeben haben, nennen sich
übrigens auch „Flysurfer“ und nicht
„Kitesurfer“. Einer der bekanntesten
Spots zum Kiten liegt ebenfalls in
Frankreich: Die Gegend um das südfranzösische Leucate, und das kleine
Örtchen La Franqui bieten regelmäßig Starkwind. Wenn der Nordwestwind „Tramontane“ pfeift, jagen die
Flysurfer unter strahlender Sonne
über die spiegelglatte Lagune, heben
ab, fliegen in atemberaubenden
Höhen. Und genau an diesem Spot,
kammern gibt es keine, die Fläche
schwankt je nach Modell zwischen
einem und sieben Quadratmetern.
Wir haben eine kleine Version in den
Händen. Für den Anfang sind drei
Quadratmeter bei diesem Wind voll
ausreichend. An der Kappe sind eine
Handvoll Fangleinen angelenkt, die
in zwei Punkten zusammengeführt
werden. Fast wie zwei Tragegurte
beim Gleitschirm, nur mit dem Unter-
Wir gehen Fensterln
Foto: Advance
Der Vorteil schlechthin: Der Schirm
kann gelenkt werden. Ein leichter
Zug rechts, und die Kappe
schwenkt nach rechts, bis sie
der zwischenzeitlich zu einem internationalen Mekka der Kiter geworden
ist, hat der Gleitschirm-Weltmeister
John Pendry seine Kiteschule eröffnet.
Wie bei einem Gleitschirmkurs wird
auch das Kitesurfen progressiv angegangen: Am ersten Tag ist Übungshang angesagt. Nur
ist der „Übungshang“ ein riesiger,
flacher Strand. Der
Foto: Advance
Snowkite: Surfsaison im Winter
7-01
Voll abgehoben: Selbst kleine Kites
entwickeln beachtliche Kräfte
Am flachen Übungshang
Buggy: Dreirad mit Gleitschirmmotor
54
dert. Ob am Rogallo oder an der
gleitschirmähnlichen „Matte“: Für
den Anfang sollen uns zwei Leinen
reichen, die in Haltegriffen enden
oder an einer Lenkstange befestigt
sind. Ein kleiner Ruck daran genügt:
der Drachen steigt. Fast wie in
Kindertagen, nur ist die Zugkraft
selbst schon mit diesem RogalloEinfachmodell deutlich höher.
Sand hier in La Franqui ist so fest,
daß man sogar problemlos mit dem
Auto darauf fahren, oder sich mit
dem Buggy-Dreirad vom Kite ziehen
lassen kann. Ins Wasser geht es
heute auf jeden Fall noch nicht. Wir
sollen erst mal lernen, wie man mit
so einem Lenkdrachen richtig
umgeht. Für die ersten Versuche
drückt uns der Kitelehrer Cédric einen
Nasa Parawing in die Arme. Diese
Einfach-Version eines Kite basiert auf
Plänen des Ur-Rogallo und besteht
nur aus einem Obersegel. Luft-
schied, daß
diese durch zwei
lange Leinen ersetzt
werden, die in Haltegriffen enden. Ein Kite mit
zwei Steuerleinen wird also
genauso gelenkt wie ein Gleitschirm, den man bei Bodenübungen
ohne Sitzgurt nur über die Einhängeschlaufen der Tragegurte steuert. So
etwas wie Bremsen gibt es nur bei
den etwas komplizierteren Vierleinern. Auf diesen wird aber über die
Leinen eher der Einstellwinkel verän-
den Rand des „Fensters“
erreicht hat. Ein leichter Zug nach
links, der Kite beschleunigt, schießt
quer durchs Fenster nach links und
bleibt dann dort „hängen“. Das
„Fenster“ ist der Bereich, in dem der
Schirm ohne einzuklappen oder zu
stallen am „Himmel kleben“ bleibt.
Je nach Kite kann die Kappe bis zu
80 Grad links oder rechts vom Piloten
stehen. Auch über ihm kann sich der
Schirm fast senkrecht immobilisieren. Der Kite entwickelt dann nur
noch einen ganz leichten Zug nach
oben. Genau wie ein Gleitschirm
beim Rückwärtsstart im stärkeren
Wind: Während die Kappe steigt und
senkrecht zum Wind steht, entwickel
sie hohe Kräfte und reißt den Piloten
zu sich. Wenn sie dann mal über dem
Kopf angekommen ist, sind diese
Kräfte fast ganz verschwunden, und
der Schirm ist leichter zu beherrschen. Diese Tatsache macht man
sich zunutze, um die Power des Kite
zu dosieren. Wenn der Fahrer Gas
wegnehmen will, steuert er den
Schirm an den linken, rechten oder
oberen Rand des Fensters. Umgekehrt, wenn der Pilot mehr Kraft
benötigt, lenkt er die Kappe mitten
ins Fenster. In der „Powerzone“ sind
die Zugkräfte dann um ein Vielfaches
7-01
55
Windfenster
Der Drachen kann sowohl nach links und rechts
als auch nach oben ca. 75 -80° “ausschlagen”. In
der Mitte des Fensters sind die Kräfte am größten.
größer. Und wenn der Dampf da immer noch nicht reicht, zum Beispiel
weil der Kitesurfer noch nicht genug
Fahrt hat und mit seinem kleinen
Brett fast absäuft, gibt es einen weiteren Trick. Man läßt den Kite schnelle Achterkurven mitten durchs Fenster fliegen. Dabei beschleunigt die
Kappe, und die erhöhte StrömungsGeschwindigkeit bringt zusätzlichen
Auftrieb und Vortrieb mit sich.
Wind Höhe zu laufen. Nachteil: So
ein Dreirad läuft natürlich nur auf
relativ flachen und ebenen Flächen.
Sehr viel spannender finden wir da
die anderen Einsatzmöglichkeiten
eines Kites. Der „Rider“ kann sich
nicht nur auf einem Surfbrett übers
Wasser ziehen lassen, sondern auch
auf Snowboard oder Ski durch verschneite winterliche Landschaften.
Klingt ziemlich vielversprechend für
einen interessanten Ausgleich an
fluglosen Starkwindtagen!
Kappen-Garderobe
Doch das Ganze hat natürlich Grenzen. Wenn der Wind zu stark wird,
werden die Kappen nervös, hebeln
den Piloten ungewollt in die Luft,
werden sogar gefährlich. Der KitePilot, der möglichst viele verschiedene Windstärken abdecken will, hat im
Gegensatz zum Gleitschirm-Pilot
nicht nur einen Schirm, sondern
gleich mehrere. Für das Wasser zum
Beispiel eine kleine Kappe zwischen
3-5 m2, eine andere mit 5-8 m2 und
einen großen Schirm mit 8-13 m2,
wenn nicht sogar noch größer. Für
die Nutzung an Land besitzt er dann
eventuell noch mal drei andere
Spielwiese für Luftsportler: Der Strand von La Franqui
Dieser
Küstenabschnitt ist im Vergleich zu den Stränden weiter nördlich
und südlich deutlich weniger überlaufen. Hier kann man selbst im August
noch sein Badetuch in voller Größe ausbreiten. In den Lagunen der Gegend
toben sich Surfer und Kiter auch bei
Starkwind nach Herzenslust aus. Im
Gegensatz zum offenen Meer läuft hier
niemand Gefahr, bis zu den Balearen
abgetrieben zu werden!
Auch kulturell hat diese Region am
Nordrand des französischen Kataloniens einen ganz eigenen
Charakter und ist in jedem Fall ein interessantes
Urlaubsziel.
Die Anfahrt nach La Franqui geht fast durchgängig über
Autobahnen und ist beispielsweise ab dem deutsch-französischen Grenzübergang bei Freiburg etwas über 800
Kilometer lang.
ADRENALINE, 19 av de la Méditerranée, F-11370 LA FRANQUI
Tel
04 68 64 30 08
fax
04 68 64 56 76
email [email protected]
http://perso.club-internet.fr/nsd/adrenaline/
Rider, Räder, Rutschen
Genau die „Achter“ üben wir auf dem
Trockenen unter den strengen Augen
von Cédric und John. Ein angenehmes Gefühl stellt sich ein: Fast wie
Wing-Over. Jedesmal, wenn der
Schirm beschleunigt, zieht er die
Arme lang, wartet nur darauf, uns
über den Strand zu schleifen. Es folgt
gleich die nächste Übung: Wir wollen
genau diese Kräfte nutzen, um uns
im Buggy über den Strand ziehen zu
lassen. Schon lange vor der Erfindung
des „Flysurfs“ haben sich Lenkdrachenfans mit Buggys ziehen lassen. Eine lustige Sache: Mit den
Armen wird der Kite gesteuert, mit
den Füßen das Bugrad des Buggys. Es
ist sogar möglich, schräg gegen den
Die Schule Adrenaline von John Pendry ist
von Mitte März bis Mitte November geöffnet. Ein Anfänger-Schnupperkurs am
Wochenende kostet ca. 170,- Euro, fünf
Tage Anfänger-Schulung von Montag bis
Freitag schlagen mit ca. 380,- Euro zu
Buche. Die Ausrüstung wird gestellt, allerdings sollte der Schüler selbst im
Hochsommer wenigstens einen leichten
Neoprenanzug mit- John Pendry:
Gleitschirm-Guru
bringen.
auf Abwegen
Adressen von Camping-Plätzen in La
Franqui und bei Leucate finden Sie auf
der Homepage von
Adrenaline.
Cap Leucate ... nicht nur zum Kitesurfen geeignet
Foto: Advance
Leider ist John Pendry nur selten bei der Schulung dabei.
Wenn er sich dann doch mal zeigt, gibt er aber dafür gerne
hervorragende Tips betreffend der Gleitschirm-Flugberge in der Region! Denn wenn sich die Tramontane gnädig gibt und einmal nicht pustet, finden sich schöne Fluggelegenheiten in der Umgebung.
Zum Beispiel der Lieblingsflugberg von John Pendry,
ungefähr 70 km von La Franqui entfernt. Der
Startplatz liegt direkt am Fuße der imposanten
Burgruine von „Peyrepertuse“, die mit Meeressicht
über wohlriechenden Buschlandschaften und kargen
Kalkfelsen thront. Hier haben die geheimnisvollen
Katarer den mittelalterlichen Päpsten mit eisernem
Willen Stirn geboten, um ihre eigene christliche
Auffassung zu verteidigen.
Andere Flugmöglichkeiten gibt es ab einer Entfernung von ca.
100 km in den Pyrenäen.
Der besondere Clou aber ist die Klippe von Cap Leucate, direkt
neben La Franqui. Die sonst sehr flache Küste bietet hier auf
einmal eine 55 Meter hohe Klippe (Südost bis Ost), an der bei
vorherrschender Seebrise direkt über dem Meer prima gesoart
werden kann. Zu Fuß oder auf vier Rädern geht es von Leucate
Plage auf die Klippe, dort am Leuchtturm vorbei bis zum
Beobachtungsposten der Marine. An dieser Stelle kann der
Schirm auf einer perfekt geneigten und geräumigen
Grasfläche in östlicher bis südöstlicher Richtung über den
Felsen ausgebreitet werden - und auf geht’s: Eine laminare
Brise um die 25 km/h, weich wie Butter, trägt den Piloten bis
zu 100 m über die Köpfe der Badenden am Fuße der Klippe.
Ein kühlender Flug unter der sengenden Sonne, den salzigen
Geruch des Mittelmeers in der Nase! Der Pilot schwebt stundenlang auf einem Kissen aus Watte, um sich gleich danach
in die Fluten zu stürzen und beim Abendessen vom Kitesurfen
oder dem Tauch-Trip des nächsten Tages zu träumen. Es handelt sich hier um einen „wilden Flugberg“, und er sollte nur
beflogen werden, wenn Toplanden möglich erscheint. Im Falle
einer Notlandung auf dem Strand auf die Badenden Rücksicht
nehmen! Vorsicht, bei südlichen Winden ist die Klippe turbulent. „Streckenflug“-Möglichkeit: Südlich der Klippe entlang
(ca. 1 km). Falls besonders gute Konditionen herrschen, kann
man auch nördlich Richtung La Franqui fliegen. Dort gibt es
aber keinen Landestrand im Falle eines „Absaufers“!!.
Foto: Sascha Burkhardt
56
7-01
7-01
57
Fotos: Advance
1
2
Fullspeed mit Matte: Kiteschirm in der Powerzone
Schirme, die allerdings kleiner sind
als jene fürs Wasser. Zum Glück
kostet ein Kite nur knapp ein Drittel
eines Gleitschirms ...
Die Zugkraft hängt natürlich nicht
nur von der Fläche, sondern auch im
großen Maße von der Bauweise der
Kappe ab. Eine einfache Rogallokappe liefert nicht die selben Zugkräfte wie ein moderner GleitschirmKite. Deren ausgeklügelte Profile entwickeln ungeahnte Kräfte, vor allem
nach Beschleunigungen. Und sie lassen sich mit „dem kleinen Finger“
steuern, denn auf geringe Steuerbewegungen sprechen sie rasch an.
Natürlich gibt es auch in diesem
Bereich Unterschiede zwischen verschieden gestreckten Schirmen, und
auch beim Kiten gehört eine stark
gestreckte Kappe nur in die Hände
von geübten Piloten. Anfänger können vom nervöseren Verhalten überfordert werden.
Zwischen den einfachen Rogallos und
den „Matten“ genannten GleitschirmKites gibt es noch einen weiteren
Entwicklungsschritt: Tubekites. Einfache Oberflächen, die von aufblasbaren Kunststoff-Wülsten in Profil-
58
form gebracht werden. Diese Kites
bringen zwar nur circa ein Drittel der
Leistung einer echten Gleitschirm“Matte“ gleicher Größe, sind aber für
die Nutzung auf dem Wasser unheimlich beliebt. Viele Hersteller kommen
sogar teilweise von den „Matten“ zu
den Tubekites zurück oder experimentieren mit „Hybriden“. Grund:
Wenn ein Tubekite ins Wasser fällt,
ist er auch nach einem längeren Bad
wieder zu starten, eine vollgesogene
Matte dagegen aber nicht.
Endlich Wasser
Genau den Wasserstart üben wir am
nächsten Tag. Jetzt geht der Spaß
erst richtig los. Endlich dürfen wir in
der Lagune bei La Franqui planschen.
Cédric bläst die Luftkammern der
„Wipika“-Tubes mit einer Handpumpe
auf. Danach sind die Dinger
schwimmsicher. Das Übungsgelände
ist ideal: Über hunderte von Metern
reicht das Wasser nur bis höchstens
zur Brust. Für Kite-Beginner ist das
ganz wichtig. Denn die ersten
Übungsstunden im Wasser finden
ohne Brett statt, und schwimmend
ohne festen Grund unter den Füßen
hielte es kein Schüler lange aus.
Ziel der ersten Übungen: Es geht
darum, einen Kite wieder zu starten,
der im Wasser liegt. Mit Tubekites ist
das zum Glück nicht allzu schwierig.
Durch geschicktes Ziehen und Zupfen
an beiden Leinen bringt man die
Kappe dazu, auf dem Rücken im
Wasser zu liegen - wie ein Gleitschirm vor dem Start. Durch gezielten Zug an einer Leine bringt man
den Kite danach so in den Wind, daß
er wieder von selbst durchstartet.
Wenn die Kappe schließlich hoch
über ihrem Gebieter stabilisiert ist,
sind die zwei Leinen meist ein paarmal ineinander vertwistet. Der Pilot
dreht sich dann ganz einfach um die
eigene Achse, bis die Strippen wieder
frei sind.
Einige Übungs-Kurven am linken
Fensterrand, danach am rechten, und
dann ... geht die Post in der
Fenstermitte ab. Wir beschleunigen
die Kappen in immer schnelleren
Achtern, und nach einigen solcher
„Wings“ reißt uns der Kite aus dem
Wasser. Wir fliegen! Nur ein paar
3
4
7-01
Fotos: Frédérick Pattou
5
Foto: Advance
Foto: Sascha Burkhardt
Volle Röhren: Im Vordergrund ein Tubekite von Wipika
Meter hoch, mehrere Meter weit, aber
doch ein herrliches Gefühl, knapp
über der Wasseroberfläche durch die
Luft zu sausen.
Und vor allem: So neu dieses Spiel
auch ist, so vertraut sind doch die
Kräfte. Wer öfters mit dem Gleitschirm in stärkerem Wind trainiert,
kennt sie. Nur hier im Wasser ist alles
garantiert Genuß ohne Reue. Eine
starke Böe hebelt den Piloten vollkommen aus, reißt ihn durch die
60
7-01
Luft? Kein Problem, die Landung ist
weich. Nur eins ist uns strengstens
verboten: bei solchen Spielchen das
Trapez eingehängt zu lassen. Denn
durch hydrodynamische Tücken könnte der Pilot vom nach oben ziehenden Kite paradoxerweise unter Wasser
gezogen werden! Wer dagegen nicht
eingehängt ist, kann einfach die
Lenkstange loslassen. Er ist nur noch
mittels der „Leash“ mit dem Kite verbunden. Die Leash reißt dann eine
Klettsicherung durch und nimmt dem
Schirm seine Kraft.
Unser Lehrer Cédric tauscht die
Wipika-Tubekites gegen Matten von
Windtech aus. Jetzt lernen wir endlich die „richtigen“ surfenden Gleitschirme kennen. Cédric kommt ebenfalls aus der „wirklich fliegenden“
Zunft. Vor seinem Job als Kitelehrer
arbeitete er acht Jahre lang als
Gleitschirmausbildner. „Auch ich
habe zu Anfang immer lieber mit
Matten gekitet“, gesteht er. „Für
mich gab’s nur Matten - schließlich
entsprechen die am ehesten unseren
Flug-Schirmen. Und auch jetzt macht
mir so ein Ding bei guten Verhältnissen mehr Spaß. Aber bei Seegang
oder in kniffeligen Situationen ist
ein Tubekite besser“, versucht er,
unseren Enthusiasmus für die „echten“ Kappen zu bremsen.
Ein Grund dafür: Ein Gleitschirm, der
voller Wasser ist, kann nicht mehr
gestartet werden. Mattenschirme fürs
Wasser nutzen deswegen verschiedene Methoden, um durch ihre kleinen
Eintrittsöffnungen nur die Luft, aber
kein Wasser einzulassen. Der Schirm
wird vor dem Wassern an Land in den
Auch wenn Kitesurfen auf den
ersten Blick weit weniger gefährlich
erscheint als Gleitschirm fliegen. Es
hat schon folgenreiche Unfälle
gegeben. Wer ohne jede Ausbildung
„einfach so drauflos kitet“, setzt
sich leichtsinnig unnötiger Gefahr
aus. Der Pilot sollte doch ein minimales Grundwissen von erfahrenen
Fahrern übermittelt bekommen. Das
beschleunigt nicht nur die Lernfortschritte ungemein. Häufige Unfallursache bei Ungeübten: Der Wind ist auf
einmal doch stärker als angenommen,
und eine besonders kräftige Böe reißt
den Kitesurfer in die Luft und lädt ihn
erst an Land wieder ab - zum Beispiel
auf einem parkenden Auto.
Auch Außenstehende am Strand oder
auf der Übungswiese können schnell
gefährdet werden. Die langen Fangleinen spielen auf einem großen Radius
Rasenmäher, und unbeteiligte Menschen
und Tiere können ordentliche Schnittwunden davontragen.
Wer mal in Deutschland in einen
Kitekurs hineinschnuppern möchte,
kann sich auch über den VDWS Schuladressen vermitteln lassen:
Verband Deutscher Windsurfing und
Wassersportschulen VDWS
Dr.-Karl-Slevogt-Str. 5
D-82362 Weilheim i.OB
FON +49(0)881 - 9311- 0
FAX +49(0)881 - 9311 - 15
eMail [email protected]
http://www.vdws.de/
Wind gehalten und dabei etwas vorgefüllt. Auch in der Luft kann der
Winddruck die Ventile öffnen. Meist
bestehen diese aus Stofftrichtern,
die von innen gegen die Gaze der
Eintrittsöffnungen gedrückt werden.
Das Wasser strömt dann nicht in den
Kite, wenn jener baden geht und
schlapp auf der Oberfläche treibt. Der
erfolgreiche deutsche Hersteller
„Windtools“ baut in seine Kappen
sogar Eintrittskanäle aus Kunststoff
ein, die nicht nur wie abgeschnittene
Präservative aussehen, sondern auch
hochoffiziell „Condom Air Protect“
heißen. In der Regel funktionieren
die meisten Systeme auch ganz gut,
solange man den Schirm nicht allzu
lang im Wasser liegen läßt. Und ein
Foto: Sascha Burkhardt
Trainingsort Lagune: Am Anfang empfiehlt sich knietiefes Wasser
trockener Mattenkite startet oft
sogar besser als ein Tubekite. Falls
die Kappe mit der Austrittskante im
Wasser liegt, genügt oft ein Zug an
den Leinen, und der Schirm steigt
fast von selbst. Liegt er verkehrt
herum, gibt es je nach Modell verschiedene Techniken. Der „Trainer“
von „Windtech“ macht es dem geübten Gleitschirmflieger einfach: Dieser
spanische Schirm ist mit einer Art
Bremsleine ausgestattet, die vom
Piloten weg bis an die Austrittskante
führt. Sie dient vor allem als Notbremse, wenn der Pilot überfordert
sein sollte, und ist mit der Leash an
dessen Handgelenk verbunden. Für
den Start erweist sie sich als ungemein praktisch: Ein leichter Zug
genügt, und die Kappe steigt schräg
rückwärts aus dem Wasser, wird wieder steuerbar und kann nach einer
Drehung endgültig durchgestartet
werden. Ganz wie ein Gleitschirm,
der im starken Wind auf die Eintrittskante gefallen ist und den der
Pilot durch Ziehen einer Bremsleine
wieder dreht. Schön, so vertraute
Gesten wiederzufinden!
Jetzt kommt richtig „Fun“ auf: Beim
„Body-Drag“ lassen wir uns auf dem
Bauch vom Schirm quer über die
Lagune ziehen. Das Wasser rauscht
unter dem Körper durch, nach einer
starken Böe heißt es sogar „TakeOff“, sekundenlanges Schweben in
der Luft, gefolgt von einem sanften
„happy Landing“ auf dem Bauch. Der
Schirm reagiert auf kleinste Steuerbewegungen, jagt auf „Fingerzeig“
quer durch die Powerzone, stellt sich
an den Rand des Fensters und wartet
auf neue Anweisungen. Jeder Durchgang durch die Fenstermitte ist wie
eine Mega-Thermikblase. Mit einem
gewaltigen Ruck zieht der Schirm
nach oben. Wenn der Pilot den Kite
danach am Fensterrand stabilisiert,
kehrt wieder sanfte Ruhe ein. Ein
herrliches Spiel mit den Kräften des
Windes! Am äußersten Rand des Fensters können übrigens manche Schirme sogar einklappen, ganz wie ein
Gleitschirm, den der Pilot zu weit
vorschießen läßt. Der „Trainer“ bleibt
aber brav stehen wie ein Schulschirm
nach dem Rückwärtsstart, nur starke
Böen müssen natürlich vom Piloten
ausgesteuert werden.
Jetzt geht es an die Krönung: Wir
gehen mit Kite und Board ins Wasser.
Ein Kiteboard ist kürzer und leichter
als ein Surfbrett, und der Auftrieb ist
so gering, daß ein Rider ohne Speed
untergeht wie ein Stein. Der Kitesurfer muß sich also auf dem Rücken im
Wasser treiben lassen, die Füße in
die Schlaufen des Boards bringen und
gleichzeitig den Kite über dem Kopf
in der Luft halten. Danach muß er
durch starke Beschleunigungen der
Kappe ausreichend Energie sammeln,
7-01
61
Im Tiefflug: Rider beim Hochsprung
um sich auf das Board hieven und
danach noch beschleunigen zu können. Selbst für gestandene Windsurfer keine einfache Aufgabe!
Irgendwann, nach einigen mißglückten Versuchen und mit etlichen Tas-
Ein Beitrag aus Heft 07/2001 des Magazins
GLEITSCHIRM.
sen Lagunenwasser im Magen, klappt
es dann. Triumphierend reiten wir
über die Wasseroberfläche. Noch weit
entfernt von kühnen Sprüngen oder
eleganten Jibes, aber immerhin: Der
Schirm trägt, der Kitesurfer fährt.
Dabei will die Kappe ständig durch
Achterbewegungen bei Laune gehalten werden, und gleichzeitig muß die
Fahrtrichtung durch Fußsteuerung
beibehalten werden. Es klappt immer
besser. Erst schafft der frischgebakkene Kiter zehn Meter am Stück,
dann zwanzig, dreißig ... bis der
Schirm wegen eines Pilotenfehlers
eben doch irgendwann nicht mehr
ausreichend trägt und der Rider
plump abstürzt. Immerhin, trotz aller
Parallelen zum Gleitschirm-Sport: So
ein Absturz unter dem Kite bleibt
zum Glück spürbar weicher!
Internet: www.gleitschirm-magazin.com
Fotos: Frédérick Pattou
Nicht nur für die ersten Windspiele mit
dem Kite, sondern auch für die Wahl der
Ausrüstung ist fachkundige Beratung
unerläßlich. Kitesurf oder Snowkite?
Zweileiner, Vierleiner, Rogallo, Tubekite,
Matte, Hybrid? Gestreckter Schirm (hohe
„Aspect Ratio“ im Kiter-Jargon) oder
kleine „Aspect Ratio“? 15 oder 30 Meter
lange Leinen? Je nach Können und vor
allem nach Einsatzbereich werden vom
Kite vollkommen unterschiedliche Eigenschaften verlangt. Die Wahl des Boards ist
ebenfalls nicht einfach: kurz oder lang, großes oder kleines Volumen, Directional
(fährt nur in eine Richtung) oder Bi-Directional (kann in zwei Richtungen fahren) ...
Die Kitelehrer beantworten diese Fragen
und helfen, Fehlinvestitionen zu vermeiden. Für eine komplette Einsteigerausrüstung muß der angehende Tiefflieger mit
ungefähr 2.500,- DM rechnen: 1.000,- DM
für’s Board, 1.500,- DM für Kappe, Bar
(Lenkstange) und Leinen. Dazu kommt
noch ein Helm und, je nach Einsatzgebiet,
ein mehr oder weniger dicker Neopren-Anzug. Für sommerliche Touren im Mittelmeerraum reicht ein „Shorty“, in nördlicheren Breiten muß es dann schon ein echter Surfanzug sein.
Wir haben für die kalte Jahreszeit eine
besonders interessante Verpackung für uns
entdeckt: Der Überlebensanzug „TPS“ der
französischen Firma Guy Cotten ist eigentlich eher für Segelsportler in Extremsitu-
62
7-01
ationen konzipiert
worden. Der recht
leichte Trockenanzug ist wasserdicht
und treibt wie eine
Schwimmweste
auf. Der berühmte
Weltumsegler
Thierry
Dubois
(Vendée
Globe)
verdankt ihr sogar Foto: Sascha Burkhardt
nach eigener Aussage sein Leben nach der Kenterung seines
Schiffes in den kalten Fluten der südlichen
Eismeere. Selbst nach sechs Stunden
Aufenthalt in 0-2 Grad kaltem Wasser soll
die Temperatur im Anzug noch angenehm
sein. Ganz so wild haben wir es bei unseren Tests nicht getrieben, aber beispielsweise zwei Stunden „Body-Drag“ in der
novemberlichen Kälte eines mitteleuropäischen Sees hinterließen nur kuscheligwarme Erinnerungen! Und dies, obwohl
durch
die
starken
Strömungsgeschwindigkeiten beim Body-Drag eben
doch etwas Wasser in den Anzug gedrückt
wurde.
Auskünfte: http://www.guycotten.com/
(nach TPS suchen),
oder Guy Cotten, BP 538, 29185
Concarneau, Frankreich, Tel. 0033 2 9897
66 79, Fax 00 33 2 98 50 23 62
Die spanische Firma Windtech ist
auch Gleitschirmfliegern im deutschen Sprachraum mittlerweile gut
bekannt. Vor allem die Modelle
Ambar und Quarx haben zum
Renommee der asturischen Schirmschmiede beigetragen. Schon seit
1997 baut die Firma neben
Gleitschirmen auch Kites. Allerdings waren die ersten Modelle nur
für den Gebrauch an Land konzipiert, Wasserkites kamen erst zwei
Jahre später dazu.
Die entsprechende Erfahrung in
Konzeption und Fabrikation sieht
man dem Trainer sofort an. Der
Schirm ist nicht nur sehr gut verarbeitet, sondern weist auch einen
ausgereiften Charakter auf. Leichtes Startverhalten, gutes Handling
und stabile Flugeigenschaften
kennzeichnen diesen Kite. Vor
allem am Rand des Fensters ist
dies deutlich zu sehen. Er ist
selbst willentlich kaum zum Einklappen zu bewegen, läuft außerdem
gut Höhe und deckt als Allrounder
mit guter Leistung ein breites
Könnens-Spektrum ab.
Windtech gehört mit zu den ersten
Herstellern, die ihren Kites eine Notbremse verpaßt haben. Beim Trainer
kommt dazu eine dritte Leine zum
Einsatz, die an die Austrittskante angelenkt ist. Dadurch wird der Schirm
beim Loslassen der Bar gestallt.
Nachteil: Im Gegensatz zu anderen
Sicherheitssystemen bleibt manchmal noch etwas Rest-Druck im Segel.
Dafür ist diese Leine eine hervorragende Starthilfe, die Gleitschirmfliegern vertrautes Handling vermittelt.
Der Trainer 5.5 beispielsweise besteht aus 20 Zellen, hat eine projizierte Fläche von 4,78 m2, eine
Spannweite von 4,27 m (3,52 m projiziert), eine Streckung von 3,31 (2,6
projiziert). Für einen 75 kg schweren
Fahrer soll der mögliche Einsatzbereich bei Windgeschwindigkeiten
zwischen 14-22 Knoten (25-40
km/h) liegen.
Weitere Auskünfte:
Windtech,
francisco rodríguez · 7
33201 Gijón
p.o. box · 269 33280
Spanien
Tel +34 (0)985 357 696
Fax +34 (0)985 340 778
email [email protected]
http://www.windtech.es/
Vertretung in Deutschland:
Skyline Flight Gear
Weidach 1
83236 Übersee
Tel +49 (0)8642 267
[email protected]
www.skyline-flightgear.com
7-01
63