Grüne Freelancer - Wissenschaftsladen Bonn
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Grüne Freelancer - Wissenschaftsladen Bonn
Foto: © C.Voß, Wila Bonn Berichte und 300 Stellenanzeigen aus dem Arbeitsmarkt Umweltschutz sind Woche für Woche im arbeitsmarkt Umweltschutz l Naturwissenschaften. Informationen zum Abonnement unter www.wila-arbeitsmarkt.de n UNTERNEHMENSGRÜNDUNG Grüne Freelancer Die Chancen für eine erfolgreiche Selbstständigkeit im grünen Sektor stehen gut. Im Bereich der Umweltberufe haben besonders Spezialisten mit einer guten Geschäftsidee vielfältige Perspektiven. | Jan Hinnerk Roloff D ie Ökobranche boomt: Nachhaltigkeit ist das Schlagwort für eine Vielzahl von freien Entfaltungsmöglichkeiten für gut ausgebildete Naturwissenschaftler und Umweltfachleute. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) nennt Anfang 2012 die Zahl von 1,8 Millionen Erwerbstätigen im grünen Bereich – viele Freiberufler sind in dieser Statistik allerdings noch gar nicht erfasst. Der Erfolg der 2012 von der DBU ins Leben gerufenen Jobmesse „Perspektive Umweltberufe“ in Osnabrück verdeutlicht den wachsenden Bedarf an Fachkräften im Umweltbereich. Das Betätigungsfeld für die sogenannten grünen Berufe ist groß, die Karrierechancen vielfältig. Als freie Umweltjournalisten, Nachhaltigkeits- und Energieberater, Umweltplaner arbeitsmarkt UMWELTSCHUTZ | NATURWISSENSCHAFTEN und -ökomomen, Referenten, Lobbyisten, Techniker, Geographen, Lehrkräfte und Internet-Unternehmer schwimmen viele erfolgreich auf der grünen Welle. Als Solo-Selbstständige oder in kleinen Umweltbüros und Ökoagenturen finden Freiberufler oder Gewerbetreibende die ideale Berufsperspektive – wegen mangelnder Chancen auf Festanstellung, aus Überzeugung oder aufgrund einer unternehmerischen Vision. Immer mehr dieser grünen Freelancer werden auf Honorarbasis von verschiedenen Auftraggebern gesucht. Die Gründe dafür sind die gleichen wie in anderen Branchen: Viele Unternehmen oder öffentliche Arbeitgeber bauen Stellen ab und vergeben Aufträge an freie Mitarbeiter, Tendenz steigend. Damit wachsen 1 die Gefahren einer unsicheren Beschäftigung, aber auch die Chancen auf eine erfolgreiche Etablierung als Selbstständiger. Auch anverwandte Dienstleistungen und Zuarbeiten für grüne Projekte geben diesen Berufsgruppen vielfältige Perspektiven. Die wachsende Zahl von Jobs und Aufträgen für Freelancer in Umweltberufen bietet vielfältige Möglichkeiten, sich am Arbeitsmarktmarkt zu positionieren, vorausgesetzt man packt es richtig an. Wir werfen einen Blick auf einige Beispiele für vielversprechende und erfolgreiche grüne Unternehmungen und geben Tipps für die Selbständigkeit. Umweltjournalismus Der freie Journalismus ist ein hart umkämpftes Territorium. Für viele ist das Schreiben als Profession immer noch ein Traumberuf, daher ist die Konkurrenzsituation groß, und das drückt die Preise. Wer sich dauerhaft etablieren und gut verdienen möchte, muss sich spezialisieren. Besonders aussichtsreich ist derzeit das wachsende Segment des Umweltjournalismus. Umwelt- und Energiethemen nehmen einen immer breiteren Raum in den Medien ein, das zeigen auch die vielen neuen grünen Magazine, TV-Formate, Sonderseiten, Serien, Blogs und Kolumnen: „Global Ideas“ (Deutsche Welle TV), „klimaretter.info“, „Zeo2“ (taz), das Enorm-Magazin, „Grüne Revolution“ (sz), „Green Minds“ (Financial Times Deutschland), „Werkstatt Zukunft“ (GEO) oder Green New Deal (ZEIT) sind nur einige Beispiele für die zunehmende Bedeutung an Ökothemen in den Medien. Wer sich für eine Karriere als Umweltjournalist interessiert, hat vielfältige Einstiegsmöglichkeiten in die Branche. Vor allem naturwissenschaftlich und technisch vorgebildete Journalisten gibt es zu wenig. Daher bietet sich ein Seiteneinstieg für Fachleute an. Viele Medien suchen aktiv nach freien Redakteuren und Autoren sowie Geschichten mit dem Fokus auf Nachhaltigkeit, gleichzeitig gibt es natürlich auch eine Offenheit für hrsg. vom Wissenschaftladen Bonn e.V., Buschstr. 85, 53113 Bonn [email protected], Tel. 0228/20161-15 Berichte und 300 Stellenanzeigen aus dem Arbeitsmarkt Umweltschutz sind Woche für Woche im arbeitsmarkt Umweltschutz l Naturwissenschaften. Informationen zum Abonnement unter www.wila-arbeitsmarkt.de initiative Vorschläge für entsprechende Beiträge. Dabei sind grüne Themen nicht nur in den Fachmedien oder den klassischen Umweltmagazinen zu finden, sondern auch in Kampagnen wie „Green Seven“ bei Pro7 oder mit kulturellen und sozialen Aspekten in nahezu allen anderen Ressorts der Medien, vor allem aber auf unzähligen Websites. Wer als Umsteiger, Autodidakt oder Volontär bereits erste Berufserfahrung gesammelt hat, kann an der Leuphana Universität Lüneburg ein Aufbaustudium für angehende Umweltjournalisten belegen. Das kostenpflichtige Zertifikatsstudium „Journalismus und Nachhaltigkeit“ startet im Oktober 2012. Das berufsbegleitende Studium dauert zwei Semester und ver- Hochschule Bremen, im Seminar „Journalistische Handlungsfelder“ der Universität Hamburg und im Studiengang Technikjournalismus an der FH Bonn-Rhein-Sieg stehen grüne Themen auf der Agenda. Klassische Umweltberufe bieten Chancen für Freie Für Landschaftsplaner, Geographen, Biologen, Mikrobiologen und Umweltanalytiker bietet die Auftragsvergabe aus dem öffentlichen Sektor (Bund, Länder, Kommunen) gute Chancen für Selbstständigkeit und Unternehmensgründung. Der Personalabbau im öffentlichen Dienst führt dazu, dass viele dieser Leistungen durch selbstständige Auftragnehmer ab- Neugierig sein und den Sprung wagen – die klassischen Umweltberufe bieten auch Freien gute Chancen Foto:© Luise/pixelio.de mittelt komplexe Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen wie Nachhaltigkeitspolitik, grüne Wirtschaft, Umweltpsychologie und Lebensstilforschung, aber auch Fachwissen in Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Fachjournalismus mit Umweltmodulen kann man in den Bachelor-Studiengängen für Wissenschaftsjournalismus an der Fachhochschule Darmstadt und der Universität Dortmund studieren. Auch im Studiengang Fachjournalismus der gewickelt werden. Das bedeutet letztlich, dass die Jobs, die früher in Verwaltungen bearbeitet wurden, mittlerweile zu einem großen Teil outgesourct werden. Ein weiterer Vorteil dieser Situation ist, dass öffentliche Auftraggeber in der Regel eine gute Bezahlung anbieten, dass macht die freie Mitarbeit besonders attraktiv. Problematisch ist einzig die schwierige Voraussagbarkeit der zukünftigen Marktsituation. Theoretisch werden in den kommenden arbeitsmarkt UMWELTSCHUTZ | NATURWISSENSCHAFTEN 2 Jahren aber eine Reihe von Auftraggebern aus dem öffentlichen Sektor eine steigende Anzahl von Projekten an Freie zu vergeben haben. Die öffentliche Hand hat im Umweltbereich bestimmte Pflichtaufgaben, die sie erfüllen muss. Dafür verantwortlich ist nicht zuletzt die Zunahme von Regularien und gesetzlichen Vorschriften, welche die Umweltbehörden nicht mehr mit den eigenen Ressourcen bearbeiten können. Die Verwaltungen vergeben daher etwa Gutachteraufgaben und andere Tätigkeiten an Externe: Gewässerkartierungen, Gutachten zur Bodenstruktur in Bergbaugebieten, für die Bestandsaufnahme von schützenswerten Tierarten und Biotopen. All das ist Futter für die Freelancer. Einzelkämpfer oder 2-Mann-Betriebe können schnell und flexibel, vor allen Dingen aber kostengünstiger als die Behörden diese Aufgaben übernehmen. Wer hier einmal den Fuß in der Tür hat und/oder sich darauf spezialisiert, bestimmte öffentliche Aufträge zu bearbeiten, hat gute Chancen auf eine erfolgreiche Karriere in diesem Bereich. Die Entwicklung der öffentlichen Auftragsvergabe lässt sich schwer prognostizieren und hängt sehr stark von der politischen Großwetterlage ab. Neue gesetzliche Regelungen spielen dabei eine wichtige Rolle. „So formuliert zum Beispiel die EU-Wasserrahmenrichtlinie Aufgaben, die eigentlich nur durch private Auftragnehmer erfüllt werden können – da für neue Aufgaben kaum zusätzliche Stellen im öffentlichen Dienst geschaffen werden“, sagt Dr. Andreas Müller, Diplom-Chemiker und Geschäftsführer des Planungs- und Beratungsbüros chromgruen (siehe unten stehendes Interview). Dazu führt Müller weiter aus: „Gleichzeitig haben wir und andere davon profitiert, dass nicht selten gesetzliche Regelungen – insbesondere von der EU – formuliert wurden, deren Umsetzung zunächst das Erarbeiten von Grundlagen erforderte. Das heißt, es musste durch Entwicklungsvorhaben konkretisiert werden, wie eine Umset- hrsg. vom Wissenschaftladen Bonn e.V., Buschstr. 85, 53113 Bonn [email protected], Tel. 0228/20161-15 Berichte und 300 Stellenanzeigen aus dem Arbeitsmarkt Umweltschutz sind Woche für Woche im arbeitsmarkt Umweltschutz l Naturwissenschaften. Informationen zum Abonnement unter www.wila-arbeitsmarkt.de Erfolgreiche Internetplattform für strategischen Konsum – Screenshot von utopia.de zung überhaupt aussehen kann. Das hat zu interessanten Projekten für uns und viele andere zum Beispiel im Kontext der EU-Wasserrahmenrichtlinie geführt, aber auch zum Beispiel im Chemikalienrecht im Kontext von REACH.“ Daraus folgt laut Müller, dass die konsequente Umsetzung europäischen Rechts in Zukunft für ein steigendes Auftragsvolumen an private grüne Auftragnehmer führen müsste. Ob dies auch tatsächlich geschehe, hänge dann stark von der jeweiligen Interpretation in den Ländern ab. Aber nicht nur Umweltschutz und öffentliche Aufträge werden immer LITERATUR Broschüre des Wissenschaftsladen Bonn e.V. für Gründer „Geisteswissenschaftler als Gründer“ – ganz frisch erschienen ist die 5. aktualisierte Auflage des Gründer-Ratgebers, der auch für Natur- und Umweltwissenschaftler interessante Informationen rund um die Gründung bietet (www.wilabonn.de). arbeitsmarkt UMWELTSCHUTZ | NATURWISSENSCHAFTEN wichtiger, auch in Unternehmen steigt das Bedürfnis, die Herstellung von Produkten effizienter zu gestalten und durch intelligente Lösungen weniger Ressourcen und Energie zu verbrauchen. Deutsche Unternehmen zählen aufgrund ihrer Innovationskraft zu den Technologieführern. Damit das so bleibt, werden ständig gut ausgebildete Fachkräfte in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT) gesucht. Diese Aufgaben übernehmen zunehmend auch freie Mitarbeiter, was immer häufiger den Ausschreibungen der einschlägigen Jobbörsen zu entnehmen ist. Internetwirtschaft Claudia Langer, Gründerin und Aufsichtsratsvorsitzende von utopia.de – einer sehr bekannten und erfolgreichen Internet-Plattform für strategischen Konsum und Nachhaltigkeit – hat im Jahr 2006 mit einem kleinen Team angefangen. Aus der Vision, für ein umweltbewusstes Leben einzutreten und diese Idee zu verbreiten, wurde Wirklichkeit. Utopia ist sicher die Speerspitze des grünen Aktivis- 3 mus im Internet, aber ein gutes Beispiel für die Entwicklungschancen grüner Unternehmungen im Web. Ein Vielzahl von Start-ups und Webseiten mit Nachhaltigkeitsfokus belegen die Tatsache, dass sich grüne Geschäftsideen erfolgreich im Internet verwirklichen lassen. Dabei reicht die Bandbreite von Shops, Magazinen und Ratgeber-Seiten bis hin zu vielen anderen Dienstleistungen. Derzeit sorgt Utopia-Gründerin Langer mit dem Buch „Die Generation Manmüsste-mal. Eine Streitschrift“ für Furore. Langer macht in dem Buch ihrer Wut über die Gesellschaft Luft, vieles über die Themen Umweltzerstörung, Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu wissen, aber zu wenig zu tun. Dabei gibt sie auch zahlreiche konkrete Handlungsanweisungen. Sie spricht dabei viele Themenfelder an, die der Ökobranche Perspektiven für konkrete Geschäftsideen eröffnen könnten. Inspiration für eine eigene Gründung liefert Langer als Vollblut-Unternehmerin zuhauf. Das Buch ist also durchaus eine Lektüre wert, um Anregungen zwischen den Zeilen zu finden. Ein paar Worte zur Selbstständigkeit Freie Zeiteinteilung, keinen Chef über sich haben, keine unliebsamen Kollegen – für viele ist das ein Wunschtraum. Die Selbstständigkeit bietet tatsächlich vielfältige Chancen und Perspektiven, birgt aber auch einige Fallstricke und Schwierigkeiten. Bei der Gründung stehen viele Entscheidungen und Herausforderungen an. Gründungsberatungen können helfen, aber letztlich ist man auf sich gestellt. So kann der Berufsalltag dann zunächst auch einmal anders aussehen als erträumt: 60 Stunden-Wochen, kein richtiger Feierabend, psychische und wirtschaftliche Belastungen. Oder die ersten Aufträge lassen erstmal auf sich warten. Gerade im grünen Bereich stehen die Chancen jedoch nicht schlecht für eine erfolgreiche Start-up-Karriere als Gründer. hrsg. vom Wissenschaftladen Bonn e.V., Buschstr. 85, 53113 Bonn [email protected], Tel. 0228/20161-15 Berichte und 300 Stellenanzeigen aus dem Arbeitsmarkt Umweltschutz sind Woche für Woche im arbeitsmarkt Umweltschutz l Naturwissenschaften. Informationen zum Abonnement unter www.wila-arbeitsmarkt.de Zunächst einmal sollte sich jedoch jeder Interessierte ausreichend Zeit nehmen, um Geschäftsidee, Fördermöglichkeiten und Anforderungen genau zu durchdenken. Dabei sollte man sich am besten einen Marktüberblick verschaffen und die Zielgruppe festlegen. Über ein Mission Statement (die Geschäftsidee), die Corporate Identity (UnternehmensPersönlichkeit) und das Alleinstellungs- LINKS http://www.vergabe.de/ auftragsdatenbanken.htm Die Auftragsdatenbanken der Vergabe-Info Online aus Bonn (VOB) enthalten öffentliche Aufträge, die von den jeweiligen Vergabestellen ausgeschrieben werden. Diese sind besonders interessant für Unternehmen, die an öffentliche Aufträge kommen wollen. Der Zugang ist teilweise kostenpflichtig. http://www.utopia.de Internet-Plattform für strategischen Konsum und Nachhaltigkeit Berufsverbände für Umweltberufe http://www.bwk-bund.de BWK Bundesverband für Umweltingenieure Der Bund der Ingenieure für Wasserwirtschaft, Abfallwirtschaft und Kulturbau (BWK) ist ein technisch-wissenschaftlicher Verband von Fachleuten im Umweltschutz. Der BWK ist auch für Studierende offen und bietet u. a. Fort- und Weiterbildungen, Informationsveranstaltungen, Erfahrungsaustausch, Netzwerk http://de.dwa.de Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft Besonders interessant für Freelancer sind Stellenmarkt, Newsletter und Veranstaltungen merkmal (USP) der eigenen Unternehmung kann man sich dann langsam dem Business-Plan nähern. Grundsätzlich sollte man den eigenen Geschäftssinn hinterfragen: Spezialisierung, Qualität der Geschäftsidee, Dienstleistungsmentalität, Kundenorientierung und Selbstmarketing sind dabei die wichtigsten Punkte. Man sollte sich jedoch darüber im Klaren sein, dass ein erzwungener Weg in die Selbstständigkeit in den meisten Fällen zum Scheitern führt. Nur wer hartnäckig und aus Überzeugung ein gutes Konzept vertritt, wird dieses später auch erfolgreich verkaufen können. n INTERVIEW Mit dem Chemiker Dr. Andreas Müller, Geschäftsführer des Planungs- und Beratungsbüros chromgruen, sprach Jan Hinnerk Roloff. arbeitsmarkt: Wie kam es zur Gründung von chromgrün? Welche Dienstleistungen bieten Sie an? Dr. Andreas Müller: Die chromgruen Planungs- und Beratungs- GmbH & Co. KG ist im Jahr 2005 als Nachfolgeunternehmen der Firmen „Büro für Umweltanalytik“ und „Medien und Umwelt“ gegründet worden. Ich war einer der beiden Gründer und Gesellschafter der „Büro für Umweltanalytik GbR“ (Gründungsjahr 1989) und der „Medien und Umwelt GbR“ (Gründungsjahr 1990). Bei chromgruen bin ich nun alleiniger Geschäftsführer. Unsere Arbeitsschwerpunkte sind die Entwicklung umwelt- und raumbezogener Software sowie Forschungs- und Beratungsprojekte in den Bereichen Gewässerschutz, Umweltmanagement und Arbeitsschutz. Wie sehen Sie die Zukunft Ihres Unternehmens? Insbesondere in den letzten beiden Jahren haben wir uns gut entwickelt. In einigen Arbeitsfeldern haben wir uns gewisse Alleinstellungsmerkmale erarbeitet, so dass ich davon ausgehe, dass wir auch arbeitsmarkt UMWELTSCHUTZ | NATURWISSENSCHAFTEN 4 weiterhin gut zu tun haben werden. Allerdings ist mein Ziel nicht Wachstum um jeden Preis. Eine reine Management-Tätigkeit kommt für mich nicht in Frage, dazu bin ich zu sehr Wissenschaftler. Welche Arbeitsfelder halten Sie für besonders aussichtsreich im grünen Bereich? Es fällt mir schwer, bestimmte Arbeitsfelder zu benennen. Generell sehe ich ein Defizit an transdisziplinärer Arbeit. Das heißt zum Beispiel, dass sich Arbeitsschützer und Umweltschützer mit Chemikalien beschäftigen. Aber aus getrennten Blickwinkeln, mit unterschiedlicher Nomenklatur und oft, ohne mögliche Synergieeffekte zu erkennen. Einer unserer Erfolgsfaktoren war – so glaube ich – dass wir in verschiedenen Bereichen arbeiten und dort auch als „Experten“ akzeptiert sind. So können wir Erfahrungen von einem Bereich in den anderen transportieren und damit neue Wege aufzeigen. Und natürlich sind wir so auch besser vor konjunkturellen Schwankungen abgesichert. Welche Chancen gibt es Ihrer Ansicht nach derzeit am Arbeitsmarkt für grüne Unternehmen bzw. Freelancer mit Nachhaltigkeitsfokus? Das kann ich nur schwer beurteilen. Da fehlt mir der Branchenüberblick. Ich kann nur wiederholen, dass wir gut zu tun haben und gerade weil wir so klein sind, immer auch projektbezogen mit Freelancern oder auch anderen Unternehmen kooperieren. Ich leite ein Beratungsunternehmen, daher liegt hier natürlich mein Hauptaugenmerk. Aber wenn ich heute noch einmal ein „grünes“ Unternehmen gründen würde, würde ich versuchen, konkretere Produkte zu erzeugen oder zu verkaufen. Also vielleicht eine Energiegenossenschaft oder ein Handelsunternehmen für nachhaltige Produkte. Daneben glaube ich, dass zum Beispiel der Bereich der Energieberatung Wachstumschancen bietet, aber auch das kreative Schließen von Lücken in Stoffkreisläufen – nur sind hrsg. vom Wissenschaftladen Bonn e.V., Buschstr. 85, 53113 Bonn [email protected], Tel. 0228/20161-15 Berichte und 300 Stellenanzeigen aus dem Arbeitsmarkt Umweltschutz sind Woche für Woche im arbeitsmarkt Umweltschutz l Naturwissenschaften. Informationen zum Abonnement unter www.wila-arbeitsmarkt.de dies natürlich wieder technische Dienstleistungen bzw. klassische Ingenieurtätigkeiten. Ein weiterer Bereich wären Bauunternehmen, die sich auf ökologisches Bauen und zum Beispiel das Optimieren von Gebäuden – in Bezug auf Energieverbrauch und Raumklima – spezialisieren. Auch zum Beispiel bei der Gewässerrenaturierung sind – theoretisch – in den nächsten Jahren Milliardeninvestitionen erforderlich, die nicht nur ökologisch geplant werden müssen, sondern wo die Umsetzung auch ökologisches Bewusstsein und Kenntnisse erfordert. Welchen Rat haben Sie für Menschen mit Umweltberufen, die eine Selbstständigkeit oder Unternehmensgründung planen? Wenn es nicht gerade in Richtung eines Unternehmens wie „SolarWorld“ geht, müssen Sie sich darüber klar sein, dass Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit deutlich weniger Geld verdienen werden als Menschen, die in anderen Branchen das Gleiche tun wie Sie oder die die gleiche Ausbildung genossen haben. Ein Landschaftsarchitekt, der ökologische Gutachten erstellt, erhält deutlich geringere Honorare als sein Kollege, der zum Beispiel die Grünanlage für einen Firmensitz plant. Welche Rolle spielen Aufträge aus dem öffentlichen Sektor? chromgruen ist zu nahezu 100 Prozent für öffentliche Einrichtungen (Bund, Länder, Gemeinden) tätig. Allerdings sind auch Privatunternehmen, entweder aufgrund gesetzlicher Verpflichtungen oder aufgrund eigenen Engagements oder auch aufgrund von Selbstverpflichtungen wie zum Beispiel Umweltmanagementsystemen, als Auftraggeber relevant. In jedem Fall stellen wir fest, dass in dem Maße, in dem staatliche Umweltpflichten reduziert werden, auch unser Auftragsvolumen zurückgeht. So hat zum Beispiel die Deregulierung nach der deutschen Wiedervereinigung – Stichwort Investitionserleichterungsgesetze - dazu geführt, dass nicht wenige Arbeitsplätze im „grüarbeitsmarkt UMWELTSCHUTZ | NATURWISSENSCHAFTEN nen“ Bereich, zum Beispiel bei Landschaftsplanern, verloren gegangen sind. Wo finden Gründer und Selbstständige Beratungsangebote und Hilfestellung? Der Beginn meiner Selbstständigkeit liegt nun 20 Jahre zurück. Damals haben wir unser erstes Unternehmen völlig ohne die heute üblichen Beratungs- und Trainingsangebote und auch ohne öffentliche Förderung aufgebaut. Später habe ich vereinzelt Gespräche mit Beratern, zum Beispiel bei den Industrie- und Handelskammern oder Wirtschaftsförderungsämtern, geführt und dabei festgestellt, dass diese zumeist von meinem spezifischen Geschäftsfeld – das ja immer noch relativ exotisch ist – keine Ahnung hatten. Welche Netzwerke gibt es, in denen sich grüne Freiberufler und Unternehmen organisieren, austauschen und gegenseitig unterstützen? Hier kann ich aus meiner Erfahrung nur die verschiedenen Berufsverbände benennen. Also zum Beispiel BWK oder DWA. Ansonsten bilden sich im Laufe der Zeit eben auch informelle Netzwerke über die in meinem Fall nicht selten ad hoc Kooperationen entstanden sind, um ein spezifisches Projekt zu bearbeiten. Als internet-affine Person, schließlich arbeiten wir auch im IT-Bereich, sei mir der Einwurf erlaubt, dass die in den letzten Jahren so hoch gehypten „sozialen Netzwerke“ mir bisher noch nichts Konkretes gebracht haben – außer Angeboten von Versicherungsmaklern. Wie sieht Ihre Prognose für die Zukunft der Branche aus, wenn man überhaupt von einer homogenen Gruppe sprechen kann? Hier muss ich wieder darauf hinweisen, dass meine Erfahrungen primär aus dem öffentlichen Bereich stammen. Rational – also aufgrund des objektiven Handlungsbedarfs – gesehen müsste hier die Prognose noch viele Jahre gut sein. Ich fürchte aber – und das lässt sich an Politikeräuße- 5 rungen bereits ablesen – dass der akut beschworene „Sparzwang“ dazu führen wird, dass wieder Umweltstandards abgebaut werden bzw. Vollzugsdefizite weiterhin ignoriert werden. Und das führt dann dazu, dass die Nachfrage nach „grünen“ Dienstleistungen oder Produkten sinkt. Was halten Sie noch für wichtig im behandelten Kontext, was möchten Sie unseren Lesern gerne noch mitgeben? Vielleicht noch den Hinweis, dass ich gelernt habe, dass die rein technische Sichtweise auf Umwelt- und Nachhaltigkeitsaspekte nicht zum Ziel führt. Alle technischen Probleme, denen ich in Projekten begegnet bin, waren zumeist sehr viel leichter lösbar als die nicht-technischen, die zum Beispiel aus mangelhafter Kommunikation, falschen Erwartungen oder aus anderen menschlichen „Schwächen“ resultierten. Die Konsequenz daraus ist für mich, zu Beginn eines Projektes stets die Frage zu stellen „Was will der Kunde wirklich?“ und bei der Problemanalyse eben nicht nur technische Aspekte zu betrachten. INTERVIEWPARTNER Der DiplomChemiker Dr. Andreas Müller, Jahrgang 1962, studierte Chemie, Informatik und Politikwissenschaften. Neben seiner unternehmerischen Tätigkeit ist er Dozent an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (Standort Lörrach) für das Fach Umwelt- und Sicherheitstechnik sowie Arbeitgebervertreter im Prüfungsausschuss der IHK Düsseldorf, Ausbildungsgang Betriebswirt. Zudem wirkt er regelmäßig in Fachgremien zum Beispiel der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft (DWA) mit. hrsg. vom Wissenschaftladen Bonn e.V., Buschstr. 85, 53113 Bonn [email protected], Tel. 0228/20161-15