Umgang mit Konflikten - Kirchliche Bibliotheken

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Umgang mit Konflikten - Kirchliche Bibliotheken
Das Leben leben
Unterrichtsbausteine
zur Suizidprävention der anderen Art
Konfliktfähigkeit –
gewinnen und verlieren
Erarbeitet im Auftrag des Bereichs Katechetik
der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn
von Doris Moser, Daniela Mühlethaler,
Andreas Rüegger und Hans Zoss im Jahr 2012
Das Leben leben Identität im Wandel – einmalig und wertvoll
Inhalt
Konfliktfähigkeit – gewinnen und verlieren
«Zurückgesetzt – und?» Kain und Abel ........................................ 1
- Grundlagen ............................................................................................... 1
- AB 1 Text . .................................................................................................. 2
- AB 2 Bilder von Schnorr von Carolsfeld .................................................... 3
- AB 3 Gefühlskärtchen ................................................................................ 4
- AB 4 Aggro-Rap . ....................................................................................... 5
- AB 5 Impulsivitäts-Kontrolle ...................................................................... 6
- AB 6 hilfreiche Skills .................................................................................. 7
- AB 7 hilfreiche Trostworte .......................................................................... 9
- AB 8 Foul im Fussball? ............................................................................ 10
- AB 9 Dhammapada Weisheitslehren Buddhas ........................................ 11
- Dazu passend zum Erzählen ‚Zottelhaube’ von Lisa Tetzner .................. 12
«Ich verzichte» Abraham und Lot .................................................. 15
- Grundlagen .............................................................................................
- AB 1 Text . ................................................................................................
- AB 2 Konfliktstufen von Friedrich Glasl ...................................................
- AB 2a Konfliktstufen Plakatvorlage .........................................................
- AB 3 Faustlos nach Manfred Cierpka ......................................................
- zu den Konfliktstufen nach Friedrich Glasl – Beschrieb ..........................
- zum Faustlos-Projekt von Manfred Cierpka – Beschrieb ........................
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«Ich helfe nach» Gideon . ................................................................... 25
- Grundlagen ............................................................................................. 25
- Konkrete Arbeitsschritte .......................................................................... 28
- AB 1 Text . ................................................................................................ 30
- AB 2 ‚Das Schweigen der Angst’ . ........................................................... 32
- AB 3 Max Money Fragebogen ................................................................. 33
- AB 4 Thomas Quasthoff ohne Ellbogen .................................................. 34
- AB 5 Persönlichkeitswappen ................................................................... 35
- AB 6 Auf der Suche nach mangelhaft ausgebildeten Stärken . ............... 36
- «Gott und Krieg im Ersten Testament» von M. Klopfenstein ................... 37
- «Adoleszenz, Omnipotenz und Gewalt» von M. Erdheim .........................42
«Ich wag’s trotzdem» Jeremia . ....................................................... 51
- Grundlagen ..............................................................................................
- AB 1 Text . ................................................................................................
- AB 2 Protest von Bruno Manser .............................................................
- AB 3 Anti-Mobbing-Regeln . ....................................................................
- AB 4 Beispiele von Rachegedichten .......................................................
- AB 5 Niederschwellige Hilfsangebote . ...................................................
- AB 6 Segensgebet von Sabine Naegeli ...................................................
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Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren
«Zurückgesetzt - und?» Kain und Abel
Das Leben leben
B Konfliktfähigkeit – gewinnen und verlieren
Grundlagen
«Zurückgesetzt – und?»
Kain und Abel
Kain & Abel Gen.4,1-15 „zurückgesetzt - und?“
Kain und Abel 1. Mose 4,1 – 15
Aggression nicht eskalieren lassen, sondern als
konstruktive Kraft nutzen
Hauptfrage: Was passiert mit mir, wenn ich mich zurückgesetzt fühle?
Vorüberlegungen:
„Aggressive Gefühle zeigen mir, dass etwas nicht stimmt, dass ich mich besser abgrenzen muss, dass ich
besser auf mich achten muss...“ Anselm Grün in einem TV-Interview in der Sendung „Sternstunde Religion“
- frei formuliertes Zitat zur positiven Funktion von Aggression)
Beide Seiten sind den meisten bekannt: die liebe, angepasste, brave auf Grund der erfolgreichen, von den Eltern gelobten und von den Lehrpersonen mit guten Noten bewerteten Leistung, und die andere als aggressive, rebellische, unzufriedene Seite auf Grund von Erfahrungen des Hintangesetztwerdens, des Zweitrangigseins, des Sich-ungerecht-behandelt-Fühlens - trotz allem Aufwand („geopferte“ Zeit und „geopferte“ Anstrengung).
Beide Seiten in uns – die unbescholtene brave und die rebellisch-aggressive spielen in unserem seelischen
Haushalt eine Rolle und beide gehören zur gesunden Entwicklung, - besonders in der ersten Trotzphase bei
den 3-4-Jährigen und in der Pubertät. Es geht darum, über eine lebensdienliche Balance zwischen den beiden
Seiten vertieft nachzudenken und eine solche einzuüben. Und: Hand aufs Herz: Welche ist uns im (nicht destruktiven) Alltagsbereich die sympathischere? Dazu das Märchen von der Zottelhaube aus Lisa Tetzners
Sammlung „Die schönsten Märchen der Welt für 365 und einen Tag“ Bd. 3 S. 274 (zum 26. Dez.) S. S. 12 – 14
Der eine Zugang zu den Hauptimpulsen in der Geschichte von Kain und Abel ist über die Einfühlung in
die beiden Geschwister möglich, indem die persönlichen Erfahrungen von Geschwisterrivalität (eigene oder
bei andern beobachtete) thematisiert werden – z. B. über den Vergleich der beiden zur Geschichte gezeichneten Bilder des Julius Schnorr von Carolsfeld aus dem Jahr 1860 (AB 2), über Gefühlskärtchen (AB 3 - mit
einem Austausch in Kleingruppen).
Der andere Zugang könnte eher gesellschaftskritischer Natur sein: Wir leben in einer vergleichskranken
Gesellschaft. Wir stehen dauernd unter Rivalitätsdruck:
Aussehen, Kleider, elektronische Geräte, Sport, Karriere (wer welches schulische Niveau erreicht), wer mehr
Geld zur Verfügung hat, wer weiter in der Welt herum gekommen ist, wer wie viele Facebook-Freundinnen
und –freunde hat...
Gut ist, wer andere überflügeln und ausstechen kann, wer zu den Top Ten gehört, wer aufsteigen kann im
Spitzensport, wer der besseren Mannschaft hilft – bis hin zu gewalttätigen Ausschreitungen und Krawallen
nach Sportveranstaltungen....
Ziele: Vertieft über die Emotionen nachdenken, die aus dem „Gemessen- und Verglichenwerden“ resultieren
Unterscheiden von gesundem und ungesundem Vergleich / Wettbewerb
Durchschauen von lebensfeindlichen Idealen (geschönte Models in Illustrierten)
Unterscheiden von gesundem (Ansporn) und ungesundem Neid (Groll, Verbitterung)
Gesunde Aggressionsverarbeitung (z.B selber formulierter/komponierter Aggro-Rap AB 4)
Kennenlernen von Strategien, die hilfreich sind, um nicht Gefahr zu laufen, Opfer der eigenen Aggression zu werden (Arbeit an den beiden Arbeitsblättern „Impulsivitäts-Kontrolle“/„Skills“ AB 5/6)
Kennenlernen von Strategien, die hilfreich sind, um nicht unter die Räder zu kommen (AB 8)
z.B. anhand der Einstufung von Fouls im Fussball (http://de.wikipedia.org/wiki/Foul 21. 10. 2012*)
Tröstliche Worte aus der Bibel kennenlernen, um Geduld und Hoffnung nicht zu verlieren (AB 7)
Bedeutung der Geduld als mentale Einstellung im buddhistischen Denken (AB 9)
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 1
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren
«Zurückgesetzt - und?» Kain und Abel
Das Leben leben
B Konfliktfähigkeit – gewinnen und verlieren
AB 1 Text – Genesis 4, 1–15
Kain & Abel Gen.4,1-15 „zurückgesetzt - und?“
Text Genesis 4, 1-15
Die Erzählung von Kain und Abel
AB 1
Genesis 4, 1-15
(frei nach der Zürcher-Bibel 1971 ergänzt mit Varianten aus der Bibel in Gerechter Sprache ‚...’
und kurzen Einschüben nach Luther, Stuttgart 1963)
1
Adam schlief mit seiner Frau Eva und sie ward schwanger und gebar den Kain und
sprach: Ich habe einen Sohn bekommen mit Gottes Hilfe.
2
Und weiter gebar sie den Abel, seinen Bruder. Abel wurde ein Schäfer, Kain aber
ein Ackerbauer.
3
Es begab sich aber nach geraumer Zeit, dass Kain von den Früchten des Ackers
dem Herrn ein Opfer brachte.
4
Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Schafe dar und von ihrem Fett.
Und Gott sah wohlgefällig auf Abel und sein Opfer,
5
aber auf Kain und sein Opfer sah er nicht. Da ergrimmte Kain gar sehr und blickte
finster.
6
Und Gott sprach zu Kain: Warum ergrimmst du, und warum blickst du so finster?
7
Ist es nicht so: ‚Wenn dir Gutes gelingt, schaust du stolz; wenn dir aber nichts Gutes gelingt, lauert die Sünde an der Tür. Auf dich richtet sich ihr Verlangen, doch
du – du musst sie beherrschen.
8
Da wollte Kain seinem Bruder Abel etwas sagen – doch als sie auf dem Feld waren, erhob sich Kain gegen seinen Bruder Abel und’ schlug ihn tot.
9
Gott sagte zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er sprach: Ich weiss nicht; soll ich
denn meines Bruders Hüter sein?“
10
Gott aber sprach: Was hast du getan! Horch, das Blut deines Bruders schreit zu mir
empor vom Ackerland.
11
Und nun – verflucht bist du, verbannt vom Ackerland, das aus deiner Hand das
Blut deines Bruders ‚aufgenommen’ hat.
12
Wenn du den Acker bebauen wirst, soll er dir hinfort seinen Ertrag nicht mehr geben: unstet und flüchtig (‚heimatlos und ruhelos’) sollst du sein auf Erden.
13
Da sprach Kain zu Gott: Meine Strafe ist grösser, als dass ich sie tragen könnte.
14
Siehe, du vertreibst mich heute vom Ackerland, und ich muss mich vor deinem
Angesicht verbergen; unstet und flüchtig (‚heimatlos und ruhelos’) muss ich sein
auf Erden. So wird mich denn totschlagen, wer mich antrifft.
15
Der Herr aber sprach zu ihm: Nicht also! Wer immer Kain totschlägt, an dem wird
es siebenfältig gerächt. Und der Herr versah Kain mit einem Zeichen, dass keiner
ihn erschlüge, der ihn anträfe.
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 2
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren
«Zurückgesetzt - und?» Kain und Abel
Das Leben leben
AB 2 BilderBvon
Konfliktfähigkeit – gewinnen und verlieren
Schnorr von
Carolsfeld
Kain & Abel Gen.4,1-15 „zurückgesetzt - und?“
Bilder von Schnorr von Carolsfeld
AB 2
Vergleich der beiden zur Geschichte gezeichneten Bilder von Julius Schnorr von Carolsfeld (1860)
Quelle:
http://www.medienwerkstatt-online.de/lws_wissen/vorlagen/showcard.php?id=2356 (21.10.12)
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 3
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren
«Zurückgesetzt - und?» Kain und Abel
Das Leben leben
B Konfliktfähigkeit – gewinnen und verlieren
AB 3 Gefühlskärtchen
Kain & Abel Gen.4,1-15 „zurückgesetzt - und?“
Gefühlskärtchen
AB 3
Ich bin glücklich Ich fühle mich besorgt Ich fühle mich stark Ich habe Angst Ich fühle mich überfordert Ich bin wütend Ich fühle mich traurig Ich fühle mich sicher Ich bin eifersüchtig Ich fühle mich durcheinander Ich fühle mich wertlos Ich bin stolz Ich fühle mich verletzt Ich fühle mich erleichtert Ich fühle mich streitlustig Ich fühle mich gelangweilt Ich fühle mich unruhig Ich bin nachdenklich Ich fühle mich beliebt Ich fühle mich unbeliebt Ich fühle mich schuldig Ich fühle mich unter Druck Ich fühle mich übermütig Ich bin aufgeregt Ich bin krank Ich bin zufrieden Ich fühle mich verzweifelt Ich fühle mich fremd Ich bin enttäuscht Ich fühle mich müde Ich fühle mich leer Ich fühle mich unsicher Ich bin verliebt Ich fühle mich hasserfüllt Ich fühle mich hilflos Ich bin interessiert Ich fühle mich einsam Ich fühle mich gleichgültig Ich bin ausgeglichen Ich fühle mich dumm Ich bin begeistert Ich fühle mich ??? Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 4
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren
«Zurückgesetzt - und?» Kain und Abel
Das Leben leben
B Konfliktfähigkeit – gewinnen und verlieren
AB 4 Aggro-Rap
Kain & Abel Gen.4,1-15 „zurückgesetzt - und?“
Aggro-Rap
AB 4
AGGRO-RAP
Eingangsritual, das hinführen soll, Aggressionsgefühle als positive, kraftvolle Signale wahrzunehmen
und mit Hilfe der Unterrichtsperson und der Lerngruppe kreativ umzusetzen ohne zu verletzen
Zu Beginn liegen Schlaginstrumente (Handtrommel, Klanghölzer (auch als Kartonröhrchen), Klapper,
Kastagnetten, Regenmacher, Rassel, Triangel o.ä.) auf dem Rundtuch am Boden in der Mitte des Zimmers.
Die Kerze als Mittelpunkt brennt noch nicht, die Zündhölzer liegen bereit.
Mit den Schlaginstrumenten helfen die Anwesenden mit, den Eingangs-Rap zu gestalten (1 Instrument
pro Strophe) - und in Parallele dazu – aber ganz fein gespielt - den Schluss - evt. anstatt zum wiederholten Aggro-Rap, zu rezitierten Bibelzitaten. Jemand friedlich Gestimmtes zündet bei der letzten
Strophe des Aggro-Rap die Kerze an, die dann bis zum Schluss des Unterrichts brennt.
Rap kann gemäss Leo-Forum verschiedene Bedeutungen haben – aber viele gehen in dieselbe Richtung:
Anklage, Kritik – Beurteilung,
Rüge, Schlag,
Geplapper, Palaver, Schwätzchen, Schwatz,
Ruf (Reputation),
Sprechgesang
und als Verb ‚to rap’: beschuldigen, klopfen, pochen, schlagen – und als ‚to rap out’ herausbellen
wobei repetitive, sloganmässige Strophenteile (ähnlich wie in der Werbung) rhythmisiert gut im Gedächtnis
bleiben
I weiss es, Wuet tuet guet
Das git mir fascht dr Gong drum räppe-n-i dä Song
u packe mini Wuet,
i weiss es, das tuet guet!
I heigi äbe kei Geduld,
und sigi drum au selber tschuld...
I packe mini Wuet,
i weiss es, das tuet guet!
Mängisch bin i stier,
denn jogg i dürs Quartier...
I packe mini Wuet,
i weiss es, das tuet guet!
S’hät niemert gfrogt, öb i well läbe.
Jetzt bin i do, das isch es äbe...
I packe mini Wuet,
i weiss es, das tuet guet!
I gumpe uf em Trampolin,
so lang bis dass i nümme spinn.
I packe mini Wuet,
i weiss es, das tuet guet!
Ufgeh? – em 5 vor zwölfi – nei.
I schaff’ das, aber ned elei.
Dä Rapp, dä git mir wieder Muet
I chlopfe-n-a, und das tuet guet.
...
...
Wenn öpper chiemt, i liess mi störe,
i möchti gern, was schwär isch ghöre.
I weiss, dass Liecht nu hell git znacht,
dass teilti Truur au glücklich macht.
I chönntis au per Twitter säge,
wie lang dass i scho stand im Räge.
I packe mini Wuet,
i weiss es, das tuet guet!
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Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren
«Zurückgesetzt - und?» Kain und Abel
Das Leben leben
B Konfliktfähigkeit – gewinnen und verlieren
AB 5 Impulsivitäts-Kontrolle
Kain & Abel Gen.4,1-15 „zurückgesetzt - und?“
Hilfen im Umgang mit meiner Impulsivität
AB 5
Der grüne Bereich: Es ist alles in Ordnung Der orange Bereich: Jetzt wird es problematisch Der rote Bereich: Jetzt ist Alarm
Typische Situationen: Typische Situationen: Typische Situationen: ___________________________ ___________________________ ___________________________ ___________________________ ___________________________ ___________________________ ___________________________ ___________________________ ___________________________ ___________________________ ___________________________ ___________________________ Woran merke ich es? Woran merke ich es? Woran merke ich es? In meinem Körper: ___________________________ In meinen Gedanken: ___________________________ In meinem Verhalten: ___________________________ In meinen Gefühlen: ___________________________
In meinem Körper: ___________________________ In meinen Gedanken: ___________________________ In meinem Verhalten: ___________________________ In meinen Gefühlen: ___________________________
Was habe ich jetzt zu tun? Was tut mir gut und stabilisiert mich? Was habe ich jetzt zu tun? Wie komme ich wieder von meiner Anspannung herunter? ___________________________ ___________________________ ___________________________ ___________________________ ___________________________ ___________________________ ___________________________ ___________________________ ___________________________ ___________________________ Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn In meinem Körper: ___________________________ In meinen Gedanken: ___________________________ In meinem Verhalten: ___________________________ In meinen Gefühlen: ___________________________ Was habe ich jetzt zu tun? Ich muss entgegensteuern und mei-­‐
nen Notfallkoffer hervorholen! ___________________________ ___________________________ ___________________________ ___________________________ ___________________________ 6
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren
«Zurückgesetzt - und?» Kain und Abel
Das Leben leben
B Konfliktfähigkeit – gewinnen und verlieren
AB 6 Hilfreiche Skills
Kain & Abel Gen.4,1-15 „zurückgesetzt - und?“
Meine bevorzugten Skills / meine Skillskette AB 6
Was sind Skills?
http://www.skillsshop.ch/was_sind_skills.html (21. 10. 2012 – ! Ende November 2012 schon nicht mehr auf dem Netz)
Für Menschen, die unter hohen Spannungszuständen leiden, sind Skills Hilfsmittel, um die Anspannung wieder
auf ein normales Level zu senken. Wer im Wörterbuch unter "skill" nachschlägt, findet die deutsche Übersetzung "Kunstfertigkeit". Das bringt es im Grunde ziemlich genau auf den Punkt. Es ist eine Kunst, sich in einem
Zustand hoher Anspannung soweit ablenken zu können, um nicht sich selber oder anderen zu schaden. Je nach
Spannungszustand können unterschiedliche Fertigkeiten (Skills) zum Einsatz kommen.
Beispiele für Skills: Es gibt 4 verschiedene „Zugangskanäle“:
• handlungsbezogene (behaviorale) Skills: aufräumen, bügeln, Computerspiele, jonglieren, joggen, Rad fahren, Holz hacken, kochen, lesen, Brief/SMS od. Tagebuch schreiben, Musikinstrument üben, mit Haustier
spielen, staubsaugen, Kreuzworträtsel erfinden, Zauberwürfel lösen, sich hinlegen, etwas reparieren etc.
• gedankenbezogene (kognitive) Skills: Ferienerinnerung, Sprichwort wiederholen, Gedicht machen, beten...
• sinnesbezogene (sensorische) Skills: Duftkerze anzünden, Tigerbalsam riechen, Musik hören, Lieblingsbild/Kaleidoskop schauen, Schokolade im Mund langsam zergehen lassen, Tabasco auf die Zunge...
• körperbezogene (physiologische) Skills: Atemübungen, Igelball, kalt/warm duschen, Massage, Hometrainer
Schreibe eigene, zu den Beispielen passende Möglichkeiten in die Zwischenräume
Um die Skills richtig anzuwenden ist es wichtig, sich selbst genau zu beobachten und folgende Fragen beantworten zu können:
• Wie schätze ich meinen Spannungszustand ein?
Erstelle eine individuelle Liste, in der du die einzelnen Zustände von 1-10 (1 = tiefster, 10 = höchster Grad)
festhältst. Wie verhält sich dein Körper z.B. bei Anspannung 8 (zittern, Fäuste ballen, usw.)? Wie fühlst du
dich in den verschiedenen Zuständen?
1_________________2_________________3_________________4_________________5________________
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_________________ _________________ _________________ _________________ ________________
6_________________7_________________8_________________9_________________10_______________
_________________ _________________ _________________ _________________
_______________
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• Welche Situationen wirken sich negativ auf meinen Spannungszustand aus und wie kann ich mit sol- 1 chen Situationen umgehen? (z.B. 3: wenn ich Aufgaben machen muss; 8 wenn ich beim Spielen verliere)
1_________________2_________________3_________________4_________________5________________
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6_________________7_________________8_________________9_________________10_______________
«Zurückgesetzt - und?» Kain und Abel
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren
_________________ _________________ _________________ _________________ _______________
• Welche Situationen wirken sich negativ auf meinen Spannungszustand aus und wie kann ich mit solchen Situationen umgehen? (z.B. 3: wenn ich Aufgaben machen muss; 8 wenn ich beim Spielen verliere)
1_________________2_________________3_________________4_________________5________________
6_________________7_________________8_________________9_________________10_______________
Anhand der nun gesammelten Erkenntnisse kannst du deine individuelle Skillskette erstellen. Eine Skillskette
ist eine Abfolge von maximal 3-4 Skills, die zur Spannungsreduktion führt. Gerade bei einer Anspannung von
7 oder mehr sind die Gedanken und Gefühle kaum noch kontrollierbar und es ist ganz wichtig, schon vorgängig
notiert zu haben, welche Skills in welcher Reihenfolge man anwenden will, um sich wieder „in den Griff“ zu
bekommen. Diese Abfolge kannst du auf eine Karte schreiben und stets bei dir tragen. Ebenfalls musst du die
entsprechenden Skills-Hilfsmittel nach Möglichkeit bei dir haben. Stell dir eine „Notfallbox“ zusammen, in der
alle für dich wichtigen und wirksamen Skills enthalten sind.
Meine Skills-Kette:
.
.
.
.
______________________ ______________________ _____________________ _____________________
Es ist äusserst wichtig, dass du diese Skillskette immer wieder übst, damit du in einem Zustand hoher Anspannung nicht noch überlegen musst, was dir nun helfen könnte. Denn in so einem Moment fällt das Denken
schwer! Zudem kannst du nur so die Wahrscheinlichkeit der Anwendung von Skills steigern.
Längerfristig einzuübende Stresstoleranz-Skills:
Radikale Akzeptanz: Im Augenblick kann ich nicht handeln, ich muss die Situation so gut wie möglich aushalten, bis ich eingreifen kann.
Ich ziehe mich zurück und versuche, durch Lächeln meinen Körperzustand zu verändern. Dabei nehme ich den
Kopf hoch, sitze gerade, atme tief durch. Wenn mich andere gestresst haben, kann ich mir z.B. den Chef in einer löchrigen Unterhose vorstellen. Oder ich versuche, Gefühle aus dem negativen Bereich herauszunehmen:
Anstelle von „Was denkt der wohl Schlechtes über mich?“ oder „Der will mir bestimmt was Böses!“ denke ich:
„Was könnte der andere gut an mir finden?“ oder „Die ablehnend blickende Frau schaut vielleicht so genervt,
weil sie einen stressigen Einkauf hinter sich hat.“
Zudem kann ich meine Verwundbarkeit verringern durch: Gute Tagesplanung mit Pausen, damit ich nicht
in Stress komme und die Spannung dadurch nicht noch ansteigt.
Das Einüben von zwischenmenschlichen Fähigkeiten ist zudem eine grosse Hilfe: Ich rufe mir immer wieder in Erinnerung, dass mir die Selbstachtung und die Fähigkeit zur guten Beziehungsgestaltung wichtiger sind
als alles andere. Dazu helfen mir folgende Skills:
. Anerkennen
. Auf Wünsche beharren
. Den Spiess umdrehen
. Fairness
. Humor
. Keine Drohungen
. Nein-Sagen wenn nötig
. Um etwas bitten
. Angriffe eventuell ignorieren
. Aufrichtigkeit
. Eigene Werte
. Freundlich sein und (möglichst) bleiben
. Keine Bewertungen
. Keine Rechtfertigungen
. Situation beschreiben („Ich fühle mich gerade…, weil ich sehe, dass…“)
. Verhandeln
z.T. wörtlich übernommen oder in Anlehnung an die Ausführungen im Skillsshop Zürich ([email protected] (21.10.12)
2 Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 8
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Kain & Abel
Gen.4,1-15 „zurückgesetzt - und?“
AB 7 Hilfreiche
Trostworte
Hilfreiche Trostworte aus der Bibel
AB 7
Hilfreiche TROSTWORTE (anstelle des AGGRO-RAP mit verteilten LeserInnen und Klanginstrumenten)
(Bibel in gerechter Sprache. Gütersloh 2006 / Zürcher Bibel 1955 / Luther Stuttgart 1963)
Denkt nicht an das frühere, und auf die Vorzeit achtet nicht! Siehe, ich mache
Neues, jetzt spriesst es auf, erkennt ihr es nicht? Jes. 43,18f.
Wenn wir auf etwas hoffen, was wir noch nicht sehen können, so hilft uns widerständige Geduld, darauf zu warten. Röm. 8,25
Die Dunkelheit vergeht, und das wahre Licht scheint schon. 1. Joh. 2,8 b
Steh auf, werde licht, denn dein Licht kommt und der Glanz Gottes strahlt über dir
auf! Jes. 60,1
Aber die auf Gott hoffen, gewinnen neue Kraft, sie steigen auf mit Flügeln wie
Adler. Sie laufen und werden nicht matt, sie gehen und werden nicht müde.
Jes. 40,31
Bei dir, Lebendige, berge ich mich. Lass mich niemals zugrunde gehen. In deiner
Gerechtigkeit lass mich entrinnen. Ps. 31,2
Gesegnet ist jede Frau und jeder Mann, die auf Gott vertrauen und deren Rückhalt Gott ist. Sie sind wie Bäume am Wasser gepflanzt, zum Wasserlauf strecken
sie ihre Wurzeln hin. Dass Hitze kommt, fürchten sie nicht, sie behalten ihr
Laub. Auch in einem Dürrejahr sind sie ohne Sorge, sie hören nicht auf, Frucht
zu tragen. Jer. 17,7f
So spricht Gott: Wie eine Mutter tröstet, so will ich euch trösten. Jes. 66,13 a
So spricht Adonaj: „... Ich bin mit dir. Ich lasse nicht ab von dir und verlasse
dich nicht. Sei mutig und stark!“ Josua 1.5 b f
Jetzt aber leben wir mit Vertrauen, Hoffnung und Liebe, diesen drei Geschenken. Und die grösste Kraft von diesen dreien ist die Liebe. 1. Kor. 13,13
So spricht Adonaj: Ich werde dich segnen und du werde so selbst ein Segen!
1. Mose 12,2
Die Ewige (Gotteskraft) behüte dich vor allem Bösen, sie behüte dein Leben.
Die Ewige (Gotteskraft) behüte dein Gehen und dein Kommen – von nun an
für immer. Ps. 121,7f
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AB 8 Foul im
Fussball?
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Foul-Ueberlegungen für Sportler
AB 8
* Der Ausdruck Foul (englisch foul = schlecht, schmutzig) bezeichnet im Sport – außer im Baseball – ein regelwidriges
Verhalten: Ein Spieler missachtet während des laufenden Spieles eigene Pflichten oder gegnerische Rechte, wirkt auf
einen Gegenspieler unsportlich ein und/oder er verhindert auf inkorrekte Weise einen unmittelbar bevorstehenden Erfolg des Gegners. Ein Spieler kann ein Foul absichtlich oder unabsichtlich als Folge einer missglückten regelgerechten
Aktion begehen. Auch Fahrlässigkeit ist möglich. Ein Foul hat in den meisten Sportarten eine Spielunterbrechung durch
den Schiedsrichter zur Folge.
Je nach Spielregeln und Schwere eines Fouls soll es mit einer Strafe belegt werden. Dies sind je nach Sportart verschiedene Bevorteilungen der durch das Foul benachteiligten Mannschaft, z.B. durch Freistoß, Freiwurf, Raumgewinn oder
Strafpunkte sowie zusätzliche optionale oder auch obligatorische Personenstrafen wie Gelbe Karte (Verwarnung), Rote
Karte (Ausschluss vom Spiel), Zeitstrafe (zeitweiliger Ausschluss vom Spiel).
Beim Snooker dient ein Foul als strategisches Mittel und ist sogar von zentraler Bedeutung, da das Provozieren eines
Fouls meist einen Snooker voraussetzt, wonach das Spiel benannt ist. Dabei werden dem Gegner des Foulbegehenden
stets Punkte gutgeschrieben.
Dabei unterscheidet man mehrere Arten von Fouls:
Offensivfoul
Ein Offensivfoul, oft auch als Stürmerfoul bezeichnet, liegt vor, wenn ein Spieler der angreifenden Mannschaft einen
Gegenspieler foult. Dies hat in der Regel einen Freistoß beim Fußball oder Einwurf beim Basketball [1] zur Folge.
Taktisches Foul
Unter einem taktischen Foul versteht man ein Foul, das ausschließlich aus taktischen Gründen, meist innerhalb der
Feldhälfte des Gegners, begangen wird. Das Ziel eines taktischen Fouls ist es, eine Spielunterbrechung zu erreichen,
wobei ein nachfolgender Ballbesitz des Gegners in Kauf genommen wird. Durch die Unterbrechung gewinnt die eigene
Mannschaft Zeit, sich zu formieren und auf die neue Spielsituation einzustellen. Taktische Fouls werden häufig begangen, wenn der Gegner versucht, einen Konter vorzubereiten.
Taktische Fouls unterscheiden sich von gewöhnlichen durch mehrere Merkmale. „Normale“ Fouls werden in der Regel
als letztes Mittel, den Gegner aufzuhalten, verwendet oder entstehen versehentlich. Unter anderem spielt häufig auch
Aggression und Wut eine Rolle, etwa bei einer Blutgrätsche, was bei taktischen Fouls nicht der Fall ist. Stattdessen erfolgen Griffe an den Arm oder ans Trikot, was keine Gefährdung des Gegners nach sich zieht und den Schiedsrichter
trotzdem dazu bewegt, das Spiel zu unterbrechen.
Taktische Fouls sorgen des Öfteren für Diskussionen, da sie das Reglement, das ja eigentlich für Fairness sorgen soll,
zum Erreichen eines Vorteils ausnutzen. Unter anderem deshalb gibt es in einigen Sportarten (z. B. Fußball) für den
Schiedsrichter die Möglichkeit, auf Vorteil zu entscheiden, wenn der gefoulte Spieler in Ballbesitz bleibt oder der Ball
zu einem Mitspieler gelangt. Außerdem wird ein offensichtlich aus taktischen Motiven begangenes Foul im Fußball mit
einer Verwarnung bestraft. So erhielt Michael Ballack im WM-Halbfinale 2002 nach einem taktischen Foul die Gelbe
Karte und war damit für das Endspiel gesperrt.
Revanchefoul
Ein Foul, meist als Tätlichkeit ausgeführt, als Reaktion auf ein Foul des Gegners wird auch als Revanchefoul bezeichnet.
Notbremse
Erkennt der Schiedsrichter, dass mit Foul eine klare Torchance verhindert wurde, verweist er den fehlbaren Spieler mit
der Roten Karte auf Dauer des Feldes. Ein solches Foul wird umgangssprachlich meist als Notbremse bezeichnet.
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AB 9 Dhammapada Weisheitslehren
Kain & Abel Gen.4,1-15 „zurückgesetzt - und?“
Buddhas Aus den Weisheitslehren des Buddha AB 9
Die Wahl (Anfang der 423 Verse des Dhammapada*)
1 Alle Dinge entstehen im Geist,
Sind unseres mächtigen Geistes Schöpfung.
Rede mit unreinem Geist,
Handle mit unreinem Geist,
Und Leiden wird dir folgen,
Wie das Rad dem Fuss folgt, der den Wagen zieht.
2 Alle Dinge entstehen im Geist
Sind unseres mächtigen Geistes Schöpfung.
Rede mit reinem Geist, Handle mit reinem Geist,
Und Glück wird dir folgen,
Wie der Schatten dem Körper folgt, und nicht weicht.
3 "Sieh, wie er mich beschimpft und geschlagen hat,
Wie er mich niedergeworfen hat und beraubt."
Halte solche Gedanken fest;
Und dein Hass kommt nie zur Ruhe.
4 "Sieh, wie er mich beschimpft und geschlagen hat,
Wie er mich niedergeworfen hat und beraubt."
Lass solche Gedanken los,
Und dein Hass kommt bald zur Ruhe.
5 Noch nie in dieser Welt
Hat Hass gestillt den Hass.
Nur liebende Güte stillt den Hass.
Dies ist ein ewiges Gesetz.
6 Die Unwissenden sehen es nicht ein,
Dass man im Streit sich zügeln muss.
Aber wenn du klar erkennst,
Dann kommt in dir alles Streiten zur Ruhe.
*Das Dhammapada ist eine Sammlung der Lehren des Buddha. Obwohl es ein wenig später auftauchte als verschiedene andere Schriften, so gibt es doch keinen Zweifel daran, dass die 423 Verse des Dhammapada die authentischen Lehren des Buddha enthalten. Sie drücken die Einsicht jenes besonderen Menschen aus, der gelitten
hat, den Weg praktiziert hat und der, Transformation und Befreiung erreicht hat. Es gibt einen Buddha in uns allen.
Das ist der Grund dafür, weshalb wir manchmal beim Lesen des Dhammapada den Eindruck haben, dass die Einsicht des Buddha ja unsere eigene Einsicht ist. Wenn wir das Dhammapada lesen und kontemplieren, so berühren
wir in uns die Samen des Verstehens und des Mitgefühls, so dass sie wachsen können und uns und der Welt die
Blumen der Einsicht und Befreiung schenken können. Aus diesem Grund ist es segensreich, wenn wir das Dhammapada wie einen Spiegel, stets mit uns mit führen, so dass wir in unserem täglichen Leben Gelegenheit haben
mögen, darin der Wahren Natur nachzuspüren... (aus dem Vorwort von THICH NHAT HANH, Plum Village, 2/1998)
Der Uebersetzer, Dr. Munish B. Schiekel hat als theoretischer Physiker an der Hochschule und in der Industrie gearbeitet.. Seit 1971 studiert und praktiziert er den Buddhismus in den Formen des Theravada, des Mahayana und
des Vajrayana unter der Anleitung verschiedener Lehrer. Er hat mehrere Jahre an dieser Übersetzung gearbeitet.
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 11
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren
«Zurückgesetzt - und?» Kain und Abel
Zottelhaube (Lisa Tetzner: Märchen für 365 und einen Tag. Band 3 S. 274 ff. z. 26.12.) Es war einmal ein König und eine Königin, die bekamen keine Kinder, und darüber war die Königin so betrübt, dass sie kaum jemals eine frohe Stunde hatte. Beständig klagte sie, dass es so einsam und still im Schloss sei: „Wenn wir nur Kinder hätten, so gäbe es Leben genug.“ In ihrem ganzen Reich fand sie Kindersegen, sogar in der armseligsten Hütte; wo sie hinkam, da hörte sie die Hausfrau auf die Kinder schelten, sie hätten wieder das oder jenes angestellt; das fand die Königin vergnüglich und wollte es auch so haben. Schliesslich nahmen der König und die Königin ein fremdes kleines Mädchen zu sich; das wollte sie im Schloss bei sich haben und aufziehen und es zanken wie ihr ei-­‐
genes Kind. Eines Tages sprang das kleine Fräulein, das sie angenommen hatten, unten im Hof vor dem Schloss herum und spielte mit einem goldenen Apfel. Da kam eine arme Frau des Wegs; sie hatte auch ein kleines Mädchen bei sich, und es dauerte nicht lange, da waren das Mädchen und das kleine Fräulein gute Freunde und fingen an, zusammen zu spielen und sich den goldenen Apfel zuzuwerfen. Das sah die Königin, die oben im Schloss am Fenster sass; da klopfte sie ans Fenster, dass ihr Pflegetöchterchen heraufkommen solle. Es kam auch, aber das Bettelmädchen ging mit und als sie in den Saal zur Königin kamen, hielten sie einander bei der Hand. Die Königin schalt das kleine Fräu-­‐
lein: „Das gehört sich nicht für dich, mit so einem lumpigen Bettelkind zu spielen!“ sagte sie und wollte das Mäd-­‐
chen hinunterjagen. „Wenn die Frau Königin wüsste, was meine Mutter kann, so würde sie mich nicht fortjagen“, sagte das kleine Mädchen, und als die Königin sie genauer ausfragte, erzählte es, dass seine Mutter der Königin Kin-­‐
der verschaffen könnte. Das wollte die Königin nicht glauben, aber das Mädchen blieb dabei und sagte, jedes Wort sei wahr, und die Königin sollte nur versuchen, die Mutter dazu zu bringen. Da liess die Königin das kleine Mädchen hinuntergehen und sie holen. „Weisst du, was deine Tochter sagt?“ fragte sie die Frau. Nein, die Bettlerin wusste es nicht. „Sie sagt, dass du mir Kinder verschaffen kannst, wenn du willst“, sagte die Königin wieder. „Das schickt sich nicht für die Königin, darauf zu hören, was einem Bettelkind in den Sinn kommt“, sagte die Frau und ging wieder hinaus. Die Königin wurde zornig und wollte das kleine Mädchen hinunterjagen, aber es versicherte, es sei alles aufs Wort wahr. „Die Königin sollte meiner Mutter nur einschenken, dass sie auftaut, dann wird sie schon Rat wissen“, sagte das Mädchen. Das wollte die Königin probieren; die Bettlerin wurde noch einmal heraufgeholt und mit Wein und Met traktiert, soviel sie haben wollte, und da dauerte es nicht lange, bis ihr die Zunge gelöst war. Da kam die Königin wieder mit ihrem Anliegen. Einen Rat wüsste sie wohl, sagte die arme Frau. „Frau Königin, Ihr sollt zwei Schüsseln mit Wasser hereintragen lassen am Abend, wenn Ihr euch hinlegen wollt. Darin sollt Ihr Euch waschen und das Wasser dann unters Bett schütten. Wenn Ihr am andern Morgen nachseht, so sind da zwei Blumen ge-­‐
wachsen, eine schöne und eine hässliche. Die schöne sollt Ihr verspeisen, die hässliche sollt Ihr stehen lassen, aber vergesst das Letzte nicht“, sagte die Frau. Die Königin tat, wie die Frau ihr geraten hatte. Sie liess Wasser in zwei Schüsseln heraufbringen, wusch sich darin und schüttete es unters Bett, und als sie am Morgen nachsah, standen zwei Blumen da; die eine war hässlich und garstig und hatte schwarze Blätter, die andere aber war so hell und schön, dass sie niemals so etwas Schönes gesehen hatte, und die ass sie schnell auf. Aber sie schmeckte so gut, dass sie nicht anders konnte, und sie ass die andere auch auf; es wird weder schaden noch nützen, dachte sie. Nach e i-­‐
ner Weile brachte sie ein Mädchen zur Welt, das hatte einen Rührlöffel in der Hand und ritt auf einem Bock; es war hässlich und garstig, und kaum war es auf der Welt, so rief es: „Mama!“ „Gott helf mir, wenn ich deine Mama sein soll!“ sagte die Königin. „Mach dir keine Sorgen deswegen, es kommt gleich noch eines, das ist schöner“, sagte das, das auf dem Bock ritt. Und darauf brachte die Königin noch ein Mädchen zur Welt, das war so schön und lieblich, dass man nie ein so schönes Kind gesehen hatte; und man kann sich vorstellen, dass die Königin sich darüber be-­‐ Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 1 12
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren
«Zurückgesetzt - und?» Kain und Abel
sonders freute. Die älteste nannten sie Zottelhaube, weil sie so schlampig und hässlich war und eine Kappe hatte, die ihr wie Zotteln ums Gesicht hing; die Königin wollte nichts von ihr wissen, und die Zofen versuchten, sie in ein anderes Zimmer einzusperren. Aber das half nichts; wo die jüngste war, wollte sie auch sein, und sie waren durch-­‐
aus nicht zu trennen. Wie sie beide halbwüchsig waren, geschah es am Weihnachtsabend, dass sich ein ganz fürchterlicher Lärm und Trubel auf dem Hausgang vor der Stube der Königin erhob. Zottelhaube fragte, was das sei, das auf dem Gang so knurre und poltere. „Das ist nicht der Mühe wert, dass du fragst“, sagte die Königin. Aber Zottelhaube gab nicht nach, sie wollte endlich Bescheid darüber, und so erzählte die Königin, das seien die Trollweiber, die da aussen ihre Julfeier hielten. Zottelhaube sagte, sie wolle hinaus und sie jagen; und was sie auch baten, sie möchte das doch nicht tun, das half gar nichts, sie wollte und musste hinaus, um die Trollweiber zu jagen. Nur bat sie, die Königin sollte alle Türen wohl verriegelt halten, so dass nicht eine einzige auch nur angelehnt sei. Damit ging sie hinaus mit dem Rührlöffel und machte sich daran, die Trollweiber zu jagen und zu hetzen, und da war ein solcher Lärm auf dem Hausgang, wie ihr niemals einen gehört habt; es knarrte und krachte, als ob das Haus aus allen Fugen gehen wollte. Aber wie es nun gekommen sein mochte, die eine Türe stand nur angelehnt; jetzt wollte die Schwester hin-­‐
ausschauen und sehen, wie es Zottelhaube ging, und steckte den Kopf durch den Türspalt. Ratsch, das kam eine Trollhexe, riss ihr den Kopf ab und setzte ihr statt dessen einen Kalbskopf auf, und stracks ging die Prinzessin hinein und brüllte. Als Zottelhaube wieder hereinkam und die Schwester erblickte, da zankte sie und wurde böse, dass man nicht besser auf sie aufgepasst hatte, und fragte, ob sie es für schön hielten, dass die Schwester in ein Kalb verwandelt worden sei. „Aber ich will doch sehen, ob ich sie nicht erlösen kann!“ sagte sie. Sie verlangte vom König ein Schiff, wohl ausgerüstet und reisefertig, aber einen Steuermann und Mannschaft wollte sie nicht haben, sie wollte mit ihrer Schwester ganz allein fortgehen, und schliesslich mussten sie ihr den Willen lassen. Zottelhaube fuhr fort und steuerte gleich auf das Land zu, wo die Trollhexen wohnten, und als sie in den Hafen ge-­‐
kommen waren, sagte sie zu ihrer Schwester: „Bleib du auf dem Schiff und verhalte dich ganz still“; aber Zottelhau-­‐
be selbst ritt auf ihrem Bock hinauf zum Schloss der Trollhexen. Wie sie hinkam, war ein Saalfenster offen, und da sah sie den Kopf ihrer Schwester auf dem Fensterbrett stehen; da ritt sie in vollem Schwung in den Hausgang, pack-­‐
te den Kopf und machte sich mit ihm davon. Die Trollhexen waren hintendrein und wollten den Kopf wieder haben, und sie kamen ihr so nah, dass es nur so schwärmte und schwirrte, aber der Bock knuffte und stiess mit den Hör-­‐
nern und Zottelhaube schlug und hieb mit dem Rührlöffel drein, und so musste der Trollschwarm sich besiegt geben. Zottelhaube kam zum Schiff zurück, nahm der Schwester den Kalbskopf ab und setzte ihr ihren eigenen Kopf wieder auf, so dass sie wieder ein Mensch wurde wie vorher. Und so fuhren sie weit, weit fort in ein fremdes Königreich. Der König dort war ein Witwer und hatte nur einen einzigen Sohn. Wie er das fremde Schiff zu Gesicht bekam, sandte er Leute an den Strand, um zu hören, wo er her sei und wem es höre. Aber als sie an den Strand hinunter-­‐
kamen, sahen sie keine lebende Seele auf dem Schiff ausser Zottelhaube, sie ritt auf dem Deck hin und her auf ih-­‐
rem Bock, dass die Haarsträhnen ihr um den Kopf flogen. Die Leute vom Hof waren höchst verwundert über den Anblick und fragten, ob denn sonst niemand an Bord sei. Doch, sie hätte eine Schwester bei sich, sagte Zottelhaube. Da wollten die Leute sie sehen, aber Zottelhaube sagte nein: „Es bekommt sie keiner zu sehen ausser dem König“, sagte sie und ritt auf ihrem Bock herum, dass das Deck dröhnte. Wie nun die Diener wieder zum Schloss kamen und berichteten, was sie von dem Schiff gesehen und gehört hätten, da machte sich der König stracks auf den Weg, um die zu sehen, die da auf dem Bock ritt. Als er kam, führte Zottelhaube ihre Schwester heraus, und sie war so schön und lieblich, dass der König sich sogleich auf der Stelle in sie verliebte. Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 2 13
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren
«Zurückgesetzt - und?» Kain und Abel
Er nahm sie beide mit auf sein Schloss, und die Schwester wollte er zu seiner Königin machen, aber Zottelhaube sagte, der König könne ihre Schwester auf gar keinen Fall be-­‐ kommen, wenn nicht der Königs-­‐
sohn sie, die Zottelhaube nehme. Begreiflicherweise wollte der Königssohn höchst ungern einen so hässlichen Ko-­‐
bold wie Zottelhaube heiraten, aber der König und alle im Schloss redeten ihm so lange zu, bis er endlich nachgab und versprach, er werde sie zur Frau nehmen, aber er tat es nur gezwungen und war sehr traurig. Nun wurde die Hochzeit vorbereitet, das war ein emsiges Backen und Brauen, und als alles fertig war, sollten sie zur Kirche ziehen; aber für den Prinzen war das der schwerste Kirchgang, den er je in seinem Leben getan hatte. Zuerst fuhr der König mit seiner Braut; sie war so wunderschön, dass alle Leute stehenblieben und ihr nachsahen, solange sie sich noch erspähen konnten. Dahinter kam der Prinz geritten neben Zottelhaube, die auf ihrem Bock dahertrabte mit dem Rührlöffel in der Faust, und der Prinz sah mehr danach aus, als ob er zu einem Leichenbegängnis sollte als zu seiner eigenen Hochzeit. So betrübt war er und sprach nicht ein Wort. „Warum sagst du nichts?“ fragte Zottelhaube, als sie ein Stück Wegs geritten waren. „Was soll ich denn gen?“ antwortete der Prinz. „Du kannst ja fragen, warum ich auf dem hässlichen Bock reite“, sagte Zottelhaube. „Warum reitest du auf dem hässlichen Bock?“ fragte der Königssohn. „Ist das ein hässlicher Bock? Das ist das schönste Pferd, auf dem eine Braut je geritten ist!“ sagte Zottelhaube, und in dem Augenblick verwandelte sich der Bock in ein Pferd, wie der Königssohn seiner Lebtag kein prächtigeres gesehen hatte. Jetzt ritten sie wieder ein Stück, aber der Prinz war gleich traurig wie vorher und konnte kein Wort herausbringen. Da fragte Zottelhaube noch einmal, warum er nicht rede, und als der Prinz zur Antwort gab, dass er nicht wisse, wovon er reden solle, da sagte sie: „Du kannst ja fragen, warum ich mit dem hässlichen Kochlöffel in der Hand reite?“ „Warum reitest du mit dem hässlichen Kochlöffel in der Hand?“ fragte der Prinz. „Ist das ein hässlicher Kochlöffel? Das ist der schönste Sil-­‐
berfächer, den eine Braut nur haben kann“, sagte Zottelhaube, und zugleich wurde der Kochlöffel in einen Silberfä-­‐
cher verwandelt, so prächtig, dass es nur so blitzte. So ritten sie noch ein Stück, aber der Königssohn war ebenso traurig und sprach kein Wort. Bald fragte Zottelhaube ihn wieder, warum er nicht rede, und diesmal sollte er fragen, warum sie die hässliche graue Haube aufhabe. „Warum hast du die hässliche graue Haube auf?“ fragte der Prinz. „Ist das eine hässliche Haube? Das ist ja die blankste Goldkrone, die eine Braut nur haben kann“, gab Zottelhaube zur Antwort, und in dem Augenblick geschah die Verwandlung. Nun ritten sie wieder eine lange Weile, und der Prinz war so traurig, dass er dasass ohne ein einziges Wort zu mucksen, wie vorher; da fragte ihn seine Braut wiede-­‐
rum warum er nicht rede, und nun sollte er fragen, warum sie so grau und hässlich von Angesicht sei? „Ach ja, wa-­‐
rum bist du so grau und hässlich von Angesicht?“ fragte der Königssohn. „Bin ich hässlich? Du meinst meine Schwester sei schön, aber ich bin noch zehnmal schöner“, sagte die Braut, und als der Königssohn sie ansah, fand er, es könne kein ebenso schönes Frauenzimmer mehr geben in der Welt. Also ist es begreiflich, dass der Prinz seinen Mund wiederfand und nicht länger den Kopf hängen liess. So feierten sie Hochzeit schön und lange, und dann zogen der König und der Prinz jeder mit seiner jungen Frau, zum Vater der Königstöchter, und da feierten sie aufs neue Hochzeit, so dass das Fest kein Ende nehmen wollte. Lauf geschwind aufs Schloss, da ist noch jetzt ein Tropfen von dem Brautbier übrig. © 1999 Kiki Ketcham (Illustrationen) s. http://www.floribelle.com/deutsch/alte/zottelhaube.html (20.12.2013) Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 3 14
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich verzichte» Abraham und Lot
Das Leben leben
B Konfliktfähigkeit
– gewinnen und verlieren
Grundlagen
«Ich verzichte»
Abraham
Gen.13, 1-12 „ich verzichte“
Abraham und
Lot
Lösung des Konflikts der Hirten von Abraham und Lot
Gen. 13, 1-12 1
Zur Erzählung:
Die Hirten von Abrams Herden geraten mit den Hirten der Herden von Lot in Streit. Es ist zu wenig Weideland da. Der Besitz ist, - das heisst die Herden, sind - zu gross. Es liegt nahe, dass es insbesondere bei den
Tränkrinnen Abend für Abend zu Auseinandersetzungen kommt. Die, welche zuerst da sind, können ihre
Tiere tränken, jene, die später kommen, sind im Nachteil...
Historisches:
- Die sogenannte ‚Landnahme’ war ein langsamer Prozess der Sesshaftwerdung nomadisierender Stämme.
- In der Ebene lebten kanaanäische und perisitische Volksangehörige (Vers 7).
- V.a. in höheren Lagen, die dünn oder gar nicht besiedelt waren, war Raum genug für „Einwanderer“.
Die Konfliktlösung wird möglich durch die Hilfe Abrams, der dem Frieden zuliebe bereit ist, auf die „besseren Weiden“ zu verzichten. Abram wird beschrieben als schwer reich an Vieh, an Silber und Gold (Vers 2).
Er lässt Lot frei wählen, welches Weidegebiet er bevorzugt – und Lot wählt die grüne, wasserreiche JordanEbene, Abram bleibt im weniger fruchtbaren Gebiet Kanaans (Verse 11 und 12).
Ziele:
Abrahams Friedensvorschlag mit Hilfe der Konfliktstufen von Friedrich Glasl2 verstehen u. einordnen
5 Schritte zum Frieden von Manfred Cierpka3 kennenlernen u. auf den Streit der Hirten übertragen
Eigene und/oder bei andern beobachtete Konfliktsituationen einstufen und mit Hilfe des Modells
„Faustlos“ gemeinsam bearbeiten und lösen, resp. rechtzeitig Hilfe holen
. Den Streit unter den Hirten nachvollziehen. Verstärkung der gefühlsmässigen Betroffenheit durch Einfühlung in die Hirten, deren Auseinandersetzungen von Abend zu Abend härter werden. Phantasieren, wie
das etwa gegangen sein könnte (in Parallele zu den Konfliktstufen 1-6 nach Friedrich Glasl):
- Zuerst noch Vorschläge zur Güte „heute waren wir zuerst da – morgen kommt ihr früher...“
- Lange Debatten, wer wann wo zuerst die Herden weiden liess, wer wann wo die Wasserstellen gefunden
hat und darum das Recht darauf hat, die Tiere dort zu tränken...
- Trotz allem Disputieren wächst mehr und mehr die Ueberzeugung, dass Reden nichts mehr bringt. Verbale Attacken gehen über in Taten: Einfach die Tiere auf die besten Weiden treiben, die Wasserstellen so
früh wie möglich aufsuchen, um genug Wasser zu haben – ohne auf die andern Rücksicht zu nehmen...
- Auf beiden Seiten wird nur noch schlecht über die ‚Gegenpartei’ geredet. Verdächtigungen und Anschuldigungen sind an der Tagesordnung: Steine und Unrat im Brunnen werden der Bösartigkeit der
„Gegenpartei“ zugeschrieben: „Die haben uns doch schon immer behandelt wie den letzten Dreck; die
haben uns schon immer betrogen mit dem Wasser; die sind doch nur darauf aus, nicht weit gehen zu müssen; was unseren Mehraufwand anbetrifft, danach fragen sie schon gar nicht, das ist ihnen völlig egal...“
Feindbilder entstehen. Gewaltbereitschaft nimmt zu.
Die Ausdrücke, mit denen die andern bezeichnet werden, kommen mehr und mehr aus dem Tierbuch
und von unter der Gürtellinie. Und: was vor Zeiten noch keine Rolle gespielt hat, - nämlich, ob sie ein
auffälliges Aussehen oder Verhalten hatten (Haut- und Haarfarbe, Dialekt, Lispeln, Knollennase, Schiefhals, Hinkebein), das wird nun in den Vordergrund gerückt und ausgespielt. Alles zielt darauf ab, den
Gegner zu beschämen und fertig zu machen.
- Die Leute beginnen einander zu drohen und zwar massiv: „Wagt es nur nicht, hier noch einmal aufzutauchen, sonst könnt ihr die Knochen eurer Tiere und eure eigenen neu zusammensetzen...“
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 1 15
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich verzichte» Abraham und Lot
. Und jetzt? Abram hört von den Hirten, wie weit der Streit gediehen ist, dass jede Partei seit langem der
Meinung ist, ‚miteinander reden’ bringe überhaupt nichts, nur noch Taten würden zählen (3), dass sie
übereinander nur noch schlecht reden (4), dass sie einander fertig machen (5), dass sie einander drohen
(6), dass es schon fast Tote gegeben hat (7)... (// Konfliktstufen von Glasl auf Plakat) Auf Stufe 3 wär’s
vielleicht noch ohne Trennung gegangen, aber auf Stufe 6/7 gibt es realistischerweise nur noch das Auseinandergehen.
Abram schätzt die Situation ganz realistisch ein. Sein Vorschlag lautet: „Trennen wir uns! Gehst du
nach links, dann gehe ich nach rechts und umgekehrt.“ So wird genug Platz da sein für beide. Sowohl
die Herden von Lot, als auch die Herden von Abram können mit genug Futter und Wasser über die Runden kommen. - So kann man sich später vielleicht als Brüder (Menschen und Geschwister) wieder ohne
schlechte Gefühle begegnen. Man weiss ja nicht, was das Leben bringt...
. Nun: Abram lässt Lot die Wahl und lässt ihm die besseren Weiden. Wahrscheinlich hat er nicht nach dem
Sprichwort „dr Gschiider git na, dr Esel bliibt stah“ gehandelt (das gibt meist ungute Gefühle bei den andern). Vielleicht hat ihm die Ueberlegung geholfen, dass er reicher ist als Lot, und deshalb hat er guten
Grund, ihm die Wahl zu lassen. Zudem hat ihm sicher die Erfahrung geholfen, dass es bis zu diesem Tag
trotz vieler Schwierigkeiten (fern der Heimat) gut gegangen ist und dass Gottes Verheissung, dass es gut
mit ihm herauskommt, nicht trügt.
Aber: Abram löst mit seinem Vorschlag den Konflikt in etwa so, wie wenn zerstrittene Kinder zu den Eltern
oder zu Lehrpersonen laufen, und die schlichten dann den Streit, indem sie vorschlagen wie’s geht.
Warum haben die Hirten nicht vorher schon Hilfe geholt? Aus Stolz, Rechthaberei, Freude am Fertigmachen der andern, oder aus Scham, so weit gegangen zu sein, bis zu Morddrohungen, - oder einfach aus Mangel an Wissen über Konfliktlösungsmöglichkeiten...???
Die Geschichte von Abram und Lot erzählt von Menschen, die vor mehr als 3000 Jahren zwischen
Aegypten und dem Jordan hin- und hergewandert sind. Eine alte Geschichte! Und wie wäre das heute? Auch heute gibt es viele, die zu lange warten und dann gibt es nur eine Lösung: die Trennung.
Aber ist gibt Vorschläge, wie Probleme frühzeitig angegangen werden können, wie ein friedliches Miteinander gemeinsam ‚erarbeitet’ werden kann. Einer, der ein Programm dazu entworfen hat, heisst
Manfred Cierpka. In seinem Buch „Faustlos – wie Kinder Konflikte gewaltfrei lösen lernen“ zeigt er
auf, wie das in 5 Schritten geht:
1. Das Problem (das zum Streit führt) muss möglichst genau erfasst (erzählt, beschrieben) werden und zwar
mit Fragen präzisiert. In Bezug aufs Beispiel der Hirten von Lot und Abraham vielleicht in etwa so:
Geht es um zu wenig Futter? Ist das Wasser zu knapp oder zu weit weg? Sind die Hirten am Abend zu müde,
um noch die weiter entfernten Wasserstellen aufzusuchen...?
2. Welche Lösungen gibt es?
Cierpka meint, das sei „oft sehr schwierig für Kinder. Aber  : Forschungsergebnisse zeigen, dass die Fähigkeit zur
Entwicklung verschiedener Schritte zur Problemlösung für Kinder der entscheidende Faktor zum erfolgreichen Problemlösen im interpersonellen Bereich ist. Die Anzahl der Lösungsmöglichkeiten ist dabei genauso wichtig wie die Art
oder die Qualität der entwickelten Lösungsschritte. Dazu hilft das Brainstorming. Es ist wichtig, dass die Kinder sowohl
„schlechte“ als auch „gute“ Lösungen entwickeln, um die Konsequenzen impulsiven und aggressiven Verhaltens bewerten zu können.“
Die Herden sind zu gross, ein Teil der Tiere müsste verkauft werden; die Hirten, die am Abend zu den Wasserstellen gehen, dürfen dafür am Mittag länger im Schatten liegen...
3. Anschliessend geht es darum, zu überlegen, welche Konsequenzen die vorgeschlagenen Lösungen haben:
- Ist die vorgeschlagene Lösung gefährlich?
- Wie fühlen sich die andern?
- Ist es fair?
- Wird es funktionieren? Wer sorgt dafür, dass abgewechselt wird, dass nicht wieder Missgunst entsteht?
4. Dann kommt der Entscheid für eine der gefundenen Lösungen und das Ausprobieren, ob es funktioniert.
„Dies verlangt von den Beteiligten, dass sie eine Wahl treffen auf Grund der Ueberlegungen, die beim 3. Schritt entwi-
ckelt wurden. Individuelle Lösungen sind zugelassen, denn es gibt keine absolut richtige Antwort auf die Probleme.“
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 2 16
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich verzichte» Abraham und Lot
5. Hier geht es um die Antwort auf die Frage, ob die (ausprobierte) Lösung funktioniert, - es geht um die
Ueberprüfung in der konkreten Situation. „Falls eine Lösung nicht funktioniert, muss man flexibel sein. Eine eventuelle Richtungsänderung ist ebenfalls ein wichtiger Lernprozess.“
. Nun, diese 5 Schritte aus dem Faustlos-Programm funktionieren nur, wenn die Streitenden merken,
wenn sie oder die andern aggressiv werden, wenn sie Rachegefühle bekommen, wenn sie am liebsten
hätten, es gäbe die andern oder sie selber nicht...
Um das herauszufinden eignen sich „Happy-end-Teller“. Anstelle der Porzellanteller an der Expo 02 dienen Kartonteller, auf die wir etwas von dem schreiben, was uns wütend macht, und das wir am liebsten an
die Wand schmeissen würden, jetzt aber offen oder verdeckt in die Mitte legen – und am Schluss – als werdende Peace-Makers - zerreissen.
. Wer will gut streiten lernen? Wer kann es schon? Den ersten Schritt dazu haben wir eben gemacht:
Wir haben eine Sache, die uns aufregt, aufgeschrieben...
Ueberlegt mal welcher Konflikt mit eurer Wut zusammenhangen könnte. Wer sind die Beteiligten? Wie hat
das Ganze angefangen? Und wie ist es bis heute gegangen? Auf welcher Stufe befindet sich eure WutAngelegenheit vom Happy-End-Teller heute? (AB 2 und Plakat AB 2’)
. Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit wir als Peace-Makers uns einsetzen können?
Friedensforscher Glasl sagt, worauf wir verzichten müssen:
- aufs Drohen,
(Stufen 6-1 rückwärts - eine um die andere, keine überspringen!)
- aufs Einander-fertig-Machenwollen,
- aufs Uebereinander-schlecht-Reden,
- aufs Einfach-Machen-wie-wir-wollen-wie-wenn-es-die-andern-nicht-gäbe,
- aufs Lange-Hin-und-Her-Diskutieren... (aber du häsch au..., aber du tuesch au immer...)
- aufs Schmollen und Schweigen
. Wer auf diese „Fallen“ verzichtet, kann sich konzentrieren auf das, worum es eigentlich geht.
Wenn wir fragen: „Worum geht es eigentlich?“ sind wir daran, das Problem, das ansteht, genau zu erfassen
und zu beschreiben. Wir sind beim ersten Schritt vom Faustlos-Programm!
. Also: Welche aktuellen Konflikt- resp. Problempunkte wollen wir ‚faustlos’ durchdenken?
- Wir streiten immer wegen dem Mithelfen im Haushalt.
- Das Sackgeld reicht mir nicht.
- Meine Freundin hat über mich dummes Zeug erzählt.
- Meine kleine Schwester stört mich immer beim Aufgabenmachen.
- Mein Vater hat nie Zeit.
. Gruppenarbeiten mit den im Plenum zusammengetragenen Konflikten (AB 3 ausfüllen, um es dann
zu Hause oder in der Schule ausprobieren zu können, ob’s geht. Rückmeldungen in einer Woche!!
Und was, wenn wir’s selber nicht schaffen? Dann heisst die Frage: Wer ist unser Abram?? Wer hilft uns??)
. Abschluss: Austausch im Plenum über die gefundenen Lösungen nach dem Motto Matth. 5, 9
„Selig sind die, die für den Frieden arbeiten, denn sie werden Töchter und Söhne Gottes heissen.“
(Bibel in gerechter Sprache) . Happy-End-Teller zerreissen? -> nächstes Mal?
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 3 17
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich verzichte» Abraham und Lot
Das Leben leben
AB 1 Text
B Konfliktfähigkeit –
gewinnen und verlieren
Abraham Gen.13, 1-12 „ich verzichte“ AB 1
Die Erzählung von Abraham und Lot
Genesis 13, 1-12
(Bibel in gerechter Sprache - ergänzt mit Gedächtnis- und Verständnishilfen in Klammern)
1
So zog Abram (Abraham) von Aegypten hinauf in Richtung Negev, er und seine
Frau (Sara) und alles, was ihm gehörte, auch Lot war bei ihm.
2
Abram war schwerreich an Vieh, an Silber und an Gold.
3
Es ging etappenweise vom Negev bis nach Bet-El, bis an die Stätte, wo sein Zelt
zu Anfang gestanden hatte, zwischen Bet-El und Ai,
4
zur Stätte des Altars, den er beim ersten Mal dort gebaut hatte, und dort rief Abram
den Namen Adonajs (den Namen Gottes) an.
5
Aber auch Lot, der mit Abram zog, hatte Kleinvieh und Rinder und Zelte.
6
So ertrug sie das Land nicht mehr, solange sie zusammenwohnten. Weil ihr Besitz
gross war, konnten sie nicht mehr zusammenwohnen.
7
Es entstand Streit zwischen den Leuten, die Abrams Vieh, und denen, die Lots
Vieh hüteten – dabei wohnte doch das kanaanäische und das perisitische Volk im
Land.
8
Abram sprach zu Lot: „Es sollte doch keinen Streit geben zwischen mir und dir,
oder zwischen denen, die mein und die dein Vieh hüten, wo wird doch Männer
(Menschen) und Brüder (Geschwister) sind.
9
Liegt nicht das ganze Land vor dir? So trenne dich von mir! Nach links? Dann
gehe ich nach rechts. Nach rechts? Dann gehe ich nach links.
10
Da hob Lot seine Augen und erblickte den gesamten Umkreis des Jordanflusses,
dass da alles bewässert wurde. Denn bevor Adonaj Sodom und Gomorra zerstörte,
war es dort wie im Garten Adonajs, wie im Land Aegypten, bis hinüber nach Zoar.
11
Da wählte sich Lot den ganzen Umkreis des Jordan. Er brach nach Osten auf und
so trennten sie sich ein Mann von seinem Bruder.
12
Abram blieb im Land Kanaan wohnen, Lot aber wohnte in den Städten des Jordankreises und zeltete bis nach Sodom hin.
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 18
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich verzichte» Abraham und Lot
Das Leben leben
B Konfliktfähigkeit –
AB 2 Konfliktstufengewinnen
von Friedrich
und verlierenGlasl
Abraham Gen.13, 1-12 „ich verzichte“ AB 2
Wie es ist, wenn Konflikte eskalieren – und worauf Peace-Makers verzichten, wenn sie Frieden stiften
(gemäss den Konfliktstufen von Friedrich Glasl)
Oder:
Wie es geht, wenn Streit eskaliert: Dann ist auf einmal Feuer im Dach und dann ist es zu spät, Frieden zu
schliessen, ganz nach Mani Matters: „I ha es Zündhölzli aazündt und das hät e Flamme gäh“ – es sei denn...
Dass etwas nicht (oder nicht mehr) stimmt,
dass eine Auseinandersetzung oder ein Streit sich anbahnt, merkt man auf der
1. Stufe („Verhärtungen“), wenn die Beteiligten sich verspannen; ungute Gefühle haben, weil es knirscht
Formulieren, was Mühe macht, was befürchtet wird,
welche Wünsche und Bedürfnisse wichtig sind
worum es eigentlich geht  gute Lösung lässt sich finden.
Verzicht auf Schmollen und Schweigen
(Das 5-Schritte-Programm von Manfred Cierpka ist dabei hilfreich.)
2. Stufe („Debatten“) auf der die Beteiligten endlos debattieren.
Sich über- und unterlegen fühlen
Witze auf Kosten der andern
Alles erscheint schwarz oder weiss
Verzicht auf beginnenden Machtkampf
3. Stufe („Taten/Aktionen“) die Beteiligten tun einfach, was sie für gut finden.
Einfühlung in die andern geht verloren
Taten der andern erscheinen verwerflich
Verzicht auf eigene Fehlerlosigkeit und aufs
Eigenes Verhalten ist eindeutig berechtigt
Sammeln von Munition gegen die andern
4. Stufe („Images/Koalitionen“) Gerüchteküche kocht.
Fixe Erwartungen, sich selber erfüllende Voraussagen,
Ironie und Zynismus verunmöglichen normale Kontakte
Verzicht auf ironisch-zynisches Uebereinanderreden u. Verschwörungen gegen die andern
5. Stufe („Gesichtsverlust“) Beschämung wird inszeniert.
Sprache aus dem Tierreich und unter der Gürtellinie.
Oeffentliche Verunglimpfung
Verzicht auf Blossstellen der andern
6. Stufe („Drohstrategien“) Drohungen und Gegendrohungen
„Wenn du bis dann und dann nicht das und das tust, dann...“ Verzicht auf Drohen/unerfüllbare Fristsetzung
7. Stufe („Begrenzte Vernichtungsschläge“) Entmenschlichung.
Begrenzte Umsetzung von Vernichtungsgedanken
In Kauf nehmen, dabei selber Schaden zu erleiden.
Kleiner eigener Schaden = Gewinn
Verzicht auf Verunmenschlichung u. Schädigung
8. Stufe („Zersplitterung“), Vereinzelung der Gegenpartei.
Gegnerisches Zusammenspannen absolut verunmöglichen
Keine Hilfe für die Gegenpartei mehr zulassen
Verzicht aufs Auseinanderdividieren der Gegner
9. Stufe („Gemeinsam in den Abgrund“) Ausschalten der Gegenseite um jeden Preis.
Gegner muss unschädlich gemacht werden
Selbstvernichtung wird in Kauf genommen
Verzicht auf Vernichtung / Selbstmordattentat
1
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 19
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich verzichte» Abraham und Lot
Die neun Stufen der Konflikteskalation nach Friedrich Glasl
Vgl. Friedrich Glasl: Konfliktmanagement. Ein Handbuch für Führungskräfte und Berater. Bern / Stuttgart 1990 (2 Aufl.).
http://www.friedenspaedagogik.de/content/pdf/2004 (1. Nov. 2012)
Die ersten drei Stufen gehören in den „Sowohl-als-auch-Bereich“
Beide Konfliktparteien können noch gewinnen.
Die mittleren drei Stufen bilden den „Entweder-oder-Bereich“
Hier gewinnt die eine Partei und die andere verliert.
Die letzten drei Stufen bilden den
„Weder-noch-Bereich“.
Hier gibt es nur noch Verlierer.
Befindet sich ein Konflikt im „Sowohl-als-auch-Bereich“
können die Beteiligten in der Regel ohne Hilfe von aussen eine befriedigende Lösung finden.
-> Faustlos-Programm
Im „Entweder-oder-Bereich“ ist externe Hilfe unabdingbar nötig
(Beratungsstellen und therapeutische Interventionen).
Im „Weder-noch-Bereich“ müssen die Beteiligten meist voreinander (und vor sich selber) geschützt werden
(Polizei, Opferhilfe, Psychiatrie).
2
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 20
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich verzichte» Abraham und Lot
AB 2a Konfliktstufen Plakatvorlage
Wozu uns eine Auseinandersetzung treibt: von ‚kein Problem’ – über ‚was häsch gseit?’ –
bis zu ‚du kannst mich mal’ oder ‚gehen wir halt beide zum Teufel“ (Glasl Konfliktstufen)
Wozu uns eine Auseinandersetzung treibt: von ‚kein Problem’ – über ‚was häsch gseit?’ – bis zu ‚du kannst mich mal’ oder ‚gehen wir halt beide zum Teufel“ (Glasl Konfliktstufen) beide Seiten können gewinnen (sowohl du als auch ich) eine Seite gewinnt, die andere verliert (entweder du oder ich) beide verlieren (weder du noch ich) 1 es knirscht,
etwas stimmt
nicht
Verzichtaufs
aufs
99Verzicht
SelbstmordSelbstmordattentat
attentat
2 lange Diskussionen, aber sie
helfen nicht
88Verzicht
Verzichtaufs
aufs
Isolierenund
u. einIsolieren
einzelnvernichten
vernichten
zeln
3 dann halt ohne
Reden, einfach
tun und machen
4 mit andern zusammenspannen
u.fluchen über...
4 Verzicht auf
Verbündete u.
Schlechtes reden
3 Verzicht auf
„dann mach ich
halt ohne o.k.“
7 Verzicht aufs
Schädigen ohne
Mitgefühl
5 einander fertig
machen, öffentl.
beschämen
6 Verzicht aufs
Drohen und Fristen setzen
5 Verzicht aufs
Blossstellen und
Beschämen
6 drohen und
unerfüllbare
Termine setzen
7 begrenzten
Schaden zufügen
ohne Mitgefühl
8 Feinde trennen
u.einzeln ausser
Gefecht setzen
2 Verzicht auf
beginnenden
Machtkampf
9 Feinde zerstören, und koste es
das eigene Leben
1 Verzicht aufs
Schmollen und
Schweigen
Legende: In schwarzer Schrift wird von 1 bis 9 beschrieben, wie der Konflikt -­‐ Stufe um Stufe -­‐ immer tiefer in die Auswegslosigkeit gerät (in der Darstellung von oben links nach unten rechts) Legende:
In roter Schrift wird von 1 bis 9 beschrieben, worauf Peace-­‐Makers verzichten, um aus der Auswegslosigkeit herauszukommen – und zwar Stufe um Stufe ohne eine zu In schwarzer Schrift wird von 1 bis 9 beschrieben, wie der Konflikt – Stufe um Stufe – immer tiefer
überspringen -­‐in der Darstellung von oben rechts nach unten links, wo anstelle von Schmollen und Schweigen über die Frage geredet wird, worum es eigentlich geht mit den 5 in vdie
Auswegslosigkeit gerät (in der Darstellung von oben links nach unten rechts)
Fragen on Cierpka. In roter Schrift wird von 1 bis 9 beschrieben, worauf Peace-Makers verzichten, um aus der Aus-
wegslosigkeit herauszukommen – und zwar Stufe um Stufe ohne eine zu überspringen -in der
Darstellung von oben rechts nach unten links, wo anstelle von Schmollen und Schweigen über die
Frage geredet wird, worum es eigentlich geht mit den 5 Fragen von Cierpka.
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 21
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich verzichte» Abraham und Lot
Das Leben leben
B Konfliktfähigkeit –
AB 3 Faustlos nachgewinnen
Manfred
Cierpka
und verlieren
Abraham Gen.13, 1-12 „ich verzichte“ AB3
5 Schritte zur Problemlösung, wenn Streit ausbricht (nach Manfred Cierpka: „Faustlos – wie Kinder Konflikte gewaltfrei lösen lernen“ Freiburg i.B. 20053
(vgl. www.faustlos.de)
1. Worum geht es eigentlich?
Schildert das Problem, das zum Streit führt, möglichst genau
Stellt dazu Fragen, die helfen, das Problem zu erfassen:
(In Bezug aufs Beispiel der Hirten von Lot und Abraham:
Saftige Weiden sind für die vielen Tiere knapp. Es gibt zu wenig Wasserstellen und Brunnen.
Geht es um zu wenig Futter? Ist das Wasser zu knapp oder zu weit weg? Sind die Hirten am Abend zu müde, um noch die
weiter entfernten Wasserstellen aufzusuchen...?)
2. Welche Lösungen gibt es?
a)
b)
c)
d)
(In Bezug aufs Beispiel der Hirten von Lot und Abraham:
Die Herden sind zu gross, ein Teil der Tiere müsste verkauft werden; die Hirten, die am Abend zu den Wasserstellen gehen, dürfen dafür am Mittag länger im Schatten liegen...)
3. Welche Folgen können die vorgeschlagenen Lösungen haben?
- Ist die vorgeschlagene Lösung gefährlich?
- Wie fühlen sich die andern?
- Ist es fair?
- Wird es funktionieren?
4. Für welche Lösung entscheidet ihr euch, um auszuprobieren, ob es funktioniert?
5. Hat die von euch ausgewählte Lösung funktioniert? Warum nicht, oder nicht ganz? Welche Alternative kommt nun zur Anwendung?
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 22
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich verzichte» Abraham und Lot
Zu den Konfliktstufen von Friedrich Glasl
Die neun Stufen der Konflikteskalation nach Friedrich Glasl
zu AB 2 und AB 2’
Vgl. Friedrich Glasl: Konfliktmanagement. Ein Handbuch für Führungskräfte und Berater. Bern / Stuttgart 1990
(2 Aufl.).
Glasl hat ein 3x3-stufiges Konfliktstufenmodell entwickelt.
Die ersten drei Stufen gehören in den „Sowohl-als-auch-Bereich“ – beide Konfliktparteien können noch gewinnen.
Die mittleren drei Stufen bilden den „Entweder-oder-Bereich“ – hier gewinnt die eine Partei und die andere verliert.
Die letzten drei Stufen bilden den „Weder-noch-Bereich“. Hier gibt es nur noch Verlierer.
1. Verhärtung:
Die Standpunkte verhärten sich und prallen aufeinander. Das Bewusstsein bevorstehender Spannungen führt
zu Verkrampfungen. Trotzdem besteht noch die Überzeugung, dass die Spannungen durch Gespräche lösbar
sind. Noch keine starren Parteien oder Lager. Knirschstellen ansprechen hilft.
Kooperation > Konkurrenz
2. Debatte: Es findet eine Polarisation im Denken, Fühlen und Wollen statt. Es entsteht ein Schwarz-WeissDenken und eine Sichtweise von Überlegenheit und Unterlegenheit. Oberton und Unterton driften auseinander.
Was ich höre ≠ was ich empfinde. Witze auf Kosten von anderen....
Kooperation > = < Konkurrenz
3. Taten/Aktionen: Die Überzeugung, dass „Reden nichts mehr hilft“, gewinnt an Bedeutung und man verfolgt
eine Strategie der vollendeten Tatsachen. Die Empathie mit dem „anderen“ geht verloren, die Gefahr von Fehlinterpretationen wächst. Nonverbales Verhalten dominiert. Es entstehen Loyalitätsprobleme. Munition wird gesammelt, es werden Bausteine gesucht, um das eigene Bild zu untermauern.
Kooperation < Konkurrenz
4. Images/Koalitionen: Die „Gerüchte-Küche“ kocht, Stereotypen und Klischees werden aufgebaut. Die Parteien manövrieren sich gegenseitig in negative Rollen und bekämpfen sich. Es findet eine Werbung um Anhänger
statt. Wahrnehmungsfixierung und Sich-selbst-erfüllende-Prophezeihungen. Doppelbindungen durch paradoxe
Aufträge und Bemerkungen.
5. Gesichtsverlust: Es kommt zu öffentlichen und direkten (verbotenen) Angriffen, die auf den Gesichtsverlust
des Gegners abzielen. Inszenierte Demaskierungsaktion als Ritual, Isolation durch Mobbing. Fäkaliensprache.
6. Drohstrategien: Drohungen und Gegendrohungen nehmen zu. Durch das Aufstellen von Ultimaten wird die
Konflikteskalation beschleunigt.
7. Begrenzte Vernichtungsschläge: Der Gegner wird nicht mehr als Mensch gesehen. Begrenzte Vernichtungsschläge werden als „passende“ Antwort durchgeführt. Umkehrung der Werte: ein relativ kleiner eigener
Schaden wird bereits als Gewinn bewertet.
8. Zersplitterung: Die Zerstörung und Auflösung des feindlichen Systems wird als Ziel intensiv verfolgt. Das
feindliche Gegenüber wird auseinander dividiert. Vitale Verbindungen werden unterbrochen und zerstört.
9. Gemeinsam in den Abgrund: Es kommt zur totalen Konfrontation ohne einen Weg zurück. Die Vernichtung
des Gegners zum Preis der Selbstvernichtung wird in Kauf genommen. (Lust am Selbstmord, wenn auch der
Feind mit möglichst grossen Verlusten zugrunde geht.)
http://www.friedenspaedagogik.de/content/pdf/2004
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 23
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich verzichte» Abraham und Lot
Zum Faustlos-Projekt nach Manfred Cierpka
Hauptgedanken aus FAUSTLOS von Manfred Cierpka, Freiburg i.B. 20053 (vgl. www.faustlos.de)
zu AB 3
(Zusammenfassung: Barbara und Andreas Rüegger 2007)
FAUSTLOS fördert v.a. die Empathie-Fähigkeit
Cierpka: „Die Beziehungskompetenzen der Kinder müssen genauso gefördert werden wie die Bildung.“ (S. 16)
Die amerikanischen Autoren Brazelton und Greenspan 2002 haben 7 Grundbedürfnisse von Kindern herausgearbeitet:
1. Das Bedürfnis nach beständigen, liebevollen Beziehungen
2. Das Bedürfnis nach körperlicher Unversehrtheit, Sicherheit und Regulation
3. Das Bedürfnis nach Erfahrungen, die auf individuelle Unterschiede zugeschnitten sind.
4. Das Bedürfnis nach entwicklungsrechten Erfahrungen.
5. Das Bedürfnis nach Grenzen und Strukturen.
6. Das Bedürfnis nach stabilen unterstützenden Gemeinschaften.
7. Das Bedürfnis nach kultureller Kontinuität. (S. 22)
„Vorbeugen ist besser als Nachsorgen.“ (S. 23)
Die Massnahmen zur Steigerung der sozial-emotionalen Kompetenzen von Kindern haben im Rahmen von Gewaltprävention einen zentralen Stellenwert. (S. 25)
Kinder mit guten sozial-emotionalen Kompetenzen greifen in konflikthaften Auseinandersetzungen nicht nur signifikant
weniger zu Gewalt, sie sind als Erwachsene auch seelisch und körperlich gesünder, sie sind im Bildungsabschluss besser
und sie kommen in der Gesellschaft besser zurecht.
Eine sichere Bindung gilt als wesentlicher Schutzfaktor und Puffer. Es entstehen entsprechende Arbeitsmodelle beim
Kind, positive Beziehungen und sichere Bindungen führen zu alters- und situationsangemessenem Selbstwertgefühl. (S.
25)
Emotionen tragen ganz wesentlich zum psychologischen Funktionieren von sozialen Beziehungen bei, weil sie Informationen zu beabsichtigten oder wahrscheinlichen Verhaltensweisen von andern beisteuern. Emotionen haben auch eine innerseelische Funktion. Die Emotionsregulierung führt auf der inneren Bühne zu einem Bewertungs- und Abstimmungsprozess, der erst angepasstes und zielgerichtetes Verhalten in einer Situation erlaubt. Diese funktionelle Sicht der Emotionen
wird durch die neuere neurobiologische Forschung unterstützt (Roth G (2002) Fühlen, Denken, Handeln, Suhrkamp,
Frankfurt a.M. (S. 32)
„Sozial-emotionales Lernen als Gewaltprävention“ (S. 33)
Sozial erwünschtes Verhalten kann aufgrund derselben Zusammenhänge gelehrt werden, wie problematisches Verhalten
erlernt wurde. Einer der wichtigsten Anhaltspunkte ist die Schulung der Wahrnehmung (Schritt 1) s. Modell S. 34
Die Strategien müssen durch Wiederholung und Verinnerlichung zum festen Inventar im Beziehungsrepertoire werden. (S.
35)
Empathie fördern heisst: Sich in die Gefühle und das Denken hineinversetzen zu können und die Reaktion des andern
erahnen. Die Förderung der Empathie bei gefährdeten Personen gilt in der Gewaltforschung als eine der wichtigsten Möglichkeiten für die sogenannt personenzentrierte Prävention, jenen vorbeugenden Massnahmen, die unmittelbar am einzelnen Menschen ansetzen. (S.37)
Zusammenfassend: Mit FAUSTLOS wird die Empathie der Kinder, ihre Fähigkeit zur Problemlösung und ihr Umgang mit
heftigen Gefühlen gefördert, damit sie in zwischenmenschlichen Konflikten bestehen können, ohne auf Gewalt als Mittel
zur Durchsetzung eigener Interessen zurückgreifen zu müssen. (S. 38)
Empathie und Förderung von Empathie (S. 61)
Affektforscher sind sich darin einig, dass die emotionalen Mitteilungen überwiegend auf der nonverbalen Ebene vermittelt
werden. D. h. auch: Um die Gefühle einer anderen Person zu erfassen, achtet man nicht nur auf ihre sprachlichen Aussagen, sondern vielmehr auf die nichtsprachlichen Zeichen. Z.B. auf den Klang der Stimme, auf die Gesten, auf den Gesichtsausdruck. Diese nichtsprachlichen Zeichen werden überwiegend unbewusst wahrgenommen und als Informationen
verarbeitet. Dieses Lernen geschieht bereits in sehr frühem Alter, d. h. bevor das Kind überhaupt sprechen kann im ersten
Lebensjahr – primär mit der Mutter. Diese Abstimmung zwischen Mutter und Kind erfolgt intuitiv und repetitiv, also immer wieder.
Psychoanalytiker und Bindungsforscher konnten in Untersuchungen zeigen, wie sich die Feinfühligkeit der Mutter zur
empathischen Kompetenz beim Kind entwickelt.
Die empathische Kompetenz meint folgendes:
- sich und andere als denkend und fühlend erleben,
- die Reaktion anderer vorhersagen,
- die Perspektive der andern übernehmen,
- und die Veränderung von inneren Zuständen und deren Folgen reflektieren können. (S. 62)
Viele der Kinder, die später aggressiv und gewaltbereit werden, erscheinen in diesem Sinne emotional vernachlässigt, weil
sie keine Gelegenheit zur Teilhabe an den emotionalen Abstimmungsprozessen hatten und sich nicht mit einer „empathischen, affektspiegelnden Bezugsperson“ identifizieren konnten.
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 1 24
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich helfe nach» Gideon
Das Leben leben
B Konfliktfähigkeit – gewinnen und verlieren
Grundlagen
«Ich helfe nach»
Gideon Richter 7,1-21 „ich helfe nach“
Gideon Grundsätzliche Ueberlegungen
Gideon1 – Abschied von Allmachtsphantasien - neues Vertrauen ins unverbrüchliche Le-
bensrecht - minimieren der Gewalt durch Gottes Geist (List) Richter, 7, 1-21 u. Sach. 4, 6
„Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der HERR Zebaoth.“
Exegetische und psychologische Ueberlegungen (nach Martin Klopfenstein und Mario Erdheim)
Im Ersten Testament sind zwei ganz unterschiedliche, (meist nicht miteinander verbundene) Traditionen in
Bezug auf die Friedensthematik zu finden: eine kriegerische und eine nichtkriegerische. Die ältesten Schilderungen des sogenannten „Jahwe-Krieges“ betonen, dass die israelitischen Krieger Jahwe zu Hilfe eilen und
nicht umgekehrt. Jahwe, der das Lebensrecht für alle will, sorgt dafür, dass die Ernte und Erntevorräte nicht
länger in die Hände der schnellen Kamelreiter der Midianiter fallen (Traum des Gerstenbrotkuchens (Vers 13
und 14). Obwohl die Geschichte von Gideons Kampf nach der Vertreibung des feindlichen Heeres nicht gewaltlos weitergeht, kann sie bis zum Vers 21 als Beispiel dienen, wie die Grössenphantasien (über 30'000
Mann) reduziert werden auf eine verschwindend kleine Truppe (300), die nur eine Chance hat, wenn „Köpfchen“ mit im Spiel ist: Posaunen, Tonkrüge, Fackeln mit denen die Uebermacht der Kamelreiter, die dem
kleinen Volk das Lebensrecht nehmen wollen, gebrochen wird.
„... in der Erzählung vom Kampf des Richters Gideon gegen die überlegenen Kamelreiter der Midjaniter
Richter 6 und 7. In Richter 7, 1-8 wird uns ein ganz eigenartiger Vorgang bei der Vorbereitung zum Kampf
erzählt. Gideon hat mehr als 30 000 Mann zusammengezogen. Aber Jahwe sagt zu Gideon:
«Des Volks bei dir ist zu viel, als dass ich die Midianiter in ihre Hand geben könnte: Israel möchte sich sonst
rühmen wider mich und sagen: Wir haben uns selber geholfen!»
Da entlässt Gideon zunächst alle, die sich fürchten, und das sind nicht weniger als 22 000 Mann (kein Ruhmesblatt für die Israeliten!). Die übrig gebliebenen 10 000 sind aber immer noch zu viele, Gideon muss auch
sie noch einmal sichten: Wer das Wasser mit der hohlen Hand trinkt, muss nach Hause, wer es aufleckt, soll
bleiben, und das sind schliesslich noch ganze 300 Mann. Von ihnen sagt Jahwe: «Durch diese 300 Mann
will ich euch erretten!»
Das ist geradezu ein klassisches Beispiel für das, was Jahwekrieg in den Befreiungskämpfen der Frühzeit Israels bedeutet. Man beachte die Formulierungen: Israel soll sich nicht wider Jahwe rühmen, als könnte es
sich selber helfen, und: «Durch diese 300 Mann will ich euch erretten!» (nicht: Diese 300 Mann sollen euch
erretten!). An Jahwes Tun ist alles, an Israels Tun fast nichts gelegen. Der Krieg ist also kein Machtmittel
der Politik, das die Israeliten selber in die Hände nehmen dürfen.“ (Martin Klopfenstein: „Gott und Krieg
im Ersten Testament“ – abgedruckt im ‚Weg zum Kinde’ 1987)
Es wir also bei der Umsetzung der Geschichte insbesondere darum gehen, die Allmachtsphantasien (Grössenwahn) der Unterrichteten mit der Realität der (sehr) begrenzten eigenen Möglichkeiten zu konfrontieren.
Mario Erdheim spricht von einer 2. Chance, welche diese Alterskategorie mit sich bringt, dass nämlich die in
der ersten Lebensphase gemachten Erfahrungen mit „Macht“ und „Ohnmacht“ nun - mit Menschen von ausserhalb des primären Beziehungsrahmens - wiederholt und justiert werden können. Wenn’s gut geht in der
Weise, dass traumatisierende Entwicklungen „revidiert werden“. Dazu Mario Erdheim in seinem 2007 gehaltenen Referat über Jugendgewalt: (Download über http://www.infostelle.ch/de/dyn_output.html?content.void=3463 )
„Verschiedene Entwicklungen innerhalb der Psychoanalyseiv führten dazu, die Art der Beziehungen des
Kindes und deren Niederschlag in der Psyche zu untersuchen. Stark beeinflußt von der Ethologie und
von Konrad Lorenz' Prägungsmodell, postulierte Bowlbyv, der Mensch suche nicht in erster Linie nach
Lust, sondern nach Sicherheit und Geborgenheit. Aus diesen Arbeiten entwickelte sich allmählich ein
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 1 25
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich helfe nach» Gideon
neues Bild der frühen Kindheit: der Säugling erschien nicht mehr als ein Bündel von sexuellen und aggressiven Triebimpulsen, das durch Fütterung allmählich eine innere Struktur erhielt, sondern als "kompetenter Säugling"vi der über eine Vielfalt von Fähigkeiten verfügte, um mit seinen Bezugspersonen eine
Beziehung aufzubauen. In diesem Denkmodell wird Gewalt zu einer Form der Abwehr, die immer dann
zum Einsatz kommt, wenn das Selbst, und damit auch die Identität, am Zusammenbrechen ist. Die
Gewalt hilft dem Individuum, sich selbst zusammen zu halten. Es besteht dann allerdings die Gefahr,
daß die Gewalt sozusagen zum Markenzeichen des Individuums und zu einem Ausdruck seiner Identität wirdvii. Die Tendenz, die Geschichte des Individuums aus seiner frühen Kindheit sozusagen abzuleiten vernachlässigt einen Aspekt des Freudschen Ansatzes, der mir immer sehr wesentlich erschien: die
Zweizeitigkeit der sexuellen Entwicklungviii. Hierbei geht es um das Verhältnis zwischen früher Kindheit
und Adoleszenz, wobei die Adoleszenz für das Individuum zu einer zweiten Chance wird, Defizite und
Traumatisierungen der frühen Kindheit wieder aufzunehmen, um zu versuchen, sie zu bewältigen.
Die Adoleszenz als zweite Chance und das Konzept der Nachträglichkeit
"Der Begriff der Nachträglichkeit", schreiben die Psychoanalytiker H. Thomä und H. Kächele, "verbietet
es, die Geschichte des Subjekts auf einen linearen Determinismus, der lediglich den Einfluß der Vergangenheit auf die Gegenwart beachtet, zu reduzieren"ix. Die Adoleszenz ist insofern eine Voraussetzung, dass das Prinzip der Nachträglichkeit wirksam werden kann, als sie bereits auf Grund des physiologischen Geschehens (Wachstum, hormonale Veränderungen) das Individuum zwingt, neue Erfahrungen zu machen: die neu erwachte Sexualität muss wegen des Inzestverbots auf Individuen außerhalb der Familie gerichtet werden, die körperliche und intellektuelle Stärke schafft ungeahnte Möglichkeiten in Bezug auf die Realisierung von Größen- und Allmachtsphantasienx. Entscheidend ist, daß diese neuen Erfahrungen in einem existentiellen und in der Regel unbewußten Sinn Neuinterpretationen
früherer Erfahrungen ermöglichen. Wenn Louise Kaplan schreibt: "Der Zweck der Adoleszenz ist es,
die Vergangenheit zu revidieren, nicht sie auszulöschen"xi so verweist sie auf die Chance, sich nun bei
Fremden (d.h. nicht Familienangehörigen) das zu holen, was einst im familiären Rahmen defizitär gewesen ist. Gelingt das, so kann die frühere Erfahrung revidiert werden; scheitert es, so ist die Voraussetzung für eine Kumulation des Traumas gegeben, und dann scheint es, als ob die frühkindliche Geschichte des Individuums determinierend wird. Mit anderen Worten: der Determinismus der frühen
Kindheit wird nur dann wirksam, wenn es nicht gelingt, die Adoleszenz als zweite Chance zu nutzen.
Psychischen Störungen haben in der Adoleszenz eine spezifische Bedeutung: sie können als Versuche
interpretiert werden, der Tatsache auszuweichen, dass die Adoleszenz eine Lebensphase ist, in der
das Individuum völlig neue Erfahrungen machen kann. Sexualität, Aggression und Narzißmus (Größenund Allmachtsphantasien, das heißt Omnipotenz) ermöglichen neue Erfahrungen und erlauben dem Individuum auch eine Neubestimmung der Ressourcen seiner Vergangenheit. Deshalb besteht eine wesentliche Strategie in der Adoleszenz darin, die Vergangenheit in der Gegenwart neu zu inszenieren,
um sie so zu revidieren und zu verarbeiten. "Während der Adoleszenz" schreibt Kaplan, "kehrt sich die
dynamische Beziehung zwischen Innenleben und Außenwelt häufig um. Indem er gewisse Aspekte
seines längst schon verinnerlichten psychischen Lebensraumes aufs neue veräußerlicht, eröffnet sich
dem Jugendlichen die Chance, den Ausgang von bereits als "erledigt" abgehakten Problembearbeitungen wieder offen zu halten"xii .“
Im Bezug auf die „Posaunen, Tonkrüge und Fackeln“ aus der ersten Lebensphase geht es darum, sich
zu vergegenwärtigen, wie wir unser Lebensrecht als Kleinkind artikuliert haben (Eltern befragen lohnt sich)
und in Bezug auf die Adoleszenz lautet die Frage: wie machen wir auf unsere aktuellen Wünsche und Bedürfnisse aufmerksam und welche „Midianiter“ wollen sie uns allenfalls beschneiden oder wegnehmen?
Oder vielleicht haben wir nur das Gefühl, dass uns jemand das Lebensrecht absprechen will, vielleicht haben
wir nur noch zu wenig darüber nachgedacht, wie das eigentlich in der alltäglichen Realität altersgerecht eingespielt werden könnte, vielleicht ist es aber effektiv so, dass es „Mechanismen“ gibt, die uns die Lebensgrundlage und eine gesunde Weiterentwicklung rauben.
Um herauszufinden, wie wir unsere diesbezüglichen Erfahrungen einstufen sollen, ist es am besten, darüber
nachzudenken, was uns zur Weissglut, was uns am meisten in Rage bringt. Umzusetzen in einem Bild, in
Klängen mit Trommeln, in einem  Aggro-Rap (z.B. über Beziehungsprobleme mit Eltern, mit KollegInnen, mit Lehrkräften, über zu wenig Geld, über eine zerbrochene Liebe, den verlorenen Match etc. s. AB 2
bei Kain und Abel)
Echte „Lebensräuber“ (Midianiter) in Schranken weisen. !  Wenn es ungute Geheimnisse sind: Hilfe holen, denn solche darf man nicht für sich behalten! (Tel. 147; www.tschau.ch)
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 2 26
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich helfe nach» Gideon
Werbung, die uns verleitet, über die Verhältnisse zu leben – Schuldenfalle (z.B. „iPod-Vermarkter...“, wenn ich das neue iPod nicht habe, bin ich niemand, oder das iPod kostet nur 1.- Fr. und vom Abo spricht
niemand)  Max Money-Fragebogen
 Schlüsselsätze gegenüber jenen, die mich verleiten wollen, über die Verhältnisse zu leben (= meine ‚Posaunen’, ‚Tonkrüge’, ‚Fackeln’)
Oder: Sind es einfach zu hohe Erwartungen, sind es Omnipotenz- resp. Allmachtsphantasien, die uns
so auf die Palme bringen und die wir mit mehr als 30'000 Kriegern einfordern möchten und dabei vergessen,
dass wir – weil es uns gibt – das Lebensrecht haben und der Himmel dafür einsteht, dass wir unser Lebensrecht nicht verlieren?
Einfühlung in Gideon: Wie ist es für ihn, wenn er zuerst alle, die Angst haben, aus seinem Heer entlässt?
Wie ist es für ihn, als er zum zweiten Mal Leute aussondern muss mit der Art und Weise, wie sie trinken?
Und am Schluss steht er da mit 300 Mann?? Womit ist diese Situation zu vergleichen? Womit stehen wir da?
Jetzt ist von unserer Seite die Reflexion über die eigenen Wünsche und Möglichkeiten (Begabungen)
gefragt.
Dazu nochmals Mario Erdheim:
„Eine andere Möglichkeit bestünde jedoch darin, durch die Umgestaltung der Omnipotenz und durch
die Erhöhung der Komplexität der Wünsche die Gewaltbereitschaft abzubauen. Das wäre ein neuer,
ungewohnter Weg und eine Herausforderung an die Pädagogen. Dabei geht es vor allem darum, die
Omnipotenz aus ihrer Archaik herauszulösen und in ich-nahe Bereiche zu bringen. Fähigkeiten, die sich
ein Individuum aneignet, die er aber nicht mit Omnipotenzphantasien in Verbindung bringen kann, wirken sinnlos; Omnipotenzphantasien, die sich nicht auf Fähigkeiten beziehen, bleiben wirkungslos. Die
Verbindung dieser beiden Bereiche stellt sich immer mehr als eine der entscheidenden Leistungen
(heraus), die in der Adoleszenzphase erbracht werden müssen.“
Differenzierung im Bereich der Wünsche – Differenzierung im Bereich der Fähigkeiten
 Beim Zusammentragen von unrealistischen und realistischen Wünschen geht es zum einen um die Frage, inwiefern wir selber Midianiter sind, inwiefern wir zur eigenen Wunscherfüllung bereit sind, Gewalt einzusetzen – Gewalt gegen andere – Gewalt gegen uns selber,
 und zum andern geht es darum herauszuarbeiten, welche Wünsche den effektiv vorhandenen Fähigkeiten entsprechen.
Damit stehen ‚sich wandelnde Identitätsaspekte’ im Zentrum. Es werden Stärken benannt (ohne zu übertreiben) und Schwächen (ohne das Gesicht zu verlieren):
Es geht um das unverbrüchliche Lebensrecht und das Geschenk des persönlichen Profils an Begabungen und
Defiziten und die damit verbundenen Lebensmöglichkeiten.
 Thomas Quasthoff und sein Kampf ums Lebensrecht (Gesangsausbildung trotz Contergan-Behinderung)
http://www.thomas-quasthoff.com/category/medien/buecher (02.11.12)
 Mein Wunschprofil und mein Fähigkeiten- resp. Begabungsprofil (// Persönlichkeitswappen)
 Weiterdenken am Arbeitsblatt „Warum sie sich nicht umgebracht haben“ (s. Konkrete Arbeitsschritte)
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 3 27
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich helfe nach» Gideon
Das Leben leben
B Konfliktfähigkeit – gewinnen und verlieren
Konkrete Arbeitsschritte
Gideon Richter 7,1-21 „ich helfe nach“
Konkrete Arbeitsschritte
Gideon1 – Abschied von Allmachtsphantasien - neues Vertrauen ins unverbrüchliche Le-
bensrecht - minimieren der Gewalt durch Gottes Geist (List) Richter, 7, 1-21 u. Sach. 4, 6
„Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der HERR Zebaoth.“
Vorüberlegungen
Bei der unterrichtlichen Erschliessung der Gideongeschichte kann das historische Faktum hilfreich sein, dass
nämlich die Midianiter auf ihren schnellen Kamelen den kleinen Volksgruppen, zu denen die israelitischen
Stämme zur Richterzeit gehörten, immer wieder die überlebenswichtigen Ernteerträge raubten. Wie aus dem
Nichts tauchten sie auf, nahmen, was ihnen in die Hände kam, mit, und gefährdeten damit das Ueberleben
der Bestohlenen aufs Schlimmste. Wie Martin Klopfenstein in seinem Referat über Gott und Krieg im Ersten
Testament betont, gehört die Gideongeschichte in jene Frühzeit, in der es nicht um Machtkriege ging, sondern lediglich um das Einfordern und Verteidigen des Lebensrechts.
Tief verwurzelt im Bewusstsein der Glaubenden von damals war die Vorstellung, dass Gott es ist, der das
Leben schenkt und erhält. Ihm ist es dann auch zuzuschreiben, wenn lebensbedrohliche Gefahren abgewendet werden. Seit dem Auszug aus Aegypten, seit der wunderbaren Rettung am Schilfmeer, als die Streitwagen des Pharao im Ufersand des Schilfmeers stecken blieben, und die Verfolger ertranken, ist es Gottes
Kraft, welche die Bedrängten aus den Fängen der Machthaber befreit. Die Menschen können zwar mit ihrem
Einsatz einen Teil dazu beitragen, aber der Erzähler der Gidiongeschichte warnt die Hörerinnen und Hörer,
dass es geradezu gefährlich ist, zu meinen, je grösser die Macht, desto eher sei das Leben gesichert.
. Geschichte erzählen, Text lesen (oder beides)
Am Rand des Textblattes (AB 1) eigene Gedanken stichwortartig notieren:
Was erstaunt mit ! versehen, was fraglich erscheint mit ? Wichtigste Stellen mit Farbstift hervorheben
Symbole aus der Geschichte bereitstellen (oder malen auf Tonpapier)
„Posaunen“
„Fackeln“
„Tonkrüge“
. Die Ausgangsfrage – in Parallele zur historischen Midianitergefahr – kann lauten wie folgt:
Wie ist das, wenn immer dann, wenn wieder ein wenig aufgeatmet werden kann, weil genug zum Leben da
ist, oder da wäre (wenn die ‚Ernte’ eingebracht ist – wenn wir das Sackgeld erhalten haben), das meiste oder
gar mehr als wir haben, schon wieder weg ist?
Frustration, Rachegefühle, Aggression, masslose Kampfbereitschaft
. Parallelen und Unterschiede zu damals:
Wie war das damals zur Zeit Gideons – und wie es das heute bei uns – bei uns persönlich oder bei andern
beobachtet? Wer sind die aktuellen Midianiter? Wie tauchen sie heute - quasi aus dem Nichts - auf, und lassen uns Not leiden, darben, oder gar verzweifeln?
- Midianiter kamen und nahmen mit Gewalt – heute: Entreissdiebstahl, Manipulation von Geldautomaten...
- Oder viel subtiler, in Bezug auf heutige Verhältnisse, dass man es zuerst gar nicht richtig merkt:
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 1 28
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich helfe nach» Gideon
Angebote von Waren und Dienstleistungen, die grosse Vorteile und Gewinne versprechen, aber bei kleinen
Finanzverhältnissen viele abhängig werden lassen (z.B. iPod-Abos)
- Kolleginnen und Kollegen, die uns ,indirekt’ das Lebensrecht absprechen, wenn wir nicht à la mode daherkommen, wenn wir nicht ‚online’sind mit der grössten Anzahl Facebook-Beziehungen oder mit den aktuellsten ‚Games’...
Was tun? Wie die Lebensräuber in die Flucht schlagen?
Sich selber gross träumen...:mehr als „30'000“ bereitstellen? (ohne daran zu denken, dass wir das Lebensrecht haben – sonst gäbe es uns ja nicht!)
//masslos werden – unrechtmässig erkämpfen, und sich dabei rechtfertigen:
„Andere beziehen hohe Boni – warum sollte ich das nicht auch können und auch zu fragwürdigen Mitteln
greifen – wie z.B. der UBS-Banker, der mehr als 2 Mia. verzockt hat...“
. Warum sollte ich nicht ein kleiner Midianiter werden und selber bei andern Kasse machen? Geld erpressen wie im Film „Das Schweigen der Angst“ (AB 2)
Schlechte Geheimnisse muss man mit Vertrauenspersonen besprechen – die darf man nicht für sich behalten
– auch wenn man es allenfalls (unter Zwang) versprochen hat!
. Lernen von der Gideon-Geschichte:
Weil es uns gibt, darf uns niemand das Lebensrecht absprechen – und wenn das
trotzdem geschieht, dann holen wir Hilfe und schlagen die Lebensräuber in die Flucht.
Wie muss das dem Gideon zumute gewesen sein, als er seine grosse Kämpfertruppe entlassen musste?
Mehr als „30'000“??? – das ist zu viel ...
„10'000“ ?? - immer noch zu viel... 300 – vielleicht dachte er „das isch ja nüt gäge die andere...“ Aber:
„300“ das genügt – weil mit „Köpfchen“ – mit Geist – mit List!
. Wie verschaffen sich die Menschen Geltung?
Mit dem Traum vom grossen Geld: „Wenn ich einmal reich wär...“(wie der Anatevka-Milchmann singt).
Speziell ist die Frage, welche Rolle das Geld für uns spielt, weil dieser Bereich mehr oder weniger tabuisiert
wird. Als Lebensgrundlage haben alle Geld nötig. Niemand darf uns die Lebensgrundlage absprechen. Aber,
wie gehen wir damit um? Wie kommen wir zu Geld? Und was machen wir eigentlich mit unserem Geld?
Max Money – Fragebogen (AB 3)
Austausch in 2er Gruppen. Nur jene Aspekte ins Plenum bringen, die man öffentlich diskutieren möchte!
Was für Sicherungen bauen wir ein, damit wir nicht (wieder) Opfer werden von Lebensräubern, die uns verleiten, mehr Geld auszugeben als wir haben?
Unsere Fackeln, unsere Tonkrüge, unsere Posaunen.... z.B. Pet-Flasche füllen mit Hahnenwasser, auf
„Saure Zungen“ verzichten, Prepaid-Karten fürs Natel, Limit für monatliche Konto-Bezüge, Schuldenberatung, Gelegenheits-/Ferienjob suchen)
. Wie verschaffen wir uns denn sonst noch Geltung? Abschied von Allmachtsphantasien (s. Erdheim
„Adoleszenz, Omnipotenz und Gewalt“: Realistische Umsetzung nur möglich in Bezug auf Begabungen, Fähigkeiten...)
Beispiel vom Aussenseiter in einer Klasse, der mit einer kleinen Flöte alle in Erstaunen versetzte... „Dass du
das kannst!!!“
Beispiel von Thomas Quasthoff, der trotz Contergan-Behinderung Weltklasse-Sänger geworden ist (AB 4)
. In Bezug auf effektive Fähigkeiten und Begabungen (Persönlichkeitswappen mit Symbolen für unser
Profil – was wir gut können, wo wir dran sind, was wir als Nachteil gegenüber andern mitbekommen haben
und trotzdem etwas daraus machen... AB 5 und / oder AB 6)
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 2 29
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich helfe nach» Gideon
Das Leben leben
AB 1 Text
B Konfliktfähigkeit –
gewinnen und verlieren
Gideon Richter 7, 1-21 „ich helfe nach“ AB 1
Die Erzählung vom Kampf gegen die Midianiter
Richter 7, 1-21
(Bibel in gerechter Sprache. Gütersloh 2006 / Zürcher Bibel 1955 (kursive Schrift)
1
Jerubbaal, das ist Gideon, und das ganze Volk, das mit ihm war, standen früh auf
und lagerten gegenüber der Harod-Quelle. Das Heerlager Midians war nördlich
von ihm bei dem Hügel More in der Ebene.
2
Adonaj sagte zu Gideon: »Bei dir sind zu viele Leute, als dass ich Midian in ihre
Hände geben wollte, damit sich Israel nicht gegen mich rühme mit den Worten:
‚Wir haben uns selbst geholfen’.
3
Ruf jetzt so laut, dass das Volk es hört, folgende Worte: ‚Wer sich fürchtet und
ängstlich ist, kehre um und wende sich weg vom Berg Gilead!’« Von dem Volk
kehrten 22'000 um, 10'000 blieben.
4
Adonaj sagte zu Gideon: » Es sind noch zu viele Leute. Führe sie zum Wasser hinunter; dort will ich sie für dich sichten. So soll es sein: Wenn ich zu dir sage: ‚Der
soll mit dir gehen’, so soll er mit dir gehen. Und jeder, von dem ich sage: ‚Der soll
nicht mit dir gehen’, der soll nicht mit dir gehen. «
5
Da führte er die Leute zum Wasser hinunter. Adonaj sagte zu Gideon: » Jeden, der
mit seiner Zunge das Wasser schleckt, so wie der Hund schleckt, den sollst du zur
(einen) Seite stellen und jeden, der seine Knie zum Trinken beugt (auf die andere).«
6
Es belief sich aber die Zahl derer, die leckten, auf dreihundert Mann; alle übrigen
knieten nieder, um Wasser zu trinken, indem sie die Hand zum Munde führten.
7
Adonaj sagte zu Gideon: » Durch die 300 Männer, die geleckt haben, will ich euch
befreien und die Midianiter in deine Hand geben; alle übrigen aber sollen heimgehen. «
8
Da nahm das Volk Proviant und seine Schofare (Posaunen) auf, und er entliess die
ganze Mannschaft Israels, jeden zu seinen Zelten. Nur die dreihundert Mann behielt er bei sich. Das Lager der Midianiter aber befand sich unter ihm in der Ebene.
9
In dieser Nacht geschah, dass Adonaj zu ihm sagte: » Steh auf, steig hinunter ins
Lager, denn ich gebe es in deine Hand.
10
Wenn du Angst hast hinunterzugehen, dann geh du mit deinem Jungen Pura zum
Lager hinunter
11
und höre, was sie reden. Danach werden deine Hände gestärkt sein und du wirst ins
Lager hinuntersteigen. « Da stiegen er und sein Junge Pura bis an den Rand zu denen, die sich in Kampfformation im Lager befanden.
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 1 30
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich helfe nach» Gideon
12
Midian und Amalek und alle Leute des Ostens waren in die Ebene eingefallen –
wie Wanderheuschrecken so viele; zahllos waren ihre Kamele, so viel wie der Sand
am Meeresstrand.
13
Als Gideon kam, erzählte ein Mann seinem Nächsten einen Traum: » Ich habe geträumt. Ich sah einen trockenen Fladen Gerstenbrot durch das Lager Midians rollen, der kam bis zum Zelt, traf es und stürzte es um, kehrte das Unterste nach oben,
und das Zelt fiel. «
14
Da antwortete ihm sein Nächster: » Das bedeutet nichts anderes als das Schwert
Gideons ben-Joasch, des Israeliten. Gott hat Midian und das ganze Lager in seine
Hand gegeben. «
15
Als Gideon die Traumerzählung und seine Deutung hörte, fiel er anbetend nieder.
Er kehrte zum Lager Israels zurück und sagte: » Steht auf, denn Adonaj gibt das
Lager Midians in eure Gewalt. «
16
Er teilte die 300 Mann in drei Abteilungen und gab ihnen allen Schofare sowie leere Krüge. In den Krügen waren Fackeln.
17
Er sagte zu ihnen: » Schaut auf mich, und dann macht es mir nach! Wenn ich an
den Rand des Lagers komme, dann tut genau das, was ich tue.
18
Werde ich in das Schofar stossen und alle, die mit mir sind, dann stosst auch ihr in
die Schofare rings um das Lager und schreit: ‚Für Adonaj und für Gideon!’ «
19
Gideon und 100 Mann mit ihm kamen an den Rand des Lagers zu Beginn der mittleren Nachtwache. Gerade hatten jene die Wächter aufgestellt, da stiessen sie in die
Schofare und zerschlugen die Krüge, die sie in ihren Händen hielten.
20
Da stiessen ‚alle der drei Abteilungen’ in ihre Schofare und zerbrachen die Krüge;
sie hielten mit ihrer linken Hand die Fackeln und mit der rechten Hand die
Schofare, um in sie zu stossen, und riefen: » Schwert für Adonaj und Gideon. «
21
Sie blieben stehen, jeder an seinem Platz, rings um das Lager. Das ganze Lager
rannte; sie (die Midianiter) brüllten und flohen.
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 2 31
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich helfe nach» Gideon
Das Leben leben
Konfliktfähigkeit – gewinnen u. verlieren
AB 2 «Das BSchweigen
der Angst»
Gideon Richter 7,1-21 „ich helfe nach“
http://www.artfilm.ch/le-silence-de-la-peur
Zum Film „Das Schweigen der Angst“
Das Schweigen der Angst
Personen, die im Film eine wesentliche Rolle spielen:
(wie sie sich verhalten, was besonders auffällt)
Esther
AB 2
Gefühle diesen Personen gegenüber:
Welche berührt mich am meisten?
Warum? Was hätte ich getan? Als...
Eltern von Esther
Edi
Eltern von Edi
Mädchengruppe vor Spiegel
Mädchengruppe bei WC-Kabinen
Junge Stellvertreterin
Werni (langes blondes Haar)
Thomas (rötliches Haar)
Koni (dunkles Haar)
Katrin (die scheue Neue)
Lehrer und Schulleiter
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 32
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich helfe nach» Gideon
Das Leben leben
B Konfliktfähigkeit – gewinnen und verlieren
AB 3 Max Money Fragebogen
Gideon Richter 7, 1-21 „Ich helfe nach“
Max Money - Fragebogen
AB 3
Max Money Fragebogen (mit veränderter Reihenfolge der Fragen)
1. Was für Auswirkungen hat Geld auf den Menschen?
2. Wie würdest du deine Mitmenschen auf Finanzfragen ansprechen?
3. Wie kommst du zu Geld?
4. Wie viel Geld hast du zur Verfügung, über das du selber entscheiden kannst?
5. Wann hast du was gekauft, das du im Nachhinein bereut hast?
6. Wie viele Schulden hast du?
7. Wie viele Schulden hast du nicht? (Kosten, die du nicht zurückgeben musst)
8. Angenommen, es bestünde eine Chance, dass dir die Schulden erlassen würden:
Wieso sollte das geschehen?
9. Auf welche Art und Weise würdest du in Zukunft dein Geld einteilen, wenn du neu anfangen könntest?
10. Wofür möchtest du sparen?
Quellenangaben verloren. Siehe auch: http://www.post.ch/post-postdoc-budgetiert-kapiert-in-90minuten.pdf
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 33
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich helfe nach» Gideon
Das Leben leben
B Konfliktfähigkeit – gewinnen und verlieren
AB 4 Thomas Quasthoff
Gideon Richter 7, 1-21 „Ich helfe nach“
ohne Ellbogen
Lebensrechtsbeispiel Thomas Quasthoff
AB 4
Kampf ums Lebensrecht
am Beispiel von Thomas Quasthoff, Bassbariton von Weltruf
THOMAS QUASTHOFF – DIE STIMME (Titel seiner Biografie, die sein Bruder für ihn geschrieben hat)
http://www.thomas-quasthoff.com/category/medien/buecher (02. Nov. 2012)
„Ich kann auf der Bühne keinen schicken Frack tragen, ich mache nichts her, mein Körper ist
klein und unscheinbar, und für die beeindruckenden Gesten fehlen mir die Extremitäten.
Meistens leuchtet im Scheinwerferkegel nichts weiter als mein verschwitzter Schädel und die
große Klappe, aus der die Töne rollen.
Aber entscheidend ist immer, wie sie herausrollen.
Jemand, der aussieht, wie der Glöckner von Notre-Dame, mag eine Saison lang als Kuriosität
durchgehen, auf Dauer akzeptiert das Publikum einen Künstler nur, wenn er etwas zu sagen
hat.“ (Thomas Quasthoff)
Vorlesesn aus dem Buch „Die Stimme“ / Ausschnitte aus den im Internet befindlichen Videos
schauen (Quasthoff ist auch im Jazz-Bereich top) / DVD Interview mit Thomas Quasthoff
Was beeindruckt besonders? Welche Fackeln – Tonkrüge – Posaunen sind Quasthoffs List?
___________________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________________
„Derweil andere die Ellbogen brauchten, war’s bei mir die Stimme, die mir zum Erfolg verhalf –
Wie Sie sehen, Ellbogen hab’ ich ja keine...“ (frei zitiert gemäss einer Interviewaussage von Th. Quasthoff)
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 34
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich helfe nach» Gideon
Das Leben leben
B Konfliktfähigkeit – gewinnen und verlieren
AB 5 Persönlichkeitswappen
Gideon Richter 7, 1-21 „Ich helfe nach“
Mein Persönlichkeitswappen
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn AB 5
35
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich helfe nach» Gideon
Das Leben leben
AB 6 Gideon
Auf der –Suche
nach
B Konfliktfähigkeit
gewinnen und
verlieren
mangelhaft
ausgebildeten
Stärken
Gideon
Richter 7, 1-21 „ich helfe
nach“
AB 6
Auf der Suche nach mangelhaft ausgebildeten Stärken
Vervollständige die angefangenen Sätze
1
Eine Sache, mit der ich oft zu tun habe, bereitet mir viel Aerger, nämlich ________________________________
___________________________________________________________________________________________
2
Ich komme immer wieder in Schwierigkeiten, weil ich nicht __________________________________________
__________________________________________________________________________________________
3
Die häufigsten negativen Gefühle in meinem Leben sind ____________________________________________
_________________________________________________________________________________________
4
Diese negativen Gefühle kommen, wenn ________________________________________________________
_________________________________________________________________________________________
5
Was andere an mir am wenigsten mögen, ist ______________________________________________________
__________________________________________________________________________________________
6
Die Person, mit der ich am meisten Aerger habe, ist ________________________________________________
__________________________________________________________________________________________
7
Was mich am meisten aus der Fassung bringt, ist _________________________________________________
_________________________________________________________________________________________
8
Ich bekomme Angst, wenn _____________________________________________________________________
__________________________________________________________________________________________
9
Ich habe eine Stärke, die ich immer wieder versäume einzusetzen, nämlich ______________________________
__________________________________________________________________________________________
10
Wenn ich an mir eine einzige Sache ändern könnte, dann wäre das _____________________________________
__________________________________________________________________________________________
(Quelle: Ros Taylor u.a.: Selbstvertrauen in sieben Tagen. mvg Verlag, München 2000)
Jedes „Ich muss“, das ich in ein „Ich will“ umwandle, bedeutet mehr Freiheit!
„Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der HERR Zebaoth.“ Sach. 4,6
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 36
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich helfe nach» Gideon
zu Gideon «Gott und Krieg im Ersten Testament»
Gott
Krieg im Ersten
Testament
vonundMartin
Klopfenstein
Gott und Krieg im Alten Testament ein vielschichtiges Problem
Um das Jahr 140 n.Chr. reiste ein kleinasiatischer Schiffsreeder namens Marcion nach Rom
und wurde dort aktives Mitglied der christlichen Gemeinde. Doch schon wenige Jahre später
trennte er sich wieder von ihr und gründete eine eigene religiöse Gemeinschaft. Diese unterschied sich von der Kirche dadurch, dass sie das Erste Testament verwarf und nur das Zweite
beibehielt. Marcion begründete das unter anderem auch mit den erst-testamentlichen Kriegsgeschichten, die mit dem Geist Jesu unvereinbar seien. Heisse es im Alten Testament «Auge um
Auge, Zahn um Zahn», so gebiete uns Jesus, dem Schläger auch die andere Backe hinzuhalten
(5. Mose 19, 21; Mt 5, 39). Werde im Ersten Testament vom Kampf bei Gibeon berichtet: «Die
Sonne stand still ..., bis das Volk Rache genommen hatte an seinen Feinden», so mahne uns das
Zweite Testament: «Die Sonne soll nicht untergehen über eurem Zorn» (Jos 10, 13; Eph 4, 26).
Seit Marcion ist die Rede vom rachgierigen Gott des Ersten und vom lieben Gott des Zweiten
Testaments nicht mehr verstummt. Viele von uns empfinden wohl gerade im Blick auf die
Kriegsgeschichten des Ersten Testaments ähnlich, nicht zuletzt deshalb, weil der Friede heute
für das Überleben der Menschheit unerlässlich geworden ist. Die Kirche ist allerdings Marcion
nie gefolgt, sondern hat mit grösster Entschiedenheit daran festgehalten, dass das Erste Testament zum Kanon ihrer Heiligen Schrift hinzugehöre. Das Erste Testament ist sehr viel mehr als
eine Sammlung von Kriegsgeschichten. Es redet zum Beispiel in bewegender Weise gerade
auch vom Frieden. Aber auch vom Krieg wird in der tausend Jahre dauernden Geschichte ganz
verschieden gedacht. Das «Auge um Auge, Zahn um Zahn» etwa - will in seiner damaligen
Zeit gerade dem vielfachen Rachenehmen und damit der sich ständig steigernden Gewaltanwendung wehren. Die Schwarzweissmalerei des Marcion und seiner Nachfolger wird der differenzierten Vielschichtigkeit des Ersten Testamentes nicht gerecht. Dem vielschichtigen Reden
vom Krieg im Ersten Testament möchte ich in diesem Referat nachspüren. Nicht die Frage
«Was fangen wir damit im Unterricht an?» steht im Vordergrund - das ist das Thema der Tagung im Ganzen -, sondern die Frage: «Wie ist das Reden vom Krieg im Ersten Testament zu
verstehen?» Wie ändert sich im Verlauf der Geschichte das Verhältnis zwischen Gott und
Krieg? Und wie kommt das Problem der Überwindung des Krieges im Ersten Testament in
Sicht?
1. Die Verbindung von Gott und Krieg im sogenannten Jahwekrieg der vorköniglichen
Zeit
Mit der vorköniglichen - man könnte auch sagen: vorstaatlichen - Zeit habe ich die Zeit des
Auszugs aus Ägypten, die Zeit des Einzugs ins Land Kanaan und die Zeit der Richter Israels im
Auge, mit anderen Worten: zur Hauptsache die Bücher Mose, Josua und Richter. [...]
Die Jahwekriege dieser Frühzeit sind als eine Art Befreiungskriege zu sehen, die meistens gegen zahlenmässig und waffentechnisch weit überlegene Gegner geführt worden sind. Ein stehendes Heer fehlte. Zum Kampf verbanden sich die wehrfähigen Männer der Stämme oder
einiger Stämme, wenn es galt, die gemeinsamen Lebensmöglichkeiten zu sichern. In Situationen der Bedrohung hat das frühe Israel die Hilfe Jahwes so eindrücklich erfahren, dass sich
diese Erfahrung dem Gedächtnis unauslöschlich eingeprägt hat. Das kommt vor allem darin
zum Ausdruck, dass die Stämme die oft unerwarteten Siege nicht der eigenen Kriegstüchtigkeit, sondern allein Jahwe zugeschrieben haben. Ich möchte das an ausgewählten Beispielen
zeigen.
Ich beginne mit einem Text, der zu den ältesten der ersttestamentlichen Texte gehört und zugleich das Zentrum des israelitischen Glaubensbekenntnisses bildet, mit dem so genannten
Mirjamlied oder Schilfmeerlied, das die Rettung der aus Aegypten ausziehenden Israeliten vor
dem nachjagenden Streitwagencorps des Pharao besingt:
«Singet Jahwe, denn hoch erhaben ist er, Ross und Streitwagenkämpfer warf er ins Meer.»
(2. Mose 15, 21)
Israel sah und sieht bis auf den heutigen Tag in diesem Ereignis so etwas wie seine gottgewirkte geschichtliche Geburtsstunde. Am Anfang seiner Geschichte steht ein Befreiungskrieg. Aber
ein Befreiungskrieg ganz eigener Art, das Urbild des Jahwekrieges: Keine Heldentat der Israeliten selber, keine Wilhelm-Tell-Geschichte, sondern Jahwe allein handelt, Israel ist ganz nur
der empfangende Teil. Warum aber diese Zuwendung Gottes gerade zum unterdrückten
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 1
37
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich helfe nach» Gideon
Völklein der versklavten Hebräer? Sie können es sich selber nur aus der unverdienten Liebe
Gottes erklären, wie das in 5. Mose 7, 7.8 formuliert wird:
«Nicht weil ihr zahlreicher wäret als alle Völker, hat der Herr sein Herz euch zugewandt und
euch erwählt – denn ihr seid das kleinste unter allen Völkern -, sondern weil der Herr euch
liebte und weil er den Eid hielt, den er euren Vätern geschworen, darum hat euch der Herr mit
starker Hand herausgeführt und hat dich aus dem Sklavenhaus befreit, aus der Hand des Pharao, des Königs von Aegypten.»
Nach diesem Urbild des Jahwekrieges sind mehr oder weniger auch die nachfolgenden Jahwekriege geschildert worden. Mehr oder weniger: das heisst, dass manchmal der Anteil der israelitischen Kämpfer grösser, manchmal geringer erscheint. Auf verschiedene Weise wird aber
immer zu verstehen gegeben, dass es letztlich Jahwe allein ist, dem der Sieg gehört. Ich greife
Texte heraus, in denen das besonders deutlich wird.
Die Herausführung aus Ägypten geschah mit dem Ziel, die Geretteten durch die Wüste in ein
Land zu führen, in dem sie als selbständiges Jahwevolk würden leben können. Dem setzten
sich sehr bald die wegen ihrer Kriegstüchtigkeit bekannten Amalekiter entgegen, wie uns in 2.
Mose 17, 8-16 berichtet wird. Vielen ist die hier geschilderte Szene vertraut, wie Mose auf dem
Hügel seine Arme hochhält, und solange er sie hochhält, behalten die Israeliten die Oberhand.
Uns kommt das sehr anstössig vor. Wird da nicht Gott in unzulässiger Weise in den Dienst des
eigenen Siegeswillens hereingezogen? Ist das nicht grober Missbrauch des Namens Jahwes?
Der ersttestamentliche Erzähler hat es gerade umgekehrt verstehen wollen: Solange Israel es
mit der eigenen Kriegsmacht und Kriegstüchtigkeit versucht, hat es keine Chance. Jahwe allein
vermag erfolgreich für die Befreiten zu kämpfen. Der Erzähler beschliesst seine Erzählung mit
dem Satz: «Krieg hat Jahwe mit Amalek von Geschlecht zu Geschlecht». So ist auch hier Jahwe der Sieger, nicht Mose und nicht Josua und nicht das israelitische Heer. Israel hat seine
Frühgeschichte nicht in der Form der Heldengeschichte erzählt, wie wir es von vielen anderen
Völkern, eingeschlossen unser eigenes, gewohnt sind.
Grosse Mühe bereiten uns dann freilich die Eroberungskriege bei der Landnahme der Israeliten,
von denen uns das Buch Josua berichtet. Da wird zum Beispiel in Josua 8 erzählt, wie die Israeliten unter Josua mit regelrechter Kriegslist die Stadt Ai erobern, wobei der Erzähler offen seine Bewunderung für die kluge Feldherrnkunst Josuas zu spüren gibt. Auch hier wird ohne Vorbehalt erzählt, dass Jahwe auf der Seite der Israeliten kämpft. Hart neben dieser Art von Jahwekriegserzählung steht dann freilich wieder die anders geartete über die Eroberung der Stadt
Jericho. In dieser Erzählung ist es wieder ganz allein Jahwe, der den Fall der Stadt ganz ohne
Mitwirkung der israelitischen Kämpfer bewerkstelligt. Lediglich eine sechs Tage dauernde
kultische Prozession, in der nicht die Krieger, sondern die Priester mit ihren Posaunen und
Widderhörnern die Mitte bilden, führt zum Einsturz der Mauern. Jahwe nimmt Israel die Waffen aus der Hand, nimmt Israels Geschick selber in die Hand. Hier ist der Jahwekrieg wieder
als der «Krieg Jahwes allein» erzählt. Das erinnert an den «Krieg Jahwes allein» beim Auszug
aus Ägypten. Man darf nicht vergessen, dass Jericho nach damaliger Anschauung das allerwichtigste Hindernis beim Einzug Israels ins Land bildete, und dass demzufolge alles davon
abhing, ob hier der Durchbruch gelingen würde oder nicht. So ist die Parallele zum Auszugsgeschehen nicht zufällig: Das grundlegende Ereignis sowohl beim Auszug wie beim Einzug sollte
von Jahwe ganz allein entschieden werden, die Israeliten sollen beiderorts nur eben die Beschenkten sein.
Soweit wir geschichtlich wissen, haben sich die einwandernden israelitischen Stämme vor allem auf den wenig besiedelten Höhen des judäischen, samarischen und galiläischen Gebirges
niedergelassen. In der sogenannten Richterzeit galt es wiederholt, diese Siedlungsgebiete gegen
Angriffe zu verteidigen, die von meist waffentechnisch und zahlenmässig überlegenen Gegnern
kamen. Bei diesen Freiheitskriegen ist das Wissen, dass Jahwe selber sie eigentlich führt, nie
verloren gegangen. Allerdings stehen auch im Richterbuch verschiedene Sichtweisen unausgeglichen nebeneinander. Ich greife zwei unterschiedliche Beispiele heraus. Das sogenannte Deboralied in Richter 5, das auch zu den ältesten Stücken des Ersten Testaments zählt; handelt
vom Kampf Israels unter der Führung der Richterin Debora gegen eine Koalition von Philistern
und Kanaanäern, der es darum ging, die Verbindung zwischen den galiläischen Stämmen und
den Stämmen auf dem Gebirge Samaria zu unterbinden. Es ist ein Siegeslied, das noch ganz
2
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 38
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich helfe nach» Gideon
bedenkenlos das Wirken Jahwes und das Wirken der Stämme zusammenbindet, ja Richter 5
hegt sogar die für uns schwer nachvoliziehbare Vorstellung, dass die Stämme Israels ihrem
Gott im Kampf zu Hilfe kommen (und nicht umgekehrt!).
Wieder steht hart daneben eine ganz andere Sicht vom Jahwekrieg der Richterzeit, nämlich in
der Erzählung vom Kampf des Richters Gideon gegen die überlegenen Kamelreiter der Midjaniter Richter 6 und 7. In Richter 7, 1-8 wird uns ein ganz eigenartiger Vorgang bei der Vorbereitung zum Kampf erzählt. Gideon hat mehr als 30 000 Mann zusammengezogen. Aber Jahwe
sagt zu Gideon:
«Des Volks bei dir ist zu viel, als dass ich die Midjaniter in ihre Hand geben könnte: Israel
möchte sich sonst rühmen wider mich und sagen: Wir haben uns selber geholfen!»
Da entlässt Gideon zunächst alle, die sich fürchten, und das sind nicht weniger als 22 000
Mann (kein Ruhmesblatt für die Israeliten!). Die übrig gebliebenen 10 000 sind aber immer
noch zu viele, Gideon muss auch sie noch einmal sichten: Wer das Wasser mit der hohlen Hand
trinkt, muss nach Hause, wer es aufleckt, soll bleiben, und das sind schliesslich noch ganze 300
Mann. Von ihnen sagt Jahwe: «Durch diese 300 Mann will ich euch erretten!»
Das ist geradezu ein klassisches Beispiel für das, was Jahwekrieg in den Befreiungskämpfen
der Frühzeit Israels bedeutet. Man beachte die Formulierungen: Israel soll sich nicht wider
Jahwe rühmen, als könnte es sich selber helfen, und: «Durch diese 300 Mann will ich euch
erretten!» (nicht: Diese 300 Mann sollen euch erretten!). An Jahwes Tun ist alles, an Israels
Tun fast nichts gelegen. Der Krieg ist also kein Machtmittel der Politik, das die Israeliten selber
in die Hände nehmen dürfen.
Noch ein Wort zum so genannten «Bann», den Israel nach dem Krieg vollziehen soll und der
zum Jahwekrieg der Frühzeit gehört. Der Bann beinhaltet die Vernichtung der Beute, zu der
nicht nur Sachgüter und Tiere gehören, sondern auch die Menschen. Der Brauch kommt uns als
besonders grausam, ja abscheulich vor. Man muss sich freilich vergegenwärtigen, dass in der
archaischen Zeit der Richter das einzelne Menschenleben nicht zählte, sondern nur die Gemeinschaft, zu der es gehört. Wie die eroberten Sachen, so gehörten auch die eroberten Menschen der Gottheit und mussten ihr geweiht werden. So widerwärtig uns die Sitte heute erscheint, sie hatte nach damaliger Sicht den Zweck, zu verhindern, dass Israel sich durch die
Beute an Menschen und Sachen sein wirtschaftliches und kriegerisches Potential mehre: Israel
sollte sich nicht am Jahwekrieg und am Jahwesieg bereichern. Es genügte, wenn Israels Überleben gesichert war, mehr brauchte es nicht.
Im Rückblick auf die vorkönigliche Zeit Israels kann man sagen: Die Stämme haben Jahwe in
den Befreiungskriegen der Frühzeit erfahren nicht nur in ihnen, aber auch in ihnen. Es waren
Kämpfe, in denen es um die Sicherung der Freiheit, der Eigenständigkeit und des minimalen
Lebensraumes der Stämme ging. Ein stehendes Heer gab es nicht, es waren Volkskriege, bei
denen es auf das Einvernehmen der Stämme ankam. Meistens mussten die Stämme gegen militärisch und zahlenmässig überlegene Gegner kämpfen. Nur unter diesen politischen Rahmenbedingungen konnten sie Jahwe in dieser direkten Art als ihren Nothelfer erfahren.
2. Die Distanzierung Gottes von den Kriegen der Königszeit
Mit David beginnt in der Geschichte Israels die Epoche des Staates unter der zentralen Führung
des Königs, der von der Davidsstadt Jerusalem aus regiert. Damit ändert sich auch die Kriegsführung in Israel grundlegend. David hatte sich schon vor seiner Erhebung auf den Thron eine
persönliche Söldnertruppe zugelegt. Diese war vom Volksheer der freien israelitischen Stammesangehörigen unabhängig, stand dem König jederzeit für machtpolitische Interessen zur
Verfügung, und sie war schlagkräftig ausgebildet und gut bewaffnet. Aber auch des Volksheeres nahm sich David an, er organisierte es neu und straffer und führte eine allgemeine Wehrpflicht ein. An die Spitze beider militärischer Formationen setzte er tüchtige Kommandanten.
Erst jetzt, unter David und seinen Nachfolgern, wird in Israel der Krieg zu einem Mittel der
Politik, und zwar zu einem Mittel der königlichen Machtpolitik. Das Einverständnis der Stammesangehörigen hatte David für seine kriegerischen Unternehmungen nicht mehr nötig. Er
konnte befehlen. David hat sich in offensiven Eroberungskriegen die Nachbarn ringsum unterworfen und sie seinem Grossreich eingegliedert, das vom Euphrat bis zum „Bach Aegyptens“
reichte.
3
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 39
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich helfe nach» Gideon
Dabei fällt nun auf, dass keiner dieser machtpolitisch ausgerichteten Kriege mehr in der Art der
früheren Jahwekriege dargestellt wird. Sie liessen sich beim besten Willen nicht mehr als solche verstehen und deuten. Mit dem Rettungshandeln Jahwes hatten Davids Eroberungskriege
nichts mehr zu tun. Damit wird die frühere Verbindung Gottes mit dem Krieg durch eine erste
Distanzierung Gottes vom Krieg abgelöst. Es meldet sich hierin eine indirekte theologische
Kritik an der Militärpolitik des Königs. Greifbarer wird diese Kritik in der seltsamen Geschichte von der Volkszählung durch David in 2. Samuel 24. Diese Volkszählung hatte zweifellos
den Sinn, alle wehrfähigen und wehrpflichtigen Männer des Reiches zu registrieren und dem
Kriegsaufgebot zu unterwerfen. Der Erzähler verurteilt diese Massnahme auf zweifache Weise,
einmal indem er in ihr ein Gericht Gottes sieht, zum andern indem er sie als eine Sünde Davids
brandmarkt.
In dieser selben Königszeit setzt nun aber in Israel auch das Nachdenken darüber ein, wie es zu
einer Befriedung der kriegserschütterten Weit kommen könnte. Israel war über Nacht ein beachtlicher Staat im internationalen Völkergefüge des Alten Orients geworden. In dieser politischen Situation entstand in Jerusalem die Erwartung, dass das internationale Friedensreich von
Jerusalem und von den davidischen Königen aus seinen Ausgang nehmen werde. Dabei lagen
nun zwei verschiedene Vorstellungen davon, wie das zugehen sollte, im Streit miteinander.
Die eine Vorstellung - man könnte sie die kriegerische nennen - geht dahin, dass der israelitische König in Gottes Auftrag von Jerusalem aus alle Völker unterwerfen und auf diese Weise
einen durch Waffengewalt garantierten Frieden herstellen werde. Hier sind offensichtlich Anschauungen aus den damaligen Grossreichen Aegypten und Mesopotamien übernommen worden, die von ihren Grosskönigen ebenfalls einen Weltfrieden erwarteten, den diese durch ihre
Herrschaft über den Rest der Weit erzwingen würden. Diese uns eher erschreckende Sicht formuliert etwa Psalm 2, 8.9, wo Jahwe zum König Israels sagt:
«Heische von mir, so gebe ich dir Völker zum Erbe, die Enden der Erde zum Eigentum. Du
magst sie zerschlagen mit eisernem Stabe, magst sie zerschmeissen wie Töpfergeschirr.»
Man kann eigentlich nur froh sein, dass der König Israels machtpolitisch keinerlei Chancen
hatte, eine so zustande gekommene Weltherrschaft zu verwirklichen.
Die andere Vorstellung - man könnte sie die antikriegerische nennen geht davon aus, das Jahwe
selber sein universales Friedensreich von Jerusalem, vom Zion aus aufrichten werde, und zwar
so, dass er allen Kriegen auf geheimnisvolle Weise - wie, wird nicht gesagt - ein Ende bereiten
werde. Das wird etwa in Psalm 46, 9-11 eindrücklich so beschrieben:
«Geht hin und schauet die Werke des Herrn, der Erstaunliches geschaffen auf Erden, der die
Kriege beendet bis ans Ende der Weit, der den Bogen zerbricht, den Speer zerschlägt und die
Schilde im Feuer verbrennt. Lasst ab und erkennt, dass ich Gott bin, erhaben unter den Völkern, erhaben auf Erden!»
Beide Sichtweisen, die kriegerische und die antikriegerische, stehen im Ersten Testament unausgeglichen nebeneinander und bezeugen gerade so, wie heftig in Israel um das Problem des
Weltfriedens gerungen worden ist. Die antikriegerische Vorstellung vom universalen Jahwefrieden zeigt aber deutlich, wie Jahwe in der Königszeit vom Krieg abzurücken beginnt.
3. Die Ablösung Gottes vom Krieg in der Prophetie
Zweifellos lag in der Anschauung, dass der Jerusalemer König im Namen und Auftrag Gottes
die Welt durch Waffengewalt befriede, eine ungeheure Gefährdung des israelitischen Glaubens, die Gefahr nämlich, dass die israelitischen Könige und ihre Hoftheologen Gott einfach
zum Helfershelfer ihrer Machtpolitik herabwürdigen würden. Gegen eine solche gefährliche
Verknüpfung von Jahwe und Jerusalemer Hofpolitik erhob sich je länger desto mehr der entschiedene Protest der Propheten. Im 9. Jahrhundert schon verweigerte etwa der Prophet Micha
ben Jimla seinem König, der gegen die Aramäer in den Krieg ziehen will, die Zusage, dass
Jahwe für den Sieg sorgen werde (l. Könige 22). Bei den Schriftpropheten des 8. Jahrhunderts
wird die Kritik dann grundsätzlich und schneidend. Propheten wie Amos und Jesaja verkündigen jetzt in aller Öffentlichkeit eine für die damaligen Hörer äusserst schockierende Botschaft,
dass nämlich Jahwe jetzt nicht mehr auf Seiten des eigenen, sondern auf Seiten des gegnerischen Heeres stehe, weil jetzt für Israel die Gerichtszeit gekommen sei. In Israels Frühzeit galt
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der «Tag Jahwes» als der Heilstag für Israel im Jahwekrieg, als der Tag nämlich, da Jahwe
siegreich eingriff, die Feinde in Panik versetzte und sie in die Flucht schlug. Amos nun verkehrt den Sinn der Rede vom Tag Jahwes in sein Gegenteil: Er wird nicht Heilstag, sondern
Gerichtstag für Jahwes Volk sein:
«Wehe euch, die ihr den Tag Jahwes herbeisehnt! Was soll euch denn der Tag Jahwes? Er ist
Finsternis und nicht Licht! Es wird sein, wie wenn einer einem Löwen entflieht, und ein Bär
begegnet ihm, und er kommt ins Haus und stützt die Hand an die Wand, und es beisst ihn eine
Schlange. Ist doch der Tag Jahwes Finsternis und nicht Licht, dunkel und ohne Glanz!» (Am 5,
18-20)
Unüberhörbar deutlich gibt etwas später der Prophet Jesaja zu verstehen, dass Jahwe nicht auf
Seiten der Kriegsheere stehe, auch nicht auf Seiten der Heere fremder Grossmächte, auf deren
Hilfe sich die Judäer etwa verlassen möchten: «Wehe denen, die nach Ägypten hinabziehen um
Hilfe, die sich auf Rosse verlassen und auf Streitwagen vertrauen, weil ihrer viele sind, und auf
die Reiter, weil sie sehr zahlreich sind, aber auf den Heiligen Israels nicht schauen und den
Herrn nicht befragen ... Denn die Ägypter sind Menschen und nicht Gott, und ihre Rosse sind
Fleisch und nicht Geist.» (Jes 31, 1.3a)
Nicht auf Heeresmacht, sei es die eigene oder eine fremde, gilt es zu vertrauen, sondern allein
auf Jahwe, sagt der Prophet. Im Grunde genommen war schon die Entwicklung des Jahwekrieges in der israelitischen Frühzeit in diese Richtung gegangen, indem auch damals schon der
Jahwekrieg oftmals als ein «Jahwe-allein-Krieg» verstanden worden ist. Wie ein Echo auf die
Warnung des Jesaja tönt es, wenn es später im Psalm 33, 16-18 heisst: «Dem König hilft nicht
seine grosse Macht, der Held rettet sich nicht durch seine grosse Stärke. Trügerische Hilfe ist
das Ross, mit seiner grossen Kraft errettet es nicht. Doch das Auge des Herrn ruht auf denen,
die ihn fürchten...»
So hat die Schriftprophetie die Ablösung Jahwes von jeder Form des Krieges verkündet. Dahinter steht nicht zuletzt die Erfahrung, dass unter der damaligen militärischen Supermacht der
Assyrer die Kriegsführung im alten Orient in einem erschreckenden Ausmass brutalisiert worden war.
4. Jahwe als Stifter des Weltfriedens
Die Ablösung Jahwes vom Krieg, wie die Schriftpropheten sie in der späteren Königszeit verkündet haben, mündet schliesslich in die bestimmte Erwartung und gewisse Hoffnung ein, dass
von Jahwe auf dem Berg Zion ungeahnte Kräfte der Versöhnung, der Gerechtigkeit und des
Friedens zu allen Völkern ausströmen werden. Ich kann hier die Friedensbotschaft des Ersten
Testaments nicht entfalten, obschon sie eigentlich jetzt der ersttestamentlichen Rede vom Krieg
an die Seite gestellt werden müsste. Ich muss mich damit begnügen, abschliessend wenigstens
auf einen der wichtigsten ersttestamentlichen Friedenstexte hinzuweisen, der in Jesaja 2, 2-5
und fast gleichlautend auch in Micha 4, 1-5 zu finden ist. Nicht durch äussere Macht stiftet
Jahwe nach diesem Text den Völkerfrieden, sondern durch die überzeugende Kraft seines Wortes, seiner Weisung und seines Schiedsspruchs, der die entzweiten Völker versöhnt. Mit dem
Zitat aus Jesaja 2, 2-5 möchte ich mein Referat abschliessen:
«Und es wird geschehen in den letzten Tagen, da wird der Berg mit dem Haus des Herrn festgegründet stehen an der Spitze der Berge und die Hügel überragen; und alle Völker werden zu
ihm hinströmen, und viele Nationen werden sich aufmachen und sprechen: Kommt, lasst uns
hinaufziehen zum Berg des Herrn, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns seine Wege lehre
und wir wandeln auf seinen Pfaden; denn von Zion wird Weisung ausgehen, und das Wort des
Herrn von Jerusalem. Und er wird Recht sprechen zwischen den Völkern und Weisung geben
vielen Nationen; und sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen schmieden und ihre Spiesse zu
Rebmessern. Kein Volk wird wider das andere das Schwert erheben, und sie werden den Krieg
nicht mehr lernen. Haus Jakobs, auf, lasst uns wandeln im Licht des Herrn!»
(Dieser Vortrag wurde gehalten am 15. Febr. 1987 von Martin Klopfenstein, dem damaligen Professor
für Erstes Testament an der Universität Bern)
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zu Gideon «Adoleszenz, Omnipotenz und Gewalt»
von Mario Erdheim
Mario Erdheim: Adoleszenz, Omnipotenz u. Gewalt Referat, gehalten anlässlich des Ehemaligen-
Forums der HSSAZ am 10.5.2007
(http://www.infostelle.ch/de/dyn_output.html?content.void=3463)
(06. 01. 2014)
1. Psychoanalytisches zur Gewalt
In seinen kulturtheoretischen Schriften hat sich Freud immer wieder mit dem Problem der Gewalt
auseinandergesetzt. Zu Recht schreibt Helmut Dahmer: „Freuds Theorie der kulturellen Institutionen
ist im Grunde keine ökonomische und keine psychologische, sondern eine politische oder ‚Gewalttheorieʼ“i. Aus der gewalttätigen Tötung des Urvaters durch die Bruderhorde resultiert nach Freud die
Entstehung von Recht, Religion und Moral. Die innere Instanz, die sich allmählich herausbildet, ist
das Über-Ich, und diese trägt wesentlich bei zur Domestizierung des Menschen, und das heißt zur
Zähmung seiner ständigen Gewaltbereitschaft. Aber der Mensch zahlt für diese innere Zivilisierung
einen hohen Preis, nämlich das nicht abzuschaffende Unbehagen in der Kultur. Freud verstand die
menschliche Aggressivität als Ausdruck des Kampfes zwischen zwei elementaren Kräften, dem
Eros, (also dem Lebenstrieb) und Thanatos, dem Todestrieb. Viele Psychoanalytiker wollten, den
Freudschen Spekulationen nicht folgen und interpretierten gewalttätige Aggressionen als Folge von
Über-Ich Mängel: ein schwaches Über-Ich könne den triebhaften sadistischen Es-Impulsen keinen
Widerstand entgegensetzen. Als Aufgabe der Therapie erschien es, das schwache Über- Ich zu stärken (Aichhornii). Mit der Ausarbeitung der Ich-Psychoanalyse (Anna Freudiii) verlagerte sich ab 1936
das Interesse auf den Zusammenhang zwischen Störungen des Ichs und der Bereitschaft, Gewalt
anzuwenden. Aggressionen wurden als Ergebnis eines Ich- Defektes interpretiert: Das Individuum
schien nicht über die nötige Ich-Stärke zu verfügen, um die Aggression adäquat abwehren zu können. Es ging also jetzt vor allem darum, das Ich zu stärken. Zentral blieb aber die Annahme, Aggression und Gewalt seien etwas Triebhaftes. Verschiedene Entwicklungen innerhalb der Psychoanalyseiv führten dazu, die Art der Beziehungen des Kindes und deren Niederschlag in der Psyche zu untersuchen. Stark beeinflußt von der Ethologie und von Konrad Lorenz' Prägungsmodell, postulierte
Bowlbyv, der Mensch suche nicht in erster Linie nach Lust, sondern nach Sicherheit und Geborgenheit. Aus diesen Arbeiten entwickelte sich allmählich ein neues Bild der frühen Kindheit: der Säugling
erschien nicht mehr als ein Bündel von sexuellen und aggressiven Triebimpulsen, das durch Fütterung allmählich eine innere Struktur erhielt, sondern als "kompetenter Säugling"vi der über eine Vielfalt von Fähigkeiten verfügte, um mit seinen Bezugspersonen eine Beziehung aufzubauen. In diesem
Denkmodell wird Gewalt zu einer Form der Abwehr, die immer dann zum Einsatz kommt, wenn das
Selbst, und damit auch die Identität, am Zusammenbrechen ist. Die Gewalt hilft dem Individuum, sich
selbst zusammen zu halten. Es besteht dann allerdings die Gefahr, daß die Gewalt sozusagen zum
Markenzeichen des Individuums und zu einem Ausdruck seiner Identität wird vii. Die Tendenz, die Geschichte des Individuums aus seiner frühen Kindheit sozusagen abzuleiten vernachlässigt einen Aspekt des Freudschen Ansatzes, der mir immer sehr wesentlich erschien: die Zweizeitigkeit der sexuellen Entwicklungviii. Hierbei geht es um das Verhältnis zwischen früher Kindheit und Adoleszenz,
wobei die Adoleszenz für das Individuum zu einer zweiten Chance wird, Defizite und Traumatisierungen der frühen Kindheit wieder aufzunehmen, um zu versuchen, sie zu bewältigen.
2. Adoleszenz als zweite Chance und das Konzept der Nachträglichkeit
"Der Begriff der Nachträglichkeit", schreiben die Psychoanalytiker H. Thomä und H. Kächele, "verbietet es, die Geschichte des Subjekts auf einen linearen Determinismus, der lediglich den Einfluß der
Vergangenheit auf die Gegenwart beachtet, zu reduzieren"ix. Die Adoleszenz ist insofern eine Voraussetzung, dass das Prinzip der Nachträglichkeit wirksam werden kann, als sie bereits auf Grund
des physiologischen Geschehens (Wachstum, hormonale Veränderungen) das Individuum zwingt,
neue Erfahrungen zu machen: die neu erwachte Sexualität muss wegen des Inzestverbots auf Individuen außerhalb der Familie gerichtet werden, die körperliche und intellektuelle Stärke schafft ungeahnte Möglichkeiten in Bezug auf die Realisierung von Größen- und Allmachtsphantasienx. Entscheidend ist, daß diese neuen Erfahrungen in einem existentiellen und in der Regel unbewußten Sinn
Neuinterpretationen früherer Erfahrungen ermöglichen. Wenn Louise Kaplan schreibt: "Der Zweck
der Adoleszenz ist es, die Vergangenheit zu revidieren, nicht sie auszulöschen"xi so verweist sie auf
die Chance, sich nun bei Fremden (d.h. nicht Familienangehörigen) das zu holen, was einst im familiären Rahmen defizitär gewesen ist. Gelingt das, so kann die frühere Erfahrung revidiert werden;
scheitert es, so ist die Voraussetzung für eine Kumulation des Traumas gegeben, und dann scheint
es, als ob die frühkindliche Geschichte des Individuums determinierend wird. Mit anderen Worten:
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der Determinismus der frühen Kindheit wird nur dann wirksam, wenn es nicht gelingt, die Adoleszenz
als zweite Chance zu nutzen. Psychischen Störungen haben in der Adoleszenz eine spezifische Bedeutung: sie können als Versuche interpretiert werden, der Tatsache auszuweichen, dass die Adoleszenz eine Lebensphase ist, in der das Individuum völlig neue Erfahrungen machen kann. Sexualität, Aggression und Narzißmus (Größen- und Allmachtsphantasien, das heißt Omnipotenz) ermöglichen neue Erfahrungen und erlauben dem Individuum auch eine Neubestimmung der Ressourcen
seiner Vergangenheit. Deshalb besteht eine wesentliche Strategie in der Adoleszenz darin, die Vergangenheit in der Gegenwart neu zu inszenieren, um sie so zu revidieren und zu verarbeiten. "Während der Adoleszenz" schreibt Kaplan, "kehrt sich die dynamische Beziehung zwischen Innenleben
und Außenwelt häufig um. Indem er gewisse Aspekte seines längst schon verinnerlichten psychischen Lebensraumes aufs neue veräußerlicht, eröffnet sich dem Jugendlichen die Chance, den Ausgang von bereits als "erledigt" abgehakten Problembearbeitungen wieder offen zu halten"xii . Das
Konzept der Adoleszenz als zweiter Chance spielt auch im Hinblick auf die Interpretation von Gewalterfahrungen und Kriminalität von Jugendlichen eine wichtige Rolle. Die meisten psychoanalytischen Untersuchungen postulieren eine Kontinuität zwischen der frühkindlichen Sozialisation und der
jugendlichen Kriminalitätxiii. In der Regel wird ein deterministischer Zusammenhang postuliert: Weil
die frühe Kindheit defizient war (zu wenig Bindung, Überstimulierung, Gewalterfahrung, etc.), wird der
Adoleszente, dissozial und gewalttätig; er wiederholt alte Erfahrungen, und daran muß man ihn hindern. Das Konzept der Nachträglichkeit legt jedoch eine andere Interpretation nahe: die Wiederholung ist die Voraussetzung dafür, daß sich dem Jugendlichen eine zweite Chance bietet. Man darf sie
nicht unterbinden, sondern muß sie nutzen. Das Problem liegt darin, ob es dann zu einer Fixierung
oder zu einer Relativierung der frühen Erfahrungen kommt. Bei der Lösung dieses Problems kann die
Gesellschaft eine wesentliche Hilfe bieten, aber nur wenn sie, bzw. ihre Vertreter keine Angst vor der
Wiederholung haben.
3. Gewalt, Wünsche und Omnipotenz
Weil Gewalt eine Möglichkeit ist, seinen Willen auch gegen das Widerstreben anderer Individuen
durchzusetzen und damit Macht über sie auszuüben, spielt sie eine entscheidende Rolle im sozialen
Leben. Wer über Gewalt verfügt, ist auf das Einverständnis von anderen nicht angewiesen und kann
von ihnen etwas fordern, ohne entsprechende Gegenleistungen erbringen zu müssen. Der Gewalt
wohnt eine rationalistische Magie inne: sie ist wie eine Zauberformel, die einem all das verschaffen
kann, was man sich wünscht. Zwischen der Fähigkeit des Menschen, wünschen zu können, und seiner Neigung zur Anwendung von Gewalt besteht eine unheimliche und tiefreichende Verbindung, die
mit seinen Omnipotenzphantasien zu tun haben. Wenn Phantasie und Realität nicht zur Deckung
kommen, Wünsche nicht in Erfüllung gehen, dann wächst die Bereitschaft, sich gewalttätig zu holen,
was die Verhältnisse einem versagen. Wer aber Gewalt einsetzt, kommt schnell unter die Herrschaft
seiner Omnipotenzphantasien und vermag deshalb nicht mehr die Realität adäquat einzuschätzen.
Besonders in der Adoleszenz ist das Verhältnis zwischen Phantasie und Realität ein prekäres: Unter
dem Druck der Größen- und Allmachtsphantasien bekommt das Wünschen in dieser Lebensphase
eine große Intensität; Phantasie und Realität können oft nicht mehr klar auseinander gehalten werden, und die jugendliche Gewalttätigkeit entwickelt eine Eigendynamik, die vom Individuum nicht
mehr kontrolliert werden kannxiv.
Märchen sind Erzählungen vom Wünschen, und das Märchenhafte an ihnen ist nicht zuletzt, daß die
Wünsche ohne Einsatz von Gewalt in Erfüllung gehen: die Fee spricht ein Zauberwort und schon
sind die Karrosse und die Diener zur Stelle. Nicht von ungefähr sind die Märchen aber voller Blut und
Toten; die böse Königin und die Hexe, der Drache und der mächtige Riese müssen meist qualvoll
sterben, und die untergründige Moral der Geschichten lautet: Weil Märchen von den Wünschen handeln, spielt in ihnen die Gewalt eine so grosse Rolle. Im Grimmschen Wörterbuch stößt man auf das
Wort „Wunschgewalt“: es bezeichnet die Fähigkeit, eine Wunschäußerung wirksam werden zu lassen. Die Gewalt im Wunsch kommt auch im Begriff der Verwünschung klar zum Ausdruck - jemanden Verwünschen heißt, ihm mit Erfolg etwas Böses anzuwünschen.
Wünsche schlagen oft dann in Gewalt um, wenn sie den Größen- und Allmachtsphantasien entspringen, und das Individuum über keine anderen Möglichkeiten verfügt, sie in Realität umzusetzen. Das
Konzept der Omnipotenz erweist sich als brauchbar, um das Dranghafte, Unkontrollierbare am Phänomen der Gewalt besser verstehen zu können.
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4. Omnipotenz
Das Heranwachsen des Kindes ist mit einer Vervielfältigung seiner Wünsche verbunden, die immer
komplexer und in der Regel auch kostspieliger werden. Während das Kind bei der Erfüllung seiner
Wünsche noch auf die Hilfe der Erwachsenen angewiesen ist, gelingt dies dem Adoleszenten zunehmend aus eigener Kraft. Infolge der Triebdurchbrüche der Pubertät werden die Wünsche von
Adoleszenten stark mit sexuellen und aggressiven Impulsen aufgeladen. Die Wünsche erhalten
dadurch eine zusätzliche Schubkraft und drängen nach sofortiger Umsetzung. Neben "Hunger"
(Drang nach Selbsterhaltung) und "Liebe" (Drang nach Gesellschaftlichkeit) erweisen sich auch die
Omnipotenzphantasien als ein mächtiger Antrieb, Wünsche zu bilden. Wünsche, die dem Bereich der
Omnipotenzphantasien entspringen, und in denen es darum geht, mächtiger, stärker, schöner oder
klüger als die anderen zu sein, treiben das Individuum zwar zu besonderen, für die kulturelle Entwicklung wichtigen Leistungen an, sie weisen jedoch immer auch eine besondere Nähe zur Gewalt auf.
Zudem stecken diese Wünsche die beiden anderen Wunschquellen, Hunger und Liebe, an, und blockieren die Möglichkeit der Befriedigung. Sie machen aus dem Menschen ein unersättliches Wesen.
Omnipotenz gehört nicht zur Realität als etwas, das neben anderem Realen vorhanden wäre. Alles
Reale würde die Omnipotenz ja einschränken und sie somit zunichte machen. Omnipotenz gehört
zur Ordnung der Phantasie und der Gefühle. Ihre Funktion besteht darin, das Verhältnis des Menschen zur Realität mitzugestalten, und zwar indem sie den Menschen ermutigt, sich der Realität entgegenzusetzen und sie zum Objekt zu machen. Das Omnipotenzgefühl ebenso wie die Omnipotenzphantasie sind wichtige Faktoren dafür, daß die Welt als durch den Menschen veränderbar erscheint.
Im Kopf erschafft sich der Mensch eine Welt des Möglichen, an der er die Wirklichkeit messen kann,
und es ist letztlich das Omnipotenzgefühl, das ihm erlaubt, seinen "Möglichkeitssinn" (Robert Musil)
so ernst zu nehmen, daß er sich an einen Umbau der Wirklichkeit wagen kann. Das Omnipotenzgefühl stellt sich dann ein, wenn Phantasie und Realität zur Deckung kommen. Oft wird es wie ein
Rausch erlebt, und im Begriff „workoholic“ schwingt das Rauschhafte mit, das zu dieser Art Arbeit
gehört. Man könne auch von Glücksgefühl sprechen, wenn eine lang gehegte Phantasie Realität
wird; allerdings kann es auch vorkommen, daß die Realisierung einer Phantasie Angst und Schrecken auslöst. Als es den Atomphysikern in Los Alamos gelang, die erste Atombombe zu zünden, beschrieben sie das Entsetzen, das sie beim Anblick der Explosion packte. Der Realisierung von Omnipotenzphantasien haftet immer ein gewisses Maß an Unkontrollierbarkeit an; ihre Folgen sind oft
nicht absehbar.
Wesentlich an der Omnipotenz ist, daß ihr die Tendenz innewohnt, zur Realität einen Bezug herzustellen. Omnipotenzphantasien setzen das Individuum immer unter Druck und es muß vielfältige
Strategien entwickeln, um diesen Druck zu bewältigen. Im Verhältnis zwischen Idee und Wirklichkeit,
zwischen Plan und Ausführung oder zwischen Utopie und Realität taucht die Spannung auf, die dazu
führt, das Vorhandene am Ideal zu messen und zu beurteilen. Am Beispiel der Religion und der ihr
innewohnenden Omnipotenzphantasien kann man sehen, in welchem Ausmaß die Realität verworfen
werden kann: sie wird zum Nichts, das einem höchstens davon abhält, selig zu werden. Die Geschichte der Märtyrer zeugt davon, daß ihnen das Leben weniger Wert als der omnipotente Glaube
war. Die Arbeit steht ebenfalls im Dienst, die Spannung zwischen Omnipotenzphantasien und Realität zu bewältigen; Wissenschaft und Technik veränderten den Alltag grundlegend, indem sie beispielsweise den Wunsch nach ewigem Leben (mittels Medizin) oder den Wunsch nach Allgegenwart
und Gedankenübertragung (mittels Kommunikationsmedien) zu erfüllen versuchten. Der Künstler erschafft eigene Welten, indem er seine Phantasien umsetzt. Auch im Sport wirkt ein omnipotenter
Kern und treibt dazu an, die Leistungsgrenzen ständig weiter zu überschreiten. Omnipotenz ist aber
auch sozusagen billiger zu haben. Seit jeher ermöglichten Drogen, Omnipotenz gleichsam ohne Arbeit und den dazugehörenden Ich-Funktionen zu erleben. Im Alkoholrausch, unter dem Einfluß von
Kokain oder Meskalin werden Erfahrungen gemacht, die das Individuum über die ihm gesetzten
Grenzen hinaus zu führen scheinen. Dabei ist aber die Unterscheidung zwischen Phantasien und
Realität gelöscht, so daß man sich - im Gegensatz zum Arbeitsprozeß - um keine Einzelheiten bemühen muß und tatsächlich von der Allmacht der Gedanken überzeugt sein kann.
Mit dem Beginn der Pubertät und im Verlauf der Adoleszenz, wenn die physischen und geistigen
Kräfte anwachsen, die diesen Umbau der Wirklichkeit ermöglichen, werden die Grössen- und Allmachtsphantasien immer wichtiger und müssen neu formiert werden. Ähnlich wie die Sexualität in
der frühen Kindheit durch verschiedene Phasen gleitet, in denen sie sich verschiebt, umgeformt wird
und immer neue Funktionen besetzt, um in der genitalen Phase neu organisiert zu werden, erfährt
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auch die Omnipotenz Metamorphosen, die in der Adoleszenz wieder aufgenommen und neu gewichtet werden. Wesentlich ist dabei die Fähigkeit, zwischen Omnipotenz und Realität einen Bezug herzustellen und die sich daraus ergebenden Spannungen auszuhalten. Die dafür zuständige psychische Instanz ist das Ich mit seinen Funktionen der Realitätswahrnehmung und -prüfung. Die Adoleszenzkrise steht in engem Zusammenhang mit der Schaffung jener inneren Räume, in denen die
Transformation stattfindet, durch die die kindlichen Impulse so weit umgeformt werden, dass sie den
Erfordernissen der Kultur entsprechen.
4.1. Zur Genese der Omnipotenzphantasien
Über die Ursprünge der Omnipotenz wird heute eine kontroverse Diskussion geführt xv, die aber für
unsere Überlegungen hier nicht relevant ist. Gleichgültig, wie ihre Ursprünge auch seien, die Relevanz der Omnipotenz im Leben des Menschen läßt sich ebenso wenig abstreiten, wie der Umstand
ihrer Entwicklung. Wir dürfen auch annehmen, daß der entscheidende Faktor für die Entwicklung der
Omnipotenz das Verhältnis zur Bezugsperson ist. "Der Säugling hat keine omnipotenten Phantasien,
sondern, bei gelungener Interaktion, stellt ihm die Erwachsenenwelt auf Grund intuitiver Verhaltensneigungen eine Welt zur Verfügung, die ihn in seinem beschränkten Rahmen beinahe omnipotent erscheinen läßt“xvi. Hier stoßen wir bereits auf den paradoxen Kern der Omnipotenz: einerseits verleugnet sie jede Form von Abhängigkeit, und andererseits ist sie das Produkt von Beziehungen. Dieser innere Widerspruch führt dazu, daß die Omnipotenz immer wieder zerfällt und neu organisiert
werden muß. In welcher Form von Familie auch gelebt wird, die intensive Auseinandersetzung mit
dem Kind scheint sich als Kulturideal durchgesetzt zu haben. Die intensivierte Zuwendung fördert im
hohen Maß die Entwicklung der kindlichen Omnipotenzphantasien, was sich nicht zuletzt in den Forderungen äussert, die die Kinder an ihre Eltern stellen. Im Individuum bildet sich ein starkes
Wunschpotential heraus, das gesellschaftlich unterschiedlich genutzt werden kann. Es kann sowohl
in den Dienst des Konsums als auch in den Dienst der Kreativität gestellt werden. Laut Melanie Klein
dienen die Allmachtsphantasien dem Kleinkind als Abwehr, sie können aber auch zu einer Quelle
von Angst werden. Verbunden mit "guten Objekten" vermittelt die Allmacht Schutz und Geborgenheit;
verknüpft sie sich jedoch mit "bösen Objekten", löst sie Angst und Verzweiflung aus. Der englische
Psychoanalytiker D. F. Winnicott hob besonders die Fähigkeit des Säuglings hervor, "ein Objekt zu
schaffen, sich auszudenken, zu erfinden, zustande zu bringen, hervorzubringen" xvii. Dabei ist der
Säugling jedoch auf seine Mutter angewiesen. Das befriedigende Erlebnis von Omnipotenz wird für
den Säugling eine entscheidende Voraussetzung für die Einsetzung eines Realitätsprinzips, das die
Welt nicht starr und unveränderlich, sondern als der Kreativität zugänglich erscheinen läßt. Wesentlich an Winnicotts Untersuchungen ist die Frage, wie es möglich ist, daß der Mensch seine Welt als
eine von ihm veränderbare erleben kann. Daß die Welt durch Kreativität verändert werden kann, ist
nämlich nichts Selbstverständliches, und Winnicott macht einsehbar, daß eine Voraussetzung für
diese Annahme das frühe positive Erlebnis der Omnipotenz ist. Im Verlauf der weiteren psychischen
Entwicklung kommt es zu immer neuen Ausgestaltungen der Omnipotenz: die sogenannte Trotzphase, der Eigensinn und der Despotismus des Dreijährigen (L. Wygotskixviii) zeigen schon in ihrer Begrifflichkeit an, wie sehr die omnipotenten Strebungen des Kindes die pädagogischen Fähigkeiten
der Erwachsenen strapazieren. Auch Charlotte Bühler stellte 1928 in ihrem Buch "Kindheit und Jugend" fest, da die Zeit zwischen dem zweiten und dem vierten Lebensjahr gekennzeichnet ist durch
"eine außerordentliche Steigerung und Anspannung des selbstherrlichen subjektiven Momentes" xix.
Was so mühsam ist, ist jedoch etwas ganz Wesentliches, nämlich die Anstrengung des Kindes, zwischen Omnipotenz und Realität Brücken zu bauen, also Omnipotenz zu realisieren. Würde es die
omnipotenten Wunscherfüllungen nur halluzinieren, dann gäbe es keine Konflikte. Aber wie ist es
denn überhaupt möglich, daß der Mensch, in all seiner Ohnmacht an Vorstellungen von Omnipotenz
festhalten kann? Eine entscheidende Rolle spielt hierbei die Möglichkeit der Verschiebung der Omnipotenz auf die idealisierten Eltern. Durch diese Verschiebung können sich die Größen- und Allmachtsgefühle des Kindes trotz aller Infragestellungen und Einschränkungen durch die Realität bis
zur Adoleszenz grundsätzlich erhalten. Es sind bei diesem Verschiebungsprozess verschiedene
Szenarien des Zusammenwirkens der kindlichen Allmacht mit den Eltern möglich. Es kann zum Beispiel eine allmähliche Übertragung stattfinden: die Omnipotenz des Kindes spricht dabei die Größenphantasien seiner Eltern an, und die idealisierten Eltern, als Erben der kindlichen Allmacht, geben
dem Kind das Gefühl der Teilhabe an ihrer eigenen Omnipotenz. Oft vermischen sich diese gemeinsamen Phantasien mit dem Familienmythos, der von der Größe und Einzigartigkeit der jeweiligen
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Familie kündet. Eine andere Form des Zusammenwirkens der kindlichen Omnipotenz mit den Eltern
kann aber auch ein gewaltsames Brechen der kindlichen Omnipotenz sein, etwa indem die Eltern
das Kind schlagen, mit der Begründung, man müsse seinem Trotz entgegenwirken. In diesem Fall
setzen die Eltern, bzw. die Erzieher eine unüberbrückbare Distanz zwischen sich und das Kind. Dieses wird zu überleben versuchen, indem es seine masochistischen Tendenzen fördert sowie Lust an
der Unterwerfung und an der dadurch ermöglichten Teilhabe an der Omnipotenz der Erwachsenen
entwickelt.
Bedenkt man, daß im Verlauf der Adoleszenz die psychischen und körperlichen Entwicklung des Individuums den Omnipotenzphantasien eine ganz andere Durchschlagskraft vermitteln, so kann man
die Latenzphase, also die Zeit zwischen dem fünften Lebensjahr und dem Beginn der Pubertät als
eine Art Pufferzone betrachten, in der ein Teil der omnipotenten Impulse der frühen Kindheit aufgenommen und gehemmt wird, während ein anderer Teil für die Idealisierung der Eltern verwendet
wird.
Mit der Pubertät fängt aber der Prozeß an, den man als die Wiederaneignung der Grössen- und Allmachtsphantasien bezeichnen könnte, diese werden von den Eltern gleichsam abgezogen und für
den Aufbau des eigenen Selbstwertgefühls eingesetzt. Sichtbar wird diese Entwicklung vor allem in
der Entidealisierung und Entwertung der Eltern, bzw. der Erwachsenen. Die europäische Kultur hat
diese Tendenz auf die Spitze getrieben. In keiner anderen literarischen Tradition werden die Auseinandersetzungen zwischen Vätern und Söhnen so erbarmungslos dargestellt, wie in Europaxx. Ergebnis dieses Kampfes zwischen Eltern und Kindern um die Omnipotenz war die Übertragung der
Omnipotenz vom Alter auf die Jugend. Die Spannung zwischen Vätern und Söhnen heizte den Kulturwandel weiter an und trug wesentlich zum Abbau der Traditionen bei. Hier stossen wir auf die innige Verbindung zwischen Individualismus und Omnipotenzphantasien. Die Adoleszenz wird zu einer
Zeit des Ehrgeizes, der Eigenliebe, des Hochmutes, der hohen Ansprüche und der großen Wünsche.
Damit aber auch zu einer Zeit der Kränkungen, Zurücksetzungen und Vernachlässigungen. Merkt
man, daß die Wünsche nicht in Erfüllung gehen, dann kann sich einerseits die Neigung verstärken,
zu Drogen zu greifen oder auch einen Rückzug in die Depression anzutreten, Dank denen die
„Wunschmaschine“ bis zu einem gewissen Grad stillgelegt werden kann. Andererseits bietet die
Disozialität die Möglichkeit, mittels Gewalt doch noch die Erfüllung der Wünsche anzustreben.
Die Betonung und immer gründlichere Ausarbeitung des Individualismus ging einher mit der Entfesselung der Omnipotenzphantasien und der daraus entspringenden Wünsche. Deren Realisierung
durch immer komplexer werdende Arbeitsprozeße trieben die Beschleunigung des Kulturwandwandels voran. Auf diese Omnipotenzphantasien ist heute nicht mehr zu verzichten, denn sie sind es, die
die Kreativität des Menschen besonders stimulieren. Die Entwicklungsaufgabe, die erfüllt werden
muß, besteht darin, die Omnipotenzphantasien mit entsprechenden Ich-Funktionen zu verknüpfen,
das heißt, diese Phantasien müssen auf die Realität bezogen werden. Die dafür zuständige psychische Instanz ist das Ich mit seinen Funktionen der Realitätswahrnehmung, -erfahrung und -prüfung.
Das ist eine ähnlich heikle und schwierige Aufgabe wie der Umgang mit der Sexualität. Aber die Kultur liefert dem Individuum auch hier gewisse Muster und Vorbilder und stellt mindestens drei Bereiche zur Verfügung, um Omnipotenzphantasien und Ich-Funktionen miteinander zu verknüpfen:
Arbeit, Freizeit und Gewalt.
5. Die Umsetzung von Omnipotenz in Arbeit, Freizeit und Gewalt
5.1. Arbeit
Dem Individuum gelingt es dank seiner Kreativität und dem Prozeß der Arbeit, seine Omnipotenzphantasien so umzuformen, daß sie in die Realität umsetzbar werden. In einem anderen Aufsatzxxi
habe ich am Beispiel der Flugphantasien, die zur Omnipotenz gehören, aufgezeigt, wie dieser Urtraum des Menschen zur Realisierung drängte. Der Einsatz von Drogen vermittelte in den verschiedensten Kulturen die Illusion des Fliegens. Personifiziert durch levitierende Heilige oder fliegende Hexen taucht der Flugwunsch im mittelalterlichen Europa auf. Es dauerte lange, bis Leonardo da
Vinci in der Renaissance sich Apparate vorstellte, die dem Menschen das Fliegen ermöglichen könnten. Auch wenn Leonardo nie den Versuch machte, solche Apparate zu bauen und auszuprobieren,
formte er seine Flugphantasien so weit um, daß sie mit den entsprechenden Ich-Leistungen, nämlich
dem Bau von Apparaten, umsetzbar erschienen. Er begnügte sich also nicht mit der Allmacht des
Gedankens (wie der Schneider von Ulm, der vom Turm hinunter sprang, und offenbar davon über 5 Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 46
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zeugt war, sein Wille werde ihn schon tragen) oder mit drogeninduzierten Illusionen, sondern dachte
sich mechanische Mittel aus, um die Phantasie umzusetzen. Es brauchte aber noch fast dreihundert
Jahre bis Ende des 18. Jahrhunderts der Mensch mit dem Wasserstoff und den Ballonen Mittel fand,
um sich tatsächlich in die Lüfte zu erheben. Hundert Jahre später war es schließlich so weit, daß der
Mensch Flugzeuge bauen konnte. Omnipotenzphantasien sind also umsetzbar, aber sie müssen aus
ihrem archaischen Stadium herausgelöst und mit der Realität konfrontiert werdenxxii. Das einzige Mittel dazu ist die Arbeit.
Die Adoleszenz ist in allen Kulturen eine Lehrzeit, in der notwendige Fertigkeiten gelernt werden
müssen. Aber jedes Üben beinhaltet eine Kränkung: die Allmacht der Gedanken reicht nicht aus, um
perfekt Klavier oder sonst ein Instrument spielen zu können, Fremdsprachen müssen mühsam angeeignet werden und der Zugang zu Technik und Wissenschaft kann nur durch Beharrlichkeit erworben
werden. Und auch dann ist man immer noch kein Meister. Das Kunststück der Adoleszenz besteht
nicht zuletzt darin, sich nicht von der Realität überrollen zu lassen und an den Omnipotenzphantasien festzuhalten, aber sie von der Archaik der Kindheit zu befreien.
Wenn zwischen der Omnipotenz und den Fähigkeiten des Individuums kein adäquates Verhältnis
zustande kommt, drohen depressive Verstimmungen. Zur Omnipotenz gehört aber auch eine Tendenz zur Maßlosigkeit und Unersättlichkeit, die das Individuum nicht zur Ruhe kommen läßt, und es
bis zur Erschöpfung immer weiter treibt. Die therapeutische Bearbeitung der Omnipotenz kann auch
deshalb mühsam werden, weil sie zuerst einmal solche Ängste vor Überforderung auslöst und das
Individuum in große Unruhe stürzt.
5.2. Freizeit
Unsere Kultur hat die in traditionellen Kulturen geltende Zeitordnung, die zwischen sakraler und profaner Zeit unterschied, durch die Kategorien Freizeit und Arbeitszeit ersetzt, wobei die Freizeit in vielerlei Hinsicht das Erbe der sakralen Zeit antrat. Dabei spielt der Konsum eine wesentliche Rolle. Bereits ein flüchtiger Blick auf die Werbung zeigt, daß sie hauptsächlich mit Größenphantasien arbeitet:
Wer dieses oder jenes Produkt konsumiert, gehört zur Elite, zu den Mächtigen und Schönen. Überfluß und Verschwendung galten seit altersher als Beweismittel omnipotenter Möglichkeitenxxiii. Die
Freizeitindustrie schuf den Rahmen, um diejenigen Omnipotenzphantasien aufzunehmen, die im Arbeitsprozeß nicht befriedigt und umgesetzt werden können, und die deshalb auch in einem archaischen Zustand bleiben müssen. Auch der Film ist zu einem Medium geworden, das seine Macht aus
der Archaik omnipotenter Phantasien bezieht: alles erscheint als möglich und zieht den Betrachter
ähnlich wie ein Traum in Bann. Die unzähligen vom Fernsehen übertragenen oder von der Presse
propagierten Glücks- und Ratespiele arbeiten ebenfalls mit der Omnipotenz: um die Million zu gewinnen, braucht man sich nur beim Spiel anzumelden. Ein anderer Bereich der Freizeit befriedigt die
Omnipotenz dadurch, dass sie – wie im Spitzensport – außerordentliche Leistungen verlangt und die
(bequeme) Möglichkeit bietet, über die bloße Identifikation mit den Siegern an deren Omnipotenz
teilzuhaben. Die Archaik der damit verbundenen Phantasien manifestiert sich nicht zuletzt darin,
dass sie oft eine aggressive Stimmung verbreiten und angsterregend um Gewalt, Zerstörung und
Vernichtung kreisen.
Der Omnipotenz ist auch das Gefühl der Angstlust zugeordnet. Wo sich Angst und Lust miteinander
vermischen und sich gegenseitig steigern, prüft das Individuum seine Omnipotenz. Der Skifahrer, der
sein Leben aufs Spiel setzt, um ein paar Hundertstelsekunden schneller als der bisherige Sieger zu
sein, - der Jugendliche, der aufs Dach der rasenden S-Bahn steigt, um ihm Geschwindigkeitsrausch
seinen Mut zu beweisen – sie alle aktivieren ihre Omnipotenzphantasien, und die Verwandlung von
Angst in Lust ist die physiologische Prämie für die Grenzüberschreitung, die sie gewagt haben. Angst
hält die Menschen in ihren Grenzen fest und lässt sie vor dem Fremden zurückweichen. Die Lust
hingegen verlockt zur Grenzüberschreitung. Angstlust wird zum Reiz, Verbotenes zu tun, und Tabus
zu brechen; sie ist ein intensives Gefühl der Grenzerfahrung, das besonders von den Adoleszenten
genossen wird. Die Kultur bezieht aus dieser Bereitschaft zum Tabubruch wesentliche Anstöße zur
Weiterentwicklung. Wird der Tabubruch jedoch nur auf die Freizeit beschränkt, so verliert er seine
kulturelle Bedeutsamkeit. Die Achterbahn vermittelt den Thrill nur noch durch die Illusion der Gefahr,
und die Drogen isolieren den Einzelnen in seinem Wahn. Auf diese Weise nimmt die Spaltung zwischen Arbeit und Freizeit viel Druck vom Adoleszenten, und wirkt sich auch prägend auf die Adoleszenz aus. Adoleszenz wird zu einer Art Freizeitverhalten und tendiert sogar dazu, altersunabhängig
zu werden. In der Freizeit gelten alle als jung und dynamisch.
6 Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 47
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich helfe nach» Gideon
5.3. Individuelle oder durch Gruppen legitimierte Gewalt
Der österreichische Psychoanalytiker Siegfried Bernfeld prägte bereits anfangs der dreissiger Jahre
den Begriff der "Tantalussituation", um die Problematik von jugendlichen Individuen zu beschreiben,
die mit dem Gesetz in Konflikt geraten warenxxiv. Die Omnipotenzphantasien werden in unserer Gesellschaft ständig angesprochen und gereizt, so daß es im Individuum zu Wunschexplosionen
kommt; die Möglichkeiten, diese Wünsche zu realisieren, sind aber letztlich eng begrenzt. Die sich
verschärfende ökonomische Krise, von der Jugendliche besonders betroffen sind, rückt die Verwirklichung ihrer Wünsche - ähnlich wie bei Tantalus - in die Ferne. In solchen Situationen wächst die Bereitschaft zur kriminellen Handlung, um auf illegale Weise zur Wunscherfüllung zu gelangen. Dabei
schafft die Allmachtsphantasie eine Art imaginären Schutzschild um den Missetäter, der nicht selten
überzeugt ist, dass man ihn nicht zur Rechenschaft ziehen kann oder ihn bei der Untat gar nicht sehen wird, da er die Situation voll unter Kontrolle hat.
Eine wesentliche Leistung der Gruppe besteht in Vergesellschaftung von Omnipotenzphantasien: der
Einzelne ist nicht mehr allein mit ihnen und die Gruppe bestätigt sie. Der Gruppenkonsens verändert
auch den Bezug zur Realität und weicht den Unterschied zwischen Phantasie und Realität auf. Verhängnisvoll ist es, wenn die Gruppenidentität sich vorwiegend der Gewaltbereitschaft verdankt.
Dostojewski beschrieb eine solche Gruppe in seinem Roman „Die Dämonen“: kriminelle Handlungen,
die die Angehörigen der Gruppe zu Komplizen macht. Die Gefahrensituation bindet die Gruppenmitglieder zusammen, schafft die erwünschte Nähe, aber diese hält nicht lange hin. Aber auf Grund der
Gewaltbereitschaft der Gruppe entstehen bald neue Solidarität schaffende Gefahren. Gewaltanwendung wird auf diese Weise zu einem Bindemittel innerhalb der Gruppe. Mit Hilfe eines Traumes verweisen Peter Fonagy und Mary Target auf eine weitere Funktion der Gruppengewalt. Ein GangMitglied träumte: „Zwei Hennen hacken aufeinander und im Hintergrund ist ein gefährlicher, wütender
Hund, von dem die Hennen aber keine Notiz nehmen, sie sind zu sehr damit beschäftigt, miteinander
zu kämpfen“xxv. Die unmittelbare Gewalt, in der sich die Jugendlichen verstricken, macht die Angst
vor dem gefährlichen Hund (=aussichtlose Zukunft) unbewußt. Wer von der Gruppe zum Feind deklariert wird, wird zur Projektionsfläche für all das, was im Eigenen verpönt werden muß. Je böser
der Feind erscheint, desto mehr Omnipotenz kann im Kampf gegen ihn mobilisiert werden; der omnipotente Feind wird zur wichtigsten Stütze der eigenen Omnipotenz. Omnipotenzphantasien können
ganz verschiedene Färbungen annehmen: biologisierte (Rassismus, Sexismus), politisierte (Elite-,
Adelsherrschaft), ökonomisierte (Reichtum als Kriterium der Auserwähltheit), ästhetisierte (Schönheit
als Grundlage des Erfolges). Jede radikale Bewegung versucht die Jugend für sich zu gewinnen, indem sie deren Omnipotenzphantasien anspricht. Je archaischer diese sind (zum Beispiel im Wunsch
nach Verschmelzung mit dem großen Ganzen einer Volksgemeinschaft), desto eher werden die Individuen in passive Rollen gedrängt, die sie lediglich zu disziplinierten Befehlsempfängern macht, die
zu jeder Form von Gewaltanwendung bereit sind. Rechtsradikale Omnipotenzphantasien kreisen um
die Überlegenheit einer Rasse, bzw. Kultur, um die Vorstellung einer Elite, einer Herrschaft der Besten. Auf die unmittelbare Umwelt bezogen, beansprucht man die Kontrolle der Nachbarschaft (ausländerfreie Gebiete) und behauptet, die Ehre der entsprechenden ethnischen Gruppe zu verteidigen.
Die eigenen Frauen müssen vor den Fremden geschützt werden und gefährliche Demonstrationen
von Fähigkeiten (Autofahren, Austricksen der Polizei und sonstige Mutproben) stellen die eigene
Omnipotenz unter Beweis. Linksradikale Omnipotenzphantasien kreisen um die Vorstellungen von
einer Avantgarde und eines siegreichen Proletariats. Das Ende der Geschichte wird als ein Zustand
gedacht, in dem alle Individuen ihre Fähigkeiten realisieren können, und zwar ohne in Interessenskonflikte untereinander zu geraten. So verschieden rechts- und linkradikale Utopien auch sind, die
Idee einer (notwendigerweise immer gewalttätigen) Diktatur des Proletariats gleicht schließlich die
zwei Gruppen von Allmachtsphantasien einander an. Wenn die historische Realität den Omnipotenzphantasien nicht entspricht, meint man gewalttätig „nachhelfen“ zu müssen, so daß sich die gesellschaftliche Realität in den beiden ursprünglich entgegengesetzten Systemen immer ähnlicher wird.
Omnipotenzphantasien legitimieren die Anwendung von Gewalt: Im Namen Gottes, des Kaisers, des
Vaterlandes, der Partei – die Gewalt gegen die Feinde ist rechtens. Aber es gilt auch, daß die Gewalt
ihrerseits die Omnipotenzphantasien legitimiert: Wer Gewalt anwendet, bestätigt sich, daß er wirklich
an die Omnipotenzphantasien glaubt. Die Gewalt wird wichtig als eine Art Existenzbeweis für die
Omnipotenzphantasie und bestätigt ihre Wirklichkeit.
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 7 48
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich helfe nach» Gideon
6. Ausblick
Der innige und gefährliche Zusammenhang zwischen Omnipotenz, Wunsch und Gewalt wurde in traditionellen Gesellschaften dadurch unter Kontrolle gebracht, daß das Wünschen möglichst rationiert
wurde. Mittels Meditation, Askese und anderen religiösen Praktiken, lernte der Mensch, seine Wünsche zu kontrollieren. Die moderne Gesellschaft ist die erste, die die Wunschexplosion zum Motor ihrer Entwicklung machte und dem Wünschen keine Grenzen mehr zu setzen versuchte. Auf diese
Weise kommt es zu einem schwer lösbaren Dilemma: Wird die Wunschproduktion unter dem Druck
der Omnipotenz gefördert, so nimmt auch die Gewaltbereitschaft bei all denen zu, die sich ihre Wünsche nicht erfüllen können. Gleichzeitig wird aber in der modernen Gesellschaft die Ausübung von
Gewalt und Aggression zunehmend eingegrenzt und tabuisiert. Kinder dürfen nicht mehr geschlagen
werden und Gewalt in der Ehe oder Vergewaltigung werden thematisiert und von der Justiz geahndet. Zudem ist ein Bewußtsein entstanden, daß Gewalt nicht nur physisch sondern auch symbolisch
(z.B. sprachlich) ausgeübt werden kann; dies hat die Wahrnehmung von Gewalt wesentlich verschärft. Diese Sensibilisierung gegenüber der Gewalt, die ein charakteristisches Merkmal des Zivilisationsprozessesxxvi ist, geht jedoch einher mit ihrer Kommerzialisierung in der Unterhaltungsindustrie, in der die Gewaltdarstellungen immer weiter intensiviert werden. Die gesellschaftliche Relevanz
dieser Gewaltdarstellungen rührt aus der Notwendigkeit, die aus der Versagung der Wunscherfüllung
resultierende Gewaltbereitschaft symbolisch zu verarbeiten, bzw. zu neutralisieren. Die Frage ist jedoch, ob es der Unterhaltungsindustrie gelingen kann, diese Aufgabe allein zu bewältigen oder aber
ob andere, weniger symbolische Akte notwendig sein werden, nämlich Gewalt gegen reale Minderheiten, Religionen und andere noch zu konstruierende Feindbilder. Es wäre dies eine Lösung, wie sie
seit altersher immer wieder dann versucht wurde, wenn gesellschaftliche Probleme angegangen
werden mußten, ohne etablierte Machtstrukturen infrage stellen zu müssen.
Eine andere Möglichkeit bestünde jedoch darin, durch die Umgestaltung der Omnipotenz und durch
die Erhöhung der Komplexität der Wünsche die Gewaltbereitschaft abzubauen. Das wäre ein neuer,
ungewohnter Weg und eine Herausforderung an die Pädagogen. Dabei geht es vor allem darum, die
Omnipotenz aus ihrer Archaik herauszulösen und in ich-nahe Bereiche zu bringen. Fähigkeiten, die
sich ein Individuum aneignet, die er aber nicht mit Omnipotenzphantasien in Verbindung bringen
kann, wirken sinnlos; Omnipotenzphantasien, die sich nicht auf Fähigkeiten beziehen, bleiben wirkungslos. Die Verbindung dieser beiden Bereiche stellt sich immer mehr als eine der entscheidenden
Leistungen, die in der Adoleszenzphase erbracht werden müssen.
7. Zusammenfassung
Gewalt wird hier verstanden als ein Zusammenwirken von Aggression und Omnipotenz beim Versuch, Wünsche in Erfüllung gehen zu lassen. Weil Omnipotenz ein wesentlicher Motor der individuellen Entwicklung darstellt, kann auf sie nicht einfach verzichtet werden, ebensowenig wie auf die Sexualität, die ja ebenfalls mit vielen Problemen verknüpft ist. Ein charakteristisches Moment der Adoleszenz besteht in der Wiederaneignung der Omnipotenzphantasien auf Grund derer das Individuum
imstande ist, sich der Realität entgegenzusetzen und Pläne zu realisieren. Um dazu fähig zu sein,
muss das Individuum seine Größen- und Allmachtsphantasien mit seinen Ich-Fähigkeiten verknüpfen, was in den verschiedenen Lebensphasen in immer neuen Anläufen versucht werden muss. Es
ist eine wesentliche Aufgabe der Pädagogik dem Individuum bei der Umgestaltung seiner Omnipotenzphantasien beizustehen, denn vor allem in der Adoleszenz fällt die Entscheidung, welche Kanäle
das Individuum zur Verfügung haben wird, um seine Omnipotenz umzusetzen: Arbeit, Freizeit oder
Gewalt.
© Copyright by Mario Erdheim
i Dahmer. H. (1973) Libido und Gesellschaft. Studien über Freud und die Freudsche Linke. Suhrkamp, Frankfurt
a. M. S- 148-149. ii Aichhorn, A. (1925) Verwahrloste Jugend. Die Psychoanalyse in der Fürsorgeerziehung. Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Wien. iii Freud, A. (1936) Das Ich und die Abwehrmechanismen. Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Wien. iv Eagle, M. N. (1984) Neuere Entwicklungen in der Psychoanalyse.
Eine kritische Würdigung. Verlag Internationale Psychoanalyse. München, Wien 1988. v Bretherton, I. (1995)
Die Geschichte der Bindungstheorie. In: Spangler, G. u. Zimmermann, P. (Hsg.) Die Bindungstheorie. Grundlagen, Forschung und Anwendung. Klett-Cotta. Stuttgart 1995. vi Dornes, M. (1993) Der kompetente Säugling. Fischer Verlag. Frankfurt a. M. vii Fonagy, P und Target, M. (1996) Den gewalttätigen Patienten verstehen: der
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 8 49
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich helfe nach» Gideon
Einsatz des Körpers und die Rolle des Vaters. In: Berger, M. und Wiesse, J. (Hg.) Geschlecht und Gewalt. Psychoanalytische Blätter. Bd. 4. Göttingen und Zürich. S. 55-90.
viii Erdheim, M. (1982) Die gesellschaftliche Produktion von Unbewusstheit. Suhrkamp. Frankfurt a. M. S. 275 f. ix
Thomä, H. und Kächele, H. (1988) Lehrbuch der psychoanalytischen Therapie. Bd. 2, Praxis. Springer Verlag,
Berlin, Heidelberg, S. 115.
x vgl. Erdheim, M. (1993) Psychoanalyse, Adoleszenz und Nachträglichkeit. In: Psyche 47, S. 934-950. xi Kaplan, L. (1984) Abschied von der Kindheit. Eine Studie über Adoleszenz. Klett-Cotta Stuttgart 1988. S. 210. xii
Kaplan, L. op. cit. S. 185. xiii Moser, T. (1972) Jugendkriminalität und Gesellschaftsstruktur. Zum Verhältnis von
soziologischen, psychologischen und psychoanalytischen Theorien des Verbrechens. Fischer, Frankfurt a. M.
1978. xiv Erdheim, M. (2002) Ethnopsychoanalytische Aspekte der Adoleszenz – Adoleszenz und Omnipotenz.
In: Psychotherapie im Dialog. Zeitschrift für Psychoanalyse, Systemische Therapie und Verhaltenstherapie. 3.
Jg. Heft 4. S. S. 324-330. xv Dornes, op cit. S. 53. xvi Baumgart, M. (1991) Psychoanalyse und Säuglingsforschung. Versuch einer Integration unter Berücksichtigung methodischer Unterschiede. In: Psyche 45. S. 780.
xvii Winnicott, D. W. (1958) Von der Kinderheilkunde zur Psychoanalyse. Fischer, Frankfurt a- M- 1985. S. 301.
xviii Wygotski, L. (1933) Die Krise der Dreijährigen. In: Ausgewählte Schriften, Köln 1987. S. 253-254- xix Bühler,
Ch. (1928) Kindheit und Jugend. Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Darmstadt 1967. S. 241. xx Von Matt, P.
((1995) Verkommene Söhne, mißratene Töchter. Familiendesaster in de Literatur. DTV München 1997.
xxi Erdheim, M. (2001) Omnipotenz als Möglichkeitssinn. In: Freie Assoziation.4. Jg. Heft 1, 7-22. xxii Behringer,
W. u. Ott-Koptschalijski, C. (1991) Der Traum vom Fliegen. Zwischen Mythos und Technik. Fischer. Frankfurt a.
M. xxiii Zu erinnern wäre an den Potlach, als ursprüngliches Modell eines Konsums, bei dem wertvolle Güter zerstört wurden, um damit die Macht des Häuptlings zu beweisen. Diese art Konsum ist also nichts Modernes,
sondern in unserer Gesellschaft etwas zutiefst Anachrones. Vgl. Mauss, M. (1923-24) Die Gabe. Form und
Funktion des Austausches in archaischen Gesellschaften. In: ders. (1975) Soziologie und Anthropologie, Bd. 2,
S. 9-144). xxiv Bernfeld , S. (1931) Die Tantalussituation. Bemerkungen zum kriminellen Über-Ich. In: Bernfeld,
S.(1969/70) Antiautoritäre Erziehung und Psychoanalyse. Ausgewählte Schriften, Hsg. von Werder, L. v. und
Wolff, R. Bd. 1-3. Frankfurt a. M. Bd. 2 : 648-663. 25 Fonagy, P. u. Target, M. op. cit. 26 Vgl. Haas, H. (1996) Gewalt, Geschlecht und Kultur. Zur Ethnopsychoanalyse von Kriminalität. . In: Berger, M. und Wiesse, J. (Hg.) Geschlecht und Gewalt. Psychoanalytische Blätter. Bd. 4. Göttingen und Zürich, S. 29-54.
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Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich wag’s trotzdem» Jeremia
Das Leben leben
B Konfliktfähigkeit –
Grundlagen «Ich wag’s
trotzdem»
gewinnen
und verlieren
Jeremia Jeremia div.Texte „Ich wag’s trotzdem“
Ein Prophet wird gemobbt
Wie kann das gelingen, dass die Jugendlichen merken, wie das in der Rolle des Propheten ist, und wie sein
Gerechtigkeitsempfinden und seine Visionen ihn dazu nötigen, zu reden und das Abgelehntwerden auf sich zu
nehmen?
Und wie reagieren, dem Verspotteten und Verachteten gegenüber:
Ich lueg ned häre,
i stelle mi zu de Luute,
i säge nüt, susch chum i au no dra...
Oder solidarisch: Dä hät recht, dä hät Muet, mit dem gang i id Opposition...
Hilfreich um diese Fragen zu bearbeiten, ist der Unterrichtsentwurf von Angelika Schlögl 2005. – Sie geht aus
von den jeweiligen Gefühlslagen des Propheten und ihre Textauswahl ist eine klare Parallele zu dem, was man
heute über Mobbingstrukturen weiss.
(http://www.rpz-heilsbronn.de/fileadmin/user_upload/daten/arbeitsbereiche/schularten/realwirtschaftsschule/7/jeremiastationen.pdf)
Die Befindlichkeiten des Propheten sind also für Angelika Schlögl jeweils Ausgangspunkt für die persönliche
Selbstreflexion, die mit grosser Vielfalt an kreativen Vorschlägen angeleitet wird. Die Arbeitsanweisungen sind
nach dem immer gleichen Muster durchkomponiert und dienen als Brücke zur aktuellen Lebenswelt der Unterrichteten. Viele unterschiedliche Gefühlslagen werden thematisiert und geben die Tiefpunkte jener Personen
wieder, die ausgeschlossen und angefeindet werden bis zum Geht-nicht-mehr.
Ich trau mich nicht (Jer. 1, 6-8 und 12)
Ihr seid schrecklich (Jer. 7, 5-9a)
Ich bin allein
(nach Jer. 15, 17 und 16,2)
Ich will Rache (Jer. 17, 18)
Ich werde ausgelacht (Jer. 20,7)
Ich will nicht mehr (nach Jer. 20, 9)
In der Falle?
(Jer. 20, 10)
In Gefahr I
(Jer. 26, 8 und 11)
In Gefahr II
(Jer. 38, 6 und Klagel. 3, 52-54)
Mir glaubt ja doch keiner (Jer. 18, 18)
Hört mich denn keiner? (Klagel. 3, 8)
Hoffnung?
(Jer. 29. 11)
1
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Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich wag’s trotzdem» Jeremia
- Die Einfühlung in die Befindlichkeiten des Propheten wird vielleicht dadurch erschwert, dass die prophetische
Beauftragung durch die Gottesstimme für viele von uns fremd ist und in der eigenen Erfahrung in der Deutlichkeit, wie sie Jeremia erfährt, fehlt.
- Ist die Gewissensstimme, die sich aus einem zuerst nur undeutlich spürbaren Empfinden von Unrecht heraus
mehr und mehr zu einem Protest entwickelt und zum Mut, den Protest auch zu äussern, vielleicht eine Brücke
zum Engagement des Propheten?
- Gehört der Prophet Jeremia zu den sensiblen Menschen, die wie ein Seismograph merken, welche Ungerechtigkeiten zu Erdbeben mit verheerenden Folgen für die Lebensweise seiner Zeitgenossen werden?
Wie zum Beispiel:
- Dietrich Bonhoeffer mit seinem Einsatz gegen das Naziregime „Man muss dem Rad in die Speichen greifen“,
- ebenso die Geschwister Scholl (Weisse Rose), die ihren Einsatz gegen die Nazis mit dem Leben bezahlt haben
- Martin Luther King mit dem Kampf gegen die Apartheid: „i have e dream“
- Jean Zieglers Engagement gegen den Welthunger (http://www.zeit.de/2011/01/DOS-Ziegler)
- Bruno Mansers Einsatz für die Laki Penan auf Borneo (http://www.brunomanser-derfilm.ch/p/film_de.htm)
- Carla del Pontes unerschrockene Recherchen für die Aufdeckung von Kriegsverbrechen,
- Emilie Lieberherrs Kampf fürs Frauenstimmrecht in der Schweiz
Das sind Personen, mit denen die Brisanz von prophetischer Rede im Grossen gezeigt werden kann.
Und wie ist es im Kleinen, in der aktuellen Erlebniswelt von 12 – 16jährigen?
Die Befindlichkeiten Jeremias thematisieren v.a. die Opferperspektive
- Mutlosigkeit / Alleinsein (Ermutigung durch den erblühenden Mandelzweig – wunderschönes Bild!!)
- Ich werde ausgelacht – Ich will nicht mehr... (Anti-Mobbing-Regeln)
Bild: http://de.wikipedia.org/wiki/Mandel (17.12.12)
- Ich will Rache (Rachegedichte)
- Hört mich denn keiner? (Hilfsangebote)
Mögliche unterrichtliche Abfolge:
. Einblick geben ins Engagement von Bruno Manser als Parallele zur prophetischen Berufung Jeremias (AB 2)
od. via Interview in die Denkweise von Jean Ziegler http://www.zeit.de/2011/01/DOS-Ziegler (27.11.2012)
. Mit Hilfe der Texte (AB 1) die Befindlichkeiten Jeremias thematisieren v.a. die Opferperspektive
. In Analogie dazu Mobbing-Situationen aus dem Erlebnisbereich der Jugendlichen besprechen und die AntiMobbing-Regeln verbinden mit eigenen „Regel-Verstössen“ – z.B. vielsagende Blicke .... (AB 3)
. Rachegedichte schreiben, um die unguten Gefühle in Worte fassen zu können (Beispiele s. AB 4 – nur 1.Seite?)
. Hilfsangebote kennen lernen – für andere, für sich selber (AB 5 - gleicher Text wie AB 7 beim Gleichnis
vom Verlorenen Sohn, resp. vom Liebenden Vater)
. Gebet von Sabine Naegeli (AB 6)
2
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 52
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich wag’s trotzdem» Jeremia
Das Leben leben
AB 1 Text
B Konfliktfähigkeit –
gewinnen und verlieren
Jeremia div.Texte „Ich wag’s trotzdem“ AB1
Jeremia – ein Prophet wird gemobbt
diverse Textstellen
(gemäss den Unterrichtsbausteinen von Angelika Schlögl*, teilweise ergänzt mit Textvarianten aus der Bibel in gerechter Sprache. Gütersloh 2006)
Ich trau mich nicht
1, 6-8 Jeremia sagte: "Ach Gott, du göttliche Macht! Ich kann doch nicht reden, ich bin noch so jung!"
Doch Gott antwortete: "Sag nicht: Ich bin so jung! Geh dorthin, wohin ich dich schicken werde. Sage
dort, was ich dir auftrage! Hab keine Angst vor den Menschen, denn ich bin bei dir. Ich schütze dich
und helfe dir!
1, 12 So wie dieser Mandelzweig erwacht, wache ich über meinem Wort, um es auszuführen und also auch
über dein Leben."
Ihr seid schrecklich
Im Auftrag Gottes spricht Jeremia: "Ihr müsst euer Leben und Tun gründlich ändern! Geht gerecht
miteinander um! Nützt Fremde, Waisenkinder und Schwache nicht aus! Vergiesst das Blut unschuldiger Menschen nicht!
Lauft den fremden Göttern nicht nach, sie bringen euch ins Unglück! Seht doch ein, dass ihr euch
selbst betrügt! Ihr stehlt und mordet, brecht die Ehe, schwört Meineide. Ändert euch - denn nur so
könnt ihr hier wohnen bleiben, in dem Land, das ich euren Eltern gegeben habe."
7, 5-9a
Ich bin allein
Jeremia wendet sich an Gott: "Ich kann nicht mit anderen Leuten fröhlich zusammen sein und mit
ihnen lachen. Denn du hast deine Hand auf mich gelegt und mich einsam gemacht. Dein Zorn über
dieses Volk hat von mir Besitz ergriffen. Immer wieder zwingst du mich ihnen die Wahrheit zu sagen
...
//16,2 Du sagst zu mir: 'Du sollst dir keine Frau nehmen und weder Söhne noch Töchter bekommen!' Noch
nicht einmal in einer eigenen Familie kann ich Trost finden. Warum nimmt mein Leiden kein Ende?"
//15,17
Ich will Rache
Jeremia wendet sich an Gott: "Zugrunde gehen sollen alle, die mich verfolgen, aber nicht ich! Ihnen
soll der Schrecken in die Glieder fahren – aber nicht mir! Bring den Unglückstag über sie und gib
ihnen die volle Strafe, so wie sie es verdienen!"
17,18
Ich werde ausgelacht
20, 7 Jeremia wendet sich an Gott: "Du hast mich verführt, Gott, - und ich habe mich verführen lassen. Du
hast mich gepackt und überwältigt. Nun spotten sie immerzu über mich, alle lachen mich aus."
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Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich wag’s trotzdem» Jeremia
Ich will nicht mehr
20, 9
(Jeremia denkt nach: Er hat alles versucht, um den Menschen Gottes Wort nahe zu bringen. Doch sie wollen
nicht auf ihn hören.)
"Wenn ich zu mir sage: 'Ich will nicht mehr an Gott denken. Ich will nicht mehr in seinem Auftrag reden', dann brennt dein Wort, Gott, in meinem Herzen wie Feuer. Ich nehme meine ganze Kraft zusammen, um es zurückzuhalten – aber ich kann es nicht."
In der Falle?
Jeremia klagt: "Viele höre ich über mich tuscheln, sie nennen mich: "Schrecken überall". Die einen
fordern: "Verklagt ihn!" Die anderen sagen: "Ja, wir wollen ihn anzeigen!" Sogar meine besten Freunde warten darauf, dass ich mir eine Blösse gebe, einen Fehler mache. "Vielleicht bringen wir ihn dazu,
dass er etwas Unvorsichtiges sagt", flüstern sie, "dann können wir uns an ihm rächen!"
20, 10
In Gefahr I
Als Jeremia zu Ende geredet hatte, packten sie ihn und schrien: "Dafür musst du sterben."
Die Priester und Propheten erhoben vor dem ganzen Volk Anklage gegen Jeremia und sagten:
"Dieser Mann hat den Tod verdient, denn er hat sich angemasst, als Prophet gegen unsere Stadt zu reden. Ihr habt es doch mit eigenen Ohren gehört!"
26, 8
26, 11
In Gefahr II
Da führten sie Jeremia zur Zisterne* [...], die sich im Wachhof befand. Man liess ihn an Stricken hinunter. In der Zisterne war kein Wasser, sondern Schlamm, und Jeremia sank im Schlamm ein.
Klgl. 3, "Sie haben mir nachgestellt, wie einem Vogel, obwohl ich niemandem Anlass gab, mein Feind zu
52-54 sein. Sie haben mich lebend in die Grube gestürzt und einen Stein auf die Öffnung gewälzt. Das Wasser steigt mir bis zum Hals. Meine letzte Stunde hat geschlagen, jetzt ist alles aus."
38, 6
*Zisterne: Befestigte Grube, in der Wasser gesammelt wurde
Mir glaubt ja doch keiner
18, 18 Da gibt es Leute, die sagen: "Los, wir müssen etwas gegen Jeremia unternehmen! Er lügt! ... Wir drehen ihm einen Strick aus seinen eigenen Worten, um ihn zu verleumden. Abgesehen davon hören wir
weiterhin nicht auf das, was er sagt!"
Hört mich denn keiner?
Klgl. 3,"Ich kann um Hilfe schreien, soviel ich will – mein Ruf dringt nicht durch bis an sein Ohr. Gott hat mir
8f.
den Weg mit Steinen versperrt, so dass ich ständig in die Irre gehe."
Hoffnung?
Gott spricht: "Ich weiss, wohl, was ich für Gedanken über euch habe. Gedanken des Friedens und
nicht des Unglücks; ich will euch Zukunft und Hoffnung schenken."
29, 11
*http://www.rpz-heilsbronn.de/fileadmin/user_upload/daten/arbeitsbereiche/schularten/realwirtschaftsschule/7/jeremiastationen.pdf
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 2 54
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich wag’s trotzdem» Jeremia
Das Leben leben
B Konfliktfähigkeit –
AB 2 Protest von Bruno
Manser
gewinnen und
verlieren
Jeremia div.Texte „Ich wag’s trotzdem“ AB2
Als Beispiel ‚prophetischer Berufung’
Einblick geben ins Engagement von Bruno Manser anhand einiger Filmausschnitte (v.a. Protestaktionen unter Lebensgefahr)
http://www.brunomanser-derfilm.ch/ (30. 12. 2013)
./. Was mich beeindruckt:
./. Was ich Bruno Manser gerne fragen möchte:
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Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich wag’s trotzdem» Jeremia
Das Leben leben
B Konfliktfähigkeit – gewinnen u. verlieren
AB 3 Anti-Mobbing-Regeln
Jeremia div.Texte „Ich wag’s trotzdem“
Antimobbing-Regeln
AB 3
Was tun gegen Ausgrenzungsmechanismen, resp.Mobbing?
Es ist gut zu wissen:
1. „Mobber werden nicht als Mobber geboren!“
2. „Mobber müssen erleben, dass ihr Verhalten nicht geduldet wird!“
3. Allen muss klar werden, dass jede und jeder in der Klasse Verantwortung hat. Wir wissen:
Mobbing kann nur stattfinden, wenn die andern mitmachen oder wegschauen.
Gegen Mobbing gibt es kein Patentrezept. Aber:
Es gibt Regeln, die hilfreich sind:
1. In unserer Klasse wird grundsätzlich nicht gemobbt.
2. Nicht hinterm Rücken sprechen.
3. Keine Verleumdungen, keine Gerüchte und Lügen erzählen.
4. Keine Schimpfwörter und Spitznamen.
5. Nicht lächerlich machen.
6. Keine vielsagenden Blicke.
7. Nicht nachäffen.
8. Nicht ignorieren.
9. Nicht nicht ausreden lassen.
10. Keine demütigenden Rituale.
Was kann das Opfer tun?
- Hilfe suchen, sich anvertrauen.
- Vorkommisse aufschreiben (evt. Tagebuch).
- Freizeit und Hobbys nicht vernachlässigen.
Was können KlassenkameradInnen tun?
- Nicht mitmachen - nicht mitlachen.
- Vorbildfunktion: Nachfragen, konfrontieren.
- KlassenlehrerIn, Schulleitung informieren.
- Konstruktive Konfliktlösungen einüben, StreitschlichterInnen einsetzen.
Miteinbeziehen von Elternrat/Elternmitarbeit.
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Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich wag’s trotzdem» Jeremia
Das Leben leben
B Konfliktfähigkeit –
AB 4 Beispiele vongewinnen
Rachegedichten
und verlieren
Jeremia div.Texte „Ich wag’s trotzdem“ AB4
(Beispiele von Rachegedichten Lebenskundeklasse 2011)
Beispiele von Rachegedichten
(aus einer Quarta-Lebenskundeklasse in Biel 2011)
Rache,
unbarmherzig und bittersüss
die wirst du bekommen..
Rache,
für den Spott und das Leid,
das Gelächter und all deine Lügen...
Rache, die du nie vergisst...
Rache, die wie ein Albtraum ist...
Rache!
Aus dem Fenster blicke ich.
An Vergangenes denke ich.
Für kurze Zeit denk ich an dich.
Vor Enttäuschung weine ich.
Aus dem Fenster blicke ich.
An Vergangenes denke ich.
Als ich dann wieder denk an dich,
da weiss ich, was ich will:
Rache. Alles in mir schreit danach.
Rache, für deine falsche Tat.
Rache, für mich süss und schön.
Doch dir wird das Lachen bald vergehn.
Wie gut, dass ich das denken kann,
und - handeln, sag, wann - will ich’s wann?
Vielleicht kann ich es doch noch lassen,
dafür den Groll in Worte fassen.
Ich schreib dir alle meine Phantasie.
Doch diesen Brief erhältst du nie!
Ich freu mich schon, werd ihn zerreissen
und voller Wut ins Feuer schmeissen.
Dann sieh, - bin ich ein Stücklein weiter
und langsam werd ich wieder heiter.
Bin stark und auch ein bisschen weise
und habe Mut zur Weiterreise.
Amanda Adjei
(mit 3 Schlussstrophen von A. Rüegger)
Wir wollten dich glücklich sehen,
in guten und schlechten Zeiten mit dir gehen.
Wir wären alle für dich da gewesen.
Doch du hast keinen Ausweg mehr gesehen.
Deine Kinder, deine Familie zerstört.
Deshalb hoff ich, du hast davon gehört.
Obwohl es uns zerreisst und die Kraft nimmt,
will ich, dass es dir nicht gelingt
es zu verdrängen,
sondern dass du auch musst leiden und weinen.
Sila Oehler
Ich sagte dir, du sollst aufhören,
doch du tatest es nicht.
Ich überlegte, wie kann ich dich stören,
dass du das gleiche fühlst, wie ich.
Doch hat es einen Sinn zurück zu geben?
Bin ich dann nicht auch so, wie du?
Ist es nicht an der Zeit zu reden?
So hätten wir beide Ruh.
Laura Quadri 08. 04. 11
Zum Gränne nah,
zum Schreie nah,
zum Usflippe nah...
s’git soviu bösi Sache da.
Doch es git au schöni,
söttigi, wo mi ufheitere,
bevor i no ganz scheitere.
Sache, wo mir häufe, ufrächt blibe z’stah,
so dass i mi richtig Wäg cha ga.
Tanja 28. 04. 11
„Süss ist die Rache“ –
doch wie n’e Bumerang.
Chuum chasch du lache,
chunnt si scho ume, Mann.
Jessie Cox
1 Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 57
Das Leben leben
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich wag’s trotzdem» Jeremia
B Konfliktfähigkeit –
gewinnen und verlieren
Jeremia div.Texte „Ich wag’s trotzdem“ AB4
(Beispiele von Rachegedichten Lebenskundeklasse 2011)
Melanie Leiser
(mit 2 Schlussstrophen von A. Rüegger)
Wir haben uns immer gut verstanden,
du warst immer höflich zu mir.
Wenn aber deine Kollegen dabei waren,
ja dann konntest du richtig arrogant und fies sein.
Du hast mir unschöne Worte wie Sumo-Ringer gesagt,
Worte, die mich zutiefst verletzten.
Doch ich habe dir immer wieder verziehen,
habe dich sogar beschützt und meinen Kopf
hingehalten.
Immer und immer wieder hast du mich verletzt,
hast mich gedemütigt.
Ich steckte es immer ein und verzieh dir.
Ich konnte mich nicht rächen an dir,
ich brachte es nicht über das Herz.
Doch als du dann angefangen hast, meine Freunde und
meine Familie miteinzubeziehen,
war der Spass zu Ende.
Denn wenn es um wichtige Personen in meinem Leben
geht, die auch noch schlecht gemacht werden,
dann, ja dann sehe ich ROT.
Ich war zutiefst verletzt von dir, dass du mir so etwas
antun kannst.
Doch nicht nur das.
Es erschreckt mich immer noch wie sich ein Mensch
verändern kann, wenn er unter falschen Kontakt gerät.
Rächen, ja rächen kann ich mich bis heute nicht an dir.
Ich schaue dich nur noch mit vernichtenden Blicken an.
Und bis heute frage ich mich: Was habe ich dir getan,
dass du mir und meinen Freunden und meiner Familie
so etwas antun konntest.
Willst du dich gross machen auf Kosten von andern,
vielleicht weil jemand dich klein gemacht hat?
Bist du einer, der es selber nicht merkt, wo die Grenzen
sind zwischen Humor und Verachtung?
Verstecke ich darum meine Rache, weil du die deine
verbirgst - oder es vielleicht gern möchtest, nur gelingt
es dir nicht?
Ich wollte, du könntest sie hören, meine Fragen.
Ich wollte, du liessest dir etwas sagen.
Ich wollte, du kämest einen grossen Schritt weiter, dann
würde dein Herz ohne Kränkung von andern heiter.
Mir geht es schlecht,
und dir gut.
Ich weine,
und du lachst.
Ich bin dumm,
und du schlau.
Ich bin alleine,
und du hast Freunde.
Bei mir regnet es immer,
und bei dir scheint die Sonne.
Meine Welt ist kalt und finster,
dein warm und hell.
Warum ist das Leben so ungerecht?
Mir geht es schlecht,
aber dir nicht...
Ich bin traurig, Tag für Tag,
aber du nicht...
Ich weine jede Nacht wegen dir,
aber du nicht...
Jeder schenkt mir seine Liebe,
aber du nicht...
Jetzt sollst du leiden,
aber nicht ich...
Ich will dich nicht mehr sehn,
einfach nur noch gehn!
Es kommt mir vor wie Ewigkeiten,
viel zu wenig gemeinsame Zeiten...
Keine Lust mehr mit dir zu sprechen,
meine Gefühle nur noch zerbrechen!
Es soll dir schlecht ergehen,
dich nur noch mit Schmerz versehen!
Rache will ich sehn,
darum werd ich jetzt gehn.
Melanie Marolf
2 Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 58
B Konfliktfähigkeit –
gewinnen und verlieren
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich wag’s trotzdem» Jeremia
Jeremia div.Texte „Ich wag’s trotzdem“ AB4
(Beispiele von Rachegedichten Lebenskundeklasse 2011)
Im Schulzimmer herrscht Tumult
Shania bemalt Davids Pult.
David bewaffnet mit Schere
kommt Shanias Haar in die Quere.
Lehrerin urteilt nach dem Los
Klasse wird sofort respektlos.
David wirft mit dem Pausenbrot
vor Wut wird die Lehrerin rot.
Schuldirektor wird erniedrigt
Eltern werden benachrichtigt.
Auf dem Schulgehöft inzwischen
kämpfen die Klassen verbissen.
Verwandte werden einbezogen
ihre Kleinen zu versorgen.
Am Laufen ist ein Bürgerkrieg,
der nicht endet mit einem Sieg.
Sich ausbreitet im Kontinent
und wird zum Krieg auf der ganzen Welt.
Alles Shania und David wegen,
deren Wut sich nicht konnte legen.
Hätten sie sich entschuldigt
wäre alles erledigt.
Svenja Scheidegger
Du warst ein Engel in menschlicher Gestalt.
Bei deinem Anblick wurde mir heiss und kalt.
Meine Gefühle hatte ich kaum unter Kontrolle,
und ich schlüpfte sofort in eine andere Rolle.
Denn ich wollte die Einzige sein, die dir gefällt.
Und die, die du in deinen Armen hältst.
Ja, am Schluss war ich genau die.
Ich weiss nicht wieso, aber ich war sie.
Doch irgendwann merkte ich, dass etwas nicht mehr
stimmt.
Dass deine Hand, die meine nicht mehr nimmt.
Ich spürte, wie es mich immer mehr verletzte
und vielleicht war das der Grund, weshalb ich ein Ende
setzte.
Ich sass in einem tiefen Loch,
doch aus einem Grund atmete ich noch.
Vielleicht war es die Hoffnung, die mich aufrecht hielt,
und sich unnötig, immer wieder, in meinen Kopf stielt...
Einen Tag ohne an dich zu denken, gab es keinen,
so dass ich Zeit hatte, um ich zu weinen.
Wenn wir uns dann trotzdem begegnen,
sträubt sich mein ganzer Körper dagegen.
Das einzige, was ich will, ist, dich leiden zu sehen.
Du sollst mit nackten Füssen durch Scherben gehen.
Nicht mal dann kannst du etwas von Schmerzen wissen:
denn du hast mein Herz entzwei gerissen!
Doch nun ist dies alles endlich vorbei.
Ich kann dich sehen und fühle keinen Hass dabei.
Denn meine Rache tat ich, ohne es wirklich gewusst zu
haben,
„Ich liebe dich noch immer und wollte es auch schon
früher sagen...“
- „Zu spät,“ denke ich und schaue auf den Brief hinab.
„Aber nun ist es ein Anderer, den ich mag.“
3 Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 59
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich wag’s trotzdem» Jeremia
Das Leben leben
B Konfliktfähigkeit –
gewinnen und verlieren
Jeremia div.Texte „Ich wag’s trotzdem“ AB4
(Beispiele von Rachegedichten Lebenskundeklasse 2011)
Chantal Buchser
Komm lass uns reden, die Sache bereinigen,
ich bin fast sicher, wir können uns einigen.
Vielleicht braucht’s halt ein bisschen Zeit.
Bis morgen, denk ich, bin ich bereit.
Felix Vögeli (mit 2 Schlussstrophen von A. Rüegger)
Rache ist süss – aber kein sonniges Gemüt
und trotzdem hat sich jeder schon mal darum bemüht.
Auch wenn sie nur war klein und fein,
musste es trotzdem ‚Rache’ sein.
Für manche bedeutet Rache Verlust,
das ist dann des Andern grosser Verdruss.
Und wie entsteht sie, die Rache?
Ja, dass ich nicht lache:
Sie entsteht im Streit,
in der Uneinigkeit.
Und Rache führt zu Rachen.
Dann hat niemand mehr etwas zu lachen...
ja, manchmal schreiten sie so weit fort,
dass jemand gehen muss in den Tod.
Da sieht man doch: Rache ist Freund und Feind,
gedacht, vielleicht Freud; getan dann - viel Leid.
Sarah Mosimann
Rache ist süss:
Man nehme etwas Eifersucht,
eine Handvoll verletzten Stolz,
ein paar Gedanken,
die man mit süssen Träumen verschmolz.
Man schütte alles in einen grossen Topf,
dann wirbele man alles durcheinander.
Fertig ist die Rache – süss ist sie.
Aber dieses Rezept ist nicht nur fein,
der Nachgeschmack kann bitter sein.
Annina Grupp
In mir brodelt’s, in mir schäumt es
jetzt würd’ ich’s mit der ganzen Welt aufnehmen,
komme nur und sag’s noch einmal
das Lachen wird dir schon vergehen!
Doch wart, die Fäuste sind mir zu schade,
die Rache mit Fusstritten scheint mir zu fade.
Ich weiss, mich treibt die blanke Wut.
Ein Wort unter Männern, das wäre gut...
4 Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 60
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich wag’s trotzdem» Jeremia
Das Leben leben
B Konfliktfähigkeit – gewinnen u. verlieren
AB 5 Niederschwellige
Hilfsangebote
Jeremia div.Texte „Ich wag’s trotzdem“
Niederschwellige Hilfsangebote
AB 5
(gleich wie AB 7 beim Gleichnis vom Verlorenen Sohn)
Niederschwellige Hilfsangebote
und Hinweise für Situtationen, in denen es gut ist, zu wissen, dass man mit Problemen nicht allein ist und
nicht allein bleiben muss, sind auf der folgenden Internetseite zu finden:
http://www.suizid-prävention.ch/index2.htm
In der Rubrik „Informationen an Jugendliche“ z.B.:
Tel. Nr. 147 Diese Telefonnummer ist gratis und wird von Fachleuten betreut. Jugendliche haben oft
Probleme und reden mit niemandem darüber. Es ist wichtig, dass Ihr darüber sprecht, Euch beraten und helfen lasst. Zögert nicht diese Nummer bei Fragen oder Problemen anzurufen.
SOS per SMS deutsch 076 333 00 35
www. seelsorge.net Seelsorge per e-mail in div. Sprachen
Denke daran: Viele andere Jugendliche haben auch Probleme.
Wichtig ist, dass ihr darüber redet, damit man Euch helfen kann.
Das Leben ist eine Chance, nutze sie.
Das Leben ist schön, bewundere es.
Das Leben ist ein Traum, verwirkliche ihn.
Das Leben ist eine Herausforderung, nimm sie an.
Das Leben ist kostbar, geh sorgsam damit um.
Das Leben ist ein Reichtum, bewahre ihn.
Das Leben ist ein Rätsel, löse es.
Das Leben ist ein Lied, singe es.
Das Leben ist ein Abenteuer, wage es.
Das Leben ist Liebe, geniesse sie.
Mutter Teresa
Besprecht Eure Probleme, wenn’s geht mit den Eltern, mit einer Vertrauensperson (Lehrer oder Pfarrer
usw.), kontaktiert den Hausarzt, einen Psychologen oder Psychiater, lasst Euch bei der Lösung der Probleme
helfen.
Die Zeit der Pubertät
Die Zeit der Pubertät bringt oft auch Schwierigkeiten mit sich:
° Körperliche Veränderungen zum Erwachsenen
° Evtl. Probleme mit den Eltern, Geschwistern, etc.
° Evtl. aber auch in der Schule - sei dies mit Mitschülern, Lehrern, etc. in der Lehre, am Arbeitsort, usw.
° Ess-Störungen, sind ernst zu nehmen und sollten behandelt werden
° Evtl. auch Erfahrungen und Schwierigkeiten mit Freundschaften, Beziehungen, die nicht so verlaufen, wie
man es sich wünscht.
° Während der Pubertät können auch Suizidgedanken auftreten. Sprecht mit Euren Eltern, einer Vertrauensperson, dem Hausarzt, usw. darüber oder ruft die Nr. 147 an.
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 61
Das Leben leben Konfliktfähigkeit - gewinnen und verlieren«Ich wag’s trotzdem» Jeremia
Das Leben leben
B Konfliktfähigkeit – gewinnen u. verlieren
Jeremia div.Texte
„Ich wag’sNaegeli
trotzdem“
AB 6 Segensgebet
Sabine
Segensgebet von Sabine Naegeli AB 6
Um den Segen bitten
Nur der beschenkte kann ein schenkender Mensch sein,
nur der Getröstete - ein tröstender.
Nur der Gesegnete - ein segnender.
Und was hätte unsere Welt nötiger
Als schenkende, tröstende, segnende Menschen.
Herr, segne meine Augen,
dass sie Bedürftigkeit wahrnehmen,
dass sie Unscheinbares nicht übersehen,
dass sie Vordergründiges durchschauen,
dass andere sich wohl fühlen können unter meinem Blick.
Herr, segne meine Ohren,
dass sie deine Stimme vernehmen,
dass sie hellhörig sind für die Stimme der Not,
dass sie verschlossen sind für Lärm und Geschwätz,
dass sie das Unbequeme nicht überhören.
Herr, segne meinen Mund,
dass er dich bezeugt,
dass nichts von ihm ausgeht, was verletzt oder zerstört,
dass er heilende Worte spricht,
dass er Anvertrautes bewahrt.
Herr, segne meine Hände,
dass sie behutsam sind,
dass sie halten können, ohne zur Fessel zu werden,
dass sie geben können ohne Berechnung,
dass sie die Kraft haben zu trösten und zu segnen.
Herr, segne mein Herz,
dass dein Heiliger Geist darin wohnt,
dass es Wärme schenken und bergen kann,
dass es reich ist an Verzeihung,
dass es Leid und Freude teilen kann.
Lass mich dir verfügbar sein, mein Gott,
mit allem, was ich habe und bin.
Sabine Naegeli
http://downloads.bistummainz.de/19/1861/1/76870281468874170835.pdf (24. 11. 2012)
Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn 62

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