Zukunftsweisende Textil-Produktion in Deutschland
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Zukunftsweisende Textil-Produktion in Deutschland
TEXTINATION NEWSLINE 06.10.2014 Z U K U N F T S W E I S E N D E T E X T I L -P R O D U K T I O N © Andreas Damm / pixelio.de IN DEUTSCHLAND Nur ein Bruchteil der in Deutschland angebotenen Textilien und Bekleidungsstücke wird im Inland produziert und trägt das „Made in Germany“-Label nicht nur, weil in Deutschland zum Schluss noch ein paar Knöpfe angenäht wurden, sondern weil sie tatsächlich hier gefertigt wurden. Das Gros der Textilien und der Bekleidung stammt aus asiatischer Fertigung. Die wenigen, die noch in Deutschland we- ben, stricken und nähen, mussten sich bis vor kurzem gegen Unverständnis seitens der Banken und Mitbewerber wehren. Das ist vorbei. Möglich, dass Textilunternehmen mit Produktion in Deutschland künftig zu den Gewinnern der Branche gehören. „Vor sechs bis sieben Jahren mussten wir uns noch dafür rechtfertigen, dass wir in Deutschland produzieren. Das ist vorbei. Made in Germany ist wieder gefragt“, erklärt Jan-Frederic Bierbaum, Geschäftsführer der Bierbaum Unternehmensgruppe. Die Unternehmenslenker der Wilhelm Wülfing GmbH, der Borgers AG und der Setex GmbH können das nur bestätigen. Auch wenn die Unternehmen unterschiedliche textile Produkte herstellen, eine Klammer eint sie doch: sie haben ihren Unternehmenssitz im südlichen Jan-Frederic Bierbaum (li), Dr. Frank Bierbaum Münsterland und haben entgegen dem Branchentrend ihre Produktion oder zumindest Teile davon in Deutschland gelassen. –1– Während das südliche Münsterland noch bis Anfang der 1970er Jahre eine starke Industrie aufweisen konnte, verlegten viele Unternehmen in den Folgejahren die Produktion ins asiatische Ausland. Andere mussten ihren Betrieb aufgeben. Die wenigen verbliebenen Betriebe der Branche versuchen durch innovative Produkte und hervorragende Qualität die Weichen für die Zukunft zu stellen und den Standort Deutschland zu sichern. Die Entwicklung zumindest der oben genannten Unternehmen zeigt: diese Entscheidung war die richtige. Alle vier Unternehmen weisen ein positives Umsatzwachstum auf. Bierbaum ist in der vierten Generation und seit über 100 Jahren erfolgreich in der Herstellung von Heimtextilien sowie Mull- und Moltonwindeln. Die Übernahme der Firma Kornbusch & Starting mit der Marke „Flinka“, unter der textile Reinigungstücher produziert werden, erweiterte die Angebotspalette. Mit „Irisette“ ist Bierbaum seit 1994 Inhaber einer der bekanntesten deutschen Bettwäschemarken. „Schon unsere Väter waren sehr vorausschauend. Sie haben nicht auf Importe gesetzt, sondern auf große Produktionseinheiten. Wir haben die Warenproduktion so automatisiert, dass der Lohnanteil nur einen Bruchteil der Produktionskosten ausmacht“, erzählt Jan-Frederic Bierbaum. Die Maschinen in der Anlage in Borken laufen rund um die Uhr, an sieben Tagen in der Woche, im Vier-Schicht-Betrieb. „Wir könnten noch mehr verkaufen, wenn wir es schaffen würden, noch mehr zu produzieren. Wir möchten gern die Kapazitäten erweitern“, erklärt Mitgeschäftsführer Dr. Frank Bierbaum, der zusammen mit seinem Cousin 450 Mitarbeiter in Deutschland und 200 im Ausland beschäftigt. Ein paar Kilometer weiter, ebenfalls in Borken, hat Mitbewerber Wülfing seinen Firmensitz. Das 1885 gegründete Unternehmen ist das älteste Textilunternehmen in Borken. Wie auch Bierbaum befindet es sich seit der Gründung in Familienbesitz. Firmengründer Wilhelm Wülfing verkaufte anfangs Grubentücher für den Bergbau. Jede Generation erweiterte das Programm weiter um zeitgemäße und innovative Artikel. Heute gehören zum Produktspektrum Bettwäsche, Matratzenschutz-Produkte inklusive Inkontinenzartikel, Gesundheits- und Lagerungskissen, Spannbetttücher, Nachtwäsche und Tischwäsche. Durch die Übernahme der Arnold Kock Textil GmbH zum 1. September 2014 wurde die Produktpalette um Objekttextilien und Afrikadamast erweitert. „Die Textilindustrie kann selbstbewusst dastehen im Münsterland“, ist sich Geschäftsführer Josef Kölker sicher. –2– Konsequente Investitionen in modernste Produktionsanlagen, wie zum Beispiel in Maschinen, die eine Fertigungsbreite von 300 cm erlauben, sichern den Erfolg auch im Ausland. Etwa zwei Drittel des Wülfing-Umsatzes wird heute im Export erzielt. „Wichtig sind gut ausgebildete hochmotivierte Mitarbeiter. Die Lohnkosten sind im Vergleich zum Endprodukt bei uns in Borken nicht hoch. Wir können etwa 400 Spannbetttücher mit einer Person in einer Stunde fertigen“, erzählt Mitgeschäftsführer JoJosef Kölker (li), Johannes Dowe hannes Dowe. 230 Mitarbeiter arbeiten im Stammwerk in Borken,weitere 200 sind im Tochterunternehmen in Tschechien beschäftigt. Zu den Kunden der Borgers AG gehören nahezu alle großen Automobilhersteller weltweit. Das Unternehmen entwickelt und produziert leichte Verkleidungs- und Trägerteile, Dämpfungen und Isolationen für den Innen- und Außenbereich sämtlicher Fahrzeug-Gattungen vom kleinen Cabrio bis hin zum schweren LKW. Im unternehmenseigenen Forschungs- und Entwicklungszentrum entstehen – in der Regel auf Basis von Naturfasern wie Baumwolle oder Jute, aber auch aus recycelten Kunststoffen – immer neue, umweltfreundliche Materialien, um das Auto leichter, leiser und komfortabler zu machen. Als international agierendes Unternehmen produziert Borgers nicht nur in Bocholt – hier arbeiten rund 1.200 Mitarbeiter und hier werden unter anderem die Hutablagen für die Mercedes S-Klasse produziert – sondern ist an 21 Standorten in Europa, China und den USA tätig und beschäftigt insgesamt rund 5.400 Mitarbei- Werner Borgers ter. „Unser Mitarbeiter sind unser Kapital. Wir entwickeln jedes Produkt für unseren Kunden neu und sind auf die Erfahrungen in den Köpfen unserer Mitarbeiter angewiesen. Wir haben die gesamte Wertschöpfungskette in unserer Hand“, erklärt Geschäftsführer Werner Borgers. –3– Setex hat sich seit der Firmengründung 1990 zu einem der größten noch verbliebenen Textilhersteller entwickelt. „Wir haben damals von der Wende profitiert“, erzählt Geschäftsführer Konrad Schröer. Setex ist Komplettanbieter von Geweben und bietet Lösungen aus einer Hand – vom unbehandelten Rohgewebe bis über Gewebe mit unterschiedlichsten Veredelungsstufen bis hin zum kompletten textilen Produkt. Schwerpunkte sind die Bereiche Heimtextilien/Matratze, Deko- und Bühnenstoffe sowie technische Gewebe. Rund 6,5 Millionen Kilogramm Garne und etwa 40 Millionen Quadratmeter Gewebe werden pro Jahr auf modernsten Hightech-Maschinen produziert. Konrad Schröer setzt auf den Produktionsstandort Deutschland: „Unser Ortsteil Dingden hat 6000 Einwohner, über 1000 davon sind in der Textilindustrie beschäftigt“, schmunzelt er. Wichtig ist für ihn der hohe Ausbildungsstandard seiner Mitarbeiter: „Unser Kapital sind unsere Mitarbeiter. Über die Hälfte sind selbst ausgebildete Leute. Hier arbeitet einer für den anderen“, so Konrad Schröer. Schnell müsse man sein und flexibel auf Kundenwünsche reagieren: „Wenn wir acht Wochen von der Bestellung zur Lieferung brauchen würden, könnten die Kunden in der Zeit sicher auch einen Lieferanten in Pakistan für weniger Geld finden.“ Susanne Schaper Bildquelle wenn nicht anders angegeben: ZiTex – Textil & Mode NRW –4–