1. Erfahrungsbericht aus Jujuy (ARG)

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1. Erfahrungsbericht aus Jujuy (ARG)
1. Erfahrungsbericht aus Jujuy (ARG)
- von meinem Anfang am ander'n Ende der Welt Liebe Familie, Freunde, Bekannte und Interessierte,
dies ist mein erster Erfahrungsbericht aus San Salvador de Jujuy,
der Stadt, in der ich für die nächsten 12 Monate wohnen werde. Ich
werde über die Reise von Deutschland nach Argentinien und über
meine ersten Eindrücke von meinem neuen Zuhause berichten.
Dazu gehören zum Beispiel das lokale Gaucho-Fest „Exodo jujeno
[sprich: chuchenjo]“ und meine bisherigen Erfahrungen im Projekt.
Da am Anfang so viele verschiedene Eindrücke auf mich
einprasselten, wird dieser Bericht wahrscheinlich sehr lang. Mit
Hilfe der Gliederung kann sich aber jeder gerne nur die Themen
heraussuchen, die ihn am meisten interessieren. Ich hoffe, dass ich
meine Eindrücke gut und verständlich vermitteln kann und jeder
etwas Neues und Interessantes erfahren wird.
Gliederung:
1) Reise von Frankfurt nach Jujuy
2) Erste Eindrücke von San Salvador de Jujuy
3) Kultur-Exkurs: „Exodo Jujeno“
4) Einstieg in die Projekt-Arbeit und Fußballprojekt
5) Danke
1) Reise von Frankfurt nach Jujuy
Mit sehr gemischten Gefühlen trafen sich am Mittwochmorgen, den 18.08.2010, alle
zukünftigen
Bolivien-
und
Argentinien-
Freiwilligen am Frankfurter Flughafen, um die
Reise
nach
Einerseits
Buenos
freuten
wir
Aires
uns
anzutreten.
auf
das
bevorstehende Jahr, auf die Erfahrungen, die
wir machen würden und die Möglichkeit, eine
andere
Kultur
kennenzulernen,
aber
andererseits, wussten wir auch, dass wir unsere Familie und unsere Freunde eine sehr
lange Zeit nicht wiedersehen. Hier und da wurde eine Träne vergossen, doch sehr schnell
überwog ein sehr merkwürdiges Hochgefühl. Es ist schwer zu beschreiben, was man fühlt,
wenn man zum ersten Mal über den Atlantik fliegt und weiß, dass man länger als ein Jahr
lang auf einem anderen Kontinent leben wird, wenn man gerade erst die Schule beendet
hat. Trotz der ausgiebigen Vorbereitung habe ich diese Tatsachen innerlich erst realisiert,
als wir in Buenos Aires in der ersten Freiwilligen-WG übernachtet haben, in der Hannah,
Patrick und Jonas während des nächsten Jahres wohnen werden. Dort ereignete sich der
erste Kontakt mit Einheimischen. Wir lernten Freunde der ehemaligen Freiwilligen kennen,
aßen Empanadas und hörten ein paar Geschichten über das Viertel, in dem wir waren.
Vorher schien alles noch so weit weg, aber dann erlebten wir das, was wir bisher nur aus
Erzählungen und Berichten kannten, selbst. Ein beeindruckendes Gefühl.
Nachdem, was viele Einheimische bis jetzt
erzählt haben, scheint mir, dass Buenos Aires
und
Argentinien
eigentlich
zwei
völlig
verschiedene Dinge sind. Schon bei unserer
halbtägigen Stadttour ist mir aufgefallen, dass
der Stadtkern europäisch ist. Der Baustil, das
Aussehen der Menschen und die hektische
Umtriebigkeit auf den Straßen könnte genau so
gut zu Madrid passen. Bestimmt ist es eine
sehr schöne und lebendige Stadt, aber den
erwarteten Kulturschock mit den dazugehörigen
Überraschungen
verspürte
ich
nicht. Stattdessen
fühlte ich mich manchmal an die ignorante Hektik erinnert,
die oft auch in deutschen Großstädten vorherrscht. Dieses
Bild kann sich aber auch noch ändern, denn der eine Tag,
den ich bis jetzt in Buenos Aires verbracht habe, lässt
eigentlich keine Bewertung zu. Die Bewohner der Provinz, in
der ich lebe und arbeite, berichten jedenfalls, dass das Land
vorherrschend indigen geprägt sei, alles etwas ruhiger und
naturbezogener sei und dass es das südamerikanische
Argentinien, das eigentliche Argentinien darstelle. Buenos Aires hingegen stehe eher für
sich allein. Seine Bewohner seien leicht arrogant und würden sich hauptsächlich nach
Europa richten, für die Kultur der Indianer und deren Bedeutung für das Land hätten sie
nicht viel übrig. Die Gespräche darüber habe ich hauptsächlich mit meiner Gastfamilie in
Jujuy und deren Freunden geführt.
Nach dem Kurzaufenthalt in Buenos Aires
fuhren wir mit dem Bus weiter nach Jujuy,
meine Heimatstadt für das nächste Jahr.
Über die 24-stündige Busfahrt gibt es
nicht viel zu sagen, denn 90% der
Landschaft, die wir durchquerten war
Steppe. Ab und zu wurden der Sand und
die
Steine
von
kleinen
Waldflächen
abgelöst oder von einer Ortschaft mit ein
paar Hundert Häusern. Fast jedes Haus
hatte einen großen Hof mit Tieren oder
einer Werkstatt. Manchmal saßen ein paar Dorfbewohner zusammen, mit Blick auf die
Straße, als wollten sie begutachten, wer heute wieder quer durch ihr Land fährt. Trotz der
vielen Busse, die diese Route täglich wählen, waren wir
Reisenden bei unserem einzigen großen Zwischenstopp
eine Attraktion für die Einheimischen. Als wir uns auf eine
kurze Stadterkundung begaben, kam uns plötzlich eine
riesige Gruppe Schüler entgegen, die gerade Schulschluss
hatte. Noch nie wurden wir von so vielen Menschen
angestarrt und bekichert. Die Schüler blieben stehen,
zeigten auf uns, machten erstaunte Gesichter oder lachten.
Einige kamen sogar und wollten mit uns ein Foto machen.
Die Aufmerksamkeit war uns etwas unangenehm. Wir
wussten nicht, wie wir reagieren sollten und wir wussten
auch nicht, was an uns in diesem Moment so spannend war. Anscheinend kommen hier in
der Provinz nicht oft Europäer vorbei.
Im gleichen Dorf hatten wir auch die ersten längeren Gespräche mit Argentiniern. Mich
persönlich hat es sehr gefreut, dass sich die Einwohner sehr für uns und unser Vorhaben
interessiert haben und uns mit viel Freundlichkeit begegnet sind. Sie sagten, dass sie
diese Art von kulturellem und menschlichem Austausch – einen Freiwilligendienst in einem
anderen Land – sehr gut fänden. Ein guter Start also für uns und wir freuten uns danach
noch mehr auf das Bevorstehende.
2) Ankunft in Jujuy und meine ersten Eindrücke
Nach unserer ganztägigen Busreise kamen wir dann endlich in San Salvador de Jujuy an,
jener Stadt, in der ich 12 Monate in einer sozialen Einrichtung mit dem Namen „Fundacion
Ceres“ Kindern im Alter von 6 bis 16 Jahren bei den Hausaufgaben helfen werde und eine
Fußballmannschaft aufbauen möchte. Bei unserer Ankunft war die Siesta, die
argentinische Mittagspause gerade vorbei und in den Straßen tummelten sich Unmengen
an Stadtbewohnern. Der Bus hatte zudem
Schwierigkeiten sich durch den städtischen
Verkehr zu kämpfen, da Hunderte von Taxis
für
deutsche
durcheinander
Verhältnisse
fuhren.
wie
Lautes
wild
Hupen,
aufheulende Motoren und die fast schon
gerufenen
Gespräche
zwischen
den
Händlern und den Kunden am Straßenrand
prägten
die
Gegend
rund
um
den
Busbahnhof nahe des Stadtzentrums. Spätestens hier war uns klar, dass wir in einer sehr
lebendigen Großstadt mit mittlerweile mehr als 300.000 Einwohnern waren. Eigentlich
kaum zu glauben angesichts des riesigen sandigen Nichts, das wir vorher durchquert
hatten. Aber dieses Phänomen ist typisch für ganz Südamerika. Es gibt selten kleinere
Städte oder Ortschaften auf dem Land, meistens befindet sich ein Großteil der
Bevölkerung in regionalen Großstädten oder Metropolen wie Buenos Aires. Mehrere
Städte nebeneinander wie im deutschen Ruhrgebiet, im Rheinland oder BadenWürttemberg gibt es kaum.
Am Busbahnhof wurden wir dann von unseren Vorgängern begrüßt, in bunten
Karnevalskostümen, denn wie in meiner Heimatstadt Köln wird auch hier Karneval ganz
groß geschrieben. Aber davon werde ich berichten, wenn es so weit ist, wahrscheinlich
gegen Ende Februar. Jedenfalls zeigten uns die ehemaligen Freiwilligen unsere zukünftige
Wohnung, machten für uns typisch argentinische Pizza und brachten unsere 15 BolivienFreiwilligen zu ihrem Bus, der sie weiter nach Norden bringen würde. Anschließend
begann für uns eine sehr wichtige Phase, das On-Arrival-Training. Dieses diente dazu,
uns Neuankömmlingen alles wichtige über die Stadt, die Menschen und unsere
zukünftigen Projekte näher zu bringen. Damit wir uns nach Abreise unserer Vorgänger so
schnell wie möglich selbstständig zurechtfinden können, zeigten sie uns fast die ganze
Stadt, die wichtigen Plätze, Einkaufsstraßen, Märkte, Krankenhaus und Sportvereine.
Auch ein Sicherheitstraining und eine kulinarische Einführung in die örtliche Kultur standen
auf dem Programm. Die Ehemaligen berichteten von Fettnäpfchen, schlechten und guten
Erfahrungen und stellten uns ihren Freunden und unseren zukünftigen Gastfamilien vor.
Auch alle Projekte, in denen wir arbeiten würden, zeigten sie uns. Dankbar fühlten wir uns
nun auf alles gut vorbereitet.
Besonders am Herzen liegt mir, zu sagen, dass ich sehr beeindruckt von der Herzlichkeit
und der erfrischenden Offenheit vieler Einheimischen uns
gegenüber bin. Egal in welcher Situation, ob beim
Einkaufen,
beim
Taxifahren
oder
bei
zufälligen
Begegnungen, es kommt schnell zu sehr freundlichem
Small-Talk, der sich manchmal auch zu neuen Kontakten
und Einladungen entwickelt. Man interessiert sich für unsere
Aufgaben hier, man will wissen, wie Deutschland ist, ob wir
unsere Familie nicht vermissen und jeder freut sich stolz,
dass Ausländer ausgerechnet ihre Stadt im armen Norden
Argentiniens
als
einjährige
Lebensabschnitts-Heimat
ausgewählt haben. Über die Anfangsfrage nach der Herkunft und Anekdoten über Fußball
kommt man dann oft ziemlich schnell auf das Thema Nationalsozialismus. Nur wenige
wissen viel darüber, einige haben nicht mal einen Ansatz von Wissen über die Bedeutung
des Zweiten Weltkrieges oder sympathisieren sogar mit den Vorstellungen von „niedrigen
und höheren“ Rassen. Andere glauben, Deutschland verfolge noch immer Juden und es
gäbe noch hasserfüllte Feindschaften mit Großbritannien und Frankreich.
Nach dem zehntägigen On-Arrival-Training zogen Sebastian, Michael, Theresa und ich für
ca. 3 Wochen in unsere Gastfamilien. Es gibt da eine Sache, die sehr eng mit einer
Gastfamilie verbunden ist: Essen. Denn es wird eigentlich den ganzen Tag gegessen. Die
Fleischverrücktheit der Argentinier ist kein Klischee, es ist würzige und saftige Realität.
Zwar wird morgens kaum etwas gefrühstückt, dafür gibt es mittags ordentlich was auf den
Teller und vor allem abends. Oder besser gesagt: Nachts. Das Abendessen findet hier
gewöhnlicherweise gegen 23:30h statt. Klassische Spezialitäten sind gebratene Steaks
namens „Milanesa“ und „Napolitana“, Empanadas (gefüllte Teigtaschen) oder gegrilltes
Asado-Fleisch, was mein persönlicher Favorit ist. Nie zuvor habe ich leckereres Fleisch
gegessen als an jenem Sonntag, an dem mich meine Gastfamilie zum Asado grillen
eingeladen hat. Ein solcher Tag ist kein gewöhnlicher Tag in einer argentinischen Familie.
Es gleicht eher einem kleinem Familienfest, an dem viele Verwandte zu Besuch kommen
und jeder an der Vorbereitung des Essens beteiligt ist. Nach einer ausgiebigen
Vorbereitung und mehrstündiger Grillzeit, wird mindestens nochmal doppelt so lange
gegessen. Und in Argentinien ist man langsam, es wird geredet über alles, was die Welt
bewegt oder auch nicht. Mehrere Pausen müssen eingelegt werden, damit jeder seine
Portion von 500 Gramm Fleisch bewältigen kann. An dieser Stelle könnte man infrage
stellen, ob das ökologisch noch vertretbar oder sozial gerecht ist, wenn man bedenkt, dass
ein Großteil in der gleichen Stadt in Armut lebt. Was den übermäßigen Fleischkonsum
betrifft, so werden hier die Prioritäten einfach ziemlich anders gesetzt als bei uns. Wer
einem Argentinier erklären will, dass er aus Umwelt-Gründen weniger Fleisch essen sollte,
der kann gleich danach versuchen, den Deutschen zu erklären, dass man zur
Bekämpfung des sinnlosen Massenkonsums Weihnachten abschaffen sollte. Für den
Argentinier ist ein Sonntag mit Asado eben wie ein kleines Weihnachten, ein kleines Stück
Familienidylle, dass man jederzeit wieder neu hervorholen und zelebrieren kann. Der Wert
der Familie ist hier unglaublich hoch. Ich habe das Gefühl, dass er deutlich höher ist als in
Deutschland. Selbst unter der Woche besuchen fast täglich Brüder, Onkel und Großeltern
das Haus, wenn nicht sowieso schon alle zusammen wohnen. Und wenn sich ein Ehepaar
getrennt haben sollte, selbst dann sehen sie sich noch fast jeden Tag, weil sie
gemeinsame Kinder haben und sich im großen Kreis am wohlsten fühlen. Eine Trennung
oder Scheidung bedeutet hier nur selten das Zerbrechen einer Familie. Die Verbindung ist
fast die selbe, nur dass sich die Eltern nicht mehr lieben. Oft wohnen sie sogar noch
zusammen, was aber auch daran liegt, dass sie zu arm sind, sich eine zweite Wohnung zu
suchen. Meine Gastfamilie lebt in einem solchen Verhältnis.
Mittlerweile sind alle vier Freiwilligen wieder vom Haus ihrer Gastfamilie in die
gemeinsame WG gezogen. Wir wohnen direkt im Stadtzentrum und können unsere
Projekte und alle wichtigen Orte schnell erreichen. Eine genaue Beschreibung zum Aufbau
der Stadt, wo Arm und Reich wohnt und wie die Häuser typischerweise aussehen folgt im
zweitem Bericht, weil ich fürchte, dass das hier den Rahmen sprengen würde. Dann werde
ich auch noch Aspekte zur Infrastruktur und zur Umwelt ansprechen.
3) Kultur-Exkurs: Exodo Jujeño und La Fiesta de los Estudiantes
Im vergangenen Monat gab in Jujuy zwei große Feste, die jeweils die Region und das
ganze Land repräsentieren.
Der Exodo Jujeño, eines der wichtigsten Feste der Stadt, dient dem Gedenken an den
nordargentinischen
Widerstand
gegen
die
spanischen
Streitkräfte
während
des
Unabhängigkeitskrieges. Damals verließen
nahezu alle Bürger Jujuys die Stadt und
brannten
ihre
Häuser
ab,
damit
die
spanischen Soldaten, die von Peru und
Bolivien aus
in Argentinien einmarschiert
waren, keine Möglichkeit der Unterkunft
und keine Nahrungsmittel für die weitere
Versorgung
vorfinden
geschwächt
verloren
konnten.
die
Davon
Spanier
die
folgende Schlacht südlich der Provinz und
damit
war
ein
großer
Schritt
zur
Unabhängigkeit getan. Heute wird jedes Jahr daran erinnert, indem man nachts als
Symbol für das große materielle Opfer der Bürger kleine eigens dafür hergerichtete
Holzhütten niederbrennt. Danach zieht ein riesiger Zug von Gauchos durch die Straßen
der Stadt. Gauchos sind die argentinischen Cowboys, die damals im Krieg zu Soldaten
umfunktioniert wurden. Mit ihren bunten und langen Mänteln auf ihren riesigen Pferden
geben sie eine beeindruckende Wirkung ab. Die Männer und Frauen, die an diesem
Umzug teilnehmen sind meistens direkte Nachfahren der damaligen Gaucho-Soldaten. In
dieser einen Nacht im Jahr ist jeder Mensch in Jujuy auf den Straßen und schaut zu. Es
herrscht eine sehr ehrwürdige und feierliche Stimmung. Und trotz der vielen Menschen,
scheinen sich alle irgendwoher zu kennen. Ständig reiten einige Gauchos an den
Straßenrand zu den Zuschauern, neigen sich von ihrem Pferd herunter und begrüßen
Bekannte mit zwei herzlichen Wangenküssen oder rufen laut in eine Menge voller Freunde
„Viva la Independencia, viva Argentina!“ (Es lebe die Unabhängigkeit, es lebe
Argentinien!), was mit begeisterten Rufen bestätigt wird.
Das zweite große Fest, was ich erlebte, war „La Fiesta de las Estudiantes“ (die Feier der
Schüler), was in ganz Argentinien gefeiert wird. Diese Feier wird schon Monate vorher
vorbereitet und dauert dann fast anderthalb Wochen. Anlässlich des Festes bauen die
Schüler jeder „Escuela Secundaria“ (weiterführende Schule in Argentinien) und jedes
Berufskollegs eine riesige
Karosse. Mit gewaltigem
zeitlichen und finanziellen
Aufwand
entwerfen,
bauen und schmücken die
Schüler ihre Karosse, die
ungefähr 5 Meter breit
und 10 Meter lang wird.
Jeder hilft dabei mit. In
dieser Zeit scheint es so,
dass es das Wichtigste
sei,
gemeinsam
schönste
Karosse
die
der
Stadt zu bauen. Alle halten zusammen, Streit und Antipathie unter den Schülern scheint
für diese Zeit fast vergessen. Eine große Gruppe von Schülern
bekommt sogar eigens für die Planung und Koordinierung dieses
Projektes mehrere Wochen schulfrei. Aus Papier, Draht und
Plastik basteln dann alle Blumen in unendlich vielen verschieden
Formen und Farben, fantasievolle Konstruktionen, Schlösser und
Türme, Figuren und ganze Landschaften. Wenn man in der
Woche gegen 1 Uhr nachts noch an den Schulen vorbeigeht, dann
sieht man zu dieser Zeit noch mindestens 20 Schüler, die
unermüdlich an der Karosse weiter basteln. Morgens sieht man
dann sogar gelegentlich noch Schüler, die sich gar nicht mehr die
Mühe gemacht haben nach Hause zu gehen und sich noch eine
Stunde neben ihren nächtlichen Arbeitsplatz gelegt haben oder
einfach kurz vor Schulbeginn nach Hause gehen, weil sie sich
stattdessen für die nächste anstrengende Nacht voller Arbeit
ausruhen wollen.
Neben den Karossen geht es während der „Fiesta de los Estudiantes“ auch noch darum,
Schönheitsköniginnen zu wählen. Erst wählt jede Schule eine Vertreterin aus, dann die
ganze Stadt, später die Provinz und zum Schluss das ganze Land. In diesen Wochen sind
die Karossen und die Schönheitsköniginnen das Gesprächsthema Nummer eins. Wenn
dann endlich die ersehnte Woche des Festes gekommen ist, gibt es jeden Tag die
sogenannten „desfiles de las Carosas“, das Schaufahren der Karossen auf der breitesten
Straße der Stadt, die vorher mit Kreidegemälden geschmückt worden ist und voller
Werbebanner von Coca-Cola ist, da die Firma sehr viel Geld zu dem Fest dazu gibt.
Zynisch betrachtet könnte man auch meinen, dass die „Fiesta de las Estudiantes“ mit
ihren pompösen leuchtenden Wagen und den ausgewählten Schülerinnen, die mit
erfrorenem Lächeln von den Karossen herunter winken, etwas von typischer Macho-Kultur
hat: das Prinzip ist fast das gleiche wie auf einer westlichen Auto-Tuning-Messe – dicke
Autos zeigen, die von blonden Schönheiten präsentiert werden. Aber vielleicht irre ich
mich da auch stark. Die Schülerinnen waren jedenfalls auch sehr begeistert bei der Sache
und schienen nicht unglücklich.
4) Einstieg in die Projektarbeit
Das Projekt, in dem ich arbeite, hat sehr vielseitige Angebote und heißt „Fundación
CERES“. Das Viertel, in dem es errichtet worden ist, heißt „Cerro Las Rosas“ (Rosenberg)
und liegt auf einem Hügel am Rande der Stadt, von wo aus man die ganze Stadt
überblicken kann. Zum Projekt gehört eine medizinische Station, wo sich jeder aus dem
umliegenden Armenviertel
kostenlos
lassen
behandeln
kann
und
auch
Medikamente
gestellt
bekommt.
solche
Eine
Einrichtung
gibt
es
mittlerweile fast in jedem
Viertel,
was
auch
sehr
notwendig ist, denn die
meisten
Bewohner
der
„Villas“ - der Armenviertel –
können sich keine ärztliche
Versorgung
leisten.
In
einem Gebäude 100 Meter weiter gibt es zudem noch eine kleine Bibliothek und eine
Radiostation, die dem Projekt angeschlossen sind. Dort werden von der Stadt Mitarbeiter
bezahlt, die Radiosendungen mit jugendlichen und erwachsenen Viertelbewohnern
vorbereiten und ausstrahlen. Anfangs hatte der Radiokanal nur eine Reichweite von
mehreren Hundert Metern, aber seit einiger Zeit kann man ihn in der ganzen Stadt hören.
Ich nehme zwar einmal in der Woche an einem Radio-Workshop teil, aber meine
Hauptaufgabe
besteht
darin,
in
einem
kleinen
Raum
mit
zwei
Tischen
Hausaufgabenbetreuung und Nachhilfe für Kinder zwischen 6 und 16 Jahren zu geben.
Zusätzlich helfe ich zweimal in der Woche im dazugehörigen Kindergarten. Da die
Konzentrationsspanne der Kinder in der Hausaufgabenbetreuung nur begrenzt anhält,
versuche ich nach den Aufgaben die Kinder mit Spielen oder vorbereiteten Workshop zu
verschiedenen Sportarten oder künstlerischen Tätigkeiten zu beschäftigen. Meistens sind
die Kinder begeistert bei der Sache, manchmal sind sie jedoch sehr aufgedreht und man
kann seine Pläne komplett über den Haufen schmeißen. Aber mir macht die Arbeit sehr
viel Spaß – auch, wenn sie sehr anstrengend und oft bedrückend ist, da man die
Probleme der Kinder und ihrer Familien vom Nahen miterlebt. Die meisten machen aber
schnell Fortschritte und es ist schön zu sehen, wie sehr sie sich bemühen, etwas zu lernen
und ihre Chancen so zu verbessern. Letzte Woche zeigte mir ein Junge dass er für seinen
Vortrag über Vitamine und Mineralien eine „Zehn“ bekommen hatte – die Beste Note, die
man hier bekommen kann. Vorher hatten wir zusammen geübt, das war also ein schönes
Erfolgserlebnis für uns beide.
Jeden Mittag essen ungefähr 50 Kinder im Projekt, da ihre Familien sich keine
ausgewogene Ernährung leisten können. Hier
bekommen sie dann einen Hauptgang, eine
Suppe und als Nachtisch eine Portion Obst. In
der dafür errichteten Küche arbeiten drei
Mütter
von
Projektkindern.
Weitere
sehr
schöne Angebote sind Workshops wie Folklore
tanzen, Malen und Basteln, (leider sehr selten)
Theater und Sportunterricht.
Im
Moment
Projektkindern
bin
ich
eine
dabei,
mit
den
Fußballmannschaft
aufzubauen, da sie alle kein Geld haben,
um in einem Verein zu spielen. Die Kinder
hier sind alle sehr gut am Ball, da sie fast
den ganzen Tag kicken. Da sie oft keinen Fußball haben, basteln sie sich aus
herumliegendem Müll selber einen Ball. Dazu sammeln sie Papier, wickeln alles in eine
Tüte ein, formen eine Kugel daraus und kleben es mit Tesa-Film zu. Diese Kreativität hat
mich sehr beeindruckt. Zweimal in der Woche biete ich seit kurzer Zeit ein regelmäßiges
Fußballtraining an, an dem ca. 8 bis 14 Kinder im Alter von 9 bis 13 Jahren begeistert
teilnehmen, da es etwas besonderes ist, mit einem richtigen Fußball spielen zu können
(auf dem Bild ist ca. die Hälfte zu sehen,). Leider habe ich erst einen Ball und deshalb
haben wir bis jetzt nur wenige Übungen machen können und haben fast nur gespielt. Ich
habe aber schon ein Geschäft gefunden, wo ich eine Komplette Ausrüstung für die
Mannschaft besorgen möchte. Die Preise: 13,60€ pro Ball, 0,90€ pro kleinem Hütchen,
1,20€ pro großem Hütchen und 4€ pro Leibchen. Da ich 10 Bälle, 20 kleine Hütchen, 8
große Hütchen und 10 Leibchen kaufen möchte, benötige ich also 203,60€. Ich würde
mich sehr freuen, wenn sich Spender finden, die das Fußball-Projekt unterstützen
möchten. Ich glaube, dass mit einer kleinen Starthilfe für die Materialien ein langfristiges
Fußballprojekt begonnen werden kann. Das Potenzial von der Anzahl der Kinder her ist
definitiv da und ein Einheimischer hat sich bereits bereit erklärt, als Trainer mitzuhelfen
und das Training weiterzuführen, wenn ich wieder nach Deutschland zurückkehre. Ich
werde noch versuchen, weitere Trainer zu finden, denn es wollen auch unbedingt schon
die 6- bis 8-jährigen beim Training mitmachen. Ich kann sie aber leider nicht mitmachen
lassen, da sie zu klein für die anderen sind und es dann zu viele Kinder wären.
Im nächsten Bericht werde ich auch von dem anderen Projekt „Color Esperanza“ (Farbe
der Hoffnung) berichten, bei dem ich mich neben meiner hauptsächlichen Arbeit in der
„Fundación CERES“ zusätzlich zweimal die Woche engagiere.
5) Vielen Dank!
Abschließend möchte ich allen herzlich danken, die mir dieses Jahr ermöglicht haben, ob
mit finanzieller oder mentaler Unterstützung. Ich bin froh hier zu sein und diese neuen
Erfahrungen machen zu dürfen.
Wer interessiert ist, das oben angesprochene Fußballprojekt finanziell oder mit guten
Ideen zu unterstützen, kann sich gerne per Mail an mich wenden ([email protected]).
Die Kinder und ich würden uns riesig freuen, wenn Ihr uns helfen wollt.
Ab und zu versuche ich auch auf meinem Internet-Blog ein paar Eindrücke zu schildern.
Die Internet-Adresse ist: marioinjujuy.wordpress.com .
Apropos Adresse, meine Adresse in Argentinien lautet:
San Martin No. 662, Casa No. 6
4600 San Salvador de Jujuy
Argentinien
Ich hoffe, der Bericht hat Euch gefallen und ihr habt etwas Interessantes erfahren. Wer
Fragen hat, kann mir gerne schreiben. Ich habe sicher einiges vergessen. Ich werde alle
eure Fragen gerne beantworten.
Herzliche Grüße aus Jujuy,
Euer Mario Adam