Bedeutung des Parental Alienation Syndroms in der

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Bedeutung des Parental Alienation Syndroms in der
Werner Schwamb
Richter am Amtsgericht Kirchhain
Bedeutung des Parental Alienation Syndroms
in der juristischen Praxis
Vortrag im Arbeitskreis Familienpsychologie am 16.6.2000
Die Folgen der Behinderung oder Vereitelung des Umgangsrechts im
Trennungskonflikt der Eltern nehmen in der hiesigen Rechtsprechung erst seit etwa 20
Jahren einen breiteren Raum ein. Dies war bereits Thema meines Referates vom
30.10.1998.
Bis vor zwei Jahren war es unter der Geltung des § 1711 BGB alter Fassung noch nicht
einmal selbstverständlich, dass der Vater eines „nichtehelichen“ Kindes ein
Umgangsrecht erhielt. Allerdings gab es bereits im früheren § 1634 BGB das
Wohlverhaltensgebot für beide Elternteile, d.h. auch für den sorgeberechtigten Elternteil
gegenüber dem lediglich umgangsberechtigten Elternteil. Inzwischen steht in § 1626
Absatz 3 BGB ausdrücklich: „Zum Wohl des Kindes gehört in der Regel der Umgang
mit beiden Elternteilen.“
Der auf einer bewussten oder unbewussten Programmierung seitens des betreuenden
Elternteils beruhenden Ablehnung des anderen Elternteils durch ein Kind
Krankheitswert zu verleihen, war jedoch in der Rechtsprechung bis vor kurzer Zeit noch
nicht anerkannt.
In einer Grundsatzentscheidung des BGH, FamRZ 1980, S. 131-133, wird bei
„entgegenstehendem Kindeswillen“ noch zwischen dem Persönlichkeitsrecht des
Kindes und dem Interesse des um die Regelung des Umgangs nachsuchenden Elternteils
abgewogen, ohne dass jedoch der Frage ausreichend nachgegangen wird, ob die verbale
Äußerung des Kindes seinen wirklichen Willen wiedergibt. Es wird lediglich
nachgefragt, ob die ablehnende Haltung aus der Sicht des Kindes berechtigt erscheint
und zu beeinflussen ist.
Seit Mitte der achtziger Jahre gibt es Entscheidungen von Oberlandesgerichten, die die
mangelnde Bindungstoleranz eines sorgeberechtigten Elternteils, der die Bindungen des
Kindes zum anderen Elternteil behindert oder zu zerstören droht, zum Anlass nehmen,
die Erziehungsfähigkeit dieses sorgeberechtigten Elternteils in Frage zu stellen (OLG
Bamberg, FamRZ 1985, 1175, 1176; OLG München FamRZ 1991, 1343; FamRZ 1994,
924 ff.).
Das OLG Frankfurt/Main hat in einem anschaulichen Beschluss (FamRZ 1993, 729)
entschieden, dass einem nichtsorgeberechtigten Vater auch gegen den Willen von
Mutter und Tochter die Umgangsbefugnis zu gewährleisten sei und u.a. ausgeführt:
„Das erstinstanzlich eingeholte Gutachten des Prof. ..., die Korrespondenz der Mutter
mit diesem, ihre persönliche Anhörung durch den beauftragten Richter des Senats, die
Schriftsätze ihres Rechtsanwalts ..., lassen mit König Thoas nur den Schluss zu: ´Man
spricht vergebens viel, um zu versagen; der andere hört von allem nur das Nein´
(Goethe, Iphigenie auf Tauris).“ Im weiteren finden sich dann noch folgende
Ausführungen: „Diese Fehlhaltung ist im objektiven Interesse des Kindes nun eben
wieder abzubauen. Wie sich aus dem Gutachten, dem Attest ..., dem Eindruck des
beauftragten Richters und der nochmaligen Feststellung der Mutter ... ergibt, befinden
sich beide Kinder ´psychisch und physisch in einem tadellosen Zustand.´ ... Es geht also
nicht darum, den Willen des Kindes zu brechen, sondern um eine einfühlsame
Besprechung der gesamten gegenwärtigen Situation.“
So erfreulich mutig diese Entscheidung einerseits ist, so sehr gibt es doch aus heutiger
Sicht zu denken, wenn hier von einem tadellosen psychischen Zustand der Kinder
ausgegangen wird.
Bis zu der heutigen Diskussion, dass der Loyalitätskonflikt des Kindes ein seine freie
Willensbildung ausschließendes Syndrom zur Folge haben kann, sollte immer noch
einige Zeit vergehen.
In der Rechtsprechung der USA und Kanadas sind unter dem Einfluss von Gardner
bereits seit Ende der achtziger Jahre Entscheidungen bekannt, die sich mit der
Problematik befassen, dass die Ablehnung eines Elternteils durch das Kind
Krankheitswert erreicht (vgl. die Zusammenstellung von Kodjoe/Koeppel in DAVorm
1998, 9 ff., 21/22 mit weiteren Nachweisen). Als Folge davon existiert in Florida seit
1996 sogar ein Gesetz zur Durchsetzung des Umgangs, in dem u.a. bestimmt wird, dass
verhinderte Umgangstermine zu dem Umgangsberechtigten genehmen Zeiten
nachgeholt werden, die Umgangskosten bei Entfernungen von mehr als 100 km dem
Sorgeberechtigten auferlegt werden können, ein Wechsel des Sorgerechts bzw.
Hauptwohnort des Kindes angeordnet werden kann, Übernachtungen des Kindes nicht
lediglich aus Gründen des Alters oder Geschlechts des Kindes abgelehnt werden dürfen
und sogar Kurse über Elternverantwortung und Arbeit zum Gemeinwohl auferlegt
werden können. Eltern von Kindern bis zu 17 Jahren müssen sich bei Trennung bzw.
Scheidung einer Pflichtberatung unterziehen.
Inzwischen hat der Begriff „PAS“ in die deutsche Rechtsprechung und juristische
Literatur ebenfalls Eingang gefunden. Der oben bereits zitierte Aufsatz im Deutschen
Amtsvormund 1998 von Ursula O.-Kodjoe, Dipl.-Psychologin aus Freiburg, und Dr.
Peter Koeppel, Rechtsanwalt aus München, hat die Diskussion eröffnet. Nicht
juristische Zeitschriften haben sich des Themas ebenfalls angenommen („Die Zeit“ vom
18.3.1999, Seite 77 f., „Focus“ vom 13.12.1999, S. 222 f.).
Seit der 58. Auflage (1999) findet sich auch im BGB-Standardkommentar „Palandt“ ein
Hinweis auf PAS (bei § 1626 unter Randnr. 29).
Das Amtsgericht Rinteln (ZfJ 1998, 344 f.) hat als erstes Gericht in Deutschland den
Aufsatz von Kodjoe/Koeppel aufgegriffen und unter anderem ausgeführt, dass die
Kinder auf intensive Kontakte zum anderen Elternteil angewiesen sind, um das
Trennungstrauma so gering wie möglich zu halten. Ferner hat es darauf hingewiesen,
dass Kinder bis zu 10 Jahren kaum oder gar nicht in der Lage sind, negative Botschaften
über den nicht betreuenden Elternteil von eigenen Erfahrungen mit diesem abzugrenzen,
und dazu neigen, alles Negative, was sie vom betreuenden Elternteil über den anderen
mitbekommen, als eigene Meinung auszugeben.
Im einzelnen sind jedoch die Konsequenzen, die aus juristischer Sicht aufgrund der
Diagnose PAS zu ziehen sind, weiterhin höchst umstritten.
Kodjoe/Koeppel verweisen für die Kategorien der mittelschweren und schweren Fälle
von PAS auf § 1666 Abs. 1 BGB als Eingriffsnorm wegen seelischer
Kindeswohlgefährdung durch missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge.
Koeppel begründet das Fehlen einer diesbezüglichen Grundsatzentscheidung damit,
dass es nach Auffassung befragter Richter schwer sei, in der Kindesanhörung die
erkennbare Ablehnung des anderen Elternteils als Ergebnis einer Programmierung
festzustellen. Tatsächlich wird es auch nur selten so deutlich wie in einer kürzlichen
Anhörung vor dem Amtsgericht Kirchhain, als ein 9-jähriges Mädchen zur Begründung
der Ablehnung von Besuchen beim 4 km entfernt wohnenden Vater u.a. ausgeführt hat:
„Ich möchte am liebsten zu Hause bleiben, da wohne ich und da gehöre ich hin“ und
weiter auf die Frage, was denn die Mutter zu den Besuchen beim Vater sage, „ ´Wenn
Du jetzt hingehst, kommst Du aber schnell wieder heim.´ Das denke ich auch. Aber es
geht nicht immer so schnell.“
Das OLG Celle (FamRZ 1999, 1458 ff.) hat - genau im Gegensatz zu der oben zitierten
Entscheidung des OLG Frankfurt/Main - das Umgangsrecht wegen starken
Widerstandes eines 9-jährigen Kindes zeitlich begrenzt (für 2 Jahre) ausgeschlossen
und das eingeholte Gutachten zitiert, dass aus psychologischer Sicht nur empfohlen
werden könne, Kontakte zwischen dem Kind und seinem Vater bis zum 14. Lebensjahr
nicht gegen den Wunsch des Kindes selbst durchzuführen. Insbesondere der Mutter gab
das Gericht mit auf den Weg, fachliche Beratung in Anspruch zu nehmen, und führte ihr
„noch einmal nachdrücklich vor Augen“, dass es für die gedeihliche Entwicklung des
Kindes unabdingbar notwendig ist, den Kontakt zum Vater nicht vollständig
abzubrechen. Zunächst aber entspreche es dem Kindeswohl, dass das Kind Ruhe findet.
Da taucht also wieder das Argument auf, das Kind müsse Ruhe finden, eine Ruhe
allerdings, von der Figdor schon 1989 in den „Brühler Schriften“ zum
Familiengerichtstag (S. 33/34) schreibt, die damit erzeugte scheinbare Ruhe sei nur eine
Art Resignation des Kindes, das dabei in seinem Vertrauen zu beiden Elternteilen
erschüttert wird.
Das Bayrische Oberste LG (FamRZ 1999, 1044 f.) hat entschieden, dass eine
Entziehung des Sorgerechts für ein Kleinkind nicht allein darauf gestützt werden kann,
dass die Mutter beeinflusst durch eine neurotische Fehlhaltung dem Vater den Umgang
mit dem Kind verwehrt, wenn sie im übrigen das Kind ordnungsgemäß betreut. Auch
ein teilweiser Entzug des Sorgerechts komme aus Verhältnismäßigkeitsgründen nicht in
Betracht. Als milderes Mittel sei grundsätzlich die Androhung und Verhängung von
Zwangsgeld in Betracht zu ziehen.
Demgegenüber hat wiederum das OLG Zweibrücken (FamRZ 2000, 299 f.) in der
meines Wissens ersten veröffentlichten obergerichtlichen Entscheidung, die den Begriff
PAS aufgreift, erhebliche Bedenken gegen eine Zwangsgeldandrohung nach § 33 FGG
in einem solchen Fall, weil das noch nicht abschließend erforschte Phänomen, dem das
Kind aufgrund einer nicht wertfreien Beeinflussung im Verhältnis zu einem Elternteil
durch den anderen Elternteil ausgesetzt sein kann, ein sorgsames Vorgehen, das beiden
Elternteilen viel abverlangt, erfordert. Das Gericht gibt der von ihm so bezeichneten
„Zwangsmediation“ nach § 52a FGG zunächst einmal den Vorrang.
Das OLG Frankfurt/Main versucht in einer neueren Entscheidung (FamRZ 2000, 368),
den jetzt auch von U. Schröder (FamRZ 2000, 592 ff. mit weiteren. Nachw.) für die
mittelschweren PAS-Fälle empfohlenen Weg zu beschreiten, indem es einen
Umgangspfleger bestellt hat.
Es erheben sich allerdings auch bereits warnende Stimmen in der Literatur, die die
überragende Bedeutung des PAS für Kontaktabbrüche durch das Kind relativieren.
Salzgeber u.a. (Kind-Prax 4/99, Seite107 ff.) halten die mittlerweile geführte
Diskussion für zu einseitig und wollen mehr auf unterschiedliche Ursachen in den
verschiedenen Entwicklungsphasen der Kindheit abstellen, ohne das Phänomen
allerdings gerade für die mittlere Altersgruppe der 5 bis 12-jährigen Kinder zu
bezweifeln.
Aber selbst wenn dem PAS jetzt zunächst einmal eine überproportionale Bedeutung
auch in der juristischen Auseinandersetzung zukommen sollte, kann seine Existenz als
Krankheitsbild bei Kindern und wesentliche Ursache für Kontaktabbrüche zwischen
Kindern und Elternteilen künftig nicht mehr ignoriert werden.
Allein mit der Diskussion über PAS ist ferner bereits erreicht worden, dass das Leiden
der Kinder im Loyalitätskonflikt wieder mehr in den Blickpunkt der Öffentlichkeit
rückt.
Ob allerdings eine der Hauptforderungen von Kodjoe und Koeppel in ihrer zweiten
Veröffentlichung zu diesem Thema (Kind-Prax 5/1998, Seite 138 ff.) in Erfüllung geht,
dass die kindschaftsrechtlichen Verfahren zur Begegnung der Gefahr einer PASSchädigung beschleunigt werden und die Familiengerichte, wenn in unserem Staat den
Kindern tatsächlich ein hoher Stellenwert eingeräumt werden soll, personell ausreichend
zu besetzen sind (Kodjoe/Koeppel a.a.O. S. 143), .hängt leider mehr von
finanzpolitischen Erwägungen der Bundesländer ab.
Schwamb (Richter am AG Kirchhain)