Hat der Fernverkehr der Bahn im Saarland eine Zukunft? Ja.
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Hat der Fernverkehr der Bahn im Saarland eine Zukunft? Ja.
Hat der Fernverkehr der Bahn im Saarland eine Zukunft? Ja. Von Thomas Lutze, MdB – Mitglied des Verkehrsausschusses In der Öffentlichkeit wird im Spätsommer 2014 intensiv über die Frage diskutiert, wie das Saarland weiterhin an das Fernverkehrsnetz der Deutschen Bahn und Frankreichs angebunden werden soll. Eine dringend notwendige Debatte - allerdings von Scheinheiligkeit und Halbwissen durchsetzt. Aber der Reihe nach: 1. Die deutsche Einheit und der Bahnverkehr an der Saar Geografisch liegt das Saarland im Zentrum Westeuropas. Sowohl über Autobahnen als auch über ein dichtes Netz der Eisenbahn ist die Landeshauptstadt Saarbrücken sehr gut angebunden. Doch während auf der Straße die letzte Lücke auf der BAB 8 nach Luxemburg aktuell geschlossen wird (vierspuriger Ausbau), kommt es seit Mitte der neunziger Jahre zu einem stufenweisen Abbau des Fernverkehrs auf der Schiene. Mit der Deutschen Einheit wurden im Sommer 1990 IC/EC-Verbindungen nach Leipzig und Dresden über Frankfurt am Main eingerichtet. Sie verkehrten im Zwei-Stunden-Takt und wurden in der anderen Stunde durch IC/EC-Verbindungen nach Süddeutschland und durch die neuen Interregio-Verbindungen ergänzt. Diese bedienten auch die Saar-Strecke nach Trier und weiter Richtung Ruhrgebiet und Norddeutschland. Ein IR-Zug fuhr sogar bis Greifswald in Vorpommern, ohne dass man umsteigen musste. 2. Die Folgen der Bahnreform Doch mit der sogenannten Bahnreform 1994 änderten sich die Rahmenbedingungen grundlegend. CDU/CSU, FDP und SPD beschlossen u.a. den Börsengang der Deutschen Bahn (was vorerst scheiterte) sowie die Vereinigung von Bundes- und Reichsbahn und die Aufteilung der Bahn in getrennte Unternehmensbereiche (DB-Regio, DB-Cargo, …), die wirtschaftlich eigenständig arbeiten sollen. Die DB-Fernverkehr (IC/EC, IR und die neuen ICE) erhielt von der Politik den Auftrag, den Fernverkehr „eigenwirtschaftlich“ zu erbringen, also Gewinne einzufahren. Dies hat zur Folge, dass der Fernverkehr u.a. Nutzungsgebühren für Strecken und Bahnhöfe zahlen muss, dass private oder ausländische Konkurrenz nicht ausgeschlossen werden kann, dass die systemeigenen Kooperationen (Synergieeffekte) mit anderen Bereichen wie zum Beispiel dem Nahverkehr aufgegeben werden usw. Auf jeden Fall wurde der öffentliche Auftrag der Bahn im Fernverkehr - politisch gewollt (Stichwort: Daseinsvorsorge) - aufgegeben. Das fiel aber in den ersten Jahren deshalb noch nicht auf, weil die DB-Fernverkehr in ihrem Bestreben gewinnbringend zu arbeiten, beim Rückbau des Angebots nur „scheibchenweise“ vorging. 3. Wegfall des Interregios Der Interregio galt bahnintern als das erfolgreichste Produkt – zumindest was das Verhältnis von Fahrgastzahlen und Anzahl der Verbindungen angeht. Aber er wurde innerhalb weniger Jahre wieder aufgegeben. Im Saarland fielen mit dem Fahrplanwechsel im Dezember 2002 1 alle Züge Richtung Trier/Koblenz und weiter nach Norddeutschland weg. Fahrgäste müssen die Angebote über Mannheim nutzen (Fahrzeitverlängerung und höhere Kosten). Auf der Strecke nach Mannheim wurden die verbliebenen IR-Züge durch IC-Züge ersetzt. Noch heute kann man ehemalige IR-Wagen nutzen, allerdings in den Farben des IC getarnt. Eine schwerwiegende Folge war allerdings, dass die Fahrgastzahlen drastisch zurückgingen, weil entweder der teurere IC/EC genutzt werden musste oder die unattraktiven Nahverkehrsverbindungen einzige Alternative auf der Schiene waren. 4. Das Neigetechnik-Desaster Die Deutsche Bahn spürte den Druck der Fahrgäste nach dem Ausbluten des Interregios und wollte eine attraktive - vor allem schnelle – Alternative anbieten. So sollten schnelle Neigetechnikzüge nach Köln über Trier (Reisezeit 3 Stunden) und nach Frankfurt am Main über Mainz (2 Stunden) einen Ausgleich schaffen. Was sehr gut angelegt war, scheiterte an Borniertheit und handwerklichen Fehlern. Anstatt auf eine bewährte Neigetechnologie zu setzen, die sich in Schweden und Italien bereits erfolgreich in der Praxis bewährt hatte, verwendete die Bahn eine Form der Neigetechnik, die zuvor in Großbritannien glorreich gescheitert war. Heute fahren diese Neigetechnikzüge im „Bummelzugtempo“, da die Neigetechnik abgeschaltet ist. Und auf der Strecke nach Köln wurde die direkte Verbindung ab Saarbrücken schnell wieder aufgegeben. 5. Aufschwung durch die Paris-Verbindung Mit der Entscheidung, ab 2007 täglich vier bis fünf Zugpaare von Frankfurt über Saarbrücken nach Paris fahren zu lassen, bekam die Bahn-Anbindung des Saarlandes einen letzten Aufschwung. Dass die Betreiberin der Verbindung – die französische SNCF – von Anbeginn deutlich machte, dass sie die Südverbindung über Strasbourg vorziehen wird, wollte an der Saar niemand hören. Entgegen der Deutschen Bahn setzen die Franzosen seit Beginn des TGV einzig auf (Höchst-)Geschwindigkeit. Für den Hochgeschwindigkeitsverkehr ist die Bahnstrecke Saarbrücken-KaiserlauternMannheim allerdings geografisch denkbar ungeeignet. Dennoch wurde und wird mit hohem Aufwand gebaut, erneuert und modernisiert, obwohl allen Beteiligten klar war, dass trotz dieser Baumaßnahmen der Standard der Franzosen nie erreicht werden kann. Nach der Fertigstellung von Nord- und Südstrecke wird die Verbindung Paris-Frankfurt über Strasbourg (Südstrecke) 30 Min. schneller sein als über Saarbrücken (Nordstrecke). 6. Weitere Stolpersteine auf der Strecke Saarbrücken-Mannheim In der öffentlichen Kritik stand mit der Einführung der Paris-Verbindung auch, dass der ICEHalt in Homburg/Saar ausgelassen wurde. Zeitersparnis 3-5 Minuten. Gleichzeitig müssen rund 40 Prozent der Reisenden, die im Saarland zusteigen wollen, nun auf die Bahnhöfe Kaiserslautern oder Saarbrücken ausweichen, was der Attraktivität der Bahnverbindung nicht zugutekommt. Als vor wenigen Jahren das elektronische Stellwerk in Karlsruhe (ESTW) in Betrieb genommen wurde, wurde das klassische Stellwerk in Saarbrücken überflüssig. Damit fiel aber auch der „Sichtkontakt“ im Umfeld des Saarbrücker Hauptbahnhofes weg. Die Folge 2 war, dass die vorgeschriebene Fahrgeschwindigkeit von 80 km/h auf 60 km/h gesenkt werden musste. Gleichzeitig wurde bei Kirkel eine bislang enge Kurve begradigt, damit man dort schneller fahren kann. Die Kosten für diese Begradigung betrugen rund 8,5 Mio. Euro. Zwei Maßnahmen, die sich gegensätzlich auswirken, wenn man die Reisegeschwindigkeit betrachtet. Auch die zahlreichen Baustellen im laufenden Bahnbetrieb führen immer wieder zu Verspätungen und verpassten Anschlüssen in Mannheim oder Frankfurt. Die Folge ist ein schleichender Rückgang der Fahrgastzahlen, da Reisende auf die Autobahn oder das Flugzeug ausweichen. Ende 2013 fielen auch noch die attraktiven Nachtzugverbindungen nach Berlin, München und Hamburg weg, weil die aktuellen Baustellen gerade nachts zu zeitweisen Streckensperrungen führten. Wer glaubt, dass nach Fertigstellung der Baumaßnahmen die Verbindung statt über Strasbourg wieder über Saarbrücken geführt wird, der wird sich leider irren. 7. Fernbusse als Bankrotterklärung des Fernverkehrs auf der Schiene 2013 beschloss der Deutsche Bundestag gegen die Stimmen der Linken die vollständige Freigabe der sogenannten Fernbuslinien. Diese verkehren zwar deutlich langsamer, sind aber bei den derzeitigen Ticketpreisen fast unschlagbar. Dass man mit dem DB-Fernverkehr auch für 39 Euro nach Berlin reisen kann, spielt in der öffentlichen Kommunikation keine Rolle mehr. Die Bahn ist unpünktlich und teuer, der Bus ist schnell und billig, fertig. 8. Und heute? Neben den verbliebenen Zugpaaren der Paris/Frankfurt-Verbindung gibt es keinen direkten Fernverkehr nach Metz, nach Luxemburg, nach Trier/Köln/Norddeutschland oder nach Mainz/Frankfurt-Flughafen. Hier fahren drittklassige Regionalzüge im S-Bahn-Flair, Reisebusse, oder man ist auf die Strecke über Mannheim angewiesen und muss dort umsteigen. Dies verlängert und verteuert das Reisen mit der Bahn. Was ergibt sich daraus? Was kann man unter diesen Bedingungen verkehrspolitisch fordern? Es ist falsch, heute einzig der Bahn die Verantwortung für die Fernverkehrsmisere im Saarland zu geben. Sie bekam von der Politik den Auftrag, so zu arbeiten, dass sie schwarze Zahlen schreibt. Und gleichzeitig hat die Politik dafür gesorgt, dass zusätzliche Konkurrenz auf der Schiene und vor allem der durch die Fernbusse erzwungene Wettbewerb einen wie auch immer formulierten öffentlichen Auftrag ad absurdum führt. So sind die öffentlichen Aufforderungen von Landespolitikern bis hin zur Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer (CDU) in Richtung Deutsche Bahn AG unseriös. Politiker aller Parteien außer der Linken - haben in den letzten 25 Jahren alles dafür getan, die Position des Fernverkehrs der Bahn jenseits weniger Hauptstrecken zu schwächen. Will die Politik jetzt, 3 dass auch die Regionen abseits dieser Hauptstrecken Angebote machen, dann muss die Frage geklärt werden, wer für das zu erwartende Defizit gerade steht. Bahnhistorisch gab es einmal eine Dreiteilung der Zuggattungen: 1. Express-/D-Zug, 2. Eilzug und 3. Personenzug. Diese Gattung des Eilzuges fehlt heute, bzw. wurde mit der Abschaffung des Interregios endgültig beerdigt. In einigen Bundesländern nehmen Regionalexpress-Züge diese Funktionen wieder wahr - und das mit Erfolg. Anstatt dem Wegfall der wenigen verbliebenen Bahnverbindungen unterhalb der TGV/ICEVerbindung nachzutrauern, sollte man in die Offensive gehen und etwas Neues auf die Schiene stellen. Etwas Neues ist auch der aktuelle Vorschlag der Ministerpräsidentin, einen ICE von Luxemburg über Metz und Saarbrücken nach Frankfurt fahren zu lassen. So eine Idee kann nur jemand haben, der die Bahn nur deshalb benutzt, um am Flughafen Frankfurt die Parkgebühren für das eigene Auto zu sparen. Nein, um den realen Bedarf an Personenfernverkehr in der Großregion auf die Schiene setzen zu können, bedarf es einer eigenen Zuggattung unterhalb des ICE/TGV. Hierfür sollten die Regionalexpress-Verbindungen fernverkehrstauglich umgestellt werden. Fernverkehrstauglich heißt, dass man im Zug Fahrkarten kaufen kann, dass die Züge Personalbegleitung haben, dass es möglich ist Plätze zu reservieren und dass der Komfort der Sitzplätze angehoben wird. Derartige Triebwagen sind anderswo seit langem im Einsatz und bewähren sich. Warum geht das hierzulande nicht? Folgende Verbindungen wären sinnvoll: Metz – Saarbrücken – Kaiserslautern – Mannheim Saarbrücken – Trier – Köln/Koblenz zweistündlich (versetzt zum ICE/TGV) stündlich mit Zugteilung in Trier Saarbrücken – Mainz – Frankfurt zweistündlich Strasbourg – Saarbrücken – Luxemburg 4x am Tag (ggf. ergänzt durch Busse SB-LUX) Finanzierung: Diese Angebote werden heute größtenteils durch RE-Leistungen erbracht. 70-80 Prozent der Kosten werden heute bereits durch die Regionalisierungsmittel des Bundes aufgebracht. Die verbliebenen 20-30 Prozent Kosten entstehen durch Taktverdichtung und höherwertige Ausstattung. Ein Teil der Mehrkosten kommt durch höhere Fahrgastzahlen und die damit verbundenen Mehreinnahmen wieder zurück. Ein Restbetrag kann durch Umschichtung innerhalb der Verwendung der Regionalisierungsmittel und bei den grenzüberschreitenden Projekten aus EU-Mitteln finanziert werden. Saarbrücken/Berlin, 11. September 2014 4