1. Erfahrungsbericht aus Jujuy (ARG)
Transcrição
1. Erfahrungsbericht aus Jujuy (ARG)
1. Erfahrungsbericht aus Jujuy (ARG) - von meinem Anfang am ander'n Ende der Welt Liebe Familie, Freunde, Bekannte und Interessierte, dies ist mein erster Erfahrungsbericht aus San Salvador de Jujuy, der Stadt, in der ich für die nächsten 12 Monate wohnen werde. Ich werde über die Reise von Deutschland nach Argentinien und über meine ersten Eindrücke von meinem neuen Zuhause berichten. Dazu gehören zum Beispiel das lokale Gaucho-Fest „Exodo jujeno [sprich: chuchenjo]“ und meine bisherigen Erfahrungen im Projekt. Da am Anfang so viele verschiedene Eindrücke auf mich einprasselten, wird dieser Bericht wahrscheinlich sehr lang. Mit Hilfe der Gliederung kann sich aber jeder gerne nur die Themen heraussuchen, die ihn am meisten interessieren. Ich hoffe, dass ich meine Eindrücke gut und verständlich vermitteln kann und jeder etwas Neues und Interessantes erfahren wird. Gliederung: 1) Reise von Frankfurt nach Jujuy 2) Erste Eindrücke von San Salvador de Jujuy 3) Kultur-Exkurs: „Exodo Jujeno“ 4) Einstieg in die Projekt-Arbeit und Fußballprojekt 5) Danke 1) Reise von Frankfurt nach Jujuy Mit sehr gemischten Gefühlen trafen sich am Mittwochmorgen, den 18.08.2010, alle zukünftigen Bolivien- und Argentinien- Freiwilligen am Frankfurter Flughafen, um die Reise nach Einerseits Buenos freuten wir Aires uns anzutreten. auf das bevorstehende Jahr, auf die Erfahrungen, die wir machen würden und die Möglichkeit, eine andere Kultur kennenzulernen, aber andererseits, wussten wir auch, dass wir unsere Familie und unsere Freunde eine sehr lange Zeit nicht wiedersehen. Hier und da wurde eine Träne vergossen, doch sehr schnell überwog ein sehr merkwürdiges Hochgefühl. Es ist schwer zu beschreiben, was man fühlt, wenn man zum ersten Mal über den Atlantik fliegt und weiß, dass man länger als ein Jahr lang auf einem anderen Kontinent leben wird, wenn man gerade erst die Schule beendet hat. Trotz der ausgiebigen Vorbereitung habe ich diese Tatsachen innerlich erst realisiert, als wir in Buenos Aires in der ersten Freiwilligen-WG übernachtet haben, in der Hannah, Patrick und Jonas während des nächsten Jahres wohnen werden. Dort ereignete sich der erste Kontakt mit Einheimischen. Wir lernten Freunde der ehemaligen Freiwilligen kennen, aßen Empanadas und hörten ein paar Geschichten über das Viertel, in dem wir waren. Vorher schien alles noch so weit weg, aber dann erlebten wir das, was wir bisher nur aus Erzählungen und Berichten kannten, selbst. Ein beeindruckendes Gefühl. Nachdem, was viele Einheimische bis jetzt erzählt haben, scheint mir, dass Buenos Aires und Argentinien eigentlich zwei völlig verschiedene Dinge sind. Schon bei unserer halbtägigen Stadttour ist mir aufgefallen, dass der Stadtkern europäisch ist. Der Baustil, das Aussehen der Menschen und die hektische Umtriebigkeit auf den Straßen könnte genau so gut zu Madrid passen. Bestimmt ist es eine sehr schöne und lebendige Stadt, aber den erwarteten Kulturschock mit den dazugehörigen Überraschungen verspürte ich nicht. Stattdessen fühlte ich mich manchmal an die ignorante Hektik erinnert, die oft auch in deutschen Großstädten vorherrscht. Dieses Bild kann sich aber auch noch ändern, denn der eine Tag, den ich bis jetzt in Buenos Aires verbracht habe, lässt eigentlich keine Bewertung zu. Die Bewohner der Provinz, in der ich lebe und arbeite, berichten jedenfalls, dass das Land vorherrschend indigen geprägt sei, alles etwas ruhiger und naturbezogener sei und dass es das südamerikanische Argentinien, das eigentliche Argentinien darstelle. Buenos Aires hingegen stehe eher für sich allein. Seine Bewohner seien leicht arrogant und würden sich hauptsächlich nach Europa richten, für die Kultur der Indianer und deren Bedeutung für das Land hätten sie nicht viel übrig. Die Gespräche darüber habe ich hauptsächlich mit meiner Gastfamilie in Jujuy und deren Freunden geführt. Nach dem Kurzaufenthalt in Buenos Aires fuhren wir mit dem Bus weiter nach Jujuy, meine Heimatstadt für das nächste Jahr. Über die 24-stündige Busfahrt gibt es nicht viel zu sagen, denn 90% der Landschaft, die wir durchquerten war Steppe. Ab und zu wurden der Sand und die Steine von kleinen Waldflächen abgelöst oder von einer Ortschaft mit ein paar Hundert Häusern. Fast jedes Haus hatte einen großen Hof mit Tieren oder einer Werkstatt. Manchmal saßen ein paar Dorfbewohner zusammen, mit Blick auf die Straße, als wollten sie begutachten, wer heute wieder quer durch ihr Land fährt. Trotz der vielen Busse, die diese Route täglich wählen, waren wir Reisenden bei unserem einzigen großen Zwischenstopp eine Attraktion für die Einheimischen. Als wir uns auf eine kurze Stadterkundung begaben, kam uns plötzlich eine riesige Gruppe Schüler entgegen, die gerade Schulschluss hatte. Noch nie wurden wir von so vielen Menschen angestarrt und bekichert. Die Schüler blieben stehen, zeigten auf uns, machten erstaunte Gesichter oder lachten. Einige kamen sogar und wollten mit uns ein Foto machen. Die Aufmerksamkeit war uns etwas unangenehm. Wir wussten nicht, wie wir reagieren sollten und wir wussten auch nicht, was an uns in diesem Moment so spannend war. Anscheinend kommen hier in der Provinz nicht oft Europäer vorbei. Im gleichen Dorf hatten wir auch die ersten längeren Gespräche mit Argentiniern. Mich persönlich hat es sehr gefreut, dass sich die Einwohner sehr für uns und unser Vorhaben interessiert haben und uns mit viel Freundlichkeit begegnet sind. Sie sagten, dass sie diese Art von kulturellem und menschlichem Austausch – einen Freiwilligendienst in einem anderen Land – sehr gut fänden. Ein guter Start also für uns und wir freuten uns danach noch mehr auf das Bevorstehende. 2) Ankunft in Jujuy und meine ersten Eindrücke Nach unserer ganztägigen Busreise kamen wir dann endlich in San Salvador de Jujuy an, jener Stadt, in der ich 12 Monate in einer sozialen Einrichtung mit dem Namen „Fundacion Ceres“ Kindern im Alter von 6 bis 16 Jahren bei den Hausaufgaben helfen werde und eine Fußballmannschaft aufbauen möchte. Bei unserer Ankunft war die Siesta, die argentinische Mittagspause gerade vorbei und in den Straßen tummelten sich Unmengen an Stadtbewohnern. Der Bus hatte zudem Schwierigkeiten sich durch den städtischen Verkehr zu kämpfen, da Hunderte von Taxis für deutsche durcheinander Verhältnisse fuhren. wie Lautes wild Hupen, aufheulende Motoren und die fast schon gerufenen Gespräche zwischen den Händlern und den Kunden am Straßenrand prägten die Gegend rund um den Busbahnhof nahe des Stadtzentrums. Spätestens hier war uns klar, dass wir in einer sehr lebendigen Großstadt mit mittlerweile mehr als 300.000 Einwohnern waren. Eigentlich kaum zu glauben angesichts des riesigen sandigen Nichts, das wir vorher durchquert hatten. Aber dieses Phänomen ist typisch für ganz Südamerika. Es gibt selten kleinere Städte oder Ortschaften auf dem Land, meistens befindet sich ein Großteil der Bevölkerung in regionalen Großstädten oder Metropolen wie Buenos Aires. Mehrere Städte nebeneinander wie im deutschen Ruhrgebiet, im Rheinland oder BadenWürttemberg gibt es kaum. Am Busbahnhof wurden wir dann von unseren Vorgängern begrüßt, in bunten Karnevalskostümen, denn wie in meiner Heimatstadt Köln wird auch hier Karneval ganz groß geschrieben. Aber davon werde ich berichten, wenn es so weit ist, wahrscheinlich gegen Ende Februar. Jedenfalls zeigten uns die ehemaligen Freiwilligen unsere zukünftige Wohnung, machten für uns typisch argentinische Pizza und brachten unsere 15 BolivienFreiwilligen zu ihrem Bus, der sie weiter nach Norden bringen würde. Anschließend begann für uns eine sehr wichtige Phase, das On-Arrival-Training. Dieses diente dazu, uns Neuankömmlingen alles wichtige über die Stadt, die Menschen und unsere zukünftigen Projekte näher zu bringen. Damit wir uns nach Abreise unserer Vorgänger so schnell wie möglich selbstständig zurechtfinden können, zeigten sie uns fast die ganze Stadt, die wichtigen Plätze, Einkaufsstraßen, Märkte, Krankenhaus und Sportvereine. Auch ein Sicherheitstraining und eine kulinarische Einführung in die örtliche Kultur standen auf dem Programm. Die Ehemaligen berichteten von Fettnäpfchen, schlechten und guten Erfahrungen und stellten uns ihren Freunden und unseren zukünftigen Gastfamilien vor. Auch alle Projekte, in denen wir arbeiten würden, zeigten sie uns. Dankbar fühlten wir uns nun auf alles gut vorbereitet. Besonders am Herzen liegt mir, zu sagen, dass ich sehr beeindruckt von der Herzlichkeit und der erfrischenden Offenheit vieler Einheimischen uns gegenüber bin. Egal in welcher Situation, ob beim Einkaufen, beim Taxifahren oder bei zufälligen Begegnungen, es kommt schnell zu sehr freundlichem Small-Talk, der sich manchmal auch zu neuen Kontakten und Einladungen entwickelt. Man interessiert sich für unsere Aufgaben hier, man will wissen, wie Deutschland ist, ob wir unsere Familie nicht vermissen und jeder freut sich stolz, dass Ausländer ausgerechnet ihre Stadt im armen Norden Argentiniens als einjährige Lebensabschnitts-Heimat ausgewählt haben. Über die Anfangsfrage nach der Herkunft und Anekdoten über Fußball kommt man dann oft ziemlich schnell auf das Thema Nationalsozialismus. Nur wenige wissen viel darüber, einige haben nicht mal einen Ansatz von Wissen über die Bedeutung des Zweiten Weltkrieges oder sympathisieren sogar mit den Vorstellungen von „niedrigen und höheren“ Rassen. Andere glauben, Deutschland verfolge noch immer Juden und es gäbe noch hasserfüllte Feindschaften mit Großbritannien und Frankreich. Nach dem zehntägigen On-Arrival-Training zogen Sebastian, Michael, Theresa und ich für ca. 3 Wochen in unsere Gastfamilien. Es gibt da eine Sache, die sehr eng mit einer Gastfamilie verbunden ist: Essen. Denn es wird eigentlich den ganzen Tag gegessen. Die Fleischverrücktheit der Argentinier ist kein Klischee, es ist würzige und saftige Realität. Zwar wird morgens kaum etwas gefrühstückt, dafür gibt es mittags ordentlich was auf den Teller und vor allem abends. Oder besser gesagt: Nachts. Das Abendessen findet hier gewöhnlicherweise gegen 23:30h statt. Klassische Spezialitäten sind gebratene Steaks namens „Milanesa“ und „Napolitana“, Empanadas (gefüllte Teigtaschen) oder gegrilltes Asado-Fleisch, was mein persönlicher Favorit ist. Nie zuvor habe ich leckereres Fleisch gegessen als an jenem Sonntag, an dem mich meine Gastfamilie zum Asado grillen eingeladen hat. Ein solcher Tag ist kein gewöhnlicher Tag in einer argentinischen Familie. Es gleicht eher einem kleinem Familienfest, an dem viele Verwandte zu Besuch kommen und jeder an der Vorbereitung des Essens beteiligt ist. Nach einer ausgiebigen Vorbereitung und mehrstündiger Grillzeit, wird mindestens nochmal doppelt so lange gegessen. Und in Argentinien ist man langsam, es wird geredet über alles, was die Welt bewegt oder auch nicht. Mehrere Pausen müssen eingelegt werden, damit jeder seine Portion von 500 Gramm Fleisch bewältigen kann. An dieser Stelle könnte man infrage stellen, ob das ökologisch noch vertretbar oder sozial gerecht ist, wenn man bedenkt, dass ein Großteil in der gleichen Stadt in Armut lebt. Was den übermäßigen Fleischkonsum betrifft, so werden hier die Prioritäten einfach ziemlich anders gesetzt als bei uns. Wer einem Argentinier erklären will, dass er aus Umwelt-Gründen weniger Fleisch essen sollte, der kann gleich danach versuchen, den Deutschen zu erklären, dass man zur Bekämpfung des sinnlosen Massenkonsums Weihnachten abschaffen sollte. Für den Argentinier ist ein Sonntag mit Asado eben wie ein kleines Weihnachten, ein kleines Stück Familienidylle, dass man jederzeit wieder neu hervorholen und zelebrieren kann. Der Wert der Familie ist hier unglaublich hoch. Ich habe das Gefühl, dass er deutlich höher ist als in Deutschland. Selbst unter der Woche besuchen fast täglich Brüder, Onkel und Großeltern das Haus, wenn nicht sowieso schon alle zusammen wohnen. Und wenn sich ein Ehepaar getrennt haben sollte, selbst dann sehen sie sich noch fast jeden Tag, weil sie gemeinsame Kinder haben und sich im großen Kreis am wohlsten fühlen. Eine Trennung oder Scheidung bedeutet hier nur selten das Zerbrechen einer Familie. Die Verbindung ist fast die selbe, nur dass sich die Eltern nicht mehr lieben. Oft wohnen sie sogar noch zusammen, was aber auch daran liegt, dass sie zu arm sind, sich eine zweite Wohnung zu suchen. Meine Gastfamilie lebt in einem solchen Verhältnis. Mittlerweile sind alle vier Freiwilligen wieder vom Haus ihrer Gastfamilie in die gemeinsame WG gezogen. Wir wohnen direkt im Stadtzentrum und können unsere Projekte und alle wichtigen Orte schnell erreichen. Eine genaue Beschreibung zum Aufbau der Stadt, wo Arm und Reich wohnt und wie die Häuser typischerweise aussehen folgt im zweitem Bericht, weil ich fürchte, dass das hier den Rahmen sprengen würde. Dann werde ich auch noch Aspekte zur Infrastruktur und zur Umwelt ansprechen. 3) Kultur-Exkurs: Exodo Jujeño und La Fiesta de los Estudiantes Im vergangenen Monat gab in Jujuy zwei große Feste, die jeweils die Region und das ganze Land repräsentieren. Der Exodo Jujeño, eines der wichtigsten Feste der Stadt, dient dem Gedenken an den nordargentinischen Widerstand gegen die spanischen Streitkräfte während des Unabhängigkeitskrieges. Damals verließen nahezu alle Bürger Jujuys die Stadt und brannten ihre Häuser ab, damit die spanischen Soldaten, die von Peru und Bolivien aus in Argentinien einmarschiert waren, keine Möglichkeit der Unterkunft und keine Nahrungsmittel für die weitere Versorgung vorfinden geschwächt verloren konnten. die Davon Spanier die folgende Schlacht südlich der Provinz und damit war ein großer Schritt zur Unabhängigkeit getan. Heute wird jedes Jahr daran erinnert, indem man nachts als Symbol für das große materielle Opfer der Bürger kleine eigens dafür hergerichtete Holzhütten niederbrennt. Danach zieht ein riesiger Zug von Gauchos durch die Straßen der Stadt. Gauchos sind die argentinischen Cowboys, die damals im Krieg zu Soldaten umfunktioniert wurden. Mit ihren bunten und langen Mänteln auf ihren riesigen Pferden geben sie eine beeindruckende Wirkung ab. Die Männer und Frauen, die an diesem Umzug teilnehmen sind meistens direkte Nachfahren der damaligen Gaucho-Soldaten. In dieser einen Nacht im Jahr ist jeder Mensch in Jujuy auf den Straßen und schaut zu. Es herrscht eine sehr ehrwürdige und feierliche Stimmung. Und trotz der vielen Menschen, scheinen sich alle irgendwoher zu kennen. Ständig reiten einige Gauchos an den Straßenrand zu den Zuschauern, neigen sich von ihrem Pferd herunter und begrüßen Bekannte mit zwei herzlichen Wangenküssen oder rufen laut in eine Menge voller Freunde „Viva la Independencia, viva Argentina!“ (Es lebe die Unabhängigkeit, es lebe Argentinien!), was mit begeisterten Rufen bestätigt wird. Das zweite große Fest, was ich erlebte, war „La Fiesta de las Estudiantes“ (die Feier der Schüler), was in ganz Argentinien gefeiert wird. Diese Feier wird schon Monate vorher vorbereitet und dauert dann fast anderthalb Wochen. Anlässlich des Festes bauen die Schüler jeder „Escuela Secundaria“ (weiterführende Schule in Argentinien) und jedes Berufskollegs eine riesige Karosse. Mit gewaltigem zeitlichen und finanziellen Aufwand entwerfen, bauen und schmücken die Schüler ihre Karosse, die ungefähr 5 Meter breit und 10 Meter lang wird. Jeder hilft dabei mit. In dieser Zeit scheint es so, dass es das Wichtigste sei, gemeinsam schönste Karosse die der Stadt zu bauen. Alle halten zusammen, Streit und Antipathie unter den Schülern scheint für diese Zeit fast vergessen. Eine große Gruppe von Schülern bekommt sogar eigens für die Planung und Koordinierung dieses Projektes mehrere Wochen schulfrei. Aus Papier, Draht und Plastik basteln dann alle Blumen in unendlich vielen verschieden Formen und Farben, fantasievolle Konstruktionen, Schlösser und Türme, Figuren und ganze Landschaften. Wenn man in der Woche gegen 1 Uhr nachts noch an den Schulen vorbeigeht, dann sieht man zu dieser Zeit noch mindestens 20 Schüler, die unermüdlich an der Karosse weiter basteln. Morgens sieht man dann sogar gelegentlich noch Schüler, die sich gar nicht mehr die Mühe gemacht haben nach Hause zu gehen und sich noch eine Stunde neben ihren nächtlichen Arbeitsplatz gelegt haben oder einfach kurz vor Schulbeginn nach Hause gehen, weil sie sich stattdessen für die nächste anstrengende Nacht voller Arbeit ausruhen wollen. Neben den Karossen geht es während der „Fiesta de los Estudiantes“ auch noch darum, Schönheitsköniginnen zu wählen. Erst wählt jede Schule eine Vertreterin aus, dann die ganze Stadt, später die Provinz und zum Schluss das ganze Land. In diesen Wochen sind die Karossen und die Schönheitsköniginnen das Gesprächsthema Nummer eins. Wenn dann endlich die ersehnte Woche des Festes gekommen ist, gibt es jeden Tag die sogenannten „desfiles de las Carosas“, das Schaufahren der Karossen auf der breitesten Straße der Stadt, die vorher mit Kreidegemälden geschmückt worden ist und voller Werbebanner von Coca-Cola ist, da die Firma sehr viel Geld zu dem Fest dazu gibt. Zynisch betrachtet könnte man auch meinen, dass die „Fiesta de las Estudiantes“ mit ihren pompösen leuchtenden Wagen und den ausgewählten Schülerinnen, die mit erfrorenem Lächeln von den Karossen herunter winken, etwas von typischer Macho-Kultur hat: das Prinzip ist fast das gleiche wie auf einer westlichen Auto-Tuning-Messe – dicke Autos zeigen, die von blonden Schönheiten präsentiert werden. Aber vielleicht irre ich mich da auch stark. Die Schülerinnen waren jedenfalls auch sehr begeistert bei der Sache und schienen nicht unglücklich. 4) Einstieg in die Projektarbeit Das Projekt, in dem ich arbeite, hat sehr vielseitige Angebote und heißt „Fundación CERES“. Das Viertel, in dem es errichtet worden ist, heißt „Cerro Las Rosas“ (Rosenberg) und liegt auf einem Hügel am Rande der Stadt, von wo aus man die ganze Stadt überblicken kann. Zum Projekt gehört eine medizinische Station, wo sich jeder aus dem umliegenden Armenviertel kostenlos lassen behandeln kann und auch Medikamente gestellt bekommt. solche Eine Einrichtung gibt es mittlerweile fast in jedem Viertel, was auch sehr notwendig ist, denn die meisten Bewohner der „Villas“ - der Armenviertel – können sich keine ärztliche Versorgung leisten. In einem Gebäude 100 Meter weiter gibt es zudem noch eine kleine Bibliothek und eine Radiostation, die dem Projekt angeschlossen sind. Dort werden von der Stadt Mitarbeiter bezahlt, die Radiosendungen mit jugendlichen und erwachsenen Viertelbewohnern vorbereiten und ausstrahlen. Anfangs hatte der Radiokanal nur eine Reichweite von mehreren Hundert Metern, aber seit einiger Zeit kann man ihn in der ganzen Stadt hören. Ich nehme zwar einmal in der Woche an einem Radio-Workshop teil, aber meine Hauptaufgabe besteht darin, in einem kleinen Raum mit zwei Tischen Hausaufgabenbetreuung und Nachhilfe für Kinder zwischen 6 und 16 Jahren zu geben. Zusätzlich helfe ich zweimal in der Woche im dazugehörigen Kindergarten. Da die Konzentrationsspanne der Kinder in der Hausaufgabenbetreuung nur begrenzt anhält, versuche ich nach den Aufgaben die Kinder mit Spielen oder vorbereiteten Workshop zu verschiedenen Sportarten oder künstlerischen Tätigkeiten zu beschäftigen. Meistens sind die Kinder begeistert bei der Sache, manchmal sind sie jedoch sehr aufgedreht und man kann seine Pläne komplett über den Haufen schmeißen. Aber mir macht die Arbeit sehr viel Spaß – auch, wenn sie sehr anstrengend und oft bedrückend ist, da man die Probleme der Kinder und ihrer Familien vom Nahen miterlebt. Die meisten machen aber schnell Fortschritte und es ist schön zu sehen, wie sehr sie sich bemühen, etwas zu lernen und ihre Chancen so zu verbessern. Letzte Woche zeigte mir ein Junge dass er für seinen Vortrag über Vitamine und Mineralien eine „Zehn“ bekommen hatte – die Beste Note, die man hier bekommen kann. Vorher hatten wir zusammen geübt, das war also ein schönes Erfolgserlebnis für uns beide. Jeden Mittag essen ungefähr 50 Kinder im Projekt, da ihre Familien sich keine ausgewogene Ernährung leisten können. Hier bekommen sie dann einen Hauptgang, eine Suppe und als Nachtisch eine Portion Obst. In der dafür errichteten Küche arbeiten drei Mütter von Projektkindern. Weitere sehr schöne Angebote sind Workshops wie Folklore tanzen, Malen und Basteln, (leider sehr selten) Theater und Sportunterricht. Im Moment Projektkindern bin ich eine dabei, mit den Fußballmannschaft aufzubauen, da sie alle kein Geld haben, um in einem Verein zu spielen. Die Kinder hier sind alle sehr gut am Ball, da sie fast den ganzen Tag kicken. Da sie oft keinen Fußball haben, basteln sie sich aus herumliegendem Müll selber einen Ball. Dazu sammeln sie Papier, wickeln alles in eine Tüte ein, formen eine Kugel daraus und kleben es mit Tesa-Film zu. Diese Kreativität hat mich sehr beeindruckt. Zweimal in der Woche biete ich seit kurzer Zeit ein regelmäßiges Fußballtraining an, an dem ca. 8 bis 14 Kinder im Alter von 9 bis 13 Jahren begeistert teilnehmen, da es etwas besonderes ist, mit einem richtigen Fußball spielen zu können (auf dem Bild ist ca. die Hälfte zu sehen,). Leider habe ich erst einen Ball und deshalb haben wir bis jetzt nur wenige Übungen machen können und haben fast nur gespielt. Ich habe aber schon ein Geschäft gefunden, wo ich eine Komplette Ausrüstung für die Mannschaft besorgen möchte. Die Preise: 13,60€ pro Ball, 0,90€ pro kleinem Hütchen, 1,20€ pro großem Hütchen und 4€ pro Leibchen. Da ich 10 Bälle, 20 kleine Hütchen, 8 große Hütchen und 10 Leibchen kaufen möchte, benötige ich also 203,60€. Ich würde mich sehr freuen, wenn sich Spender finden, die das Fußball-Projekt unterstützen möchten. Ich glaube, dass mit einer kleinen Starthilfe für die Materialien ein langfristiges Fußballprojekt begonnen werden kann. Das Potenzial von der Anzahl der Kinder her ist definitiv da und ein Einheimischer hat sich bereits bereit erklärt, als Trainer mitzuhelfen und das Training weiterzuführen, wenn ich wieder nach Deutschland zurückkehre. Ich werde noch versuchen, weitere Trainer zu finden, denn es wollen auch unbedingt schon die 6- bis 8-jährigen beim Training mitmachen. Ich kann sie aber leider nicht mitmachen lassen, da sie zu klein für die anderen sind und es dann zu viele Kinder wären. Im nächsten Bericht werde ich auch von dem anderen Projekt „Color Esperanza“ (Farbe der Hoffnung) berichten, bei dem ich mich neben meiner hauptsächlichen Arbeit in der „Fundación CERES“ zusätzlich zweimal die Woche engagiere. 5) Vielen Dank! Abschließend möchte ich allen herzlich danken, die mir dieses Jahr ermöglicht haben, ob mit finanzieller oder mentaler Unterstützung. Ich bin froh hier zu sein und diese neuen Erfahrungen machen zu dürfen. Wer interessiert ist, das oben angesprochene Fußballprojekt finanziell oder mit guten Ideen zu unterstützen, kann sich gerne per Mail an mich wenden ([email protected]). Die Kinder und ich würden uns riesig freuen, wenn Ihr uns helfen wollt. Ab und zu versuche ich auch auf meinem Internet-Blog ein paar Eindrücke zu schildern. Die Internet-Adresse ist: marioinjujuy.wordpress.com . Apropos Adresse, meine Adresse in Argentinien lautet: San Martin No. 662, Casa No. 6 4600 San Salvador de Jujuy Argentinien Ich hoffe, der Bericht hat Euch gefallen und ihr habt etwas Interessantes erfahren. Wer Fragen hat, kann mir gerne schreiben. Ich habe sicher einiges vergessen. Ich werde alle eure Fragen gerne beantworten. Herzliche Grüße aus Jujuy, Euer Mario Adam