L`Etranger von Albert Camus Über die Haltbarkeit eines

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L`Etranger von Albert Camus Über die Haltbarkeit eines
Lieselotte Steinbrügge
L’Etranger von Albert Camus
Über die Haltbarkeit eines Schulklassikers
1. Einleitung
Es gehört zu den Paradoxien des Französischunterrichts in Deutschland, dass allen Veränderungen im Bereich der Ziele, Gegenstände und Methoden zum Trotz
seit nunmehr über 40 Jahren ein Klassiker der französischen Literatur zum festen
Bestand des Lektürekanons der Sekundarstufe II zählt: L’Etranger von Albert Camus. Auch wenn Erhebungen über die Lektüren der Oberstufe nur sporadisch und
unsystematisch durchgeführt werden,1 so deuten alle vorliegenden Daten darauf
hin, dass Franz-Rudolf Weller mit seiner Behauptung Recht hat, dass es sich bei
diesem Roman um den „Schulklassiker Nummer eins par excellence“2 handelt.
Wellers erste deutsche Schuledition erschien 1964 im Diesterweg Verlag, und die
mehr als 250.000 Exemplare, die seither verkauft wurden, sprechen für sich.3
Warum das so ist, darüber lässt sich trefflich spekulieren. Natürlich kann man
auf dem Standpunkt stehen, dass es keiner Begründung bedarf für die Lektüre eines so wichtigen Stücks Weltliteratur; aber der Klassikerstatus allein dürfte nicht
ausreichen, um die Beliebtheit von L’Etranger als fremdsprachige Schullektüre zu
erklären. Sonst müssten auch Proust, Flaubert oder Racine auf der Ranking-Liste
stehen.
Wie wird L’Etranger gelesen in unseren Schulen? Wir wissen nur wenig darüber,
denn ein anderes Paradoxon besteht darin, dass es bis vor kurzem nur vereinzelte, auf Zeitschriftenartikel verstreute Unterrichtsvorschläge gab, die speziell für
den Französischunterricht konzipiert waren.4 Zwar sind zahlreiche Interpretationshilfen für den muttersprachlichen Unterricht zugänglich, sowohl für den hiesigen
Deutschunterricht5 als auch für die classes de français jenseits des Rheins,6 aber
angesichts des massenhaften Einsatzes dieses Romans im Fremdsprachenunterricht ist es verwunderlich, dass nicht mehr Unterrichtsmaterialien von den Verlagen
angeboten wurden. Das hat sich seit Kurzem geändert, wohl deshalb, weil
L’Etranger in Baden-Württemberg Gegenstand des Zentralabiturs im Fach Französisch ist. Sowohl das dortige Landesinstitut für Schulentwicklung als auch zwei
Schulbuchverlage haben in den letzten Jahren drei detailliert ausgearbeitete Unterrichtsreihen entwickelt, die den Lehrenden Stundenentwürfe, Arbeitsblätter, Informationen und Zusatzmaterialien für die Unterrichtsgestaltung an die Hand geben.7
Ergänzend dazu liegt seit 2005 eine literaturdidaktische Studie von Franz-Rudolf
Weller vor.8 Sie enthält einen soliden Forschungsbericht in didaktischer Perspektive und umfangreiche Analysen, die didaktische Potenziale und Schwierigkeiten
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des Textes aufzeigen, ohne dass diese allerdings in konkrete Unterrichtsvorschläge transformiert würden.
Ich möchte mich im Folgenden auf diese vier aktuellen Publikationen konzentrieren und sie unter den Aspekten der Begründungen für die Auswahl des Romans, der Lernziele, Themen und Methoden analysieren.
2. Warum L’Etranger ?
Alle Autoren führen als entscheidendes Kriterium für die Auswahl des Romans
seine große Verbreitung und literarische Qualität ins Feld. Daneben wird die Zeitlosigkeit des Romans hervorgehoben, sein „überzeitliche(r), universale(r) Aussagegehalt“.9 Das geht bis zu befremdlichen Formulierungen bei Gabriele Rüger-Groth,
die von der „bleibende(n) Genialität und Faszination einer mediterranen Literatur
durchglüht von algerischer Küstenlandschaft und Lebensfreude eines jungen
Schriftstellers“10 schwärmt. Die meiner Meinung nach nahe liegende Begründung,
dass es sich um einen der seltenen narrativen Höhenkammtexte handelt, der sowohl aufgrund seines Umfangs als auch seiner sprachlichen Schwierigkeit als
Ganzschrift von Sprachlernenden bewältigt werden kann, spielt hingegen in der
Argumentation für die Wahl dieses Textes eine nebensächliche Rolle. Dabei dürfte
bei einer Länge von 85 Seiten, einem weitgehend der Alltagssprache zugehörigen
Wortschatz von nur 2535 Wörtern,11 einem Erzähltempus, das das lästige passé
simple vermeidet, und einer leserfreundlichen Syntax der „Literaturschock“12 wesentlich geringer ausfallen, als etwa bei Klassikern des Realismus. Lediglich Weller reflektiert die Kürze und sprachliche Einfachheit des Romans ausführlich. Er
relativiert dieses Argument einerseits mit dem Hinweis auf die unterschiedlichen
Sprachebenen zwischen dem ersten und zweiten Teil des Romans. Vor allem aber
sieht er hierin eher eine Falle als eine Chance.13 Im Anschluss an die Ausführungen von Philippe Forest, dass sich hinter der einfachen und klaren Sprache „une
œuvre à la pensée exigeante, au fonctionnement subtil“14 verbirgt, warnt Weller
davor, sich vom relativ niedrigen sprachpragmatischen Schwierigkeitsgrad blenden
zu lassen und er resümiert: „Albert Camus hat den Roman nicht für Jugendliche
geschrieben“.15 Er scheint auch zu bezweifeln, dass L’Etranger in besonderem
Maße dem Lebensgefühl jugendlicher Leser entspricht.
Das sehen die übrigen Autoren anders. Es herrscht Einigkeit darüber, dass die
Aktualität des Romans darin liegt, dass Meursault den heranwachsenden Jugendlichen eine gute Projektions- oder gar Identifikationsfläche biete für ihre eigenen
Probleme in der Phase des Erwachsenwerdens; allerdings liegt die einzige diesbezügliche Umfrage 25 Jahre zurück.16 Das Autorenkollektiv des Stuttgarter Landesinstituts um Claudine Sachse verweist ausdrücklich auf die große Faszination, die
der Roman bei Jugendlichen in der ganzen Welt auslöse und auf die Anschlussfähigkeit des Textes an die politischen und philosophischen Interessen seiner heutigen Leserschaft;17 auch Catherine Mann-Grabowski, die Autorin der im Raabe78
Verlag erschienenen Unterrichtsreihe, bezieht sich explizit auf die jugendliche Leserschaft und sieht in L’Etranger einen Roman, der „Heranwachsenden auf der
Suche nach dem Sinn ihres Lebens viel Stoff zum Nachdenken bietet“.18 Ein ähnliches Motiv für die Auswahl wird deutlich in den Ausgangsfragen, von denen sich
Gabriele Rüger-Groth (und ihre Mitwirkenden aus einem Heilbronner Studienseminar) bei der Publikation im Klett-Verlag leiten ließ: „Was soll sie (die Schüler/innen,
L.S.) als junge Erwachsene herausfordern auf ihrer eigenen Suche nach Orientierung und Lebenssinn? Inwiefern kann sie die Begegnung mit dem coolen Büroangestellten Meursault aus dem Algier der fernen Kolonialzeit in ihrer eigenen Lebenswirklichkeit betreffen?“19
3. Themen und Methoden
Welche Konsequenzen hat nun die explizite Orientierung an den Interessen und
der Lebenswirklichkeit der Schüler/innen für die Themen der drei Unterrichtsreihen? Ein Leitmotiv der Arbeitsaufgaben besteht darin, den Schüler/innen die Personen und Orte der Handlung zu veranschaulichen, sie mit ihnen vertraut zu machen. Dies geschieht dadurch, dass sie sich im wörtlichen Sinn ein Bild machen.
So werden sie aufgefordert zu Bildbeschreibungen von Algier und einem algerischen Dorf,20 der Wüste und eines schießenden Mannes,21 oder zum detaillierten
„Dekor“ für eine Szene.22 Auch die Personen der Handlung werden zum Leben erweckt. Ein Vorschlag besteht darin, für eine Verfilmung des Romans geeignete
Schauspieler/innen zu finden, entsprechende Fotos auszuwählen und ein Casting
für die Besetzung zu inszenieren,23 oder mehrere Szenen, besonders jene vor Gericht, nachzuspielen.24 Immer wieder gibt es Gelegenheit zur Einfühlung25 in einzelne Figuren, indem die Schüler angeregt werden innere Monologe zu schreiben,26 ihren eigenen Alltag im Stile Meursaults zu beschreiben oder eine Szene
aus der Perspektive eines anderen Protagonisten umzuschreiben.27 Rüger-Groth
nimmt den Roman zum Anlass, eine Diskussion zum aktuellen Thema „Todesstrafe“ zu initiieren.28
Angesichts dieser Betonung der Referentialität des Textes und der ausdrücklichen Orientierung an der Lebenswirklichkeit heutiger Schüler/innen ist es verwunderlich, dass trotz aller Beteuerungen, dass ein über 60 Jahre alter Roman heute
anders gelesen wird als bei seinem Erscheinen, der entscheidende und folgenreiche Unterschied zwischen den heutigen und den früheren Lektüren überhaupt
nicht reflektiert wird. Nur schwerlich gelingt es uns heute nämlich, davon zu abstrahieren, dass der Mord, den Meursault begeht, der Mord eines Angehörigen einer
Kolonialmacht an einem Kolonisierten ist. Und ebenso wenig können heutige Leser/innen die Anonymisierung des Opfers als l’arabe verstehen, ohne damit Rassismus zu assoziieren. Diese Lesarten, die u.a. von Isabelle Ancel, Brigitte Sändig,
Edward Saïd und Christiane Chaulet-Achour formuliert worden sind,29 werden in
den vorliegenden Unterrichtsmaterialien zwar angedeutet, aber letztlich verdrängt.
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So gibt es zum Beispiel in der Schulausgabe vom Klett-Verlag im Anhang einen
zweiseitigen informativen Text über „L’Algérie au moment de la parution de
l’étranger“, an den sich in den Lehrerhandreichungen die mir vollkommen unverständliche Frage anschließt: „Comment expliquez-vous l’évolution démographique
en Algérie? Discutez de cette évolution dans le contexte social.“30 In dem Unterrichtsentwurf der RAAbits-Reihe wird nach der Lektüre der ersten beiden Kapitel
die Frage gestellt „Où et quand se passe l’action?“ Die in den didaktischen Erläuterungen formulierte erwartete Antwort lautet: „L’action se passe en Algérie dans les
années 40, c’est-à-dire avant la guerre d’indépendance (1954-1962). A cette époque, l’Algérie était une colonie française. Meursault et sa mère sont des Français
d’Algérie.“31 Woher aber sollen die Schüler das wissen? Aus ihrer Lektüre können
sie höchstens Informationen über den Schauplatz des Geschehens entnehmen.
Obendrein ist die Behauptung der Autorin schlicht falsch, dass der (von 1938 bis
1940 geschriebene) Roman „in den 40er Jahren“ spielt. Auch die Verweise auf Camus’ Biographie, auf die „fascination du pays“,32 die Fotos von Algier und dem
ländlichen Algerien samt daran anschließender Fragen33 oder die Aufforderungen
an die Schüler, ihren Assoziationen zu Algerien vor dem Hintergrund der Ortsbeschreibungen im Text freien Lauf zu lassen,34 zielen nicht auf den kolonialen Kontext des Romans. Trotz der Bekenntnisse zu „Entstaubung“ und „Aktualisierung“35
folgen die Unterrichtsvorschläge hier der traditionellen Lesart, die den Roman
enthistorisiert und die erzählte Geschichte lediglich als Medium einer universellen,
von Zeit und Ort unabhängigen Botschaft begreift.36 Ausgerechnet in einem Unterricht, dessen leitendes Lernziel die interkulturelle Kompetenz ist, wird eine neue
Lesart des Romans als eines Konflikts zwischen den colons und colonisés in keinem der vorliegenden Entwürfe berücksichtigt. Es ist bezeichnend, dass unter den
Arbeitsaufträgen, die zu einem Perspektivwechsel einladen, z.B. durch das Verfassen innerer Monologe, sich nie die Perspektive des Opfers findet. Sie wird offenbar
außerhalb des Erwartungshorizontes der Leser/innen angesiedelt.
Die didaktische Begründung dafür – wenn sie denn überhaupt gegeben wird –,
liegt in dem Verweis auf die Intention des Autors. Mann-Grabowski möchte die
„Debatte zum Thema Rassismus“ vermeiden, „da das Ziel (…) eine Einführung in
das Werk von Camus bleibt“.37 Ernsthaft setzt sich lediglich Weller mit dem Rassismus-Vorwurf auseinander.38 Seine Haltung dazu ist klar: er hält diese Lesart für
anachronistisch und unzulässig, weil Camus keine „allgemeine Kolonialismusdiskussion oder eine franko-nordafrikanische Rassismusdebatte intendiert hat“.39
Dennoch gibt er, trotz seiner offensichtlichen Distanz zum interkulturellen Paradigma, hilfreiche praktische Hinweise dafür, wie diese verborgene Kolonialgeschichte hinter dem großen Plot sichtbar gemacht werden kann. Er stellt die einschlägigen Textstellen zusammen40 und seine abschließende Frage, ob es sich
hier um „untergründige rassistische Elemente“ handele, kann vor dem Hintergrund
seiner Textanalyse zum Ausgangspunkt eines Gesprächs mit Schülern genommen
werden.
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Nun haben Weller und Mann-Grabowski vollkommen Recht mit ihrer Behauptung, dass Camus nicht den kolonialen Konflikt zum Thema seines Romans gemacht hat. Dass darüber hinaus auch „keine logische Beziehung zwischen Fiktion
und Kolonialgeschichte“41 existiert, wie Weller behauptet, ist allerdings nicht richtig. Schließlich ist die Konstruktion, besonders der zweite Teil, der sich allein um
den Täter dreht, nur plausibel, wenn das Opfer gesichtslos ist. Das erfordert die
Handlungslogik der Fiktion – ein Aspekt auf den ich noch zurückkommen werde.
Dass die Wahl des Autors dabei auf l’arabe fiel, dürfte sehr wohl etwas mit dem
Unterbewusstsein des Kolonisten zu tun haben.
Das Problem lässt sich indessen noch verallgemeinern. Spätestens seit der rezeptionsästhetischen Wende, die maßgeblich den didaktischen Paradigmenwechsel von lehrerzentrierten zur schülerorientierten Methoden des Literaturunterrichts
in Gang gesetzt hat, ist die Intention des Autors nicht mehr der einzige Maßstab für
Interpretationen im Klassenraum (und anderswo). Der Grund dafür liegt in der Erkenntnis, dass Texte ganz unabhängig von ihren Autoren Bedeutungen erlangen
können, die ihnen ihre Leser/innen verleihen. Es ist dieser elementare hermeneutische Grundsatz, der den didaktischen Prämissen subjektiver Lektüren zugrunde
liegt. Die Autorinnen der vorliegenden Unterrichtsreihen bekennen sich in ihren
Vorworten explizit dazu. Dass aber ihre Schüler/innen, die in ihrer Lebens- und
Medienwirklichkeit zwangsläufig, möglicherweise sogar im eigenen Klassenraum,
mit ethnischen Konflikten konfrontiert werden, der Aussage Raymonds über l’arabe
(„Alors, je vais l’insulter et quand il répondra je le descendrai“) eine ganz andere
Bedeutung als ihre Vorgänger/innen vor 40 Jahren verleihen dürften, wird von ihnen nicht bedacht.
Dass diese dezentrierte Lektüre durchaus im Horizont heutiger Jugendlicher
liegt, beweist der (nicht besonders gelungene) Song Killing an Arab der RockPunkband The Cure, den Mann-Grabowski, ganz gegen ihre oben referierte Position, in ihre Unterrichtsreihe aufnimmt. Es handelt sich dabei um ein musikalisches
Résumé der Mordszene des 6. Kapitels, das dieselbe Erzählperspektive beibehält;
nur durch fast unsicht- bzw. unhörbare Textelemente wird signalisiert, dass die
Aussage des Romans sich verschiebt, hin zu einer Markierung des „Ich“ als rassistischen Mörder. Bewirkt wird dies erstens, indem die Sonne kein Akteur ist, sondern lediglich „angestarrt“ wird („staring at the sun“) von einem Erzähler, der das
Abfeuern der Pistole als bewussten Akt beschreibt („I can fire the gun“). Außerdem
kommentiert ganz am Ende des Lieds eine Stimme von außen das Geschehen mit
„Oh Meursault“.42 Aber wie sehr die Bedeutung eines Textes von seinem Rezeptionskontext abhängt, beweist gerade dieser Song, denn er wurde auch von rassistischen Diskothekenbesitzern eingesetzt, um unliebsame Gäste fernzuhalten. Vor
diesem Hintergrund ist die Tatsache nicht unproblematisch, dass die letzte Zeile
(„Oh Meursault“) im Arbeitsbogen für die Schüler/innen nicht mit abgedruckt ist und
die Arbeitsaufträge überhaupt nicht den Blick auf die (zugegebenermaßen sehr
diskreten) Bedeutungsverschiebungen lenken. Von schon fast fahrlässiger rezeptionsästhetischer Naivität ist allerdings der didaktische Kommentar: „Dennoch (trotz
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des zeitweiligen Verbots des Lieds, L.S.) besitzt es keinerlei ausländerfeindlichen
Bezug, sondern (sic! L.S.) entstand nach der Lektüre des „Etranger“ von Camus.“43
Diese verunglückte Rezeption ist nur ein Symptom für ein Missverständnis, auf
dem möglicherweise sogar die nun bereits Jahrzehnte andauernde Karriere von
L’Etranger als Schullektüre beruht. Dieser Roman kann als realistischer Roman
gelesen werden, weil die Orte und Protagonisten auf Referenten außerhalb des
literarischen Textes verweisen. Schließlich gibt es die Stadt Algier und dort sind
auch Büroangestellte zu finden. Die Geschichte, die hier erzählt wird, lässt eine
Wirklichkeitsillusion zu. Zwar sind die Brüche allgegenwärtig, denn es ist höchst
unwahrscheinlich, dass ein Mensch „à cause du soleil“ einen anderen tötet und
dass er dieses Motiv auch noch angesichts der drohenden Todesstrafe zu seiner
Verteidigung vor Gericht vorbringt. Aber die zahlreichen realistischen und detailgenauen Beschreibungen von Dingen, Landschaften und Personen führen dazu,
dass auch ein/e irritierte/r Leser/in immer wieder bereit ist, mit Meursault als Erzähler einen Pakt zu schließen und in die realistische Falle zu laufen. Anders als bei
den viel autoreferentielleren Texten des Nouveau Roman, bietet L’Etranger die
Möglichkeit, der Handlung Plausibilität und Kohärenz zuzubilligen.
Die vorliegenden Unterrichtsreihen, und wohl auch die herrschende Unterrichtspraxis, unterstützen diese traditionelle Lektürehaltung. Viele Aktivitäten gehen vom
referentiellen Charakter des Textes aus und verstärken die Wirklichkeitsillusion.
Dies wird insbesondere in der Beschäftigung mit Meursault deutlich. Auch wenn er
überhaupt nicht wie ein Held in einem realistischen Roman gestaltet ist, wird er
dennoch didaktisch als solcher behandelt, indem die Motive für sein Handeln befragt und beurteilt werden. Das geht hin bis zu Arbeitsaufträgen, in denen – fast
makaber – die Schuld Meursaults zur Diskussion gestellt44 wird, gerade so als ob
jemand, der einen anderen Menschen „à cause du soleil“ tötet, keine Schuld auf
sich laden würde.
Aber genau hier liegt das Problem. L’Etranger ist kein realistischer Roman. Eine
Schülerin hat dies im Chat auf einer Internetseite richtig erkannt: „Meursault – un
être qui manque de vraisemblance, même pour un personnage fictif“.45 Eine Lektürehaltung, die sich dieser Erkenntnis verschließt, muss am Text scheitern. Spätestens im 6. Kapitel gerät der/die Leser/in in große Erklärungsnot bei dem Versuch, die Beweggründe, Motive, Gefühle, das Unterbewusstsein,46 kurz, die Psyche eines Zufallsmörders zu verstehen.
Diese Not wird in den Unterrichtsentwürfen auch zu einer didaktischen und methodischen Notlage. Einerseits versucht man ihr zu begegnen durch einen etwas
hilflosen Verweis auf die „Ambivalenz“ Meursaults.47 Vor allem aber wird versucht,
die Widersprüche und Ungereimtheiten der Handlung durch Camus’ Philosophie
des Absurden aufzulösen. Schaut man sich die Unterrichtseinheiten an, so ist vor
allen Dingen in den Entwürfen von Rüger-Groth und Mann-Grabowski die Deutung
Meursaults als Inkarnation des absurden Menschen der Fluchtpunkt der Interpretationen. Die Fragen sind so anspruchsvoll, dass mit ihnen ganze Philosophiestun82
den gestaltet werden könnten: „Retracez ses (de Meursault, L.S.) idées philosophiques sur l’existence“;48 „Comparez ‘l’homme absurde’ à la conception de l’homme
qui est la vôtre et discutez en classe“;49 „Expliquez pourquoi Meursault peut être
qualifié de ‘héros de l’absurde’50 (als Lernerfolgskontrolle); „Contre quoi Meursault
se révolte-t-il et comment sa révolte s’exprime-t-elle?“51 oder gar „Lisez le Mythe
de Sisyphe et marquez les passages qui vous semblent importants pour expliquer
l’homme absurde“.52 Diese Fragen verweisen darauf, dass der Roman als philosophischer Roman gelesen werden soll. Einmal ganz abgesehen davon, dass ihre
Beantwortung höchste Anforderungen an das fremdsprachliche Können stellt, werden die Schüler/innen darauf auch inhaltlich nicht vorbereitet. Soll der in den Arbeitsaufträgen benutzte Begriff l’absurde nicht nur auf einer diffusen alltagssprachlichen Bedeutungsebene verbleiben, bedürfte es einer eingehenden Beschäftigung
mit der Philosophie Camus’. Die kurzen Auszüge aus Le Mythe de Sisyphe sind
nicht dazu angetan, die Philosophie des Absurden zu erläutern und die – seltsam
einsilbigen – Ausführungen zu diesem Thema in den Unterrichtsmaterialien sprechen eine verwirrende Sprache,53 so dass die Schüler/innen diese Aufgabe nur
unter Rückgriff auf – für sie leere – Worthülsen bewältigen dürften. Nur am Rande
wird der historische Kontext thematisiert, in dem Camus’ Sinnverweigerung steht.
An keiner Stelle wird den Schüler/innen das Wissen vermittelt, gegen welche Weltbilder sich der Roman richtet. Dabei wäre gerade dies wichtig für das Verständnis
und die Voraussetzung, um einen kritischen Zugang zu L’Etranger zu finden.
Bei der Behandlung der philosophischen Implikationen des Romans zeigt sich
nicht zufällig auch eine Strukturschwäche aller vorliegenden Unterrichtsreihen.
Zwar wird nirgendwo als Lernziel die Beschäftigung mit der Philosophie Camus’
formuliert, aber sie wird für die Bewältigung bestimmter Arbeitsaufgaben vorausgesetzt. Die methodische Konsequenz dieses Lernziels wird nicht bedacht. Alle
Autor/inn/en bekennen sich zwar uneingeschränkt zur „Selbständigkeit und Individualität des Lernprozesses“,54 zu „handlungs- und produktionsorientierten Methoden“,55 zur „activité du lecteur“,56 aber die Kenntnis der Philosophie des Absurden
dürfte nur durch einen lehrerzentrierten Unterricht, der weitgehend auf Deutsch
verlaufen müsste, erreicht werden, indem philosophisches Wissen vermittelt wird.
Weller sieht hier klarsichtig das Problem und kommentiert ironisch: „Dass der ‘klassische’ etwas aus der Mode gekommene Lehrervortrag das Verständnis der Schülerinnen und Schüler (...) fördern könnte, sei hier nur am Rande erwähnt.“57
Das eigentliche Problem besteht jedoch darin, dass die Reflexion der eigenen
Sinnsuche und „der persönlichen Schuldfähigkeit des einzelnen“58 oder der „Ausgrenzung von Menschen durch Menschen“59 nicht zu dem für die Schüler unbefriedigenden Romanplot hinführen. Einerseits sind diese Lernziele so allgemein
und abstrakt, dass sie fast beliebig sind. Zum anderen wird durch die Aufforderung
zur „Einfühlung“ in den Protagonisten, die sich z.B. in Fragen nach Motiven und
Gründen Meursaults für den Mord60 oder nach seiner Schuld61 artikulieren, die
Erwartungshaltung geschürt, dass der Roman auf diese Fragen eine Antwort geben könnte. Diese Erwartungshaltung muss in frustrierende Enttäuschung mün83
den, denn der Mord ist nur der spektakulärste Ausdruck in diesem Text für die
Überzeugung Camus’ von der Zufälligkeit, Kontingenz, Unvorhersehbarkeit und
Unsteuerbarkeit menschlichen Lebens und Tuns. Bezeichnend ist hier beispielsweise der Irrtum Mann-Grabowskis, dass es sich bei L’Etranger um „das Werk eines über die Absurdität der conditio humana sinnenden jungen Mannes (handelt),
das Heranwachsenden auf der Suche nach dem Sinn ihres Lebens viel Stoff zum
Nachdenken bietet.“62 Camus’ Held „sinnt“ nicht. Das erzählende Ich beschreibt
lediglich. Es reiht in parataktischen Sätzen Geschehnisse aneinander, ohne ihnen
in reflektierenden Passagen einen Sinn zuzuschreiben. Sartre hat es in seiner Rezension auf die Formel gebracht: „L’étranger n’est pas un livre qui explique;
l’homme absurde n’explique pas, il décrit; ce n’est pas non plus un livre qui prouve.
M. Camus propose seulement et ne s’inquiète pas de justifier ce qui est, par principe, injustifiable.”63
Darüber hinaus verbleibt das Verständnis von Fremdheit in einer diffusen, aktuell-alltagssprachlichen Bedeutung, die dem Text nicht gerecht wird. Die Fremdheit
Meursaults liegt ja nicht in seiner Erscheinung, wie es z.B. der Arbeitsbogen mit
Fotos von exotisch aussehenden Personen zum Thema „étranger“64 suggeriert,
oder darin, was er tut. Im Gegenteil – Camus hat im ersten Teil seines Romans
alles getan, um seinen korrekt angezogenen, höflichen und unaufdringlichen jungen Helden „comme tout le monde“, als einen ganz durchschnittlichen Angestellten
zu gestalten und keineswegs als einen Außenseiter der Gesellschaft. Er wäscht
sich vorm Essen die Hände, grüßt den Etagennachbarn und kommt pünktlich zur
Arbeit. Wenn Michael Wendt in seiner didaktischen Studie ausgerechnet die „Automatenfrau“, jene mise en abyme für die Subjektlosigkeit des modernen Menschen,
als „unverstellt handelnde“ bezeichnet,65 dann übersieht er vollkommen die Besonderheit des Textes, die in der Gestaltung Meursaults als eines angepassten
Mannes ohne besondere Eigenschaften liegt. Aber dieses bei Wendt explizit formulierte Missverständnis scheint auch implizit in zahlreichen Arbeitsaufgaben
durch, in denen Psychogramme der Personen,66 insbesondere Meursaults, erstellt
werden sollen und den Schülern die Gelegenheit gegeben wird, ihre Meinungen zu
seinem Charakter zu artikulieren,67 – bis hin zu Spekulationen über „mögliche Erkrankungssymptome bei Meursault“.68
Was Meursault von den Anderen unterscheidet ist nicht, wie er lebt, sondern wie
er über sein Leben spricht und denkt. Er weigert sich, für sein stinknormales, überhaupt nicht außenseiterisches Leben die Sinnstiftungen zu akzeptieren, die ihm die
Gesellschaft anbietet und damit weigert er sich, sein Tun und Handeln nach höheren Zielen auszurichten. Er will nicht der gute oder schlechte Sohn, der leidenschaftliche oder laue Liebhaber, der aufstrebende oder sich verweigernde Angestellte, der ehrliche oder unzuverlässige Freund etc. sein – er will einfach nur
Sohn, Liebhaber, Angestellter, copain sein. Darum müssen sich die Leser/innen
auch nicht mit so vielen Adjektiven wie bei Balzac herumschlagen. Das wird dem
Protagonisten im zweiten Teil des Romans zum Verhängnis, wenn seine Richter
die Deutung und Interpretation seiner Existenz und seiner Handlungen vornehmen.
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Mit dieser Figur demonstriert Camus, dass es ein gelungenes Leben gibt, ohne
dass dieses Leben Ziele und Ideale benötigt, für die zu leben (oder zu sterben) es
lohnt. Das ist gemeint mit „ne pas jouer le jeu“.
Nimmt man die philosophischen Implikationen des Romans ernst, enthält er
nicht viel Stoff für die Sinnsuche heutiger Schüler/innen. Dies umso weniger, als
Camus die Apotheose des Romans, wie Weller treffend bemerkt, „mit philosophisch-theologischen Theorien seiner universitären Lehrmeister Pascal, Nietzsche,
Kierkegaard und (...) seiner literarischen Wegbereiter, allen voran Kafka“69 überfrachtet. Camus’ Nihilismus und sein bedingungsloser Atheismus erklären sich vor
allen Dingen aus dem Kontext der Kriegs- und Nachkriegszeit, die unter dem
Schock der verheerenden Wirkung von Ideologien und der Verstrickung der Kirche
in die Verbrechen des Faschismus stand. Deshalb ließ sich die Rezeption in den
1950er und 60er Jahren von den philosophischen Bezügen durch den gesamten
Text leiten. In aktuellen ethischen Diskussionen spielt aber Le Mythe de Sisyphe,
der Essay, in dem die philosophischen Grundgedanken von L’Etranger explizit ausformuliert sind, keine Rolle mehr und ist kein Klassiker, der zum Lektürekanon des
Ethik- oder Philosophieunterrichts gehören würde.
4. Von der histoire zum discours
Dass L’Etranger hingegen immer noch ein Klassiker der Weltliteratur ist, liegt nicht
an seinem philosophischen Thema, sondern an seiner sprachlichen Besonderheit.
Nicht die histoire, sondern der discours hat ihn zum Klassiker gemacht. Und ganz
offensichtlich liegt hier auch ein Grund für die nicht nachlassende Lust am Text.
Die literaturwissenschaftliche Forschung hat spätestens Ende der 1970er Jahre
den Paradigmenwechsel zur narratologisch orientierten Interpretation des
L’Etranger vollzogen.70 Camus hat mit Meursault einen ganz neuen Typ von Romanheld, oder besser: Antiheld konstruiert. Er hat eine literarische Figur geschaffen, die nur noch jämmerliche Reste von den großen Heldinnen und Helden psychologischer Milieuromane besitzt. Meursault ist ohne Vergangenheit, besitzt keine
markanten Charaktereigenschaften, führt kein abenteuerliches Leben. Er hat nicht
einmal einen Vornamen. Und um diese Figur darzustellen, hat der Autor eine neue
Art des Erzählens und eine neue Sprache gefunden, die den französischen Roman
im 20. Jahrhundert revolutioniert haben und ohne die viele Texte der französischen
Literatur nicht entstanden wären. Will man diese Besonderheit der Erzählweise
vermitteln, muss sich allerdings der Blick von der Ebene der histoire weg auf die
Ebene des discours begeben. Schüler/innen müssen dafür sensibilisiert werden,
dass hier eine literarische Figur mit ganz anderen Stilmitteln geschaffen wurde, als
das in den Romanen des 19. Jahrhunderts der Fall ist.
Die didaktische Herausforderung, die daraus erwächst, liegt, trotz der sprachlichen Einfachheit des L’Etranger, in der Sprache. Es sind die sprachlichen Zeichen,
mit denen die Menschen ihrem Tun und Handeln einen Sinn geben. Meursault ver85
weigert diese Sinngebung, und deshalb ist er höchst wortkarg (daher der kurze
Text!), misstrauisch gegenüber dieser Sprache (daher ihre Nüchternheit und Einfachheit) und erst Recht hält er nichts von Erklärungen und Rechtfertigungen
(keine kausalen Nebensätze). Hierauf verweist Weller immer wieder, und er richtet
sowohl seine Lernziele71 als auch seine didaktischen Analysen72 am konsequentesten von allen hier verhandelten Materialien auf diese Herausforderung aus. Als
Einziger macht er z.B. auf die wichtige Funktion der „Gemeinplätze, Sprachklischees, stereotypen Routineformeln“ aufmerksam.73
Diese Herausforderung des sprachlichen Stils und der narratologischen Struktur
hat unterschiedliche Spuren in den Unterrichtsentwürfen hinterlassen. Alle Entwürfe enthalten Aufgaben zu Stilanalysen. Besonders ausgeprägt ist dies im Entwurf des Stuttgarter Landesinstituts, der hier seinen Schwerpunkt hat. In detailliert
ausgearbeiteten Tabellen, die den Lehrer/innen nicht nur Entwürfe für Tafelbilder
sondern auch präzise fremdsprachliche Kommentare vorgeben, werden die
sprachlichen Merkmale und thematischen Motive analysiert und klassifiziert. Um
den Schülern aber die Lust an (eher ungeliebten) Stilanalysen zu vermitteln und
ihnen nicht das Gefühl zu geben, es handele sich hier um formalistische Fingerübungen, die ins Leere laufen, wäre es erforderlich, ihnen zu zeigen, dass der Roman erst durch den discours jene Plausibilität erhält, die ihm auf der Ebene der
histoire fehlt. Das entscheidende Motiv für den Mord liegt nämlich nicht in Meursaults Erfahrung von Hitze und Licht, sondern darin, dass der Autor ein Handlungselement konstruieren musste, das den Erzähler vor eine Instanz bringt, die die
Deutungshoheit von menschlichem Reden und Tun besitzt. Camus hat dafür ein
Strafgericht gewählt. Was eignet sich besser als ein Mord, um vor dessen Schranken zu geraten? In dem Prozess geht es nicht um „das Recht und die Ohnmacht
des Einzelnen vor Gericht“,74 sondern um die Absurdität menschlicher Sinngebung
und Sinnstiftung allgemein. Um die plausibel zu machen, durfte das Mordopfer keinen Anlass für ein Handlungsmotiv bieten. Dafür musste es stumm und gesichtslos
bleiben. Dass das erzählerisch mit l’arabe ausgestaltet wird, kann man nur plausibel finden, wenn man bereit ist, über unterschwelligen Rassismus nicht zu stolpern.
Diese mangelnde Aufmerksamkeit für die Bedeutung generierende Funktion des
Stils schlägt sich auch methodisch nieder. Es ist auffällig, dass sich der methodische Zugriff bei den Stilanalysen ändert. Der Stuttgarter Entwurf sieht hier sehr
wenig handlungs- und produktionsorientierte Aufgaben vor, die Arbeitsaufgaben
sind in der Regel eng gelenkt. Immer dort, wo die Analyse formaler Textmerkmale
verschränkt wird mit Aufgaben, die den Schülern eigene Textproduktionen erlauben, sind die Vorschläge besonders gelungen. Eine gute Idee ist es z.B. die Schüler/innen aufzufordern, einen Tag ihres eigenen Lebens nach dem Vorbild des Erzählers zu schildern, um ihnen ein Gefühl für die écarts von der Sprache traditionellen Erzählens zu vermitteln.75 Aber die Schwierigkeiten und auch die Möglichkeiten dieses Unternehmens werden generell unterschätzt. Das zeigt z.B. die formulierte Erwartung, dass sich „die Merkmale von Camus’ Stil (…) durch die
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Schreibaufgabe wie von selbst einprägen“, oder die recht grobe „fiche
d’évaluation“.76 Wesentliche Stilmerkmale fehlen hier, z.B. die Besonderheit, detailgenaue Beschreibungen oder Berichte vollkommen nebensächlicher Dinge oder
Ereignisse zu liefern.
Damit diese écarts wirklich erkannt werden, müssten kontrastive Textstellen,
etwa aus Balzac-Romanen, herangezogen werden. Vor allen Dingen aber müssten
die Schreibübungen und kreativen Aufgaben mehr auf die Besonderheiten des
Textes hinführen oder sie zum Ausgangspunkt nehmen. Die Aufforderungen, innere Monologe,77 Tagebucheintragungen und Briefe aus Figurenperspektive verfassen zu lassen, haben etwas Beliebiges und verhelfen nicht zu einem besseren
Verständnis der Sinn generierenden Sprache. Dabei böte gerade die binäre Struktur des Romans vielfältige Möglichkeiten für kreative Arbeits- und Schreibaufgaben, die dem Text nicht äußerlich bleiben. Zwar erkennen sowohl Weller78 als
auch Mann-Grabowski79 deutlich die „Spiegelstruktur“ des Romans, indem im
zweiten Teil die Repräsentanten der Ordnung dem im ersten Teil lediglich wertungsfrei Beschriebenen eine Bedeutung verleihen, es in eine Ordnung bringen,
und dem ziellosen Leben des Protagonisten Absichten unterstellen. Aber diese
Erkenntnis wird nicht wirklich didaktisch transformiert. Bei Mann-Grabowski bleibt
sie folgenlos, Weller leitet daraus lediglich seine, wie ein Leitmotiv immer wiederkehrende Grundregel ab: „Das A und O ist die Bereitschaft zur relecture“. Einen
Schritt weiter geht Rüger-Groth, die vor der Lektüre des zweiten Teils als Schreibaufgabe ein Rollenspiel vorschlägt, in dem mit einigen „phrases-clé“ die Anklage
und Verteidigung des Mörders vorweg genommen wird.80
Die Erkenntnis, dass der discours die histoire generiert, hat bereits vor 20 Jahren Eckhard Volker in einem leider wenig beachteten Aufsatz81 in einen praxisnahen Unterrichtsvorschlag für die Behandlung des 6. Kapitels transformiert, der
obendrein sehr genau das Spannungsverhältnis zwischen Textanalyse und Rezeptionsgespräch reflektiert. Volker demonstriert die Generierung des Sinns durch
die Sprache an der entscheidenden Mordszene. Er betont ausdrücklich, dass zunächst die „Zumutung“ der histoire, dass die Sonne als Motiv für einen Mord fungiert, ausführlich besprochen werden muss, um die Betroffenheit der Schüler nicht
„kognitiv (zu)zudecken“.82 Aber er sieht genau, dass sich auf der Ebene des Plots
keine befriedigende Erklärung finden lässt und deshalb überführt er die Frage
nach Meursaults Motiv in die eigentlich entscheidenden Fragen: 1. wie der Mord
dargestellt wird und 2. welche Funktion die Darstellung hat. Er belässt es nicht bei
der gängigen Analyse der Sonnenmetaphorik, sondern mit Arbeitsschritten, die in
vorbildhaften Strukturbildern münden, lenkt er die Aufmerksamkeit auch auf jene
Stilmittel, die den „Handelnden hinter seinem Werkzeug verschwinden“ lassen („La
gâchette a cédé...“) und die zeigen, dass Camus den Mord sprachlich als unkontrollierten Reflex inszeniert und das Fehlen jeglicher Intention suggeriert. In einem
zweiten Schritt lenkt er den Blick der Schüler/innen auf ein wichtiges Konstruktionsmerkmal des Romans, indem er ihnen die Funktion der Sprache für ihre eigene Leserrolle bewusst macht. Die suggestive Beschreibung der Mordszene hat
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den „Effekt, dass der Leser die von Meursault im Prozess vorgebrachte Erklärung
bereits hier als Wahrheit akzeptiert hat“.83
4. Bilanz
Wird L’Etranger heute anders gelesen als vor vierzig Jahren? Die hier analysierten
Unterrichtsvorschläge beanspruchen dies ausdrücklich, indem sie den Schüler/innen die Möglichkeit zu individuellen Interpretationen einräumen. Allerdings
wird die Schülerorientierung ausschließlich den Methoden anvertraut. Übersehen
wird dabei, dass einerseits die Methoden allein keine neuen Interpretationen hervorbringen und andererseits die Methodenwahl bestimmte Unterrichtsinhalte ausschließt. Indem auf Lehrer/innenvorträge verzichtet wird, kann das Wissen über
Camus’ philosophische Positionen kaum vermittelt werden. Aber auch die Aufgabenstellungen erfolgen nicht unabhängig von den Textdeutungen der Lehrer/innen.
Ob die Frage nach der Beziehung der beiden unterschiedlichen Romanteile eine
zentrale, untergeordnete oder gar keine Bedeutung hat, verrät viel über das Textverständnis, das für die Bearbeitung Weichen stellend ist. Das gilt auch für die
kreativen Schreibaufgaben oder szenischen Darstellungen, die den Schüler/innen
Spielraum für eigene Textkonkretisierungen eröffnen. Der Vorschlag, sich in Personen einzufühlen, setzt voraus, dass von einer realistischen Figurendarstellung ausgegangen wird und die Psychologisierung der Figuren zum Textverständnis beiträgt.
Die Analyse der vorliegenden Unterrichtsentwürfe verdeutlicht ein grundsätzliches Problem des aktuellen fremdsprachlichen Literaturunterrichts. Wenn Schüler/innen durch das Lesen fremdsprachlicher Literatur zu eigenen Sprachproduktionen motiviert werden sollen – ein Ziel von Fremdsprachenunterricht, das keiner
weiteren Begründung mehr bedarf –, dann muss sich der Zugang zu literarischen
Texten unterscheiden von wissenschaftlichen Formen des Umgangs mit Literatur,
die sich formanalytischer und metasprachlicher Verfahren bedienen. Die produktions- und handlungsorientierten Methoden stellen dafür mittlerweile ein breites
Spektrum an Möglichkeiten bereit. Aber diese Methoden mutieren in der Praxis
nicht selten zu Extremen einer Polarisierung, die sich etwa folgendermaßen gestaltet:
• Schülerorientierung versus Textanalyse,
• Inhalt versus Formalästhetik,
• Persönlichkeitsbildung gegen ästhetische Bildung,
• Eigenständiges und eigenverantwortliches Arbeiten der Schüler versus Planungshoheit des Lehrers.
Diese Polarisierung entsteht meines Erachtens durch einen Kurzschluss. Sie verkennt die Tatsache, dass der Einsatz von Methoden, die einen affektiven, nichtanalytischen Zugang zu literarischen Texten ebnen sollen, dennoch diese analytische Durchdringung des Unterrichtsgegenstandes durch die Lehrenden vorgängig
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voraussetzt. Die handlungs- und produktionsorientierten Aufgabenstellungen funktionieren nur, wenn sie den Eigenheiten, Strukturen und Kontexten des Textes
Rechnung tragen. Auch wenn es nicht mehr das Ziel von fremdsprachlichem Literaturunterricht ist, die Konstruktionsmerkmale eines literarischen Textes ausschließlich analytisch, und das bedeutet auch notgedrungen metasprachlich zu
erfassen, so ist seine wissenschaftliche Analyse dennoch weiterhin die Voraussetzung für die Organisation des subjektiv und affektiv-orientierten Leseprozesses.
Nur wenn die Spezifika des jeweiligen Textes berücksichtigt werden, bleiben die
modernen Methoden den Texten nicht äußerlich.
Die Fragen, die heutige Schüler/innen an einen Text stellen können, sind sehr
viel offener und subjektiver, als es der traditionelle Literaturunterricht zuließ. Aber
ein Dialog mit dem Text kommt nur dann zustande, wenn der Bedeutungshorizont
des Textes respektiert wird. Sonst fungiert er lediglich als prétexte und die Schüler/innen fragen sich zu Recht, warum sie die Mühen einer komplizierten Dekodierung auf sich nehmen sollen, wenn es schließlich doch nicht um das Verstehen
des Textes, sondern „nur“ um sie geht. Deshalb ist es eine Illusion anzunehmen,
dass für die offenen Impulse moderner Unterrichtsverfahren im Literaturunterricht
lediglich der Erwartungshorizont der Lesenden ausschlaggebend wäre und nicht
mehr die konkreten Lesarten der „Moderatoren des Lernprozesses“, als die die
Lehrenden neuerdings gern bezeichnet werden. Das Gegenteil ist der Fall. Jede
Aufgabenstellung, auch jene, die sich kreativer Verfahren bedient, erfordert Vorannahmen, nicht nur über die Schüler/innen, sondern auch über den Text. Denn nur
wenn diese Interpretationen explizit reflektiert werden, wird die Funktion der Aufgabenstellungen transparent und intersubjektiv nachvollziehbar.
Auch wenn die hier analysierten Entwürfe zu L’Etranger über die interpretatorischen Vorannahmen ihrer Autor/innen mit unterschiedlicher Deutlichkeit Rechenschaft ablegen, so lassen sie insgesamt auf eine Lesart dieses Romans schließen,
die weiterhin die klassische Interpretation als eine universell-überzeitliche Auseinandersetzung mit der menschlichen Existenz in den Mittelpunkt stellt und
L’Etranger als realistische Erzählung begreift. Neuere Lesarten, die die Zeitgebundenheit und den politischen Kontext der Entstehung des Romans und seiner Rezeption hervorheben oder die entschiedene Abkehr vom realistischen Erzählen,
werden hingegen weitgehend vernachlässigt.
Ich danke Virginie Lecroq für bibliografische Recherchen zu diesem Aufsatz.
1
Die letzte, sehr informative Bestandsaufnahme hat Franz-Rudolf Weller an den Abiturjahrgängen 1995-1999 in NRW vorgenommen: „Literatur im Französischunterricht heute.
Bericht über eine größere Erhebung zum Lektüre-„Kanon“, in französisch heute, 2/2000,
138-159. Dieser Aufsatz enthält auch Ergebnisse früherer Umfragen aus den 1960er und
70er Jahren.
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Franz-Rudolf Weller: L’Etranger. Guide pédagogique, Braunschweig, Diesterweg, 2005,
8. (im Folgenden zitiert als „Weller“)
1999 hat der Herausgeber eine um Zusatzmaterialien erweiterte Schulausgabe im selben
Verlag (Diesterweg) ediert. Neben dieser liegt noch als Schulausgabe für den Französischunterricht vor: Ed. Nicole et Norbert Maritzen, Stuttgart, Klett, 2005.
Unterrichtspraktische Vorschläge finden sich lediglich in Dieter Sauerhoff, Angela Weirath: „Ganzschrift im Französischunterricht – ganz oder gar nicht? Die Behandlung von
Albert Camus’ L’Etranger in einem Grundkurs der Jahrgangstufe 13/1“, in: Praxis des
neusprachlichen Unterrichts, 34/1987/1, 70-76; Eckhard Volker: „Vorschläge für eine
schülerorientierte Lektüre des Etranger“, in: Die Neueren Sprachen, 86/1987/3-4, 268 –
287; Josef Bessen: „Französischunterricht und Filmanalyse. Vorschläge zu einführenden
Übungen in die Filmanalyse am Beispiel von Camus’ Etranger und seiner Verfilmung
durch Visconti“, in: Beiträge zur Fremdsprachenvermittlung, 2001/38, 21-32. – Weitere
Aufsätze, in denen der Roman in didaktischer Perspektive behandelt wird: Peter C. Spycher: „Albert Camus’ L’Etranger. Eine Studie über „den einzigen Christus, den wir verdienen“, in: Die Neueren Sprachen, 14/1965/4, 159-180; Brigitta Coenen-Mennemeier: „Erzähler und Welt in L’Etranger von Albert Camus.“ In: Praxis des neusprachlichen Unterrichts, 10/1963/, 143-149; Henning Krauss: „Zur Struktur des Etranger.“, in: Zeitschrift für
französische Sprache und Literatur, 80/1970, 210-229; Peter Kramer: „Sonderbare Helden im modernen französischen Roman. Eine Textsequenz im Anschluß an Camus’
L’Etranger.“, in: Praxis des neusprachlichen Unterrichts, 37/1990/2, 169-174; Vincent
Grégoire: „Pour une réinterprétation du titre ‘L’étranger’“, in: französisch heute,
28/1997/2, 153-156; Michael Wendt: „L’Etranger und andere Fremde im Französischunterricht.“, in: Lothar Bredella, Herbert Christ (eds.): Begegnungen mit dem Fremden. Gießen, Ferber, 1996, 127-155; Wolf Albes: „Landeskundlicher Glanz und literarisches
Elend? Anmerkungen zum neuen „Lesebuch zur Einführung in die Oberstufenarbeit“
Nouveaux Horizons 1. In: Neusprachliche Mitteilungen aus Wissenschaft und Praxis,
51/1998/1, 33-41.
U.a. Wolfhard Keiser: L’Etranger – Der Fremde, Freising, Stark 2007; Reiner Poppe: Erläuterungen zu Albert Camus Der Fremde (=Königs Erläuterungen und Materialien, Bd.
61) Hollfeld, Bange Verlag, 2003.
U.a. Pierre Sauvage: Albert Camus. L’Etranger, (=Balises), Paris, Nathan 1990 und Stuttgart u.a., Klett (=Lektürehilfen) 1997 (3. Aufl.); Id: bearbeitet von Nicole und Norbert Maritzen, Stuttgart u.a., Klett, 2006; Philippe Forest: Etude de l’Etranger. Albert Camus. Résumé – Analyse – Commentaires (=Textes expliqués). Alleur, Marabout, 1995; Françoise
Bagot: Albert Camus. L’Etranger, (=Etudes Littéraires), Paris, PUF, 1993; Bernard Pingaud: Albert Camus. L’Etranger, Paris, Gallimard (=Foliothèque), 1992. – Eine gute
Kommentierung und weitere Titel finden sich bei Weller 2005, l. c., 33sq.
Claudine Sachse, Michette Eyser, Andrea Flour, Madeleine Hütten, Sabine Pevny, Silvia
Philipp, Gabrielle Rüger-Roth: L’Etranger de Camus. Exploitation en cours de français.
Classes terminals (sic). Stuttgart, Landesinstitut für Schulentwicklung 2005, im Folgenden
zitiert als „Sachse et.al.“; Gabriele Rüger-Groth unter Mitwirkung von Julia Dewald, Kathy
Ermert, Sven Heinzmann, Kristofer Jung, Jörg Ludwig, Beate Rieger, Gabriela von
Schönburg, Kerstin Wittler (Seminar Heilbronn): Albert Camus. L’étranger, Stuttgart,
Leipzig, Klett, 2005, im Folgenden zitiert als „Rüger-Groth“; Catherine Mann-Grabowski:
L’Etranger d’Albert Camus, tel qu’il nous parle aujourd’hui. Eine Unterrichtsreihe für die
Oberstufe (12.-13. Klasse) RAAbits Französisch Nr. 51, Raabe, September 2006; im Folgenden zitiert als „Mann-Grabowski“.
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Weller, op. cit., (Anm. 2).
Ib., 41.
Rüger-Groth, l. c., 3.
Weller, l. c., 42.
Der Begriff stammt von Harald Weinrich und bezeichnet den Schock, den Schüler/innen
erfahren, wenn sie aus dem lexikalischen und morpho-syntaktischen Schonraum des
(vornehmlich an der Alltagskommunikation orientierten) Lehrbuchs heraustreten und mit
dem Reichtum literarischer Sprache konfrontiert werden. „Literatur im Fremdsprachenunterricht – ja, aber mit Phantasie“. In: Die neueren Sprachen 82 (1983), 200-216.
Weller 2005, l. c., 43; s.a. Mann-Grabowski, l. c., 4.
Forest, l. c., 175sq.
Weller, l. c., 40.
Siehe hierzu die Umfrage von Klaus Heitmann: „Camus’ Fremder ein Identifikationsangebot für junge Leser? Ein empirisches Rezeptionsprotokoll“, in: Romanistische Zeitschrift
für Literaturgeschichte, 3/4, 1983, 487-506.
Sachse et.al., l. c., 2sq.
Mann-Grabowski, l. c., 1.
Rüger-Groth, l. c., 3.
Ib., l. c., 7.
Sachse et al., l. c., 23.
Ib., 12.
Rüger-Groth, 8.
Sachse 27 und 54;
„Indem die Schüler angeregt werden, sich in die Figuren des Romans einzufühlen bzw.
ihren eigenen Alltag mit den Augen Meursaults zu betrachten, finden sie einen persönlichen und damit auch einen leichteren Zugang zu einem Werk, das sich durchaus nicht
von selbst erschließt.“ Mann-Grabowski, l. c., 3.
Z.B. Sachse et. al., l. c., 12, 38; Rüger-Groth, l. c., 10.
Z.B. Mann-Grabowski, l. c., 25.
Rüger-Groth, l. c., 34-36.
Isabelle Ancel: „L’Etranger“ de Camus, Paris: Lectoguide, 1981; Brigitte Sändig: Albert
Camus. Eine Einführung in Leben und Werk, Leipzig, Reclam, 1988; Edward Saïd: Kultur
und Imperialismus: Einbildungskraft und Politik im Zeitalter der Macht. Frankfurt, Fischer,
1994 ; Christiane Chaulet-Achour: Albert Camus, Alger. L’Etranger et autres récits, Biarritz, Atlantica, 1999.
Rüger-Groth, l. c., 7.
Mann-Grabowski, l. c., Material 9.
Sachse et al., l. c., 3.
Rüger-Groth, l. c., 7.
Sachse et.al., l. c., 7.
Mann-Grabowski, l. c., 1.
Siehe dazu auch Christiane Chaulet-Achour, l. c., bes. 37sq.
Mann-Grabowski, l. c., Material, 6.
Weller, l. c., 116-120.
Ib., 117.
Ib., 118sq.
Ib., 117.
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42 Siehe hierzu auch Jorge Calderón: „Killing an Arab: L’Etranger d’Albert Camus relu par
The Cure“, in: Jacqueline Lévi-Valensin, Raymond Gay-Crosier: ‘L’Etranger’: cinquante
ans après. Actes du colloque d’Amiens, 11-12 décembre 1992, Paris, Lettres modernes,
1995, 105-118. Die unterschiedliche Funktion der Sonne im Roman und im Song wird
von Mann-Grabowski nicht erkannt. S. Material, 40, Arbeitsauftrag 3: „Les instruments
(…) rappellent le malaise du héros à cause de la chaleur et de son éblouissement par le
soleil“.
43 Mann-Grabowski, l. c., Material, 41.
44 Sachse et al., l. c., 22; Rüger-Groth, l. c., 11. Auch Weller irrt, wenn er einen Mord „aus
Notwehr“ annimmt. Weller, l. c., 94.
45 Zitiert bei Rüger-Groth, 21.
46 Siehe z.B. Mann-Grabowski, Material, 10: „(…) seine (Meursaults, L.S.) Naturbeobachtung verrät uns, dass seine Psyche sich unentwegt mit dem Verlust der Mutter beschäftigt.“
47 Mann-Grabowski, l. c., 6 und Material, 9.
48 Rüger-Groth, l. c., 17.
49 Ib., 18.
50 Mann-Grabowski, l. c., LEK, 1.
51 Sachse et al., l. c., 42.
52 Rüger-Groth, l. c., 18.
53 Z.B. Mann-Grabowski, l. c., Erwartungshorizont der Lernerfolgskontrolle, 3: „La conscience qu’il a acquise de lui-même lui permet à la veille de sa mort de quitter son attitude
passive pour transformer l’absurdité subie en revendication qui donne sens à sa vie“;
oder Rüger-Groth, l. c., 31.: „Il a une conception fataliste du monde, mais est à la hauteur
de sa souffrance et maîtrise la mort“.
54 Rüger-Groth, l. c., 3.
55 Mann-Grabowski, l. c., 3.
56 Sachse et al., 3.
57 Weller 2005, l. c., 104.
58 Rüger-Groth, l. c., 3.
59 Ib.
60 Sachse et al., l. c., 24.
61 Rüger-Groth, l. c., 11; Sachse et. al., l. c., 22.
62 Ib., 1. Siehe auch Id: „La radicalité du refus de Meursault de se prêter au jeu que la société attend de lui invite le jeune lecteur à s’interroger sur la place qu’il souhaite occuper
dans le monde et sur les valeurs qui sont les siennes.“, ib., 3.
63 Zit. In Nicole et Norbert Maritzen (eds.): Albert Camus: L’Etranger. (=Texte et documents), Stuttgart, Klett, 2005, 97.
64 Mann-Grabowski, Material, 5.
65 Wendt, l. c., 136.
66 Mann-Grabowski, l. c., Material, 24.
67 Sachse et al., 6; Mann-Grabowski, l. c., 9.
68 Rüger-Groth, l. c., 3.
69 Weller, 103.
70 Pingaud, l. c., 208.
71 Weller 2005, l. c., 41.
72 Ib., bes. 74 sq.
73 Ib., 69sq.
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Weller, l. c., 94.
Mann-Grabowski, Material, l. c., 12 sq.
Ib., 11.
Rüger-Groth, 10: „Mettez-vous dans la peau de Raymond (...), puis rédigez un petit monologue intérieur“; s.a. Sachse et.al., l. c., 12: „Ecrivez un monologue intérieur qui révèle
les pensées de Marie à ce moment.“
Weller, l. c., 42sq.
Mann-Grabowski, l. c., 2 („Une structure en miroir“).
Rüger-Groth, l. c., 12.
Eckhard Volker: „Vorschläge für eine schülerorientierte Lektüre des „Etranger“, in: Die
neueren Sprachen, 3/4, 1987, 268-287.
Ib., 277.
Ib., 279.
Résumé: Lieselotte Steinbrügge, L’Etranger d’Albert Camus. A propos de la durabilité
d’un classique: Le texte essaie d’expliquer pourquoi L’Etranger est depuis 40 ans au programme de l’enseignement du français. En analysant les propositions de cours et les analyses didactiques récentes, on constate que les lectures proposées, malgré les innovations
méthodiques, ne mettent pas en question les interprétations traditionnelles. L’hypothèse
avancée est que le grand succès du roman comme lecture scolaire repose sur un malentendu, puisque le roman est lu comme récit réaliste, dont le protagoniste est considéré comme
figure d’identification pour les élèves.
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