WeserKurier - Chorfest Bremen

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WeserKurier - Chorfest Bremen
Jeden Mittwoch neu!
VERANSTALTUNGEN · THEATER · KINO · MUSIK · TV · RADIO
Der Freizeitplaner von WESER-KURIER, Bremer Nachrichten und Verdener Nachrichten
Programm vom 22. bis 28. 5. 2008
freiraum Einrichtungen
Christiane und Frank Rudolph
Böcklerallee 15 . 27721 Ritterhude
Telefon: 0 42 92 . 81 44 0
Wohnen ist mehr.
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Comedy: Mario Barth
Der Mann ist ein Phänomen
und füllt größte Hallen.
22. und 23. 5., 20 Uhr,
AWD-Dome, Bremen Seite 2
Freizeit: Manegenshow
Circus Siemoneit-Barum zeigt
sein neues Programm.
24. bis 28. 5., Aumunder
Marktplatz, Vegesack Seite 4
Urlaub: Reisemeile
Viele Angebote für die schönsten Wochen des Jahres.
24. und 25. 5. in der Bremer
Innenstadt
Seite 5
Beim Chorfest singt ganz Bremen
mit seinen vielen Gästen.
Seite 3
Kino: Indiana Jones 4
Harrison Ford kehrt als Indy
zurück auf die Leinwand.
Der Film läuft am 22. 5. in den
Kinos an.
Seite 12
22. Mai − 28. Mai
Rilkes Gedichte zur
Nacht in Szene gesetzt
Man mag es niemandem wünschen: letzter Zug verpasst
und dann eine lange Nacht
auf dem Bahnhof. Mit diesem
Szenario eröffnet Schauspieler Mateng Pollkläsener den
von Kevin Young inszenierten
Abend „Rainer Maria Rilke –
Gedichte an die Nacht“. Wie
schon in „Karoshi“ hat
Michael Rettig zu den poetischen Reflexionen lyrische
Klaviermusik zwischen Minimalismus und neuer Musik
beigesteuert, die die szenischen Rezitationen Pollkläseners in Helmut Heydemanns
Nacht-Videos untermalen.
23. und 24. 5., 20 Uhr,
Schwankhalle im Buntentor
Björn Casapietra
verführt mit Stimme
Die schönsten Liebeslieder
aller Zeiten von Puccini bis
Shakira und Nino Rota – der
deutsch-italienische Tenor
Björn Casapietra spannt auf
seiner aktuellen Konzerttournee mit dem vielsagenden
Titel „Verführung“ einen weiten musikalischen Bogen
durch die Zeiten und die Stile.
Klassische Arien, einschmeichelnde Balladen, temperamentvolle spanische Zarzuelas und natürlich italienische
Canzonen verbindet der
junge Björn Casapietra mit
einer humorvoll-launigen
Moderation seiner Konzerte.
26. 5., 20 Uhr, kleiner Saal
der Glocke, Bremen
Veranstaltungen
Ganz Bremen wird
zum großen Chor
Vom 22. bis 25. Mai findet in Bremen das Deutsche Chorfest
2008 statt. An vier Tagen gastieren an zwölf verschiedenen
Orten in etwa 400 Konzerten über 7 000 Mitwirkende.
Am 22. Mai fällt um 16 Uhr auf
dem Marktplatz symbolisch der
Startschuss für einen Gesangsmarathon, wie ihn Bremen seit
der Chorolympiade nicht mehr
erlebt hat. In rund 400 Konzerten präsentieren sich die Sängerinnen und Sänger in Konzerthallen, unter freiem Himmel, in
Gottesdiensten oder auch in Altenheimen. Sie treten immer
mit viel Spaß am Gesang an
und stellen sich auch den dazu
gehörenden Wettbewerben. Dabei reicht die Bandbreite von
der Alten Musik über die Moderne bis zu Jazz, Pop und
Volksmusik aus aller Welt. Bei
diesen Wettbewerbskonzerten
ist der Eintritt genauso wie bei
den großen Festkonzerten beispielsweise auf dem Marktplatz
oder im Dom oder bei den Angeboten des „Offenen Singens“
an verschiedenen Orten frei.
Und wo und wann findet das al-
22.5.
am gleichen Abend in der Glocke (22 Uhr). Dazu zählt insbesondere auch die „Nacht der
Chöre“ am 23. Mai von 18.30
Uhr bis 24 Uhr auf dem Marktplatz, in Dom, Bürgerschaft, Glocke und Rathaus, in der Kulturkirche St. Stephani, der Kirche
Unser Lieben Frauen und im
Schlachthof, bei der alle nur erdenklichen Formen der Vokalmusik zu hören sein werden. Bereits ausverkauft ist am Sonnabend, 24. Mai, das Mitsingkon-
zert im Pier 2 unter der Leitung
von Markus Poschner und mit
den Bremer Philharmonikern,
an dem als eine von 2500 Stimmen Bundespräsident Horst
Köhler teilnimmt. Abgeschlossen wird das viertägige Fest mit
Chören aus Deutschland, Polen,
Lettland, Tschechien und den
Niederlanden am Sonntag, 25.
Mai, von 12 bis 18 Uhr auf der
großen Marktplatzbühne mit
Präsentationen und Konzerten.
Peter Groth
bis 25. 5.; täglich an zwölf verschiedenen Orten im Zentrum Bremens; Informationsbüro während des Chorfestes in der
Unteren Rathaushalle; Karten dort, im Pressehaus Martinistraße, in den regionalen Zeitungshäusern und unter Ruf 36 36 36
Kari Bremnes’ Musik ist tief in
der Kultur ihrer norwegischen
Heimat verwurzelt, die Schwedin Rigmor Gustafsson (rechts)
gehört dagegen zur Elite der europäischen Jazzszene und
schielt –sinnbildlich – immer
wieder auf glamouröse Perlen
des US-amerikanischen Jazz.
Beide gehören zur ersten Garde
der vielen großartigen skandinavischen Sängerinnen, die in
Deutschland eine große Fangemeinde haben und nun fast zeitgleich in unserer Region auftre-
23.5.
ten. Kari Bremnes wird im Bremen mit ihrem großartigen
Quartett das 2007 entwickelte
Programm „Reise“ vorstellen.
Das ist im Kern ein Folkrepertoire, reicht aber stilistisch bis in
den Rock. Rigmor Gustafsson,
2007 bei Jazzahead im Bremer
Congress Centrum gefeiert, ist
zuvor in Oldenburg zu erleben
und wird dort mit einem Trio
ein ganz neues Programm vorstellen. Darin haben neue Arrangements großer Popsongs ein
besonderes Gewicht.
(pg)
Rigmor Gustafsson ab 20.30 Uhr in der Kulturetage Oldenburg, Bahnhofstraße;
25. 5., Kari Bremnes ab 20.30 Uhr im Schlachthof, Karten für beide Konzerte im Pressehaus und unter Ruf 36 36 36
Pianistin Marialy Pacheco schert
sich nicht um Genre-Grenzen
Zur besten Kaffeezeit
ein „Café Surprise“
So sicher wie die Jahreszeiten
kommen die Glocke-Konzerte
des Bremer Kaffeehaus
Orchesters. Kurz nach ihrem
Gastspiel bei den Blaumeiern
und unmittelbar vor einer
Kreuzfahrt spielen die fünf
seit 1990 in ihrem Ensemble
aktiven Musiker nun ihr Frühjahrskonzert im Konzerthaus
an der Domsheide. Zur besten
Kaffeezeit treten sie dort auf
und nennen ihr Programm
„Café Surprise“, Überraschungen sind beabsichtigt.
25. 5., 15.30 Uhr, kleiner
Saal der Glocke, Bremen
les vom 22. bis 25. Mai statt? Bei
400 Konzertangeboten an nur
vier Tagen müssen Freunde der
Chormusik im Grunde nur zu jeder Tages- oder Abendzeit in
die Innenstadt gehen und finden hier, in der Kulturkirche
oder im Schlachthof im Grunde
immer irgendwo ein Konzert. Einen genauen Überblick erhalten Interessierte in der zum Organisationsbüro umfunktionierten Unteren Rathaushalle, wo
es unter anderem auch das über
100 Seiten starke Programmbuch geben wird.
Gleichwohl gibt es bei diesem
ersten Chorfest nach dem Zusammenschluss der beiden großen deutschen Verbände zum
Deutschen Chorverband einige
besondere Konzerte. Dazu zählen am 22. Mai die Aufführung
des „Deutschen Requiems“ im
Dom (20 Uhr) und der Auftritt
der Münchener „Singphoniker“
Kari Bremnes in Bremen,
Rigmor Gustafsson in Oldenburg
Artur Becker mit den
„Rabiates“ im Konzert
Artur Becker schreibt in seiner stillen Kammer erfolgreich
Romane. Doch ab und zu
„juckt ihn das Fell“ und er
muss auf die Bühne. In Achim
Gätjen, dem Gründer der
einst legendären Band Swim
Two Birds, und seinen musikalischen Freunden hat der
Schriftsteller 2006 kongeniale
Partner gefunden, mit denen
er jetzt unter dem Namen
„Artur Becker & Les Rabiates“
furiose Musik und quertreibende Poesie verbindet.
28. 5., 21 Uhr, Moments,
Vor dem Steintor 65
3
Es sind nicht die gewaltigen
Klangkaskaden, die das Spiel
der seit gut drei Jahren in Bremen lebenden kubanischen
Jazzpianistin Marialy Pacheco
bestimmen. Ihre Stärke ist eher
das Durchdringen einer Komposition, das Bemühen, den Platz
einzelner Noten in der Melodie
genau auszuloten. Die in ihrer
Heimat klassisch ausgebildete
Pianistin schert sich wenig um
Genre-Grenzen und Konventionen, mixt kubanische Folklore
23.5.
20 Uhr, Kito Vegesack, Alte Hafenstraße 30, Bremen;
Karten im Pressehaus, in den regionalen Zeitungshäusern und unter Ruf 36 36 36
mit jazzigen Improvisationen im
Stile des von ihr verehrten Keith
Jarrett und scheut sich auch
nicht, in einen fröhlichen Vaudeville-Stil zu wechseln. Und bisweilen singt sie gar Eigenkompositionen oder neu arrangierte
Kompositionen aus ihrem
Geburtsland. Nachdem Marialy
Pacheco mit den Landsleuten
des Son-Cuba-Festivals durch
die Republik tourte, tritt sie nun
wieder mit ihrem Trio und
einem Jazz-Programm auf. (pg)
BREMEN
DONNERSTAG, 22. MAI 2008 · NR. 118
SEITE 11
A 281: Gericht
weist Klage ab
Weg frei für Teilstrecke am GVZ
Von unserem Redakteur
Michael Brandt
BREMEN·LEIPZIG. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat gestern die Klage eines Seehauser Landwirts gegen den geplanten Bauabschnitt 3/2 der Autobahn 281 abgelehnt. Ein weiterer Landwirt hatte seine
Klage bereits einen Tag vor der Verhandlung überraschend zurückgezogen. Mit
dem Richterspruch, so eine Sprecherin des
Bundesverwaltungsgerichts, könne die Autobahn nun gebaut werden. Der Abschnitt
3/2 soll die Verbindung zwischen der fertigen Teilstrecke und dem geplanten Wesertunnel bei Seehausen herstellen.
Alternative zu teuer
Rund 80 Kinder sind ganz Ohr, und Chorleiter Stephan Reiß strahlt. Der 36-jährige Komponist und Musikpädagoge hat fürs Chorfest einen eigenen Kanon komponiert.
FOTOS: FRANK THOMAS KOCH
Mit geölter Stimme ins Konzert
Kinder- und Jugendchöre eröffnen heute auf dem Marktplatz das Chorfest 2008 / Singen erlebt eine Renaissance
Von unserer Redakteurin
Rose Gerdts-Schiffler
BREMEN. „Nein, das ist mir zu müde. Viel
zu müde. Ihr müsst die Leute auf dem Marktplatz mit Euren Stimmen zwingen, stehenzubleiben und Euch zuzuhören!“ Chorleiter Stephan Reiß springt vom Klavier auf.
Die Köpfe fliegen hoch. Also nochmal. Bis
es sitzt. Denn ab heute beginnt das viertägige Chorfest, ein Singfestival der Superlative mit rund 400 Konzerten.
Singen erlebt eine Renaissance und wird
mit positiven Attributen aus der Pädagogik
geradezu überschüttet. So soll es das Selbstbewusstsein des Sängers ebenso wie das Zusammengehörigkeitsgefühl untereinander
stärken, das Aufeinanderhören trainieren
und nicht zuletzt die Intelligenz und geistige Entwicklung fördern. Die Zeiten, in denen nur ergraute Sängerinnen und Sänger
mit ihren Notenblättern zu Shantys auf der
Bühne schunkelten, gehören offenbar der
Vergangenheit an. Heutzutage ist die Chorwelt bunt und oft noch jung. Die 200 Chöre
aus ganz Deutschland, die in den kommenden Tagen meist kostenlos an den verschie-
densten Orten auftreten werden, haben in Sind’s mit Stimme, Herz und Ohr!“ Gemeinihrem Repertoire Jazz, Pop, Klassik, Avant- sam mit dem Kinderchor Perilis aus Liliengarde oder sogenannte Worldmusic.
thal soll der Kanon heute Nachmittag auf
Mit dabei ist auch der Kinder- und Ju- dem Marktplatz das erste Mal in der Öffentgendchor aus dem Viertel. Eltern haben ihn lichkeit gesungen werden.
gegründet, und der Verein leisStephan Reiß springt erneut
tet sich den Luxus, mit Stephan
auf, schüttelt seine Glieder und
Reiß einen studierten Kirchen- „Singen erfasst
macht vor, wie die Kinder ihre
musiker als Chorleiter zu beStimme „ölen“ können. Die junden ganzen
schäftigen. „Die Kinder komgen Sängerinnen und Sänger lamen inzwischen aus den verchen und machen es ihm verKörper
schiedensten Stadtteilen“, ergnügt nach. Sekunden später
zählt Stephan Reiß stolz. Der
sind sie wieder voll konzentriert.
und den
36-Jährige sieht nicht aus wie jeEin Schnippen mit den Fingern
mand, der aus der geistlichen
und die Bässe und Altstimmen
Menschen.“
probieren ihren Part. Die andeMusik kommt. In seinen Jeans,
ren lauschen. Keiner redet, keiden Turnschuhen und dem KaChorleiter
ner flüstert. Niemand muss erpuzenshirt kleidet sich der ChorStephan Reiß
leiter ähnlich wie viele der Mädmahnt werden aufzupassen.
chen und Jungen vor ihm.
Zwei Stunden lang sind die KinRund 80 Kinder und Jugendliche sitzen der ganz Ohr und ganz Stimme.
bei der Probe dicht an dicht beieinander.
Auch die Müdigkeit, die wohl nur der
Neun, zehn Jahre die Jüngsten. Gemeinsam Profi aus der wohlklingenden Vielfalt hemit dem Jugend- und Mädchenchor der Bre- rausgehört hat, ist längst verflogen. „Sehr,
mer Domsingschule proben die beiden sehr, sehr gut“, lobt der Chorleiter.
Chöre das von Stephan Reiß komponierte
Für ihn ist Singen ein „ganzheitlicher ProLied: „Hört mal zu: Wir sind ganz Chor! zess“. Einer, bei dem der Körper mitgeht,
der Gesichtsausdruck eine Rolle spielt und
die Persönlichkeit einfließt. Ein-, zweimal
im Jahr unternimmt der Bremer Chorleiter
deshalb mit seinen Chören eine Gruppenfreizeit. Seine Arbeit kommt an: So verliert
der Chor nur wenige Jungs und Mädchen
wieder an den Fußball oder den Reitverein.
Am liebsten würde Stephan Reiß das Singen in den Schulen stärken. „Das wäre
ideal“, schwärmt das Multitalent. Gerade
für Ganztagsschulen. Ein erster Anfang ist
in der Lessingschule und der Gesamtschule
Mitte gemacht. Eine von vielen Kostproben
in den kommenden Tagen gibt es heute ab
16 Uhr auf dem Marktplatz.
Wilken Köhler senior hatte, wie berichtet,
kritisiert, dass für die Autobahntrasse am
Güterverkehrszentrum rund 11 000 Quadratmeter seines Grünlands benötigt würden.
Eine weitere Fläche würde durch die Lage
an der Autobahn unbrauchbar, sagte er. Die
dafür angebotene Entschädigung sei zu gering.
Die Rechtsanwälte hatten deshalb unter
anderem eine alternative Trassenführung
für die Autobahn 281 in diesem Bereich vorgeschlagen – auf der Merkurstraße. Diese
Variante ließen die Richter gestern nicht zu.
Denn dadurch würden, so die Begründung,
erhebliche Mehrkosten für die Allgemeinheit entstehen. Die Autobahn-Planer hatten
die alternative Trassenführung bereits im
Vorfeld als unmöglich abgelehnt.
Die Richter hatten gestern außerdem im
Planfeststellungsbeschluss, wie es heißt,
„keine Abwägungsmängel“ entdeckt, die
eine Neuplanung notwendig gemacht hätten.
Fertigstellung nicht gefährdet
Das Bau- und Verkehrsressort begrüßte das
Leipziger Urteil. Michael Ortmanns, Sprecher von Senator Reinhard Loske (Grüne):
„Die zügige Fertigstellung des Autobahnrings ist nicht gefährdet.“ Nächste Schritte
werden demnach unverzüglich umgesetzt.
Das heißt konkret: Nach dem derzeitigen
Stand der Dinge soll am 15. Juli dieses Jahres mit den Bauarbeiten an dem 4,1 Kilometer langen Abschnitt am GVZ begonnen werden, die Freigabe für den Verkehr ist dann
2012 geplant.
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Murat Kurnaz bestätigt Foltervorwürfe
Live-Befragung des früheren Guantánamo-Gefangenen durch den US-Kongress in Washington
Von unserem Mitarbeiter
Volker Junck
BREMEN·WASHINGTON D.C. Am Anfang
gab es einige technische Schwierigkeiten
auf amerikanischer Seite wegen unterschiedlicher Systeme. Doch dann stand die
Leitung vom Capitol in Washington D.C. zur
Bremischen Bürgerschaft für die Live-Befragung von Murat Kurnaz durch Mitglieder
des US-Kongresses. Es ging um den Vorwurf der Folter in den Gefangenenlagern
Kandahar und Guantánamo.
Der Kontakt war über eine Anfrage des
Kongresses bei Kurnaz-Anwalt Bernhard
Docke zustande gekommen Der erkundigte
sich in der Bürgerschaft, die sofort grünes
Licht signalisierte, und so kam es am späten
Dienstagabend schließlich zum virtuellen
Austausch sozusagen von Parlament zu Parlament. Docke: „Für Murat Kurnaz war es
eine große Genugtuung.“ Zumal sich im
Laufe der Befragung einige Mitglieder des
Ausschusses wie die Abgeordnete Sheila
Jackson Lee (Demokraten) oder Jaff Slaike
(Republikaner) bei dem 26-Jährigen mehr
oder weniger direkt für das erlittene Unrecht entschuldigten.
Der Bremer Ex-Gefangene – kaum wiederzuerkennen im eleganten Anzug, bartlos
und mit gepflegter Frisur gegenüber dem
zottelbärtigen und wildmähnigen Mann,
wie er nach fünfjähriger Haft in Guantánamo zurückgekehrt war. Im fließenden
Englisch sprach er zunächst über seine türkische Herkunft, die religiös motivierte Reise
nach Pakistan vor sieben Jahren, die Verhaftung und Internierung im Lager Kandahar
und schließlich über die schweren Jahre in
Einzelhaft auf Kuba. Er beteuerte, niemals
etwas mit terroristischen Aktivitäten zu tun
gehabt zu haben.
Dann stand er dem Kongress-Ausschuss
für Nachfragen zur Verfügung. Er bestätigte frühere Angaben, wonach er durch
Schein-Ertränken, Aufhängen an Ketten
und Elektroschocks gefoltert wurde. Der republikanische Haudegen Dana Rohrabacher wollte es genau wissen und erkundigte
sich, wie, wo und wie oft er durch Schein-Er-
tränken gefoltert worden sei. Kurnaz: „Einmal im Lager Kandahar. Kopf in einen Wassereimer und einen Schlag in den Magen,
der zum Einatmen zwingt.“
Die Befragung des Bremer Zeugen ist eingebunden in die Aufarbeitung des Guantánamo-Komplexes, der für die Amerikaner
eine erhebliche Belastung ihres demokratischen Selbstverständnisses darstellt. Noch
immer sitzen in dem Lager auf Kuba Gefangene, darunter 50 ohne Aussicht auf eine sichere Rückkehr in ihre Heimatländer:
China, Libyen, Tunesien oder Algerien verweigern nach Mitteilung des Center for Constitutional Rights (CCR) die Einreise. Ein
Schicksal, dass auch Murat Kurnaz nicht
fremd ist, da ihm zunächst die Aufenthaltserlaubnis in Bremen entzogen worden war.
Inzwischen gehört auch Lt. Colonel Stephen Abraham, der als erster Militärangehöriger in die Aufklärung der Vorwürfe eingebunden ist, zu den Kritikern von Guantánamo: „Das Leid währt schon sechs Jahre“,
sagte er. „Es ist an der Zeit, Fehler zu korrigieren.“
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Murat Kurnaz (vorn) mit seinem Anwalt Bernhard Docke während der Live-Befragung durch Mitglieder des US-Kongresses am Dienstagabend im
Haus der Bürgerschaft.
VJ·FOTO: FRANK THOMAS KOCH
BREMEN
FREITAG, 23. MAI 2008 · NR. 119
SEITE 9
Ein Mädchen, das einen Soldaten heiratet, macht
keine schlechte Partie. Ein Soldat kann kochen,
nähen, muss gesund sein. Und das Wichtigste:
Er ist gewöhnt zu gehorchen.
CHARLES DE GAULLE (1890–1970)
TACH AUCH
Der Mai ist gekommen – und mit ihm die
jährliche Ankündigung einer großen Maikäferplage. Der Mai geht wieder – und die Käferschwemme hält sich in engen Grenzen.
Genauer gesagt: Sie bestand bisher aus einer einzigen Begegnung mit einem braunen
Brummer. Am Abend kam er ins Wohnzimmer getorkelt und erkor sich ausgerechnet
einen Lautsprecher der Musikanlage als
Landeplatz aus.
Da saß er im filzigen Stoff der Box so festgekrallt, dass es einiger Mühe bedurfte, ihn
ohne Schaden zu befreien.
Maikäfer flieg! Die Zeiten sind gottlob vorbei, da man dem eiweißreichen Insekt Beine
und Flügel ausriss um es roh zu verspeisen
oder als Einlage in die bei Studenten beliebte Maikäfersuppe zu tun. VOLKER JUNCK
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»Ein Badewannen-Cocktail aus
Artistik, Klassik und Gesang.
Eine herrliche Schaumschlägerei«
Sie ließen sich gestern Nachmittag anstecken: Tausende von Zuhörerinnen und Zuhörern wurden auf dem Marktplatz zu Akteuren und stimmten in einen Kanon mit ein.
Tausende im Kanon vereint
Marktplatz wird zur riesigen Bühne / Henning Scherf eröffnet Deutsches Chorfest
für schien die Darbietung einfach zu per- Menschen zur Lebenshilfe werden könne.
fekt. Ebenso wie der Gesang des Bremer Enthusiastisch wie nur ein Henning Scherf
Jazzchors „Just Friends“ und des Jugend- ins Mikrophon hauchen kann, hatte er zuvor
bei der Eröffnung in der Oberen
BREMEN. Dicht an dicht stehen die Men- kammerchors SOLA aus Riga.
®
Rathaushalle gestanden: „Ich
schen auf dem Marktplatz und versuchen,
Eine Stunde später wurde das
»Singen und
träume bereits von Brahms.“
einen Blick auf die Bühne zu erhaschen. Chorfest offiziell auf dem MarktDora Holtheuer, die mit ihren
Dort, wo sonst Flugblätter verteilt und Ap- platz eröffnet. Moderator Dirk
Musik
Bekannten Inge Ottjes und Maripelle zur Weltverbesserung gemacht wer- Böhling zeigte sich überrascht,
die Show
anne Simon auf den Auftritt der
den, kursierten gestern Notenblätter. „Las- dass Henning Scherf, wie verkönnen zur
Kinderchöre und der Jazz-Forsen Sie sich anstecken“, rief Henning sprochen, pünktlich neben der
mation Milo-Trio wartete, singt
Scherf den vielen Tausend Menschen zu, Bühne stand. „Er muss sonst im21. Mai – 1. Juni 2008
Lebenshilfe
selber. Ihr erster Auftritt im
und die stimmten tatsächlich Minuten spä- mer erst die halbe Stadt umarVolkshaus liegt schon etwas zuter in einen vierstimmigen Kanon ein.
men . . .“ Ein bestens gelaunter
Musical Theater Bremen
werden.«
rück. 1931, sagt sie, war das.
Kurz zuvor hatte Ingelore Rosenkötter Henning Scherf überging die
Tickets: 0421 / 36 36 36
Aber das Singen erfüllt sie immehrere Hundert Gäste in der Oberen Rat- kleine Bemerkung und betrieb
mer noch. Auch Marianne Sihaushalle zu dem ersten Fest des Deutschen stattdessen Musik-Agitation: KeiHenning Scherf
vom Chorverband
mon hat früher jahrelang in der
Chorverbandes begrüßt. Nach dem Auftritt ner solle sagen, er könne nicht
„Vereinigung Findorff“ gesundes Chors der Partnerstadt Danzig „Capella singen. „Jeder Kindergarten,
Gedanensis“ seufzte die Sozialsenatorin ver- jede Schule, jedes Seniorenheim muss zum gen. Was ihr zum Singen spontan einfällt?
zückt: „Ist das nicht wunderbar, solche Stim- Singen gebracht werden“, warb der Altbür- „Freude und Gemeinschaft“, sprudelt es
men zu haben?“ Niemand widersprach. Da- germeister für die Welt der Musik, die für aus der Bremerin heraus.
BREMEN-ARSTEN (SCH). Nach einem Unfall
Anna, Theresa und Janna kommen aus
war gestern Abend die A 1 in Richtung HamGießen und mit ihnen rund 60 weitere Schüburg, Höhe Arsten, für eine halbe Stunde gelerinnen und Schüler der Liebigschule. Ihre
sperrt. Nach vorläufigen Erkenntnissen der
Schule hat einen Schwerpunkt auf Musik gePolizei kurz vor Redaktionsschluss waren
legt und vor vielen Jahren einen Chor gebei dem Geschehen auf der linken Fahrspur
gründet. Nun wollen die 15- bis 17-Jährigen
drei Personen beteiligt, eine wurde leicht
am Chorwettbewerb teilnehmen. Auf eine
mögliche Platzierung wollen sie sich nicht
verletzt. Ein Rettungshubschrauber sei nur
festlegen. „Wir werden gut sein“, sagt Anne
vorsorglich zur Unfallstelle geflogen, er sei
selbstbewusst. Alle drei freuen sich zudem
wegen eines anderen Einsatzes ohnehin in
auf den Sonnabend, dann nämlich, wenn sie
der Luft gewesen. Über die Unfallursache
mit Hunderten anderer Sängerinnen und
gab es am Abend noch keine Erkenntnisse.
Sänger den Messias im Pier 2 anstimmen.
Prominente Zuhörer sind ihnen gewiss, haben doch Bundespräsident Horst Köhler
LOTTOQUOTEN
und seine Frau ihr Kommen zugesagt.
Moderator Dirk Böhling schwärmt unterLotto am Mittwoch: Klasse 1: unbesetzt (Jackdessen vom typischen Bremer Wetter, das
pot jetzt ca. 7 Millionen Euro); Klasse 2:
kein Wölkchen trübt: „Wir haben es übri1 004 869,10 Euro; Klasse 3: 104 673,80 Euro;
gens immer so schön.“ Die Einheimischen
Klasse 4: 3982,70 Euro; Klasse 5: 193,20 Euro;
schmunzeln, die Besucher staunen.
Klasse 6: 51,90 Euro; Klasse 7: 28,20 Euro;
Zur gleichen Zeit stimmen sich drei Chöre
Klasse 8: 11,40 Euro.
in der Hochschule für Künste ein. Andere,
„Spiel 77“ am Mittwoch: Klasse 1 „Super 7“: unwie der „Chor provocale Kassel“ haben ihbesetzt (Jackpot jetzt ca. 1 Million Euro); Klasse
ren Auftritt vor der Jury beim Chorwettbe2: 70 000 Euro; Klasse 3: 7000 Euro; Klasse 4:
werb im Großen Saal der Glocke zu diesem
700 Euro; Klasse 5: 70 Euro; Klasse 6: 7 Euro;
Zeitpunkt bereits hinter sich. 25 Minuten haKlasse 7: 2,50 Euro.
ben die Chöre jeweils Zeit, die Juroren an
„Super 6“ am Mittwoch: Klasse 1: 100 000
den verschiedensten Orten von ihrem KönEuro; Klasse 2: 6666 Euro; Klasse 3: 666 Euro;
nen zu überzeugen. Die Preise werden in
Stolz zeigen die jungen Sängerinnen ihre Teilnahmeplakette für das Chorfest. Der Bremer SteKlasse 4: 66 Euro; Klasse 5: 6 Euro; Klasse 6:
der Stadt der Stadtmusikanten heute Abend
phan Reiß hat zu diesem Anlass eigens einen vierstimmigen Kanon komponiert.
2,50 Euro (ohne Gewähr).
um 22.30 Uhr in der Glocke verliehen.
Münchner Merkur
Vollsperrung nach
Unfall auf der Autobahn
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FOTOS: FRANK THOMAS KOCH
Von unserer Redakteurin
Rose Gerdts-Schiffler
Entrückt im Gesang: Schon die Kleinen gaben gestern alles.
Henning Scherf war in seinem Element und
strahlte mit Akteuren um die Wette.
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SONNABEND, 24. MAI 2008 · NR. 120
SEITE 9
Musikalischer Marathon bis Mitternacht
50 Konzerte an acht Orten: Qual der Auswahl für begeisterte Besucher in der „Nacht der Chöre“
Von unserem Mitarbeiter
Volker Junck
THAILÄNDISCHE WEISHEIT
TACH AUCH
Große Fußballereignisse werfen ihre Schatten voraus. Den Startschuss für die Sammelsucht hat ein Süßwarenunternehmen gegeben, und wir helfen mit, dass der Schokopralinen-Absatz sprunghaft steigt. Der wöchentliche Einkauf wird jetzt um die Suche nach
den noch fehlenden Helden erweitert.
Das jüngste Familienmitglied fertigt eine
„Einkaufshilfe“ der noch fehlenden Spielerbilder an für die nicht so im Thema steckende Mutter. Erschwert wird die Suche,
weil es die Profis nicht nur als Portrait, sondern auch als durchtrainierte Spieler in vollem Einsatz zu sammeln gibt.
Jeder einzelne Riegel wird zur Verwunderung so mancher Kunden im Kassenbereich
gegen das Licht gehalten, ob sich vielleicht
gerade hier der fehlende Held versteckt. Somit gibt es zu jeder Mahlzeit und auch zwischendurch ein kleines Stück der weltlängsten Schokopraline.
Hoffentlich verbringen wir nicht die schönen Fußballwochen mit lästigem Sport, um
die Schokoröllchen abzutrainieren.
Voller Einsatz an den Stimmbändern: der Chor provocale Kassel im Haus der Bremischen Bürgerschaft. Er eröffnete ein buntes Programm mit dem
Chor Hinz und Kunz vom Kulturzentrum Buntentor als gelungenem Abschluss.
VJ·FOTOS: JOCHEN STOSS
Festivals. Und dann: Volles Programm bis
zum gemeinsamen Nachtgesang mit Fanfare und dem Blechbläser-Ensemble der
Kammer Sinfonie Bremen auf dem Marktplatz.
CHRISTINA BERGHÖFER
Notlandung
am Flughafen
Von unserem Redakteur
Arno Schupp
BREMEN. Eine Passagiermaschine musste in
der Nacht zu Freitag auf dem Bremer Flughafen notlanden, weil eine Frau an Bord einen Herzinfarkt erlitten hatte. Das Flugzeug
der irischen Gesellschaft Ryanair war mit
etwa 180 Passagieren auf dem Weg von Polen nach Großbritannien, als es nach Bremen umgeleitet werden musste.
Die Maschine landete um 1.10 Uhr außerplanmäßig auf dem Airport, wie FlughafenANZEIGE
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SEESTADT
STRASSE 8R,
28217 BRE
MEN
trierte sich auf den Dom. „Mich interessiert
eigentlich geistige Musik. Das andere ist
mir nicht so wichtig.“
Aber die Nacht der Chöre hatte ja für jeden Geschmack etwas zu bieten. Vom Kinder- und Jugendchor im Viertel über MGV
Quartettverein Leichlingen Oberschmitte,
Chorverband Berlin, Volkschor 1881 KleinKrotzenburg bis zum Chor provocale Kassel.
Zwischendurch waren sogar die Eintrittskarten für die Spielstätten Große und Kleine
Glocke, Kulturkirche St. Stephani, St.-PetriDom, Obere Rathaushalle, Bürgerschaft,
Schlachthof und Kirche Unser Lieben
Frauen ausgegangen. Doch da wurde
schnell Nachschub kopiert, sodass nichts
die wundervolle Stimmung trüben konnte.
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Werner Gillmann
aus der Pfalz.
Ute Frese aus Bremen.
Lothar Oberdieck
aus Moers.
Heide Bischoff aus
Achim.
Punkrock statt Klassik
im St.-Petri-Dom
Projekt „Chormusik macht Schule“ erntet viel Applaus
PORT 4 / ÜBER
KONSUL-SMIDT-
Das hätten auch Heide Bischoff aus
Achim und ihr Mann gern erlebt. „Aber leider fährt der letzte Zug fünf Minuten nach
24 Uhr.“ So genossen sie alles, was sich bis
dahin hören ließ. „Es ist einfach toll.“
„Wenn man das erlebt, bekommt man wieder Lust zum Singen“, fand Ute Frese, musikalisch aktiv im Bremer Akkordeon-Ensemble. Sie war nicht die einzige, die gestern
Abend von Spielstätte zu Spielstätte eilte
und sich vornahm, selbst wieder die Stimmbänder zu ölen – wie Mirja Krüger, die zuletzt im Schulchor gesungen hatte. Klaus-Ulrich Gschwind, viele Jahre Sänger und Chorleiter, hat sich bereits für ein a-Capella-Ensemble angemeldet. Karin Kirchhoff ist Mitglied in einem Bremer Chor und konzen-
Von Jasmin Berger, Cornelius Berger
und Amelie Bückner
pueri“ von Cozzolani und „Ave Maria“ von
Francis Poulenc versetzten die jungen Sängerinnen das Publikum in Erstaunen.
Dadurch, dass der Chor auf der Empore
stand, war es jedoch sehr schwer, den Text
zu verstehen und der Melodie zu folgen.
Auch dem „Essenzen“-Chor kam die Akustik des Doms nicht zu Gute. Zwar sang er auf
Publikumshöhe, jedoch war der Nachhall
ein Nachteil. Trotzdem wurden beide Chöre
mit viel Applaus belohnt.
Ziel des Projektes „Chormusik macht
Schule“, das von der Deutschen Chorjugend initiiert wurde, ist es, Kindern und Jugendlichen zu zeigen, dass Singen im Chor
Spaß macht und es nicht immer klassisch zugeht. Die Deutsche Chorjugend ist der Dachverband, der 100 000 junge Mitglieder unter
sich vereint.
Der große Unterschied zwischen Klassik
und Pop/Rock sprach nicht nur alle Zuhörer
gleichermaßen an, sondern animierte auch
zum Mitsingen. Dies merkte man vor allem
bei den gemeinsamen Liedern „Shalom
Chaverim“ und „Kumbaya my Lord“, bei denen das Publikum sich sichtlich amüsierte.
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fallen die Schatten hinter dich.
BREMEN. 50 Konzerte an acht verschiedenen Orten. Chormusik in ihrer ganzen
Bandbreite – für viele Besucher von Bremens „Nacht der Chöre“ artete dies gestern zu einem sportlichen Marathon aus. Es
sei denn, sie hatten sich gezielt auf das
Großereignis vorbereitet und ein straffes individuelles Programm zusammengestellt.
Wie Gisela und Kai-Georg Arsmann aus
Langwedel, die sich ihre Etappen auf dem
Programmheft notiert hatten und so den roten Faden behielten. Andere wie Heinrich
und Gertrud Grote aus Bremen pendelten
zwischen Glocke und Dom und fanden:
„Das reicht völlig aus. Man kann ja nicht alles mitnehmen. Es ist einfach überwältigend.“ Das fanden auch die Bremer Freundinnen Ingrid Falldorf und Ruth Ammermann nach ihrem Auftakt mit der EuropaChor Akademie in der Glocke. „Noch nie haben wir so eine fantastische Aufführung gehört.“
Für Lothar Oberdieck vom Volkschor in
Moers war es die Gelegenheit, einmal ganz
entspannt den anderen zuzuhören, besonders dem gemeinsamen Chor der Universitäten Bremen und Namibia. Oberdiecks
30-köpfige Truppe hatte schon am Nachmittag die Bewohner eines Hastedter Seniorenheims erfreut und hätte auch gern am Vormittag im Dom mitgesungen. „Doch da
herrschte so ein gewaltiger Andrang – keine
Chance.“ Wie alle anderen ist er von Bremen angetan, „weil alles dicht beisammen
ist, man vieles zu Fuß machen kann.“
Ein Argument, das auch für Werner Gillmann aus Offenbach an der Queich zählt.
„Bremen ist viel besser als zuletzt Berlin“,
findet der Stammgast aller möglichen Chor-
Parken wie ein König
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BREMEN. Das sanfte „Du-Du“ klang stilgerecht durch den St.-Petri-Dom, doch die lebhaften Farben von „Essenzen“, dem Auswahlchor der Chorjugend NiedersachsenBremen, ließen erahnen, dass es nicht bei einem klassischen Chorauftritt bleiben
würde. Und so war es auch: Nach wenigen
Sekunden war von einem Choral nicht mehr
viel übrig, stattdessen schallte „Basket
Case“ von der Punkband „Greenday“
durch die Kirche. Dieser Stilbruch begeisVertrieb in Bremen 0421 / 200 99 36
terte nicht nur die Jugendlichen, auch die
elfjährige Jessica aus der Kooperativen Gesamtschule Hambergen war überrascht.
sprecherin Kristina Költzsch gestern mit- Wie die meisten Konzertbesucher hatte sie
teilte. Die am Flughafen stationierte Feuer- nur „klassische Musik“ erwartet und nicht
wehr habe die Abfertigung des Fliegers „Africa“ von Toto.
Ihr Musiklehrer Buttler ging mit neuen
übernommen. Für derartige Vorfälle seien
Ideen für seinen eigenen Unterricht aus
diese Einsatzkräfte speziell ausgebildet.
Die 49 Jahre alte Polin, die im Flugzeug dem Konzert heraus. Ihn beeindruckte vor
den Herzinfarkt erlitten hatte, wurde vom allem der international bekannte Mädchenchor Hannover unter Leitung von Prof. Gudrun Schröfel, der das Konzert eröffnete. Der
Chor bewies bereits 2006 beim Deutschen
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Sanitätsdienst direkt in ein Bremer Krankenhaus gebracht. Am Morgen sei sie bereits außer Lebensgefahr gewesen, hieß es gestern
Nachmittag.
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Der Auswahlchor des Chorverbandes Niedersachsen-Bremen „Essenzen“ gab auch vor dem
Dom gestern noch eine Zugabe.
FOTO: CORNELIUS BERGER
näher dran
BREMEN
SONNABEND, 24. MAI 2008 · NR. 120
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„Hey Jude“, sangen die Sechstklässler aus der Schule an der Schaumburger Straße auf dem Marktplatz, und ihre Zuhörer fielen beim „Offenen Singen“ begeistert in den Refrain ein.
FOTOS: JOCHEN STOSS
Mit Schnuller auf die Bühne
„Offenes Singen“ auf dem Marktplatz mit Beatles und Babys
Von unserer Redakteurin
Rose Gerdts-Schiffler
BREMEN. Ist es der hartnäckige Sonnenschein, die Auswahl der Lieder oder die
Spezies Sänger? Wie auch immer, seit Beginn des Deutschen Chorfestes am Donnerstagnachmittag scheint sich die gute Laune
in der Innenstadt epidemisch auszubreiten.
Singend, klatschend, summend und brummend begleiteten gestern Hunderte von Zuschauern die Band „The Fairies“ zu einem
alten Beatles-Song.
„Offenes Singen“ lautete der Programmpunkt auf dem Marktplatz, bei dem Sechst-
klässler der Schule an der Schaumburger
Straße gemeinsam mit Moderator Dirk Böhling ihren Zuhörern und Zuhörerinnen einheizten. „Kannst Du Dir vorstellen, dass
Deine Großeltern wegen solcher Leute wie
den Beatles völligen Alarm gemacht haben?“, wandte sich Böhling an ein Mädchen
aus der Klasse 6 G1. Das schüttelte ungläubig den Kopf.
War aber so. Ist verbürgt. Doch gestern
sorgte der Evergreen „Hey Jude“ für glasige Augen. Nur einige ganz Junge sangen
versehentlich „Hey, Micoud“. Doch spätestens bei „na, na, na, nananana....“ im Refrain war der gesamte Marktplatz im 60er-
Jahre-Taumel. Heute beginnt das Offene
Singen bereits um 12.30 Uhr.
Doch noch einmal zurück zu Freitagvormittag. Er gehörte den Steppkes aus den
Kindergärten. Sollte doch der „Felix“, das
Gütesiegel des Deutschen Chorverbandes,
an drei Bremer Kindergärten verliehen werden. Damit werden Einrichtungen ausgezeichnet, die kindgerecht die musikalische
Entwicklung der Drei- bis Sechsjährigen fördern. Die begehrte Stoffpuppe und die Plakette überreichte Schirmherrin Luise Scherf
den „Kakadus“, den „Singdrosseln“ und
dem Kindergarten Bremen-Horn-Luisenthal. Die Kakadus aus Schwachhausen hat-
Faszinierende Vielfalt der Chorliteratur
Musikalische Raritäten bei den ersten regulären Konzerten in der Hochschule für Künste und im Dom
Von unserer Mitarbeiterin
Éva Pintér
BREMEN. Gleich der erste Tag des Chorfestes zeigte, was für eine breite musikalische
Palette sich unter dem schlichten Begriff
„Chormusik“ verbirgt: Nach der Eröffnung
im Rathaus und auf dem Marktplatz boten
die ersten beiden regulären Konzerte Chormusik von Barock und Romantik bis zur Gegenwart – und dabei einige musikalische Raritäten.
So präsentierte die Cappella Gedanensis
(Danzig) unter der Leitung von Alina Kowalska Pinczak beim Konzert in der Hochschule für Künste die Psalmvertonung „Dixit Dominus“ von Maximilian Dietrich
Freisslich (1673-1731). Der war seinerzeit
Kapellmeister an der Danziger Marienkirche. Auch wenn das 13-köpfige Vokalensemble eher durch opulenten Gesamtklang
als durch differenzierte Dynamik gefiel,
hätte man doch gerne noch etwas mehr aus
diesem fast unbekannten Repertoire gehört.
Das Anfangsstück, Bachs berühmter Soprankantate „Jauchzet Gott“, wirkte im Rahmen eines Chorfestivals hingegen etwas deplaziert.
Eine fein ausgearbeitete und stimmungsvolle Wiedergabe bot danach der Kammerchor der Hochschule für Künste Bremen mit
den Liebeslieder-Walzern von Johannes
Brahms: Friederike Woebcken und ihr Ensemble entfalteten die wienerische WalzerStimmung dieser Werke leichtbeschwingt,
aber zugleich mit leidenschaftlicher In- auch in der Großform, in der zum Beispiel
brunst.
die Sätze I und II oder VI und VII einander
Besonders beeindruckte jedoch der Ju- sinnvoll ergänzend zusammengefasst wurgendkammerchor SOLA aus Riga. Mit wel- den.
cher stimmlichen Homogenität, perfekten
Schon im Einleitungsstück des Konzertes,
Intonation und einnehmenden Ausdrucks- in der kurzen Motette „Verleih uns Friekraft die jungen Sänger ihr Programm mit den“ von Felix Mendelssohn Bartholdy,
Werken von Barkauskas, Kalüberzeugte der Bremer Domsons, Maskats, Vasks und andechor durch die Innigkeit der meEs war
ren Komponisten zwischen folklodischen Gestaltung und die
loristischen Klängen und zeitgebeispielhaft präzise Textartikulaeine
nössischen Vokaleffekten dartion.
stellten, das war ein faszinierenHinzu kam im Deutschen ReAufführung
des Zeugnis der bekanntlich hoquiem (die „Tragische Ouverhen Chorkultur der baltischen
ture“ von Brahms zwischen den
wie aus
Länder.
beiden Vokalwerken wurde leiStand das Konzert in der Hochder nicht gespielt) eine breit geeinem
schule im Zeichen „Chöre der
staffelte Dynamik, die innerhalb
Partnerstädte Riga, Danzig und
weniger Takte beachtliche SteiGuss.
Bremen“, so bezog sich das offigerungen und wiederum fein abzielle Eröffnungskonzert im St.gestufte Diminuendi erlaubte.
Petri-Dom auf eine andere
Bemerkenswert
auch
eine
Weise auf Bremen: Vor 140 Jahren, am 10. große, jedoch nie übertriebene KontrastfreuApril 1868, fand dort die Uraufführung des digkeit zwischen dramatischem Impetus (II.
Deutschen Requiems von Johannes Brahms und VI. Satz) und liebevoll gestalteten Abstatt; und zu diesem Stück Bremer Musikge- schnitten. Der IV. Satz klang zum Beispiel
schichte lieferte Domkantor Wolfgang Hel- wie eine Art Chor-Serenade. Dorothee
bich ein denkwürdiges Konzert.
Mields sang ihr Sopransolo mit ätherisch feiHelbich „lebt“ seit Jahrzehnten mit dem nen Piano-Phrasen und Phillip Langshaw
Deutschen Requiem, entdeckt aber immer (Bariton) gab seiner Partie verklärt-noble
wieder neue Facetten im Werk. Die jetzige Züge.
Aufführung zeugte zugleich von einer einDie Kammer Sinfonie Bremen setzte bezigartigen künstlerischen Ausgereiftheit – sonders im Trauermarsch des II. Satzes diffesowohl in den vielschichtig entfalteten Cha- renzierte Effekte. Kurz: Es war eine Aufführakteren innerhalb der einzelnen Sätze als rung wie aus einem Guss.
Eine „Gute Nachtmusik“
Die Münchner a cappella-Formation „Die Singphoniker“ wurde in der Glocke bejubelt
Von unserer Mitarbeiterin
Sigrid Schuer
BREMEN. Der Beifall in der Glocke erreichte
am Eröffnungsabend des Chorfestes Orkanstärke. Diese musste die Münchner a cappella-Formation „Die Singphoniker“ zum
Ausklang ihres „Guten Nachtkonzertes“
erst einmal beschwichtigen. Also schlug der
Pianist sein Instrument in zierlicher Spieluhren-Manier an, und seine fünf Kollegen
stimmten ein sanftes „Lalelu, nur der Mann
im Mond schaut zu, wenn die kleinen Babys
schlafen“ an. Schließlich schlichen sich die
Vokalkünstler auf Zehenspitzen von der
Bühne.
Zuvor hatten sie mit „Fly me to the moon“
in schönstem close harmony-Gesang das Publikum auf eine swingende Reise zum Mond
und wieder zurück zum Broadway mitgenommen. Was „Die Singphoniker“ so alles
können, ist erstaunlich. So ersetzen die a
cappella-Stimmen locker ein komplettes Or-
chester, wie beispielsweise in dem Arrangement eines Duke Ellington-Titels aus der Feder des Comedian Harmonists-Mitglied
Harry Frommermann. Da wird die menschliche Stimme pötzlich zur Posaune.
Ein sprudelndes Feuerwerk an musikalischen Einfällen und Variationen hatten
„Die Singphoniker“ zuvor in der Ouvertüre
zur Oper „Der Barbier von Sevilla“ gezündet. Die Formation trieb mit Rossinis Guter
Laune-Musik ihren Schabernack, ließ ihre
Belcanto-Töne in den tiefsten Bass-Keller
abstürzen, um sie gleich darauf wieder in
höchste Höhen zu katapultieren.
Diese Interpretation war so umwerfend,
dass es den Pianisten bei einem seiner waghalsigen Manöver glatt vom Hocker haute.
Kurz: Die Münchner Gesangsakrobaten vermittelten ein rundum wohliges „What a wonderful world“-Gefühl. Als sie den gleichnamigen Titel von Stevie Wonder anstimmten,
befand das Publikum endgültig: „You are
the sunshine of my life“.
Ach ja: „Ja, die Liebe ist so schön“, heißt
es in Enjott Schneiders „Variationen über
die Liebe“. Der zeitgenössische Komponist
ließ darin aber den bittersüßen Tristan-Akkord aus Wagners „Tristan und Isolde“ seufzend anklingen, um klarzumachen, dass
wohl kaum etwas schwerer ist als die intimste aller zwischenmenschlichen Beziehungen.
Enjott Schneider zeigt in seinen Variationen, dass die Liebe, frei nach Bizets Carmen, bunte Flügel hat. „Die Singphoniker“
malten die ganze Palette an Beziehungskisten mit ihren Stimmen höchst komödiantisch und plastisch, mal schnalzend, mal hechelnd aus. Und der Pianist würzte das
Ganze mit Tango-Rhythmen.
Aber die Herren unternahmen auch einen
Ausflug ins deutsche Volkslied. So verliehen sie mit „In einem kühlen Grunde“ in einem Abgesang auf die Liebe ebenso differenziert wie melancholisch der Todessehnsucht vokalen Glanz.
Sie haben sich ihren „Felix“, die Auszeichnung des Chorverbandes für Kindergärten mit musikpädagogischen Ansätzen, ersungen. Drei Bremer Einrichtungen erhielten gestern die Urkunde.
ten auch die Jüngsten ihrer Mitglieder mit
auf die Bühne geholt. Im Arm einer Betreuerin schaukelte ein knapp zweijähriger, künftiger Bühnenstar mit. Er oder sie, das war etwas schwer zu erkennen, dürfte der erste
Sänger auf diesem Chorfest gewesen sein,
der mit Schnuller im Mund auftrat.
Bundesweit haben sich bis jetzt 2700 Kitas die Auszeichnung ersungen. Alle drei
Jahre wird geprüft, ob eine Einrichtung
auch weiterhin die Tonleiter hochhält. Im Felix-Fieber zeigten sich auch Laureen und
Melinda aus der Kindertagesstätte HeiligGeist-Gemeinde. Die beiden Fünfjährigen
waren mit ihrer Gruppe auf den Marktplatz
gekommen, um ihre Altersgenossen auf der
Bühne zu bewundern. Bei ihnen vergeht
kein Tag ohne Singen. „Was habt Ihr denn
heute Morgen gesungen?“, will die neugierige Journalistin wissen, und wie auf Knopfdruck flöten die Knirpse „Es war eine Mutter, die hatte vier Kinder...“ Strahlende Erwachsenengesichter. Wie gesagt, zurzeit
geht eine „Gute-Laune-Epidemie“ herum.
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BREMEN
SONNABEND, 24. MAI 2008 · NR. 120
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Für kostenloses
Schulfrühstück
350 hochmotivierte Studenten und Schüler – das sprengt im Vegesacker Bürgerhaus das Fassungsvermögen der Bühne. Dafür erlebt das Publikum hautnah das „Happiness“-Gefühl.
MES
BREMERHAVEN (KDE). Im Zusammenhang
mit der aktuellen Diskussion über Kinderarmut weist die Solidarische Hilfe Bremerhaven darauf hin, dass eine Erhöhung des Kindergeldes für Hartz-IV-Bezieher keinerlei
Nutzen bringe. „Das Kindergeld wird dem
Kind vollständig als Einkommen angerechnet“, erläutert Klaus Görke als Sprecher des
Vereins. Die Folge: Jede Erhöhung werde
gleich wieder vom Regelsatz abgezogen.
Die Solidarische Hilfe rechnet vor, dass einem Kind im Rahmen von Hartz IV monatlich 208 Euro zur Verfügung stehen. Genau
38,4 Prozent davon seien für die Ernährung
vorgesehen, also gerade einmal 2,60 Euro
pro Tag. „Wie es die Mehrzahl der Eltern
hinbekommt, ihre Kinder davon mit Frühstück und zwei weiteren Mahlzeiten zu versorgen, ist bewundernswert“, stellt Görke
fest.
Untersuchungen der Wohlfahrtsverbände
liefern nach Angaben der Solidarischen
Hilfe genügend Belege, dass die Regelsätze
das Notwendige keinesfalls abdecken können. Vor diesem Hintergrund erneuert der
Bremerhavener Selbsthilfe- und Sozialberatungsverein seine Forderung, zumindest für
alle Kinder ein kostenloses Schulfrühstück
zu ermöglichen. Außerdem müsse jedem
Kind bei der Einschulung ein Betrag von
100 Euro zur Verfügung gestellt werden.
„Happiness“ wird gelebt und besungen
Grandiose Bühnenshow und tränenreicher Abschied von 50 „Young Americans“ und 300 Bremer Schülern
Von unserer Mitarbeiterin
Iris Messerschmidt
Strahlende Gesichter begleiten die Solo-Auftritte.
MES·FOTOS: IRIS MESSERSCHMIDT
BREMEN-VEGESACK. Sie heißen Bryan, Thomas, Keith, Mona oder Susan und haben
schon jetzt Starqualitäten. Nicht nur auf
der Bühne, nicht nur, weil sie zu den Musik- und Tanzstudenten der Profi-Bewegung „Young Americans“ gehören. Die 50
amerikanischen Akteure im Alter von 18
bis 23 Jahren sind gleichzeitig Stars und
Idole für 300 Vegesacker Schüler – und das,
obwohl sie die Kinder und Jugendlichen
mit stundenlangem Unterricht auf Trab hielten.
„Ich habe so etwas noch nicht erlebt und
bin zutiefst beeindruckt von der unglaublichen Motivation, mit der es die ’Young Americans’ geschafft haben, eine Gruppendynamik unter den Schülern in Gang zu setzen.“
Gerhard Gilbert, Rektor der Integrierten
Stadtteilschule Gerhard-Rohlfs, ist völlig fasziniert von dem dreitägigen Workshop, den
die Vegesacker Schule nach einem ausgeschriebenen Wettbewerb von der PricewaterhouseCoopers (PwC)-Stiftung in Höhe
von 25 000 Euro finanziert bekam (wir berichteten).
„Es war unglaublich anstrengend“, erklärte Gilbert, der gemeinsam mit dem Leh-
rerkollegium drei intensive Tage Training
einschließlich Organisation hinter sich
hatte. Ganz das Gegenteil die Schüler:
„Was? Schon zu Ende? Ich möchte gerne
noch eine Woche weiter trainieren“, sagte
etwa die 13-jährige Ndricim. Tatsächlich
schien der Workshop – der am Mittwoch immerhin Unterricht von 8 bis 20 Uhr bedeutete – bei den Jugendlichen einen erstaunlichen Effekt hervorzurufen: Sie waren voller
Vorfreude auf noch mehr Lernen.
„Das wird anhalten, denn die Kinder und
Jugendlichen haben jetzt eine Schlüsselerfahrung gemacht – nämlich, dass man mit
Lernen und Disziplin etwas erreichen kann,
dass sie als Person einen Erfolg verbuchen
können“, erläuterte Michael Heib, EuropaManager der „Young Americans“ den Hintergrund. Seit neun Jahren ist Heib mittlerweile mit den „Young Americans“ in Europa auf Tournee, mehrere Tausend Schüler
hat er so erlebt, für die Vegesacker hatte er
schon zuvor ein Lob im Gepäck: „Ich habe
selten eine so engagierte Truppe gesehen.“
Das Selbstbewusstsein, von den „Young
Americans“ durch Tanz, Musik, Schauspielerei und viel positive Energie innerhalb kürzester Zeit auf die Bremer Schüler übertragen, zeigte sich in erstaunlicher Form am
Donnerstagabend während der Bühnen-
Zwei Bremer erfinden neuen Gitarrenstimmer
18-jährige Schüler stellen ihr Gerät beim Jugend-forscht-Bundeswettbewerb in der Seestadt vor
Von unserem Mitarbeiter
Detlef Kolze
BREMERHAVEN. Komplizierte Wissenschaften und persönliche Plaudereien – das alles
gab es gestern in der Bremerhavener Stadthalle. Der 43. Bundeswettbewerb „Jugend
forscht“ ging in seine entscheidende Phase;
die Juroren machten sich an die Arbeit. Mit
dabei waren auch acht Teilnehmer aus dem
Land Bremen. „Das bringt hier unheimlich
viel Spaß", sagen Jan Hillebrand und Rasmus Rothe vom Schulzentrum an der Bördestraße.
Die beiden 18-jährigen Schüler gehen mit
einer echten technischen Neuentwicklung
ins Rennen: einem automatischen Gitarrenstimmer. „So etwas gibt es nach unseren Recherchen bisher noch nicht, weil das Gerät
für alle Gitarren passt“, meint Jan. Drei Elemente sind notwendig: ein Rechner mit speziell entwickelter Software, eine Messeinheit und eine Mechanik mit sechs Stellmotoren, mit deren Hilfe die Wirbel so gedreht
werden, dass der Ton wirklich stimmt.
„Haben wir komplett selbst entwickelt“,
stellen die jungen Bremer zufrieden fest.
Beide sind selbst Musiker, Rasmus am Klavier und Jan an der Gitarre. „Die Idee
schwirrt mir schon länger im Kopf herum“,
sagt Jan. Aber erst gemeinsam mit Rasmus,
der sich besonders für Robotik interessiert,
kam die Sache in Gang. Untergegangen
sind sie in ihren Forschungen aber nicht:
Beide machen neben der Schule noch Musik, arbeiten als Diskjockeys und treiben
Sport.
Im Wettbewerbsfach Mathematik/Informatik haben sich Sarah Westrop und Carsten Pfeffer vom Schulzentrum S II Utbremen
zu einem Team zusammengeschlossen. Die
19-Jährigen programmieren gern, und da
gab ihnen die aktuelle Diskussion etwa
über elektronische Kontrollen auf Flughäfen einen Anstoß: Sie wollten versuchen,
Menschen anhand ihrer Körperproportionen zu erkennen.
Ausgangspunkt ist ein digitales Foto, das
mit Hilfe eines speziell entwickelten Programms den Umriss eines Körpers herausarbeitet und dann die Längenverhältnisse der
Körperteile errechnet. „So kann man durch
Vergleiche Übereinstimmungen feststellen
und den Personenkreis einschränken“, be-
richtet Sahra. Eine hundertprozentige Identifizierung werde aber auf diesem Wege nicht
möglich sein. Trotz der aufwändigen Arbeit
haben beide noch Zeit für ihre Hobbys.
„Aber die letzten Weihnachtsferien sind dafür draufgegangen", stellt Carsten fest.
Gestern war für alle Teilnehmer des Bundeswettbewerbs ein besonders langer Tag,
weil sie neun Stunden lang bereit sein mussten, ihre Projekte vorzustellen. Auch heute
geht es mit den Juroren noch bis zum Mittag
weiter, bevor von 14.30 Uhr bis 17 Uhr die
Öffentlichkeit über die vielfältigen forscherischen Aktivitäten der jungen Leute staunen
kann.
Morgen Vormittag steht die Siegerehrung an; dazukommen unter anderem Bundesbildungsministerin Annette Schavan
und Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen.
Außer fünf Preisgeldern für die besten Projekte in sieben Fachgebieten gibt es mehr
als 50 Sonderpreise. Vorher sind Besucher
von 9 bis 10.30 Uhr in die Stadthalle eingeladen, danach noch einmal von 13 bis 14 Uhr.
> Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.jugend-forscht.de.
show. Eine ganze Wolke voller zuvor schon
besungener „Happiness“ schien nicht nur
über den Aktiven, sondern auch den Hunderten von Gästen zu liegen. Wohin man
schaute, glückliche Gesichter.
Bei den Kindern, die neben den Musikund Tanzprofis auf der Bühne ihre gesungenen, tänzerischen oder sonstigen Qualitäten
voller Stolz in Solis präsentierten, war das
Strahlen in den Augen genauso ersichtlich
wie bei den vielen Eltern und Gasteltern,
die die beeindruckende Bühnenshow mit
nicht enden wollendem Applaus bedachten.
„Ob die Disziplin der Schüler diesen
Workshop überlebt, vermag ich jetzt noch
nicht zu sagen“, gestand Gilbert ganz freimütig. „Das unvergessliche Erlebnis wird
bleiben.“ Das sah auch PwC-Vertreter Bernhard Biekmann so und denkt schon über einen weiteren Workshop in Bremen nach.
Karten-Vorverkauf
für die Kinder-Uni
BREMERHAVEN (XKW). Für die Kinder-Uni
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Themen sind die Meeresforschung, die Ökonomie und das Motorrad. Der Vorverkauf in
der Info-Zentrale der Hochschule, An der
Karlstadt 8, ist am Dienstag von 13.30 bis 18
Uhr geöffnet, am Mittwoch von 8 bis 12 Uhr.
PERSONALIEN
Reinhard Wessel, Leiter des Landesbüros
der Konrad-Adenauer-Stiftung, beendet
Ende Mai nach über 15 Jahren seine Tätigkeit in Bremen. Er wechselt für die Stiftung
nach Zagreb/Kroatien, um die Leitung der
dortigen Außenstelle zu übernehmen. Sein
Nachfolger ist Ralf Altenhof.
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Jan Hillebrand und Rasmus Rothe vom Schulzentrum an der Bördestraße gehen bei „Jugend forscht“ mit einer technischen Neuentwicklung ins
Rennen: einem automatischen Gitarrenstimmer. In Bremerhavens Stadthalle stellen die Teilnehmer den Juroren ihre Arbeiten vor.
FOTOS: KOLZE
SONNTAGSAUSGABE VON WESER-KURIER
BREMER NACHRICHTEN · VERDENER NACHRICHTEN
SONNTAG
25. MAI 2008
CSU droht mit
Koalitionsbruch
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26. JAHRGANG · NR. 21
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Jetzt geht’s bald los:
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trainiert auf Mallorca
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BREMEN
Auf der Reisemeile in
der City präsentieren
sich Urlaubsorte und
Reiseveranstalter.
SEITE 11
NIEDERSACHSEN
Heute ist Gedenktag
für Katrin Konert und
23 weitere vermisste
Kinder im Lande.
Das Chorfest wird zur Ode „An die Freude“
Als der gemeinsame Chor der Universitäten
Bremen und Namibia in der Nacht der Chöre in
der Glocke auftritt, droht der Konzertsaal aus
allen Nähten zu platzen. Dicht an dicht stehen
SEITE 33
GLÜCKSZAHLEN
9
34 37 46
Zusatzzahl 16 · Superzahl 5
Spiel 77: 7205192
Super 6: 648154
WETTER
Tagsüber
Nachts
BONN (DPA). Die Deutsche Telekom hat
dem Magazin „Spiegel“ zufolge mehr als
ein Jahr lang Kontakte von Managern und
Aufsichtsräten zu Journalisten ausgespäht.
Unter den Projektnamen „Clipper“ und
„Rheingold“ sei es um die „Auswertung
mehrerer Hunderttausend Festnetz- und
Mobilfunk-Verbindungsdatensätze
der
wichtigsten über die Telekom berichtenden deutschen Journalisten und deren privaten Kontaktpersonen“ gegangen.
Dabei beruft sich der „Spiegel“ auf ein
dreiseitiges, dem Magazin vorliegendes
Schreiben einer Berliner Beratungsfirma an
einen Telekom-Juristen. Die Telekom bestätigte den Bericht gestern zumindest in Teilen: „Bei der Deutschen Telekom ist es nach
derzeitigen Erkenntnissen 2005 und nach
aktuellen Behauptungen auch 2006 zu Fällen von missbräuchlicher Nutzung von Ver-
„Es gibt keine
Denkverbote“
Regen
Katholikentag geht heute zu Ende
21°
12°
> Ausführliche Informationen auf
40%
SEITE 8
INHALT
Leserforum
Sonderseite „Chorfestival“
Fernsehen
Blick in die Welt
Bremen
Tipps & Termine
Regionales
Niedersachsen
Märkte & Macher
Auto & Verkehr
Reise & Touristik
Musikszene
IVD-Spezial
Rätsel & Roman
Kultur
Sport
Regionalsport
CD
Sonntags-Reportage
Zoom
Gesundheit
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37
38
70021
4 194176 501006
meinsam mit Bundespräsident Horst Köhler
und dessen Ehefrau Eva Luise sangen 2500
Menschen die Ode „An die Freude“ (Berichte
FOTO: JOCHEN STOSS
Seite 6).
Konzern wollte Informanten von Journalisten enttarnen
LUST AM LESEN
„Medien-Seiten“:
Dienst am Leser oder
Material für die SmallTalks Eitler?
6
die begeisterten Zuhörerinnen und Zuhörer
und können gar nicht wieder aufhören, die Akteure zu bejubeln. Ausverkauft war auch das
Abschlusskonzert gestern Abend im Pier 2. Ge-
BERLIN (DPA). In der Union wächst der Ärger über die SPD-Pläne für eine eigene Kandidatur gegen Bundespräsident Horst Köhler – bis hin zu offenen Drohungen der CSU
mit dem Bruch der Koalition. Mehrere Unionspolitiker warfen den Sozialdemokraten
gestern vor, den Boden für ein Linksbündnis
auf Bundesebene zu bereiten. Dennoch
wird der SPD-Vorstand aller Voraussicht
nach morgen die Hochschul-Professorin Gesine Schwan gegen Köhler nominieren.
CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder
bezeichnete eine Nominierung Schwans als
„klares Signal für rot-rote Bündnisse“. Die
CDU-Ministerpräsidenten Dieter Althaus
(Thüringen), Jürgen Rüttgers (NordrheinWestfalen), Roland Koch (Hessen) und Christian Wulff (Niedersachsen) warnten ebenfalls vor einer rot-roten Allianz. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla warf den Sozialdemokraten vor, sich zur „Marionette der
Linkspartei und der NPD“ zu machen. Die
SPD wies die Vorwürfe zurück.
Der neue Bundespräsident wird am 23.
Mai 2009 gewählt. Bislang haben Union und
FDP für ihren Kandidaten Köhler noch eine
knappe absolute Mehrheit. Allerdings wäre
diese Mehrheit nach der Landtagswahl im
September in Bayern dahin, wenn die CSU
dort wie erwartet Prozente verliert.
Innerhalb der bayerischen Unionspartei
wird bereits laut über ein vorzeitiges Ende
der Koalition in Berlin nachgedacht. Der
CSU-Rechtsexperte Norbert Geis erklärte:
„Wenn die SPD Gesine Schwan nominiert,
wäre das ein Bruch in der Koalition.“ Der
CSU-Abgeordnete Stefan Müller wurde
vom Magazin „Der Spiegel“ mit den Worten
zitiert: „Je länger diese Koalition dauert,
umso mehr reift die Erkenntnis, dass eher
früher als später Schluss sein muss.“
Telekom spionierte Manager aus
SEITE 16
2
BAN
EINZELPREIS
1,00 D
OSNABRÜCK (DPA). Bundespräsident Horst
Köhler hat zum inhaltlichen Abschluss des
Katholikentags seine Forderung nach mehr
Kontrolle für die internationalen Finanzmärkte erneuert. Der Staat müsse verhindern, dass Märkte außer Kontrolle geraten
und daraus Schaden für eine große Zahl von
Menschen entstehe, sagte Köhler bei einer
Veranstaltung zur Zukunft der Demokratie
gestern auf dem Laientreffen, das heute mit
einem großen Freiluft-Gottesdienst zu Ende
geht. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, hat sich unterdessen offen für Reformen in der Kirche gezeigt. „Es gibt keine Tabus, es gibt keine Denk- und Sprechverbote“, sagte Zollitsch gestern. „Manches,
was wie ein ,Nicht’ aussieht, ist auch ein
,Noch nicht’.“ Der Freiburger Erzbischof zitierte den von den Nazis ermordeten Priester und Widerstandskämpfer Alfred Delp:
„Wir müssen den Mut haben, Geschichte zu
machen.“ Wichtig sei es, bei den Reformen
alle Flügel der Kirche mitzunehmen.
Die Veranstalter zogen ein positives Fazit
des Katholikentags mit mehreren zehntausend Teilnehmern. „Osnabrück 2008 hat gezeigt: Die katholischen Christen ziehen sich
nicht in einen Winkel der Geschichte zurück“, sagte der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Hans
Joachim Meyer. „Damit sind alle Unkenrufe
widerlegt, Katholikentage hätten ihren Sinn
verloren.“ Meyer wies den Vorwurf der „Kirchenvolksbewegung“ zurück, innerkirchliche Streitthemen seien zu kurz gekommen:
„Es gibt wohl kaum ein brennendes Thema
unserer gesellschaftlichen Situation, das
nicht erörtert, und es gibt auch kein heißes
Eisen im Leben der Kirche, das nicht angepackt wurde.“ Osnabrück sei kein „Kuschelkatholikentag“ gewesen.
bindungsdaten gekommen“, teilte das Unternehmen mit. Dabei handele es sich allerdings nicht um die rechtswidrige Nutzung
von Gesprächsinhalten. „Ich bin über die
Vorwürfe zutiefst erschüttert. Wir nehmen
den Vorgang sehr ernst“ erklärte TelekomVorstandschef René Obermann. „Wir haben
die Staatsanwaltschaft eingeschaltet und
werden sie bei ihren Bemühungen um eine
lückenlose Aufklärung unterstützen.“
Die Telekom berichtete in ihrer Mitteilung, sie habe bereits 2007 weitreichende
personelle und organisatorische Veränderungen in der Konzernabteilung Sicherheit
vorgenommen. „Die Abteilung wurde komplett umgebaut und mit neuen Kontrollmechanismen personeller und organisatorischer Art aufgestellt.“ Die Telekom hatte
die Daten von einer externen Firma auswerten lassen, die auf IT-Sicherheit spezialisiert
ist. Verantwortlich für die Konzernsicherheit war in der fraglichen Zeit der frühere
Personalvorstand Heinz Klinkhammer. Anfang 2007 hatte Obermann dann zwischenzeitlich die Verantwortung für den sensiblen Bereich übernommen und zugleich die
Richtlinien verschärft, so ein Sprecher.
Laut „Spiegel“ ist noch nicht absehbar,
„was von den Vorwürfen eines derart gewaltigen Lauschangriffs wirklich den Tatsachen entspricht“. Unklar ist auch, ob die Vorgänge nur in die Amtszeit von Obermanns
Vorgänger Kai-Uwe Ricke fallen. Der war
im November 2006 von Obermann abgelöst
worden. Dem Magazin zufolge wird in dem
Schreiben an die Telekom behauptet, dass
auch nach November 2006 noch am Projekt
„Clipper“ gearbeitet worden sei.
Ricke sagte dem „Spiegel“, der Vorstand
habe aktiv gegen undichte Stellen im Unter-
nehmen vorgehen wollen. In Absprache mit
dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats, Klaus
Zumwinkel, sei dann die Konzernsicherheit
„etliche Male mit entsprechenden Untersuchungen beauftragt“ worden. So seien Vorstandsvorlagen mit individuellen geheimen
Kürzeln versehen worden, um Informanten
zu enttarnen. Bisweilen seien vor Vorstandssitzungen auch gezielt Dokumente mit falschen Informationen verteilt worden, um so
feststellen zu können „welche Informationen bei welchen Presseorganen ankommen“.
Der „Spiegel“ berichtet weiter, dass dem
Schreiben zufolge auch in das Büro eines
wichtigen Wirtschaftsjournalisten ein Maulwurf eingeschleust worden sein soll, der
über mehrere Monate „direkt an die Konzernsicherheit“ der Telekom berichtet
habe.
Dämpfer für Oskar Lafontaine
Doppelspitze der Linken mit schlechterem Ergebnis bestätigt / Parteitag für 50-Milliarden-Programm
COTTBUS (DPA). Die Linke hat ihren Vorsitzenden Oskar Lafontaine mit einem Dämpfer im Amt bestätigt und sich zugleich mit einer Kampfansage an die anderen Parteien
auf den Bundestagswahlkampf 2009 eingestimmt. Mit Kampagnen für Rentner, Arbeitslose und Kinder will die Linke ihre
jüngste Erfolgsserie fortsetzen. Der Leitantrag zu einem steuerfinanzierten 50-Milliarden Euro-Programm für mehr Investitionen
in Bildung, Gesundheit und Umwelt wurde
klar angenommen.
Die rund 550 Delegierten des ersten regulären Parteitags in Cottbus bescherten Lafontaine, aber auch dem Co-Vorsitzenden
Lothar Bisky gestern schlechtere Ergebnisse als vor einem Jahr. Beide Parteichefs
schworen die Linke auf Geschlossenheit im
Kampf für einen Politikwechsel ein. Die Linken müssten sich mutig gegen den „finanzmarktgetriebenen Kapitalismus“ und die
grassierende „Privatisierungsorgie“ stellen.
Der frühere SPD-Chef Lafontaine erhielt
428 Ja-Stimmen (78,5 Prozent), auf den langjährigen PDS-Vorsitzenden Bisky entfielen
443 Stimmen (81,3 Prozent). Beim Gründungsparteitag der Linken vor knapp einem
Jahr hatte Lafontaine 87,9 Prozent und
Bisky 83,6 Prozent bekommen.
Lafontaine hatte zuvor in einer kämpferischen und bejubelten Rede den Nerv der Delegierten getroffen. Er berief sich auf Karl
Marx, Friedrich Engels, Karl Liebknecht,
Rosa Luxemburg und Willy Brandt. „Wir haben den Wind der Geschichte in unseren Segeln.“ Lafontaine griff die anderen Parteien
scharf an und stellte die Linke als maßgebliche Kraft in Deutschland für soziale Gerechtigkeit dar. Die Genossen umwarb der als autoritär kritisierte Lafontaine mit solidarischen Tönen: „Wir haben nicht nur eine Führungsperson – wir sind ein Team. Die Weichenstellung erfolgt durch die Mitglieder."
Bisky warnte vor innerparteilichen Macht-
kämpfen zwischen einzelnen ideologischen
Strömungen.
Die Linke beklagt eine Unterfinanzierung
der öffentlichen Haushalte von 120 Milliarden Euro und fordert höhere Steuern für Reiche und große Unternehmen sowie zusätzliche 500 000 öffentlich finanzierte Stellen.
Mittelfristig müsse es einen Mindestlohn
von zehn Euro geben. Massenentlassungen
in profitablen Konzernen sind nach Ansicht
der Linken zu verbieten. Die NATO soll aufgelöst werden. Die Linke lehnt jegliche Militäreinsätze ab und fordert den Abzug der
Bundeswehr aus Afghanistan.
Die SPD wirft der Linken vor, ihre Wähler
zu täuschen. Der Sprecher des SPD-Forums
Demokratische Linke, Björn Böhning, kritisierte im Interview mit dieser Zeitung, dass
der Linken-Parteitag in Cottbus kein Parteiprogramm beschließt. „Die Linke will für
ihre Forderungen nicht geradestehen.
Wenn sie eine verantwortliche Partei sein
will, muss sie ihre Ziele für alle transparent
in einem Programm festschreiben.“ Böhning sprach von „Wählertäuschung und Populismus reinster Natur“.
> Interview
Hielt eine kämpferische Rede: Oskar Lafontaine auf dem Parteitag der Linken.
Seite 2
FOTO: DDP
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NR. 21 · SONNTAG, 25. MAI 2008
Bischof stellt
Liederbuch vor
Sammlung für den Kirchentag 2009
Von unserer Redakteurin
Rose Gerdts-Schiffler
Horst Köhler gab sich gestern Abend als früherer Chorsänger zu erkennen.
Begeistertes Massensingen mit zwei Präsidenten und den Bremer Philharmonikern: Bei der Ode „An die Freude“ hielten es weder Henning Scherf,
noch Horst Köhler oder einen der anderen 2500 Gäste auf den Stühlen.
FOTOS: JOCHEN STOSS
Auch die Bodyguards sangen mit
BREMEN. Der Liedermacher Fritz Baltruweit
und der frisch zum Bischof gewählte Kirchentagspastor Jan Janssen haben gestern
Nachmittag auf dem Marktplatz anlässlich
des Chorfestes Fundstücke der besonderen
Art vorgestellt: 120 Lieder, die auf dem Bremer Kirchentag 2009 gesungen werden sollen. Vom 20. bis zum 24. Mai kommenden
Jahres werden in Bremen 100 000 Menschen erwartet.
Beim Offenen Singen auf dem Bremer
Marktplatz wurden die Sänger und Sängerinnen vom Posaunenchor des Evangelischen Posaunenwerkes Bremen unter Leitung von Rüdiger Hille und dem Akkordeonspieler Johannes Grundhoff unterstützt. Das
Liederbuch mit dem Titel „Fundstücke“ enthält insgesamt 120 Lieder. Unter ihnen befinden sich auch 23 neue Kompositionen. Viele
passen zur aktuellen Losung des Kirchentages „Mensch, wo bist Du?“ oder zu anderen
biblischen Texten. Manche Kompositionen
gelten als Klassiker des Neuen Geistlichen
Liedes. So sind in „Fundstücke“ auch Anleihen aus Gospel, Swing oder Klezmer enthalten. Aber auch volkstümliche Melodien,
Choräle oder Psalmodien, die neu entdeckt
oder überarbeitet wurden, tauchen in dem
Liederbuch auf.
Erstmals erscheint das Liederbuch schon
ein Jahr vor dem Kirchentag. Die Sammlung
eignet sich dafür, um Sänger, Chöre und Gemeinden schon jetzt auf das Großereignis
einzustimmen. Darüber hinaus enthält das
Buch Vorschläge für Einsatzmöglichkeiten
im Gottesdienst.
Großes Abschlusskonzert mit 2500 Mitwirkenden und Bundespräsident Horst Köhler im Pier 2
Von unserer Redakteurin
Rose Gerdts-Schiffler
BREMEN. Noch vor dem offiziellen Beginn
ging es gestern Abend im Pier 2 für alle
mehrfach die Tonleiter rauf und runter.
Der Text zum Einsingen anlässlich des Abschlusskonzertes mit dem Bundespräsidenten hätte passender nicht sein können: „Wahann kommst Duhu, wahann kommst
du...?“ Soviel steht fest – Horst Köhler samt
Ehefrau und Sicherheitstross gaben keinen
Anlass zur Ungeduld, sondern trafen pünktlich in der Halle ein.
Dafür wurde Bürgermeister Jens Böhrnsen vermisst. Statt seiner sprang Finanzsenatorin Karoline Linnert gestern Abend ein
und begrüßte die rund 2500 Gäste, die zugleich auch Mitwirkende waren. Denn es
sangen nicht nur die Chöre auf der Bühne so-
wie die drei Solisten Christine Süßmuth, nen alten Bekannten wieder, war sie doch
Waltraud Mucher und Knut Schoch, son- 2006 als eine von nur vier Schülern aus ganz
dern Hunderte von Sängerinnen und Sän- Deutschland mit Horst Köhler nach Afrika
ger aus den verschiedensten
gereist. Dort hatte ihre Schule in
Chören, die derzeit in Bremen
einem Dorf in Mozambique
»Singen ist
zu Gast sind. Bei der Ode „An
Geld für den Bau eines Brundie Freude“ vergaßen sogar einens und einer Bäckerei zur Verlängst zur
nige Sicherheitsleute, das Publifügung gestellt. „Herr Köhler ist
kum permanent nach potenzielebenso wie ich stark an Afrika inVolksbewegung teressiert“, erzählte das Mädlen Missetätern abzusuchen und
sangen mit.
chen.
geworden.«
In den Reihen war denn auch
Und am Gesang, hätte sie
nichts Böses zu finden. Ob Kinnoch hinzufügen können. Denn
der, Männer- oder Frauenchöre,
in seiner Rede betonte der BunBundespräsident
Horst Köhler
viele hatten sich sofort mit ihrer
despräsident, dass er einst selAnmeldung fürs Chorfest Karber in einem Männergesangsverten für das Abschlusskonzert im Pier 2 gesi- ein in der Nähe von Tübingen mitwirkte.
chert. Die 17-jährige Monika Böhnke von Seine Frau Eva Luise sei bis heute aktive
den „Steverlerchen“ aus Appelhülsen bei Chorsängerin, betonte Köhler mehrfach. So
Münster traf an dem Abend sozusagen ei- müsse er denn manchmal allein auf offi-
zielle Termine gehen, da sie Chorprobe
habe.
Köhler hob hervor, dass Musizieren und
Singen inzwischen eine Volksbewegung
seien, an der mehr als acht Millionen Menschen teilnehmen. „Unser Land braucht Gesang“, betonte er zum Abschluss und erhielt
unter anderem vom Homburger Frauenchor, der als einziger aus dem Saarland an
die Weser angereist war, großen Applaus.
Für viele, wie etwa die Sängerinnen von
„Vocalis“ aus Hoffenheim bei Heidelberg,
war der Abend ein „toller Event“. Sie gehörten zu den Gastchören auf der Empore, die
Sätze aus dem Messias mitsangen. Für Generalmusikdirektor Markus Poschner von
den Bremer Philharmonikern war es vermutlich eine Premiere: Wurde doch nicht nur
vor, sondern erstmals auch hinter ihm kräftig mitgesungen.
Fritz Baltruweit, Jan Janssen, Pastor Renke
Brahms und Rüdiger Hille (v.l.) FOTO: STOSS
Bremen leuchtet: Ein Lied geht um die Welt
Lebensfreude und Gesangslust brachten bei der Nacht der Chöre die Innenstadt zum Klingen
Von unserer Mitarbeiterin
Sigrid Schuer
BREMEN. Die Glocke im Ausnahmezustand.
Auf einen derartigen Ansturm von Musikbegeisterten war das altehrwürdige Konzerthaus nicht gefasst gewesen. Der kleine Saal
der Glocke war überfüllt mit enthusiastisch
mitklatschenden Anhängern des Bremer
Barbershopchors „Singsation“, geleitet von
Stephan Reiß. Seine close harmony-Kunst
und die Interpretation von Louis Armstrongs
„What a wonderful world“ wird mit einem
langgezogenen „Oh ... wie schön!“ quittiert.
Da fällt es kaum auf, dass das „Beach Boys
Medley“ zuweilen etwas aus dem Takt gerät.
Zeitgleich wächst die Zahl der draußen geduldig vor dem großen Saal auf Einlass Wartenden stetig. Aber wie heißt es doch in dem
geflügelten Gorbatschow-Wort: „Wer zu
Michael Blume, Vorsitzender des Musikrates (Zweiter v. r.), und Henning Scherf, Präsident des
spät kommt, den bestraft das Leben“. Die
Deutschen Chorverbands, verliehen die Preise an glückstrahlende Gewinner. SIS·FOTO: STOSS
Einlass-Damen lauschen angestrengt an
den Türen, ob es wohl eine winzige Pause
gibt, in der die Nachzügler in den Saal hineinschlüpfen können. Um wenigstens
noch ein Zipfelchen von Steve Dobrogosz’
„Mass“, interpretiert von der Bremer Kantorei St. Stephani & Ensemble D’Accord Bremen unter der Leitung von Tim Günther, zu
erhaschen.
Preisverleihung wurde auf den Marktplatz verlegt
Überhaupt nichts mehr zu machen ist, als
Kategorie Romantik B:
der Gemeinsame Chor der Universitäten
Von unserer Mitarbeiterin
1. Preis: CHORoNA
Bremen und Namibia, dirigiert von Susanne
Sigrid Schuer
Kategorie Romantik A:
Gläß, eine Viertelstunde später Weltmusik
BREMEN. Nichts ging mehr in der überfüll- jeweils ein 1. Preis
singt. Der große Saal der Glocke droht aus alten Glocke. Deshalb traf das Organisations- Camerata Musica Limburg
len Nähten zu platzen. Die anschließende
komitee des Chorfestes spontan die Ent- Männerstimmen Chorknaben Uetersen
Siegerehrung muss notgedrungen auf den
scheidung, die abschließende Preisverlei- Kategorie Romantik B:
Marktplatz verlegt werden. „Da kommt keihung, die von Dirk Böhling moderiert Chorona Buseck
ner mehr rein“, erklärt ein junges Mädchen
wurde, auf die große Bühne auf dem Markt- Sonderwertung Volkslied:
achselzuckend und stimmt gut gelaunt mit
platz zu verlegen. „Wer singt, gewinnt“, die- 1. Preis Bremer Jazzchor „Just Friends“
seinen Chor-Kolleginnen eine eigene deutses Motto hatte die Jury wörtlich genom- Kategorie Jazz Pop B:
sche Version von Edith Piafs „Mylord“ an.
men, keiner der teilnehmenden Chöre ging 1. Preis Chor Divertimento
Unten im Foyer gestalten die Mädels dann
leer aus. Die Preise wurden von Henning Kategorie Jazz Pop A:
mit engelsgleichen Stimmen spontan ihr AlScherf, Präsident des Deutschen Chorver- 1. Preis: Bremer Jazzchor „Just Friends“
ternativ-Programm und finden jede Menge
bandes, und Michael Blume, Vorsitzender Kategorie Moderne B:
faszinierte Zuhörer. Inzwischen springen
des Musikrates, verliehen. Im Folgenden Kammerchor Altensteig
die Türen des großen Saals der Glocke auf
die Erstplatzierten:
Kategorie Moderne A:
und herausgetänzelt kommt eine fabelhaft
Kategorie Kinderchor:
1. Preis Camerata Musica Limburg
gelaunte Susanne Gläß, die, getragen von
1. Preis: scola musica ahrenensis.
Sonderpreis, gestiftet von Radio Bremen:
der Begeisterung des Publikums, mit ihren
Kategorie Folklore/Weltmusik:
Bremer Jazzchor „Just Friends“
jungen Namibierinnen im Schlepptau das
1. Preis: JungerChor TakeFour
Sonderpreis des Deutschlandradios:
afrikanische Lied „Amarula“ anstimmt.
Kategorie Show/Musical:
Camerata Musica Limburg
Nicht von ungefähr dürfen sie sich später
1. Preis: VocalCords, Esthal
In jeder Kategorie wurde zudem ein Son- über den dritten Preis in der Kategorie FolkKategorie Alte Musik:
derpreis für die Uraufführung eines Volks- lore/Weltmusik freuen. Und die Kollegen
1. Preis ensemberlino vocale
liedsatzes verliehen.
vom Bremer Jazzchor „Just Friends“ räu-
men freudestrahlend gleich in mehreren Kategorien ab.
Bremen leuchtet und klingt bis weit nach
Mitternacht und verströmt mit lässigem Flanier-Flair eine geradezu mediterran heitere
Atmosphäre. Wer kontemplative Ruhe
sucht, der nimmt sich inzwischen eine Auszeit im St.-Petri-Dom. Dort verströmt die
Kantorei Andreas - St. Remberti unter der
Leitung von Rolf Quandt in vielstimmigem,
kraftvollen Schöngesang andächtig eine
Ode an den lieben Gott: „Lobe den Herrn,
meine Seele“. Die Nacht der Chöre klingt
schließlich auf dem Marktplatz unter der Leitung von Michael Blume aus, als Hunderte
gemeinsam mit dem Präsidenten des Deutschen Chorverbands, Henning Scherf, den
Kanon „Abendstille überall“ und „Der
Mond ist aufgegangen“einträchtig singen.
Die Musik entfaltet an diesem Abend eindrucksvoll ihre völkerverbindende und sinnstiftende Kraft .
Ganz so, wie es gerade eben noch die Herren der MGV „Union“ Bork 1879 in gestandener Shantykluft mit heiligem Ernst in der
Bürgerschaft mit markigem Stimm-Volumen beschworen hatten: „Ein schöner
Traum ist die Musik. Musik versöhnt in
schwerer Zeit“. Über den Enthusiasmus, mit
dem diese Nacht der Chöre getragen
wurde, ließe sich bilanzieren: „Da staunt
der hintere Orient, da staunt der vordere Orient!“ Das war allerdings auch schon der
Fall, als die Wolperdinger Singers im
Schlachthof unter anderem mit dem alten
Bill Ramsey-Hit: „Die Zuckerpuppe von der
Bauchtanzgruppe“ mit rhythmischer Tanzgymnastik ordentlich Leben in die Bude
brachten. Nicht von ungefähr heimsten sie
dafür in der Kategorie Jazz Pop B den zweiten Platz ein. Hin und weg konnte man sein
von ihrer mitreißend witzigen Interpretation
etwa des Titels „Paper Moon“ in eminent
stimmschönem close harmony-Gesang.
Niemand ging beim
Wettbewerb leer aus
Hunderte waren auf den Marktplatz gekommen, um gemeinsam den Kanon „Abendstille überall“
und „Der Mond ist aufgegangen“ zu singen.
SIS·FOTO: JOCHEN STOSS
BREMEN
MONTAG, 26. MAI 2008 · NR. 121
DURCHBLICK
Die Woche – kommentiert von
Peter Voith
Telefon: 04 21/ 36 71 3610
E-Mail: [email protected]
Ganz Chor und ein Abgesang
Bremen ist ganz Chor gewesen. Rund 7000
Sängerinnen und Sänger haben die ganze
Stadt mit purer Lebensfreude überzogen –
die Werbung für Bremen schlechthin. Bürgermeister Jens Böhrnsen war leider nicht
da, als das Fest eröffnet wurde. (Die Christival-Veranstalter mit 16 000 Gästen können
ein Lied davon singen). Die Senatskanzlei
beteuert, der Bürgermeister wäre bei der Eröffnung am Donnerstag auf dem Marktplatz gern dabei gewesen. Aber er hatte tatsächlich in Berlin im Vorfeld der Bundes-
ratssitzung einen wichtigen Termin, bei
dem Bremens Interessen als Raumfahrtstandort vertreten werden mussten. Den
habe er nicht absagen können, hieß es. Das
wollen wir ihm gern glauben.
In der Bundeshauptstadt freilich kümmerte er sich nicht nur um Bremens Interessen, sondern mischte auch gleich bundespolitisch mit. So ließ er verlauten, dass er sich
in der Frage der Kandidatur für das Bundespräsidentenamt auch für Gesine Schwan –
und somit gegen den amtierenden Horst
Köhler – ausspreche. Böhrnsen stimmt ein
in den SPD-Abgesang auf Horst Köhler –
kurz bevor er genau jenen Bundespräsidenten im Pier 2 treffen will, um mit ihm und
2500 Choristen sowie den Bremer Philharmonikern beim Abschlusskonzert auf der
Bühne zu stehen. Wäre Böhrnsen in erster
Linie Parteipolitiker, man müsste ihm diese
Äußerung zu jedem Zeitpunkt zugestehen
– aber gutes Timing politischer Stellungnahmen eines Bürgermeisters sieht anders
aus. Folgerichtig hat er dann den Termin
abgesagt. Der Bundespräsident kommt
nach Bremen, der Bürgermeister hat keine
Zeit. Dafür wird es sicherlich auch eine
plausible Erklärung aus der Senatskanzlei
geben. Oder doch nicht? Wir sind ganz Ohr.
Ganz Ohr bei der Aufklärung
Ganz Ohr war die Öffentlichkeit vorige Woche, als mal wieder die schlechten Aufklärungsquoten der Bremer Polizeibeamten
Schlagzeilen machten. Tatsächlich gibt einem die Statistik zu denken: Warum werden in Bayern (Spitzenplatz) fast 65 Prozent, in Bremen aber nur gut 40 Prozent der
Straftaten aufgeklärt? Gut: Die Stadtstaatenproblematik ist eine Erklärung. Sie
reicht aber nicht aus. Immerhin schaffen
auch die Berliner eine zehn Prozentpunkte
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höhere Aufklärungsquote. Also liegt es allein am Personalmangel, wie die Gewerkschaft reflexartig argumentiert? Schön
wär’s. Dann bräuchte Bremen „nur“ sein
Polizeipersonal etwas mehr als verdoppeln,
und die Kriminalität wäre – rein statistisch
gesehen – in Bremen abgeschafft.
Es muss also doch bremische Besonderheiten geben. Eine ist wohl die aus der Not
geborene Strategie der Bremer Polizei, sich
Kriminalitätsschwerpunkte
herauszusuchen. Will heißen: Um wieder Ruhe auf der
Diskomeile zu bekommen, um eskalierende Jugendgewalt beispielsweise in
Huchting und Kattenturm einzudämmen,
zieht die Polizei ihr Personal zusammen.
Wo sie mit normenverdeutlichenden Gesprächen in sogenannten Hochrisiko-Familien nicht mehr weiterkommt, steht sie ständig vor der Tür und hat ein Auge auf ihr
Klientel. Das kostet Personal – Personal,
das fehlt, wenn es etwa um die Verfolgung
von kleineren Diebstählen oder sonstiger
Bagatelldelikte geht. Gerade diese Bagatelldelikte, zu denen auch das Schwarzfahren oder der Besitz kleinerer Drogenmengen gehört, treiben die Statistik in die
Höhe. Im Klartext: Wer in Bussen und Bahnen oder auf der Straße viele Leute kontrolliert, wird in der Erfolgsstatistik gut dastehen. Aber ein Bundesland, dem das Wasser
bis zum Hals steht, kann nun mal nicht einfach mehr Personal einstellen, um Kriminalität statistisch weiter einzudämmen. Über
das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung besagen die vorgelegten Zahlen jedenfalls nichts. Dass die Polizeiführung
trotzdem nicht einfach zur Tagesordnung
übergehen und nach möglicherweise doch
anderen Gründen für die schlechte Aufklärungsquote forschen will – alle Achtung.
Wir sind ganz Ohr.
„Wir wollen gar
nicht wieder heim“
Chöre fahren fast wehmütig wieder nach Hause
stätigt Michael Sauerwald. Beide kannten
Bremen zuvor nicht. Doch seit dem Wochenende gehört das Paar zu den bekennenden
BREMEN. Journalisten sehen sich gern als Neu-Fans des kleinsten Bundeslandes.
kritische Zeitgenossen. Nach den begeisterPatrick Köhn, Fionn Stursberg, Christine
ten Berichten über das Chorfest sollten nun Wolfram und Valerie Elsässer singen im Stuendlich kritische Töne ihren Platz finden. dentenchor der Uni Bremen mit. Studenten
Doch entweder schließen sich Nörgeln und sind ein kritisches Völkchen – also bitte, wie
Singen aus, oder Organisation und Stim- lief es? Doch auch die üblichen Verdächtimung waren wirklich überwältigend gut. gen in Sachen Protest schauten durchgän„Wir wollen gar nicht wieder heim“, gig selig drein. „Abends haben sich die verschwärmte Sängerin Christel Frei und schiedenen Chöre an der Schlachte gegensprach damit vielen aus der Seele.
seitig etwas vorgesungen“, erzählt Patrick
Der Ruf Bremens im SüdwesKöhn.
Fionn
Stursberg
ten Deutschlands scheint tenschwärmt von der „Superorgani»Ganz
denziell noch verbesserungsfäsation“ und Valerie Elsässer,
hig. „Die Menschen hier sind so
dass viele Auftritte auf die MiBremen
freundlich und offen“, staunen
nute genau eingehalten werden
die Frauen aus dem Chor „Vocakonnten.
war eine
lis“. Die Baden-WürttembergeNur bei einigen wenigen Chörinnen sind so begeistert vom
ren stimmten die Ankündigungroße
Charme der Hansestadt und ihgen an den Eingängen der Gerer Bewohner, dass sie am liebssangsorte nicht mit der tatsächliFeier«
ten einen Lobgesang anstimchen Auftrittszeit überein. So
men würden. Ganz ähnliche
verpassten viele Interessierte
Chorleiter
Töne schlagen die Chorleiter Sylden Bremer Frauenjazzchor
Michael Sauerwald
via und Michael Sauerwald vom
„Ein Ton tiefer“. Ihr begeistertes
Jazz-Pop-Chor „Divertimento“
Publikum hatte die Gruppe denaus dem Westerwald an. „Ganz Bremen war noch. Denn die Obere Rathaushalle war
eine Feier“, schwärmt die 37-Jährige. „Die durchgängig brechend voll.
Organisation war super!“ Bei Auftritten sei
Einige Musikbegeisterte kamen zu spät
sogar die Garderobe bewacht worden. „Es zum Mitternachtsgesang auf dem Marktwurde sich richtig um uns gekümmert“, be- platz, da er schon eine Viertelstunde eher
Von unserer Redakteurin
Rose Gerdts-Schiffler
Philine Klüver von „Northern Spirit“: „Nach
anfänglichem Wirrwarr war alles bestens.“
Michael und Sylvia Sauerwald von „Divertimento“: „Es wurde sich richtig gekümmert.“
Patrick Köhn vom Studentenchor der Uni:
„Super Organisation.“
FOTOS: STOSS
als geplant anfing. Die 15-jährige Philine
Klüver von dem Bremer Chor „Northern Spirit“ machte zudem einen organisatorischen
Wirrwarr in den Tagen vor dem Chorfest
aus. „Doch letztlich hat alles toll geklappt“,
fällt sie in den Begeisterungskanon ein.
Einzig das ansonsten liebevoll gestaltete
Programmheft sorgte bei einigen Teilnehmern für Verwirrung, war es doch in spezielle Kategorien wie „Soziales Singen“
oder „Nacht der Chöre“ oder „Offenes Singen“ unterteilt. Doch eine simple Tagesübersicht fehlte leider. Hauptorganisator
Moritz Puschke, der das Großereignis mit ei-
nem Mini-Stab Hauptamtlicher und vielen
Ehrenamtlichen aus den Bremer Chören auf
die Beine stellte, wird auch das nächste
Chorfest 2012 organisieren. Erleichtert und
erschöpft bilanzierte der studierte Musiker
gestern: „Das Chorfest hat die gesamte
Stadt mitgenommen.“
Strahlkraft – bis in die Straßenbahn
Generalmusikdirektor Poschner bewältigte das Mitsing-Abschluss-Konzert des Chorfestes mit Bravour
Von unserer Mitarbeiterin
Sigrid Schuer
BREMEN. Welch krönender Abschluss eines
perfekten Tages! Über dem Pier 2 blaut ein
makelloser Himmel, wie er selbst auf Capri
schöner nicht sein könnte. Während die rote
Sonne in der Weser versinkt, strömen Hunderte aus dem Abschlusskonzert des Chorfestes Richtung Straßenbahn. In der Linie 3
stimmen junge Choristen die von Beethoven vertonte „Ode an die Freude“ an:
„Freude, schöner Götterfunken, Tochter
aus Elysium. Wir betreten feuertrunken
Himmlische, Dein Heiligtum“.
Mit dem „Halleluja“ aus Händels Oratorium „Der Messias“ hauchen sie in der Straßenbahn Schillers Utopie „Alle Menschen
werden Brüder, wo Dein sanfter Flügel
weilt“ neues Leben ein. Ganz so, wie es Bundespräsident Horst Köhler zuvor im Konzert
beschworen hatte: „Wo man singt, da lass’
Dich ruhig nieder“ – „da bleibt kein Platz für
Aggressionen“.
Generalmusikdirektor Markus Poschner
hatte am Pult der Bremer Philharmoniker gezeigt, was es bedeutet, „feuertrunken“ zu dirigieren. 650 Chorsänger sangen stimmgewaltig „Ehre sei Gott in der Höhe“ und lie-
ßen auf der Bühne und der Empore Händels
erhabene Musik aus dem „Messias“ zu einem Rundum-Klangerlebnis werden. Eine
Herkulesaufgabe für den Dirigenten. „Der
ist so neu, dass er sich noch traut, so was zu
machen“, hatte Henning Scherf, der Präsident des Deutschen Chorverbandes, anfangs launig bemerkt. Am Ende staunte er
nicht schlecht: „Das haben Sie toll gemacht.
Bleiben Sie in Bremen, wir wollen weiter mit
Ihnen singen!“
Poschner gelang es, gleich drei Chöre,
den HasslerChor Münchweiler an der Rodalb, den Kodály-Chor Hamburg und den
Großen Hochschulchor der Hochschule für
Künste Bremen scheinbar mühelos zu einer
homogenen Einheit zu verschmelzen. Von
diesem Enthusiasmus ließen sich auch Bundespräsident Horst Köhler und seine Gattin
anstecken. Sie sangen in der ersten Reihe
aus voller Kehle „Halleluja“. Genauso wie
Henning Scherf und Markus Poschner, die
in Händels irdisches Heilsversprechen miteinstimmten. Nach zu zaghaftem Beginn liefen die versierten Oratoriensänger, die Altistin Waltraud Mucher und der Tenor Knut
Schoch, besonders in dem Duett „Der Tod
ist verschlungen durch den Sieg“ zu prächtiger Strahlkraft auf. Christine Süßmuth inter-
pretierte zuvor die hebräischen Texte in
Bernsteins „Chichester Psalms“ voller Sopransüße.
Schade, dass lediglich Auszüge aus Händels Oratorium zu hören waren. „Mehr davon!“ möchte man den Bremer Philharmonikern und ihrem Chef zurufen. Denn es ist erstaunlich, wie sattelfest das Orchester in
ganz unterschiedlichen musikalischen Sprachen ist. Das gilt für den satten, klangüppigen Bronzeton der Barockmusik, aber auch
für die mal elegisch dominierten, mal perkussiv-tosenden Klangfluten der „Chichester Psalms“, in denen Leonard Bernstein im
zweiten Satz in einem messerscharfen „Allegro feroce“ Anklänge aus seiner „West Side
Story“ aufblitzen ließ.
Wie später auch bei Händel klangen die
vorzüglichen Streicher wie gleißendes Metall. Erstaunlich ist neben Poschners stets
hoch konzentrierter Musikalität auch seine
charismatische Fähigkeit, mit der ihm eigenen, kommunikativen Art, seine Musiker zu
Höchstleistungen anzuspornen. Er formt die
filigranen Verästelungen der Musik behutsam mit den Fingerspitzen. Mit einem erstaunlichen Ergebnis: Chorstimmen und Orchester verschmolzen, obwohl höchst differenziert, zu einem lautmalerischen Meer.
Alte Arbeiterlieder präsentierte gestern im Alten Fundamt im Steintor der Ernst-Busch-Chor
aus Berlin, der im Osten der Stadt zu Hause ist.
FOTO: JOCHEN STOSS
Shantys, Arbeiterlieder und
ein verstimmtes Klavier
Chöre traten beim „Sozialen Singen“ in Seniorenzentren auf
Von unserer Redakteurin
Rose Gerdts-Schiffler
Zeigten sich beim Chorfest-Finale in allen musikalischen Sprachen sattelfest: Die Bremer Philharmoniker.
FOTO: JOCHEN STOSS
BREMEN-STEINTOR. Das Klavier in der Begegnungsstätte der Bremer Heimstiftung im
Haus im Viertel war reichlich verstimmt,
aber darüber sahen die Sängerinnen und
Sänger des Ernst-Busch-Chors aus Berlin
gestern Morgen ebenso großzügig hinweg,
wie die meisten ihrer Zuhörerinnen und Zuhörer. Schließlich firmierte das Konzert, an
dem sich auch der Shanty-Chor Neuss beteiligte, unter der Rubrik „Soziales Singen“.
Britta Seidl vom rührigen Organisationsteam des Chorfestes hatte für diesen sympathischen Splitter unter den vielen Programmpunkten die Verantwortung übernommen.
Allein gestern hatten sich 21 Chöre auf den
Weg in Bremer Seniorenzentren, Pflegeheime und Sozialzentren gemacht. Natürlich kostenlos.
Ursprünglich hatten sich sogar noch mehr
Chöre für das „Soziale Singen“ eingetragen, doch manche Altenwohnheime waren
für die großen Chöre schlicht zu klein. Und
nicht jeder Heimleiter mochte im Vorfeld
auf Sonnenschein vertrauen, so dass man
dem Konzert notfalls auch im Freien hätte
lauschen können. Das „Alte Fundamt“ bot
viel Platz und einen großen Hof. So konnten
die Mitglieder des Shanty-Chors aus Neuss
draußen noch die letzten Sonnenstrahlen genießen, während drinnen bereits die Arbeiterlieder von Ernst Busch erklangen.
Die Mischung hätte gegensätzlicher nicht
sein können, denn der Shanty-Chor hatte
Operettenmelodien, Folklore und Seemannslieder im Repertoire. Chorleiter Manfred Hasebrink, der früher bei der Wasserschutzpolizei im Einsatz war, hat einen Bezug zum Maritimen. Aber auch vielen anderen Sängern ist der Begriff „backbord“ nicht
nur aus den Liedern bekannt. Denn: „Der
Chor ist 1979 aus einem Marineverein entstanden“, betont Hasebrink.
So legt er denn auch Wert darauf, bei jedem Auftritt „echte Shantys“ zu präsentieren, also alte Arbeitslieder der Matrosen.
Klar, dass niemand nach Noten singt.
„Schließlich hatten die Matrosen früher
auch keine Notenblätter in der Hand, wenn
sie an Deck arbeiteten.“ Der Gesang nach
Gehör kam an und die meist älteren Besucher dankten es mit viel Applaus.

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