Der IT-gestützte Kampf gegen Arzneimittelfälschungen

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Der IT-gestützte Kampf gegen Arzneimittelfälschungen
Fokus Verpackung
Der IT-gestützte Kampf gegen
Arzneimittelfälschungen
Dr. Markus Fuchslocher . Atos, Stuttgart
J. M. (Hans) Bijl . Siemens, Antwerpen (Niederlande)
Zusammenfassung
Geschätzte fünf Prozent aller weltweit verkauften Medikamente sind Fälschungen –
Tendenz steigend. Angesichts dieser Entwicklung gewinnt der Schutz von Produkten und
Marken in der Pharmabranche an Bedeutung. Nicht nur, dass gefälschte Medikamente
die Gesundheit ahnungsloser Patienten gefährden, auch können Schäden in Millionenhöhe entstehen, wenn Plagiate das Image und den Ruf der legitimen Hersteller nachhaltig beschädigen. Um dieser Entwicklung gezielt entgegenzuwirken, müssen Hersteller
ihre weltweiten Verpackungslinien und Vertriebszentren so anpassen, dass eine eindeutige Serialisierung der Medikamente möglich ist. Darüber hinaus gilt es auf nationaler
Ebene und im Idealfall mit allen Beteiligten in der pharmazeutischen Absatzkette Pilotprojekte zu starten, um in den Apotheken eine Authentifizierung in Echtzeit umzusetzen.
Autoren
Markus Fuchslocher
Dr. Markus Fuchslocher verantwortet bei Atos das
globale Pharmageschäft. Er studierte Wirtschaftsingenieurwesen und promovierte berufsbegleitend
an der TU Darmstadt. Nach zehn Jahren in der
Strategie- und Prozessberatung übernahm er bei
Siemens internationale Führungspositionen im
Bereich Business Development für die Pharmabranche und andere Prozessindustrien.
200
J. M. (Hans) Bijl ist
Senior Manager
Business Development Life Science bei der Siemens AG. Er studierte Maschinenbau in Rotterdam. Seit 2000 ist
er innerhalb des
Siemens-Konzerns im Business
J. M. (Hans) Bijl
Development für
die Pharmabranche tätig. Sein Fokus liegt auf Innovationsthemen
und der Entwicklung des regionalen Pharmageschäfts, unter anderem in China und Brasilien. Er
verantwortet darüber hinaus bei Siemens das
Thema Serialisierung in der Pharmabranche und
hat bereits eine Reihe von Vorträgen und Artikeln
zu pharmazeutischen Innovationsthemen in Europa und Asien publiziert.
Fuchslocher und Bijl . Serialisierung gegen Arzneimittelfälschungen
1. Vielschichtige
Anforderungen und
Unklarheiten
Um die Patienten und die Pharmaindustrie vor Medikamentenfälschungen zu schützen, ist eine eindeutige Identifizierung, Verfolgung
und Überwachung pharmazeutischer Produkte erforderlich. Die Serialisierung auf der Ebene einzelner
Produkte wird daher weltweit zu
einer Standardanforderung werden.
In vielen Ländern rund um den Globus bringen die zuständigen Behörden derzeit Verordnungen auf den
Weg, um das Verfolgen und Überwachen von Medikamenten mittels
Serialisierung durchzusetzen. Laut
der EU-Direktive 2011/62/EU vom
8. Juni 2011 müssen voraussichtlich
ab 2017 verschreibungspflichtige
Medikamente in allen EU-Staaten
serialisiert werden [1]. Doch trotz
des globalen Charakters moderner
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Korrespondenz: Dr. Markus Fuchslocher, Weissacher Str. 11, 70499 Stuttgart;
e-mail: [email protected]
pharmazeutischer Lieferketten sind
die Gesetze und Regulierungen
nach wie vor sehr inkonsistent
und unterscheiden sich von Land
zu Land. Einige Länder wie
Brasilien haben die Einführung
zwar längst angekündigt, diese jedoch schon mehrere Male verschoben. Auch der Serialisierungsgrad
ist national unterschiedlich geregelt. Während einige Regionen nur
eine einzelne Nummer auf jeder Packung vorschreiben, verfolgen andere einen so genannten Aggregationsansatz. Das bedeutet, dass hierarchische Informationen verknüpft und gespeichert werden
müssen, wenn die Produkte verpackt, gebündelt und palletiert
werden. Dies wirkt sich auf die
technischen Anforderungen aus,
sowohl im Hinblick auf die Datenverarbeitung als auf die Vernetzung
der einzelnen Verpackungsschritte.
Hinzu kommt, dass die Produktionsstätten vieler Pharmaunternehmen über den Globus verteilt
und mit unterschiedlichen Anlagen
sowie unterschiedlich konfigurierterten IT-Infrastrukturen ausgestattet sind, wobei jedes Werk für
andere Märkte und somit unter
anderen Regulationsanforderungen
produziert.
Angesichts der zahlreichen variablen und unbekannten Faktoren ist es
umso wichtiger, die Gesamtbetriebskosten (Total Cost of Ownership,
TCO) für die Serialisierungslösung
übergreifend zu erfassen und sie unter zentraler Führung und globalen
Standards zu managen. Lokale Einzellösungen von regionalen Systemintegratoren mögen mit Blick auf
die reinen Implementierungskosten
finanziell attraktiv erscheinen, die
Kosten für Wartung und Upgrades
sowie für Schulungen können sich jedoch auf das ganze Unternehmen
wertvernichtend auswirken. Daher
sollten Pharmaunternehmen ihre globalen Standards klar definieren und
ihre Anforderungen so weit wie möglich durch das Anpassen vorkonfigurierter Serialisierungsanwendungen
erfüllen.
2. Herausforderungen für
Pharmaunternehmen
2.1. Höchste Anforderungen an
Leistung, Verfügbarkeit und
Datensicherheit
Die Serialisierung einer einzelnen
Verpackungseinheit ist für Pharmaunternehmen ein sehr komplexer
Prozess. Eine effektive Umsetzung
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2.2. Ganzheitliche Architektur
zur medienbruchfreien
Serialisierung
Die meisten Hersteller haben bereits
Systeme für ihre Verpackungsanlagen validiert. Nun gilt es, die Serialisierungssysteme mit diesen Anlagen
zu verknüpfen, ohne die Validierung
noch einmal komplett neu aufrollen
zu müssen. Häufig sind zudem die
Welten der Produktions-IT und die
Unternehmens-IT nicht medienbruchfrei miteinander verbunden.
Um dies sicherzustellen, müssen die
Pharmaunternehmen eine globale
Architektur auf allen Ebenen schaffen, mit der sich Daten über Schnittstellen abgleichen und übermitteln
lassen. Eine große Aufgabe für die
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Abb. 1: Komplexität durch vielschichtige Anforderungen (Quelle: Siemens).
setzt die medienbruchfreie Integration des
notwendigen
technischen
Serialisierungsequipments
in
bestehende
Verpackungslinien voraus.
Die Kommunikation
muss in beide Richtungen hochperformant
erfolgen: sowohl zu
den Verpackungslinien
als auch von diesen zurück zum Enterprise
Resource
Planning
(ERP)-System. Milliarden von Seriennummern müssen generiert, auf die Medikamentenschachteln gedruckt und die Historie
in Datenbanken gespeichert werden. Dabei darf die
Produktivität der Anlagen nicht beeinträchtigt werden – das bedeutet
höchste Anforderungen an Verfügbarkeit und Datensicherheit. Abb. 1
fasst die Komplexität zusammen,
die sich aus den verschiedenen regionalen Gesetzeslagen und der sich
daraus ergebenden Infrastruktur an
der Verpackungslinie sowie in den
übergeordneten IT-Systemen ergibt.
Die entscheidende Frage: Wie viel
Standard ist möglich, wie viel Flexibilität und Skalierbarkeit nötig?
Fokus Verpackung
IT-Systeme, sowohl auf Site-Level
(Standortebene) als auch auf LineLevel (Ebene der Verpackungslinie).
Abb. 2 fasst die wesentlichen Elemente zusammen, die innerhalb eines Pharmaunternehmens für die Serialisierung von Medikamenten umzusetzen sind. Sie zeigt eine Verpackungslinie, an der Blister in die
kleinste Verkaufseinheit gepackt
werden (unterhalb von 2). Diese wird
wiederum in so genannte Bündel
(unterhalb von 5) und Kartons (unterhalb von 8) verpackt sowie anschließend auf Paletten verladen (unterhalb von 18). An einem Produktionsstandort (Site) sind mehrere Verpackungslinien in Betrieb. An den genannten Stationen 2, 5, 8 und 18
muss die jeweilige Verpackungseinheit mit einem Code versehen werden. In der Regel handelt es sich hierbei um einen zweidimensionalen
Code, dem so genannten 2D- oder
Datamatrix-Code. Dieser muss anschließend verifiziert werden. Beides
erfolgt auf Level 1 mit Hilfe von Druckern und Kameras. Beim Einsatz
von RFID (Radio Frequency Identification) – zum Beispiel auf Kartonoder Palettenebene – übernehmen
spezielle Schreib- und Lesegeräte
diese Aufgabe.
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2.3. Anforderungen an ein
Serialisierungssystem
Die Anforderungen an ein Serialisierungssystem sind vielschichtig und
können von Pharmaunternehmen
zu Pharmaunternehmen unterschiedlich priorisiert werden. Die
nachfolgenden Abschnitte erheben
daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern sollen lediglich dazu
anregen, die jeweiligen spezifischen
Anforderungen detailliert im so genannten Pflichtenheft zu erfassen.
2.3.1. Generelle Anforderungen
Die Serialisierungslösung muss alle
landesspezifischen regulatorischen
Anforderungen erfüllen. Zudem darf
sie die Produktivität der Verpackungslinie nicht beeinträchtigen.
Ferner muss das System so ausgelegt
sein, dass die Produktionsprogrammplanung nicht von der Serialisierungslösung abhängt. Das bedeutet auch, dass die Verfügbarkeit
rund um die Uhr an sieben Tagen in
der Woche sichergestellt sein muss.
Darüber hinaus sollte die Serialisierungslösung so offen und flexibel
sein, dass sie unabhängig von der
installierten Basis vor Ort ohne größeren Aufwand integriert werden
kann.
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2.3.2. Technische Anforderungen
Sicherheit: Der Zugang zur Serialisierungssoftware sollte rollenbasiert
sein. Nicht jeder am Verpackungsprozess beteiligte Mitarbeiter benötigt die gleichen Rechte, beispielsweise das Recht, Produkt Master
Data oder Verpackungsparameter
verändern zu dürfen. Eine Reihe
von weiteren Sicherheitsaspekten
gilt es zu bedenken, wie die nachfolgenden zwei Beispiele zeigen:
. Eine Charge sollte nur dann gestartet werden können, wenn ausreichend Seriennummern für diese
zur Verfügung stehen.
. Backups und Wiederherstellungsprozesse für die Daten müssen für
alle Level umgesetzt sein.
Flexibilität: Die spezifischen Datenformate des Ziellandes, die an die
Drucker gesendet werden, sollten
Template-basiert sein, um eine effiziente mögliche Anpassung an die
individuellen Anforderungen an den
jeweiligen Produktionsstandorten sicherzustellen.
Sprache: Die Serialisierungslösung
sollte die Sprachen der Produktionsstandorte und der Zielländer unterstützen, unter anderem, um Berichte
in der Landessprache zu ermöglichen.
Das bedeutet auch, dass das Drucken
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Abb. 2: Serialisierungsarchitektur von der Verpackungslinie bis zum unternehmensweiten IT-System (Quelle: Atos und Siemens).
Abb. 3: Verifizierung einer Medikamentenschachtel in der Apotheke (Quelle: Atos).
Exception Handling (Umgang
mit Ausnahmen): Auf jeder Hierarchie-Ebene muss die Möglichkeit
zum manuellen Eingriff gegeben
sein, beispielsweise zur Entnahme einer Verpackungseinheit und zum Ersetzen durch eine andere. Zudem ist
der Eingriff im IT-System automatisch zu korrigieren.
Schnittstellen: Das Serialisierungssystem steht mit anderen ITSystemen in kontinuierlichem Datenaustausch, etwa für Produktund Chargen-Informationen mit
dem unternehmensweiten ERP-System oder einem MES (Manufacturing
Execution System). Darüber hinaus
muss ein Austausch mit dem SCADA
(Supervisory Control and Data
Acquisition)-System stattfinden, damit über dieses beispielsweise kritische Alarme an der Linie umgesetzt
werden können.
2.4. Technische Umsetzung von
Serialisierung
Um jede Verpackung mit Hilfe einer
individuellen Seriennummer eindeutig identifizieren zu können,
müssen die Nummern für die jeweiligen Verpackungschargen verfügbar
sein. Je nach Land wird ein solches
Nummernband entweder zentral bereitgestellt oder durch einen Zufallsgenerator nach bestimmten Regeln
erzeugt. Dieser kann Teil der zentralen ERP-Applikation oder der so genannten Site Manager Software sein.
Aufgabe des Site Managers ist es zu-
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dem, die Anzahl der noch ungenutzten Nummern über alle zugehörigen
Verpackungslinien hinweg zu überwachen und bei Bedarf neue anzufordern. Außerdem weist er den jeweiligen Verpackungschargen die
Nummernbänder zu und gibt die Information an die entsprechende
Line Manager Software weiter. Der
Line Manager steuert und überwacht, welche Seriennummer auf
welche Verpackungseinheit gedruckt wurde, in welchem Bündel,
in welchem Karton und auf welcher
Palette sie letztendlich landet. Diese
Aggregationsdaten werden nach Abschluss des Chargenlaufs an den Site
Manager gemeldet – ebenso wie Geräte-Stati (Drucker, Kameras etc.),
Error Log, Audit Trail und Chargen-Statistiken.
Idealerweise sollte der Line Manager PLC (Programmable Logic Controller)-basiert sein, um den hohen
Anforderungen bezüglich Ausfallsicherheit und Geschwindigkeit (300
bis teilweise über 500 Verpackungseinheiten pro Minute) gerecht zu
werden. Dadurch wird das Risiko an
der Verpackungslinie auf ein Minimum reduziert. Das Validieren der
Software ist Voraussetzung, um den
hohen regulatorischen Anforderungen in der Pharmaindustrie Rechnung zu tragen. Die PLC-Liniensysteme übermitteln die Daten für eine
komplette Produktionscharge, die
aus mehreren hunderttausend einzelnen Packungen bestehen kann,
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und Verifizieren von sprachtypischen
Sonderzeichen durch die Kameras
möglich sein muss.
Bedienung: Der Bedienbildschirm sollte eine Vielzahl von Informationen und Prozessschritten in
der Sprache des Bedienpersonals bereitstellen, beispielsweise
. den oben erwähnten rollenbasierten Login
. Informationen zur Charge
. Packmittelparameter
. manuelle Nachbearbeitung
. den Status bezüglich der Geräte
(Drucker, Kameras etc.)
. Ort und Ursache des letzten Auswurfs
. Zähler der gesamten und der für
gut und/oder fehlerhaft befundenen Verpackungseinheiten (nach
jeder Hierarchiestufe)
. Audit Trail
. Alarm-Historie
Aufbringen des Serialisierungscodes: Das Serialisierungssystem muss
verschiedene Datamatrix-Codes und
möglicherweise RFID-Technologien
mit den jeweiligen Standards unterstützen und zudem sicherstellen,
dass auf jeder Hierarchie-Ebene dieselbe Information in einer für einen
Menschen lesbaren Textform gedruckt wird. Die hohen Verpackungsgeschwindigkeiten erfordern, dass
das Drucken und das anschließende
Verifizieren des Datamatrix-Codes
auf Lesbarkeit und Korrektheit automatisch ablaufen. Beim Auftreten eines Fehlers muss das System einen
automatischen Auswurf vorsehen,
einschließlich dem entsprechenden
Zählalgorithmus. Die Nummern der
übrigen Verpackungseinheiten müssen zum Zwecke der Aggregation gespeichert werden. Für die Aggregation sind auf Bündel-, Karton- und
Paletten-Ebene fortlaufende individuelle Nummern zu generieren und
mit der sich darin befindlichen nächstkleineren Verpackungseinheit verknüpft abzuspeichern. Erst dadurch
wird Transparenz geschaffen, in welchem Bündel, in welchem Karton
und auf welcher Palette sich die
kleinste Verpackungseinheit befindet.
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3. Authentifizierung von
Medikamenten in den
Apotheken
Wie eingangs angesprochen, gibt es
unterschiedliche Überlegungen, den
Fälschungen von Medikamenten entgegenzuwirken. Die Europäische
Union hat mit der Direktive 2011/
204
62/EU vom 8. Juni 2011 [1] eine
Richtlinie zum Schutz der Patienten
vor gefälschten Arzneimitteln definiert und damit den Rahmen vorgegeben, den es nun in nationales
Recht umzusetzen gilt. Mit einer vollständigen Implementierung ist bis
etwa 2016/2017 zu rechnen.
Der Grundgedanke ist recht einfach, wie Abb. 3 illustriert. Pharmahersteller serialisieren, wie in Abschnitt 2 beschrieben, jede kleinste
Verkaufseinheit mit einem eineindeutigen Datamatrix-Code. Sie speichern in ihrer Herstellerdatenbank
(1) die Produktstammdaten, die beispielsweise Aufschluss über Hersteller, Medikamentenbezeichnung, Packungsgröße sowie die jeweiligen Packungsdaten wie Chargenbezeichnung und Verfallsdatum geben. Abhängig von den nationalen Regelungen zur Datenhoheit gibt es unterschiedliche Szenarien. Abb. 3 geht
davon aus, dass jeder Teilnehmer
der Arzneimitteldistribution die Hoheit über seine Daten behält. Im Extremfall kann es dazu führen, dass es
zwei getrennte Systeme – eins für die
Pharmahersteller (2) und eins für die
Apotheken (3) – gibt. Apothekenspezifische Informationen wie beispielsweise der Standort der anfragenden
Apotheke könnten so physikalisch
von den Pharmaherstellern getrennt
werden. Außerdem kann die Datenhaltung der Pharmaunternehmen bei
den einzelnen Pharmaherstellern
(wie in Abb. 3) oder auch zentral
durch eine nationale Instanz erfolgen.
Liest nun ein Apotheker mit einem Lesegerät an seinem Verkaufsterminal einen Datamatrix-Code, so
gelangt diese Anfrage anonymisiert
(4) über das nationale Apothekensystem zum nationalen Herstellersystem. Von dort wird die herstellerspezifische Anfrage an die jeweilige Herstellerdatenbank
weitergeleitet
(„Routing“) (5) und geprüft, ob zum
einen der entsprechende Code existiert und zum anderen, ob das Medikament mit dem entsprechenden
Code bereits verkauft, vernichtet, exportiert, abgelaufen oder etwa zu-
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rückgerufen wurde. Ist dies nicht
der Fall, bekommt der Apotheker
über das nationale Pharmaherstellerund Apothekensystem die Freigabe
zum Verkauf (6). Um seitens der Apotheker keine Prozessverschlechterung zu schaffen, sollte die gesamte
Anfrage inklusive Rückmeldung weniger als eine Sekunde in Anspruch
nehmen. Nach erfolgtem Verkauf
und anschließender Meldung (analog
(4) und (5)) über das nationale Apotheken- und Pharmaherstellersystem
wird der Code in der Herstellerdatenbank gesperrt (7) und damit ein Verkauf einer Verpackungseinheit mit
identischem Datamatrix-Code ausgeschlossen.
Dieses sogenannte End-to-EndModell zeichnet also nicht den kompletten Weg eines Medikaments im
Sinne eines elektronischen Stammbaums nach. Vielmehr wird lediglich
vor dem Verkauf online geprüft, ob
der aufgedruckte randomisierte Datamatrix-Code echt ist – und damit
mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit
auch das Medikament. Das Fälschungsrisiko wird auf ein vertretbares Minimum reduziert. Zwar
nicht gesetzlich vorgeschrieben, aber
technisch denkbar und nach den
nun anlaufenden Pilotphasen in
den einzelnen Ländern auch durchaus gewollt ist die Möglichkeit, dass
auch die Großhändler bei den Pharmaherstellern eine Verifizierungsabfrage über Datamatrix-Codes
durchführen.
Obwohl die länderspezifische Implementierung der EU-Gesetzgebung
erst begonnen hat, wurde, initiiert
von der European Federation of
Pharmaceutical Industries and Associations (EFPIA), in Schweden ein
sehr vielversprechendes Pilotprojekt
durchgeführt. Im Rahmen dieses
Projekts testete die EFPIA in Zusammenarbeit mit der schwedischen
Apothekenkette Apoteket AB und
den lokalen Großhändlern Tamro
AB und KD Pharma AB vier Monate
lang eine Kodier- und Identifikationslösung. Das Projekt umfasste 25
Apotheken in der Gegend von Stockholm. 14 Pharmaunternehmen stell-
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an ein IT-System, das die Daten für
den Produktionsstandort verwaltet.
Das System verarbeitet die Daten
und speichert sie lokal, bevor sie
am Ende des Produktionslaufs an
die zentrale Unternehmensdatenbank weitergeleitet werden.
Nachfolgend sind die wesentlichen Funktionalitäten eines Line Managers und eines Site Managers zusammengefasst.
Das Line-Level-System umfasst:
. Steuern der angeschlossenen
Geräte (Drucker, Kameras,
Auswurf)
. Sammeln der Informationen
zu den angeschlossenen Geräte
. Zuordnen der Code-Informationen zu den unterschiedlichen Druckern
. Feststellen und Bearbeiten
von Störungen
. Hochladen, Herunterladen,
Verwaltung und Verteilung
von Seriennummern auf Line
Level
. Aggregation von Seriennummern für die Packungshierachien
. Anwenden von in-line CodeInformationen
Die Site-Level-System umfasst:
. Serialisierung und Aggregation (von mehreren Verpackungslinien)
. Generieren und/oder Verarbeiten von Seriennummern
. Verpackungshierarchie und
Management dieser
. Rework und Neukommissionierung (Herausnehmen und
Hinzufügen von Verpackungseinheiten aus der
nächsthöheren Verpackungshierarchie)
ten 100 000 Packungen mit 25 unterschiedlichen Produkten zur Verfügung. Ziel war, die Machbarkeit eines standardisierten nationalen Kodierungs- und Authentifizierungssystems zu demonstrieren.
Laut EFPIA verlief das Pilotprojekt
höchst erfolgreich, die Ergebnisse
wurden im April 2010 veröffentlicht.
Es konnte nachgewiesen werden,
dass das Modell unter realen Bedingungen funktioniert und eine hohe
Akzeptanz bei den Anwendern erreicht. Das System ermöglicht nicht
nur, effektiv gefälschte Medikamente
und abgelaufene Arzneimittel zu
identifizieren, sondern ist laut 90
Prozent der Apotheker auch einfach
in der Anwendung. Auch die Reaktionszeiten waren höchst zufriedenstellend: Mehr als 99 Prozent aller
Transaktionen erfolgten in weniger
als einer Sekunde.
Fazit
Das EFPIA-Pilotprojekt bewies unter
realen Bedingungen, dass das Verfolgen und Überwachen der Medikamente bis hin zur Apotheke auf einem hohen Leistungsniveau möglich
ist. Man kann davon ausgehen, das
zukünftige Authentifizierungsprozesse in Apotheken genauso reibungslos funktionieren werden wie
der Einsatz von Kreditkarten und
Kundenkarten an den Supermarktkassen. Die Authentifizierung wird
für einzelne Medikamentenpackungen transaktionsbasiert erfolgen. Sogar die Zuordnung der Authentifizierungskosten je Packung für die Beteiligten – vom Hersteller und Großhändler bis zum Apotheker und sogar bin hin zum Versicherungsunternehmen und zum Patienten – ist
heute technisch möglich. Es gibt folg-
lich keinen Grund, mit der länderspezifischen Implementierung von
Richtlinien zur Authentifizierung in
den Apotheken noch länger zu warten: Die Technik dafür ist verfügbar
und ausgereift.
Pharmahersteller sollten eine Serialisierungsarchitektur unter Berücksichtigung der Total Cost of
Ownership wählen. Dabei gilt es darauf zu achten, dass die Lösung global standardisiert und lokal adaptierbar ist.
Fachliteratur
[1] RICHTLINIE 2011/62/EU DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES
vom 8. Juni 2011 zur Änderung der
Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel hinsichtlich der Verhinderung des Eindringens von gefälschten
Arzneimitteln in die legale Lieferkette.

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