Der Publikumserfolg von Computerspielen
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Der Publikumserfolg von Computerspielen
Reihe Rezeptionsforschung l 28 Reihe Rezeptionsforschung Wodurch lässt sich die große Faszination erklären, die manche Computerspiele auf ihre Spieler ausüben? Um diese Frage zu beantworten, entwickelt die Autorin ein Modell zum Publikumserfolg digitaler Spiele, das Erwerb, Selektion, Spielerleben und Mundpropaganda berücksichtigt. Als Erklärungsansatz dient die Theorie der subjektiven Qualitätsauswahl. In einem MehrMethoden-Design wird untersucht, ob sich die Dimensionen des Publikumserfolgs dadurch erklären lassen, dass die Spieler bestimmte Eigenschaften der Spiele (=Qualitäten) positiv beurteilen. Die Ergebnisse zeigen, dass vor allem solche Spiele großen Anklang finden, die den Spielern eine atmosphärische Welt anbieten, die von charakterstarken Spielfiguren bewohnt ist und die umfassend auf Handlungen der Spieler reagiert. Christina Schumann Der Publikumserfolg von Computerspielen Qualität als Erklärung für Selektion und Spielerleben Christina Schumann Der Publikumserfolg von Computerspielen 28 ISBN 978-3-8487-0308-1 BUC_Schumann_0308-1.indd 1 19.03.13 09:59 http://www.nomos-shop.de/20598 Die Reihe Rezeptionsforschung ist ein Forum für aktuelle empirische und theoretische Beiträge zum Thema Medienrezeption. Dazu gehören Untersuchungen der aktiven Auseinandersetzung der Rezipienten mit Medienbotschaften, die von der Selektion von Medienangeboten und ihren Gründen über Rezeptionsqualitäten und Verarbeitungsprozesse bis hin zur Einbettung der Rezeption in den Alltag und den sich daraus ergebenden individuellen und gesellschaftlichen Konsequenzen reicht. Kurz: Es geht um die Frage „Was machen die Menschen mit den Medien?“ Ansprechpartner für die Redaktion der Reihe: Marco Dohle Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Institut für Sozialwissenschaften Kommunikations- und Medienwissenschaft I Universitätsstraße 1 40225 Düsseldorf E-Mail: [email protected] Reihe Rezeptionsforschung herausgegeben von Marco Dohle, Tilo Hartmann, Carsten Wünsch, Holger Schramm Beirat: Helena Bilandzic, Volker Gehrau, Uwe Hasebrink, Patrick Rössler Band 28 BUT_Schumann_0308-1.indd 2 22.03.13 09:32 http://www.nomos-shop.de/20598 Christina Schumann Der Publikumserfolg von Computerspielen Qualität als Erklärung für Selektion und Spielerleben BUT_Schumann_0308-1.indd 3 22.03.13 09:32 http://www.nomos-shop.de/20598 Titelbild: BioShock2 © Take-Two Interactive GmbH / 2K Games Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Zugl.: TU Ilmenau, Diss., 2012 ISBN 978-3-8487-0308-1 1. Auflage 2013 © Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2013. Printed in Germany. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. BUT_Schumann_0308-1.indd 4 22.03.13 09:32 http://www.nomos-shop.de/20598 Inhalt Tabellenverzeichnis 11 Abbildungsverzeichnis 13 1. Einführung 15 2. Computerspiele: Technologie, Klassifikation, Genres 19 2.1 2.2 2.3 2.4 Geschichtlich-technologische Perspektive Klassifikationsansätze Das Genre der Ego-Shooter Das Genre der Rollenspiele 20 22 28 29 3. Erfolg von Computerspielen als Selektionsprozess 32 3.1 Erfolgsbegriff und Erfolgsmaße 3.2 Publikumserfolg: Selektionsprozesse bei Computerspielen 3.2.1 Definition von Medienselektion 3.2.2 Phasen der Selektionsentscheidungen bei Computerspielen 3.2.3 Zusammenfassung: Ablaufmodell computerspielspezifischer Selektionsprozesse 3.2.4 Auswahl der relevanten Dimensionen (I) 3.2.5 Elaboriert oder heuristisch? 32 34 35 36 45 51 52 4. Die Erklärung von Selektionsprozessen bei Computerspielen: Forschungsstand 56 4.1 Präkommunikative Phase 4.1.1 Erwerb 4.1.2 Nutzungsentscheidungsphase 4.2 Kommunikative Phase 4.2.1 Nicht-manifeste Dimensionen: Spielerleben 57 57 59 62 63 http://www.nomos-shop.de/20598 8 Inhalt 4.2.2 Manifeste Dimensionen: Nutzungsintensität, -frequenz und -persistenz 4.3 Zusammenfassung, Kritik und Implikationen für die vorliegende Studie 4.3.1 Kritik auf methodischer Ebene 4.3.2 Kritik auf praktischer Ebene 4.3.3 Kritik auf theoretischer Ebene 4.3.4 Fazit zur Kritik am bestehenden Forschungsstand 68 69 70 72 73 75 5. Die Theorie der subjektiven Qualitätsauswahl 78 5.1 5.2 5.3 5.4 78 79 82 83 Zum Qualitätsbegriff Qualitätserwartung, Qualitätswahrnehmung und Qualitätsurteil Zur Eignung der Theorie Computerspiele als Gegenstand der Qualitätsforschung 6. Untersuchungsmodell 86 6.1 Auswahl der relevanten Dimensionen (II) 6.2 Forschungsfragen 86 87 7. Qualitative Studie: Qualitätskriterien von Ego-Shootern und Rollenspielen 93 7.1 7.2 7.3 7.4 Untersuchungsdesign Untersuchungsinstrument Datenerhebung Auswertungsstrategie und Analysemodell 7.4.1 Empirischer Zugang zum Analysemodell 7.4.2 Theoretischer Zugang zum Analysemodell 7.5 Forschungsfrage 1: Qualitätskriterien von Ego-Shootern und Rollenspielen 7.5.1 Simulation einer Welt 7.5.2 Handlungen in der Welt 7.5.3 Begegnungen in der Welt 7.5.4 Anmutung der Welt 7.5.5 Vorbereitung der Welt 93 97 104 109 113 117 125 130 131 140 144 146 http://www.nomos-shop.de/20598 Inhalt 7.5.6 7.5.7 9 Zusammenführung der Ergebnisse: Ein Modell subjektiver Qualitätskriterien Kritische Reflexion 148 150 8. Quantitative Studie: Methodisches Vorgehen 153 8.1 Entwicklung des Instruments 8.1.1 Länge und Struktur des Fragebogens 8.1.2 Operationalisierung der Selektionsvariablen 8.1.3 Items: Qualitätserwartungen und -wahrnehmungen – Quantifizierung der qualitativen Ergebnisse 8.1.4 Skalen der Qualitätserwartungen 8.1.5 Kontrollvariablen und Fertigstellung des Fragebogens 8.2 Datenerhebung und Stichprobenziehung 8.2.1 Grundgesamtheit und Quotenplan 8.2.2 Feldphase 8.3 Stichprobe, Gewichtung und Stichprobenmerkmale 153 154 156 164 171 175 175 176 178 181 9. Ergebnisse 187 9.1 Deskriptive Befunde und Faktorenanalysen 187 9.1.1 Qualitätswahrnehmungen: Faktorenanalysen 187 9.1.2 Die untersuchten Spiele auf den Selektionsstufen: deskriptive Befunde 195 9.1.3 Fazit zu den deskriptiven Ergebnissen: Auswahl der näher zu untersuchenden Spiele 207 9.1.4 Qualitätserwartungen und Qualitätswahrnehmungen: deskriptive Befunde 211 9.2 Analysevorbereitung für die Forschungsfragen 2 und 3 213 9.2.1 Berechnung der Qualitätsurteile 213 9.2.2 Multikollinearität und Indexbildung 218 9.2.3 Analyseüberblick 223 9.3 Forschungsfrage 2: Erklärung der Dimensionen des Publikumserfolgs 226 9.3.1 Gesamteindruck: Benotung 227 9.3.2 Kommunikative Phase, manifest: Nutzungspersistenz 236 9.3.3 Kommunikative Phase, manifest: Spiel durchgespielt 237 http://www.nomos-shop.de/20598 10 Inhalt 9.3.4 9.3.5 9.3.6 Kommunikative Phase, nicht manifest: Flow Kommunikative Phase, nicht manifest: Präsenzerleben Postkommunikative Phase, manifest: Anschlusskommunikation 9.3.7 Zusammenfassung der Ergebnisse 9.4 Forschungsfrage 3: Erklärung intramedialer Selektion 9.4.1 Gesamteindruck: Intramediale Benotung 9.4.2 Kommunikative Phase, manifest: Intramediale Nutzungspersistenz 9.4.3 Kommunikative Phase, nicht manifest: Intramediales Flowerleben 9.4.4 Kommunikative Phase, nicht manifest: Intramediales Präsenzerleben 9.4.5 Zusammenfassung der Ergebnisse 241 246 10. Diskussion und Reflexion 273 10.1 Theoretische Ebene 10.1.1 Die Theorie der subjektiven Qualitätsauswahl 10.1.2 Publikumserfolg unter der Perspektive von Medienselektionsprozessen 10.1.3 Das Modell subjektiver Qualitätskriterien von Ego-Shootern und Rollenspielen 10.2 Methodische Ebene 10.3 Praktische Ebene 273 273 11. Schlussbetrachtungen 294 12. Literatur 299 252 254 256 260 264 266 269 271 278 280 281 284 http://www.nomos-shop.de/20598 1. Einführung Medienberichten zufolge sind sie der „Rock’n’Roll der Zukunft“ (Farin, 2006), auf dem besten Weg, zum Volkssport zu werden (Dierig, 2010) und füllen mittels „Ballern“ die Kassen (Martin-Jung, 2010). Auch wenn solche Aussagen abenteuerlich anmuten, zumindest eines wird daran ersichtlich: ‚Sie‘ scheinen mitten auf ihrem Erfolgskurs Richtung Zukunft zu sein. Gemeint sind Computerspiele, ein Medium, das bereits seit Jahren eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte zu verzeichnen hat und wohl auch zukünftig verzeichnen wird: Allein in Deutschland konnte die Computerspieleindustrie mit dem Verkauf von Spielesoftware von 2006 bis 2010 eine Umsatzsteigerung von 1,2 auf 1,6 Milliarden Euro verbuchen (Bundesverband interaktive Unterhaltungssoftware, 2011). Angesichts der Tatsache, dass sich die Computerspieleindustrie auch weltweit durch Rekordabsätze und für 2009 mit einem Gesamtumsatz von 41 Milliarden Euro (zum Vergleich: Die Kinobranche verkaufte im selben Jahr weltweit Karten für weniger als 32 Milliarden Euro (Backovic, 2010) sicher durch die Finanzkrise manövrierte, gibt sich die Branche selbstsicher. Zu Recht, wie es scheint, denn auch im ersten Halbjahr 2011 konnten die Umsätze im Vergleich zum Vorjahreszeitraum nochmals leicht gesteigert werden (Bundesverband interaktive Unterhaltungssoftware, 2012). Auch der Blick in die Zukunft scheint rosig: Sollten sich Prognosen wie diejenigen von PricewaterhouseCoopers bewahrheiten, dann wäre die Gamesbranche mit einem Jahresumsatz von weltweit 67 Milliarden Euro im Jahr 2014 der am schnellsten wachsende Zweig der Unterhaltungs- und Medienindustrie nach der Internetwerbung (Backovic, 2010). Ist die Computerspieleindustrie dementsprechend eine Branche mit einer wirtschaftlichen Bilderbuchkarriere? Angesichts der dargelegten Zahlen, ist man gewillt, diese Frage mit einem schnellen ‚Ja‘ zu beantworten. Doch finden sich bereits auch erste Stimmen, die hinsichtlich der Prognosen für die Computerspieleindustrie ein etwas verhaltenes Bild skizzieren (mediabiz/gamesmarkt, 2011). Und bei einem genaueren Blick erhält die Euphorie tatsächlich einen Dämpfer. Problem sind die hohen Produktionskosten, die seit einigen Jahren stetig steigen: Während man für das Jahr 2005 noch Angaben findet, die von 2-8 Millionen Euro pro Titel ausgehen (Teipen, 2008, S. 319; Kerr, 2006, S. 42; Geoghegan, 2005), fallen die Angaben mit 12-18 Millionen http://www.nomos-shop.de/20598 16 1. Einführung Euro im Jahr 2008 (Boyer, 2008) und 15-24 Millionen Euro im Jahr 2009 deutlich höher aus (Ivan, 2009). Praktiker und Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich dieser Trend in den nächsten Jahren fortsetzen wird (Ivan, 2009; Wirtz, 2009, S. 564). Riskant ist dieser Prozess deswegen, weil die Produktionskosten von Computerspielen – zumindest bei ‚klassischen‘ Computerspielen, die für den PC oder eine Konsole auf einem Datenträger produziert werden – sogenannte „sunk costs“ (Clement, 2004, S. 250) sind, die erst nach der Fertigstellung über die erfolgreiche Vermarktung eines Computerspiels wieder eingenommen werden können und deren Höhe unsicher ist. Im Falle des Crossplattformspiels GTA IV, das durch einen Umsatz von 500 Millionen US-Dollar in der ersten Verkaufswoche als eines der erfolgreichsten Produkte der elektronischen Unterhaltungsindustrie überhaupt gilt, haben sich die hohen Entwicklungskosten von insgesamt 100 Millionen US-Dollar gelohnt (giga.de, 2010), doch sind solche Blockbuster eher die Ausnahme als die Regel. Tatsächlich zeichnet sich sogar ein eher ernüchterndes Bild ab: Von der Vielzahl an produzierten Computerspielen ist nur ein Bruchteil profitabel. Statistiken gehen davon aus, dass weniger als 20 Prozent der Spiele mehr als 80 Prozent der gesamten Einkünfte erzielen (Vogel, 2007, S. 137; Wirtz, 2009, S. 264). Das Risiko eines Flops ist enorm und der Markterfolg sehr unsicher (Teipen, 2008, S. 320). Um wenigstens einen erfolgreichen Titel verbuchen zu können, stellt die Spieleindustrie daher momentan eine enorm hohe Anzahl an Spielen her (Kerr, 2006, S. 52). Der Grund für diese unökonomische und riskante Strategie ist u.a. darin zu sehen, dass über die Faktoren, die dem einen Spiel zum Erfolg verhelfen und ein anderes scheitern lassen, weitestgehend Unklarheit herrscht (Weber & Shaw, 2009, S. 66; Ip & Jacobs, 2006, S. 835f). Gerade im Hinblick auf die stetig steigenden Produktionskosten sind aber fundierte Kenntnisse über diejenigen Faktoren unerlässlich, die einem Spiel zum Erfolg zu verhelfen. An diesem Punkt setzt diese Studie an und widmet sich dem folgenden Erkenntnisinteresse: Wodurch kann der Erfolg von Computerspielen erklärt werden? In theoretischer Hinsicht fokussiert die Arbeit zur Beantwortung dieser Forschungsfrage eine kommunikationswissenschaftliche Herangehensweise: Nachdem im ersten Kapitel der Forschungsgegenstand ‚Computerspiel‘ genauer beschrieben und eingegrenzt wird, widmen sich die Ausführungen der Frage, wie der vieldimensionale Begriff des ‚Erfolgs‘ für eine wissenschaftlich-empirische Studie definiert und nutzbar http://www.nomos-shop.de/20598 1. Einführung 17 gemacht werden kann. Basierend auf dem Argument, dass der Spieler die letztendliche ‚Stellgröße‘ ist, die darüber entscheidet, ob ein Medium Erfolg hat (Alvisi, 2006, S. 611; Wolling, 2002, S. 206), definiert die Studie den Erfolg mit Hilfe des kommunikationswissenschaftlichen Selektionsbegriffs. Anhand bestehender Ansätze wird allerdings aufgezeigt, dass die mediale Selektionsforschung häufig lediglich ‚Standardgrößen‘ wie z.B. Nutzungshäufigkeit und Nutzungsdauer untersucht. Die Arbeit argumentiert, dass mit dieser Herangehensweise gerade bei Computerspielen allenfalls ein sehr unvollständiges Verständnis medialer Selektion skizziert werden kann. Um diese theoretischen Lücken zu schließen, wird daher ein integratives Ablaufmodell medialer Selektionsprozesse bei Computerspielen entwickelt, das neben den ‚klassischen‘ Dimensionen medialer Nutzung auch Faktoren wie die Erwerbsbereitschaft, die Qualität des Spielerlebens und die Anschlusskommunikation umfasst. Damit geht die Arbeit über die bisher eher bruchstückhaft untersuchten Einzelkonzepte medialer Selektion bei Computerspielen hinaus und reagiert auf die Forderungen nach integrativen Konzepten (Eilders, 1999, S. 37). Anhand des Forschungsstands zu denjenigen Ansätzen, die bereits bemüht wurden, um die herausgearbeiteten Dimensionen medialer Selektion bei Computerspielen zu erklären, wird weiterhin deutlich, dass auch hier die Forschungslage mit Lücken behaftet ist. Insbesondere in theoretischer Hinsicht ist zu kritisieren, dass die Medieninhalte zur Erklärung von den zuvor definierten Selektionsgrößen bisher kaum beachtet wurden, obwohl erstens die Interpretation des Inhalts durch die Rezipienten als eines der wichtigsten Auswahlkriterien verstanden wird (Merten, 1984, S. 69) und zweitens eine solche Herangehensweise im wissenschaftlichen Diskurs bereits mehrfach gefordert wurde (z.B. Hartmann & Klimmt, 2006, S. 925; im Überblick: Suckfüll, 2004, S. 31). Die vorliegende Arbeit nimmt sich dieser Kritik an. Mit der Theorie der subjektiven Qualitätsauswahl, kurz TSQA (z.B. Wolling, 2009b; Wolling, 2004; Vowe & Wolling, 2004; Vowe & Wolling, 2001a), wird eine in der Kommunikationswissenschaft vergleichsweise neue Theorie verwendet. Diese Theorie rückt systematisch die inhaltlichen Eigenschaften eines Medienangebots aus Rezipientenperspektive in den Mittelpunkt. Wenn ein Rezipient diejenigen Eigenschaften (=Qualitäten) bei einem real existierenden Medium (z.B. Computerspiel X) wahrnimmt, die er von einem idealen Medium (z.B. Ideal-Computerspiel) erwartet, dann wird er es regelmäßig nutzen, so die Grundaussage der TSQA. Neben der eingangs dargestellten, praktischen Relevanz liegt der Fokus der http://www.nomos-shop.de/20598 18 1. Einführung Arbeit darauf, die TSQA auf den Untersuchungsgegenstand ‚Computerspiele‘ und die gestellte Forschungsfrage anzuwenden und so eine für die Kommunikationswissenschaft neue Perspektive zu generieren. Auf diese Weise leistet die Arbeit auch einen unmittelbaren Beitrag zur Überprüfung und Erweiterung des kommunikationswissenschaftlichen Theorierepertoires. Methodisch umfasst die Arbeit ein Mehrmethodendesign, bestehend aus einem qualitativen und einem quantitativen Teil: Mit Hilfe von Gruppendiskussionen wird ermittelt, anhand welcher Eigenschaften Spieler ihre Spiele überhaupt bewerten. Hierfür folgt die Studie einer interdisziplinären Herangehensweise und bezieht Ansätze aus der Spieleentwicklung und dem Game Design mit ein. Durch eine qualitative Inhaltsanalyse, kombiniert mit einer hermeneutischen Auswertungsstrategie, sind die Ergebnisse der Gruppendiskussionen zu einem Modell subjektiver Qualitätskriterien von Computerspielen verdichtet. Diese Ergebnisse sind im Anschluss in einer Online-Befragung quantifiziert; die Entwicklung des verwendeten Instruments erfolgt stufenweise unter Einbezug sowohl qualitativer wie quantitativer Methoden. Um eine hohe Datenqualität zu gewährleisten, wurde die Stichprobenziehung mit Hilfe eines Quotenverfahrens realisiert. Nachdem die Ergebnisse dieser quantitativen Befragung präsentiert wurden, schließt die Arbeit mit einer Zusammenfassung und kritischen Reflexion der Studie in theoretischer, methodischer und praktischer Hinsicht. Hervorzuheben ist, dass die TSQA – gerade auch im Vergleich mit anderen Ansätzen wie z.B. dem Uses & Gratifications Approach – einen erheblichen Beitrag zur Erklärung der untersuchten Selektionsdimensionen leisten konnte. Darüber hinaus wird aber auch aufgezeigt, dass die Ergebnisse an einer Stelle eine Überarbeitung der Theorie nahelegen. Die Arbeit schließt mit einem Ausblick auf offen gebliebene Fragestellungen, die sich unter anderem damit auseinandersetzen, ob und wie die TSQA auch zur Erklärung weiterer Nutzungsmuster, wie z.B. Computerspielsucht, herangezogen werden könnte. http://www.nomos-shop.de/20598 2. Computerspiele: Technologie, Klassifikation, Genres Das folgende Kapitel grenzt den Untersuchungsgegenstand des Computerspiels ein und macht ihn für die zugrundeliegende Fragestellung nutzbar. Es wird gezeigt, dass mit dem Oberbegriff ‚Computerspiel‘ sehr unterschiedliche Genres und Spiele bezeichnet werden, wodurch das Forschungsfeld schnell ein hohes Maß an Komplexität erlangt. Ziel ist es daher, eine systematische Auswahl von Computerspielen zu treffen, auf die sich diese Studie konzentrieren wird: Hanke (2008, S. 9ff) schlägt drei Zugänge vor, durch die man das Forschungsfeld strukturieren kann: Erstens durch eine historische bzw. technisch-historische Herangehensweise. Hierbei werden technologische Differenzierungen und Neuerungen dazu benutzt, Unterschiede in der Computerspiellandschaft aufzuzeigen. Zweitens anhand von Klassifikationsansätzen, die Ordnungsschemata anbieten, um die Vielzahl an unterschiedlichen Computerspielen voneinander abzugrenzen und anhand von Gemeinsamkeiten bzw. Unterschieden zu gruppieren. Und drittens mittels systematisierenden Ansätzen, die Computerspiele aus theoretischer Perspektive beleuchten und Antworten auf die Frage ‚Was ist ein Computerspiel?‘ bieten. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich hauptsächlich auf Ansätze des zweiten Bereichs. Da anzunehmen ist, dass für sehr unterschiedliche Computerspiele auch unterschiedliche Erfolgsdeterminanten verantwortlich zeichnen, ist aus der Vielzahl der auf dem Markt befindlichen Computerspiele eine Auswahl zu treffen, um die gestellte Forschungsfrage für eine empirische Studie handhabbar zu machen. Für diese Auswahl bieten sich in erster Linie die Taxonomien und Klassifikationsansätze an. Geschichtlich-technologische Ansätze werden nur insofern dargelegt, als dass sie anhand von technischen Unterscheidungsmerkmalen dabei helfen, eine erste, grobe Auswahl an näher zu untersuchenden Computerspielen zu treffen. Die Ausführungen auf einer theo- http://www.nomos-shop.de/20598 20 2. Computerspiele: Technologie, Klassifikation, Genres retisch abstrakteren Ebene zum Terminus Computerspiel (dritter Typus) finden in Kapitel 7.4.2 Anwendung, da sie erst dann einen expliziten Mehrwert zur Beantwortung der Forschungsfrage bereithalten und zum aktuellen Zeitpunkt der Arbeit lediglich den Charakter einer ‚Auflistung‘ hätten. 2.1 Geschichtlich-technologische Perspektive Ausführungen unter einer geschichtlich-technologischen Perspektive zeichnen in der Regel die chronologische Entwicklung des Mediums Computerspiel nach (z.B. Kent, 2001; Pacher, 2007, S. 25ff). Diese historische Herangehensweise wird in der vorliegenden Arbeit nicht vertieft, da ihr Erkenntnisgewinn für die Beantwortung der Forschungsfrage vergleichsweise gering ist. Ein Ansatzpunkt innerhalb dieser Betrachtungsweise hilft allerdings dabei, den Forschungsgegenstand für die vorliegende Studie einzugrenzen: Die Unterscheidung von Computerspielen in Abhängigkeit von bestimmten technologischen Gegebenheiten. Häufig wurde beispielsweise anhand der Hardware-Plattform differenziert, für die Computerspiele entwickelt sind. Unterschieden wird beispielsweise nach Computerspielen als Spiele für den Personal Computer (PC) und Videospielen, die auf sogenannten Videospiel-Konsolen gespielt werden (z.B. Liebe, 2008, S. 74; Wolf, 2002, S. 27)1, wie z.B. Sonys ‚Playstation 3‘, die ‚X-Box 360‘ von Microsoft oder auch Nintendos ‚Wii‘, um einige Beispiele der neueren Generation zu nennen. Während diese Unterscheidung vor einigen Jahren hilfreich gewesen sein mag, zeigen aktuelle Entwicklungen auf dem Computerspielemarkt allerdings, dass zunehmend plattformübergreifend entwickelt wird: Von einem Spiel sind meist mehrere Versionen erhältlich, durch die das Spiel sowohl auf dem PC als auch auf den gängigen Konsolen gespielt werden kann (Wirtz, 2009, S. 559; Wolf, 2002, S. 27). Die Unterscheidung nach Video- und Computerspielen scheint heute somit in erster Linie zur Vielzahl an Begrifflich1 Weitere Unterscheidungen hinsichtlich der Hardwareplattformen werden z.B. nach sogenannten Handheld-Spielen getroffen, die für mobile Endgeräte wie z.B. den Nintendo (3)DS oder auch die Playstation Portable von Sony entwickelt sind oder auch nach Arcade-Spielen, die auf Spielautomaten gespielt werden (Liebe 2008, S. 47). Auch wenn insbesondere Spiele für die Handhelds zunehmend umfangreicher werden, unterscheiden sie sich in der Regel stark von denjenigen, die für den PC oder eine stationäre Konsole entwickelt sind: Sie sind nach wie vor vergleichsweise wenig komplex und richten sich – insbesondere hinsichtlich Nintendos DS – häufig an Kinder im Vor-TeenagerAlter (Williams, 2002, S. 45). http://www.nomos-shop.de/20598 2.1 Geschichtlich-technologische Perspektive 21 keiten beizutragen, die für ein und denselben Forschungsgegenstand verwendet werden (für einen Überblick s. z.B. Perron & Wolf, 2009b, S. 6; Klimmt, 2004, S. 696). Aufgrund der zunehmenden Plattformunabhängigkeit wird in der vorliegenden Studie die Unterscheidung in Videound Computerspiele nicht getroffen. Stattdessen ist im Folgenden ausschließlich der Begriff ‚Computerspiel‘ verwendet, womit sowohl PC als auch Konsolenspiele gemeint sind. Bedingt durch die aktuellen Entwicklungen auf dem Markt müssten bei der Frage nach der Plattform darüber hinaus Spiele voneinander abgegrenzt werden, die überhaupt nicht mehr mittels Datenträger für eine spezielle Hardware entwickelt sind, sondern unmittelbar im Internet gespielt werden können – entweder direkt im Browser oder mittels Download eines Clients (Schultheiss & Schumann, 2010, S. 92ff). Schultheiss (2009, S. 27) schlägt für diese Form den Begriff der Internetspiele vor und betont, dass Internetspiele nicht mit sogenannten Online-Spielen wie z.B. den bekannten Spielen ‚World of Warcraft‘ oder auch ‚Counterstrike‘ zu verwechseln sind, die häufig auf einem Datenträger erworben, dann aber online im Internet oder über ein LAN-Netzwerk gespielt werden bzw. werden können (Schultheiss, 2009, S. 20ff). Eine weit verbreitete Form dieser Internetspiele sind sogenannte ‚Casual Games‘, die meistens verhältnismäßig einfache Spiele (wie z.B. Kartenspiele) darstellen und deren Nutzerstruktur sich von der der ‚klassischen‘ PC und Konsolenspiele unterscheidet (Di Loreto & Gouaïch, 2010, S. 2). Aufmerksamkeit haben insbesondere in letzter Zeit auch die sogenannten ‚Social Games‘ erlangt, die inhaltlich betrachtet häufig ähnlich einfach gehalten sind, wie die ‚Casual Games‘, in manchen Fällen aber durchaus auch komplexer gestaltet sein können. Die Besonderheit der ‚Social Games‘ ist, dass sie über soziale Netzwerke wie Facebook oder MySpace gespielt werden (de Prato, Feijóo, Nepelski, Bogdanowicz & Simon, 2010, S. 92ff), und dass deshalb soziale Aspekte beim Spielen für sehr bedeutsam erachtet werden (Di Loreto & Gouaïch, 2010, S. 3). Aufgrund der Tatsache, dass diese Internetspiele häufig (nicht immer) inhaltlich einfacher gehalten sind, als ‚klassische‘ Computerspiele, die über Datenträger vertrieben werden2, eine andere Nutzerstruktur aufweisen und 2 Zunehmend sind aber auch hier neue Distributionswege zu erkennen. So können Spiele, die ursprünglich auf einem Datenträger produziert wurden, mittlerweile häufig auch über digitale Vertriebswege (ähnlich einer Online-Videothek) wie z.B. ‚PlayStation Network‘ (http://de.playstation.com/psn/games/) oder unabhängige Anbieter wie ‚Steam‘ (http://store.steampowered.com/) bezogen werden. Weiterhin kann auch das bekannte Online-Rollenspiel World of Warcraft seit einiger Zeit durch einen Download erworben http://www.nomos-shop.de/20598 22 2. Computerspiele: Technologie, Klassifikation, Genres über andere Vertriebswege distribuiert werden, ist unabhängig vom noch genauer zu definierenden Erfolgsverständnis davon auszugehen, dass andere Erfolgsdeterminanten eine Rolle spielen werden, als bei den ‚klassischen‘ Computerspielen. Aus forschungsökonomischen Gründen fokussiert die vorliegende Studie daher ausschließlich auf die Computerspiele im oben dargelegten Sinn. Internetspiele, für die kein Datenträger mehr erworben werden muss, sowie ihre zugehörigen Unterformen, werden aus den weiteren Betrachtungen ausgeklammert. Auch im Bereich von ‚klassischen‘ Computerspielen existiert eine große Vielfalt: Von Wilder-Westen-Abenteuern wie im Verkaufsschlager ‚Red Dead Redemption‘ von 2010 über Fußballturniere wie z.B. in den Spielereihen ‚Fifa‘ bzw. ‚Pro Evolution Soccer‘ bis hin zu komödienhaften Spielen, in denen die Spieler sich u.a. im ‚Kuhweitwurf‘ miteinander messen (‚Rayman Raving Rabbids‘), sind der Vielfalt an Spielen auf dem Markt keine Grenzen gesetzt. Da, wie im Verlauf der Arbeit gezeigt werden wird, als Erklärungsansatz für den noch genauer zu definierenden Erfolg von Computerspielen inhaltliche Variablen herangezogen werden, ist es unabdingbar, aus dieser Vielzahl an unterschiedlichen Spielen eine Auswahl zu treffen: Gerade weil die Spiele so verschieden sind, ist davon auszugehen, dass für inhaltlich sehr verschiedene Spiele auch sehr unterschiedliche Erklärungsansätze existieren, die aus forschungsökonomischen Gründen in der vorliegenden Studie nicht alle untersucht werden können. Zwar werden die Analysen der Arbeit vergleichend angelegt sein, doch ist dazu aufgrund der inhaltlichen Vielzahl eine systematische Auswahl bestimmter Spieletypen vonnöten. Diese lässt sich anhand von bestehenden Typologien und Klassifikationsansätzen treffen. 2.2 Klassifikationsansätze Klassifikationsansätze grenzen Computerspiele häufig anhand der Tätigkeiten bzw. Handlungen, die ein Spieler im Spiel vollziehen muss, voneinander ab. Sie fokussieren daher stärker auf inhaltliche Aspekte von Computerspielen und sind als Ordnungsrahmen für die vorliegende Stuwerden. Die Grenzen zwischen Online-Spielen und Internetspielen werden damit zunehmend fließend. Zu fragen ist daher, ob diese Unterscheidung zukünftig aufrechterhalten werden kann oder ob sich Abgrenzungen nicht in erster Linie auf inhaltliche Aspekte, wie die angeführte Unterscheidung nach inhaltlicher Komplexität, fokussieren sollten. Da die Art der Distribution für die vorliegende Studie allerdings keinen zentralen Stellenwert einnimmt, werden diese Aspekte nicht vertieft. http://www.nomos-shop.de/20598 2.2 Klassifikationsansätze 23 die besser geeignet, als Ansätze der historisch-technologischen Perspektive. Mit ihrem Fokus auf die Frage, was ein Spieler im Spiel tun muss, tangieren sie aber auch unmittelbar ein Konzept, was nicht nur im Bereich von Computerspielen stark diskutiert wird, sondern in der wissenschaftlichen Forschung generell große Beachtung gefunden hat: Die Interaktivität. Interaktivität wird oft als zentrales Charakteristikum von Computerspielen beschrieben. Häufig wird dabei aber nicht näher spezifiziert, was Interaktivität bedeutet (z.B. Perron & Wolf, 2009a, S. 12; Klimmt 2004, S. 696) bzw. wenn, dann mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen je nach Publikation (z.B. Jöckel, 2009, S. 27ff; Lee, Park & Jin, 2006). Ein genauerer Blick in die Literatur lässt vermuten, warum dies so ist: Interaktivität ist ein Konzept, das mittlerweile in so unterschiedlichen Kontexten auf unterschiedliche Art und Weise gebraucht wurde (für eine Übersicht s. z.B. Quiring & Schweiger, 2008; McMillan, 2006), dass Quiring und Schweiger (2008, S. 163) von einem überdefinierten Konzept sprechen, das nach wie vor an einem Mangel konzeptueller Klarheit krankt. Ziel dieser Arbeit ist es nicht, zu erklären, welche Computerspiele in Abhängigkeit von welchem Interaktivitätsbegriff wie interaktiv sind. Stattdessen sollen aus der Interaktivitätsdebatte diejenigen Aspekte herausgestellt werden, die für ein Verständnis von Computerspielen hilfreich sind. Dies sind in erster Linie Ansätze aus der Forschungstradition zur user-to-system-interaction (McMillan, 2006, S. 217ff), bei der die Interaktion eines Menschen mit einem medialen System im Vordergrund steht, das bestimmte Inhalte anbietet, mit denen der Mensch interagieren bzw. etwas tun kann und worauf wiederum das System reagiert.3 Auch Lee et al. (2006, S. 263ff) stellen diese Aspekte in den Vordergrund ihrer Ausführungen zur Interaktivität in Computerspielen und führen an, dass Computerspiele erstens Handlungen vom Spieler verlangen, bei denen sie zweitens dem Spieler mehr oder weniger Entscheidungsfreiheit einräumen und drittens auf die Handlungen des Spieler reagieren, weswegen zwischen einem ständigen Rollentausch zwischen Spieler und Spiel als 3 Natürlich ist insbesondere bei Computerspielen, bei denen mehrere menschliche Spieler mit- bzw. gegeneinander antreten, zusätzlich auch von Interaktion der Spieler untereinander auszugehen. Legt man aber den Fokus auf das Spiel, so ist auch dann noch von user-to-system Interaktion auszugehen, wenn mehrere menschliche Spieler am Spiel beteiligt sind: Es ist letztlich das Spiel, das den Rahmen setzt, in dem Spieler miteinander agieren können. Handeln beispielsweise zwei Spieler um ein bestimmtes Artefakt, so ist diese Form der Interaktion nur deswegen möglich, weil das Spiel diesen Interaktionsgegenstand überhaupt anbietet. http://www.nomos-shop.de/20598 24 2. Computerspiele: Technologie, Klassifikation, Genres Sender und Empfänger auszugehen ist. Wichtig für ein Verständnis von Computerspielen ist, dass der Spieler aktiv handeln muss, um ein Spiel spielen zu können. Daher konzentrieren sich Klassifikationsansätze und Taxonomien zu Spielen meistens auf die Frage, was in einem Computerspiel getan werden muss, um so unterschiedliche Spiele anhand von Gemeinsamkeiten bzw. Unterschieden voneinander abzugrenzen. Zu unterscheiden sind die bestehenden Klassifikationsansätze hinsichtlich des gewählten Abstraktionsgrades: Genreansätze (z.B. Greenberg, Sherry, Lachlan, Lucas & Holmstrom, 2010, S. 245; EgenfeldtNielsen, Smith & Tosca, 2008, S. 41ff; Lucas & Sherry, 2004, S. 512) orientieren sich stark an Klassifikationen, die z.B. auch im Computerspielejournalismus zur Einteilung von Computerspielen gebraucht werden und somit meist nah am aktuellen Marktgeschehen sind. Daneben existieren Klassifikationsansätze auf einem stärkeren Abstraktionsniveau, die übergeordnete Konstruktionsprinzipien bzw. vorherrschende Handlungsabläufe im Spiel thematisieren. Sie gehen in der Regel systematischer an die Klassifikation von Computerspielen heran und können somit bei einer Auswahl verschiedener Spiele helfen. Die Auswahl an Spielen für die vorliegende Studie folgt einer Kombination aus beiden Herangehensweisen: Zunächst wird anhand der abstrakteren Klassifikationsansätze ein grober Rahmen abgesteckt, bevor mittels Genreansätzen eine detailliertere Abgrenzung vorgenommen wird. Der wohl – auch international – bekannteste (abstraktere) Ansatz stammt von Roger Caillois (erstmals Caillois, 1961, S. 12ff; in einer neueren Fassung: Caillois 2006, S. 130ff), in dem Spiele danach eingeteilt werden, ob sie eher auf Wettbewerb (agôn), Glück und Schicksal (alea), Maskierung und Verkleidung (mimicry) oder etwas wie ‚Schwindel‘ (ilinx, eine Art Orientierungsverlust, der erzeugt werden kann, wenn sich z.B. Kinder einen Berg ‚runterkullern‘ lassen) ausgelegt sind. Bereits anhand dieser Kurzzusammenfassung lassen sich die Probleme dieses vielbeachteten Ansatzes erkennen: Zum einen wurde der Ansatz nicht speziell zur Klassifikation von Computerspielen entwickelt. Es ist davon auszugehen, dass gerade die Dimension ‚ilinx‘ bei den meisten Computerspielen keine entscheidende Rolle spielt bzw. spielen sollte. Zum anderen vereinen heutige Computerspiele meist mehrere der Unterscheidungsdimensionen, wie auch Lauwaert, Wachelder und van de Walle (2007, S. 92) betonen. Dadurch ist es schwierig, anhand dieses Ansatzes unterschiedliche Computerspiele voneinander abzugrenzen. http://www.nomos-shop.de/20598 2.2 Klassifikationsansätze 25 Die ‚Landkarte der virtuellen Spiele‘ von Fritz (2003a, S. 5ff) hingegen, die international weniger bekannt ist, aber speziell für die Klassifikation von Computerspielen entwickelt wurde, bietet hilfreichere Anhaltspunkte für eine systematische Auswahl unterschiedlicher Computerspiele. Fritz wählt als Ausgangspunkt die vorherrschenden Konstruktionsprinzipien von klassischen Computerspielen und entwickelt anhand der zentralen Elemente ‚Action‘, ‚Denken‘ und ‚Geschichten‘ ein dreipoliges Schema. Je stärker ein Computerspiel an einem dieser Konstruktionsprinzipien ausgerichtet ist, desto näher wird es beim jeweiligen Pol verortet: Abb. 1 Landkarte der virtuellen Spiele Geschichten Denken Action Quelle: Fritz (2003a, S.6) Actionorientierte Spiele sind vor allem durch Spannung, Unmittelbarkeit und Lebendigkeit gekennzeichnet. Durch ständig wiederkehrende Gefahrensituationen fordern sie vom Spieler ein hohes Maß an Konzentration, Reaktionsschnelligkeit, eine rasche Auffassungsgabe, eine gute Stressresistenz und ein ausgeprägtes räumliches Orientierungsvermögen (Fritz, 2003a, S. 8f). Denkspiele hingegen fordern vom Spieler in erster Linie durchdachtes und planvolles Handeln. Meist ist kein Avatar, also kein elektronischer Stellvertreter des Spielers, in der virtuellen Welt vorhanden, sondern der Spieler blickt in einer Art Vogelperspektive von außen auf ein mehr oder weniger komplexes Gesamtgeschehen. Dieses steuert er, indem er einzelne Elemente verändert, z.B. Kampftruppen an