als PDF - Flüchtlingsrat Niedersachsen
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ISSN 1433-4488 H 43527 FLÜCHTLINGSRAT Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen Ausgabe 4|98 Heft 53/54 Juni 1998| : k s c a ü b r k u A z li d A n u t e r e m t l h Me al Fo m n Ei Wir trauern um Hasan AKDAG Über Pfingsten hat sich der 21jährige kurdische Flüchtling Hasan AKDAG in der Haftanstalt Lingen verbrannt. Er übergoß seine Füße mit Benzin, umwickelte seine Beine mit Plastiktüten, zog sich einen leicht entflammbaren Trainingsanzug über und zündete sich an. Hasan zog sich entsetzliche Verbrennungen zu. Er brannte in Sekunden, schrie vor Schmerzen und versuchte noch, sich mit Wasser zu löschen. Seine Mitgefangenen konnten ihm nicht helfen, da sich das Plastik in seine Haut einbrannte und nicht abgelöst werden konnte. Nach ihrer Aussage dauerte es 40 Minuten, bis Rettungskräfte die Tür zur Haftanstalt öffnen konnten. Hasan Akdag blieb bei Bewußtsein. Er weinte und verlangte nach Wasser, stammelte etwas von Abschiebung. Mit dem Rettungshubschrauber wurde er zur MHH nach Hannover verlegt, wo er gegen 20 Uhr starb. che Weise zu verstümmeln? Welche Gefahren drohten Hasan in der Türkei, wenn er die damit verbundenen Gefahren und Schmerzen einer Abschiebung vorzog? Der junge Kurde hinterläßt eine Frau und ein einjähriges Kind in Diyarbakir. Noch ist unklar, ob Hasan sich das Leben nehmen oder „nur“ die Füße verbrennen wollte, um auf diese Weise seine Abschiebung zu verhindern. Zwar hatte seine Rechtsanwältin ihm kurz zuvor die Ablehnung des Folgeantrag durch das Bundesamt mitgeteilt. Eine konkrete Abschiebungsgefahr bestand jedoch nicht vor September, da Hasan wegen Verstößen gegen das Ausländerrecht (illegale Einreise, unerlaubtes Verlassen des Landkreises) eine Ersatzfreiheitsstrafe (2 x 60 Tagessätze) absitzen mußte. Zusätzlich hatte die Ausländerbehörde Abschiebungshaft gegen ihn beantragt - für den Fall, daß Hasan die Geldbuße (2 x 600 DM) gezahlt hätte, wäre er also in Abschiebungshaft gelandet. Paradoxerweise schützte ihn die Strafhaft damit vor einer sofortigen Abschiebung. Natürlich hat niemand den Tod des Flüchtlings gewollt. Und wahrscheinlich haben wieder alle Beteiligten „nach Recht und Gesetz“ gehandelt. Nach Aussagen der Kripo sind die Ermittlungen abgeschlossen. Ein Fremdverschulden könne ausgeschlossen werden. Dennoch stellt sich uns die Frage nach der politischen Verantwortung für diesem Tod. Warum dauerte es 40 Minuten, bis die Rettungskräfte die Tür der Haftzelle öffnen konnten? In welcher Weise wurde der junge Kurde, der nur wenig deutsch sprach, in der Haftanstalt betreut? Vor allem aber: Warum befand sich Hasan überhaupt in Haft? Warum werden Flüchtlinge bei uns eingesperrt, nur weil sie den Landkreis verlassen haben oder „illegal“ (wie denn sonst?) eingereist sind? Was bedeutet Abscchiebehaft insbesondere für Menschen, die in ihrem Herkunftsland Folter und Mißhandlung befürchten? Wie vieler „außergewöhnlicher Einzelfälle“ bedarf es noch, bis Hat Hasan die Situation falsch eingeschätzt? Selbst wenn – wieviel Verzweifelung gehört dazu, sich auf diese schreckli- das nds. Innenministerium endlich einen Abschiebungsstopp für kurdische Flüchtlinge verhängt? Dem Kurden Mehmet Ali Akbas wurde die Verfolgung erst geglaubt, nachdem die Spuren der Folter nach seiner Abschiebung in die Türkei ärztlich nachgewiesen waren (s.S.70ff). Viele andere „Einzelfälle“ gelten den politisch Verantwortlichen bis heute als „nicht nachgewiesen“. Der türkische Menschenrechtsverein IHD hat uns kürzlich eine Liste von aus Deutschland ausgewiesenen Flüchtlingen übersandt, die in der Türkei nach der Abschiebung festgenommen und teilweise auch mißhandelt wurden. „Nicht nur der Staat, der foltert, sondern auch der Staat, der Flüchtlinge in Staaten abschiebt, in denen gefoltert wird, verstößt gegen die Menschenrechte“ (PRO ASYL-Sprecher Heiko Kauffmann). Der Tod des jungen Kurden muß Anlaß sein, die Kollaboration mit den türkischen Behörden endlich zu beenden und die bisherige Flüchtlingsvertreibungspolitik durch eine organisierte Rettungspolitik zu ersetzen. Beitrittserklärung/Abonnement ( ) Hiermit erkläre ich meinen Beitritt zum „Förderverein Niedersächsischer Flüchtlingsrat e.V.“ Die Satzung habe ich zur Kenntnis genommen und erkenne sie an. Das Abonnement des Flüchtlingsrat-Rundbriefs ist in dem Vereinsbeitrag enthalten. ...Mindestbeitrag: 10,- DM pro Monat für Einzelpersonen und Initiativgruppen und Organisationen, für Erwerbslose: 5.- DM ( ) Hiermit abonniere ich den Flüchtlingsrat-Rundbrief zum Preis von 120,- DM pro Jahr Name ....................................................................... Straße ............................................................................................... Plz/ Ort .................................................................... Tel .......................................................... Fax ................................. Datum/Unterschrift .................................................. Organisation ...................................................................................... Ich möchte meinen Beitrag wie folgt begleichen: ( ) auf Rechnung ( ) durch Einzugsermächtigung: Ich/Wir ermächtige/n Sie - bis auf Widerruf - , den Mitgliedsbeitrag in Höhe von ( ) jährlich ( ) 1/2-jährig ( ) 1/4-jährig .............. DM von meinen Konto Nr. ................................................... abzubuchen Geldinstitut ................................................................................................................................ BLZ .................................. Datum/Unterschrift ................................................................................................................................................................. Bitte einsenden an: Förderverein Niedersächsischer Flüchtlingsrat e.V. - Lessingstr.1 - 31135 Hildesheim Kontonummer 8402-306 beim Postgiroamt Hannover BLZ 25010030 IMPRESSUM Titel: FLÜCHTLINGSRAT Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen Ausgabe: 4/98 - Heft 53/54 Juni 1998 Herausgeber, Verleger Redaktionsanschrift: Förderverein Niedersächsischer Flüchtlingsrat e.V. Lessingstr.1 31135 Hildesheim Tel: 05121-15605 Fax: 05121-31609 [email protected] Verantwortlich und ViSdP: George Hartwig c/o Geschäftsstelle Druck: Druckerei Lühmann Bockenem 1-3 Tausend, Juni 1998 Erscheinungsweise: 8 Hefte im Jahr auch als Doppelnummer Bezugspreis: Jahres-Abonnement incl. Versandkosten 120 DM (im Mitgliedsbeitrag enthalten) ISSN 1433-4488 © Förderverein Nds. Flüchtlingsrat e.V. Alle Rechte vorbehalten Manuskripte: Wir freuen uns über Manuskripte und Zuschriften Für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos und Materialien wird jedoch keine Haftung übernommen. Im Falle des Abdrucks kann die Redaktion kürzen. Manuskripte sollten als Datei (Diskette oder email) geliefert werden. Wir arbeiten mit MS WORD bis 7.0. Namentlich gezeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers und der Redaktion wieder. Anzeigen: Die aktuelle Preisliste kann von der Redaktion erfragt werden. Anzeigen bitte als Datei liefern Titelbild: Mehmet Ali Akbas mit einem Schreiben des deutschen Konsulats in Athen. Foto: Özgür Politika, 22.5.1998 INHALT >STELLENAUSSCHREIBUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .111 >Kann denn Hilfe strafbar sein? (RA Dr. Holger Hoffmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .5 >Strafbarkeit von Zufluchtgewährung und -vermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .10 Flüchtlingsarbeit: Die Karawane zieht weiter (Red.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .12 Kein Mensch ist illegal (Protokoll Göttingen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .12 Duie Karawane - eine Bestandsaufnahme (ARAB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .13 Niedersachsen Biallas, MdL (CDU) wird Mitglied der Ausländerkommission . . . . . . . . . . . . . . . .15 Aufruf zur Beteiligung am Aufbau einer Antidiskriminierungsstelle . . . . . . . . . . .57 Länderberichte Frankreich: Sans-Papiers: Chronik einer ausländerfeindlichen Woche . . . . . . . . . .16 Kongo: AZADHO trotzt Behörden (Jean-Rene Kwaka Mbangu) . . . . . . . . . . . . . .97 Österreich: Menschenjagd - neues Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .99 Holland: Unanständige Behandlung von Asylsuchenden (Henri Kho) . . . . . . . . .100 Grundrecht auf Asyl Kanthers willige Vollstrecker (George Hartwig) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .4 Bleiberecht für alle Flüchtlinge (morgengrauen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .18 “Wir brauchen Zuwanderer” MinPräs Gerd Schröder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .34 Bürgerkriegsflüchtlinge Nds. Flüchtlingsrat gegen Abschiebung nach Kosova . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .55 Bayr. Flüchtlingsrat: Kosovo-AlbanerInnen nach Holland? . . . . . . . . . . . . . . . . . .56 Ne zam (Heide Mahlke) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .58 S/H Flüchtlingsrat: Reisebericht (Uwe Tschanter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .59 Keine Ausbildung für Sanel Alic (Wilfried Buck) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .68 Ehe und Familie Bekämpfung von “Scheinehen” (Bettina Stang) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .42 Frauen Rassismus und Sexismus (Bettina Stang) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .44 Vergewaltigung in Polizeihaft (M.Merlin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .45 Zur Situation von Frauen in Osteuropa (H. Hellbernd) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .47 Schutz bosnischer Frauen (AWO Osnabrück) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .68 Rassismus und Sozialabbau Alltäglicher Rassismus (Kai Weber) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .9 Zwangsarbeit und Internierung (George Hartwig) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .20 Kürzen von Hilfen für Flüchtlinge gerügt (F.Forudastan) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .22 Gutscheine in Hannover? (Red.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .36 Nienburger Jugendarbeiter gegen Gutscheine (Daust/Klemm) . . . . . . . . . . . . . . .36 Umtauschaktion in Lüchow-Dannenberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .37 PE Bündnis90/Die Grünen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .37 Asylcard: Gegendarstellung Prof.Dr. Klönne/Stellungnahme PRO ASYL . . . . . . . . .38 Kurdenverfolgung Mehmet Ali Akbas un die deutsche Einzelfalltheorie (Claudia Gayer) . . . . . . . . . .70 Mit deutschem Ticket in den türkischen Folterkeller (T.Avenarius) . . . . . . . . . . . .72 Breiefwechsel Hirsch, MdB und Glogowski, Minister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .74 Keine Konsequenzen aus dem Fall Akbas (Nds. MI) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .75 Gutachten zur Gefährdung abgeschobener (S.Kaya) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .76 Kölner Flüchtlingsrat: Stellungnahme zur Gefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .80 Türkische Lager für Kurden in der Türkei (EU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .114 Deportation Metin Ograk in Osnabrück . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .86 Aktuelle Informationen (PRO ASYL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .89 Das neue nds. Abschiebekonzept in Blankenburg (Claus Melter) . . . . . . . . . . . . .92 Abschiebung nach Vietnam (Nds. Flüchtlingsrat PE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .93 10 Nigerianern droht die Abschiebung (Ingrid Lange) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .96 Statistik und Asyl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .98 kein mensch ist illegal Gratishilfe für Flüchtlinge ohne Bleiberecht (Ärztekammer) . . . . . . . . . . . . . . . . .35 “Ich bin illegal” (Flugblatt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .84 “Wir tauchen auf” kmii . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .85 Aktionen Aufruf zur Demo in Zittau am 6.7.98 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .19 Aufruf zu FrauenLesbenAktionstagen am 30.6.98 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .54 SERVICE Zwei neue Medienpakete ausleihbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .113 Veranstaltungen Herbsttagung des Flüchtlingsrats zum politischen Widerstand . . . . . . . . . . . . .112 Dokumentation Bundestagsdebatte AsylbLG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .23 Nds. SPD LT-Fraktion antwortet PRO ASYL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .32 Stellungnahme AG der Landesflüchtlingsverwaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .33 IMK-Bericht zu Problemen bei der Rückführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .94 Europ. Beobachtungsstelle für Rassismus und Auslfeindlichkeit . . . . . . . . . . . . .102 Hinweise zum Ausl- und Asylrecht (Nds. MI) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .103 Abschiebestoppregelungen für Kurden (Nds. MI) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .106 Gerichtsentscheidungen (zusammengestellt von Kai Weber) . . . . . . . . . . . . . . .107 Seminare und Materialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .115 ASYLPOLITIK “Kanthers willige Vollstrecker” Juristische Verfolgung von Bürgersinn George Hartwig “Die (...) Verwaltung vollstreckt die Gesetze selbst dann, wenn sie weiß, daß ihre Maßnahmen Hunger, Folter, Vergewaltigung oder Tod zur Folge haben kann. (...) Die Vertreibung von Flüchtlingen geht das Sozialamt (...) systematisch an: “Prüfung § 120 BSHG”. Das Sozialamt geht davon aus, daß jede und jeder deshalb nach Deutschland kommt, um Sozialhilfe zu zocken. (...) Pure Menschenverachtung ist die Grundlage, auf der der deutsche Flüchtlingsverwaltungsapparat seine gesetzlichen und verwaltungsrechtlichen Maßnahmen aufbaut. Seit der Wiedervereinigung sind mehr Menschen (beim Versuch nach Deutschland zu gelangen) an der deutschen Ostgrenze gestorben als während der Zeit der DDR an der innerdeutschen Grenze. Der deutsche Rechtsstaat erschießt Flüchtlinge nur selten, er läßt sie in den Grenzflüssen ertrinken, er läßt sie sich selbstmorden in den Abschiebeknästen und Polizeiwachen, er läßt sie aus Angst vor der Ungewißheit krank und depressiv werden, er schikaniert sie und schüchtert sie ein. Selbstverständlich auf rechtlicher Grundlage und juristisch selten anfechtbar. Der Tod wird billigend in Kauf genommen.” 4 Der nebenstehende Text aus einem Flugblatt wird von der Staatsanwaltschaft Bochum in einer Anklageschrift (33 Js 220/97) zitiert mit dem Zusatz: “Vergehen, strafbar gem. §§ 185, 187, 194, 52, 53 StGB”, was heißen soll, daß der Autor jemand anderen beleidigt, wider besseres Wissen in Beziehung auf einen anderen eine unwahre Tatsache behauptet und verbreitet haben soll, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist. Die Assoziation zum GoldhagenTitel, insbesondere die Nennung einer beliebig austauschbaren Ministerial-Charaktermaske, stellt sich als ausgezeichnetes publizistisches Mittel heraus, die offensichtlichen Übereinstimmungen und die ebenso offensichtlichen Unterschiede zu zeigen. Der beanstandete Flugblatt-Text wird wohl von allen, die mit der flüchtlingspolitischen Arbeit Erfahrung haben, als Beschreibung von Wirklichkeit wieder erkannt werden. Ebenso Realität ist, daß “Kanthers willige Vollstrecker” - so die Überschrift des Flugblatts - trotz ihrer Arbeit dennoch anständig geblieben sein wollen und zunehmend gereizter mit Strafanzeigen um sich schlagen. Auch der Flüchtlingsrat hat satte Erfahrung mit Strafanzeigen, die samt und sonders - zulasten der Steuerzahler - erfolglos für die Staatsvertreter ausgingen. Da glaubt ein Verwaltungsbeamter, daß ihn der Staat, dem er so loyal wie brutal gegen Flüchtlinge dient, vor öffentlicher Kritik zu schützen habe; da soll ein Richter, dessen folgenschwere Entscheidungen in Kurdenfällen mittlerweile international bekannt sind, gegen vermeintliche Injurien in Schutz genommen werden; da wollen Ministerialbürokraten nichts über Partei- und Regierungsfilz zum Abzocken von Flüchtlings-Geldern in der Zeitung lesen, usw. usw. Diese im Einzelfall durchaus lächerlich wirkende besondere Ehrenschutz-Erwartung von Staatsvertretern stellt für die Flüchtlingsarbeit eine nicht uner- hebliche Bedrohung dar: die Verfahren sind unkalkulierbar, die Kosten schnellen von Runde zu Runde in Höhen, die normale bürgerliche Existenzen unversehens ans Ende bringen. Menschenrechte stehen dem Obrigkeitsstaat seit jeher im Wege, Flüchtlinge werden staatlicherseits immer politisch definiert: bezahlte Fluchthelfer bekommen das Bundesverdienstkreuz, wenn es sich um “gute” Flüchtlinge aus der SBZ handelte, Menschenrechts- und Kirchenvertreter werden kriminalisiert und mit Haft und Geldstrafe bedroht, wenn es sich um “schlechte” Flüchtlinge handelt, die in diesem Rechtsstaat Schutz suchen. Aufrechter Gang und selbständiges Denken war den Obrigkeiten seit jeher verhaßt. Vor über 150 Jahren hat der König von Hannover (der, dem sein “treues Volk” das Pferdedenkmal vor den Hauptbahnhof gestellt hat) den Hannoverschen Stadtdirektor entlassen, aus Wut darüber, daß der Magistrat von der Krone öffentlich die Einhaltung der Verfassungsrechte einforderte. Mitten im Hannoverschen Regierungsviertel glänzt seit diesem Jahr das neue Denkmal der “Göttinger Sieben”, die mit dem gleichen König ähnliche Erfahrungen gemacht hatten. Es ist bezeichnend, daß dieses Denkmal mitten in der heftigsten Phase einer neuerlichen Reaktion per Staatsakt errichtet wird: so wie die Sozialdemokratische Partei die Sozialistenverfolgung vergessen hat, so hat dieser bürgerliche Staat die Erkämpfung der Bürger- und Menschenrechte als eigene Grundlage vergessen. Das Firmenschild wechselt, der Geist bleibt. Die derzeitige rechtlich/politische Situation für die Flüchtlingsarbeit wollen wir mit den folgenden Texten beschreiben. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 ASYLPOLITIK I. Kann denn Hilfe strafbar sein? dies besorgt gefragt von Flüchtlingshelfer/in provoziert die typische Juristenantwort: es kommt darauf an. Aber worauf? Um ein Bild zu versuchen: Hält sich ein(e) Ausländer/in ohne rechtlichen Status in Deutschland auf und wird staatlicherseits mit Abschiebung bedroht, ist es dem/der Helfer/in rechtlich verboten, den handelnden staatlichen Organen in den Arm zu fallen. Ebensowenig brauchen sie ihnen allerdings die Hand zu reichen. Wie diese Konstellation in der Rechtsordnung ausgeformt ist, soll im folgenden Text näher erläutert werden. Vorab und zur Beruhigung jedoch zunächst: wie hoch ist das Risiko, bestraft zu werden? Im Rahmen der Vorbereitung habe ich die einschlägigen juristischen Fachzeitschriften für den Zeitraum seit 1990, d.h. seit Inkrafttreten des jetzt geltenden Ausländergesetzes auf obergerichtliche Entscheidungen zum Themenkreis durchgesehen. Publiziert war eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 12.06.1990 (5 Str 614/89 -NJW 1990, 2207). Sie ist noch zum früher geltenden Ausländergesetz von 1965 ergangen und behandelte die Frage, ob sich ein Wohnungseigentümer strafbar macht, wenn er einer Ausländerin, die sich illegal in Deutschland aufhält, eine Wohnung zur Verfügung stellt, damit sie darin der Prostitution nachgehen kann (§ 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG von 1965). Der Bundesgerichtshof bestätige die Auffassung der unteren Gerichte, daß diese Art der Unterstützung als Beihilfe strafbar sei. Weiter wurde ein Urteil des OLG Frankfurt publiziert (NStZ 1993, S. 394 -Urteil vom 31.03.1993 -2 Ss 65/93). Dem lag der Sachverhalt zugrunde, daß der Angeklagte jenes Verfahrens auf Bitten eines ausländischen Staatsangehörigen, welcher seine Abschiebung befürchtete, ein Scheinehe zwischen ihm und einer deutschen Staatsangehörigen vermittelte. Dabei war allen Beteiligten bewußt, daß die Ehe- schließung bezweckte, für den Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Eine eheliche Lebensgemeinschaft sollte nicht begründet werden. Hierfür zahlte der Ausländer an den Angeklagten DM 15.000,00. Die Ehe wurde geschlossen und die Aufenthaltsgenehmigung erteilt. Der Angeklagte wurde wegen Beihilfe zu § 47 Abs. 1 Nr. 6 AuslG von 1965 verurteilt. Nach dieser Bestimmung machte sich ein Ausländer strafbar, wenn er zur Begründung seines Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unrichtigerweise angab, mit einem deutschen Ehepartner die Ehe geschlossen zu haben, obgleich die Partner keine eheliche Lebensgemeinschaft beabsichtigten, sondern dem Ausländer nur zu einem sonst ausgeschlossenen Aufenthalt verholfen werden sollte. Auch diese Verurteilung erfolgte noch nach altem Recht. Allerdings stellte das OLG Frankfurt fest, daß auch das neue Ausländergesetz in § 92 Abs. 1 Nr. 7 einen vergleichbaren Straftatbestand enthält und daher eine entsprechende Handlungsweise auch nach dem neuen Recht strafbar ist. Ferner werden gelegentlich Entscheidungen publiziert, in denen die Strafbarkeit des „Einschleusens“ von Ausländern nach Deutschland strafrechtlich gewürdigt wird. Im Rahmen meiner weiteren Erörterungen werde ich mich jedoch mit diesem Bereich nicht befassen, da ich davon ausgehe, daß das illegale Einschleusen von Ausländern nach Deutschland keinen typischen Arbeitsbereich von Flüchtlingshelfern ausmacht. Am 15.08.1997 berichtete die „Frankfurter Rundschau“ über die Verurteilung zweier Taxifahrer durch das Amtsgericht Zittau zu Freiheitsstrafen ohne Bewährung wegen des Tatvorwurfs Ausländer, die zuvor illegal nach Deutschland eingereist waren, innerhalb Deutschlands „ins Landesinnere (vom Zittauer Marktplatz zum Bahnhof Bautzen) gefahren zu haben. Das Gericht soll das Urteil damit begründet haben, daß es den Taxifahrern „verdächtig“ gewesen sein müsse, Kann denn Hilfe strafbar sein? Hilfen für statuslose Flüchtlinge im Rahmen sozialer Arbeit zwischen Strafrecht und humanitärer Verpflichtung Dr. Holger Hoffmann* ausländische Fahrgäste ohne Gepäck zu befördern. Das Gericht ging davon aus, daß die Taxifahrer im Auftrag von namentlich nicht bekannten Mittätern gehandelt hätten. Das Urteil soll noch nicht rechtskräftig sein. Gelegentlich wird in der Presse berichtet, daß strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen Pfarrer, Kirchenvorstandsmitglieder oder aktive Gemeindemitglieder, die Kirchenasyl gewähren, von den zuständigen Staatsanwaltschaften eingeleitet wurden. In der Frankfurter Rundschau vom 10.03.1997 wurde berichtet, daß es 1996 zu mehr als 20 Vermittlungsverfahren gegen Pfarrer gekommen sei. Es wurde jedoch nicht mitgeteilt, ob diese Ermittlungsverfahren einstellt worden sind oder ob sie zu strafrechtlichen Verurteilungen eines oder mehrerer der Pfarrer geführt haben. *) Dr. Hoffmann ist Rechtsanwalt. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Lambertus Verlag aus: Caritas Korrespondenz, Heft 3, März 1998 (Der vorstehende Text wurde als Vortrag gehalten anläßlich der Tagung „Illegalisierte Flüchtlinge“ der Karl-von-Ossietzky-Universität, Oldenburg, in Haus Stapelfeld am 19.06.1997- Die Vortragsform wurde beibehalten, der Text allerdings geringfügig aktualisiert) Anschrift des Verfassers: Dr. Holger Hoffmann, Ostertorsteinweg 31/33, 28203 Bremen 5 ASYLPOLITIK Bisher wird man davon ausgehen können, daß das Risiko, wegen einer Hilfeleistung für Flüchtlinge, die sich illegal in Deutschland aufhalten, bestraft zu werden, zur Zeit noch eher gering ist. Angesichts der steigenden Zahl von illegalen Flüchtlingen, die sich weiterhin in Deutschland aufhalten, fällt es allerdings schwer, zu prognostizieren, ob dies auch zukünftig so bleiben wird. II. 1. Um sich dem Problemkreis im Rahmen einer juristischen Betrachtung zu nähern, ist es erforderlich, zunächst drei Grundbegriffe zu erörtern: Hilfeleistung, Täterschaft und Teilnahme. Als Hilfeleistung kommt beispielsweise in Betracht: Beschaffen von Beförderungsmöglichkeiten, Unterkünften, Informationen über Grenzübertrittsmöglichkeiten, Zusammenführen mit anderen Personen, die sich des illegalen Flüchtlings annehmen, Verstecken oder Beschäftigen des Ausländers, Übersetzerdienste zum Verdecken von Illegalität (Senge in Erbs/Kohlhaas, strafrechtliche Nebengesetze, 5. Aufl., Stand 01.07.1995, § 92 AuslG Rdnr. 16). Ferner unterscheidet das Strafgesetzbuch (und dementsprechend auch das Ausländerrecht) zwischen eigener Täterschaft, d.h. eigener Verwirklichung eines Straftatbestandes und der Teilnahme an einer strafbaren Handlung eines anderen. Diese Teilnahmehandlungen, um die es im wesentlichen in dem uns interessierenden Sachbereich gehen, werden differenziert in Beihilfe (§ 27 StGB) und Anstiftung (§ 26 StGB). Beihilfe ist die dem Täter vorsätzlich geleistete, für die Begehung einer rechtswidrigen Tat kausale Hilfe. Der Gehilfe muß das Zustandekommen der Haupttat, welche er fördert, wollen. Beihilfe ist dabei jede Handlung, die geeignet ist, die Haupttat zu fördern. Sie kann auch nach Beginn der Tat noch geleistet werden, also z.B. dann, wenn der illegale Aufenthalt bereits begonnen hat 6 und nun durch praktische (physische) oder psychische Beihilfe (etwa: Zusage von Unterbringungsmöglichkeiten) verlängert wird. Entscheidend ist, daß der Entschluß des illegalisierten Ausländers bestärkt wird, sich weiterhin unerlaubt in Deutschland aufzuhalten. Der Gehilfe muß vorsätzlich handeln, um eine Straftat des Haupttäters zu fördern. Dabei reicht es aus, wenn er aus Solidarität mit dem Ausländer handelt. Anstiftung bedeutet, vorsätzlich einen anderen zu dessen (eigener) vorsätzlicher Tat zu veranlassen. Der Anstifter ist verantwortlich, soweit er die Haupttat gewollt hat. Seine Strafe richtet sich nach dem für die Haupttat geltenden Gesetz. Er wird auch dann als Anstifter wie ein Täter bestraft, wenn der Angestiftete die Tat nur versucht. 2. Diese in abstrakter Form beschriebenen Grundbegriffe tauchen in den strafrechtlichen Tatbeständen, die bei der Hilfe für illegalisierte Flüchtlinge relevant werden können, in verschiedener Form immer wieder auf. Als wichtige Strafvorschriften zu benennen sind hier insbesondere die Tatbestände der Begünstigung (§ 257 StGB), Strafvereitelung (§ 258 StGB) sowie Taten gemäß § 92 ff AuslG und § 84 ff AsylVfG. a) Eine Begünstigung begeht, wer einem anderen, der selbst eine rechtswidrige Tat bereits begangen hat (nachträglich), Hilfe leistet in der Absicht, dem Täter die Vorteile der Tat zu sichern. Erforderlich ist beispielsweise eine Hilfeleistung, die eine bereits erlangte Aufenthaltsmöglichkeit absichert. Eine Begünstigung kann nur vorsätzlich begangen werden. Es genügt, daß die Hilfeleistung erbracht wird in der Absicht, den Vorteil aus der Vortat zu sichern, wenn dies möglicherweise auch im Ergebnis nicht gelingt und z.B. die Abschiebung dann doch erfolgt. Begünstigende Falschaussagen sind strafbar, auch eine falsche Angabe vor der Polizei, von der Sache nichts zu wissen. Besonders problematisch in jüngster Zeit war die Gewährung von Kirchenasyl. Im Verstecken eines Ausländers, der illegal sich in Deutschland aufhält, in Kirchenasyl kann eine Begünstigung oder Strafvereitelung liegen. Insoweit ist bei kirchlich organisierten Flüchtlingshelfern/innen die besondere Stellung von Caritas und Diakonie gemäß der Weimarer Reichsverfassung zu beachten: gemäß Art. 137 Abs. 3 WRV i.V.m. Art. 140 GG ordnet und verwaltet jede Religionsgemeinschaft ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des Gesetzes. Hierzu gehören auch die Strafgesetze. Die Hilfe für Ausländer gehört nach dem kirchlichen Selbstverständnis zu den eigenen Angelegenheiten der Religionsgemeinschaft. Die für die Beratung von Ausländern zuständigen kirchlichen Stellen können sich daher auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gemäß Art. 137 Abs. 3 WRV berufen. b) Strafvereitelung (§ 258 StGB) begeht, wer absichtlich oder wissentlich ganz oder zum Teil vereitelt, daß ein anderer dem Strafgesetz gemäß wegen einer rechtswidrigen Tat bestraft wird. Der Versuch ist strafbar. Wegen Strafvereitelung wird nicht bestraft, wer durch die Tat zugleich ganz oder zum Teil vereiteln will, daß er selbst bestraft wird (§ 258 Abs. 5 StGB). Straffrei ist auch, wer die Tat zugunsten eines Angehörigen begeht (§ 258 Abs. 6 StGB). Für unseren Sachbereich kommt insbesondere eine Strafvereitelung i.V.m. § 92 AuslG oder § 85 AsylVfG in Betracht, d.h. nach illegaler Einreise, bei illegalem Aufenthalt oder bei anderen Straftaten nach den genannten Vorschriften. Der Täter muß in der Absicht handeln, eine Strafverfolgung oder Vollstreckung zu vereiteln (z.B. durch falsche Angaben gegenüber den Strafverfolgungsbehörden, Behinderung von Polizeibeamten bei der Verfolgung, Verbergen eines Verfolgten, Ge- FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 ASYLPOLITIK währung von Unterkunft, Fluchthilfe durch Aushändigen gefälschter Ausweispapiere oder Geld). c) Letztlich muß bezüglich beider Tatbestände von einer Wechselwirkung ausgegangen werden, die unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips und einer Güterablehnung im Einzelfall zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann (vgl. auch Gerhard Robbers: Wann Sozialarbeit mit Ausländern ohne legalen Aufenthaltsstatus strafbar sein kann Beihefte Caritas 1995, S. 41, hier 46). Hierzu einige Beispiele: Ärztliche Hilfe bei einem geflohenen, verletzten oder kranken Ausländer ist keine Strafvereitelung. Wer einem Flüchtigen erste Hilfe leistet, indem er ihn versorgt oder zum Arzt bringt, macht sich ebenfalls nicht wegen Strafvereitelung strafbar. Die Abgabe von Essen und Kleidung an einen polizeilich gesuchten Ausländer in kirchlichem Rahmen ist regelmäßig keine unzulässige Unterstützung. Ein Flüchtlingshelfer wird jedoch nicht dazu raten dürfen, um ein Wiedererkennen zu vermeiden, etwa Haarschnitt, Barttracht o.ä. des Flüchtlings zu verändern. Unzulässig wäre es wohl auch, Flugkarten, Ausweise oder Fahrzeuge zu beschaffen, um die Flucht vor der Polizei zu ermöglichen. In der strafrechtlichen Rechtsprechung bezüglich Straftätern allgemein (nicht spezifisch auf Flüchtlinge bezogen) ist umstritten, ob die Beherbergung eines flüchtigen Straftäters strafbar ist. Ganz überwiegend wird die Auffassung vertreten, daß insoweit keine Strafbarkeit besteht, falls sich die Tätigkeit in der Gewährung von Obdach erschöpft, ohne daß die Flucht weiter gefördert wird. Strafvereitelung läge allerdings vor, wenn die Unterkunft als Versteck gerade aus Solidarität mit dem Täter zur Verfügung gestellt wird (OLG Stuttgart -NJW 81, S. 1569). Die bloße Unterkunftsgewährung ohne „Solidarisierung“ ist nicht strafbar. Andernfalls würde man ein Gebot zur aktiven Mitwirkung bei der behördlichen Fahndung konstruieren. Dies ist jedoch der deutschen Strafrechtsordnung unbekannt. Kirchenasyl kann als Beihilfehandlung im Sinne psychischer Unterstützung interpretiert werden. Ist es allerdings gerade darauf gerichtet, die Legalisierung des Aufenthaltes zu erreichen, zielt es eben nicht auf die Förderung der Haupttat „unerlaubter Aufenthalt“. Vielmehr soll diese Straftat gerade beendet werden durch das Kirchenasyl. Daher ist nach meiner Auffassung das Handeln eines Helfers, der einem Flüchtling bei dem Kirchenasyl Unterstützung gewährt, jedenfalls dann nicht als vorsätzlich anzusehen, wenn dies nicht „heimlich“ geschieht, sondern offen (auch gegenüber der Ausländerbehörde) in der Absicht unternommen wird, nur ein vorläufiges Bleiberecht zu sichern, bis über einen Asylfolgeantrag erneut entschieden wird oder Mängel früherer Verfahren nochmals überprüft werden konnten. Diskutiert wird die Strafbarkeit insbesondere bei Kirchenasyl unter dem Aspekt der „Sozialadäquanz“ des Handelns: Ist ein bestimmtes Verhalten als sozialadäquat anzusehen, ist bereits der strafrechtliche Tatbestand ausgeschlossen. Umstritten ist jedoch, ob die Gewährung von Kirchenasyl bereits als sozialadäquates Handeln gesellschaftlich allgemein akzeptiert ist. Im Bereich des Kirchenasyls ist eine Anstiftungshandlung in der Weise vorstellbar, daß ein Ausländer, der grundsätzlich ausreisewillig ist, durch ein Inaussichtstellen von Kirchenasyl motiviert wird, einen längeren unerlaubten Aufenthalt in Deutschland zu erhalten. Ferner wäre es eine Anstiftungshandlung, dazu zu raten, eine Aufenthaltsgenehmigung durch falsche Angaben zu erschleichen oder von einer derart erschlichenen Genehmigung Gebrauch zu machen (z.B. durch falsche Identitätsangaben). 3.) a) Im Rahmen des Ausländergesetzes sind die §§ 92 und 92 a zu beachten. Nach diesen Vorschriften kann sich als Gehilfe strafbar machen, wer einen Aufenthalt ohne Paß oder Ausweisersatz ermöglicht, wer zu unerlaubter Einreise verhilft oder zu einer Wiedereinreise nach erfolgter Abschiebung (§ 92 Abs. 2 AuslG), oder wer bei der Beschaffung gefälschter Urkunden (Aufenthaltsgenehmigung) mithilft. Bringt ein Flüchtlingshelfer einen Ausländer über die Grenze ins Ausland, weil der Ausländer sich bereits zuvor wegen illegalen Aufenthaltes in Deutschland strafbar gemacht hat, hängt die Strafbarkeit des Helfers vom Schutzzweck des § 258 StGB ab: geschütztes Rechtsgut ist die staatliche Rechtspflege. Ihr wird der Auftrag zugerechnet, den staatlichen Strafanspruch sobald wie möglich zu verwirklichen (Generalprävention). Entzieht der Helfer dadurch, daß er den Ausländer über die Grenze bringt, diesen der deutschen Strafverfolgung, macht er sich selbst strafbar, auch wenn die strafbare Tat (illegaler Aufenthalt) durch die Handlung beendet wird. Zu beachten ist, daß nach der herrschenden Meinung in der älteren Rechtsprechung nicht jede Handlung, die zu einer Verzögerung von Strafverfolgung führt, bereits Strafvereitelung darstellt. Gefordert wird in der Rechtsprechung vielmehr, daß die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs „für geraume Zeit“ verhindert wird. Eine Verzögerung für einen Zeitraum von sechs bis acht Tagen hat jedenfalls in der älteren Rechtsprechung den Tatbestand der Strafvereitelung nicht erfüllt. b) Die Formulierung in § 92 a AuslG „dafür einen Vermögensvorteil erhält oder sich versprechen läßt“ meint nicht die Entlohnung eines angestellten Flüchtlingshelfers. Das Gehalt wird nicht für die Teilnahme an der Straftat gezahlt. 7 ASYLPOLITIK Gemeint ist vielmehr ein besonderer Vermögensvorteil im Sinne eines „gewerbsmäßigen“ Handelns“. Ferner ist in § 92 a AuslG zu beachten, daß das Tatbestandmerkmal eines Handels „zugunsten von mehr als fünf Ausländern“ bereits erfüllt ist, wenn eine mittelgroße Familie unterstützt wird. Eine weitere Besonderheit des § 92 a AuslG liegt darin, daß bereits der Versuch einer Straftat in diesem Bereich selbst strafbar ist (§ 92 a Abs. 3 AuslG). Damit begründet das Ausländergesetz eine Strafverschärfung, da im allgemeinen Strafrecht versuchte Beihilfe oder Anstiftung nicht strafbar ist. Eine versuchte Straftat in diesem Sinne könnte vorliegen, wenn der Helfer noch versucht, eine Unterkunftsmöglichkeit zu beschaffen, um den Ausländer dem Zugriff der Polizei zu entziehen und der Ausländer während dessen bereits verhaftet wird. c) Bei Verleitung zur mißbräuchlichen Asylantragstellung gemäß § 84, § 84 a AslyVfG besteht die gleiche tatbestandliche Struktur wie bei § 92 a AuslG: Als Hilfeleisten kommt in Betracht die Vorbereitung oder die Beschaffung falscher Behauptungen, Beweismittel oder Unterlagen oder die Zusicherung späterer Hilfen für den Fall eines Mißerfolgs im Asylverfahren. Dabei kann auch das Abfassung von Schriftsätzen eine Unterstützungshandlung zur mißbräuchlichen Asylantragstellung darstellen. Es kommt nicht darauf an, daß das Ziel einer asylrechtlichen Anerkennung erreicht wird. Die unzutreffenden Angaben brauchen auch nicht dazu geeignet zu sein. Es ist auch unerheblich, ob dem Betroffenen auch aus anderen Gründen ein Asylrecht zusteht. Auch wer uneigennützig oder aus Mitleid oder aufgrund humanitären Pflichtbewußtseins handelt, kann sich strafbar machen. Erforderlich ist allerdings vorsätzliches Handeln. Dabei muß der 8 Vorsatz Kenntnis von der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben umfassen und es muß die Absicht vorliegen, die Asyloder Flüchtlingsanerkennung zu bezwecken. Bereits der Versuch eines Verleitens zur Antragstellung oder eines Unterstützens ist strafbar. Nicht entscheidend ist, ob der Täter dann später im Verfahren die ihm angesonnene Täuschungshandlung auch tatsächlich begeht. d) Wer sich nach § 92 a oder § 92 b AuslG strafbar macht, haftet gemäß § 82 Abs. 4 S. 2 AuslG auch für die Kosten der Abschiebung oder Zurückschiebung des Ausländers, und zwar sogar vor dem Ausländer selbst. D.h. die Pflicht, die Kosten der Abschiebung zu tragen, trifft den Flüchtlingshelfer/die Flüchtlingshelferin persönlich. Sie kann auch nicht beispielsweise auf den Arbeitgeber oder die Hilfsorganisation „abgewälzt“ werden. 4.) Auskunftsverweigerungsrechte und Auskunftspflichten bestehen gegenüber Polizei und Strafverfolgungsbehörden in eingeschränktem Umfang. Gemäß § 55 StPO kann jeder Zeuge (d.h. auch ein Flüchtlingshelfer) die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihn selbst in die Gefahr bringen würde, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden. Andererseits kann, wenn eine Polizei- oder Strafverfolgungsbehörde Ermittlungen zum Aufenthalt eines gesuchten Ausländers anstellt, die Verweigerung von Auskünften tatbestandsmäßig eine Strafvereitelung gemäß § 258 StGB sein. Zur Aussage verpflichtet ist man allerdings nicht bereits vor der Polizei, sondern erst vor dem Richter oder dem Staatsanwalt (§ 163 a Abs. 2 StPO). Die Falschaussage vor einem Richter ist nach § 153 StGB strafbar. Flüchtlingsberater gehören auch dann, wenn sie professionell z.B. als Sozialarbeiter tätig sind, nicht zum geschützten Personenkreis des § 53 StPO, d.h. sie können nicht wie etwa Ärzte, Pfarrer oder Rechtsanwälte Zeugnisverweigerungsrechte aus beruflichen Gründen geltend machen. 5.) Letztlich sei noch ein Hinweis auf § 8 Rechtsberatungsgesetz angefügt: Ordnungswidrig handelt, wer fremde Rechtsangelegenheiten „geschäftsmäßig“ besorgt, ohne die erforderliche Erlaubnis zu besitzen (§ 8 Ziff. 1 Rechtsberatungsgesetz). Dies gilt beispielsweise für den Fall, daß von einem Flüchtlingshelfer häufiger Klagen formuliert und bei Gericht eingereicht oder Widersprüche an Behörden gerichtet werden. Das regelmäßige Aufsetzen von Klageschriften, Anträgen auf vorläufigen Rechtsschutz oder Widersprüchen mit Begründungen erfüllt den Tatbestand, sofern erkennbar ist, daß stets die gleiche Person die entsprechenden Schriftstücke ausgefertigt hat. Problematisch ist in diesen Fällen regelmäßig, ob die Beratung „geschäftsmäßig“ erfolgt. Hiermit ist allerdings nicht gemeint, daß für die Beratung oder die Tätigkeit Geld gezahlt wird. Entscheidend ist vielmehr, daß die Tätigkeit in „professioneller Weise“ häufiger ausgeführt wird. III. Als Ergebnis der vorstehenden Erörterungen bleibt festzuhalten, daß Hilfen auch für Ausländer, die statuslos oder „ohne Papiere“ oder „illegalisiert“ sich in Deutschland aufhalten, zulässig sind. Flüchtlingshelfer -sollten sich bewußt sein, daß ein Risiko besteht, sich strafbar zu machen insbesondere dann, wenn staatliche Verfolgungsbehörden (Polizei, Ausländerbehörde, Staatsanwalt) absichtlich getäuscht oder in ihrer Arbeit behindert werden. In anderer Konstellation mag zwar der strafrechtliche Tatbestand (insbesondere Begünstigung oder Strafvereitelung) erfüllt sein. Letztlich wird jedoch in jedem Einzelfall unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu entscheiden sein, ob das Verhalten auch rechtswidrig und FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 ASYLPOLITIK schuldhaft war. Aufgrund des bisher vorliegenden empirischen Materials erscheint es nicht angezeigt, aus Furcht vor Bestrafung Handlungen, die man aus ethischen Gründen für erforderlich hält, um Flüchtlinge zu schützen, zu unterlassen. Zwar besteht das Risiko, sich strafbar zu machen, dem Grunde nach. Bisher sind jedoch die „Filter“ von Staatsanwaltschaft und Gericht in aller Regel so geartet gewesen, daß es nicht zu strafrechtlichen Verurteilungen im wesentlichen Umfang gekommen ist. Zur vertiefenden Lektüre sei auf folgende Publikationen hingewiesen: Pollern, Hans-Ingo: Das spezielle Strafrecht für Ausländer, Asylbewerber und EU-Ausländer im Ausländergesetz, Asylverfahrensgesetz und EWG-Aufenthaltsgesetz Zeitschrift für Ausländerrecht 1996, S. 175 ff. Robbers, Gerhard: Wann Sozialarbeit mit Ausländern ohne legalen Aufenthaltsstatus strafbar sein kann -Beihefte in der Zeitschrift für Caritasarbeit und Caritaswis- senschaft -November 1995, S. 41 ff (dort auch viele realitätsnahe Beispiele aus der Praxis) Flüchtlingsrat Niedersachsen Rundbrief 31/32 - Sonderheft: Heimliche Menschen - illegalisierte Flüchtlinge (1996) Lange, Matthias: illegalisierte Flüchtlinge -Bürgerrechte für Schutzlose? In: Flüchtlingsrat Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 42/43 Mai/Juni 1997, S. 4 ff Alltäglicher Rassismus Kai Weber Als “Eilsache” verfolgt das Polizeikommissariat Alfeld gegenwärtig die Freveltat eines kurdischen Flüchtlings, der sich nach getaner Arbeit als Reinigungskraft für Bushaltestellen ohne die für Ausländer in diesem Land angemessene Körperhaltung (Beine sittsam übereinandergeschlagen, Kopf gesenkt) auf einem der Sitze ausruhte. Der Tatvorwurf lautet auf “Belästigung der Allgemeinheit durch das Abstellen der Füße auf einer Bank” ( § 118 Ordnungswidrigkeitengesetz). Dem Bericht des Polizeikommmissars Gerhardts über die Aufklärung des Verbrechens vom 7.5.1998 läßt sich der folgende Tathergang entnehmen: “POM Dietterle und ich befuhren am 07.05.98 gegen 11.30 Uhr mit einem zivilen Funkstreifenwagen die Untere Dorfstraße in Petze. In Höhe einer Bushaltestelle wurde ich auf eine Person aufmerksam, die mit Reinigungsarbeiten im Bereich der Wartehalle beschäftigt war. Ich fuhr in geringer Geschwindigkeit an dem Wartehaus vorbei. Auf gleicher Höhe erkannten wir zwei weitere Personen, die sich in dem Wartehaus aufhielten. (...) Die zweite Person ... saß auf der Wartebank, wobei er auf der Lehne saß und seine Füße auf die Sitzfläche gestellt hatte. Ich hielt den Streifenwagen sofort an. ... Die Person, die auf der Bank saß, forderte ich auf, die Füße von der Sitzfläche zu nehmen. Da durch diese Art des Benutzens einer Bank die Sitzfläche verschmutzt wurde, forderte ich den ... auf, die Bank zu reinigen. Dieses tat er widerwillig. Da es sich ... offensichtlich um Ausländer handelte und die Personen Ordnungswidrigkeiten begangen hatten, wollte ich die Personalien feststellen, insbesondere auch in Hinblick auf die Feststellung des ausländerrechtlichen Status. ... Die Person ... verweigerte die Personalienangabe. Er wurde zum Zwecke der Identitätsfeststellung zur Gemeindeverwaltung Sibbesse, Ordnungsamt, verbracht. Hier konnten die Personalien festgestellt werden. Ich eröffnete dem ..., daß ich gegen sie eine Ordnungswidrigkeitenanzeige wegen Personalienverweigerung und Belästigung der Allgemeinheit fertigen werde. Dem ... bot ich für sein Fehlverhalten, Belästigung der Allgemeinheit durch das Abstellen von verschmutzten Schuhen auf einer Banksitzfläche, ein Verwarngeld von 40,— DM an. Dieses Verwarngeld konnte er nicht bezahlen.” Es ist beeindruckend, mit welcher Konsequenz Polizeikommissar Gerhardts dem Rechtsbrecher hier nicht nur die Toleranzgrenzen des demokratischen Rechtsstaats aufzeigt, sondern auch der Untat die Sühne folgen läßt. Die Strafe folgt auf dem Fuße! So lernt der Kurde, wenn auch widerwillig, wie man richtig sauber macht, und darf für diese Lehrstunde in gutem Benehmen auch gleich bezahlen. Den Verdienst von 20-stündiger Zwangsarbeit als Reinigungskraft von Bushaltestellen (2,- DM Aufwandsentschädigung) wird er schon abdrücken müssen, ob es ihm paßt oder nicht. Das wird ihm hoffentlich eine Lehre sein... 9 ASYLPOLITIK Strafbarkeit von Zufluchtgewährung und Zufluchtvermittlung Keine Panik* § 92 Strafvorschriften (AuslG) (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. entgegen § 3 Abs. 1 Satz 1 sich ohne Aufenthaltsgenehmigung im Bundesgebiet aufhält und keine Duldung nach § 55 Abs. 1 besitzt, 2. (...) Zunächst: keine Panik! In der Praxis hatten die folgenden Darstellungen bislang eher geringe Relevanz. Das “Standarddelikt”: §§ 92 AuslG, 27 oder 26 StGB Wenn ihr Illegalen Zuflucht gewährt, macht ihr euch in jedem Fall aufgrund der Beteiligung an einem Verstoß gegen die Strafvorschriften des Ausländergesetzes (AuslG) gemäß § 92 Abs. 1 Nr.1 AuslG i.Vm. §§ 26 oder 27 StGB strafbar. Konkret müssen hierfür 3 Voraussetzungen erfüllt sein: 1 Die/der MigrantIn muß “illegal” sein. D.h. er/sie muß sich gemäß § 92 *) Dieser Text lag beim Göttinger Arbeitstreffen von kmii als Faltblatt vor auch: http://www.contrast.org/borders 10 Abs. 1 Nr.1 AuslG strafbar machen. Dort heißt es: Illegal bedeutet demnach: * Es fehlt an einer der in § 5 AuslG aufgezählten Aufenthaltsgenehmigungen (Aufenthalts-erlaubnis, -berechtigung, -bewilligung, -be-fugnis). Unerheblich ist, ob ein Anspruch auf eine Aufenthaltsgenehmigung besteht. § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG ist dagegen nicht einschlägig, wenn das Visum oder die Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen ist, aber die Ausländerbehörde noch über eine Erteilung oder Verlängerung entscheidet (§ 69 Abs. 3 AuslG). * Es fehlt an einem Anspruch auf Aufenthaltsgestattung als Asylbewerber (§ 55 AsylVfG). Es fehlt an einer Duldung (§ 55 Abs. 1 AuslG), d.h. an einem Abschiebungshindernis. 2 Ihr müßt dazu Hilfe leisten. EinE DeutscheR kann sich nach § 92 AuslG nicht selbst, sondern nur in Form der Beihilfe (§ 27 StGB) oder der Anstiftung (§ 26 StGB) strafbar machen. § 27 Beihilfe (StGB) (1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem Anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidrigen Tat Hilfe geleistet hat. (2) (...) Durch das Beherbergen von Illegalen ist das geforderte Hilfeleisten auf jeden Fall gegeben. Es reicht aber auch die Vermittlung einer Unterkunft u.ä. mehr Beispiele?? 1 Ihr müßt hinsichtlich 1 & 2 Vorsatz haben. Strafbar macht sich nur, wer von der Illegalität der Migrantin/ des Migranten weiß und trotzdem wissentlich und willentlich Zuflucht gewährt. Vorsatz ist möglicherweise dort ausgeschlossen, wo Zuflucht mit dem Ziel der Legalisierung des Aufenthalts gewährt wird. Strafe: Der angegebene Strafrahmen (bis zu 1 Jahr oder Geldstrafe) ist beim Gehilfen/ bei der Gehilfin zu mildern auf höchstens 9 Monate Freiheitsstrafe oder Geldstrafe (§§ 27 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. 49 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Andere Verstöße und verschärfte Strafen gemäß §§ 92 AuslG, 27 StGB * Auch aufgrund der anderen in § 92 Abs. 1 Nr. 2-7 AuslG aufgeführten Tatbestände ist eine Strafbarkeit als GehilfIn (oder AnstifterIn) entsprechend der obigen Voraussetzungen möglich (v.a. Beihilfe zur unerlaubten Einreise, §§ 92 Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. 58 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 AuslG, § 27 StGB). Der Strafrahmen bleibt derselbe. * Beherbergt ihr eineN Illegalen, der/die zuvor ausgewiesen oder abgeschoben worden ist (siehe § 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG), oder helft einen solchen Menschen bei der erneuten Einreise, erhöht sich die Strafandrohung auf maximal 2 Jahre, 3 Monate Freiheitsstrafe oder Geldstrafe (§ 92 Abs. 2 Nr. 1 a) bzw. b) AuslG, §§ 27 i.Vm. 49 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Die sog. “Schlepperparagraphen”: § 258 Strafvereitelung (1) Wer absichtlich oder wissentlich ganz oder zum Teil vereitelt, daß ein anderer dem Strafgesetz gemäß wegen einer rechtswidrigen Tat bestraft oder einer Maßnahme (§ 11 Abs. 1 Nr.8) unterworfen wird, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) [...] (6) [...] § 92a AuslG Mit dem sog. “Verbrechungsbekämpfungsgesetz” von 1994 sind die §§ 92a und 92b in das Ausländergesetz eingefügt worden. Sie sollen gegen den in der Öffentlichkeit und der politischen Debatte entwickelten Verbrechertypus des “Schleppers” vorgehen. Dieses können auch Menschen, wie du und ich sein. § 92 a Einschleusen von Ausländern (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einen anderen zu einer der in § 92 Abs. 1 Nr.1, 2 oder 6 oder Abs. 2 bezeichneten Handlungen anstiftet oder ihm dazu Hilfe leistet und 1. [...] 2. wiederholt oder zugunsten von [mehr als fünf] Ausländern handelt. (2) Mit Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 10 Jahren wird be- FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 ASYLPOLITIK straft, wer in den Fällen des Absatzes 1 1. [...] 2. als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, handelt. Die erhöhte Strafandrohung in Absatz 1 greift also ein, wenn das obige “Standarddelikt” zum zweiten Mal (“wiederholt”) begangen wird. Dabei muß das erste Mal nicht verfolgt worden sein. Anstelle “mehr als fünf” wird nach der kommenden Ausländergesetzänderung “mehreren” stehen, sodaß die Zufluchtsgewährung oder -vermittlung zugunsten von 2 Ausländern (z.B. Mutter mit Kind) für das erhöhte Strafmaß in Zukunft ausreicht. Eine Bande im Sinne des Absatzes 2 ist eine auf ausdrücklicher oder stillschweigender Vereinbarung beruhende und für eine gewisse Dauer vorgesehene Verbindung einer Mehrzahl von Personen (2 reichen). Geld, sowie andere praktische Hilfen und Tips. ...nicht: Erste-Hilfe-leisten, ärztliche Hilfe, regelmäßige Abgabe von Essen und Kleidung durch Kirchen. Es wird vertreten, daß Kirchenasyl als sozialadäquates Verhalten nicht unter § 258 StGB fällt. Eine Begünstigung, § 257 StGB, kann nicht begehen, wer an der Haupttat (hier: dem illegalen Aufenthalt) beteiligt ist. Strafvereitelung und Begünstigung, § 258, 257 StGB Neben der Strafbarkeit nach einem der vorgenannten Tatbestände, kommt v.a. die Strafvereitelung, §§ 258 StGB i.V.m. 92 AuslG in Betracht: Zur Vereitelung gehören... ... die Unterkunftgewährung zugunsten von StraftäterInnen (hier: Illegalisierten) jedenfalls dann, wenn dieses “aus Solidarität” geschieht. Ausgenommen ist allerdings wohl (a) das (Kirchen-)Asyl mit dem Ziel der Legalisierung des Aufenthalts, (b) eine geringe Verzögerung der Ausreise um etwa 6-8 Tage. ... falsche Angaben gegenüber Strafverfolgunsbehörden (Polizei etc.) und deren Behinderung. ... Auskunftsverweigerung vor dem Richter oder Staatsanwalt, soweit mensch sich durch die Auskunft nicht selbst belasten würde (§ 55 StPO). Arzt, Pfarrerin, RechtsanwältInnen haben Zeugnisverweigerungsrecht (§ 53 StPO). ...Fluchthilfe durch Aushändigen gefälschter Ausweispapiere oder 11 ASYLPOLITIK Die Karawane zieht weiter? Gedanken zur Zukunft der Flüchtlingsarbeit in Niedersachsen Das vergangene Jahr, die vergangenen Monate haben die politischen Rahmenbedingungen für den Flüchtlingsrat Niedersachsen nachhaltig verändert. In der offiziellen Landespolitik stehen in Folge der Landtagswahl alle Signale auf rot: Die Ausländerkommission hat die SPD gegen die interessierte und engagierte Hannoversche Abgeordnete Leuschner mit dem Abgeordneten Bachmann - zugleich Bezirksgeschäftsführer der AWO besetzen lassen, dessen bislang erkennbare Qualifikation dafür wohl zuvörderst in seiner Braunschweiger Herkunft liegt. Konsequenterweise ist selbst die Diskussion der über die Auslän- Kein Mensch ist illegal Bundestreffen vom 16.-18.1.98 in Göttingen Protokollnotizen aus der Mailingliste der Kampagne Protokoll zur AG: Inhaltliche Diskussion (Strategien etc.) Anwesend waren VertreterInnen aus Köln, Hamburg, Bochum, Bremen, Berlin, Frankfurt, Karlsruhe, Bielefeld, Hanau, Kassel, Oldenburg, Göttingen. Die AG stand von vornherein im Zeichen einer Debatte, die im 2.Rundbrief nachzulesen ist. Die Berliner ARI kritisierte im wesentlichen das Fehlen politischer Forderungen im Aufruf und der “Kampagne”, was diese z.B. vereinnehmbar mache. Hierauf reagierten verschiedene Gruppen aus anderen Städten. Zu nennen ist etwa die Münchener Gruppe, die gerade die Stärke des Aufrufs in seiner Offenheit sah und den Aspekt der “Legalisierung von unten” hervorhob. Aus Köln gab 12 derkommission eingefordertern Härtefallkommission gestrichen. Der finanzielle Druck ist hoch und droht mit Sparmaßnahmen und dem nächsten Haushalt die Existenz des Flüchtlingsrats zu gefährden. übergreifenden Service-Funktion des Flüchtlingsrats mit Datenbank und Infonetz ist an inneren Widersprüchen zunächst gescheitert. Die Konsolidierung der Zusammenarbeit mit den tradierten gesellschaftlichen Großorganisationen über landesweite Projekte wie “Verfolgte Frauen schützen!” hat nicht den erhofften Erfolg gehabt. Hingegen haben sich weitgehend außerhalb des Flüchtlingsrats im Zuge der Initiative “kein mensch ist illegal” die Organisations- und Kommunikationsstrukturen heftig verändert, - mehr als genug Gründe für die Tagung des Flüchtlingsrats (siehe gesonderte Einladung) zur Zukunft der flüchtlingspolitischen Arbeit in Niedersachsen. Der faktische Isolationismus der Hannoverschen Organisationen und der schmale Aktivkreis des Flüchtlingsrats machen die Situation nicht besser. Im Folgenden werden einige Beiträge von und über “kein mensch ist illegal” gezeigt; - ein schwacher Ersatz für die Teilnahme an der mailing-Liste. Red. Der Ausbau der organisations- es Anregungen, andere gesellschaftliche Gruppen, z.B. die Gewerkschaften, stärker einzubeziehen. Theorie vs. Praxis? Nun sollte der erste Teil der AG eine Klärung bringen. Aus der vielschichtigen Diskussion ergab sich, daß die vorgebrachten Standpunkte einander nicht notwendigerweise ausschlossen. Eine “Politik des guten Willens” wurde zwar angesichts der tatsächlichen Machtverhältnisse und Interessenlagen als inadäquat gesehen. Eine Legalisierung von unten in Form breit angelegter praktischer Unterstützung könne solche Strukturen aber gerade sichtbar machen. Flexibel und vernetzt Ein flexibler Umgang wurde einem statischen Verständnis, was zutun oder zu lassen sei, vorgezogen. Dies ergab sich schon aus der Tatsache, daß (1) der Organisationsgrad der Gruppen sehr unterschiedlich ist, (2) unterschiedliche Voraussetzungen in (z.B. großen und kleinen) Städten bestehen, (3) der Kreis der von Illegalisierung Betroffenen variiert (Herkunft, Organisationsgrad...). Demnach stützten sich politische Forderungen auf die konkrete Lage vor Ort. Sinn mache dann eine regionale Vernetzung für die Unterstützung solcher Forderungen. Mehr Leute! Überlegungen zur Ausweitung der Aktion wurden unter dem Slogan “Politik des OHNE” (ohne Papiere, ohne Obdach, ohne Arbeit, ohne...) formuliert. Wünschenswert wäre es die soziale Basis einer Bewegung auf Arbeitslose, Obdachlose etc. zu erweitern. Es müßten auch Formen gefunden werden, interessierte Individuen einzubinden. Perspektiven Das Reden über Perspektiven fiel im zweiten Teil der AG schwer. Hier kann nach oben verwiesen werden. Hoffnungen wurden allgemein in die Karawane und eine größere Vernetzung gesetzt. (...) FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 ASYLPOLITIK Am 15. August wird in Bremen eine vom Internationalen Menschenrechtsverein Bremen (IMRV) initiierte Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen starten. Sie wird über einen Zeitraum von mehreren Wochen hinweg durch knapp 30 Städte ziehen und dabei die verschiedenen Aspekte des Rassismus in dieser Gesellschaft zum Thema machen. Die Karawane ist eine Reaktion auf die Tatsache, daß die Angriffe des deutschen Staates auf Flüchtlinge und MigrantInnen von Jahr zu Jahr an Schärfe zunehmen, während die Gegenmobilisierung weitgehend zusammengebrochen ist. Eine weitere Eskalation der Situation im Wahljahr 1998 ist angesichts der Debatten um “Innere Sicherheit”, das “New Yorker Modell”, “zero tolerance” etc., die die rassistische law-and-order Propaganda 1997 auf ein neues Niveau gehoben hatten, vorprogrammiert. Die Vorwahlzeit dient als strategisch günstiger Zeitpunkt, um mit der Karawane die Lähmung zu überwinden, die vorhandenen Kräfte zu bündeln und damit zu beginnen, der aggressiven Politik (wieder) offensiv gegenüber zu treten. Darüberhinaus ist es das erklärte Ziel, mit Hilfe der Karawane ein funktionsfähiges Netzwerk unterschiedlichster Gruppen zu etablieren, das auch über das Jahr 1998 hinaus handlungsfähig bleiben und so zur Basis weiterer Aktivitäten im Sinne der so dringend benötigten Opposition von unten werden könnte. Mittlerweile sind diverse überregionale Koordinations- und Planungstreffen für die Karawane abgehalten worden, in mehr als einem Dutzend Städte haben Veranstaltungen mit VertreterInnen aus Bremen stattgefunden, um das Projekt vorzustellen. In über 20 Städten sind lokale Vorbereitungskomitees aktiv. Ein zentrales Ergebnis ist der Kreis an Organisationen, Gruppen und Einzelpersonen, den das Projekt bislang zusammengeführt hat, und die nun über die lokalen Vorbereitungskomitees, die bundesweiten Treffen bzw. die Bremer Koordinationsgruppe miteinander in Kontakt stehen. Die Zusammensetzung aus überregional organisierten MigrantInnenorga- nisationen und lokal verankerten Flüchtlingsgruppen, Einrichtungen und Vereinen, sowie den der Kampagne “Kein Mensch ist illegal” angeschlossenen antirassistischen Gruppen und Organisationen ist ohne Beispiel in den letzten Jahren und stellt an sich bereits einen ersten großen Erfolg dar. Sie ist zudem ganz im Sinne der InitiatorInnen, die eine von Flüchtlingen und MigrantInnen organisierte und getragene Karawane für Flüchtlinge und MigrantInnen - unter fester und aktiver Einbindung der deutschen antirassistischen Linken - wollten. Die Geschichte des IMRV ist eng verknüpft mit zahlreichen Kampagnen, Hungerstreiks, Demonstrationen und Aktionen, die in den letzten Jahren in Bremen stattgefunden haben. Ihr Ziel war stets, Abschiebungen zu verhindern, die Anerkennung von Flüchtlingen als Asylberechtigte zu erzwingen oder die Lebensbedingungen in Flüchtlingsunterkünften zu verbessern. Zentrales Moment der Aktivitäten war, daß es sich nicht um stellvertretende Humanitätsbekundungen wohlmeinender Deutscher für die Notleidenden dieser Welt gehandelt hat, sondern um von Flüchtlingen selbst getragene Aktivitäten, die entweder alleine entwickelt und mit Unterstützung “weißer” antirassistischer Gruppen durchgeführt oder aber gemeinsam geplant und umgesetzt wurden. Unbestrittener Höhepunkt waren zwei im Wortsinne internationalistische Flüchtlingsdemonstrationen im Jahr 1995, die im Gefolge einer von der tamilischen Community organisierten Mahnwache gegen Abschiebungen nach Sri Lanka und dreier Kampagnen für die Verbesserung der Lebensbedingungen in Flüchtlingsunterkünften entstanden. Die Gründung des IMRV war der Versuch, die Erfahrungen der Bremer Auseinandersetzungen zusammenzufassen, die AktivistInnen der Flüchtlingskämpfe gemeinsam zu organisieren und den verschiedenen Flüchtlingsgruppen eine politische Heimat zu bieten. Ziel war es somit, über die Kontinuität der Organisation IMRV eine Art “kollektives Gedächtnis” für die politischen Inhalte, Aktionsformen, Erfolge und Mißerfolge in den ver- Die Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen Eine Bestandsaufnahme ARAB* gangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Konflikten und Kämpfen aufzubauen und zur Verfügung zu stellen. Das vom IMRV verfolgte Konzept ist von Anfang an zweigleisig gewesen: Zum einen sollen die Verhältnisse in Deutschland und Europa, d.h. die konkreten Erfahrungen, die Flüchtlinge und MigrantInnen mit den verschiedenen Aspekten des Rassismus in der Metropole machen, aufgegriffen werden. Zweitens geht es darum, einen Bezug herzustellen zwischen der Politik der europäischen Regierungen und den desolaten bzw. oft mörderischen Verhältnissen in den Herkunftsländern. Den Ausgangspunkt für diesen Ansatz bietet die Überlegung, daß die Anliegen der Flüchtlinge im allgemeinen “doppelter Natur” sind. Neben dem Rassismus, mit dem sie in Deutschland konfrontiert sind, “ist ihnen das Schicksal der Zurückgelassenen sehr wichtig”. Der IMRV betont daher stets die Verantwortung der wirtschaftlichen und politischen Eliten in Deutschland bzw. Europa dafür, daß diktatorische und terroristische Regime in aller Welt am Ruder sind. Das Karawane-Projekt ist Ausdruck der Überzeugung, daß es nicht die richtige Antwort sein kann, angesichts der gegenwärtigen Umstände zu kapitulieren * Eine Bestandsaufnahme des ARAB, als Teil des Bremer Vorbereitungsbüros vom 25.5.98, Internationaler Menschenrechtsverein Bremen Kornstr. 51, 28201 Bremen Tel. 0421/55 77 093, Fax 0421/55 77 094 e-mail: [email protected], http://www.humanrights.de 13 ASYLPOLITIK oder sich gar in ihnen einzurichten. Wir wollen und müssen im Gegenteil Strukturen aufbauen, die der law-and-order Politik längerfristig etwas entgegensetzen können, uns also die Möglichkeit geben, die Lage nicht nur zu analysieren, sondern auch praktisch und wirksam zu intervenieren. Die Karawane stellt die bislang einmalige Chance dar, damit zu beginnen - und diese Chance muß ergriffen werden. Die Idee dabei war nie, daß Bremen einen Treck mit großer Beteiligung auf die Beine stellt (im Sinne einer Wahlkampftour mit allem knowhow inklusive), der in den Städten von einigen Personen empfangen wird und dann auf dem örtlichen Marktplatz seine Standard-Show abzieht. Die Karawane besteht vielmehr aus den Beiträgen jeder einzelnen Stadt/Gruppe/Person und soll Anlaß sein, lokal und überregional neue Kontakte zu knüpfen und bestehende zu festigen. Es ist entscheidend, daß sich möglichst viele Menschen an ihrer Planung und Durchführung beteiligen. Das wird mit Hilfe lokaler Vorbereitungsgruppen, die sämtliche vor Ort anfallenden Organisationsarbeiten übernehmen, bewerkstelligt. Die Karawane wird in Hinblick auf ihre thematische Breite und Qualität genau das leisten können, was in den einzelnen Städten von den Vorbereitungsgruppen organisiert wird. Drei zentrale Gedanken legen dabei den inhaltlichen Rahmen des Projekts fest. Einmal geht es darum, den Rassismus in Deutschland in all seinen Dimensionen auf- und anzugreifen. Im ersten vom IMRV herausgegebenen Flugblatt zur Karawane heißt es dazu unter anderem: “Völlig unabhängig vom Wahlausgang steht schon jetzt fest, daß man unsere Rechte weiter beschneiden wird, daß man weiterhin Zehntausende deportieren wird, und daß unter noch viel mehr Menschen ein derartiges Ausmaß von Angst und Schrecken verbreitet werden wird, daß sie Deutschland “freiwillig” verlassen werden. (...) Doch wir werden uns wehren! Wir rufen alle Flüchtlinge und MigrantInnen, egal aus welchen Staaten und Teilen Deutschlands Ihr kommt, 14 auf: Setzt Euch mit uns in Verbindung und bringt Eure Ideen und Vorschläge ein.” Das zweite Ziel ist es, der nationalistischen “Standort Deutschland”-Politik eine offensive internationale Position entgegenzusetzen. Die Karawane soll dazu beitragen, einen erneuerten Internationalismus hervorzubringen, der die mörderischen Effekte der Weltwirtschaftsordnung aggressiv angeht, anstatt sich mit dem “Sieg” des Kapitalismus abzufinden. Personifiziert und konkret repräsentiert wird die fundamentale Kritik an der Weltwirtschaftsordnung von MigrantInnen und Flüchtlingen, die Europa aus allen Regionen der Welt erreichen. Drittens wird sich die Karawane nicht nur auf Flüchtlinge und deren Probleme konzentrieren, sondern auch einen Bogen schlagen zu anderen gesellschaftlichen Gruppen. Sie soll ein Versuch sein, sich der “Teile-und-Herrsche”-Politik, den endlosen Differenzierungen mit ihrem Gegeneinander-Ausspielen der verschiedensten Gruppen zu widersetzen und diese lähmende Situation zu durchbrechen. Damit ist nicht gemeint, die inhaltliche Schärfe aufzugeben und eine belanglose Sauce zu fabrizieren, die nach dem Motto “Allen geht’s irgendwie schlecht” rassistische und sexistische Hierarchien leugnet. Die Idee ist vielmehr, die Schärfe beizubehalten und gleichzeitig eine Ausweitung der Themen zu versuchen, so daß die Karawane einen (gegenseitig-solidarischen) Brückenschlag ermöglicht. Gibt es doch in der Logik der politischen, wirtschaftlichen und polizeilichen Angriffe auf verschiedenste Gruppen auch deutliche Übereinstimmungen. Gemäß der bisherigen Planung werden bestimmte symbolische Schlüsselorte des staatlichen Rassismus wie der Flughafen Frankfurt/Main, der Abschiebeknast in Büren und einzelne Grenzübergänge angelaufen werden. Die Protestaktionen werden von den Vorbereitungskomitees vor Ort organisiert. Auf dem letzten bundesweiten Vorbereitungstreffen ist folgende Route festgelegt worden: Bremen (13.-15.8.) Hamburg/Norderstedt (16/17.8.) - Kiel (18.8.) - Lübeck (19.8.) Berlin (20.-22.8.) - Dresden (23.8.) - Leipzig (24.8.) - Aktionen bei ZAST in Tambach bzw. Jena (25.8.) - Göttingen (26.8.) Kassel (27.8.) - Hannover (28.8.) - Bielefeld (29.8.) - Büren (30.8.) - Osnabrück (31.8.) - Regensburg (2.9.) - München (3.9.) - Stuttgart (4.9.) - Tübingen (5.9.) Strasbourg (6.9.) - Karlsruhe (7.9.) - Trier (8.9.) - Mainz (9.9.) Wiesbaden (10.9.) Frankfurt/Hanau (11/12.9) 13/14.9. sind noch offen - Bochum (15.9.) - Köln (16. - 20.9) Die Route schließt die Teilnahme weiterer Städte keineswegs aus. Neu hinzukommende Städte könnten ihr Programm zeitlich parallel zum schon bestehenden durchführen, so daß Der Transfer zwischen den einzelnen Städten wird voraussichtlich mit Bussen erfolgen. Jede Stadt ist für die Unterbringung, Verpflegung und Weiterreise ebenso verantwortlich, wie für das lokale Programm. Die bundesweite Koordination des Projekts erfolgt über das Büro des Internationalen Menschrechtsverein Bremen. Der Aufwand hierfür ist erheblich und kann mit den ehrenamtlichen Kräften kaum mehr bewältigt werden. Darüber hinaus ist das gesamte Projekt mit erheblichen Kosten verbunden, unter anderem für Telefon und Postverschickungen, Flugblätter und Plakate, für Versorgung, Unterbringung und Transfer der TeilnehmerInnen etc. Das Bremer Vorbereitungskomitee im IMRV-Büro ist deshalb dringend auf Spenden angewiesen, die an den Internationalen Menschenrechtsverein Bremen Stichwort “Karawane” überwiesen werden sollten. Alle, die das Projekt darüberhinaus unterstützen, in den lokalen Vorbereitungskomitees mitarbeiten oder gar eine neue Station anbieten wollen, können sich an den IMRV in Bremen werden, von wo aus sie mit den nötigen lokalen Adressen und weiteren Informationen versorgt werden. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 ASYLPOLITIK Staatlicher Rassismus Sans-Papiers: Chronik einer ausländerfeindlichen Woche Die zusammenarbeitende Linke steht der Rechten [1] in den Bereichen der Repression, des Rassismus und der staatlichen Ausländerfeindlichkeit in nichts nach. Aber müssen wir uns darüber noch wundern? Sonntag, 15. März: No Pasaran* Im folgenden dokumentieren wir einen Beitrag zum aktuellen Stand der”sans-papiers”-Bewegung in Frankreich. Die Bewegung nahm ihren Ausgangspunkt mit der Besetzung der Saint-Bernard-Kirche in Paris 1996. Die zentrale Forderung der “papierlosen” MigrantInnen war/ist: Papiere für alle! Die gewaltsame Raeumung und darauffolgend die Abschiebungen von mehreren BesetzerInnen konnten nicht verhindern, daß sich die Bewegung ausbreiten konnte und von vielen Menschen und Gruppen in Frankreich unterstützt wird. Mittlerweile sind die “sanspapiers” auf der politischen Bühne zu einem festen Begriff geworden und aus antifaschistischen und antirassistischen Mobilisierungen, sowie der Arbeitslosenbewegung in Frankreich nicht mehr wegzudenken. Der Artikel wurde der französischen AntifaZeitung No Pasaran entnommen und übersetzt. * über mailinglist kmii aus GegenDruck Ausgabe Nr. 23 Mai ‘98; Kontakt: Redaktion GegenDruck, c/o Infocafé Anschlag, Heeper Str. 132, 33607 Bielefeld (sMail) / [email protected] (eMail), erscheint auch im World Wide Web: http://www.nadir.org/nadir/periodika/Gegendruck 16 Gegen 10 Uhr besetzen hundert “sans-papiers” des 6. Kollektivs (gegründet vor einigen Tagen im 18. Arrondissement) die NotreDame de la Gare-Kirche am Place Jeanne d’Arc. Sie fordern die sofortige Freilassung von Bathili Boubakar, der am 10. März festgenommen wurde. Die BesetzerInnen verfolgen des weiteren noch ein anderes Ziel: Die Wiedereröffnung der Akten für eine Regelung für alle.[2] Schnell kommen UnterstützerInnen und Leute aus dem Viertel, um ihre Solidarität und ihre entschlossene Haltung an diesem Tag der “großen Wahlmesse” [3] zum Ausdruck zu bringen. Darauffolgend die ebenfalls schnelle Stationierung eines beeindruckenden Truppenkontingents der Polizei, die jegliche Kommunikationsmöglichkeit mit den “sans-papiers” verhindert. Die Spannung steigt als die CRS die “djumbés” [4] verbietet. Trotz der Blockade gelingt es den UnterstützerInnen, Lebensmittel und Decken in die Kirche zu bringen, wobei sie Angriffen der Polizei ausgesetzt waren. Während dieser Zeit verlaufen die Verhandlungen über die Freilassung von Barhili Boukabarim Sande. Die Zusagen der Behörden lösen sich schnell ins Nichts auf, als auf einen Anruf bei der DICILEC folgend bekannt wird, daß die BesetzerInnen belogen worden sind, da Bathili schon nach Roisy gebracht wurde, um von dort abgeschoben zu werden. Gegen 20 Uhr lassen die Bewegungen von Spezialeinheiten darauf schließen, daß eine bevorstehende Räumung droht. Die massenweise Präsenz von UnterstützerInnen trägt nach Meinung vieler ohne Zweifel dazu bei, daß die Behörden unschlüssig und wenig dazu geneigt sind, einen Wahlabend mit dem Bild einer zweiten Kirche Saint-Bernard zu versehen. Die Haltung des von der Pfarrgemeinde beauftragten Priesters war während des ganzen Tages besonders widerlich. Sehr intensiv beschäftigt mit der Reinhaltung der Kirche, schließt er die Toiletten, dreht die Heizung und den Strom ab, um dann die Schlüssel der Kirche schließlich den Ordnungskräften zu übergeben . Schon am frühen Morgen um 6 Uhr findet eine Demonstration der Stärke statt, die mit denen vergleichbar ist, die man schon in der Vergangenheit erlebt hat. Beschimpfungen, Schläge, die Trennung von Weißen und Schwarzen . Die “sans-papiers” werden sofort in Polizeigewahrsam genommen und zum “dépôt de la Cité” verfrachtet. Einer der Delegierten des 6. Kollektivs kommt in den Genuß des “Rechts” auf eine besondere Behandlung: digitale Registrierung seiner Fingerabdrücke, Fotos, rassistische Beschimpfungen und Demütigungen aller Art. Die repressive Gewaltspirale hat nun erst begonnen und wird sich im Laufe der Woche verschärfen. Montag, 16. März: Um 12 Uhr Versammlung vor der Polizeipräfektur “La Cité”. Alles ist schon vor Ort, um jegliche Auseinandersetzungen zu ersticken. Spezialeinheiten und Geheimdienst sind überall, auf dem Platz vor der Polizeipräfektur und in der Metro. Ankommende UnterstützerInnen und „sans-papiers” werden sofort festgenommen. Diejenigen, die der Mausefalle entgehen und sich sammeln können, werden sofort eingekreist und niedergeknüppelt. Weitere Protestversuche derselben Art an diesem Tag erfahren dasselbe Schicksal. Mittwoch, 18. März: Um den zweiten Jahrestag der Besetzung der Kirche Saint-Ambroise zu feiern, besetzen hundert AfrikanerInnen, die aus den Arbeitervierteln von Paris und ihrer Vorstädte gekommen sind, dieses Mal die Kirche Saint-Jean de Montmartre im 18. Arrondissement. Unglücklicherweise können sie dort nur einige Stunden bleiben, bevor sie alle verhaftet werden. Insgesamt gab es also während einiger Tage mehr als 300 Verhaftungen in Paris. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 ASYLPOLITIK Die Woche endet mit dem Eifer und der einfach bemerkenswerten Leistung der Justizbehörden. Der 35. “bis”, der Menschen ohne geregelte Aufenthaltsgenehmigung verurteilt, hat anschließend mehr als 24 Stunden ohne Unterbrechung getagt, wie in den guten alten Zeiten von SaintBernard. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden schon ungefähr 10 Menschen mit dem Flugzeug abgeschoben, gefesselt, betäubt mit Alkohol und Chloroform, ganz in der Tradition von Pasqua-Debré. [5] Die anderen verhafteten “sans-papiers” warten im Gefangenenlager, bis sie an der Reihe sind. Die Regierung versucht offenkundig das unvermeidliche Wiederaufleben der „sans-papiers“-Bewegung im Keim zu ersticken. Man schätzt, daß heute ungefähr 70.000-100.000 Menschen einen Bescheid über das Verlassen des französischen Territoriums erhalten haben. Diese 100.000 Menschen, die alle die Akten für eine Regulierung ihrer Situation ausgefüllt haben, befinden sich in einer schlimmeren Situation, wie vor dem Rundschreiben von Chevènement [6], weil daran erinnert werden muß, daß die Polizeibehörden nun Karteikarten mit Adressen, Arbeitsplätzen und Koordinationen der Leute, die “sans-papiers” beherbergen, in ihren Händen hallten. Sie werden nicht zögern, neue Verhaftungen durchzuführen. Seit mehreren Wochen taucht die Bewegung der “sans-papiers” wieder auf und verstärkt sich: Die erste langandauernde Besetzung der Kathedrale von Évry von 40 Menschen des Kollektivs 91, gefolgt von 50 Menschen des Kollektivs 94, die die Kathedrale von Créteil besetzten. Neuigkeiten und neue Möglichkeiten ergeben sich durch das Erscheinen der mehr und mehr wichtigen Mobilisierung in den Arbeitervierteln von Paris und ihren Vorstädten auf der politischen Bühne. Dies zeigt, daß der seit zwei Jahren andauernde, engagierte Kampf heute damit beginnt, Früchte zu tragen. Zum Zeitpunkt der Besetzungen schlossen sich auch AfrikanerInnen mit legalem Aufenthaltsstatus der Bewegung solidarisch an. Aber die Solidarität endet nicht hier, wie der relative Er- folg der letztlich durchgeführten, unterschiedlichen Aktionen auf dem Flughafen von Roissy gezeigt hat. Zum wiederholten Male haben sich Passagiere entweder geweigert, das Flugzeug zu besteigen oder mit Nachdruck ihren Unmut demonstriert. Die Behörden waren dazu gezwungen, die “sans-papiers” aus dem Abschiebeverfahren herauszunehmen. Es ist nicht verwunderlich festzustellen, daß diese Regierung versucht, jede Solidarität zwischen Franzosen und AusländerInnen zu verhindern. Das ist das Ziel der geänderten Fassung des 21. Artikels des Erlasses von 1945, der von Chevènement verbessert wurde. Nach diesem Artikel würden sich Gewerkschaften, Organisationen und Kollektive, die die “sans-papiers” unterstützen, vor Gericht strafbar machen. Es ist ein wahrhaftes Solidaritätsdelikt, das an das Gastfreundschaftsdelikt des ersten Gesetzes von Debré erinnert. In diesen Zeiten der feierlichen Erinnerung an die großen Werte der Republik von seiten Jospins und Chiracs, ist das Gegenteil der Fall. Die Brutalitäten der Polizei, die Missachtung elementarer Rechte, die Desinformation und die Lüge begleiten das Wieder-an-die-Macht-kommen der Sozialisten. Die erfolgreiche Anstrengung der Regierung, AusländerInnen zu den Sündenböcken der französischen Politik zu machen bestätigt, daß die staatliche Ausländerfeindlichkeit der gemeinsame und wichtigste Wert der Demokraten der zusammengesetzten Linken und Rechten ist. [1] “Gauche plurielle et Droite plurielle” verweisen zum einen auf die derzeitige linke Regierungskoalition aus Sozialisten (PS), Kommunisten(PCF) und Grünen unter dem Ministerpräsidenten Lionel Jospin und zum anderen auf das ehemalige Regierungsbündnis der konservativen und republikanischen Rechten (RPR und UDF). [2] Die zentrale Forderung der BesetzerInnen der Saint-Bernard-Kirche1996 war die Wiedervorlage und Bearbeitung aller Akten von “sans-papiers” und ihre Anerkennung mit legalem Aufenthaltsstatus. [3] An diesem Tag fanden in Frankreich Regionalwahlen statt. [4] Gemeint sind wahrscheinlich afrikanische Trommeln. [5] Pasqua und Debré waren die jeweiligen Innenminister der letzten beiden rechten Regierungskoalitionen unter Chirac und Juppé. [6] Chevénement ist der derzeitige Innenminister der linken Regierungskoalition; er gehört dem linksnationalistischen Flügel der Sozialistischen Partei an. Comission SCALP/REFLEX (aus: No Paseran! April 1998) 17 ASYLPOLITIK Kein Mensch ist illegal! Bleiberecht für alle Flüchtlinge! morgengrauen* Auf den ersten Blick scheint es in dieser Ausgabe der morgengrauen “nur” um kurdische Flüchtlinge zu gehen. In Wirklichkeit geht es um mehr. Mittlerweile leben in Deutschland schätzungsweise eine halbe Million “illegaler” Menschen. Menschen, die nicht in das Land zurück können, aus dem sie geflüchtet sind. Menschen, die in Deutschland geboren wurden, aber aus verschiedenen Gründen, z.B. weil sie als “Ausländer” straffällig wurden, ihre Aufenthaltserlaubnis verloren haben. Sie haben alle Rechte verloren. Sie sind Freiwild, auf der Flucht vor den Behörden, gezwungen, jede Arbeit zu jedem Lohn zu machen. Illegalisiert zu leben bedeutet: sich verstecken, keine Schule für die Kinder, kein Arzt im Krankheitsfall, immer mit der Angst leben, denunziert und erpreßt zu werden. Entdeckung bedeutet Abschiebehaft oder die sofortige Abschiebung. Eine halbe Million Menschen leben in Deutschland unter diesen Bedingungen. Das ist die Wirklichkeit hinter den Erfolgsmeldun- * aus: morgengrauen - Antirassistische Zeitung Nr. 68 April/Mai 1998) 18 gen aus dem Hause Kanther. Das ist die Wahrheit hinter den Statistiken über rückläufige Zahlen von Asylbewerbern. Das sind die Menschen, die der Innenminister als “Kriminelle und Gangster” denunziert, derentwegen er die Grenzpatrouillen verschärfen läßt. “Deutschland kann nicht alle Probleme der Welt lösen”, lautet die ständig wiederholte Abwehraussage. Das ist so banal wie richtig. Aber es geht am Kern der Sache vorbei. Das Problem, daß am Ende des 20.Jahrhunderts mehr Menschen als jemals zuvor auf der Flucht sind oder aus zwingenden Gründen ihre Heimat verlassen müssen, ist ein globales. Es ist eine Folge der Tatsache, daß wir in einer “globalen Weltordnung” leben. Waren, Dienstleistungen, Arbeitsplätze, Waffen, Profite sollen nach Ansicht unserer PolitikerInnen global, d.h. ohne die Behinderung durch Grenzen und Zölle, zirkulieren. Und so verlieren Hunderttausende hierzulande ihren Job, weil er anderswo billiger erledigt wird. So werden in Nigeria ganze Regionen von Erdölkonzernen verwüstet und die Menschen, die sich dagegen wehren, abgeschlachtet. So werden in Sri Lanka, Angola oder Kurdistan Millionen von Menschen mit Hilfe von Waffen und Minen vertrieben, die hierzulande hergestellt wurden. Die wenigsten von ihnen kommen jemals nach Europa, sondern stranden in wachsenden Slums von Colombo, Luanda oder Istanbul. “Think globally, act locally!” (Denke global, handele vor Ort) war einst ein Motto der internationalen Bewegung zum Schutz der Umwelt. Europäische PolitikerInnen haben es ins Gegenteil verkehrt. Die CSU plant eine weitere Ausdehnung menschenrechtsfeindlicher Maßnahmen mit dem Ziel, die Anzahl der “Ausländer” in Deutschland zu reduzieren. Derweil wirbt der bayerische Wirtschaftsminister weltweit um Investitions- und Exportmöglichkeiten für BMW und andere Konzerne. “Standort” war einst ein Synonym für eine oder mehrere Kasernen. “Standort Deutschland” (oder Rheinland, Oberpfalz usw.) ist zu einem Kampfbegriff geworden. Zu seiner Sicherung bzw. “Verteidi- gung” scheint jedes Mittel recht. Indes bleibt eine solche Entwicklung nicht ohne Einfluß auf die gesellschaftlichen Verhältnisse. Ein Land, dessen Verteidigungsministerium die Bundeswehr zur “Standortsicherung” weltweit einsetzt (“Schutz deutscher Interessen”),während das Innenministerium mittels Bundesgrenzschutz zu seiner “Verteidigung” gegen illegale Einwanderer zuständig ist, wird auch im Innern zunehmend einer Kaserne ähneln. Solidarität ist eine Vokabel, die stets nur “deutsch”, “französisch” oder anderweitig national buchstabiert wird. PolitikerInnen benutzen sie ohnehin nur in Sonntagsreden. Flüchtlinge werden von ihnen benutzt, um von ihrem eigenen Versagen abzulenken und statt dessen aggressiv “Innere Sicherheit” und soziale Ausgrenzung auch anderer “Außenseiter”, Obdachloser, Sozialhilfeberechtigter und Erwerbsloser voranzutreiben. Grenzen trennen nicht mehr nur Territorien, sie trennen auch Menschen. Grenzen verlaufen überall: im Sozialamt, auf dem Bahnhof, in der Innenstadt. Sie sind überall, wo Menschen befürchten müssen, nach Papieren gefragt zu werden. Dieser Entwicklung wollen wir Grenzen setzen - und dies sind die einzigen Grenzen, die wir wirklich brauchen. Jeder Mensch hat das Recht, selbst zu entscheiden, wo und wie er leben will. Aber wer lebt schon gern in einer Kaserne. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 RASSISMUS UND SOZIALABBAU “Wieder Taxifahrer als Schleuser verurteilt”, “BGS greift Illegale auf”, “Erneut rechtsradikaler Überfall auf Asylbewerber” Überschriften wie diese findet mensch täglich in den Zeitungen, jedoch kaum einer stört sich noch daran. Statt dessen machen PolitikerInnen von NPD bis SPD Wahlkampf mit rassistischen Vorurteilen und der für Deutschland typischen Angst vor allem Fremden. Seit der faktischen Abschaffung des Grundrechts auf Asyl 1993 mit den Stimmen von SPD und Regierungsparteien im Bundestag hat sich die Situation für Flüchtlinge in der BRD drastisch verschärft. Die öffentliche Debatte um die Grundgesetzänderung war damals im wesentlichen geprägt von durchweg rassistischen Argumentationsmustern. Nicht mehr von Menschen war die Rede, sondern von bedrohlichen Ausländerfluten, von Asylantenschwemme und Asylbetrügern. Bezeichnend ist vor allen Dingen auch, daß der Artikel 16 des GG zu einer Zeit geändert wurde, in der es zu massiven rassistischen Pogromen in zahlreichen deutschen Städten kam. Dem “Druck der Straße” gehorchend wurde und wird jede weitere Gesetzesverschärfung von den Abschottungsstrateglnnen als Erfolg gefeiert und entsprechend durch die Medien aufbereitet. Formal um Abgrenzung von neofaschistischen Organisationen und Parteien bemüht, haben jedoch fast alle bürgerlichen Parteien mittlerweile rassistische Argumentationsrnuster in der einen oder anderen Form von den Neonazis übernommen. Letztere haben keinen Grund, sich als isolierte politische Randgruppen zu verstehen, sondern können für sich die Vorreiterrolle im “Kampf gegen Überfremdung und Durchrassung” beanspruchen - Rassismus ist gesellschaftlicher Konsens! Diese Entwicklung bezeichnen wir als Rechtsruck. Dessen Ausdruck ist auch der fortschreitende Entzug der materiellen Grundlagen für Flüchtlinge und damit in letzter Konsequenz deren Abdrängung in die Illegalität. Flüchtlingen bleiben, so sie den Wunsch hegen, in diesem Land leben zu wollen, außer der illegalen Einreise und anschließendem Untertauchen kaum noch andere Möglichkeiten. Einerseits macht ein hochgerüsteter, mit polizeilichen Vollmachten ausgestatteter Bundesgrenzschutz Jagd auf Flüchtlinge - Schleierfahndung, verdachtsunabhängige Kontrollen, Wärmebildüberwachung, Abschiebegewahrsam/-haft sind nur einige Schlagworte. Andererseits reißt die Folge von Übergriffen auf AusländerInnen durch junge Deutsche nicht ab. Beide BGS und Neonazis - wählen ihre Opfer nach den gleichen rassistischen Kriterien aus. Mit massivem Protest muß nicht gerechnet werden - die Reaktionen großer Teile der Bevölkerung reichen von stillschweigender Billigung über offene Sympathie bis hin zu aktiver Mithilfe. Es ist nicht verwunderlich, daß sich die sogenannte “Mitte” nicht bereit findet, gegen neofaschistische Aufmärsche und andere Aktivitäten zu protestieren. Das im Vorfeld des Naziaufmarsches am 21. März diesen Jahres in Zittau vielfach gepriesene “gesamte demokratische Spektrum” konnte gerade einmal ca. 200 Menschen zu einer (zeitlich und räumlich zum Naziaufmarsch verschobenen ... ) Kundgebung mobilisieren. Gleiches ist zum Aufmarsch der NPD am 5. Juli des vorigen Jahres zu sagen. Damals zogen etwa 300 Neonazis durch Zittau, um den bei einem Mordversuch an einem Migranten getöteten Holger Müller zum Märtyrer zu stilisieren. Außer einigen wenigen, zumeist jugendlichen Antifaschistlnnen protestierte niemand... Wir schlußfolgern daraus, daß die meisten Menschen gar nicht einsehen, warum sie Widerstand gegen Rassismus leisten sollten, sondern sich statt dessen in der einen oder anderen Form mit “Martyrern” wie Müller identifizieren. Die Stigmatisierung von Menschen aufgrund von Hautfarbe oder Herkunft ist kein Zufall. Sie muß vor dem Hintergrund einer zunehmenden Verschärfung gesellschaftlicher Widersprüche gesehen werden. Von den ökonomischen Ursachen der Krise und der Kritik an einem ausschließlich auf die wirtschaftliche Verwertbarkeit von Mensch und Natur ausgerichteten Systems wird abgelenkt, indem Problemursachen Kampf dem rassistischen Normalzustand! Flüchtlinge schützen! Aufruf zur antirassistischen und antifaschistischen Demonstration am 6. Juli ‘98 in Zittau Antifa Görlitz* auf gesellschaftliche Randgruppen projiziert werden. Die Diskriminierung von Minderheiten führt aber nicht zur Auflösung von Widersprüchen und Problemen, sondern verursacht menschliches Leid. Um es mit Egon Erwin Kisch zu sagen - : “die Barbarei wird solange nicht aus den Ländern Mitteleuropas weichen, als künstliche Grenzen mit Festungen, Soldaten und anderen gewalttätigen Kräften zwischen den Staaten erhalten bleiben. Diese primitive Art der Abgrenzung ist eine Behinderung jeder Zivilisation, aber in Mitteleuropa ist sie ein Hindernis für den Fortschriitt. Nur eine soziale Qrdnung, die rivalisierende Märkte ausschließt und anerkennt, daß alte Menschen vor dem Gesetz gleich sind, kann den Frieden und ein Voranschreiten der Zivilisation in Mitteleuropa und überall sonst auf der Weit gewährleisten.” Kommt alle zur Demo 5. Juli 14.00 Uhr Bahnhofsvorplatz Zittau! * Adresse: Jugendkulturzentrum Basta, clo Antifa, Hotherstr. 25, 02826 Görlitz 19 RASSISMUS UND SOZIALABBAU Zwangsarbeit und Internierungslager für Flüchtlinge Bundesrat und Bundesregierung betreiben die soziale Verfolgung George Hartwig* Ich habe die Aufgabe, die geplante Gesetzesänderung vorzustellen; ich werde dies mit den Worten von Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung, tun: „Es gibt einen Wettlauf der Schäbigkeit in Europa, und Deutschland hält in diesem Wettlauf den Spitzenplatz. Jüngster Beleg ist die Bundesratsdrucksache 691/1/97, ein Gesetzentwurf, den der Bundesrat am 6.2.98 verabschiedet hat. Man soll mit dem Wort „Ungeheuerlichkeit" zurückhaltend umgehen - aber ein anderes Wort paßt zu diesem Gesetzesvorhaben nicht, das von CDU/CSU und von SPD-regierten Ländern gleichermaßen getragen wird: Danach soll den geduldeten Flüchtlingen in Deutschland künftig keinerlei Leistung mehr gewährt werden. Sie sollen weder Geld- noch Sachmittel erhalten. Man will sie so zur freiwilligen Ausreise zwingen. Man kann diese Methode auch Aushungern nennen. Beschwichtigend reden die Innenminister von „Illegalen", gegen die sich diese Maßnahme richtet; doch das ist falsch. Es geht um Menschen, die zwar irgendwann ausreisen müssen, die aber wegen der Gefahren in ihrer Heimat einen Aufenthaltstitel, eine „Duldung" haben. Es geht also um Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien oder Algerien, um ehemalige Vertragsarbeiter der DDR aus Vietnam, um Frauen aus Afghanistan, es geht um insgesamt * Redebeitrag für den Niedersächsischer Flüchtlingsrat am 28.3.98/Kundgebung Kröpke (Hannover) 20 250.000 Menschen. Zwangsweise abschieben kann man in diesen Fällen nicht, also zwingt man zur „freiwilligen" Ausreise. Diese Menschen - überwiegend Familien mit Kindern - sollen künftig keinen Pfennig Geld mehr für Lebensunterhalt und keine medizinische Versorgung mehr erhalten. Schon bisher, nach den derzeit geltenden Vorschriften, erhalten sie weniger Mittel, als es dem Sozialhilfegesetz und dem Existenzminimum entspräche. Das Minimum für Flüchtlinge war also schon bisher minimaler als das für andere Menschen. Kinder sollen Flüchtlinge ohnehin nicht bekommen. Eine Baby-Erstausstattung zum Beispiel erhalten schon bisher nur deutsche SozialhilfeEmpfängerinnen, nicht aber Flüchtlingsfrauen. Der katholische Caritas-Verband hat dagegen heftigst protestiert. Doch Politik hört nicht auf die Caritas. Im Gegenteil: Künftig wird es noch viel schärfer. Künftig erhalten die Flüchtlinge nur noch ein Zehrgeld für die Rückreise zur Verfügung gestellt - Butterbrot und Fahrkarte also. „Mehr an Hilfe gibt es nur, wenn es „unerläßlich" ist und auch nur soviel, wie unerläßlich ist. Das heißt: Notfalls gibt es Wassersuppe und Übernachtung in der Turnhalle. Das Vorhaben nennt sich „2. Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes". Man sollte es finales Leistungsverweigerungsgesetz nennen." (Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung, am 14.02.1998 im NDR4) Betroffen von der „finalen Leistungsverweigerung" durch den Bundesratsbeschluß vom 6.2.98 sind vor allem die Flüchtlinge, die die Behörden gerne deportieren würden, aber aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht deportieren können. Das sind z.B. Flüchtlinge mit Duldung oder sog. Grenzübertrittsbescheinigung, und Flüchtlinge ohne Papiere. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Fritz Rudolf Körper, erfindet dafür eigens eine neue kriminelle Kathegorie: „ ... ausreisepflichtige Ausländer ... die sich dem Ausländerrecht zuwider im Bundesgebiet aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufhalten." (Körper; Schreiben GE/Boe v. 10.2.98) Tatsächlich handelt es sich durchweg um Menschen, für die die Ausländerbehörden keinerlei Rechtsgrundlage zur Deportation finden können. Zwei Beispiele: Der entgeisterte Einwand des Hohen Flüchtlingskommissars der UN, daß der Gesetzentwurf auch Flüchtlinge beträfe, die wegen konkreter Foltergefahr nach internationalem Recht nicht abgeschoben werden dürften, wurde im Bundesrat kackfrech mit dem Hinweis abgetan, daß die Leistungsstreichung die Modalitäten eines Abschiebestopps in keiner Weise berührten. (Protokoll der 721. Sitzung) Der nds. Staatssekretär des Inneren, Claus Henning Schaper, hat vorgestern erklärt: „Auch wir wollen keine unmenschliche Flüchtlingspolitik. Aber wir wollen auch den klaren Mißbrauch des AsylbLG abstellen, - etwa, wenn Leute ihre Pässe wegwerfen, um einer Abschiebung zu entgehen." Um diesen ungeheuren Zynismus zu verdeutlichen, stelle man sich einen geflüchteten Verfolgten des Naziregimes vor - vielleicht Bert Brecht oder Willi Brandt -, der von den Behörden des Landes, in das er sich gerettet hatte, gezwungen worden wäre, mit der Nazi-Botschaft zwecks Rückführung zu kooperieren... Und dem man dann das Essen entzogen hätte, wenn er sich weigerte mit den Nazis für seinen eigenen Untergang zusammenzuarbeiten... Zu Recht ist darauf hingewiesen worden, daß das Zerreißen etwa eines nigerianischen Passes eben nur in Nigeria eine Straftat darstellt. Thilo Weichert, nds. Datenschützer, hat das nds. Innenministerium anläßlich des Kirchenasyls für Nigerianer in Hannover nachdrücklich ermahnt, daß es keinerlei Rechtsgrundlage für Beugehaft oder ähnliche Sanktionen bei Verweigerung der Kooperation mit der eigenen Botschaft gibt. Das Nds. Innenministerium berief sich daraufhin übrigens dreist auf das Allgemeine GefahrenabwehrGesetz als Rechtsgrundlage für die rechtswidrige Inhaftierung: FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 RASSISMUS UND SOZIALABBAU Flüchtlinge als Gefahr, als Bedrohung, als Katastrophe, die den rechtlichen Ausnahmezustand rechtfertigen... Der vorliegende Bundesrats-Gesetzentwurf wurde praktisch unter Ausschluß der Öffentlichkeit, unter Umgehung der Kabinette (in Niedersachsen z.B. wurde weder das Sozial- noch das FrauenMinisterium, geschweige denn die Ausländerbeauftragte beteiligt) und unter Umgehung der Fraktionen von den Ministerialbürokratien des Inneren in einer „sehr angenehmen, sehr sachlichen Atmosphäre" (Senatorin Hübner, Berlin) gepuscht. Tatsächlich jedoch konnte kein Beteiligter hinterher öffentlich oder in Gremien (z.B. Ausländerkommission des Nds. Landtags am 10.02.98) erklären, was dort tatsächlich unterschrieben worden war. Der Gesetzentwurf stieß nach Veröffentlichung auf den einmütigen Widerspruch von Wohlfahrtsverbänden, Kirchen, Gewerkschaften, Kommunen, Ausländerbeauftragten und migrationspolitischen Organisationen. Kern der Kritik war die Einbeziehung bestimmter Gruppen, insbesondere der Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien und die Belastung der Kommunen durch den bürokratischen Aufwand. Wenige Proteste richteten sich gegen den Mißbrauch des Sozialrechts als Vollzugsrecht (so etwa die AWO am 3.2.98). Keiner der Proteste erfaßte die faktische Einführung der Zwangsarbeit für Flüchtlinge. Staatssekretär Gustav Wabro (Baden-Württemberg): „Wir wollen den Leistungsanspruch ausschließen für alle, die sich weigern, gemeinnützige Arbeit zu verrichten." und „Für eine Privilegierung von Asylbewerbern gibt es keinen vernünftigen Grund." (Protokoll der 721. Sitzung des Bundesrats) Zur Erinnerung: sog. „Gemeinnützige Arbeit" für deutsche Arbeitslose ist im Einzelfall dann möglich, wenn sie die jeweils vorgeschriebenen „Bemühungen um Arbeit" nicht nachweisen. Leistungseinschränkung durch die Sozialbehörden ist gegenüber deutschen Arbeitslosen dann möglich, wenn diese schließlich die „gemeinnützige Arbeit" verweigern. Der Zynismus der demagogisch propagierten „Privilegierung" der Flüchtlinge besteht darin, daß sie - im Gegensatz zu allen anderen Bevölkerungsgruppen - einem Arbeitsverbot unterliegen. Da es bei Arbeitsverbot eine sozialrechtliche Sanktion wegen „Arbeitsverweigerung" unmöglich geben kann, deklariert die Androhung des Leistungsentzugs und Lagereinweisung bei Verweigerung der sog. „gemeinnützigen Arbeit" diese zur Zwangsarbeit, die sich in dieser Form nicht einmal in den Knästen findet. In der deutschen Nachkriegs-Sozialgeschichte gibt es dafür kein Beispiel. Das einzige Vorbild dafür findet sich bei den Nazis: wer den Auflagen zur „Fürsorgepflichtarbeit" im extra zur Schikane eingerichteten Arbeitslager nicht nachkam wurde umgehend aus dem Unterstützungsbezug gestrichen. In Hamburg etwa wurde 1937 auf diese Weise die Zahl der Sozialhilfeempfänger auf ein Viertel reduziert. Diese von den Nazis erprobte Methode will der Bundesrat zunächst auf Flüchtlinge anwenden. In einigen deutschen Kommunen - auch im LKrs Hannover - wird die Pflichtarbeit aber durchaus auch heute schon als Waffe gegen Nichtseßhafte mit deutschem Paß eingesetzt: Wer als Nichtseßhafter nicht arbeitet, erhält keine Hilfe zum Lebensunterhalt. Auch das gab es schon einmal: In den 30-er Jahren wurden auf der Grundlage des Gesetzes gegen das Wandererunwesen Obdachlose und Nichtseßhafte in Arbeitshäusern und später in sog. Bettler-KZ zu Zwangsarbeit getrieben. Das Bundesgesundheitsministerium nahm am 17.2.98 mit einem Referentenentwurf dem Protest der Verbände die Spitze, indem die bosnischen Kriegsflüchtlinge bis 1999 aus dem Gesetz herausgenommen werden sollen (natürlich ist nicht die Rede z.B. von den Kosova-Albanern), und in- dem die Kommunen durch die Unterbringung der Betroffenen in Lagern entlastet werden. Diese Planung sieht für die Betroffenen ausschließlich Unterkunft und Verpflegung in Gemeinschaftsunterkünften vor, kein Taschengeld, kein Tabak, kein Telefon; medizinische Behandlung soll nur gewährt werden, „soweit dies im Einzelfall unabweisbar geboten ist". Mit dieser unverwechselbaren Beschreibung eines Internierungslagers ändert der wildwüchsige „Wettlauf der Schäbigkeiten" der Ministerialbürokratien seine Qualität: er entpuppt sich als Übernahme eines zentralen sozialpolitischen Elements der Nazis zur Befestigung der „Volksgemeinschaft" und zur Ausgrenzung sog. Gemeinschaftsfremder. Die Nazis übernahmen zum gleichen Zweck den Begriff der „geschlossenen Fürsorge" aus § 13 der Reichsgrundsätze zur Reichsfürsorgeverordnung der Weimarer Republik und beschränkten für „asoziale und politisch widersetzliche" Unterstützungsempfänger die Fürsorgeleistungen auf „Anstaltspflege". Dazu wurden scharf bewachte Arbeitslager eingerichtet mit kasernenähnlichem Reglement, Massenschlafsälen, entweder Mindestkalorienverpflegung oder Zwangsarbeit gegen Taschengeld, strikte Trennung der Geschlechter, restriktive Besuchsregelung, Brief- und Postzensur, amtsärztliche Zwangsuntersuchung. Als Sanktionsmittel gab es in diesen Lagern Haftstrafe in besonderen Zellen, ohne Bettzeug bei Wasser und Brot. Dahin geht die Reise mit der anstehenden Novellierung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Es handelt sich um nichts anderes als die Vorbereitung eines Internierungsgesetzes für die betroffene Bevölkerungsgruppe, da doch für jedermann offenkundig sein muß, daß ein Leistungsentzug bis aufs nackte Überleben nur unter bewaffnet gesicherten Lagerbedingungen durchzusetzen ist. Die Geschichte des Asylbewerberleistungsgesetz seit 1993 zeigt, daß die von Staats wegen verordnete Armut und Entrechtung bei Flüchtlingen einen Modellversuchs-Charakter hat. Dieser staat21 RASSISMUS UND SOZIALABBAU liche Versuch führt vor, übt ein und gewöhnt daran, wie leicht Menschen aus unserem Sozialsystem herausdefiniert und ausgegrenzt werden können. Vor einer Woche konnte in Thüringen in Saalfeld ein großer Aufmarsch von Neofaschisten und Rechtsextremisten stattfinden. Unter dem Schutz des Innenministers und der Polizei durfte dieses braune Pack die von ihnen sog. Befreite Gebiete, ausländerfreie Zonen abfeiern. Die vorher angemeldete antifaschistische Gegendemonstration, zu der Gewerkschaften, Kirchen und Wohlfahrtsverbände aufgerufen hatten, wurde wie eine Ansammlung von Staatsfeinden bewacht und abgedrängt. Während wir jetzt hier am Kröpke stehen, findet zur gleichen Zeit in Kürzung von Hilfen für Flüchtlinge gerügt Experten lehnen Gesetzentwurf des Bundesrates ab Von Ferdos Forudastan* Ein vernichtendes Zeugnis haben Experten den geplanten Sozialkürzungen für Flüchtlinge ausgestellt. Bei einer Anhörung im Gesundheitsausschuß des Bundestages am Mittwoch forderten Wohlfahrtsverbände, Kirchen und Migrantengruppen den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf zur Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes abzulehnen. Die Kritiker einte der Vorwurf, es sei widersinnig, bestimmten Ausländern einerseits eine Duldung zu erteilen, ihnen aber andererseits keine oder weit unter dem Sozialhilfesatz liegende Leistungen zu gewähren. Die beabsichtigte Beschränkung auf „im Ein- * FR vom 30.4./1.5.98 22 Saalfeld in Thüringen eine Demonstration gegen die neofaschistische Mörderbande statt, die vorgestern eine junge Frau aus dem linken Spektrum umgebracht hat. Mit der gleichen Zielsetzung und mit der gleichen Konsequenz, mit der gleichen Trauer und Wut demonstrieren wir heute hier in Hannover gegen den Rechtsextremismus und den Rassismus, der aus der Mitte dieser Gesellschaft kommt. Die Neofaschisten wollen ausländerfreie Zonen im deutschen Osten, die Kanther und Glogowskis ein flüchtlingsfreies Europa. Es braucht heute längst keine Neofaschisten mehr, um Flüchtlinge zu terrorisieren; deren Forderungen sind längst zu Recht und zelfall unabweisbar gebotene“ Hilfen sei unzumutbar. Die Vertreterin des Hohen Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen rügte, der Entwurf berücksichtige nicht die Schutzbedürftigkeit von Betroffenen. Erlange einfach, jenen Menschen Leistungen zu streichen, die nicht „freiwillig“ ausreisten, obwohl das „rechtlich und tatsächlich“ möglich sei. Es gebe aber Flüchtlinge, die zwar kein Asyl erhielten, aber dennoch schwerlich in ihre Heimat zurückkehren könnten - etwa, weil Rückkehrabkommen nicht funktionierten oder sie als Frauen Opfer geschlechtsspezifischer Diskriminierung seien. Diese gilt hierzulande nicht als Asylgrund. Kein Asyl erhalten auch Bürgerkriegsflüchtlinge und Menschen, die von nicht-staatlichen Gruppen verfolgt werden. Paritätischer Wohlfahrtsverband, Caritas und Sozialrechtswissenschaftler warnten, mit den massiven Einschränkungen würde das Existenzminimum unterschritten. Damit würden das in der Verfassung verankerte Sozialstaatsprinzip und der Grundsatz der Menschenwürde verletzt. Ein Experte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sagte voraus, ein Teil der Betroffenen werde sozial verwahrlosen. Ein Sprecher Gesetz geworden. Mit dem „finalen Leistungsentzug" propagieren die Innenministerien nunmehr direkt und unverblümt Elemente faschistischer Sozialpolitik. Soziale Verfolgung ist angesagt. Es gibt ein einfaches Mittel dagegen: Laßt uns auf der Seite der Gesellschaft zusammenkommen, wo die Menschenwürde uneingeschränkt gilt und wo das Recht auf Leben und Unversehrtheit für alle Menschen gleichermaßen gewährleistet ist. Weg mit dem Asylbewerberleistungsgesetz! der evangelischen Passionskirchengemeinde in Berlin gab zu bedenken, die Menschen würden geradezu in die Schwarzarbeit und die Kriminalität getrieben. Ein Vertreter der Bundesärztekammer verwarf den Entwurf als „ethisch untragbar“. Die Mediziner würden sich nicht zur Lösung politischer Probleme instrumentalisieren lassen. Praktiker bezeichneten bestehende Gesetze als ausreichend, um Leistungsmißbrauch zu verhindern. Die AG der Landesflüchtlingsverwaltungen begrüßt dagegen die angepeilten Kürzungen weitgehend, vorausgesetzt die Ausreise sei „zumutbar“. Ähnlich argumentierten kommunale Spitzenverbände. Rechtsprofessor Kay Hailbronner nannte die Regelungen rechtlich unproblematisch. Er hob darauf ab, daß lediglich geduldete Ausländer nicht die gleichen Leistungen erhalten sollten wie Nichtdeutsche mit festem Aufenthaltsstatus. Die Bundesregierung begrüßt die Bundesratsinitiative, die laut Experten bis zu 300.000 Menschen treffen würde, darunter viele bosnische Bürgerkriegsflüchtlinge. Unklar ist, wann der Bundestag den Entwurf berät. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 DOKUMENTATION Bundestagsdebatte AsylbLG / Rassismus Wir dokumentieren den uns von Georg Classen zugestellten Text der Bundestagsdebatte in voller Länge, und enthalten uns naheliegender Kommentierungen, - bis auf eine: welche Artikulierungsmöglichkeit bliebe eigentlich einer DVU noch in diesem Parlament angesichts der Beiträge der christlichen Regierungsparteien? Red. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes — Drucksache 13/10 155 — Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Gesundheit (federführend) Innenausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. — Widerspruch gibt es nicht. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Wolfgang Lohmann. Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits am 6. Februar 1998, nur wenige Minuten nach dem Beschluß des Bundesrates, haben wir uns hier in einer, wie ich finde, völlig überflüssigen Aktuellen Stunde inhaltlich mit dem Entwurf des Bundesrates eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes beschäftigt. Heute nun wird dieser Entwurf offiziell eingebracht. Die vom Bundesrat vorgeschlagenen Änderungen haben eine emotionale Springflut ausgelöst, die nach unserer Auffassung sachlich völlig unbegründet ist. Kirchliche Gruppen und Wohlfahrtsverbände haben sich offensichtlich durch die Verbände der Flüchtlinge und Bündnis 90/Die Grünen instrumentalisieren lassen. Bereits vor der Verabschiedung im Bundesrat hat der Bundesvorstandssprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Jürgen Trittin, den Inhalt des Gesetzes — ich zitiere aus der “Westfälischen Rundschau” — als “Ausdruck eines institutionalisierten Rassismus” bezeichnet. (Amke Dietert-Scheuer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!) Die Entgleisung von Herrn Trittin wird verständlich, wenn man bedenkt, daß vor dem Hintergrund des bevorstehenden Bundestagswahlkampfes ein Thema hochgeredet werden soll, von dem man sich Pluspunkte bei der vermeintlich einzig moralischen Kompetenz verspricht. (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Aber Trittin ist nicht Mitglied des Hauses!) Meine Damen und Herren von den Grünen — sie sind es noch —, Ihr grünes Ü, das Sie jetzt ständig plakatieren, steht auch beim Asylbewerberleistungsgesetz für Übertreibung. Was ist denn eigentlich so skandalös an diesem Gesetzentwurf des Bundesrates? Wir meinen: nichts. Drei Personengruppen, die bislang uneingeschränkt Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten haben, sollen künftig nur noch Leistungen bekommen, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist. Zukünftig sollen also Auslän- der von den Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ausgenommen werden, die nur nach Deutschland einreisen, um diese Leistungen zu erlangen, aber keinen Asylantrag stellen. (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig so!) Auch Ausländer, die die Durchsetzung der Ausreisepflicht beispielsweise durch Paßzerstörung verhindern oder die nicht ausreisen, obwohl sie freiwillig ausreisen könnten, sollen zukünftig keine Leistungen mehr erhalten. (Beifall bei der CDU/CSU) Darüber hinaus sieht der Gesetzentwurf einige Angleichungen des Gesetzes an bereits gültige Regelungen des Bundessozialhilfegesetzes vor. Bedauerlich an den Regelungen ist eigentlich nur, daß die SPD-Mehrheit im Bundesrat im April 1997 noch nicht den Mut gehabt hatte, diese Änderungen im Rahmen der Beratung des Ersten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes in den Vermittlungsausschuß einzubringen. Warum nicht gleich so, muß man eigentlich fragen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Doch zurück zur Gegenwart: Interessensgruppen, Bündnis 90/Die Grünen, leider auch Sie, Frau Sonntag-Wolgast, wenden sich gegen die Regelungen. Von Aushungern, unmenschlichen Behandlungsmethoden und der Verletzung der Menschenrechte ist die Rede. Auch der üble Begriff Ausländerfeindlichkeit wird teilweise in diesem Zusammenhang gebraucht. Kein Kommunalpolitiker, kein Landespolitiker und auch keiner von uns Bundespolitikern würde einer Regelung das Wort reden, die tatsächlich einen solchen Charakter hätte. Wir garantieren in Deutschland in einem großen politischen Konsens, manifestiert im Grundgesetz, das Asylrecht. Wir eröffnen in unserem Land jedem Asylbewerber nach der Ablehnung im Verfahren den Rechtsweg. Wir haben in Deutschland zu Zeiten des Bürgerkriegs im ehemaligen Jugoslawien mehr Flüchtlinge aufgenommen als jedes andere europäische Land. Das sind Fakten, die Kritiker an dieser Stelle einfach einmal zur Kenntnis nehmen müssen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auf diesen Rechtsrahmen sind wir stolz und werden ihn auch verteidigen. Wir und auch der Kanzler und die Bundesregierung wollen keine ausländerfeindlichen Regelungen, und, wie ich überzeugt bin, auch die Ministerpräsidenten, ob sie nun Teufel, Lafontaine oder Schröder heißen, wollen das nicht. Wir Befürworter des Gesetzentwurfes wollen lediglich den Schlepperbanden den finanziellen Anreiz nehmen, um diesen ihr wirklich menschenverachtendes und schmutziges Geschäft kaputtzumachen. Das wollen wir. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir wollen auch Leistungsmißbrauch zu Lasten unserer Gemeinschaft erschweren. Dies haben wir bei vielen Sozialleistungen leider tun müssen; warum nicht jetzt auch in diesem Bereich? Schließlich wollen wir auch den Menschen, deren Gastrecht in Deutschland abgelaufen ist und die jetzt in ihre Heimat zurückkehren müssen und dies auch können, Anreize für ihre Rückkehr geben. Ich persönlich kann zum Beispiel Personen aus Bosnien verstehen, die nicht in ihre Heimat zurück wollen. Ihre derzeitige Versorgung hier ist staatlich gesichert. Zu Hause müßten sie eigenverantwortlich ein neues Leben beginnen. Wer hätte für diese Menschen nicht mehr Verständnis als Personen, die beispielsweise wie ich als Kind noch die Flüchtlinge und ausgebombten Menschen erlebt haben. Aber auch diese Menschen haben sich nach dem menschenverachtenden Zweiten Weltkrieg an neuer oder an alter Stelle eine Existenz aus dem Nichts aufgebaut. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Niedersachsen Ist es deshalb unmenschlich, wenn wir den Bosniern jetzt deutlich machen, daß es Zeit ist, daß auch sie in ihre Heimat zurückkehren und wir ein längeres Bleiben in Deutschland nicht befürworten, sie aber nicht durch staatliche Gewalt gegen ihren Willen zum Ausreisen zwingen? Ich denke: Nein. Niemand wird gerade der zuletzt erwähnten Gruppe von Menschen die Unterkunft verweigern oder die notwendige Ernährung einschränken, wie die übertriebenen Schlagworte dauernd heißen. (Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Aber müssen diese Menschen weiterhin Taschengeld, Geld für Kleidung, Geld für andere Ge- und Verbrauchsgüter oder für Miete erhalten? Ich meine, wie Bundesrat und auch Bundesregierung: Nein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nur damit nicht morgen wieder von den Grünen behauptet wird, die CDU/CSU wolle Flüchtlinge nackt herumlaufen lassen: Es gibt schon sehr lange sehr gut ausgestattete Kleiderkammern in den Städten und Gemeinden. Auch das füge ich hinzu: Die wirklich unseriöse Politik betreiben doch Sie. In Nordrhein-Westfalen, in jenem rotgrünen Möchtegern-Musterländle, lassen Sie seit dem 1. Januar dieses Jahres die Kommunen mit den finanziellen Lasten der Bürgerkriegsflüchtlinge allein und verschleppen die Abschiebungen. Gleichzeitig versuchen Sie im Deutschen Bundestag, überfällige Leistungskürzungen zu verhindern, die direkt den Kommunen zugute kommen sollen. (Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Das ist unerhört!) Geld übrigens, das viele Kommunen liebend gerne auch in eine verbesserte Betreuung von ausländischen Jugendlichen, bessere Integrationsmaßnahmen von anerkannten Asylbewerbern oder Asylbewerberheime stecken würden, wie mir Kommunalpolitiker immer wieder versichern. Unterstellt man, daß auch nur ein Drittel der insgesamt 600 000 vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer von den Einschränkungen betroffen sein würden, ergäben sich direkte Einsparungen von 250 bis 300 Millionen DM im Jahr. Würden diese Anreize nur 10 Prozent der Betroffenen bis 1999 zur Ausreise bewe- gen, würden die Kommunen im nächsten Haushaltsjahr um etwa 600 Millionen DM entlastet. Inhaltlich wird die CDU/CSU-Fraktion trotz der generellen Befürwortung des Gesetzentwurfs des Bundesrates im weiteren Verfahren natürlich sorgfältig prüfen, ob nicht an der einen oder anderen Stelle Konkretisierungen, zum Beispiel beim Leistungsumfang, in den Gesetzentwurf aufgenommen werden sollten. Wir werden jedoch auch prüfen, ob nicht der weitergehende Vorschlag der Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern wieder aufgegriffen werden sollte, nämlich die Ausweitung der Einschränkung auf alle Personen, die sich unerlaubt in den Geltungsbereich des Gesetzes begeben haben. Grundsätzlich, meine Damen und Herren, bleibt festzuhalten: Wir können doch nicht in einer Zeit, in der wir angesichts der weltweiten Globalisierung vor die deutschen Bürger treten und ihnen erklären müssen, warum wir Leistungen teilweise einschränken und Leistungsmißbrauch bekämpfen — weil er unsozial ist —, gleichzeitig tatenlos zusehen, wie sich ein kleiner Teil — ich sage bewußt: ein kleiner Teil — der Ausländer durch rechtswidriges Verhalten einen Leistungsanspruch sichert. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege, denken Sie an die Zeit! Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (CDU/CSU): Übrigens: Dieses Verhalten ist auch sehr vielen Ausländern gegenüber ungerecht, die sich an Recht und Gesetz in unserem Land halten. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Brigitte Lange. Brigitte Lange (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ihre Rede, Herr Lohmann, macht es mir wirklich sehr schwer, das durchzuhalten, was ich mir vorgenommen habe: zu beachten, daß wir hier über ein sehr sensibles Thema reden, dessen Auswirkungen in der ôffentlichkeit wir einschätzen können und bei dem jedes Wort auf Mühlen geraten könnte, die wir nicht haben wollen. (Beifall bei der SPD) Ich denke, wir sollten bei allem, was wir sagen, im Auge behalten und überprüfen, ob es den Menschen hilft, um die es heute geht. Wir sollten von hier aus signalisieren, daß es dabei bleibt, daß bei uns Schutzsuchenden, die vorübergehend Aufnahme in unserem Land finden, eine menschenwürdige Versorgung garantiert wird. (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist keine andere Meinung!) Ich bin von Schulkindern gefragt worden: “Müssen Entscheidungen bei euch immer so lange dauern?” Ich habe versucht, ihnen zu erklären, warum Entscheidungen manchmal sehr lange dauern müssen. Hier haben wir ein Beispiel dafür, daß die Kürze der Beratung nicht unbedingt ein Ausweis dafür sein muß, daß ein Gesetz gelingt. (Zuruf von der CDU/CSU: Aber die Länge 23 DOKUMENTATION auch nicht!) Ich bin mir sicher — das ist aus den Erklärungen der Länder auch abzulesen — , daß sie eigentlich etwas anderes gewollt haben (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das kommt vom Bundesrat!) und daß sie im Gestrüpp der Formulierungen hängengeblieben sind. Das zu vermeiden ist ja auch nicht ganz einfach. Denn so, wie das Gesetz angelegt und gestrickt ist, kann es schon passieren, daß jemand, der sich in dem Recht nicht so auskennt, möglicherweise einer Sache zustimmt, die er so nicht wollte. Lesen Sie, was Bürgerkriegsflüchtlinge anbetrifft, Äußerungen nach! (Zuruf von der F.D.P.: Wo kommt das denn her?) Insofern danke ich — im Gegensatz zu Ihnen, Herr Lohmann — allen Organisationen, den Kirchen, den Gewerkschaften, die uns geschrieben (Zuruf von der CDU/CSU: Und der eigenen Partei! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU) — wenn der uns geschrieben hätte, hätte ich ihm auch gedankt — und uns auf das Problem aufmerksam gemacht haben. Übertreibungen sind für diejenigen, die Anwälte der Flüchtlinge sind, erlaubt. In unserer Gesellschaft, so sage ich einmal, sind sie erst recht erlaubt. (Beifall bei der SPD — Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]:Sie dürfen aber nicht zum Vorwand werden!) Nur, in der Frage der Bürgerkriegsflüchtlinge, meine Damen und Herren, haben sie sich leider nicht geirrt. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heinrich? Brigitte Lange (SPD): Ja. Ulrich Heinrich (F.D.P.): Frau Kollegin, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir heute die erste Lesung haben — weil Sie eben gerade die Kürze der Beratung kritisiert haben? (Heiterkeit bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Brigitte Lange (SPD): Das Mißverständnis läßt sich leicht aufklären. Ich meine die Kürze der Beratung im Bundesrat. (Cornelia Schmalz-Jacobsen [F.D.P.]: Die Bundesratsbank ist erstaunlich leer! Das muß ich schon sagen! — Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das ist kein Mißverständnis, Frau Kollegin! Das ist falsch ausgedrückt!) — Ich kann doch nicht jemanden meinen, der es nicht gemacht hat. Das war eindeutig. Es ist etwas schwierig. (Beifall bei der SPD) Aber wenn Sie schon das schlechte Gewissen packt, habe ich Hoffnung. (Zurufe von der CDU/CSU) — Wäre es möglich, daß Sie mir ganz kurz zuhören? Dann geht es nämlich schneller. Ich möchte Ihnen kurz den Bundesratsentwurf erläutern, der bei Enthaltung der ro/grün geführten Länder und bei der Gegenstimme Schleswig-Holsteins eine mehrheitliche Zustimmung gefunden hat. Das macht Ihnen deutlich, daß ihm nicht alle Länder zugestimmt haben, sondern daß bereits Bedenken bestanden haben. 24 (Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Schröder hat nicht zugestimmt!) Die Bedenken werden in diesbezüglichen Erklärungen, Briefen und Stellungnahmen deutlich. Ich empfehle Ihnen, die Stellungnahme des UNHCR zu lesen. Müssen wir in einer so sensiblen Debatte wirklich auf diese Weise miteinander umgehen? (Beifall bei der SPD) Ich bitte doch herzlich darum, mir zuzuhören. Ich referiere Ihnen jetzt einfach, was im Gesetzentwurf steht. Hören Sie erst einmal zu. Vielleicht stimmen Sie mir dann zu. (Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Lesen Sie es doch selber! Wir kennen es!) Hauptziel dieses Gesetzentwurfes ist, Mißbrauch zu verhindern. Das wollte man durch Leistungseinschränkungen erreichen. An dieser Stelle füge ich hinzu — damit keine falsche Vorstellung entsteht —: Die hier angesprochenen Leistungen, die bereits unterhalb der Sozialhilfe liegen, also nur 80 Prozent der Sozialhilfe betragen, sind wahrlich nicht üppig (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das behauptet ja keiner!) und stellen ein Minimum an Versorgung sicher. Nur damit nicht immer der Eindruck entsteht, die Betroffenen hätten so viel, daß man davon noch etwas wegnehmen könnte. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!) Es ist gerade das Minimum an Versorgung. Einmal im Kommentar zum Bundessozialhilfegesetz nachzulesen könnte Ihnen helfen — Herr Lohmann, da kennen Sie sich ja aus —: Da wird das Unerläßliche als das um 20 Prozent gekürzte Regelsatzgeld definiert. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Es geht um die Anspruchsberechtigten!) Da wären wir bei dem, was ein Betroffener jetzt erhält. Es wird sehr schwierig sein, tatsächlich zu beschreiben, was man mit dem Gesetzentwurf vorhat. Von der Leistungseinschränkung sind zwei Gruppen betroffen: diejenigen, die man nachträglich bei der letzten Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes dessen Geltungsbereich hinzugefügt hat, nämlich Personen, die nach § 55 des Ausländergesetzes eine Duldung besitzen, und Personen, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist. Ich will Ihnen gern einmal diejenigen Gruppen nennen, die von dieser Duldung nach § 55 betroffen sein werden: (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Aber auch die anderen!) Darunter fallen unter anderem bosnische Kriegsflüchtlinge ohne Rücksicht auf Herkunft und Rückkehrmöglichkeiten, darunter auch Lagerinsassen, Opfer von Kriegsverbrechen, Vergewaltigungen und Folter; auch Zeugen des Haager Kriegsverbrechertribunals und deren Familienangehörige. Darunter fallen auch Flüchtlinge, die aus humanitären Gründen und wegen Gefahr für Leib und Leben eine Duldung erhalten, zum Beispiel Flüchtlinge aus Afghanistan, Somalia oder Algerien. Darunter fallen Flüchtlin- ge, die eine Duldung erhalten, weil sie nicht abgeschoben werden können, zum Beispiel Flüchtlinge aus dem Kosovo, Palästinenser aus dem Libanon und Kurden aus der Türkei. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Um die geht es doch gar nicht!) Das zu der Erklärung, welcher Personenkreis hier im Gesetzentwurf beschrieben wird. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Theoretisch!) — Nein, nicht theoretisch. Es steht ausdrücklich in dem Gesetzentwurf, nämlich “Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 und 5”. Ich empfehle Ihnen, das Asylbewerberleistungsgesetz von 1997 nachzulesen. (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Sagen Sie das doch einmal dem Herrn Schröder!) Diese Gruppe soll Leistungseinschränkungen erhalten. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Wenn sie ausreisen könnten und es nicht tun!) Das bedeutet praktisch keine Leistungen mehr, wenn sie sich erstens in unser Land hineinbegeben haben, um Sozialleistungen zu empfangen — diese Regelung ist aus dem BSHG übernommen; wenn Sie sich erkundigen, werden Sie herausfinden, daß dieser Paragraph selten angewendet werden kann und Schwierigkeiten machen wird —, oder wenn sie zweitens aus von ihnen zu vertretenden Gründen nicht ausreisen oder abgeschoben werden können. Da, Herr Lohmann, könnte ich mir vorstellen, daß das die Gruppe ist, bei der man sagt, sie könne nicht bei uns bleiben, weil sie selber ihre Ausreise verhindert, um weiter Leistungen zu erhalten. Es ist richtig, daß das Gesetz vollzogen werden muß und daß sie unser Land verlassen müssen. Aber wir als Sozialpolitiker müssen ganz grundsätzlich fragen: Welche Mittel nehmen wir? Es bleibt die Frage, ob man dazu das Sozialrecht oder das Ausländerrecht nimmt. Es muß für uns als Politiker zwingend sein, darüber nachzudenken: Was machen wir? Welche Konsequenzen haben wir, wenn wir ein Sozialrecht dahin gehend erweitern, daß wir es als Ordnungsrecht gebrauchen, quasi als Ersatz für die Unmöglichkeit eines Ordnungsrechts? Wir werden darüber nachdenken müssen. Das zweite ist — insbesondere da hat der Protest angesetzt —, daß geduldete Flüchtlinge praktisch keine Leistung erhalten sollen, wenn sie nicht ausreisen, obwohl ihrer Ausreise in den Herkunftsstaat oder einen anderen zur Aufnahme bereiten Staat keine rechtlichen oder tatsächlichen Hindernisse entgegenstehen. Wir alle, die wir zu Hause Flüchtlinge aus Jugoslawien haben, wissen, wie schwer es für die Familien ist, zurückzukehren. Herr Lohmann, der Vergleich mit der Situation nach dem Krieg zieht nicht. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das sagen Sie! Das sagen Sie einmal den Menschen vor Ort!) Er zieht nicht, weil die Flüchtlinge damals nicht an Leib und Leben bedroht waren, wie manche es jetzt noch sind. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Bitte, was? — Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Wo leben Sie denn?!) Ich bin auf Einladung Ihres Verteidigungsministers Rühe in Sarajevo gewesen. Die Generäle haben uns den Zustand der Region dort geschildert. Sie haben uns gesagt: Wenn unser Aufenthalt hier einen Sinn haben soll, wenn es uns gelingen soll, diese Gegend von Minen freizuräumen, wenn es uns gelingen soll, den Frieden in dieser Region einigermaßen zu bewahren, dann sagt bitte zu Hause, daß die Rückkehr von Flüchtlingen nur behutsam und nur in bestimmte Gegenden erfolgen kann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN — Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Wer sagt denn etwas anderes?) Wir wissen, daß in manchen Regionen, in die man reisen kann, die Häuser zerstört sind, daß zum Teil andere Familien in den nicht zerstörten Häusern wohnen, daß Flüchtlinge wieder in Lagern aufgenommen werden und daß Flüchtlinge nicht auf Anerkennung stoßen. Der Prozeß wird nur langsam fortschreiten. Ich bitte Sie, einmal darüber nachzudenken, ob man hier wirklich so argumentieren kann. (Zuruf von der CDU/CSU: Ich bin froh, daß die die Wahlen nicht gewinnen werden!) Ich denke, daß wir uns — nach der geplanten Anhörung, in der wir auf all diese Fragen Antworten bekommen — bemühen und unsere ganzen Anstrengungen dareinsetzen sollten, mit den Ländern zusammen dieses Gesetz so zu verändern, daß die Menschlichkeit, der Anspruch auf Menschenwürde und auch der Rechtsstaat nicht auf der Strecke bleiben. Vielleicht erlauben Sie mir eine letzte Bemerkung: Das ist jetzt die dritte Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Jedesmal hat es eine Verschlechterung gegeben. Wir suchen hier nach den richtigen Mitteln, um die Flüchtlingsfrage zu lösen. Ich würde mir wünschen, wir würden uns mindestens so engagieren und so viel Phantasie aufwenden und Mittel ersinnen, die es erlauben, daß die Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, in ihren Heimatländern bleiben können. Dann wäre es wirklich möglich, menschlich miteinander umzugehen. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Amke Dietert-Scheuer. Amke Dietert-Scheuer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als das Asylbewerberleistungsgesetz 1993 beschlossen wurde, hieß es: Für ein Jahr, auf keinen Fall länger, sollen Asylsuchenden die Leistungen im Vergleich zu deutschen Sozialhilfeempfängern gekürzt werden. Vergangenen Sommer wurde der Personenkreis erweitert. Die Bürgerkriegsflüchtlinge und die Geduldeten kamen hinzu. Außerdem wurde die Kürzung um zirka 20 Prozent im Verhältnis zu den Sozialleistungen auf drei Jahre verlängert. Der Gesetzentwurf, um den es heute geht, ist nicht mehr nur eine Kürzung, FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 DOKUMENTATION sondern die Aufkündigung jedes sozialstaatlichen Konsenses. Einem Teil der hier lebenden Bevölkerung — die Bundesregierung redet von zirka 600 000 Menschen — soll jeglicher Versorgungsanspruch und damit im Prinzip das Lebensrecht verweigert werden. (Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: So ein ausgemachter Blödsinn!) Das dürfen wir nicht hinnehmen! Erinnern wir uns an die von uns beantragte Aktuelle Stunde zum Asylbewerberleistungsgesetz am 6. Februar. Wir haben aufgezeigt, wer von diesen Maßnahmen betroffen wäre: bosnische Kriegsflüchtlinge, Flüchtlinge aus Algerien, aus dem Kosovo und afghanische Frauen. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Sprechen Sie doch endlich über die Schlepperbanden!) Was wurde uns da nicht alles vorgeworfen: Greuelszenarien, Unkenntnis des Gesetzestextes. Der Debatte vom 6. Februar war aber auch zu entnehmen, daß es auch in den Reihen der Koalitionsfraktionen Bedenken gegen das Gesetz gibt. Zumindest wurde die Auffassung geäußert, daß bosnische Flüchtlinge und Personen, die auf Grund von Abschiebungshindernissen geduldet werden, nicht davon betroffen sein dürften. Bei Ihnen, Herr Lohmann, klang das vorhin schon wieder deutlich anders. Der vorliegende Gesetzentwurf erfüllt aber nicht einmal diese Voraussetzungen. Nach wie vor sind auch bosnische Kriegsflüchtlinge und Geduldete, bei denen Abschiebungshindernisse nach § 53 des Ausländergesetzes festgestellt wurden, weil ihnen Gefahr für Leib und Leben, Folter oder Todesstrafe drohen, von dem Leistungswegfall betroffen. Eine Klarstellung in einem Referentenentwurf aus dem Gesundheitsministerium, die diese Personen ausgenommen hätte, wurde von der Bundesregierung in ihrer Stellungnahme nicht übernommen. Dies und auch die von der Bundesregierung geschätzten 600 000 Betroffenen machen deutlich, daß gerade auch diese Personengruppen unter diese Regelung fallen sollten. Die Bundesregierung will den Entwurf des Bundesrates sogar noch weiter verschärfen. Was im Plenum des Bundesrates noch verworfen wurde, will sie wieder einführen. Von Leistungen ausgeschlossen soll auch werden, wer unerlaubt in die Bundesrepublik eingereist ist. Gerade Personen, die vor politischer Verfolgung oder auf Grund von Gefahr für Leib und Leben fliehen, ist es so gut wie unmöglich, legal in die Bundesrepublik einzureisen. Genau deswegen schließt die Genfer Flüchtlingskonvention in Art. 31 eine Bestrafung wegen illegaler Einreise ausdrücklich aus. Es ist ein Verstoß gegen den Geist des Völkerrechts, wenn hier bei uns nun eine Bestrafung über das Sozialrecht vorgenommen werden soll. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS) Nach wie vor unklar ist, was es zu bedeuten hat, wenn diejenigen Personen, die keinen Anspruch mehr haben, nur noch Leistungen erhalten, “soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unab- weisbar geboten ist.” Sollen alle Sozialleistungen gestrichen werden, also die ca. 600 000 Betroffenen auf die Straße gesetzt werden? Sollen sie medizinisch notversorgt werden? Sollen ihre Kinder vom Schulrecht ausgeschlossen werden? Sollen sie lediglich eine Rückfahrkarte und ein Butterbrot erhalten? Diese und andere Vorschläge kursieren. Es ist völlig offen, wie verfahren werden soll. Was bedeutet der Gesetzentwurf für die konkrete alltägliche Praxis auf dem Sozialamt? Werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sozialämter nun in jedem Fall feststellen müssen, ob eine Familie freiwillig ausreisen könnte, ob ein krankes Kind zum Arzt darf oder nicht? Nicht zuletzt sollten wir uns die absehbaren Nebeneffekte dieses Gesetzes vor Augen führen. Von mehreren Seiten kamen Warnungen, daß dieser Gesetzentwurf die Asylbewerberzahlen in die Höhe treiben wird. Flüchtlinge aus Kriegen und Bürgerkriegen haben im Asylverfahren so gut wie keine Anerkennungschancen. Mit dem leider nie umgesetzten § 32 Ausländergesetz sollte daher vermieden werden, daß sie ins Asylverfahren gedrängt werden. Dieser gewünschte Effekt wird nun mit der Neuregelung des Asylbewerberleistungsgesetzes hintertrieben. Die vorgesehene Regelung wird ein enormes Maß an bürokratischen Einzelfallprüfungen und Gerichtsverfahren nach sich ziehen. Was sollen Personen, die auf Grund von Gefahr für Leib und Leben nicht in ihre Heimatländer zurückkehren können, anderes tun, als den Klageweg zu beschreiten, um sich nicht durch diese Politik des Aushungerns aus dem Land treiben zu lassen? Nicht zuletzt ist es der soziale Sprengstoff, den dieser Gesetzentwurf enthält, über den wir uns ernsthaft Gedanken machen sollten. Sollen etwa die betroffenen Menschen in die Illegalität gehen, um ihren Lebensunterhalt anderweitig zu beschaffen? (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Die sollen nach Hause gehen!) Wir werden Kriminalität produzieren, wenn wir diesem Gesetzentwurf unsere Zustimmung geben. Oder ist etwa gerade das gewollt: Flüchtlinge in die Kriminalität zu treiben, um weiterhin Angst und Vorurteile zu schüren? (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So was Dummes! — Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Ich war 16 Jahre in der Kommunalpolitik! Soll ich mir so was anhören?) Der Gesetzentwurf enthält eine Reihe von Unklarheiten und Ungereimtheiten. Eines ist jedoch vollkommen klar: Mit diesem Gesetz verläßt die Bundesregierung den Boden des Sozialstaates. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik wird einer Gruppe von Menschen das pure Existenzrecht abgesprochen. Nach dem Willen der Bundesregierung werden Hunderttausende von Menschen gezwungen sein, auf der Straße zu leben und zu hungern. Dies kann man nur als einen Rückfall in die Barbarei bezeichnen. Die Kirchen, die Wohlfahrtsverbände und der UNHCR laufen — vollkommen zu Recht — dagegen Sturm. Ich hoffe, daß Sie sich bei der geplanten Anhörung zu dem Gesetzentwurf wenigstens von deren Argumenten überzeugen lassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Uwe Lühr. Uwe Lühr (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Zwei Bemerkungen am Anfang: Daß der Bundesrat bei der Debatte seines Gesetzentwurfs, der über das Schicksal von vielen Menschen durchaus wichtige Entscheidungen treffen wird, nicht angemessen präsent ist, empfinde ich als eine Zumutung für unser Hohes Haus. (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der SPD und der PDS) Zweite Bemerkung: Auch ich werde versuchen, mich in meinem Diskussionsbeitrag differenziert zu dem Gesetzentwurf zu äußern. Ich möchte aber zunächst darauf hinweisen — speziell mit Blick auf die Rede der Kollegin Lange —, daß der Bundesrat diesem Gesetzentwurf mehrheitlich zugestimmt hat. Nun ist die SPD ja kampferprobt, was die Blockade von Gesetzen im Bundesrat angeht, die nach Meinung der SPD unvollständig sind. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das kann man wohl sagen!) Es wäre sinnvoll gewesen, diesen Gesetzentwurf, der in meinen Augen wirklich nicht ausreichend ist, zu blockieren. (Beifall bei der F.D.P.) Meine Damen und Herren, in der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs des Bundesrates möchte ich kurz beleuchten, wie es zu dem jetzt diskutierten Gesetzentwurf gekommen ist. Ausgegangen war das Verfahren von einem Antrag des Landes Berlin, daß Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz dann beschränkt werden sollten, wenn Menschen in das Bundesgebiet einreisen, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erhalten. Dieser Antrag, der eine Regelung des Bundessozialhilfegesetzes aufgreift, war als solcher inhaltlich zweifellos sinnvoll. Allerdings hat sich durch das Plenum des Bundesrates die Möglichkeit einer erheblichen Erweiterung ergeben. Diese Erweiterung hat aber in keiner Weise dazu beigetragen, inhaltliche Verbesserungen oder gar klare Regelungen zu erreichen. Im Gegenteil: Die bisherige Diskussion hat zu einer Verunklarung, Verschärfung und damit aus meiner Sicht zu einer “Verschlimmbesserung” geführt. Mittlerweile hat die Bundesregierung Stellung genommen. Diese Stellungnahme zeichnet sich durch eine große Offenheit, aber auch durch Interpretationsmöglichkeiten nach allen Seiten aus. Das hat den Vorteil, daß sie für weitere Interpretationen offen ist. Allerdings besteht auch die Gefahr, daß in die falsche Richtung weitergedacht wird. Nach wie vor nicht befriedigend geklärt ist, wen genau die vorgesehenen Kürzungen treffen sollen. Handelt es sich um diejenigen, die mehrfach Sozialhilfe beziehen und somit zweifellos Sozialleistungen mißbrauchen? Sind es diejenigen, von denen wir annehmen, daß sie ausreisen könnten, es aber nicht tun? Oder sind es eventuell auch diejenigen, die illegal eingereist sind, weil sie vor Folter oder Todesstrafe fliehen mußten? Zumindest läßt sich zunächst feststellen, daß sich derjenige, der eine ausländerrechtliche Duldung besitzt, legal im Bundesgebiet aufhält. Jede Abgrenzung innerhalb dieser Gruppen ist ausgesprochen schwierig. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der SPD) Diese Arbeit, denke ich, liegt noch vor uns. Nehmen wir beispielsweise die Gruppe der sogenannten illegal Eingereisten, die der Bundesrat mit Bedacht nicht in die Neuregelung einbezogen hat. Gleichwohl formuliert die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme, den Antrag zu “prüfen”, ob auch die illegale Einreise für Leistungseinschränkungen herangezogen werden sollte. Meine Damen und Herren, illegal ist jeder eingereist, der bei seiner Einreise nicht über die notwendigen Ausweisdokumente verfügt. Dies betrifft völlig unterschiedliche Personengruppen. Da ist zum einen derjenige, der nach Deutschland gekommen ist, weil er sich hier ein besseres Leben verspricht, und der gefahrlos ins Herkunftsland zurückreisen könnte. Hier spricht nichts, aber auch gar nichts dagegen, ihm hier in Deutschland das Leben so ungemütlich wie möglich zu machen, damit er wieder ausreist. (Zustimmung des Abg. Ulrich Heinrich [F.D.P.]) Es betrifft aber auch Bürgerkriegsflüchtlinge und Menschen aus Ländern, in denen staatliche Verfolgung herrscht. Diese Menschen können die erforderlichen Dokumente zum Zeitpunkt ihrer Flucht oft nur schwer oder gar nicht beschaffen. Man muß sich gerade im Hinblick auf Bürgerkriegsflüchtlinge oder auf Menschen aus Ländern, in denen staatliche Verfolgung herrscht, klarmachen, daß solche Papiere nicht oder nur unter ganz großen Schwierigkeiten zu beschaffen sind. Wir haben es deswegen mit einer zahlenmäßig recht umfangreichen Gruppe zu tun. Was ist mit Flüchtlingen, in deren Heimatländer — wie beispielsweise Afghanistan — keine Rückflüge möglich sind? Viele der illegal Eingereisten erhalten nach § 53 oder § 54 Ausländergesetz zu Recht eine Duldung im Bundesgebiet, weil ihnen im Heimatland Tod oder Folter drohen. Diese Flüchtlinge sind nicht etwa gekommen, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen, sondern weil sie Schutz begehren und den Schutz brauchen. (Beifall der Abg. Cornelia Schmalz-Jacobsen [F.D.P.]) Die Genfer Flüchtlingskonvention legt dazu international geltende Maßstäbe fest, an die sich alle Staaten und damit auch die Bundesrepublik Deutschland zu halten haben. Diesen Menschen kann man doch nicht auch noch die Leistungen beschneiden! 25 DOKUMENTATION (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P., der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, sicherlich gibt es Mißbrauchsfälle, in denen der Staat den Mißbrauch nicht dulden darf und einschreiten muß. Das sollte uns aber nicht Anlaß geben, eine ganze Gruppe pauschal mit Leistungseinschränkungen zu belegen, so daß es auch die Falschen treffen kann. So sehr ich für Verwaltungsvereinfachung bin: Hier ist es unumgänglich, klare und präzise Regelungen zu treffen und genaue Voraussetzungen zu schaffen, nach denen eine Leistungseinschränkung im Einzelfall beurteilt werden kann. Es geht nicht an, im Schnellverfahren noch ein so wichtiges Gesetz vor der Bundestagswahl durch die Gremien zu peitschen. Es könnte uns dann sehr leicht passieren, daß wir die Fortentwicklung der unzureichenden Gesetzesregelungen der Rechtsprechung überlassen müssen, die die Einzelfälle individuell beurteilen wird, was sich über Jahre hinwegziehen würde. Die Sozialbehörden vor Ort, die mit diesem Gesetz umgehen müßten, dürften mit den Regelungen, wie sie derzeit vorgeschlagen werden, überfordert sein — und das zu Recht. Die Behörden, die mit dem Gesetz umgehen sollen, müssen wissen, wann genau Mißbrauch vorliegt. Der Personenkreis, der mißbräuchlich Leistungen beansprucht, muß klar definiert sein. Es wäre zudem auch wichtig, zu erfahren, wie andere europäische Länder mit Asylbewerbern und Flüchtlingen umgehen. (Beifall der Abg. Cornelia Schmalz-Jacobsen [F.D.P.]) Kaum ein anderes europäisches Land verfügt über so ausgefeilte und differenzierte Regelungen zum Ausländerrecht wie die Bundesrepublik. Nach Auskunft des UNHCR behandeln manche europäische Länder Bürgerkriegsflüchtlinge und Asylbewerber einfach einheitlich als Flüchtlinge. Auch im Hinblick auf die Erteilung von Arbeitserlaubnissen sind andere Länder großzügiger. Wenn aber eine legale Arbeitsaufnahme nicht möglich ist, muß der Staat Flüchtlingen in anderer Weise ein menschenwürdiges Existenzminimum sichern, wie zum Beispiel bei uns durch Geld- oder Sachleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Ich sehe sehr wohl, daß soziale Leistungen des Staates finanzierbar bleiben müssen. Das darf aber nicht auf Kosten solcher Menschen gehen, die wirklich schutzbedürftig sind. Darauf legen wir wirklich Wert. Solchen Menschen darf auch nicht von vornherein unterstellt werden, sie seien gekommen, um sich an Leistungen des deutschen Sozialstaats zu bereichern. Das kann nicht Sinn der Übung sein. Ich bin hier dringend dafür, daß wir uns noch eingehend mit den genauen Voraussetzungen dieser Regelungen befassen. Meine Fraktion hat sich deswegen dafür ausgesprochen, daß wir im Rahmen der Ausschußberatungen unbedingt eine Anhörung mit den beteiligten Verbänden, insbesondere dem UNHCR und anderen Organisationen, durchführen sollten. 26 (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der SPD — Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Aber auch mit den Kommunen!) Das hat der Gesundheitsausschuß dankenswerterweise auch so beschlossen. (Vorsitz: Vizepräsidentin Michaela Geiger) Es handelt sich um eine so schwierige und verzweigte Materie, daß wir uns nicht anmaßen sollten, auf den Sachverstand und das Detailwissen dieser Verbände zu verzichten. Wir müssen hinterher mit den negativen Konsequenzen dieser Entscheidung leben. Bevor wir uns nicht restlos über die Konsequenzen klar sind, habe ich und hat meine Fraktion deutliche Vorbehalte gegen den Gesetzentwurf, jedenfalls wie er jetzt aussieht. Schönen Dank. (Beifall bei der F.D.P. und der SPD) Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Heidi Knake-Werner, PDS. (Dr. Willfried Penner [SPD]: RheinlandPfalz hat auch zugestimmt!) Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es wird Sie nicht in Erstaunen versetzen, wenn ich Ihnen gleich zu Beginn sage, daß die PDS den Gesetzentwurf der großen Länderkoalition ablehnt. Dieser Bundesratsentwurf bestätigt unsere Befürchtungen, die wir bereits 1993 bei der Verabschiedung des Asylbewerberleistungsgesetzes hatten. Wer einmal von dem Grundsatz abweicht, daß die Menschenwürde unteilbar ist, wer einmal eine Gruppe von Menschen unter diskriminierendes Sonderrecht stellt, der wird bei passender Gelegenheit weiter an dieser Schraube drehen. Aus welchen Gründen auch immer: Finanzkalkül und Ausländerfeindlichkeit ergänzen sich hier auf bedrohliche Weise. Erst im vergangenen Jahr hat eine Mehrheit im Bundestag und auch im SPD-dominierten Bundesrat dafür gesorgt, daß die obligatorische Leistungskürzung um 20 bis 25 Prozent im ersten Jahr des Aufenthaltes von Asylantragstellern noch einmal für drei Jahre fortgeführt wird und daß das ausgrenzende und diskriminierende Sachleistungsprinzip verschärft angewandt wird. Und nun — so jedenfalls die Intention des Bundesrates — versuchen SPD und CDU erneut, sich im Kampf gegen die sogenannte mißbräuchliche Inanspruchnahme von Sozialleistungen durch Ausländer zu übertreffen. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wollen Sie die fördern?) Gegen die Bekämpfung von Mißbrauch kann niemand ernsthaft etwas einwenden. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Etwas machen, nicht nur reden!) — Hören Sie mir doch einfach einmal zu, Herr Lohmann. — Aber da liegt gar nicht das Problem. Hier geht es nicht um die Verhinderung von Mißbrauch, sondern hier soll der Verdacht des Leistungsmißbrauches dazu herhalten, Sozialleistungen für bestimmte Gruppen von Flüchtlingen zu kürzen (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das sagen Sie!) und auf das unabweisbar Lebensnotwendige — Sie sollten einmal erklären, was das ist — zusammenzustutzen. (Beifall bei der PDS) Dabei spielt neben Bayern auch Niedersachsen wieder eine besonders unrühmliche Rolle. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich will es noch einmal deutlich sagen: Diese Aufgabenteilung zwischen Bundesrat und Bundestagsfraktion macht Ihre Flüchtlingspolitik wirklich nicht glaubwürdiger. (Beifall bei der PDS) Das Sozialrecht wird zur Regulierung von Asyl- und Flüchtlingsfragen mit der bösen Konsequenz instrumentalisiert, Flüchtlinge durch Aushungern zu vertreiben — man kann es nicht anders nennen, Herr Lohmann —, (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das, was Sie sagen, ist primitiv und beleidigend!) wenn der, der wohnen will, der essen will, der eine medizinische Versorgung haben will, ausreisen muß, weil ihm nichts anderes mehr bleibt. Auf diesen skandalösen Vorgang ist in der Tat in den vielen Stellungnahmen hingewiesen worden, die wir in den letzten Wochen erhalten haben. Die Frage, ob jemand Sozialleistungen bekommt oder nicht, wird nicht mehr danach entschieden, ob der- oder diejenige für den Lebensunterhalt selbst sorgen kann oder nicht, sondern danach, ob das alles ins ausländerpolitische Konzept paßt. Das stellt in der Tat das Sozialstaatsprinzip komplett auf den Kopf. (Beifall bei der PDS) Betrachtet man die Regelungen im einzelnen, verstärkt sich natürlich dieser Eindruck: Erstens. Die Leistungseinschränkung soll Personen treffen, deren Asylverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist und bei denen der Verdacht besteht, daß sie eine Abschiebung verhindern, um Sozialleistungen zu erhalten. Daß diese Menschen einfach von der Angst um ihr Leben getrieben sein könnten, hat wohl in solchen Gehirnwindungen keinen Platz mehr. Zweitens. Die Leistungseinschränkung soll Leistungsberechtigte treffen, die nicht freiwillig ausreisen. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Wenn sie es könnten!) Dabei spielt bei der Auslegung der Freiwilligkeit das, was die Menschen nach ihrer Rückkehr erwartet, überhaupt keine Rolle. Sich darüber hinwegzusetzen ist zutiefst unmoralisch. (Beifall bei der PDS – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Daß Sie die Moral nennen, ist ein Witz, wenn es nicht so traurig wäre!) — Sie können mir und auch meinetwegen der DDR viel vorwerfen, aber nicht, daß sie keine Flüchtlinge aufgenommen hat. (Uwe Lühr [F.D.P.]: Der Salto war interessant! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU) — Selbst dieses Thema ist Ihnen nicht ernst genug, um es für solche Schoten zu nutzen. Drittens. Die Leistungseinschränkung soll schließlich Leistungsberechtigte betref- fen, die eingereist sind, “um Leistungen zu erhalten”, wie es wörtlich heißt. Darunter können alle Flüchtlinge fallen, die ausländerrechtlich weiterhin geduldet oder zumindest aktuell nicht abgeschoben werden können, zum Beispiel Frauen und Männer, die in ihrem Heimatland von Folter und Tod bedroht sind, oder jene, die auf Grund eines Abschiebestopps geduldet werden; auch solche, die auf Grund ethnischer Konflikte aus ihren Ländern fliehen. All diesen Menschen wird die Existenzgrundlage entzogen, egal, ob sie aus dem Kosovo, aus Algerien, aus dem Libanon oder aus Afghanistan kommen. Mit einem Butterbrot und einer Fahrkarte werden sie dorthin zurückgeschickt. Und sie sagen, diese Menschen sollen Rechtsmittel einlegen. Auf welcher Grundlage denn eigentlich, Herr Lohmann? Wie sollen die denn in dieser Zeit hier leben? (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Den Asylbewerbern werden alle Rechtsmittel geboten!) Aber man geht ja auch noch viel weiter: Die Bundesregierung begrüßt die Initiative des Bundesrates und möchte sie darüber hinaus noch verschärfen. Herr Bundesminister Seehofer geht davon aus, daß 600 000 im Lande lebende Ausländerinnen und Ausländer für die Leistungseinschränkung in Betracht kommen können. Natürlich wollen Sie auch diejenigen erfassen, die illegal eingereist sind. Das können sich wirklich nur Bürokraten ausdenken, in deren Vorstellungswelt es nicht paßt, daß Menschen, die vor gesundheits- und lebensbedrohenden Situationen in ihrem Heimatland fliehen, nicht auch noch Anträge in fünffacher Ausfertigung ausfüllen können. Nein, in Ihre Köpfe geht so etwas nicht hinein. Der Gesetzentwurf, der hier vorliegt, hat für diese Menschen nur eine Botschaft: Raus, aber schnell! Das halten wir für einen unerträglichen Verstoß gegen den Sozialstaat und gegen die Menschlichkeit. Ich versichere Ihnen: Die PDS wird den breiten Widerstand gegen dieses unsoziale und rassistische Gesetz unterstützen. (Beifall bei der PDS sowie der Abg. Amke Dietert-Scheuer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich erteile jetzt das Wort dem Bundesminister für Gesundheit, Horst Seehofer. Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Angesichts so vieler Falschbehauptungen möchte ich mit dem beginnen, worum es heute nicht geht. Es geht nicht darum, daß Leistungen für Menschen eingeschränkt werden, die sich in einer Notlage befinden und denen deshalb der Aufenthalt in Deutschland gestattet ist, zum Beispiel Asylbewerbern während des Asylverfahrens oder anerkannten Asylbewerbern. Es geht auch nicht darum — das immer wieder bemühte Beispiel —, einem durch Folter traumatisierten Menschen, der in Deutschland die erforderliche medizinische Hilfe erhält, Leistungen zu kürzen; denn diesen Menschen wird es nicht zu- FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 DOKUMENTATION mutbar sein, in ihre Heimat zurückzukehren. (Zurufe von der Tribüne — Die Zurufer werden vom Ordnungsdienst des Saales verwiesen — Die Abgeordneten der Gruppe der PDS verlassen den Saal — Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die haben auf den Auftritt gewartet und gehen jetzt geschlossen raus! Das ist ein dicker Hund!) Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Minister, ich schlage vor, daß Sie jetzt mit Ihrer Rede von vorne beginnen. Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte angesichts vieler Falschbehauptungen noch einmal feststellen, worum es heute nicht geht. Es geht nicht darum, Leistungseinschränkungen für Menschen vorzusehen, die in einer Notlage sind, und sich hier berechtigterweise aufhalten. Es geht auch nicht um Menschen — um das noch einmal zu sagen —, die durch Folter traumatisiert sind, die hier in Deutschland die erforderliche medizinische Hilfe erfahren und denen man nicht zumuten kann, in ihr Heimatland zurückzukehren. Worum geht es eigentlich bei diesem Bundesratsentwurf? Nach der aktuellen Rechtslage haben Ausländer einen Rechtsanspruch auf uneingeschränkte Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz selbst dann, wenn sie diese Leistungen rechtsmißbräuchlich in Anspruch nehmen. So ist heute die Rechtslage. Deshalb hat der Bundesrat einen Gesetzentwurf vorgelegt, nach dem Leistungen für Ausländer eingeschränkt werden sollen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland rechtswidrig aufhalten, die also rechtlich verpflichtet wären, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Das ist der Grundtatbestand. (Beifall bei der CDU/CSU) Zu diesem Grundtatbestand muß eine von drei Fallgruppen hinzutreten — und nur eine dieser drei Fallgruppen. Es ist nicht so, wie in der Öffentlichkeit immer behauptet wird. Wenn eine dieser Fallgruppen vorliegt, dann kann es zu Leistungseinschränkungen kommen. Erste Fallgruppe: Die Leistungseinschränkung soll für diejenigen Ausländer gelten, die nach Deutschland gekommen sind, um Leistungen zu erhalten. Leistungsberechtigte Ausländer nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sollen nämlich rechtlich nicht anders behandelt werden als leistungsberechtigte Ausländer nach dem Bundessozialhilfegesetz. Wir haben seit eh und je die Bestimmung im Bundessozialhilferecht, wonach Ausländer, die nur zum Zweck des Leistungsbezugs nach Deutschland gekommen sind, eingeschränkte Leistungen erhalten. Nun gibt es keinen einleuchtenden Grund, warum die Rechtsbestimmung, die seit Jahrzehnten für Ausländer nach dem Sozialhilferecht gilt, nämlich daß Ausländer, die nur zu uns kommen, um Sozialhilfe zu beziehen, Leistungseinschränkungen hinnehmen müssen, nicht auch für Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gelten soll. Das versteht doch niemand in der ôffentlichkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Die zweite Fallgruppe: Unter die Leistungseinschränkungen sollen auch die ausreisepflichtigen Ausländer fallen, die selbst dafür verantwortlich sind, daß sie nicht ausreisen und nicht abgeschoben werden können. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn sie ihre Identität oder Nationalität verschleiern oder wenn sie ihre Ausweispapiere weggeworfen haben. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit: Nein, Herr Schuster. Sie können doch in der Öffentlichkeit niemandem erklären, daß uneingeschränkt Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erforderlich sind, wenn jemand vorsätzlich die Feststellung seiner Identität verhindert. (Beifall bei der CDU/CSU) Eine dritte Personengruppe, die unter die Leistungseinschränkung fallen soll, sind ausreisepflichtige Ausländer, die zwar aus bestimmten Gründen nicht abgeschoben werden können, aber ohne weiteres freiwillig in ihr Herkunftsland oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat ausreisen könnten und es nicht tun. Darunter — das wissen Sie — fallen Personen, zum Beispiel Vietnamesen, für die von seiten der Bundesrepublik Deutschland kein Rückübernahmeabkommen abgeschlossen werden konnte, weil die zuständige Regierung dazu nicht bereit war, die aber ohne weiteres freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren könnten. Um diese drei Personengruppen geht es. Ausschließlich in den drei hier genannten Fällen sollen ausreisepflichtige Ausländer künftig nur noch einen Anspruch auf eingeschränkte Leistungen haben; nur in diesen drei Fällen, wo es in der Person des Ausreisepflichtigen liegt und er es zu vertreten hat. Das ist weder inhuman noch stellt es eine soziale Härte dar. Ich sage, es ist eine Notwendigkeit. Es ist schon gar nicht ausländerfeindlich. Wir vollziehen jetzt im Asylbewerberleistungsgesetz lediglich etwas, was für Deutsche und Ausländer seit eh und je nach dem Bundessozialhilfegesetz gilt. Auch Deutsche, die sich rechtsmißbräuchlich verhalten, haben nach dem Bundessozialhilfegesetz keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Wenn wir diesen Grundsatz im Asylbewerberleistungsgesetz in drei ganz konkreten Fallgruppen konkretisieren und hinzufügen, daß wir von diesen Leistungseinschränkungen nicht Menschen erfassen wollen, die sich hier in einer Notsituation aufhalten, zum Beispiel wegen Folter traumatisiert und hier in medizinischer Behandlung sind, dann kann man nicht ernsten Gewissens sagen, daß dies inhuman oder gar ausländerfeindlich ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.) Dieser generelle Leitgedanke, daß man dann, wenn man gegen Recht und Gesetz verstößt, mit Leistungseinschränkungen rechnen muß, gilt auch für deutsche Staatsbürger in der Bundesrepublik Deutschland. Ich darf erinnern, weil Sie, Frau Lange gesagt haben, daß wir zu schnelle und zu häufige Änderungen vornehmen: Vor genau einem Jahr haben wir langwierige Verhandlungen im Vermittlungsverfahren zwischen Bundestag und Bundesrat zum Asylbewerberleistungsgesetz geführt. Sie haben sich ein Jahr lang dagegen gesträubt. Wir haben über diese Dinge auch in der zuständigen Arbeitsgruppe im Vermittlungsausschuß gesprochen. Es ist damals von der SPD abgelehnt worden. Jetzt kommt die große Überraschung: Die SPD-regierten Länder machen plötzlich bei Vorhaben mit, über die sie vor einem Jahr mit uns noch nicht einmal diskutiert haben. Nachdem es fast einhellige Zustimmung in den Bundesratsausschüssen gab, hat es schon ein erstes unklares Stimmverhalten im Plenum des Bundesrates bei Rot und Rotgrün gegeben. Es ist ein Novum in der Parlamentsgeschichte, daß parallel zur Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs im Bundesrat — von einer Mehrheit, die zur Zeit nicht die Union stellt — die Grünen hier eine Aktuelle Stunde beantragen. Ich weiß bis jetzt nicht, welche Haltung die SPD dazu hat, weil sich die Fraktionsführung bisher in betretenes Schweigen hüllt. Wir sind sehr dafür, daß man den Gesetzentwurf diskutiert — ich komme noch einmal darauf zurück —, auch im Detail. Aber eines lassen wir nicht durchgehen, Frau Lange: Hier als SPD links reden, als Schröder im Bundesrat rechts handeln und das Ganze als Politik der Mitte ausgeben. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Das ist keine Politik der Mitte, das ist eine Politik der Täuschung. Die lassen wir im Bundestag nicht durchgehen. Da werden wir Sie stellen. Das ist ein Bild von Uneinigkeit und Zerfahrenheit bei SPD und Grünen, das Sie nicht nur in dieser Frage bieten. Das zeigt deutlich, daß es nicht im Interesse dieses Landes wäre, wenn die deutsche Politik von Ihren Entscheidungen abhängig wäre. In Deutschland leben 7,4 Millionen Ausländer, darunter nicht wenige, die berechtigt wegen Verfolgung und Folter bei uns Schutz suchen. Diese Tatsache ist Ausdruck der Hilfsbereitschaft der Deutschen gegenüber ihren ausländischen Mitbürgern. Diese Hilfsbereitschaft läßt sich nur aufrechterhalten, wenn sich die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland darauf verlassen können, daß es bei der Gewährung von Hilfe und Schutz gerecht zugeht. (Zuruf von der SPD: Richtig!) Dazu gehört, daß unterschieden wird zwischen Ausländern, die sich zu Recht hier aufhalten, und Ausländern, die Deutschland verlassen müßten, dies aber rechtsmißbräuchlich nicht tun und dadurch Sozialleistungen in Anspruch nehmen. Dazwischen müssen wir schon unterscheiden; denn sonst zerstören wir jede Akzeptanz, wenn es darum geht, jenen Menschen, die anders glauben oder politisch anders denken, bei uns Schutz zu gewähren, weil sie in ihren Herkunftsländern um ihre Gesundheit oder gar ihr Leben fürchten müssen. Wir brauchen die Akzeptanz der deutschen Bevölkerung. Wir werden sie nur aufrechterhalten, wenn wir da, wo es in der Person des Ausländers liegt, in Gründen, die er zu vertreten hat, die Sozialhilfeleistungen drastisch einschränken, und zwar in den drei Fallgruppen, die ich genannt habe. Ich bin sehr dafür, Herr Kollege Lühr, daß wir im zuständigen Ausschuß des Deutschen Bundestages manche Dinge noch griffiger zu formulieren versuchen, um eine klare und saubere Anwendung in der Praxis zu gewährleisten. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) Wer aber Rechtsmißbrauch akzeptiert, muß wissen, daß das die Fundamente der Solidarität mit Ausländern zerstört, und zwar gerade im Hinblick auf die Ausländer, die als Opfer von Verfolgung und Folter dringend auf unsere Hilfe angewiesen sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat die Abgeordnete Cornelie Sonntag-Wolgast, SPD-Fraktion. Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit Jahr und Tag ist in der Diskussion, in welchem Maße Bürgerkriegsflüchtlinge und Asylbewerber während ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik finanziell unterstützt werden sollen. Volkes Stimme ist da im allgemeinen mit dem Urteil schnell fertig: So gering wie möglich, heißt es da. Weiter heißt es, viele kämen nur her, um Geld zu kassieren. Wer als Asylsuchender abgewiesen sei, der müsse so schnell wie möglich raus. Aber so simpel, so einfach liegen die Dinge nun einmal nicht. Zweifellos sind es hohe Kosten, die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen von uns allen fordern. Zweifellos gibt es solche, denen es vorwiegend darum geht, unter besseren wirtschaftlichen Bedingungen zu leben, als es in ihrer Heimat der Fall war. Aber es gibt eben auch die anderen. Es gibt diejenigen, die nicht nach den strengen Kategorien unseres Asylrechts politisch verfolgt sind und dennoch aus humanitären Gründen vorerst hier bleiben dürfen. Die gesamte Problematik entzieht sich simplen Lösungen. Nun zu Ihrem Beitrag, Herr Minister Seehofer. Dieser Bundesratsentwurf für dieses Zweite Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes war noch nicht Gegenstand unserer parlamentarischen Beratungen. Es gab lediglich seinerzeit die Aktuelle Stunde, als noch der Disput in der Länderkammer lief. Eine differenzierte Auseinandersetzung war damals, Anfang Februar, nicht möglich. Wohl aber hat die Initiative ein überaus lebhaftes und höchst kritisches Echo in den Medien, in den Kirchen, bei den Wohlfahrtsverbänden, Flüchtlingsorganisationen und natürlich auch bei uns Parlamentariern erzeugt. Selbstverständlich gab es einige überhitzte Formulierungen, denen ich mich nicht anschließe. Trotzdem begrüße ich diesen Disput ausdrücklich. Er hat übrigens auch in Kreisen des Bundesrates Nachdenklichkeit ausgelöst. Das stärkt die Chancen einer Korrektur. (Beifall bei der SPD) Ich erkläre Ihnen mit aller Deutlichkeit: 27 DOKUMENTATION So, wie der Gesetzentwurf jetzt vorliegt, kann er unsere Zustimmung nicht finden. Das will ich an einigen Punkten begründen. Herr Kollege Lohmann, offenbar sind Sie in die Details und die Formulierungen nicht richtig eingestiegen, die in diesem Gesetzentwurf stecken. Die geplanten Leistungsabstriche — das hat der Herr Minister eben durchaus noch einmal bestätigt — sollen auch Ausländer betreffen, die nicht freiwillig ausreisen, obwohl es ihnen tatsächlich und rechtlich möglich wäre. Genau diese Formulierung halte ich so für nicht akzeptabel. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Dabei ist sie genau richtig!) — Ich will das erklären. — Denn bei dieser Formulierung wird nicht danach gefragt, ob den Betroffenen eine Heimkehr in ihr Land zumutbar ist oder ob sie nicht weiterhin den Schutz des Aufnahmelandes Deutschland brauchen. Das gilt zum Beispiel für Flüchtlinge, die wegen einer Härte von der Rückführung bis auf weiteres ausgenommen sind, oder für eine Frau aus Afghanistan, die davor zurückschreckt, sich dem Unterdrükkungsapparat der Taliban auszusetzen, oder für Flüchtlinge aus Algerien oder Somalia; für Menschen, die ungeachtet der rein rechtlichen und tatsächlichen Lage mit unserer Fürsorge und unserem humanitären Verantwortungsbewußtsein rechnen dürfen. Soweit diese Gruppe. Ich gebe noch ein weiteres Argument zu bedenken. Nach den Plänen des Bundesrates sollen diejenigen keine vollen Leistungen mehr erhalten, die nur einreisen, um finanzielle Unterstützung einzustreichen. Das leuchtet erst einmal jedem ein, ist aber in der Realität kaum zu praktizieren. Dieser Grund muß dem einzelnen nämlich jeweils als prägendes Motiv für seine Ankunft nachgewiesen werden. Das ist in den zurückliegenden Jahren in verschwindend geringen Fällen überhaupt gelungen. Außerdem erfordert die Beweisführung dann einen hohen Verwaltungsaufwand. Beim Bürger, der solche Bemühungen sicherlich mit Beifall begleitet, erweckt es Erwartungen, die in der Praxis überhaupt nicht erfüllt werden. Auch das halte ich für bedenkenswert. (Beifall bei der SPD) Nachvollziehbar — das will ich ganz ehrlich sagen — halte ich allerdings die Absicht, ausreisepflichtigen Ausländern die Gelder zu kappen, wenn sie wirklich mit allen möglichen Tricks versuchen, ihre Rückführung zu verhindern, etwa dadurch, daß sie ihre Papiere vernichten oder mit anderen Mitteln ihre Identität verschleiern. Das ist, zugegeben, in vielen Städten, besonders zum Beispiel in Hamburg, ein großes Problem. Meine Damen und Herren, wir sind bereit, zu einem Konsens bei dieser schwierigen Thematik zu kommen. Das setzt aber — ich sage es noch einmal — deutliche Korrekturen vor allem zugunsten des Status der Geduldeten und der Bürgerkriegsflüchtlinge voraus. Übrigens, einen Teil unserer Sorgen wären wir los, wenn der in § 32 a des Ausländergesetzes vorgesehene Status für Bürgerkriegsflüchtlinge mit einer ge- 28 rechten Kostenverteilung zwischen Bund und Ländern jemals Wirklichkeit geworden wäre. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Cornelia Schmalz-Jacobsen [F.D.P.]) Wenn ich das Meinungsbild in dieser Diskussion noch einmal Revue passieren lasse, gibt es ja interessante unterschiedliche Beurteilungen, etwa zwischen den Sprechern der CDU und dem Sprecher der F.D.P., die wir eben gehört haben. Deswegen kann ich uns allen nur eine gründliche Beratung, eine sorgfältige Anhörung vor den beteiligten Ausschüssen und einen behutsamen, differenzierten Umgang mit der Thematik empfehlen. Dem dienen im übrigen Auftritte, wie wir sie eben hier oben auf der Empore erlebt haben, nicht. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) Aber was der Stammtisch fordert, darf ebensowenig Richtschnur unserer politischen Handlung sein. Danke schön. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Michaela Geiger: Als letzter im Rahmen dieser Debatte spricht der Abgeordnete Ulf Fink, CDU/CSUFraktion. Ulf Fink (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Wolgast, Ihre Aufforderung, sich über eine solche Frage vernünftig zu verständigen, können wir ohne weiteres akzeptieren. Dem dient es allerdings nicht sehr, wenn Frau Lange zum Abschluß ihrer Rede sagt, man solle durch Änderungen des Gesetzes dafür sorgen, daß die Menschlichkeit nicht auf der Strecke bleibe, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Amke Dietert-Scheuer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was tun Sie denn dagegen?) zumal dies gar kein Gesetzentwurf der Bundesregierung oder der Regierungskoalition im Deutschen Bundestag ist. Vielmehr reden wir über einen Gesetzentwurf des Bundesrates, und zwar in erster Lesung. Diesem Gesetzentwurf des Bundesrates hat das Land Niedersachsen mit dem Kanzlerkandidaten der SPD zugestimmt. Diesem Gesetzentwurf hat der Parteivorsitzende der SPD für das Saarland zugestimmt. (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!) Herr Abgeordneter Lühr, auch das Land Rheinland-Pfalz mit einer Regierung aus SPD und F.D.P. hat diesem Gesetzentwurf im Bundesrat zugestimmt, so daß wir uns heute mit diesem Gesetzentwurf beschäftigen. Der Umsetzung der Aufforderung, sich vertieft damit auseinanderzusetzen und eine schwierige Materie miteinander ordentlich zu behandeln, dient deshalb die Aussage, Menschlichkeit sei nur gewahrt, wenn man es anders mache als hier, nicht sehr. Das muß ich ganz offen sagen. (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Wieso ist das ein Gegensatz?) — Das ist doch ganz klar, Frau Sonntag: Weil es doch heißt, wenn man den Gesetzentwurf in dieser Fassung verabschiede, diene man der Menschlichkeit nicht. Das heißt es doch. Was denn sonst? (Amke Dietert-Scheuer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Lassen Sie uns deshalb eine andere Tonart wählen, damit wir mit dem Problem richtig umgehen können. Ein Zweites. Sie sagen immer, daß 600 000 Menschen von diesem Gesetzentwurf betroffen wären. Das stimmt nicht. Tatsache ist vielmehr — worauf der Bundesgesundheitsminister aufmerksam gemacht hat —, daß es 600 000 Menschen gibt, die vollziehbar ausreisepflichtig sind oder eine Duldung nach § 55 des Ausländergesetzes besitzen. Aber die sind ja nicht alle betroffen, sondern nur diejenigen, die unter die drei Fallgruppen fallen: diejenigen, die eingereist sind, um Sozialleistungen zu erhalten, diejenigen, bei denen aufenthaltsbeendende Maßnahmen deshalb nicht vollzogen werden können, weil sie zum Beispiel ihre Ausweispapiere vernichten, und diejenigen, die ausreisen könnten, die aber nicht ausreisen, obwohl “keine rechtlichen oder tatsächlichen Hindernisse” dem entgegenstehen. Davon sind natürlich sehr viel weniger als 600 000 betroffen. Deshalb sollten Sie diese Zahl nicht so in den Raum stellen. Ich gebe sehr wohl zu, daß wir uns über die Fragestellung, was “rechtliche oder tatsächliche Hindernisse” sind, im Ausschuß vertieft unterhalten müssen. Denn es ist uns doch klar: Wir wollen und können nicht erwarten, daß mit einem Male 200 000 Bosnier in ihre Heimat zurückkehren. Das erwartet auch niemand. Deshalb müssen wir in den Ausschußberatungen, in dem Hearing genau klären, wie in diesen Fällen zu verfahren ist, damit nicht jedes Sozialamt für sich entscheidet: Dieser Bosnier kann, jener Bosnier kann nicht. Das muß natürlich geklärt und klargestellt werden. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schuster? Ulf Fink (CDU/CSU): Ja. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wenn es sein muß!) Vizepräsidentin Michaela Geiger: Bitte schön. Dr. R. Werner Schuster (SPD): Herr Kollege Fink, im vollen Bewußtsein, daß Sie mit dem Satz recht haben, daß der Entwurf aus dem Bundesrat stammt, will ich doch Ihre Aufforderung hinterfragen, mit Fingerspitzengefühl gegebenenfalls das eine oder andere zu ändern. Ich bin Entwicklungspolitiker. Ich kenne Fälle, die viele von Ihnen nicht kennen: Nigerianer, die in Nigeria verfolgt werden, nach Benin flüchten — Benin ist unbestritten ein sicheres Drittland —, dorthin zurücküberwiesen werden. Aber nur Insider wissen, daß wegen der Tatsache, daß Benin ein so kleines Land ist, und wegen seiner Nachbarschaft mit Nigeria die Behörden Benins keine Chance haben, wenn nigerianische Truppen in das Land kommen und die Personen verschleppen. Dazu sagt der UNHCR am Schluß seiner Stellungnahme: Der Gesetzentwurf macht erforderlich, daß Sozialbehörden komplexe ausländerrechtliche Sachverhalte beurteilen. Was entgegnen Sie dem UNHCR auf eine solche, wie ich meine, berechtigte Forderung? Ulf Fink (CDU/CSU): Herr Abgeordneter Schuster, ich habe gerade zum Ausdruck gebracht, daß es sich in der Tat um eine schwierige Materie handelt. Deshalb darf man nicht mit Schlagworten arbeiten. Der Bundesrat versucht hier, einem erkennbaren Mißbrauch entgegenzutreten. Ich selber war Sozialsenator in Berlin. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich habe mich über acht Jahre lang exakt mit diesen Themen beschäftigt. Es gibt in der Tat Menschen, die zu Recht bei uns Zuflucht suchen, aber es gibt auch andere, die — so sage ich es einmal — in geradezu schamloser Art und Weise das Sozialsystem der Bundesrepublik Deutschland ausnutzen. Gegen die Letztgenannten soll vorgegangen werden, nicht gegen die Erstgenannten. (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb sage ich zum Abschluß: Auch wir sind der Auffassung, daß gar keine Rede davon sein kann, daß etwa der Versuch unternommen werden soll, Menschen, die sich zu Recht bei uns aufhalten, über das Sozialhilferecht auszuhungern. Nein, das ist nicht die Absicht. Ausländerrecht, Aufenthaltsrecht und Sozialrecht müssen natürlich parallel laufen. Aber es darf auf der anderen Seite auch nicht sein, daß man sich nicht bemüht, den Mißbrauch zu beseitigen. Dieser Mißbrauch trifft ja letztendlich in seinen finanziellen Konsequenzen nicht etwa die Reichen. Vielmehr verhält es sich dann, wenn Mißbrauch getrieben wird, regelmäßig so, daß die Allerärmsten nicht mehr die für sie vorgesehenen Leistungen der Kommunen und der Länder empfangen können. Deshalb sollte es, finde ich, unser gemeinsames Bemühen sein, auf der einen Seite dafür zu sorgen, den Mißbrauch zu beseitigen, aber auf der anderen Seite Menschen, die sich zu Recht bei uns aufhalten und zu Recht zu uns geflüchtet sind, einen angemessenen Aufenthalt zu ermöglichen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Dr.Willfried Penner [SPD]: Dem stimme ich zu!) Vizepräsidentin Michaela Geiger: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 13/10155 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Siegfried Vergin, Helga KühnMengel, Gerd Andres, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Europäisches Jahr gegen Rassismus 1997 — Drucksachen 13/7711, 13/9667 — Berichterstattung: FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 DOKUMENTATION Abgeordnete Erika Steinbach, Siegfried Vergin, Cem Özdemir, Cornelia Schmalz-Jacobsen, Ulla Jelpke. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Helga Kühn-Mengel von der SPD-Fraktion, der ich zu ihrer ersten Rede viel Glück wünsche. (Beifall) Helga Kühn-Mengel (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Europäische Jahr gegen Rassimus 1997 ist vorbei. Der Antrag der SPD hierzu kommt nun endlich im Bundestag zur Sprache, ein Vierteljahr nach Ablauf des Europäischen Jahres gegen Rassismus. Das ist vielleicht beschämend spät, aber besser jetzt als nie. (Beifall bei der SPD) (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch) Der Antrag löste, wenigstens, so hoffe ich, während er durch die Arbeitsgruppen und Ausschüsse lief, fruchtbare Diskussionen aus. An Aktualität hat er bis heute nichts verloren; denn bekanntlich ist der Kampf gegen rassistische Tendenzen und Fremdenfeindlichkeit für uns eine Daueraufgabe. (Beifall bei der SPD) In Deutschland haben wir allen Anlaß, uns mit dem alltäglichen Rassismus in all seinen Erscheinungsformen, den subtilen und den offen ausgelebten, und vor allem mit seinen Ursachen zu befassen. Fast täglich lesen wir von Ausschreitungen gegenüber Schwarzafrikanern oder von schändlichen Schmierereien auf jüdischen Friedhöfen. Noch öfter kommt es vor, daß junge Musliminnen angepöbelt werden. Während man in manchen unserer europäischen Nachbarländer das Europäische Jahr gegen Rassismus bereits genutzt hat, um ein konkretes Signal für Fairneß und Partnerschaft zwischen den Menschen verschiedener Herkunft zu setzen, hat der zuständige Bundesinnenminister Kanther diese Chance für einen Beitrag der deutschen Bundesregierung über das Jahr 1997 hinweg praktisch verstreichen lassen. (Beifall bei der SPD — Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Leider wahr!) Selbst in der Woche der ausländischen Mitbürger wurde die Gelegenheit von seiten der Bundesregierung nicht genutzt, der europäischen Menschenrechtspolitik im Rahmen des Europäischen Jahres gegen Rassismus Ausdruck zu verleihen. In Frankreich gingen führende Politiker und Politikerinnen an der Spitze von landesweiten Demonstrationen gegen Rassismus mit. In Griechenland wurde eine große Toleranzwoche auf die Beine gestellt und das Thema Einwanderung in eine Regierungsagenda aufgenommen. Dänemark führte Veranstaltungen direkt auf kommunaler Ebene durch, und in ôsterreich hat man auf nationaler Ebene einen zusätzlichen Haushaltstopf geschaffen, um Projekte zu ermöglichen. In der deutschen Bundesregierung wurde hierüber noch nicht einmal ernsthaft nachgedacht. (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Quatsch! Wir denken über alles ernsthaft nach! Dummes Zeug!) Die Art, mit der der zuständige Bundesinnenminister das Europäische Jahr gegen Rassismus gehandhabt hat, kann man wohl als äußerst kühl bezeichnen. Zur Ehrenrettung Deutschlands haben allerdings die klaren Worte von Bundespräsident Roman Herzog beigetragen, mit denen er am 4. März letzten Jahres das Europäische Jahr gegen Rassismus eröffnet hat. Er forderte Toleranz und den Dialog zwischen den Kulturen und traf damit die Stimmungslage vieler Menschen, die Aktivitäten gegen Rassismus ergreifen wollen. So hat es auch in der Bundesrepublik Deutschland auf lokaler Ebene eine Fülle von Aktivitäten zum Europäischen Jahr gegen Rassismus gegeben, wenn auch nicht immer mit der gewünschten Medienpräsenz. Das Interesse der Bürgerinnen und Bürger an diesem Thema kann man vielleicht nicht zuletzt daran ablesen, daß es hierzu allein im deutschsprachigen Raum 668 173 Treffer im Internet gibt. Sehr bedauerlich ist, daß der Deutsche Bundestag erst im Jahre 1998 die Zeit findet, die Initiativen zum Europäischen Jahr gegen Rassismus 1997 öffentlich zu befürworten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber gut, daß es die vielen Schüler- und Studentengruppen, die Vereine und Verbände gibt. Von ihnen, den NGOs, kamen, wie mein Fraktionskollege Siegfried Vergin bei anderer Gelegenheit feststellte, die spannendsten Projekte. Von der Bundesregierung kam wenig, und kosten durfte es auch nichts. Eigenmittel vom Bund für die Finanzierung von Projekten über die EU-Mittel hinaus waren nicht vorgesehen. Natürlich ändert allein die Ausrufung eines solchen Jahres gegen Rassismus überhaupt nichts. Auch markige und einstimmig gefaßte Bundestagsbeschlüsse bewegen für sich genommen noch nichts. Dennoch sind klare Worte und Strategien gefordert. Ausschreitungen mit rassistischem Hintergrund auch in den Nachbarländern und die Zunahme der elektronisch verbreiteten rassistischen Propaganda machen deutlich, daß diese Phänome grenzüberschreitend bekämpft werden müssen. Einzelne Staaten können hier nur noch wenig ausrichten. Mit unserem Antrag unterstützt der Bundestag die europaweite Initiative zur Bekämpfung von Rassismus, Rechtsextremismus, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit, eine Initiative, die den Schutz der Menschenrechte als zentralen Wert europäischer Identität betont. (Beifall bei der SPD) Unser Antrag enthält konkrete Bitten an verschiedene gesellschaftliche Gruppen, die Initiativen gegen Rassismus zu unterstützen. Vor allem setzt sich der Deutsche Bundestag in unserem Antrag nachdrücklich für die Einrichtung einer Europäischen Beobachtungsstelle für Rassismus ein. Diese ermöglicht Daten- vergleiche und die Erarbeitung spezifischer Strategien im Kampf gegen Rassismus. Nur eine solche europäische Beobachtungsstelle hat die Möglichkeit, die Entwicklung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in der Europäischen Union aufmerksam zu verfolgen. Sie hilft, konkrete politische Maßnahmen vorzubereiten. Diese Stelle ermöglicht erstmals, Daten verschiedener Länder Europas aufzuarbeiten und für geeignete Strategien im Kampf gegen Rassismus nutzbar zu machen. Das alles darf aber nicht heißen, daß wir über die Ereignisse in unserem Lande hinwegsehen oder uns auf öffentlich vorgetragene Empörung beschränken, wenn wieder einmal rassistische Vorfälle die Schlagzeilen bestimmen. Diese reißerischen Berichte künden oft auch von der weitverbreiteten Irrmeinung, man brauche nur einen ordentlich funktionierenden Polizei- und Justizapparat, um rassistischer Ausschreitungen Herr zu werden. Der Ruf nach Polizei und harten Strafen ist natürlich viel bequemer als die Erforschung und Bekämpfung von Ursachen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir werden aber nicht darum herumkommen, uns der Tatsache zu stellen, daß Rassismus, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit auch etwas mit der Verschlechterung der Lebensbedingungen, mit hoher Arbeitslosigkeit, vor allem mit Jugendarbeitslosigkeit und Jugendhoffnungslosigkeit, zu tun haben. Wer sich getreten fühlt, der tritt selber auch. Wer zum Verlierer gemacht wurde, der sucht sich andere, die er seinerseits zum Verlierer stempeln kann. Wer sich ausgegrenzt sieht, der entwickelt eine größere Bereitschaft, sich auf einfache Erklärungsmuster und entsprechende politische Konzepte einzulassen. Auch darauf zielt unser Antrag: ins Bewußtsein zu rufen, daß die Bekämpfung des Rassismus nicht nur den direkt Betroffenen helfen soll, sondern daß er in unser aller Interesse liegt. Wir sind uns mit der Mehrzahl der Bürger und Bürgerinnen aus den Ländern der Europäischen Union einig, daß die kulturelle und ethnische Vielfalt in den Gesellschaften europäischer Staaten einen positiven und bereichernden Faktor darstellt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die überwiegende Mehrheit der Menschen in der Europäischen Union begrüßt das Diskriminierungsverbot, wie es die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vorsieht. Aber es ist auch immer wieder wichtig, daß wir uns in der ôffentlichkeit mit diesem Thema befassen, das Bewußtsein für die Ursachen und Erscheinungsformen von Diskriminierung und Rassismus schärfen und uns über geeignete Gegenmaßnahmen verständigen. Ich hätte mir eine inhaltlich weitergehende Erklärung zum Europäischen Jahr gegen Rassismus vorstellen können. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulla Jelpke [PDS]) Ich hätte mir im vergangenen Jahr einen breiten politischen Diskurs über eine moderne Einwanderungspolitik gewünscht. Wir hätten im Zusammenhang mit dem Thema Bekämpfung von Rassismus auch über eine Liberalisierung des Ausländer- und Staatsangehörigkeitsrechts diskutieren können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Antrag zum Europäischen Jahr gegen Rassismus 1997 fordert unter anderem die Bundesregierung dazu auf, die Einbürgerung zu erleichtern. Um dem Antrag eine breite Zustimmung zu sichern, wurde in der vorliegenden Ausschußfassung aber darauf verzichtet, die Forderung zu den umstrittenen Bereichen der Einbürgerung näher zu konkretisieren. So enthält der Antrag in der jetzigen Fassung des Innenausschusses zum Beispiel nichts Konkretes zum Thema der doppelten Staatsbürgerschaft und zum Anspruch auf Einbürgerung von in der Union geborenen Kindern. Der Antragstext ist weitgehend auf den Kern des Menschenrechtsschutzes reduziert worden. In diesen Kernfragen sind wir uns, so hoffe ich, alle einig. Über die Fraktionsgrenzen hinweg können wir denjenigen Unterstützung geben, die sich vor Ort für Integration und gegen rassistische Ausgrenzung engagieren. Mit einem Beschluß des Deutschen Bundestages wird zudem ein deutliches Zeichen gesetzt, daß sich die demokratischen Parteien gegen den Rechtsextremismus stellen und diesen Kampf als eine ständige Aufgabe betrachten. Ich bitte Sie daher um Zustimmung zum Antrag. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P.) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin, Sie hatten als Nachrückerin erst jetzt Gelegenheit, im Bundestag zu sprechen. Zu Ihrer ersten Rede möchte ich Ihnen nach der Sitte des Hauses herzlich gratulieren. (Beifall) Ich gebe das Wort der Abgeordneten Erika Steinbach. Erika Steinbach (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Europäischen Jahr gegen Rassismus 1997 wurde der Leitgedanke von Toleranz und mitmenschlichem Verständnis zentral in das Bewußtsein der Völker Europas gerückt. Der Schutz von Menschenrechten und Grundfreiheiten ist ein zentraler Wert in der europäischen Identität. Rassismus darf in den Ländern der Europäischen Union keinen Platz erlangen. Vor diesem Hintergrund war das Jahr gedacht. “Die Würde des Menschen ist unantastbar.” Mit dieser Kernaussage unseres Grundgesetzes ist der Geist der deutschen Haltung zum Europäischen Jahr gegen Rassismus vollständig beschrieben. Wir Deutsche wissen ja um die Notwendigkeit, daß Würde und Rechte des einzelnen und das friedliche Zusammenleben aller immer und immer wieder 29 DOKUMENTATION im Bewußtsein der Menschen gehalten werden müssen. Alle Staaten der Europäischen Union haben ihre Bürger im vorigen Jahr daran erinnert, daß Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus in diesem Europa nicht toleriert werden. In Deutschland wird darüber hinaus seit vielen Jahren, bevor dieses Jahr ausgerufen wurde, sehr engagiert in Informationskampagnen für einen menschlichen Umgang miteinander geworben. (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr wahr!) Das Bewußtsein dafür ist in der breiten ôffentlichkeit mehr — so behaupte ich voller Überzeugung — als in vielen anderen Ländern sensibilisiert. Und das ist gut so. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.) Die Öffentlichkeitsarbeit von Bund und Ländern gemeinsam mit der Aktion “Fairständnis” — fragen wir einmal nicht nach, wie dieses Wort nach der Rechtschreibreform geschrieben würde — hat Früchte getragen. Die Zahl der ausländerfeindlichen Gewalttaten ist in Deutschland seit dem Höchststand 1992 um 70 Prozent zurückgegangen. Dazu haben unter anderem die konsequente Strafverfolgung der Gewalttäter und empfindliche Freiheitsstrafen beigetragen. Aber auch andere staatliche Maßnahmen wie der Erlaß von Vereins- und Versammlungsverboten zeigten ihre Wirkung. Potentielle Gewalttäter mußten so erkennen, daß die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland Gewalt, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus nachdrücklich ablehnt. Darüber hinaus muß aber auch festgestellt werden, daß ohne die Änderung des Asylrechtes 1993 die Entwicklung mit Sicherheit anders verlaufen wäre. (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Das Gefühl der Ohnmacht gegenüber Zuwanderung war bis 1993 mehr als nur latent ein Nährboden für Fremdenfeindlichkeit. Jeder hier im Lande muß sich deshalb auch darüber im klaren sein, daß die verträgliche Ausgestaltung des Ausländer- und Asylrechtes unabdingbare Voraussetzung für ein friedliches Miteinander in Deutschland ist. Eine weitere Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes — vorhin wurde ja hier darüber diskutiert — ist notwendig, um den Nährboden für fremdenfeindliches Verhalten unfruchtbar zu machen. Sie müssen das wissen. (Beifall bei der CDU/CSU — Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr wahr!) Predigten und erhobene Zeigefinger gehen dann ins Leere, wenn die Sinnhaftigkeit von Gesetzen nicht im Bewußtsein unserer Bürger verankert ist. Wir dürfen doch berechtigte Sorgen und Ängste nicht so einfach abtun und zur Seite schieben, sondern müssen diese Ängste ernst nehmen, sonst werden die bindenden Werte für menschliches Miteinander leicht ganz einfach über Bord geworfen. Das wollen wir eben nicht. Deshalb brauchen wir auch weiter eine strikte Zuwanderungsbegrenzung für Deutsch- 30 land. Die massiven Integrationsprobleme in vielen Städten müssen unabdingbar immer im Blickfeld behalten werden, wenn es um die Frage von Zuwanderung geht. (Beifall bei der CDU/CSU) Unser Bundespräsident Roman Herzog hat über diesen Bereich hinaus in seiner Rede zur deutschen Eröffnungsveranstaltung zum Europäischen Jahr gegen Rassismus mit vollem Recht darauf hingewiesen, daß auch Toleranz ihre Grenzen kennt. Er sagte dort: Wer massiv gegen geltendes Recht verstößt und vor allem wer Gewalt und Terror verbreitet, mißbraucht und verwirkt sein Gastrecht. Hier muß der Staat auch im Interesse der vielen friedlich mit uns lebenden Ausländer handeln. Das ist genauso notwendig wie die unnachsichtige Strafverfolgung fremdenfeindlicher Gewalttaten von Deutschen. Er hat recht. (Beifall bei der CDU/CSU) Im Einklang mit seinen Aussagen steht deshalb auch die Verschärfung des Ausländerrechtes und des Strafrechtes in diesem Zusammenhang. Allein mit Strafverfolgung — das wurde von meiner Vorrednerin auch gesagt — werden wir allerdings in Deutschland und Europa Rassismus nicht bekämpfen können. Da sind wir uns völlig einig. Wir müssen die Herzen und die Hirne der Menschen für mehr Toleranz und mitmenschlichen Umgang gewinnen. Dazu brauchen wir alle gesellschaftlichen Kräfte. Die entscheidende Vorsorge gegen Extremismus und Gewalt ist eine wertorientierte Erziehung, in deren Mittelpunkt die Geltung von Menschenwürde und Recht steht. Da ist in den vergangenen Jahrzehnten in den Schulen vieles im argen gewesen. Nach wie vor muß mehr Gewicht auf diesen Bereich gelegt werden; denn das transportiert sich fort in die nächsten Generationen hinein. Orientierung durch Wertevermittlung und beispielhaftes Vorbild auf der einen Seite und die Annahme von Fragen und Beschränkungen auf der anderen Seite sind gleichermaßen notwendig, um im Lande den Konsens zu erhalten. Das Elternhaus, die Schulen, die Kirchen und die Medien sind genauso gefordert wie wir Politiker, um ein friedliches und tolerantes Miteinander für die Zukunft in Deutschland und im gesamten Europa auszubauen und am Ende zu sichern. Gesetzgeberisches Handeln und staatliche Aktivitäten sind zwar einerseits notwendig, auf der anderen Seite lebt eine wehrhafte Demokratie durch das Engagement ihrer Bürger. In Deutschland, meine sehr geehrten Damen und Herren, wird viel dafür getan, mehr als in den meisten anderen europäischen Ländern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. — Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Das war eine Rede für Untätigkeit!) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das Wort der Abgeordneten Annelie Buntenbach. Annelie Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Hinsichtlich des Europäischen Jahres gegen Rassismus 1997 können wir bereits jetzt Bilanz ziehen. Wir sollten allerdings diese Bilanz ziehen, ohne sie schönzureden, Frau Steinbach, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) und ohne, wie immer, den falschen Leuten die Schuld für das in die Schuhe zu schieben, was wir hier in Deutschland haben. Das sind beileibe keine paradiesischen Zustände. Das Jahr gegen Rassismus ist nämlich mit einer großen Zahl fremdenfeindlicher und rassistischer Straf- und Gewalttaten zu Ende gegangen. Wir alle wissen, daß die Dunkelziffer gerade in diesem Bereich immens ist und die offiziellen Zahlen den wirklichen Zustand nur unzureichend widerspiegeln. In einigen Teilen des Landes, das Sie eben so gelobt haben, Frau Steinbach, werden “ausländerfreie Zonen” oder “national befreite Zonen” propagiert. Auch wenn ich diese Unwörter sehr ungern in den Mund nehme, können wir doch vor dieser Realität die Augen nicht verschließen. Die bittere Realität im Europäischen Jahr gegen Rassismus ist, daß sich Menschen, die nicht deutscher Herkunft sind, in einigen Regionen dieses Landes nicht mehr angstfrei in der ôffentlichkeit bewegen können. Kein Zweifel, hier sind die Handelnden Neonazis und ihre Anhänger. Es wäre aber allzu billig — so billig können wir das hier nicht machen, auch Sie nicht, Frau Steinbach —, den gesellschaftlichen Zusammenhang außer acht zu lassen. Zu den Brandstiftern gehören die Biedermänner, die sogenannte Mitte der Gesellschaft, die den Tätern das Gefühl gibt, im Einklang mit den Ansichten vieler zu handeln; denn neonazistische und rassistische Gewalt richtet sich meist gegen diejenigen Menschen, die auch von der Gesellschaft ausgegrenzt werden. Hier müßte die Politik gegensteuern, hier hätte auch der Bundestag Vorbild- und Signalfunktion. Wir hätten gerne dem ursprünglichen Antrag der SPD zugestimmt, weil er wenigstens einige konkrete Schritte in die richtige Richtung enthielt, zum Beispiel die Forderung nach doppelter Staatsbürgerschaft oder den Rechtsanspruch auf Einbürgerung. Bei dem Antrag in seiner jetzigen Form werden wir uns als Bündnisgrüne aber enthalten, weil wir der Meinung sind, daß den schönen Worten auch Taten folgen müßten und die schönen Worte nicht verdecken können, daß die Regierungspolitik in dem nun abgelaufenen Europäischen Jahr gegen Rassismus eine recht traurige Bilanz vorzuweisen hat, weil sie eben genau jene Ausgrenzung fördert, durch die die Neonazis sich in ihrer Gewalt bestätigt sehen. (Beifall bei der PDS — Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Was Sie da machen, ist Brandstiftung!) Zur Bilanz dieses Jahres gehört der Visumszwang für Minderjährige. Dazu gehört eine pauschale und diskriminierende Kampagne des Innenministeriums gegen die islamische Kultur. Dazu gehört eine panische Angstkampagne, deren Anlaß einige wenige Kurden waren, die in Italien Schutz vor Verfolgung gesucht haben. Zu dieser Bilanz gehört auch der Vorschlag für eine weitere Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes — leider mit angeregt von der SPD —, mit dem Flüchtlinge jeden Anspruch auf Leistungen verlieren, ausgehungert und auf kaltem Wege vertrieben werden sollen. Eine solche Politik verschärft die bestehende Ausgrenzung und Diskriminierung von Minderheiten in der Bundesrepublik und trägt nicht zu ihrer Integration bei. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie wirklich etwas gegen den Rassismus in dieser Gesellschaft unternehmen wollen, dann beenden Sie endlich diese Ausgrenzung und Diskriminierung und hören Sie damit auf, Opfer zu Tätern zu machen und diejenigen zu legitimieren, die zur Selbsthilfe gegen die sogenannte Asylantenflut greifen. Erkennen auch Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, endlich die Realität an, und bekennen Sie sich zu einer solidarischen Gesellschaft, zu der alle hier lebenden Menschen gehören und die selbstverständlich Asyl für Verfolgte bietet — als letztes Menschenrecht, wenn alle anderen Menschenrechte gebrochen sind, als Konsequenz aus den bitteren Erfahrungen des Nationalsozialismus. Bekennen Sie sich dazu, daß Deutschland ein Einwanderungsland ist! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe der Abgeordneten Cornelia Schmalz-Jacobsen das Wort. Cornelia Schmalz-Jacobsen (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Nachdem das Europäische Jahr gegen Rassismus bereits seit drei Monaten zu Ende ist, ist es an der Zeit, im Namen des Deutschen Bundestages all jenen Dank zu sagen, die mit ihren Initiativen und Projekten in den Vereinen, in den kleinen und großen Verbänden und in den Behörden eine ganze Menge auf die Beine gebracht haben. Das ist nicht selbstverständlich, und es kann nicht nur die Politik sein, die etwas tut. (Beifall des Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.]) Solche Jahre und solche Wochen wie die Woche der ausländischen Mitbürger haben sicher ihren Sinn. Sie hinterlassen aber auch eine Menge Zwiespältigkeit. In der letzten Woche traf ich in Brandenburg einen Mann — er ist Vietnamese —, der dort seit 20 Jahren lebt und mir gesagt hat: Ich denke überhaupt nicht daran, mich an der Woche der ausländischen Mitbürger selber zu beteiligen. Das ganze Jahr über darf ich angepöbelt werden, und dann dürfen wir eine Woche lang Geige spielen. — Ich habe großes Verständnis dafür. Ich möchte einige Dinge aus dem Antrag hervorheben. Mir scheint die Erarbeitung sinnvoller Unterrichts- und Informationsmaterialien durch die Bundeszentrale für politische Bildung besonders wichtig. Wir müssen noch sehr viel stärker an die Kinder herankommen, die zur Schule gehen. Sie sollten dort nicht nur Toleranz lernen, sondern auch die Achtung und den Respekt vor Kindern, die aus anderen Kulturen kommen, und FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 DOKUMENTATION mehr Verständnis für sie haben. Hier kann man sich noch eine Menge einfallen lassen. Es reicht nicht, wenn wir nur an die Medien appellieren, den Zugang zu ethnischen Minderheiten stärker zu thematisieren, statt Leute nur entweder als Opfer oder als Täter zu zeigen. Diejenigen von uns, die Mitglieder in entsprechenden Gremien sind, können dazu das Nötige tun, und zwar mehr als das, was jetzt geschieht. Ich möchte ausdrücklich begrüßen, daß die Bundesregierung inzwischen hat erkennen lassen, daß das Jahr gegen Rassismus keine Sonderveranstaltung ohne Fortsetzung ist. In der letzten Woche hat sich das Forum gegen Rassismus konstituiert. Es ist ein Nachfolgegremium des letztjährigen Koordinierungsausschusses. Ziel muß es auch sein, daß die Arbeit der Europäischen Beobachtungsstelle in Wien bald aufgenommen wird und wir uns dort informieren. Denn dort — das ist hier schon gesagt worden — können Fakten gesammelt und sicherlich Anregungen gegeben werden. Der falscheste Weg wäre, zu sagen: Wir haben diese Beobachtungsstelle eingerichtet, und das war’s dann. Das kann es nicht sein. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU) Die Gewaltstatistik scheint zu zeigen, daß die schlimmsten Zeiten von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland vorbei sind. Aber mir geht sehr nach — ich denke wie die Kollegin, die in der vergangenen Woche bei der kleinen Expertenanhörung im Innenausschuß dabei war —, daß — — (Zuruf der Abg. Dr. Cornelie SonntagWolgast [SPD]) — Ja, es ist schade, daß doch relativ wenige Kollegen dabei waren. Das bringt einen schon sehr zum Nachdenken. Der Organisationsgrad rechtsextremer Gruppen, sowenig strukturiert er bisher sein mag, nimmt zu. Das muß uns sehr unruhig machen. Die Netzwerke werden ja nicht nur in Hinterzimmern geknüpft, sondern Rechtsradikale rotten sich — ich sage das ganz bewußt so — im Internet zusammen. Die Bedeutung des Internets für die Kooperation und Kommunikation der Rechtsextremen ist außerordentlich hoch. Hier scheinen die Hemmschwellen zusehends zu sinken. Immer offener und immer dreister wird agiert. Die “national befreiten Zonen”, die eigentlich “national besetzte Zonen” heißen müßten, sind hier genannt worden. Wir sollten uns nicht täuschen. Diese Entwicklung ist ebenso brisant wie rechtsextreme Gewalt oder Aufmärsche rechter Gruppen auf unseren Straßen. Über das Internet laufen längst schon Kontakte rechtsextremer Gruppierungen auf europäischer Ebene. Wir haben sicher keinen Anlaß, die Dinge über Gebühr zu dramatisieren; aber wir haben auch ganz und gar keinen Anlaß, sie herunterzuspielen. Lassen Sie mich noch zwei Gedanken ansprechen. Wir werden morgen über das Thema der Staatsangehörigkeit reden. Die Dinge ernsthaft betrachtend, glaube ich nicht, daß die Doppelstaatsbürgerschaft oder eine erleichterte Ein- bürgerung oder ein Einwanderungskontrollgesetz die Fremdenfeindlichkeit in diesem Lande im Kern treffen könnten. Die Leute, die sich da zusammentun, haben eine andere Philosophie. Sie würden sich davon nicht abschrecken lassen. Ich glaube, das muß man sagen. (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Das war doch der Hauptgrund für die Reform!) Das zweite ist folgendes: Wir haben auch in der Anhörung gehört, daß ein Klima der Arbeitslosigkeit, ein Klima der Sorge sicherlich geeignet ist, so etwas zu befördern. Aber der Umkehrschluß, daß die Gewalttäter vor allen Dingen unter arbeitslosen oder ausbildungslosen Jugendlichen zu suchen sind, ist schlicht falsch. Wir brauchen einen politischen Konsens, der über den heutigen Konsens hinausgeht. Wir müssen den Rechtsextremismus ernst nehmen. Wir müssen besonders darauf achten, was in den neuen Bundesländern passiert und wie dort die Gemengelage aussieht. Wir dürfen uns nicht einfach zurücklehnen und gegenseitig beruhigen. Danke. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat die Abgeordnete Ulla Jelpke. Ulla Jelpke (PDS): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung war von Anfang an bemüht, das Europäische Jahr gegen Rassismus zu einer Farce werden zu lassen. Frau Schmalz-Jacobsen, auch Sie gehören zur Bundesregierung. Dieses Jahr begann nämlich mit der Einführung des Kindervisums, es wurde fortgesetzt mit dem Arbeitsverbot für Asylsuchende, es ging weiter mit der Verschärfung des Ausländer- und Asylverfahrensgesetzes, der Abschiebung von bosnischen Bürgerkriegsflüchtlingen in Chaos und Gewalt und der von der Union angezettelten Kampagne zur sogenannten Ausländerkriminalität. Der hier zur Debatte stehende Antrag spielte jedoch keine Rolle. Gerade eben haben wir die Debatte um das Asylbewerberleistungsgesetz verfolgen können. Bürgerkriegsflüchtlingen, geduldeten oder illegalisierten Menschen sollen nur noch der Proviant zur Rückfahrt verbleiben. Finden Sie es nicht beschämend, jetzt einen Antrag zu verabschieden, in dem die Würde und die Rechte des einzelnen als unsere grundlegenden Werte bezeichnet werden? Die Würde des Menschen haben Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, erst vor wenigen Minuten mit Füßen getreten. (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Reden Sie doch nicht so einen Quatsch! Das ist unverschämt!) Sie wollen das Asylbewerberleistungsgesetz hier zweifellos durchsetzen. (Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In Bayern strengt beispielsweise der CSU-Politiker Gauweiler ein Volksbegehren zur Änderung der Landesverfassung an, mit dem er feststellen will: Bayern ist kein Einwanderungsland. Das entspricht vornehm umschrieben der Formulierung: Ausländer raus! Das ist mit dem Anspruch dieses Antrags, Rassismus bekämpfen zu wollen, nicht zu vereinbaren. (Beifall bei Abgeordneten der PDS) Dem ursprünglichen Antrag der SPD hätten wir, wenn auch mit Bauchschmerzen, zugestimmt. Den Antrag, den Sie heute vorlegen, können wir allerdings nicht mehr unterstützen. Im ursprünglichen Antrag war nämlich noch die Forderung nach der doppelten Staatsbürgerschaft und dem erweiterten Rechtsanspruch auf Einbürgerung enthalten. Jetzt finden wir nur noch die unverbindliche Aufforderung an die Bundesregierung, die Einbürgerung zu erleichtern. Sie und ich, werte Kolleginnen und Kollegen, wissen genau, daß die Bundesregierung, daß die Koalition selber ihrer eigenen Forderung nicht nachkommen wird. Wir werden es morgen früh an dieser Stelle erleben, wenn wir erneut über die Reform der doppelten Staatsbürgerschaft und des Staatsbürgerschaftsrechts debattieren. Hunderttausende von Migrantinnen und Migranten, die hier seit Jahren leben, warten dringend auf ein Signal der Politik. Sie wollen hören: Ihr gehört zu uns, zu dieser Gesellschaft. Das wäre ein weiterer Beitrag zur Bekämpfung von Rassismus. Doch das einzige, was diese Koalition unseren ausländischen Bürgerinnen und Bürgern vermittelt, ist, daß sie auch nach Jahrzehnten immer noch als Gäste behandelt werden, daß sie eine Bedrohung sind, daß sie Fremde bleiben. Geradezu verhöhnend ist die Aussage in dem neuen Antrag — ich zitiere —: “Der Deutsche Bundestag begrüßt, daß die Bundesregierung in ihrem Verantwortungsbereich Ausländer beschäftigt.” In der Ursprungsfassung der SPD forderte der Bundestag die Bundesregierung immerhin noch auf, den öffentlichen Dienst einschließlich BGS verstärkt für Nichtdeutsche zu öffnen. Ich frage mich wirklich, warum Sie von der SPD eine solche Verhohnepipelung unserer im öffentlichen Dienst drastisch unterrepräsentierten Mitbürgerinnen und Mitbürger ausländischer Herkunft mitmachen. Sie wissen, daß sie hauptsächlich bei der Müllabfuhr und bei der Straßenreinigung beschäftigt sind. 1995 betrug der Anteil ausländischer Beschäftigter im gesamten öffentlichen Dienst 3,4 Prozent. Ich meine, daß ein Antrag, der den Kampf gegen den Rassismus fordert, mehr beinhalten muß. Deswegen können wir ihm leider nicht zustimmen. (Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Für die Bundesregierung spricht der Parlamentarische Staatssekretär Manfred Carstens. Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte damit beginnen, daß die Bundesregierung dem Europäischen Jahr gegen Rassismus von Anfang an und das ganze Jahr hindurch einen hohen Stellenwert gegeben hat. Deutschland steht hier in besonderer historischer Verantwortung. Es hat sich dieser Verantwortung gestellt und wird dies auch künftig tun. Nicht nur in diesem Jahr hat sich die Bundesregierung mit diesem Problem befaßt, sondern schon viele Jahre vorher, so wie Frau Kollegin Steinbach es hier eben eindrucksvoll geschildert hat. Dieser Einsatz war in den vergangenen Jahren nicht ohne Erfolg. Offensichtlich ist man hier nicht bereit, auf Fakten einzugehen. Diese Erfolge sind hier eben schon genannt und mit Prozentzahlen belegt worden. 6721 fremdenfeindlich motivierte Straftaten sind in unserem Land im Jahre 1993 begangen worden. Diese Zahl ist bis 1996 kontinuierlich auf 2232 zurückgegangen. Das ist in der Tat ein Rückgang um mehr als zwei Drittel. Man kann auch sagen: 1996 ist gegenüber dem Jahre 1993 nur noch ein Drittel dieser Fälle zu verzeichnen gewesen. Das war ein großartiger Erfolg all derer, die sich an der Bekämpfung dieser Straftaten beteiligt haben. Man braucht nicht nach Ausreden zu suchen und Vorwürfe zu erheben, sondern wir sollten uns darüber freuen, daß dieser Tatbestand festgestellt werden kann. Schade und schwierig zugleich ist es, festzustellen, daß 1997 ein leichter Anstieg auf 2952 Fälle stattgefunden hat. Aber man bedenke, daß wir noch vier Jahre vorher 6721 Fälle hatten. Der Anstieg muß ernst genommen und darf nicht hingenommen werden. Wir fordern alle gesellschaftlichen Gruppen auf, an der Lösung dieses Problems mitzuwirken; denn es handelt sich doch um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Bundesregierung ist gefragt, selbstverständlich. Aber auch die Landesregierungen, die Kirchen, andere gesellschaftliche Gruppen und im Grunde jeder Bürger unseres Landes sind gefragt, hier mitzumachen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Es ist angenehm, bei empirischen Untersuchungen feststellen zu können, daß es auch ganz erfreuliche Ansätze gibt, nach denen man durchaus auch zuversichtlich sein darf. Zum Beispiel ist durch solche Umfragen — ich nenne die Shell-Studie — bekannt, daß rechtsextremistische Gruppierungen auf größte Ablehnung bei Jugendlichen stoßen. öber 80 Prozent der Jugendlichen geben an, solche Gruppierungen abzulehnen. Diese empirischen Untersuchungen zeigen auch regelmäßig, daß der Anteil der Jugendlichen, die sich selbst der rechtsextremistischen Szene zuordnen, bei maximal 1 bis 2 Prozent, und der Anteil derjenigen, die mit der Szene sympathisieren, deutlich unter 5 Prozent dieser Altersgruppe liegen. Wir haben bei unseren Initiativen — von der Aufklärungskampagne der Innenminister von Bund und Ländern ist ja eben schon die Rede gewesen — auch festgestellt, daß es einen gesellschaftlich breit getragenen Konsens gegen extremistische Ideologien und Fremdenfeindlichkeit gibt. Die wieder wachsende Gewaltkriminalität von Jugendlichen führt uns aber erneut zu der Frage nach den Ursachen 31 DOKUMENTATION und nach den Hintergründen hierfür. Die Ursachen sind vielschichtig. Sie werden in der Politik- und Sozialwissenschaft, aber auch in der Publizistik breit erörtert. Ein umfassendes, konsistentes und allgemein anerkanntes Analyse- und Erklärungsmodell liegt bislang nicht vor. Eine wichtige Rolle spielen aber sicher eine zunehmende Orientierungs- und Bindungslosigkeit, ein zunehmender Werteverlust, Medieneinflüsse und in den neuen Bundesländern sicher auch der totale gesellschaftliche Umbruch. Die Bundesregierung hat sich selbstverständlich auch um die Erforschung der Ursachen bemüht. Auf den Bericht zu dem Forschungsprojekt “Analyse fremdenfeindlicher Straftäter” möchte ich besonders hinweisen. Darüber hinaus führt die Bundesregierung vielfältige Maßnahmen sowohl im gesetzgeberischen und administrativen als auch im Bereich der Prävention durch. Ich weise insbesondere auf die “Offensive gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit” hin, in der auf Beschluß der Bundesregierung vom 2. Dezember 1992 alle einschlägigen Maßnahmen und Planungen der Bundesregierung zusammengefaßt worden sind. Zuletzt wurde dieser Bericht im Mai 1997 aktualisiert. Auch die Maßnahmen der Bundesregierung im Bildungsbereich sind hier aufgeführt. Nun noch einiges zum Europäischen Jahr gegen Rassismus: Hier hat sich die Bundesregierung sehr stark engagiert, anders als es die Rednerin der SPD eben zum Ausdruck gebracht hat. Mit der Umsetzung dieser Initiative in Deutschland war am 7. Oktober 1996 ein nationaler Koordinierungsausschuß beauftragt worden, dem sowohl Vertreter von Regierungsstellen als auch von Nicht-Regierungsorganisationen angehörten. Vorsitz und Geschäftsführung lagen beim BMI. Die nationale Eröffnungsveranstaltung fand am 4.März 1997 mit dem Bundespräsidenten als Hauptredner statt. Wir haben auf Initiative des BMI zum Beispiel im Rahmen dieses Jahres ein Poster mit dem Motto “Sportler gegen Rassismus — und Du?” produziert und finanziert, um die Öffentlichkeit für diese Problematik zu sensibilisieren. (Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Für die Einbürgerung in 24 Stunden!) Dann haben Bund, Länder und Gemeinden — Frau Schmalz-Jacobsen hat es eben schon gesagt und dafür Dank ausgesprochen, dem ich mich anschließen möchte — und viele Nicht-Regierungsorganisationen der Geschäftsstelle im BMI eine Fülle von Projekten gemeldet und durchgeführt, die zur Zeit dokumentiert werden. Sie werden sich allesamt darüber wundern, wieviel in diesem einen Jahr in unserem Land, in Deutschland, zu diesem Thema getan worden ist: mehr als in allen anderen Ländern Europas, wage ich zu behaupten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.) Dieses Europäische Jahr gegen den Rassismus ist nun aus kalendarischer Sicht beendet; doch alle Beteiligten haben sich dafür entschieden, daß der begonnene Dialog zwischen Nicht-Regierungsorganisationen und Regierungsstellen in einem Nachfolgegremium, dem Forum gegen den Rassismus, fortgeführt wird. Das Gremium hierfür ist schon am 19. März in Frankfurt konstituiert worden. Letzte Ausführung: Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind keine auf Deutschland beschränkten Erscheinungen. In praktisch allen Ländern der Europäischen Union, in denen in den letzten Jahren ein starker Zuzug von Ausländern stattgefunden hat, sind sie zu beobachten. Zur Zeit leben über 7,3 Millionen Ausländer in Deutschland. Das spricht nicht für Fremdenfeindlichkeit. Die damit verbundene Begegnung verschiedener Kulturen und Traditionen kann die Lebensverhältnisse der Bürger bereichern, aber auch zu Spannungen führen. Einheimische wie Zuwanderer sind aufgefordert, solche Spannungen nicht durch Mißachtung und Provokation zu verstärken, sondern durch Offenheit und Toleranz, Verständnis und Re- spekt abzubauen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zum Antrag der Fraktion der SPD zum Europäischen Jahr gegen Rassismus, Drucksache 13/9667. Der Innenausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7711 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer der Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Stimmenthaltung? — Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Gruppe der PDS angenommen worden ist. Schreiben der nds. SPD-Landtagsfraktion an PRO ASYL v. 18.02.98 Sehr geehrte Damen und Herren, vielen Dank für Ihr Schreiben vom 05. Februar 1998. Der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion Herr Heinrich Aller hat mich gebeten, Ihnen zu antworten. Dieser Bitte komme ich gerne nach. Bei der Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes geht es darum, ausreisepflichtigen Ausländern, die sich dem Ausländerrecht zuwider hier aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufhalten, nicht mehr wie bisher automatisch die vollen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu gewähren. Dies gilt insbesondere für diejenigen, die sich jeglicher Mitwirkung an der Aufklärung ihrer Identität und der Paßbeschaffung verweigern. Die Zahl dieser Fälle hat mittlerweile im gesamten Bundesgebiet ein unvertretbares Ausmaß erreicht. Es gibt keinen vernünftigen Grund, weshalb ein zur Ausreise verpflichteter Ausländer, der seiner gesetzlich gebotenen Mitwirkung bei der Paßbeschaffung nicht nachkommt, den uneingeschränkten Anspruch auf Leistung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz behalten soll. Aus diesem Grunde soll bei Ausländern, bei denen aus von ihnen zu vertretenen Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, eine Anspruchseinschränkung erfolgen. Keineswegs ist es so, daß die geplante Gesetzesänderung den davon betroffenen Personengruppen alle Leistungen vorenthalten will. Für telefonische Rückfragen stehe ich jederzeit zur Verfügung. Mit freundlichen Grüßen (Unterschrift) Gert Armin Neuhäuser Parlamentarischer Referent 32 FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 DOKUMENTATION Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaften der Landesflüchtlingsverwaltungen Stellungnahme des Arbeitskreises 4 (Ausländische Flüchtlinge) der Arbeitsgemeinschaft der Landesflüchtlingsverwaltungen zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes BT-Drs. 13/10155 war. Dies führte zu einer Besserstellung der Ausreisepflichtigen (uneingeschränkte Leistungen gem. AsylbLG) gegenüber denjenigen mit besserem ausländerrechtlichen Status (Leistungsausschluß gem. § 120 Abs. 3 BSHG). Es handelt sich bei dieser Änderung also um eine A) Funktion der Arbeitsgemeinschaft der rechtssystematische Anpassung des AsylLandesflüchtlingsverwaltungen (ArgeFlü) bLG an das BSHG, die unter Sozialstaatsgesichtspunkten keine Probleme aufwirft Die Arbeitsgemeinschaft der Landesflüchtlingsverwaltungen (ArgeFlü) bildet Zur Frage des von dieser Fallvariante den Zusammenschluß der jeweils in den möglicherweise erfaßten Personenkreises Ländern für die Aufnahme, Unterbrinwurden auf bestimmte Ausländergrupgung und Versorgung von ausländischen pen hingewiesen, die offen erklärten, Flüchtlingen zuständigen Obersten Lan- eingereist zu sein, um Sozialhilfeleistundesbehörden. Es handelt sich dabei um gen zu erlangen und gleichzeitig offen Mitarbeiter der Fachebene, die zusam- zu erkennen gaben, keinen Asylgrund zu menkommen, um Erfahrungen auszuhaben. So wurde von derartigen Einreitauschen, die Verwaltungspraxis in den sen aus Ex-Jugoslawien nach Berlin, aus Ländern weitestgehend zu vereinheitli- Afghanistan nach Hamburg, aus dem chen oder zu bestimmten ProblemfelIrak nach Baden-Württemberg und aus dern gemeinsame Positionen abzustim- Osteuropa nach Rheinland-Pfalz berichmen und, soweit ggf. möglich, für Be- tet. schlußgremien Vorschläge zu erarbeiten. Die Positionsbestimmungen werden da- Die Darlegungs- und Beweislast für die bei grundsätzlich aus fachlicher und ver- Einreisemotive wird, wie dies auch bei § waltungstechnischer Sicht vorgenom120 Abs. 3 BSHG (um-zu-Regelung) der men, um sodann als Material für politi- Fall ist, bei den das Gesetz ausführenden sche Entscheidungsprozesse zur Verfü- Behörden liegen. gung zu stehen. Die Fallgruppe der Ziffer 2 des § 1a bildet aus der Sicht unseres Gremiums die Im Falle der Grundsatzpositionen zum zentrale Regelung der AnspruchseinEntwurf eines zweiten Gesetzes zur Än- schränkung. Für eine Regelung besteht derung des Asylbewerberleistungsgeset- angesichts der bisherigen Erfahrungen zes hat der Arbeitskreis 4 (ausländische der Verwaltungspraxis der Länder ein Flüchtlinge) seine Beratungen - unter dringender Bedarf. Betroffen von einer Zurückstellung ggf. auf Landesebene be- solchen Regelung wären vollziehbar ausstehender grundsätzlicher politischer reisepflichtige Ausländer - namentlich alVorbehalte gegen eine Änderung der so abgelehnte Asylbewerber - denen Regelungsmaterie - geführt und sich ausschließlich deswegen eine Duldung ausschließlich an den aus Sicht der Ver- erteilt werden muß, weil ihre Abschiewaltungspraxis ergebenen Notwendig- bung allein aus Gründen nicht möglich keiten orientiert. Die politische Wertung ist, die in ihrem eigenen Verhalten liedieser - im wesentlich konsensual erar- gen. Konkret handelt es sich dabei insbeiteten - Vorstellungen muß dabei ent- besondere um diejenigen, die mutwillig sprechend der reinen Fachfunktion der ihre Identität verschleiern, indem sie ihre Arbeitsgemeinschaft den hierfür zustän- Reisedokumente beiseite schaffen und digen Institutionen vorbehalten bleiben. im Rahmen der Paßersatzbeschaffung bei persönlicher Vorsprache in den AusNach dieser Maßgabe wird die nachste- landsvertretungen Angaben verweigern, hende Stellungnahme abgegeben. gezielte Falschangaben machen oder sich angeblich nicht in der Lage sehen, B) Stellungnahme Beschreibungen ihres Heimatlandes zu Zu Artikel 1 Nr. 1 (§ 1a (Anspruchseingeben. Durch dieses Verhalten gelingt es schränkungen)) ihnen, für die Behörden unlösbare AbDie Einfügung eines § 1a wird mehrheit- schiebungshindernisse zu schaffen und lich grundsätzlich als notwendig erach- damit einen weiteren Aufenthalt im tet, um künftig ein Instrument zur Ver- Bundesgebiet zu erzwingen. Die Zahl hinderung der rechtsmißbräuchlichen In- der hiervon betroffenen Personen ist anspruchnahme von Sozialleistungen zwar nicht genau zu ermitteln; es steht durch ausreisepflichtige Ausländer zur aber fest, daß einerseits die Zahl der abVerfügung zu haben. Die Regelung des gelehnten Asylbewerber, die aufgrund § 1a Nr. 1 führt dabei richtigerweise ei- eines Abschiebestopps oder aus rechtline Gleichbehandlung der Leistungsbe- chen Gründen geduldet werden, erhebrechtigten nach AsylblG mit leistungsbe- lich zurückgegangen ist, während der rechtigten Ausländerinnen und Auslän- Anteil der Personen, deren Aufenthalt dern nach dem Bundessozialhilfegesetz aufgrund tatsächlicher Abschiebungshin(BSHG) herbei. Eine Einschränkung der dernisse - wie etwa Fehlen der RückreiLeistungen nach dem AsylbLG war bis- sepapiere - zu dulden ist, stark angestieher selbst in den Fällen nicht möglich, in gen ist. Überschlägige Ermittlungen in denen der Antragsteller offen bekundet, einigen Ländern haben ergeben, daß jedaß sein Motiv für die Einreise in die weils 1000 bis 3000 Personen auf diese Bundesrepublik Deutschland nur die In- Weise versuchen, ihre Ausreisepflicht zu anspruchnahme von Sozialleistungen verhindern. § 1a Ziffer 3 sieht Leistungseinschränkungen für die ausreisepflichtigen Ausländerinnen und Ausländer vor, die nicht freiwillig ausreisen, obwohl sie jederzeit ausreisen könnten. Aus den Erfahrungen der Praxis heraus stößt die Abschiebung in diesen Fällen auf Schwierigkeiten, weil bestimmte Regularien vereinbart sind (z.B. Rücknahmeersuchen, Zustimmung des Heimatstaates, Streckung der Rückführung über mehrere Jahre). Dies trifft insbesondere für Staaten zu, mit denen Rückübernahmeabkommen abgeschlossen wurden (z.B. Vietnam, Bundesrepublik Jugoslawien). Eine freiwillige Ausreise ist in der Regel grundsätzlich außerhalb des Abkommens möglich. Auch hier soll der Grundgedanke gelten, daß derjenige, der vollziehbar zur Ausreise verpflichtet ist und es selbst in der Hand hat, das Land zu verlassen, keine vollen Leistungen nach dem AsylbLG erhalten soll, solange er nicht ausreist. Daraus wird deutlich, daß die vom Gesetz betroffenen Personen, nicht wie gelegentlich behauptet wird, auf eine „Nullrate“ gesenkt werden und ihnen auch das Notwendigste gestrichen wird. In der praktischen Ausführung dieser Regelung wird es nach hiesiger Einschätzung stark auf den Einzelfall ankommen. Der Verweis auf § 1a Satz 2 sollte gestrichen werden. Bei isolierter Betrachtung stellt dieser Tatbestand lediglich auf die objektive Möglichkeit der Ausreise ab. Dies kann möglicherweise in einer Reihe von Fällen zu Härten führen. Insofern sollte die beabsichtigte Anspruchseinschränkung nur dann greifen, wenn die freiwillige Ausreise tatsächlich möglich und zumutbar ist. Die Gesetzesanwendung im konkreten Fall würde dann alle Umstände eines Einzelfalles einbeziehen, wozu auch der Grund für die ausländerrechtliche Duldung gehört. Danach würden bosnischen Bürgerkriegsflüchtlinge, die zunächst noch von der Rückführung ausgenommen sind, z.B. weil sie sich in einer Berufsausbildung befinden, auch weiterhin Leistungen nach dem AsylbLG erhalten können, da ihre Rückkehr möglich, aber nicht zumutbar ist. In den Erläuterungen des Gesetzentwurfes sollten zur Klarstellung die Überlegungen zur Zumutbarkeit und Möglichkeit der freiwilligen Ausreise noch näher ausgeführt und durch Beispiel ausgelegt werden. Zur Konkretisierung der Rechtsfolge (Anspruchseinschränkung auf das im Einzelfall unabweisbar gebotene) muß darauf hingewiesen werden, daß auch hier eine jeweils einzelfallbezogene Entscheidung möglich ist. Für den betroffenen Personenkreis besteht nicht mehr, wie nach geltendem Recht, automatisch ein voller Leistungsanspruch in Höhe der Grundleistungen nach dem AsylbLG. Die Leistungsbehörden werden bei der Ausgestaltung und ihrer Anpassung an die Besonderheiten des Einzelfalles freier gestellt. Aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalles kann dabei die Leistungsgewährung im Ergebnis durchaus das Niveau voller Leistungen erreichen. Dieser Leistungshöhe würde sozusagen die „Begrenzung nach oben“ bilden. Die „Grenze nach unten“ dürte dort liegen, wo Ernährung, Unterkunft und Kleidung bis zur Ausreise sichergestellt sind. Hinsichtlich der gesundheitlichen Versorgung wird es zu keiner Veränderung kommen. Zu Artikel 1 Nr. 2 (§ 3 Abs. 1 Satz 5) Die leistungsrechtliche Gleichstellung von Abschiebe- und Untersuchungsgefangenen wird als wünschenswert angesehen. Zu Artikel 1 Nr. 3 (§ 5 Abs. 4 Satz 2) Die Gesetzesformulierung erscheint mißverständlich. Daher wird folgende Neuformulierung vorgeschlagen: „Bei unbegründeter Ablehnung einer solchen Tätigkeit erhalten Leistungsberechtigte Leistungen nach diesem Gesetz nur, soweit dies im Einzelfall unabweisbar geboten ist. Der Leistungsberechtigte ist vorher entsprechend zu belehren.“ Zu Artikel 1 Nr. 4 (§ 7 Abs. 1 Satz 2) Diese Bestimmung erscheint als parallele Regelung zu § 122 BSHG wünschenswert. Die bisherige Besserstellung der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG gegenüber Sozialhilfeberechtigten erscheint problematisch, auch unter Zugrundelegen der neueren Rechtsprechung, insbesondere des Urteils des Verwaltungsgerichtshof Mannheim vom 14. April 1997 (Az: 7 S 1816/95) Zu Artikel 1 Nr. 5 (§ 7a) Die Einführung einer Sicherheitsleistung von Leistungsberechtigten erscheint grundsätzlich für wünschenswert, obwohl diese in der praktischen Anwendung problematisch werden könnte. Soweit nämlich Vermögen im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 vorhanden ist, muß zunächst dieses eingesetzt werden, bevor Leistungen nach dem Gesetz beansprucht werden können. Es wird zu prüfen sein, ob und wie die Sicherheitsleistung auf den Erstattungsanspruch nach § 7 Abs. 1 Satz 2 in der derzeitigen Fassung zu beschränken ist. Zu Artikel 1 Nr. 6 (§ 11 Abs. 3) Die mit der Regelung eröffnete zusätzliche Möglichkeit des automatisierten Datenabgleichs zwischen der Sozialbehörde und der Ausländerbehörde erscheint sinnvoll und erforderlich. Es ist bekannt, daß der Bundesbeauftragte für Datenschutz aus seiner Sicht Bedenken im Hinblick auf Überschneidungen mit § 79 Abs. 3 Ausländergesetz geäußert hat. Er sollte daher um Prüfung aus seiner Sicht bzw. um Vorschlag zu einer Neuformulierung gebeten werden. Zu Artikel 2 (Inkrafttreten) Um Schwierigkeiten bei der Umsetzung der gesetzlichen Neuregelung in den Bundesländern zu vermeiden, sollte das Gesetz nicht unverzüglich sondern ggf. erst drei Monate (maximal) nach Verkündung in Kraft treten. Unterschrift (Hummel) 33 ASYLPOLITIK „Wir brauchen Zuwanderer“ Der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder (SPD) über das Recht auf Asyl Fest steht: Die Bundesrepublik Deutschland ist Unterzeichnerin der Genfer Flüchtlingskonvention. Damit sind deren Bestimmungen geltendes Recht. Das heißt: Gut die Hälfte aller abgelehnten Asylbewerberinnen und -bewerber dürfen gar nicht abgeschoben werden, weil ihnen im Heimatland Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht. Keine Änderung des Grundgesetzes darf die Genfer Flüchtlingskonvention außer Kraft setzen. Aber wer bestimmt und in welchem Verfahren, wer bleiben darf und wer gehen muß Die Bundesrepublik hat sich aus gutem Grund ein politisches Asylrecht ohne Wenn und Aber gegeben: Zehntausende vom Deutschen haben das Dritte Reich nur überlebt, weil sie im Ausland Asyl fanden. Innenpolitische Erwägungen dürfen bei der Asylgesetzgebung keine Rolle spielen das einzige Kriterium hat die Sicherheit politisch verfolgter Menschen zu sein. (...) Die Union - das ist schwarz auf weiß bewiesen - hat entdeckt, daß sich mit dem Asylthema Wahlkampf machen läßt. Wahlkampf auf Kosten von Menschen und auf Kosten des Ansehens der Bundesrepublik. Wahlkampf mit einem Sud aus Vorurteilen und Fremdenangst, aus Deutschtümelei und Sozialneid. (...) * Auszüge eines Artikels im Spiegel 11/1992 34 Aufgabe von Politik wäre es, diesen Stimmungen in Wort und Tat entgegenzuarbeiten. Die Union aber schürt sie - um so deutlicher, je weiter es in der Parteihierarchie nach unten geht. Und SPD-Politiker in Bonn führen dazu einen sozialdemokratischen Klassiker auf: Sie lassen sich ohne Not in die „vaterländische Pflicht“ nehmen und finden sich in einer Lage wieder, aus der es beim politisch-moralischen Anspruch und dem historischen Hintergrund der SPD keinen Ausweg gibt. (...) Erstens: Ohne diese Zuwanderung wäre die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik nicht niedriger, sondern höher. nach Berechnungen des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) haben die 3,5 Millionen Menschen mehr Arbeitsplätze geschaffen, als sie selbst besetzen. Zweitens: Auch ohne Zuwanderung gäbe es in der Bundesrepublik eine drastische Wohnungsnot, weil die deutsche Bevölkerung heute pro Kopf 50 Prozent mehr Wohnraum beansprucht als vor 20 Jahren und der Bund den sozialen Wohnungsbau in den achtziger Jahren faktisch eingestellt hat. Drittens: Ohne Zuwanderung wären die Sozialversicherungsbeiträge höher und die Sozialleistungen niedriger. Nach der RWIBerechnung haben die 3,5 Millionen Zuwanderer den staatlichen und den Sozialkassen 1991 direkt und indirekt einen Reingewinn von 41 Milliarden Mark gebracht - die Kosten für ihre Eingliederung bereits abgerechnet. Diese Beiträge werden in den nächsten Jahren noch wichtiger werden: Weil es unter der deutschen Bevölkerung immer mehr Alte und immer weniger Junge gibt, wird nach Prognosen des Verbandes Deutscher Rentenversicherer im Jahre 2040 auf jeden deutschen Erwerbstätigen ein Rentner kommen. Das heißt: Wir brauchen Zuwanderer. Oder wir können ausrechnen, wann mit dem Generatio- nenvertrag die Grundlage unseres sozialen Systems zusammenbricht. (...) Die Bonner Koalition aber hält stur an dem Trugbild fest: „Die Bundesrepublik ist kein Einwanderungsland.“ Sie verhindert, daß wir Zuwanderung steuern, die wir haben und die wir brauchen. Sie verhindert, daß wir endlich eine positiv definierte Ausländerpolitik entwickeln, die Ausländern gleiche Rechte auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt gibt, die ihnen das Wahlrecht gibt, die ihre Einbürgerung erleichtert und ihre Diskriminierung unter Strafe stellt. Solch praktische Politik könnte dann auch Ausländerfeindlichkeit wirksam abbauen, weil sie Fremde als das behandeln würde, was sie sind: als Bereicherung für unser wirtschaftliches, soziales und kulturelles Leben. Aber das ist nur die eine Seite. Auf der anderen stehen die erbärmlichen Lebensverhältnisse in vielen Regionen der Dritten Welt, stehen Diktaturen, die nicht selten von den Industrieländern gestützt werden, stehen Kriege, die die Menschen aus ihrer Heimat vertreiben. Die Ursachen der Fluchtbewegung haben wir selbst mit erzeugt. Also brauchen wir endlich eine Entwicklungspolitik, die sich ehrlich müht, diese Ursachen in den Heimatländern der Flüchtlinge zu beseitigen. (...) Die Asyldebatte vom Kopf auf die Füße zu stellen: Das ist es, was die Hüter der Verfassung zuerst zu leisten haben. Das zu beginnen heißt, die Asylfrage den Wahlkampfstrategen aller Lager aus der Hand zu nehmen. (...) FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 GESUNDHEIT Ärztekammer: Gratishilfe für Flüchtlinge ohne Bleiberecht Artikel in der NP vom 08.03.98 Ärztekammer: Gratishilfe für Flüchtlinge ohne Bleiberecht Bis zu 500.000 Menschenleben illegal in Deutschland, davon rund zehn Prozent in Niedersachsen. Sie haben keinen Anspruch auf Sozialleistungen oder medizinische Versorgung. Die niedersächsische Ärztekammer ruft ihre Mitglieder kommende Woche im Ärzteblatt auf, abgelehnte Asylbewerber anonym und kostenlos zu behandeln. „Wir wollen keine politische Meinung vertreten, sondern humanitäre Hilfe leisten“, so Cornelia Goesmann, Vizepräsidentin der Ärztekammer. Die Allgemeinärz- aus: nds ärzteblatt 3/98 Abgelehnte Asylbewerber wer übernimmt medizinische Behandlung? Ein Ärzte-Netzwerk zugunsten der medizinischen Versorgung abgelehnter, aber noch nicht ausgewiesener Asylbewerber wird zur Zeit in niedersächsischen Ärztekreisen diskutiert. Dafür sollen Ärztinnen und Ärzte gewonnen werden, die jenen Personen eine anonyme und kostenfreie Behandlung gewähren wollen, die oftmals ohne Ausweise und Aufenthaltspapiere - zumeist aus Angst vor einer drohenden Abaus: Münch. med. Wschr. 139 (1997) Nr. 12 ÄK Berlin will Armenambulanzen Wer bezahlt für die ärztliche Behandlung von Ausländern, die sich illegal in der Bundesrepublik aufhalten und die nicht krankenversichert sind? Dieses Thema wird derzeit in Berlin heiß diskutiert - das Problem dürfte aber nicht nur die Hauptstadt betreffen. Bei der Behandlung von Schwarzarbeitern, die sich illegal tin hat bislang nur wenige „illegale“ Patienten behandelt. „Aber es ist klar, daß es sich nicht um Einzelfälle handelt. Und die Zahl steigt deutlich an.“ Beispiel: Die junge Kurdin A. Sincar. Als sie im sechsten Monat eine Fehlgeburt hatte, lebte sie mit ihrem Mann illegal im Kirchenasyl. Sincar hatte Glück: Ein evangelisches Krankenhaus behandelte sie kostenlos - und ohne sie zu melden, was zur Abschiebung geführt hätte. Heute wohnt sie mit ihrem Mann legal in Niedersachsen, ist als politische Asylberechtigte anerkannt. „Aus Angst vor der Rückkehr in die Heimat tauchen immer mehr abgelehnte Asylbewerber bei Freunden unter oder bitten um Kirchenasyl“, weiß Sigrid Ebritsch vom Diakonischen Werk Hannover. „Zwei Drittel der Menschen, die im Kirchenasyl gelebt haben, werden später doch als Asylberechtigte anerkannt oder zumindest befristet geduldet.“ Sie hat bisher gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Ärzten gemacht. „Niedergelassene Ärzte haben wegen der Schweigepflicht keine rechtlichen Probleme, anonym zu behandeln“, so ein Helfer der Kooperative Flüchtlingssolidarität in Hannover. In Krankenhäusern sei es schwieriger. Dort hänge es von der Verwaltung ab, ob sie Patienten ohne Aufenthaltsgenehmigung meldet. schiebung in die Illegalität abgetaucht sind. Dieses Ansinnen verfolgt eine Initiative “Kein Mensch ist illegal”. Nach deren Schätzung sollen sich in Deutschland ca. eine Million Menschen aufhalten, die aufgrund ihres Rechtsstatus’ als nicht anerkannte Asylbewerber keinerlei Anspruch auf die sonst üblichen Sozialleistungen haben. Vor allem bei diesen Menschen bewirken Illegalität, Streß und Abschiebeangst nicht selten psychosomatische Krankheiten, die zumeist unbehandelt bleiben. Beschluß der Kammerversammlung vom vergangenen November - Ärztinnen und Ärzte aus dem Kammerbereich, sich mit diesem Problem zu befassen und sich für ein solches Netzwerk zur Verfügung zu stellen. Mediziner, die sich dazu bereit erklären, werden der o.g. Initiative benannt, die wiederum für die Kontaktaufnahme zwischen Patient und behandelndem Arzt sorgt. “Verbindungsfrau” zwischen interessierten Kollegen und der Initiative “Kein Mensch ist illegal” ist die frisch gewählte stellvertretende Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen, Dr. med. Cornelia Goesmann aus Hannover. Die Ärztekammer Niedersachsen bittet daher - gestützt auf einen hier aufhalten, können erhebliche Kosten entstehen. So mußte in einem Berliner Krankenhaus ein osteuropäischer Arbeiter wegen schwerer Verbrennungen versorgt werden. Die Behandlung verschlang 1,6 Millionen DM. In diesem Fall übernahm das Sozialamt die Kosten. Nach Ansicht der Ärztekammer Berlin ist dies aber keine Dauerlösung, da es sich hier um ein gesamtgesellschaftliches Problem handle, das nichts mit einem bestimmten Bezirk oder Sozialamt zu tun habe. Wegen der Nähe zur polnischen Grenze sei das Problem in Berlin nur ausgeprägter als anderswo. Die Berliner Ärztekammer forderte den Senat der Hauptstadt auf, Armenambulanzen einzurichten, in denen Obdachlose und nicht Versicherte medizinische Hilfe erhalten könnten. Die Trägerschaft würde von der Ärztekammer übernommen. Der Berliner Senat wies das Anliegen zurück, weil es sich hier um ein bundesweites Problem handle. (rm) 35 RASSISMUS UND SOZIALABBAU Hannover wehrt sich gegen die Weisung der Bezirksregierung! Letz te Meld ung ! SPD-Fraktion im Rat der Landeshauptstadt Hannover BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN Fraktion im Rat der Landeshauptstadt Hannover In den Verwaltungsausschuß 03.06.98 Antrag gemäß der Geschäftsordnung des Rates der Landeshauptstadt Hannover Asylbewerberleistungsgesetz; Einführung des Wertgutscheinverfahrens 1. Die Landeshauptstadt Hannover protestiert gegen die Weisung der Bezirksregierung, die Leistungen Für Bargeld Fachliche Stellungnahme des Arbeitskreises hauptamtlicher MitarbeiterInnen der Jugendarbeit im Landkreis Nienburg Koordinator Karl-Erich Daust Jugendpfleger Rudi Klemm Zum 01.05.1998 hat der Landkreis Nienburg die praktische Umsetzung des Asylbewerberleistungsgesetzes in soweit verschärft, als daß HilfeempfängerInnen die Ihnen zustehenden Sozialleistungen weitestgehend nur noch in Form von Wertgutscheinen erhalten. Die hauptamtlichen MitarbeiterInnen der Jugendarbeit halten diese neue Praxis insbesondere für Familien mit Kindern für un- * vom 13.05.98; Adresse: K.-E. Daust, Kirchplatz 2, Landesbergen; Tel/Fax: 05025-6311 36 nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ab dem 1.10.1998 in Form von Wertgutscheinen auszuzahlen und erklärt sich solidarisch mit den betroffenen Flüchtlingen und AsylbewerberInnen 2. Die Verwaltung wird beauftragt, die Möglichkeiten und Aussichten eines Klageverfahrens noch einmal extern rechtsgutachterlich prüfen zu lassen. 3. Zudem sollen ggf. angestrengte Einzelklagen von Betroffenen durch Beitritt der Landeshauptstadt Hannover unterstützt werden. Begründung: Die Weisung der Bezirksregierung stellt einen erheblichen Eingriff in die Autonomie der Kommune dar zumutbar, da die Versorgung von Kindern und Jugendlichen häufig mit dem Einsatz von kleineren Barbeträgen verbunden it. Aus pädagogischer Sicht wirkt sich das Wertgutscheinsystem in mehrfacher Hinsicht negativ aus: Es setzt die Menschen, die vor politischer Verfolgung nach Deutschland gekommen sind, einer weiteren Diskriminierung aus. Es bietet der rassistischen Unterstellung von Rechtsradikalen Nahrung, daß die Gründe für eine Flucht nach Deutschland darin liege, hier Sozialleistungen zu erhalten. Es ist darüber hinaus zu befürchten, daß rechtsradikale Gewalttäter durch die Herabsetzungen von staatlicher Seite ihrerseits ermutigt werden, Flüchtlinge zu attackieren. Durch die Wertgutscheine erhalten die betroffenen Flüchtlinge eine negative Sonderstellung beim Einkauf. Die komplizierte Abwicklung oder die Unkenntnis des Verkaufspersonals führen bisweilen zu Wartezeiten für andere Kunden, deren Aggression sich, dies zeigen die Erfahrungen, dann gegen die betroffenen Flüchtlinge richtet. Es handelt sich bei den Wertgut- und bürdet der Landeshautstadt Hannover zusätzliche Verwaltungskosten in Höhe von ca. 1,5 Mio auf. Dies ist bei gegebener Haushaltslage und den ebenfalls von der Bezirklsregierung auferlegten Sparvorgaben nicht hinnehmbar. Die Landeshauptstadt Hannover lehnt es zudem ab, über die Einführung solcher Auszahlungsmodalitäten einer diskriminierenden Politik Vorschub zu leisten. Frank Huneke Fraktionsvorsitzender Lothar Schlieckau Fraktionsvorsitzender (Abschrift) scheinen um eine öffentlich präsentierte Unterstellung des Sozialleistungsmißbrauchs. Gerade Kinder reagieren auf diese alltäglichen Diskriminierungen sensibel, sie merken schnell, wenn das Einkaufen für die Eltern zum „Spießrutenlaufen“ wird. Die Folgen für die Entwicklung dieser Kinder sind nicht abzusehen. Daß Kinder unter diesen Bedingungen wohl kaum den Umgang mit Geld lernen können, ist ein weitere negativer Aspekt. Die Fachkräfte der Jugendarbeit appellieren deshalb an alle Verantwortlichen beim Landkreis Nienburg und dem Land Niedersachsen, zu einer menschenwürdigen Praxis beim Asylbewerberleistungsgesetz zu kommen. Als besonders erstaunlich wird zur Kenntnis genommen, daß in Zeiten leerer Haushaltskassen die entstehenden Zusatzkosten stillschweigend in Kauf genommen werden. Die durch ein Wertgutscheinsystem entstehenden Kosten sollten lieber, so Jugendpfleger Rudi Klemm, durch die Umstellung auf Bargeld eingespart werden, um damit Arbeitsplätze im Landkreis zu schaffen. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 RASSISMUS UND SOZIALABBAU Für 5 000 DM Gutscheine getauscht Initiative fordert Barauszahlung von Sozialhilfe an Flüchtlinge* Etwa 5 000 DM wechselten gestern vormittag vor dem Kreishaus den Besitzer: Das hiesige „Bündnis gegen Rassismus“ hatte dort einen Stand aufgebaut, an dem Flüchtlinge die an sie ausgegebenen Sozialhilfewertgutscheine gegen Bargeld eintauschen konnten. Anschließend gab die Gruppe die Gutscheine im Sozialamt des Kreises ab - eine Mitarbeiterin sicherte zu, den Betrag zu überweisen. Anfang Februar hatte sich die Initiative bereits schriftlich an Landrat Christian Zühlke und seinen Stellvertreter Kurt Herzog gewandt und sie aufgefordert, die noch von Zühlkes Amtsvorgänger Klaus Poggendorf erlassene Regelung außer Kraft zu setzen und den Flüchtlingen ihre Sozialhilfe wieder bar auszahlen zu lassen. Die Gutscheine seien „diskriminierend und menschenunwürdig“, heißt es in dem Schreiben, vor dem „Hintergrund zunehmender rassistischer Ausschreitungen“ in Deutschland sei eine solche „Brandmarkung“ besonders bedenklich. Außerdem seien praktische Probleme beim Einkauf die Folge; das den Flüchtlingen bar ausgezahlte Taschengeld reiche auch nicht, um etwa Anwälte zu bezahlen. Auch der Kreis könne bei einer Rückkehr zur Barauszahlung sparen, argumentiert die Initiative in dem Schreiben, auf das sie nach ihren Angaben bisher keine Antwort erhalten hat. So verursachten vor allem die Bearbeitung der Gutscheinregelung Mehrausgaben für den Kreis. Die Stadt Hildesheim spare durch die Abschaffung der Gutscheine etwa 100 000 DM pro Jahr. Eine Rückkehr zur Barauszahlung liege in der Entscheidungsbefugnis des Kreises, stellt das „Bündnis gegen Rassismus“ fest und appelliert an die Verwaltungsspitze, sich für eine niedersachsenweite Rückkehr zur Barauszahlung einzusetzen. * Elbe-Jeetzel-Zeitung v. 1.4.1998 Pressemitteilung Bündnis 90/Die Grünen im Landtag Niedersachsen Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz 1, 30159 Hannover Tel. 0511-3030-4205, Tel. 0511-3030-3305, Fax 0511-329829 Asylbewerberleistungsgesetz Niedersachsen macht den Weg frei Mit einer perfiden Arbeitsteilung zwischen SPD-Bundestagsfraktion und niedersächsischer Landesregierung soll das Gesicht gewahrt und gleichzeitig der Weg freigemacht werden für die Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Nach dem Fahrplan der SPD soll die Bundestagsfraktion am Donnerstag, 18.06. in 2. und 3. Lesung das Gesetzesvorhaben im Bundestag ablehnen und damit den Protest, der vor allem aus Wohlfahrtsverbänden und Kirchen kommt, auffangen. Den Ausputzer spielt dann Niedersachsens Innenminister Glogowski, der zur Zeit einen Änderungsvorschlag mit einigen wenigen kosmetischen Korrekturen in seinem Ministerium erarbeiten läßt. Bereits einen Tag nach der Abstimmung im Bundestag, am Freitag, den 19.06. stimmen die SPD regierten Länder dem Niedersachsenentwurf im Bundesrat zu und machen damit den Weg frei für eine Verabschiedung noch vor der Bundestagswahl. SilKe Stokar, innenpolitische Sprecherin der bündnisgrünen Landtagsfraktion: “Nicht Politikwechsel, sondern Große Koalition zur Durchsetzung eines Gesetzes, das die Ärmsten der Armen trifft, ist das Signal, das von Niedersachsen ausgeht. Die FDP ist gegen diese Asylrechtsverschärfung, selbst die CDU ist gespalten - Wie beim ‘Großen Lauschangriff’ ist es erneut der niedersächsische Innenminister Glogowski, der der handlungsunfähigen Regierung aus dar Patsche hilft. An der Durchsetzung des ‘Aushungerns von Flüchtlingen’ scheint niemand größeres Interesse zu haben als der niedersächsische Innenminister. Es liegt in der Hand der SPD, dieses Gesetz zum Scheitern zu bringen. Sie darf mit ihrer geplanten Wählertäuschung nicht durchkommen.” 37 RASSISMUS UND SOZIALABBAU Gegendarstellung von Prof. Dr. Arno Klönne Sehr geehrter Herr Hartwig, Prof. Dr. Klönne arbeitet in der Universität/Gesamthochschule Paderborn, Fachbereich 1, Kooperationsstelle Wissenschaft - Arbeit Gesellschaft. Das nebenstehende Schreiben von ihm geben wir wie gewünscht zur Kenntnis. Herrn Prof. Dr. Klönne liegt ebenfalls die Stellungnahme von PRO ASYL vor, die im Anschluß abgedruckt ist und die aus unserer Sicht jede weitere Kommentierung überflüssig macht. Red. Asylcard Stellungnahme von PRO ASYL Bernd Mesovic Planung für eine elektronische Chipkarte im Asylverfahren (Asylcard) Der Sachstand zum Thema hat sich seit der Veröffentlichung in der taz vom 16. Januar 1998 (“Der volldigitalisierte Flüchtling”) und in Die Woche vom 24. April 1998 (“Asyl à la carte”) wenig 38 in Heft 50 Ihrer Zeitschrift („AsylCard“, S. 36) lese ich (leider erst jetzt) einige mich betreffende Bemerkungen, die m.E. den Leserinnen und Lesern ein falsches Bild geben und möglicherweise auf unzureichenden Informationen beruhen. Der Auftrag für eine Machbarkeitsstudie in Sachen Chip-Karte im Asylverfahren ist nicht mir, sondern der Firma ORGA Consult in Paderborn erteilt worden; in diese Studio sind Informationstechnologen, Juristen und Sozialwissenschaftler einbezogen worden, ich bin einer der zuletzt Genannten. Welches „bezeichnende Licht auf die gesellschaftliche Rolle von Intellektuellen“ ergibt sich daraus nun für Sie? Offenbar unterstellen Sie, wer als Wissenschaftler an einer Studie für eine Behörde mitarbeite, liefere dann in jedem Falle Ergebnisse, die den vermuteten Vorstellungen eben dieses Auftraggebers entsprechen. Dies halte ich für eine in der Generalisierung unzutreffende Annahme. Was mich betrifft, so habe ich noch nie einem Auftraggeber bei wissenschaftlicher Arbeit Gefälligkeitsresultate geliefert. Sie können das, wenn Sie sich mit meinen Veröffentlichungen vertraut machen, leicht geändert. PRO ASYL wurde Ende März von der mit dem soziologischen Teil der Machbarkeitsstudie befaßten universitären Stelle um eine Stellungnahme zu folgenden Fragestellungen gebeten: •Würden Sie in der Umstellung vom jetzigen Datensystem auf eine Chipkarte im Asylverfahren Möglichkeiten einer Verbesserung sehen - für die Asylbewerber? Für die Verwaltungen? Im Hinblick auf Einstellungen in der Öffentlichkeit? •Könnte sich mit dieser Umstellung eine “Imageveränderung” der Asylbewerber verbinden? •Welche Einwände/Vorbehalte gegenüber der Chipkarte im Asylverfahren halten Sie für wichtig überprüfen. Allerdings bin ich der Meinung, daß es sinnvoll ist, die Möglichkeiten und die Probleme eines Einsatzes von ChipKarten im Bereich der öffentlichen Verwaltung und so auch des Flüchtlingswesens zu untersuchen. Die derzeitigen Verfahrensweisen der Erfassung und Dokumentation von Daten sind m. E. alles andere als der Weisheit letzter Schluß. Dies heißt wiederum nicht, daß der Einsatz von Chip-Karten nun bereits unter allen Umständen und Bedingungen vernünftiger sei. Selbstverständlich kommen in unserer Studie, die ja noch nicht erstellt ist, auch die grundsätzlichen und die konkreten Einwände und Gegenargumente zum Einsatz von Chip-Karten zu Geltung, darunter auch die von Herrn Dr. Weichert. Ich finde, es wäre besser, Ihre Einschätzung der Studie und auch meines Parts darin dann vorzunehmen, wenn die Ergebnisse der Studie vorliegen. Dankbar wäre ich Ihnen, wenn Sie meine Meinung zu den Vorbemerkungen des Artikels in „Flüchtlingsrat 50“ Ihren Leserinnen und Lesern mitteilen würden. Freundliche Grüße Unterschrift und plausibel? Lassen sich Kriterien nennen, von denen die positive/negative Einschätzung der Chipkarte im Asylverfahren zu machen ist? •Wie sieht es bei solchen Beurteilungen mit dem Verhältnis von “Basisfunktionen” und “optionalen Funktionen” aus? •Ist die Beurteilung einer Chipkarte im Asylverfahren möglicherweise auch davon abhängig, ob diese Datentechnik in weiteren Bereichen der öffentlichen Verwaltungen/Leistungen Eingang findet? •Ist bei einer Umstellung auf die Chipkarte im Asylverfahren die Forderung nach einer Harmonisierung der Asyl- und Flüchtlingspolitik im Rahmen der Europäischen Union mitzubedenken? FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 RASSISMUS UND SOZIALABBAU Durch die Novellierung des Asylbewerberleistungsgesetzes kommt es offensichtlich zu Verzögerungen beim Abschluß der Machbarkeitsstudie. Vor Ende Juni ist mit Neuigkeiten nicht zu rechnen. gez. Bernd Mesovic 6. Mai 1998 —————————————— Einsatz einer Chipkarte im Asylverfahren Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Dr. Biermann, wir bedanken uns für Ihr Schreiben vom 22. März 1998, mit dem Sie das Konzept eines Einsatzes einer Chipkarte im Asylverfahren skizzieren und eine Reihe von Fragen stellen. PRO ASYL ist sowohl die der Studie zugrundeliegende “Leistungsbeschreibung zur Durchführung einer Machbarkeitsstudie zum Einsatz einer Smartcard im Asylverfahren” als auch die bereits seit einiger Zeit angelaufene öffentliche Diskussion (siehe TAZ vom 16. Januar 1998) bekannt. Vor diesem Hintergrund möchten wir vorausschicken, daß wir es bedauern, daß der Beitrag der Sozialwissenschaften zum Thema sich offensichtlich auf das beschränkt, was die Leistungsbeschreibung als einen Teilbereich der “soziosystemischen Anforderungen” aufführt, insbesondere auf die Frage der Akzeptanz bei den Betroffenen, sowie in der nationalen und internationalen Öffentlichkeit. Zu befürchten ist demnach, daß sich Ihre Kooperationspartner im Rahmen der Studie mit dem Kernbereich des Machbaren in technischer und juristischer Hinsicht auseinandersetzen und der Sozialwissenschaft die Rolle zufällt, das so für technisch machbar Befundene daraufhin zu untersuchen, ob es für die Politik mit akzeptablen Reibungsverlusten durchsetzbar ist. Eine sich kritisch verstehende Sozialwissenschaft müßte aus unserer Sicht erhebliche Probleme da- mit haben, daß die Analyse des Ist-Zustandes arbeitsteilig von anderen geleistet wird, wobei die Interessenlage der Fa. Orga-Consult mit der Werbung der Unternehmensgruppe identisch sein dürfte, und die Sozialwissenschaften sich dann gleichsam nachgehend mit soziosystemischen Anforderungen beschäftigen dürfen, als stünden diese im luftleeren Raum und ergäben sich nicht unter anderem aus der Interessenlage des Auftraggebers, dem fortgeschrittenen Stand der Entrechtung von Asylsuchenden in diesem Lande und der Instrumentalisierung einer gesellschaftlich marginalisierten Gruppe für eine permanente Mißbrauchsdebatte mit dem Ziel, Bezieher sozialer Leistungen unter generellen Mißbrauchsverdacht zu stellen und damit Akzeptanz zu schaffen für weitere Einschnitte ins Sozialsystem. Daß der Auftraggeber solches unter den “soziosystemischen Anforderungen” nicht formuliert, sollte kritische Sozialwissenschaftler nicht davon abhalten, sich mit der politischen Verortung der Fragestellung auseinanderzusetzen und damit der Akzeptanzfrage den Stellenwert zu geben, den sie unseres Erachtens hat. Ziel der Studie ist, abweichend von der zumindest teilweise beschönigenden Darstellung unter Ziffer 2 der Leistungsbeschreibung der Einsatz einer multifunktionalen Chipkarte in einem bislang nicht dagewesenen und nicht für denkbar gehaltenen Ausmaß, perspektivisch abgelöst von einzelnen Zweckbindungen, im Klartext: permante Kontrolle. Asylsuchende sind bereits jetzt eine Personengruppe, die vielfachen Kontrollen unterliegt und von der eine Vielzahl von Daten bei unterschiedlichen Stellen gespeichert werden. Es wäre verdienstvoll, wenn sich eine Studie auch dem aktuellen Stand der “Verdatung” von Asylsuchenden widmen würde und die Vielzahl der verstreuten gesetzlichen Ermächtigungen zur Erhebung und Speicherung von Daten zu einem Bild des Ist-Zustandes zusammentragen würde, bevor vor dem Hintergrund behaupteter Defizite der bereits weit fortgeschrittenen “Datensammelei auf Vorrat” durch die Einführung einer multifunktionalen Chipkarte weiter Vorschub geleistet wird. Trotz der Behauptung in der Leistungsbeschreibung, die Studie sei “ergebnisoffen”, wird an den Vorgaben deutlich, daß gar nicht untersucht werden soll, ob die Chipkarte auf juristische und sozialpolitische Hürden stößt, sondern wie solche Hindernisse überwunden werden können. Der Hinweis des Auftraggebers, aufzuzeigen seien auch mögliche verfassungsrechtliche Probleme sowie die entsprechenden Lösungsmöglichkeiten, wird von PRO ASYL als offensive Aufforderung verstanden, das Grundgesetz und die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes zur informationellen Selbstbestimmung nicht als Tabu zu sehen. Deutlich wird dies auch an dem Versuch, das Mitte der 70er Jahre im Bundestag gescheiterte Personenkennzeichen in Form eines bundesweiten behördenübergreifenden personenbezogenen Zuordnungskriteriums über die Zielgruppe Asylantragsteller erneut in die Debatte zu bringen, obwohl bisher personenidentifizierende Kennzeichen verfassungskonform lediglich auf die Nutzung durch eine Stelle oder für einen einzigen Zweck beschränkt sind. Nach Auffassung von PRO ASYL belegt dies, daß sich der Auftraggeber Akzeptanz erwartet für weitere Grundgesetzänderungen, mit denen in den Bereich des Persönlichkeitsrechtes und der informationellen Selbstbestimmung eingegriffen werden könnte. Nach dem “Großen Lauschangriff” steht die elektronische Totalkontrolle bestimmter Personengruppen auf der Tagesordnung. An dieser Stelle ist daran zu erinnern, daß die gesellschaftliche Skandalisierung der mit der Aufnahme von Asylsuchenden objektiv verbundenen Probleme bereits dazu gedient hat, Grundrechte über die zunächst erkennbare Zielsetzung hinaus zu beschneiden und leerlaufen zu lassen. 39 RASSISMUS UND SOZIALABBAU (Angesprochen sei hier die Demontage der Rechtsweggarantie des Artikels 19 Absatz 4 GG durch die “normative Vergewisserung”, ein Drittstaat sei sicher und des Rechtsschutzes im Einzelfall bedürfe es dann nicht mehr (Artikel 16 a Absatz 2 Satz 3 GG), sowie die Festschreibung einer langjährigen Minder- und in der Praxis Unterversorgung durch die Novellierung des Asylbewerberleistungsgesetzes im Jahre 1997 mit der Konstruktion mehrerer Existenzminima und damit mehrerlei Menschenwürde.) Der Landesbeauftragte für den Datenschutz Niedersachsen hat bereits vor mehr als einem Jahr darauf hingewiesen, daß die Leistungsbeschreibung aus weiteren Gründen nicht mit den verfassungsrechtlichen Standards in Deutschland in Einklang gebracht werden kann. So sei weder die de facto vorgesehene Vorratsdatenverarbeitung noch das Erstellen von Persönlichkeitsbildern zulässig. PRO ASYL teilt die Kritik des Niedersächsischen Datenschutzbeauftragten auch in Bezug auf seinen Hinweis, daß der Auftraggeber offensichtlich, anstatt sich mit rechtlichen Fragen zu beschäftigen, nach Maßnahmen zur Imageverbesserung der Anspruchsberechtigten und zur Akzeptanzförderung verlange. Die Beachtung verfassungsrechtlicher Vorgaben dürfe aber nicht durch Public-Relations-Aktivitäten ersetzt werden. Obwohl wir die Fundamentalkritik des Niedersächsischen Datenschutzbeauftragten, die Erstellung der Machbarkeitsstudie sei aus Datenschutzsicht nicht machbar, teilen, möchten wir einige Bemerkungen zu Ihren konkreten Fragestellungen anfügen: •Eine konkrete Verbesserung für die Asylbewerber versprechen wir uns von der Einführung einer Chipkarte im Asylverfahren nicht. Aus der Zielsetzung der Machbarkeitsstudie ergibt sich eindeutig, daß die Verbesserung der Lebenssituation von Asylsuchenden nicht zu den angestrebten Zielen gehört, sondern eine weitergehende Verfügung über Asylsuchende angestrebt wird, die nach 40 Maßgabe der Verwaltungsfreundlichkeit der Abläufe geschehen soll. Einziges explizit genanntes Ziel, in dem eine Verbesserung des Ist-Zustandes zugunsten von Asylsuchenden angesprochen ist, ist die in Ziffer 2.4. genannte Imageverbesserung der Anspruchsberechtigten. Man könnte nun natürlich argumentieren, eine Harmonisierung und Rationalisierung der Arbeitsabläufe im Asylverfahren, die angestrebte schnellere Abwicklung der Verfahren, die Identifizierung der Karteninhabers mit der Chipkarte und die Verhinderung von Leistungsmißbrauch kämen insgesamt den Betroffenen zugute. Es entspricht aus unserer Sicht den Legitimationsmustern von Bürokratien, den angeblichen Nutzen für das gesellschaftliche Ganze, verstanden als Effizienzsteigerung der bürokratischen Abläufe, gegen mögliche Nachteile auf der Seite der betroffenen Einzelnen ins Feld zu führen, bzw. diese auszublenden. Effizienz ist kein Grundwert der Verfassung, obwohl die schleppende Abwicklung eines Asylverfahrens im konkreten Fall einer Rechtsverweigerung gleichkommen kann. Es muß im übrigen bezweifelt werden, daß die Chipkarte wesentliche Beschleunigungseffekte hat. •Eine bewußte “Imageveränderung” zugunsten von Asylsuchenden fordert bewußtes politisches Handeln von Seiten der politisch Verantwortlichen. Dieses müßte aus unserer Sicht darin bestehen, für das Asylrecht in seiner menschenrechtlichen Gebundenheit in der Öffentlichkeit einzutreten, den Bürgerinnen und Bürgern Verständnis dafür zu vermitteln, daß die mit der Aufnahme von Asylsuchenden und anderen Flüchtlingen verbundenen Kosten der Realisierung eines Grundrechtes dienen, das vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte besondere Bedeutung hat. Dazu wäre es insbesondere notwendig, den Lebensalltag von Asylsuchenden so “normal” wie möglich zu gestalten und diese Personengruppe weder zum reinen Objekt von Verwaltungshandeln zu machen noch sie öffentlich zu stigmatisieren. Leider ist seit Jahren von Seiten der Politik der gegen- läufige Prozeß im Gange. Flüchtlinge werden in der Regel in Sammellagern untergebracht, unterliegen einer Residenzpflicht, sind bei der Einreise nach dem Stichtag 15. Mai 1997 fast ausnahmslos vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen, werden systematisch durch nicht mehr existenzsichernde Leistungen im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes unterversorgt, von der “Normalität” der persönlichen Dispositionsfreiheit bei der Versorgung durch das Sachleistungsprinzip ausgeschlossen und sind Gegenstand permanent geführter Mißbrauchsdebatten. Wie vor diesem Hintergrund eine Imageveränderung zugunsten von Asylbewerbern durch die Einführung einer Chipkarte bewirkt werden soll, ist für uns nicht erkennbar. •Als bloßer Identitätsnachweis mit Ausweisfunktion hätte die Chipkarte der jetzigen Aufenthaltsgestattung nichts voraus. Aus der Funktionsbeschreibung der Smartcard geht jedoch bereits hervor, daß diese ursprüngliche Basisfunktion, Identitätsnachweis und Sicherung der Eindeutigkeit der Grunddaten, bereits im Rahmen der unter Ziffer 5.1. genannten Pflichtfunktionen nur eine unter einer Vielzahl von Funktionen ist. Die Beschreibung der Funktionen ist in Verbindung mit den offensichtlich zur Speicherung vorgesehenen maschinenlesbaren Daten ein Horrorkatalog der Datensammelwut. Von Datenschutzexpertinnen und -experten ist bereits darauf hingewiesen worden, daß die Erforderlichkeit von über die bloße Ausweisfunktion hinausgehenden Funktionen und entsprechenden Speicherungen nicht nachgewiesen ist. Daß unter den genannten Pflichtfunktionen mit dem “Anwesenheitsnachweis” sich bereits ein durch das aktuelle Ausländerrecht nicht gedeckter Zweck findet und auf der Chipkarte im Rahmen des Abrechnungsverfahrens für Leistungen Dritter auch Daten gespeichert werden sollen, die nicht nur das Verhältnis zwischen dem Karteninhaber und den jeweils zuständigen Behörden, sondern auch Dritte betreffen, läßt erken- FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 RASSISMUS UND SOZIALABBAU nen, daß die Chipkarte diesbezüglich Pilotfunktion für weitere Bereiche der öffentlichen Verwaltung haben soll. Auch diese Tendenz ist natürlich vor dem Hintergrund zu betrachten, daß eine potentiell schrankenlose multifunktionale Datenverarbeitung und die Vorratsdatenverarbeitung das informationelle Selbstbestimmungsrecht unterläuft. Dies gilt aus unserer Sicht bereits für die beabsichtigten Pflichtfunktionen, da z.B. nicht zu akzeptieren ist, daß Daten zur Leistungsberechtigung zwingend mit Daten zum Abrechnungsverfahren für Leistungen Dritter oder zur Feststellung der Identität auf einer Chipkarte zusammengeführt werden. Es ist darauf hinzuweisen, daß sich die Daten, die zum Nachweis der Berechtigung für den Empfang von Leistungen gespeichert werden sollen, auch wohl kaum in der Form von Ja-Nein-Alternativen darstellen lassen. •PRO ASYL hat keine besonderen Kenntnisse im europäischen Datenschutzrecht. Wir nehmen an, daß die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder sich zu diesem Themenbereich äußern werden. Da aber viele der in der Funktionsbeschreibung der Chipkarte genannten Funktionen durch die völlig unterschiedliche Gestaltung der Asylverfahrensabläufe und der Gewährung sozialer Leistungen in den einzelnen Staaten zwischen den europäischen Staaten kaum vergleichbar sind, ergibt sich kein besonderer Sachzwang aus der Perspektive einer künftigen europäischen Zusammenarbeit. Eine sehr weitgehende und - aus unserer Sicht problematische - Datenspeicherung für ausländer- und asylrechtliche Zwecke erfolgt zum Beispiel über das Schengen-Informationssystem (SIS). Wenn sich die europäische Harmonisierung im Bereich des Asyls bislang vorrangig auf Zuständigkeitsregelungen für die Durchführung des Asylverfahrens konzentriert, während Flüchtlingsbegriff und Verfahrensgestaltung in den verschiedenen europäischen Staaten höchst unterschiedlich sind, ist nicht erkennbar, welchen Nutzen eine potentielle “Europäisierung” des für die Chipkarte beabsichtig- ten Datenbestandes haben soll, wenn man nicht an die Orwellsche Perspektive einer europaweiten Totalkontrolle von Flüchtlingen mit einer permanenten Meldepflicht und Leistungszuteilung nach elektronisch-biometrischer Identifizierung denken will. Auch aus den Regelungen des Vertrages von Amsterdam, die sich auf das Asylrecht beziehen, läßt sich kein Sachzwang in Richtung auf eine europaweite multifunktionale Chipkarte ersehen. Mit dem Vertrag von Amsterdam werden der EU eine Reihe von asylrelevanten Aufgaben zugewiesen, die in den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft unter Titel IV, Artikel 61 - 69 aufgenommen werden. Sowohl der für die meisten Neuregelungen ins Auge gefaßte Zeitrahmen (in der Regel 5 Jahre nach Inkrafttreten des Vertrages) als auch der Katalog der zu erledigenden Aufgaben legen es nicht nahe, daß beim Thema der Einführung einer Chipkarte die Harmonisierung in der Asyl- und Flüchtlingspolitik im Rahmen der Europäischen Union als wesentlicher Faktor mitzubedenken wäre. der multifunktionellen Chipkarte zwingen nun zu einer Neubewertung, was der Auftraggeber der Studie offensichtlich auch sieht, wenn er auf “verfassungsrechtliche Probleme und Lösungsmöglichkeiten” unter Ziffer 8.1. hinweist. Daß jedoch an anderer Stelle der Leistungsbeschreibung technikpositivistisch davon die Rede ist, den Planungen sei “der Zwang zur Weiterentwicklung systemimmanent”, läßt befürchten, daß hier die Erwartung zum Ausdruck kommt, Verfassungsrecht habe sich dem technischen Sachzwang anzupassen. PRO ASYL steht der weiteren Planung zur Einführung einer multifunktionalen Chipkarte für Asylantragsteller aus den genannten Gründen ablehnend gegenüber. Sie können unsere Äußerungen gerne zitieren. Mit freundlichen Grüßen Bernd Mesovic Referent Hinsichtlich der Bewertung des in den Niederlanden praktizierten Modells des Chipkarteneinsatzes schließen wir uns den kritischen Bemerkungen des Niedersächsischen Datenschutzbeauftragten in seiner Stellungnahme vom 7. März 1997 an. Wir halten das über die Chipkarte ermöglichte informationelle Zusammenwirken von Datenspeicherungen, Meldepflichten, Leistungsgewährung und Asylverfahren für mit dem Menschenbild des Grundgesetzes unvereinbar. Darüber hinaus weisen wir darauf hin, daß dieses Menschenbild historisch geprägt war von der Überzeugung, niemals wieder dürften Menschen in Deutschland unter Mißachtung ihrer personalen Würde zu bloßen Objekten staatlichen Handelns werden. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Vorstellung in seiner Rechtssprechung konkretisiert, die Gefahren für das Persönlichkeitsrecht jedoch nach dem Stand der Technik von Beginn der 80er Jahre vor allem bei zentralen staatlichen Speicherungen gesehen. Die Potentiale 41 RASSISMUS Bekämpfung von “Scheinehen” Bettina Stang Bisher weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit soll ab Juli mit einem neuen Bundesgesetz die Heirat mit Nicht-EU-Ausländern erschwert werden. Es erweitert die Kompetenzen der Standesbeamten und beinhaltet die Möglichkeit, daß Behörden auch im nachhinein die Auflösung von Ehen vor Gericht beantragen können. Grundlage für das neue Gesetz ist die am 4.12.1997 vom Rat der EU verabschiedete “Entschließung über Maßnahmen zur Bekämpfung von Schein-Ehen”. Als eine Scheinehe wird definiert “die Ehe eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats oder eines sich in einem Mitgliedstaat legal aufhaltenden Angehörigen eines Drittstaats mit einem Angehörigen eines Drittstaats, mit der allein der Zweck verfolgt wird, die Rechtsvorschriften über die Einreise und den Aufenthalt von Angehörigen dritter Staaten zu umgehen und dem Drittstaatsangehörigen eine Aufenthaltsgenehmigung oder -erlaubnis zu verschaffen”. Die nationalen Regierungen werden dazu angehalten, bis zum Jahr 1999 ihre Rechtsvorschriften der Entschließung angeglichen zu haben. Die Entschließung sieht vor, daß eine Aufenthaltserlaubnis erst ausgestellt wird, wenn kein Verdacht auf eine Scheinehe besteht. Besteht ein Verdacht, sind die Behörden dazu aufgerufen, Prüfungen durchzuführen. “Diese Überprüfung”, heißt es unter dem dritten Punkt der Entschließung, “kann ein getrenntes Gespräch mit jedem der beiden Ehegatten umfassen.” Verdachtsmomente sind laut Punkt 1 beispielsweise “die fehlende Aufrechterhaltung der Lebensgemeinschaft”, “das Fehlen eines angemessenen Beitrags zu den Verpflichtungen aus der Ehe”, oder wenn die Ehegatten “nicht 42 eine für beide verständliche Sprache” sprechen. Entsprechende Informationen können durch “Erklärungen Dritter”, “aus Schriftstücken”, aus Ermittlungserkenntnissen oder aus den Aussagen der Betroffenen gewonnen werden. Kommen “die zuständigen Behörden” daraufhin zu dem Schluß, daß es sich um eine “Scheinehe” handelt, wird die zum Zwecke der Eheschließung ausgestellte Aufenthaltsgenehmigung oder -erlaubnis des Drittstaatenangehörigen grundsätzlich entzogen, widerrufen oder nicht verlängert”. Mit dem am 4. Mai diesen Jahres verabschiedeten “Gesetz zur Neuordnung des Eheschließungsrechts” ist die Bundesregierung ihrer Pflicht frühzeitig gefolgt. Am1.Juli tritt das Gesetz in Kraft. Es erleichtert in einigen Punkten die Eheschließung zwischen Staatsbürgern der EU, erschwert aber die Eheschließung eines EUBürgers mit einem sogenannten Drittstaatenangehörigen. Vor allem verpflichtet es den Standesbeamten, seine Mitwirkung zu verweigern, “wenn offenkundig ist, daß die Ehe nach § 1314 Abs.2 aufhebbar wäre” (§1310 Abs.1 BGB). Aufhebbar wird eine Ehe ab dem 1. Juli auch dann, wenn “beide Ehegatten sich bei der Eheschließung darüber einig waren, daß sie keine Verpflichtung gemäß § 1353 Abs. 1 begründen wollen”. In diesem § 1353 heißt es nun: “Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet; sie tragen füreinander Verantwortung”. Eine beabsichtigte Ehe kann also solange vom Standesbeamten nicht vollzogen werden, bis dieser sich überzeugt hat, daß beide Partner tatsächlich eine “Lebensgemeinschaft” eingehen wollen. Cornelia Spohn von der Initiative binationaler Familien und Partnerschaften iaf in Frankfurt nennt das die “Einforderung eines Liebesbeweises durch die Standesbeamten”. Darüber hinaus ermächtigt das neue Gesetz in §1316 nicht nur jeden Ehegatten sondern auch “die zuständige Verwaltungsbehörde” einen Antrag auf Aufhebung der Ehe zu stellen - auch dann, wenn sie schon geschlossen ist, und auch dann, wenn sie schon über ein Jahr lang besteht und der Antrag auf der Übereinkunft beruht, keine eheliche Lebensgemeinschaft zu begründen (§1317). Die Aufhebung muß ein Gericht aussprechen (§1313). Eine Ehe kann nicht aufgehoben werden, wenn nach der Eheschließung tatsächlich eine Lebensgemeinschaft besteht oder bestanden hat (§ 1315). Nach § 1316 soll die Verwaltung im Falle der fehlenden Übereinkunft sogar einen entsprechenden Antrag stellen - hier ist allerdings die “großzügige” Härteklausel eingefügt, daß sie im Falle der Unzumutbarkeit “für einen Ehepartner oder die aus der Ehe hervorgegangenen Kinder” von einem solchen Antrag Abstand nehmen kann. Die neuen Pflichten des Standesbeamten erläutern einige neu gefaßte Paragraphen des Personenstandsgesetzes: Er hat nun ausdrücklich “zu prüfen, ob der Eheschließung ein Ehehindernis entgegensteht” (§5 Abs.2 PstG). Meint er “konkrete Anhaltspunkte” für das Vorliegen einer Scheinehe ausmachen zu können, kann er “die Verlobten in dem hierzu erforderlichen Umfang einzeln oder gemeinsam befragen und ihnen die Beibringung geeigneter Nachweise aufgeben”. Welcher Art diese Nachweise sein könnten, mag der geneigte Leser sich in seinen Phantasien ausmalen, hier soll es genügen, die Stellungnahme der Initiative binationaler Familien und Partnerschaften zu zitieren:”Die Unerwünschtheit binationaler Ehen wird ins Vorfeld verlagert - da es, bei allen Kontrollen und Sanktionen, schwierig bleibt, dem ausländischen Ehepartner den Aufenthalt auf Dauer zu verweigern, soll es gar nicht erst zu einer Eheschließung kommen.” Die iaf verweist im weiteren auf die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses: “Den Standesbeamten soll die Möglichkeit eröffnet werden, ‘gerichtlich verwertbares Material für eine Mitwirkungsverweigerung zu erlangen’. Dazu können sie von öffentlichen Stellen Auskünfte einholen oder Akten einfordern”. Zur neuen Möglichkeit der Aufhebung von Ehen, schreibt die iaf: “Es gibt wohl kaum objektive Kriterien um festzustellen, inwie- FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 RASSISMUS weit die Verlobten vor der Eheschließung darin übereinstimmen, keine eheliche Lebensgemeinschaft begründen zu wollen. Ein solcher ‘Verdacht’ begründet sich in kulturell determinierten Haltungen, Vorurteilen, sexistischen wie rassistischen Stereotypen (Frau älter als der Mann, abgelehnte AsylbewerberIn, keine gemeinsame Sprache, kurze Kennenlernzeit, finanziell schwache Verhältnisse etc.).” Und auch auf einen weiteren Punkt macht die iaf aufmerksam: “Daß der Ehepartner/die Ehepartnerin eine Aufhebung beantragen kann, zementiert die Machtverhältnisse in der Ehe und kann als Druckmittel benutzt werden.” Fragenkatalog für Standesbeamte Es ist kaum zu glauben: es gibt bereits Kommunen wie z.B. den Landkreis Lüchow-Danneberg, die einen Fragenkatalog wie den folgenden benutzen. Diese Verwaltungen lassen ihre MitarbeiterInnen auf speziellen Seminaren in Berlin besonders für diese Schnüffeltätigkeit schulen. (Kommunales Bildungswerk e.V., Direktor Prof.Dr.Gurtz, Eitelstr. 86, 10317 Berlin) Eine Veranlassung des Innenministeriums gibt es dazu (noch?) nicht, eine Grenze der Scham in diesen besonders eifrigen Verwaltungen offensichtlich auch nicht. Ob diesen Beamten wohl bewußt ist, daß ihre Vorgänger einmal einen Arier-Paragrafen anzuwenden hatten? Red. Wann haben Sie sich entschlossen, zu heiraten? Wer kam zuerst auf die Idee? Wo wohnt Ihr/e zukünftige/r EhepartnerIn? Nennen sie die genaue Anschrift und falls vorhanden die Telefonnummer! Trinken Sie bzw. lhr/e Partnerin Kaffee oder Tee und wenn ja wie? Schwarz,mit Milch und Zucker? Wo und wann hat Ihre Verlobung stattgefunden? Wo,wann und wie haben Sie sich kennengelernt? Wie häufig sehen Sie sich? In welchem Rahmen fand Ihre Verlobung statt ? Gab es eine Feier? Welchen Familiennamen wollen Sie und Ihr/e Partnerin nach der Vermählung annehmen ? Welche Hobbies hat lhr/e Partnerin? Beschreiben Sie das Aussehen Ihres/r Partners/in! Haben Sie bereits Pläne über die Gestaltung Ihrer Hochzeit bzw. Hochzeitsfeier? Wo wird diese stattfinden? Was ist das Lieblingsessen Ihres/r Partners/in? Wo wird Ihre Hochzeitsreise hingehen? Nennen Sie die Namen und das Alter Ihrer zukünftigen Schwiegereltern! Welche Augenfarbe hat Ihr/e Partnerln? Wie sehen Ihre gemeinsamen Zukunftspläne aus? Wo wollen Sie wohnen und wie werden Sie sich finanzieren? Nennen Sie den Wohnort ihrer zukünftigen Schwiegereltern! Wie oft hatten sie bisher Kontakt mit der Familie lhres/r Partners/in! Welchen Beruf führt Ihr/e PartnerIn aus und welchen Schulabschluß besitzt er/sie? Leben Sie in einer gemeinsamen Wohnung oder haben Sie schon zusammen gewohnt? War Ihr/e EhepartnerIn schon einmal verheiratet? Warum wollen Sie jetzt heiraten? Gibt es gemeinsame Aktivitäten, denen Sie beide nachgehen? Nennen Sie den vollständigen Namen und das Geburtsdatum Ihres/r Partners/in! Wo und wie haben Sie lhre/n PartnerIn kennengelernt? Welche Augenfarbe hat lhr/e Partnerin? 43 FRAUEN Rassismus und Sexismus 80 Plätze hat der einzige Abschiebeknast der Bundesrepublik, der allein für Frauen bestimmt ist Bettina Stang 80 Plätze hat der einzige Abschiebeknast der Bundesrepublik, der allein für Frauen bestimmt ist. 1993 wurde er von der (rot-grünen) Regierung Nord-Rhein-Westfalens aus einem gewöhnlichen Gefängnisbau in der Innenstadt von Neuss umfunktioniert. Die Bielefelder Initiative gegen Ausgrenzung und eine Bochumer Roma-Unterstützerinnengruppe / mehrere migrationspolitische und antirassistische Gruppen rufen für den Herbst zur Demonstration vor dem Frauenabschiebeknast auf. Sie soll dieses Jahr anstelle der Demonstration vor dem Bürener Abschiebegefängnis stattfinden. Die Verlegung der Demonstration nach Neuss haben die beiden Gruppen Initiative gegen Ausgrenzung IGA aus Bielefeld und die RomaunterstützerInnengruppe aus Bochum angeregt. Sie wollen damit auf die besondere Situation von Migrantinnen aufmerksam machen und die eigene “Szene” für sexistische und rassistische Vorstellungen sensibler machen. Wie sie in ihrem Reader um Thema Frauenabschiebeknast* erklären, haben die “gemischten antirassistischen Gruppen (...) die spezifische Situation von Flüchtlingsfrauen und Migrantinnen bisher kaum beachtet”. Man(n) beschäftige sich vornehmlich mit dem staatlichen Rassismus und blende die eigenen Vorurteile aus, darüber hinaus habe “eine Auseinandersetzung mit Sexismus in seiner Verknüpfung mit Rassismus kaum stattgefunden”. 44 In den eigenen linken Reihen habe mensch sich daran gewöhnt, von der zuverlässigen polnischen Putzfrau zu sprechen und in “alternativen” Betrieben Ausländer als billige Arbeitskräfte einzustellen. Die beiden Gruppen suchen daher noch nach weiteren Initiativen, die die Demo, die ausdrücklich auch den Zusammenhang von Rassismus und Sexismus thematisieren soll, mit vorbereiten wollen. Frauen, die in der Bundesrepublik in Abschiebehaft kommen, haben meist ganz andere Schicksale hinter sich, als die Männer (und ihre Familien), für die sich Flüchtlingsinitiativen gewöhnlich einsetzen. Denn noch viel weniger als Männer schaffen es Frauen, sich Elend und Verfolgung durch die Flucht nach Europa zu entziehen. Sie verfügen nicht über die entsprechenden Finanzquellen und sind auch wegen der Kinder ihrer Familie weniger mobil. Die meisten Flüchtlingsfrauen bleiben Binnenflüchtlinge oder schaffen es vielleicht gerademal ins Nachbarland. Frauen, die es bis Westeuropa schaffen, haben noch weniger Chancen als Männer, ein Asylverfahren positiv zu beenden. Der Kampf darum, daß frauenspezifische Fluchtgründe in den Verfahren ebenfalls ein Gewicht bekommen, beginnt gerade erst. In die Illegalität getrieben, landen Frauen meist als billige Putzkräfte in den Haushalten oder im Rotlichtmilieu. Die in Neuss einsitzenden Frauen kommen in ihrer großen Mehrzahl aus Osteuropa. Viele sind als Zwangsprostituierte nach Deutschland gekommen, und wurden als Illegale entdeckt oder von ihren Zuhältern verraten. Andere wurden von ihren deutschen Ehemännern “aufgegeben”. SozialarbeiterInnen und Pfarrer gehören zum Personal des Frauenabschiebeknastes, ein Solidaritätskreis hilft den Frauen, um Rechtsberatung anzunehmen, deren Pässe wiederzubesorgen, vermitteln weitere Beratung und Hilfsfonds und versuchen, gemeinsam mit den Frauen deren Rückkehr in ihr Herkunftsland vorzubereiten. Aus dem vorläufigen Demo-Aufruf: Die wenigsten der weltweit fliehenden Frauen schaffen es, in die Festung Europa und in die BRD zu gelangen. Da ihre Fluchtgründe ignoriert und entpolitisiert werden, werden sie in der Regel nicht als Asylberechtigte anerkannt. Somit haben sie kaum Chancen auf ein eigenständiges Aufenthaltsrecht. Entscheiden sich Frauen, durch Eheschließungen einen legalen Status zu erlangen, werden sie - vor allem durch § 19 Ausländergesetz - in die Abhängigkeit vom Ehemann gedrängt: Trennung oder Scheidung, z.B. von gewalttätigen Ehemännern, bedeutet Abschiebung. Gleiches droht, wenn ihr Ehepartner seinen Aufenthaltstitel verliert. Die Abschiebung heißt für die meisten Frauen Rückkehr in Armut und/oder Verfolgung, oft aber noch zusätzlich gesellschaftliche Ächtung in den Herkunftsländern, weil sie pauschal verdächtigt werden, gegen geltende Werte und Normen verstoßen zu haben. Deshalb fordern wir: - Eigenständiges Aufenthaltsrecht für Flüchtlingsfrauen und MigrantInnen - Anerkennung sexistischer Verfolgung und sexualisierter Gewalt als Asylgrund! Kontakt: IGA c/o IBZ, Teutoburger Str.106, 33607 Bielefeld Quellen/Literaturhinweise: Reader “no borders” zum Abschiebeknast Neuss, Situation von Migrantinnen und zur Debatte Sexismus-Rassismusfür 5 Mark plus 1,50 DM Porto zu bestellen bei Infoladen Anschlag, Heeperstraße 132, 33607 Bielefeld Artikel “Die Abschiebhaft muß weg!” von Anita Rüffer in “Social Courage” vom Januar 1998 DIE EUROPÄISCHE BEOBACHTUNGSSTELLE FÜR RASSISMUS UND AUSLÄNDERFEINDLICHKEIT sammelt Eure Informationen und Berichte. Das Zentrum wurde im Juni 1997 auf Grundlage einer entsprechenden Ratsverordnung der EU geschaffen. Sie hat noch keinen Amtssitz aber einen Verwaltungsrat, dessen Mitglieder FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 FRAUEN offenbar vom Rat bestimmt wurden und der bisher einmal zusammengetreten ist. Aufgabe der Beobachtungsstelle ist die Informationssammlung und -verarbeitung zu “ausländerfeindlichen, rassistischen und anti-semitischen Phänomenen” in den Mitgliedsstaaten der EU. Der entstehende Dokumentationspool soll öffentlich zugänglich sein. Das Zentrum soll selbst aktiv werden, um wissenschaftliche Forschung auf seinem Gebiet zu betreiben und jährliche Berichte auszuarbeiten. Außerdem soll ein Datennetz (“Raxen - European Racism and Xenophobia Network) zwischen den Daten”zulieferern” und dem Zentrum aufgebaut und Kongresse und Seminare organisiert werden. Kontakt: Luca Pirozzi, Rue de la Loi 200, 1049 Brüssel, BelgienTelefon: 0032-2-2951703; Fax: 0032-22951899. I m Frühsommer letzten Jahres wurde in der Türkei ein Projekt zur Unterstützung von Frauen, die von staatlichen Sicherheitskräften vergewaltigt oder auf andere Weise sexuell mißhandelt wurden,gegründet (siehe ak 404 - Juli 1997). Den Betroffenen wird unentgeltliche rechtliche Hilfe gewährt, unter Ausschöpfung aller innerstaatlichen sowie innereuropäischen Rechtsmittel. Außerdem arbeitet das Projekt mit medizinisch-psychologischen Einrichtungen zusammen. Inzwischen liegt ein erster Bericht über Erfahrungen, aufgetretene Schwierigkeiten und Lösungsstrategien vor. In der Presse, bis hin zu islamischen Kreisen, fand das Projekt großen Anklang. Immer wieder wird das Tabuthema sexuelle Folter seitdem auch in der Öffentlichkeit thematisiert. Das Projekt vertritt 48 Frauen, hat jedoch Kenntnis von weitaus mehr Fällen. Dort, wo die Betroffene der Anzeigeerhebung zugestimmt hat, erstatten die Anwältinnen diese sowohl aufgrund des im türkischen Strafgesetzbuch verankerten Tatbestands der Folter, als auch in Anlehnung an das Sexualstrafrecht. Hier besteht allerdings das Problem, daß Vergewaltigung vom Gesetz als “Eindringen des Penis in die Scheide” definiert wird und somit Fälle der Vergewaltigung mit Gegenständen und anale Vergewaltigung nicht erfaßt werden. Diese fallen unter den Artikel “Belästigung” und stehen so auf einer Stufe mit “verbaler Belästigung”. Außerdem ist die Verfolgung dieser Tat an eine sechsmonatige Strafantragspflicht gebunden, die in der Realität selten eingehalten werden kann. Deswegen stellte das Projekt Forderungen zur entsprechenden Änderung der Gesetzestexte auf, die bei der geplanten Reform des Strafgesetzbuches berücksichtigt werden sollten. Diese Forderungen wurden dem Justizministerium und der Presse vorgelegt. Vergewaltigung in Polizeihaft Hilfsprojekt in der Türkei legt Zwischenbericht vor M.Merlin* Psychische Folgen sexueller Folter Weg zu einer Beweisführung ist. Für Frauen, die nicht in Haft sind, ist es möglich, Atteste über ihren Zustand - z.B. durch das FolterRehabilitationszentrum - zu erhalten und sie der Anzeige beizufügen. Die Gerichte erkennen zwar nur gerichtsmedizinische Gutachten als Beweismittel an, haben aber schon in drei Fällen aufgrund solcher Atteste eine neue gerichtsmedizinische Untersuchung beschlossen. Für Frauen in den Gefängnissen gibt es diese Möglichkeit nicht. Bis jetzt ist in keinem Antrag auf Behandlung und Erstellung eines Attestes für diese Frauen stattgegeben worden. Das Projekt hat sich sich vorgenommen, jede Verweigerung einer Behandlung zu einem gesonderten Verfahrensgegenstand zu machen, da dies einen Verstoß gegen die Europäische Konvention der Menschenrechte darstellt. Da die Behandlung und psychische Begutachtung von sexuell Gefolterten nicht als eigenständiges Arbeitsgebiet entwickelt ist, sind Spezialistinnen der Medizin und Psychologie auf diesem Gebiet selten. Für diesen Monat ist daher ein länder- und disziplinübergreifendes Seminar mit Rechtsanwältinnen und Spezialistinnen der Medizin auf diesem Gebiet geplant. Ziel ist es, das Interesse für diesen Bereich anzuspornen, wissenschaftliche Methoden auf diesem Gebiet zu entwickeln, einen Austausch von Erfahrungen zu ermöglichen und die gegenseitige Unterstützung zu fördern. Das Projekt zur Un- In Anzeigen wird immer auch ein Antrag auf die Untersuchung der psychischen Folgen der Tat durch spezialisierte Medizinerinnen gestellt, da dies meist der einzige * [email protected] Aus: ak 414, 7.5.98, S.19 45 FRAUEN terstützung der sexuell mißhandelten Frauen arbeitet insbesondere mitFolter-Rehabilitationszentren, dem Sozialpsychologischen Traumazentrumder medizinischen Fakultät Capa und den Ärztekammern in Istanbul und Diyarbakir zusammen. Gespräche mit Gerichtsmedizinern erwiesen sich als fruchtlos. Die Ergebnisse des Seminars sollen auf einer gemeinsamen Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Unterstützung kurdischer Frauen Das Projekt hat mit mehreren Anwältinnen in der Türkei Kontakt aufgenommen, um das Vorgehen in Verfahren um sexuelle Folter zu vereinheitlichen und um Informationen auszutauschen. In den kurdischen Gebieten sind die dort tätigen Rechtsanwältinnen einer besonderen Repression ausgesetzt, so daß sie es zum Großteil vorziehen, bekanntgewordene Vorfälle an das Projekt weiterzuleiten. Eine Anwältin des Projekts hat die Verfahren in mehren Fällen übernommen, wo kurdische Frauen durch vom Staat bewaffnete und bezahlte Dorfschützer und Gendarmeriekräfte vergewaltigt worden sind. In einem Fall wurde das Opfer nach der Vergewaltigung ermordet. In verschiedenen Gerichtsverfahren konnten durchaus Teilerfolge erzielt werden. So ist ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mit einer Verurteilung der Türkei beendet worden, was zu einer Verfahrensaufnahme in der Türkei gegen den Hauptmann der Gendarmerie führte. Das bedeutendste Ergebnis des Projekts liegt jedoch in der Enttabuisierung des Themas. Vergewaltigungen durch Sicherheitskräfte und sexuelle Folter werden vermehrt sowohl in der Presse und der Öffentlichkeit, als auch insbesondere unter den Betroffenen, z.B. in den Gefängnissen und den kurdischen Gebieten, thematisiert und diskutiert. Aus den Folgeproblemen ist jedoch ersichtlich, daß insbesondere auf folgenden Gebieten dringend Solidaritätsarbeit erforderlich ist: Unterstützung jeglicher Art für die kurdischen Frauen in den Kriegsgebieten, die sich entschließen zu reden; das kann u.U. 46 auch heißen, Zuflucht im Westen zu gewähren, auch wenn das nur der letzte Ausweg sein kann. Bewußtseinsarbeit in den Familien; Thematisierung der sexuellen Angriffe und deren Ziele als Methode staatlicher Repression; Thematisierung der Notwendigkeit von Unterstützung durch männliche Familienmitglieder, damit die betroffenen Frauen den Mut finden zureden und ihre Scham und Schuldgefühle überwinden können. Jegliche Art von Zufluchtsarbeit (Unterbringung, Schutz, Arbeit etc.). Spendenkonto: Berliner Sparkasse Kto. 1040 149 452 BLZ 100 500 00 Verwendungszweck: Projekt gegen Folter Kontoinhaberin: Jutta Sons FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 FRAUEN Tagung zu Diskriminierung, Kriminalisierung, Illegalisierung 8./9.11. 97 Titel: Wie man Menschen von Menschen unterscheidet. Praktiken der Diskrimination, Kriminalisierung, Illegalisierung Der Transformationsprozeß in den mittel- und osteuropäischen Ländern hat bekanntlich zur Verschärfung ökonomischer und gesellschaftlicher Ungleichheit geführt, was für viele Menschen und insbesondere für Frauen mit niedrigen Löhnen, Arbeitslosigkeit, Abbau sozialer Sicherheit und der Absenkung des bisherigen Lebensstandards verbunden ist. Die Folge ist eine neue Migrationbewegung, mit einem hohen Anteil an Frauen, die in der Hoffnung auf bessere Verdienstmöglichkeiten für sich und oft für ihre Kinder den Weg nach Westeuropa riskieren. Die Abschottungspolitik und restriktive Gesetzgebung lassen jedoch kaum längere Aufenthalte auf legalem Wege zu. Vorherrschendes Muster dieser neuen Migrationsform ist die Pendelmigration, d.h. ein zeitlich befristeter Aufenthalt mit der Perspektive einer kurzfristigen Erwerbstätigkeit. PendelmigrantInnen beabsichtigen i.d.R. keinen Daueraufenthalt in Berlin oder Brandenburg oder können ihn auch nicht begründen. Diese Gruppe von MigrantInnen ist äußerst heterogen, das Spektrum der individuellen Problematiken breit gefächert. Eine Gemeinsamkeit besteht aber darin, daß die sozialen Dienste weder sprachlich noch thematisch auf ihre Bedürfnisse eingestellt sind. Aus diesem Grund wurde vom Polnischen Sozialrat das Projekt :ZAPO:(Zentrale Anlaufstelle für Pendler und Pendlerinnen aus Osteuropa) eingerichtet, um Hilfestellung und Beratung in Notlagen zu bieten. Darüberhinaus sollen die Öffentlichkeit und die MitarbeiterInnen sozialer Dienste in Berlin/Brandenburg sowie in den Herkunftsländern für die Probleme dieser Personengruppen sensibilisiert werden. Das Projekt ist gedacht als eine Art “Scharnier” bei der Zusammenarbeit der entspre- chenden Dienste hier und in den Herkunftsländern und bei der Suche nach geeigneten Lösungsansätzen. Das “Projekt ZAPO” existiert seit Juni 1997 auf ABM-Basis und ist aus der überwiegend ehrenamtlichen Arbeit des Polnischen Sozialrats entstanden. Der Polnische Sozialrat ist ein Selbsthilfeverein und wurde vor 15 Jahren von Polen und Polinnen gegründet, die zu Solidarnosc-Zeiten vor dem Kriegsrecht in Polen nach Berlin flüchteten. In den 80er Jahren mußten die polnischen Flüchtlinge als erste Gruppe erfahren, was es bedeutet, mit dem Status einer Duldung in der BRD zu leben, finanzielle Unterstützung verweigert zu bekommen und dadurch möglicherweise in die Illegalisierung abgedrängt werden. Neben den kulturellen Aktivitäten gehört seitdem die Unterstützung in sozialen Fragen, die Weitergabe von arbeits- und aufenthaltsrechtlichen Informationen zum Tätigkeitsbereich des Polnischen Sozialrats. Heute ist der Sozialrat zu einer wichtigen Anlaufstelle für alle möglichen Fragen geworden, die in irgendeiner Weise mit Polen zusammenhängen. Nach offiziellen Angaben leben in Berlin 30.000 polnische Staatsangehörige, es kann aber davon ausgegangen werden, daß es in Wirklichkeit mindestens doppelt so viele sind. In den 70er und 80er Jahren sind ca. 1 Mio. Aussiedler polnischer Herkunft in die BRD übergesiedelt. Da Reisende aus Polen kein Visum benötigen, somit eine legale Einreise und ein dreimonatiger Touristenaufenthalt möglich ist, ist es überaus schwierig Schätzungen zu der Anzahl von PendelmigrantInnen zu geben.1 Die Arbeit von ZAPO ist nach 3 Adressatengruppen gegliedert: - Jugendliche aus Polen, die aus unterschiedlichsten Gründen ihr Elternhaus und ihren Herkunftsort verlassen haben und in Berlin “stranden”, - Werkvertragsarbeiter, SaisonarbeiterInnen und andere ArbeitnehmerInnen aus Osteuropa. Hier geht es um die Stärkung der Konfliktfähigkeit der Arbeitneh- Zur Situation von Frauen aus Osteuropa Vorstellung des Projekts “ZAPO” Hildegard Hellbernd merInnen und um die Sicherung arbeitsrechtlicher Standards. - Der dritte Bereich ist der Frauenbereich (kurz: ZAPOLA). Das Beratungsangebot richtet sich nicht nur an Migrantinnen aus Polen, sondern auch an Frauen aus anderen osteuropäischen Ländern, die von Frauen/Menschenhandel betroffen oder in andere Abhängigkeitsverhältnisse geraten sind. Insgesamt gibt es 13 MitarbeiterInnen in dem Projekt. In den unterschiedlich gewichteten Arbeitsgruppen arbeiten polnische und deutsche MitarbeiterInnen gemeinsam.2 Bevor ich ausführlicher über die Erfahrungen berichte, wie Frauen aus Mittel-und Osteuropa in Deutschland diskriminiert, illegalisiert und kriminalisiert werden, möchte ich einen Überblick über die Problembereiche der anderen beiden Arbeitsgruppen geben. Ein häufiger Grund, weshalb sich Werkvertragsarbeiter an den Polnischen Sozialrat wenden, ist die Nichtauszahlung von Löhnen. Vielleicht ist aus der Presse noch in Erinnerung, daß erst vor 2 Wochen polnische Wanderarbeiter ein Dach wieder abdeckten, nachdem sie erfuhren, daß sie keinen Lohn erhalten würden, da das Subunternehmen sich für zahlungsunfähig erklärte. In der Regel sind Arbeitsvertrag und Aufenthaltsgenehmigung zeitlich an die auszufertigende Arbeit gebunden und die Bauarbeiter machten mit ihrer Aktion nicht nur darauf aufmerksam, daß sie keine Löhne bekommen, sondern wollten auch verhindern, nach der Beendigung ihres Arbeitsauf47 FRAUEN trags wegen unerlaubten Aufenthalts abgeschoben zu werden. Bei Pleiten von Subunternehmen können die Lohnansprüche nicht mehr an Ort und Stelle eingeklagt werden, sondern nur von Polen aus. Das bedeutet faktisch, daß es keine Chance gibt, an ausstehende Gelder heranzukommen. In Verhandlungen erfahren die Kollegen oft das reibungslose Zusammenspiel von Unternehmen und Subunternehmen, die Unschuld und Ahnungslosigkeit vortäuschen: der eine hat angeblich keine Gelder bekommen, der andere hat von nichts gewußt, so daß nicht selten der Verdacht aufkommt, daß es sich hier um ein abgekartetes Spiel von Unternehmen und Subunternehmen handelt. So etwas geschieht durchaus auch bei großen Bauvorhaben wie Bundesautobahn, Schulen und der Hauptstadtausbau. Wenn Aufträge an Firmen vergeben werden, die günstige Ausführungen garantieren, braucht man nicht viel Phantasie um sich auszurechnen, zu wessen Lasten die kostengünstigen Angebote gehen bzw. wer tatsächlich das Risiko bei diesen Gewinnmöglichkeiten trägt. Da offensichtlich mit der Konfliktunfähigkeit der Saison- und Werkvertragsarbeiter kalkuliert wird, geht es darum, Unterstützungsformen zu finden, statt die Kontrollsysteme gegen die Arbeitnehmer weiter auszubauen.3 Nun zur Arbeit im Jugendbereich. Ein hoher Anteil der inhaftierten Jugendlichen in Untersuchungshaft kommt aus Polen. Wenn reisende Jugendliche aus Osteuropa in Berlin mit dem Gesetz in Konflikt geraten, handelt es sich in erster Linie um Bagatelldelikte. Statistisch gesehen stehen an erster Stelle Ladendiebstähle - also ein Delikt, dessen Ahndung m.W. mittels Bußgeldern diskutiert wird und an zweiter Stelle Einbrüche in Autos und Diebstahl von Autoradios. Im Gegensatz zu in Berlin angemeldeten Jugendlichen droht polnischen Jugendlichen die Untersuchungshaft, da sie hier nicht angemeldet sind. Nicht selten dauert es zwei bis sechs Wochen, bis es zur Verhandlung kommt. Sogenannnte erzieherische Strafen und Auflagen, üblich für hier lebende Jugendliche, 48 werden nicht verhängt. Die Urteile liegen oft unter der Haftzeit, die in U-Haft abgesessen wurde, Anspruch auf Entschädigung gibt es in der Regel nicht. Nach der Entlassung aus der Haft stehen die Jugendlichen dann häufig ohne Geld auf der Straße und können sehen, wie sie in ihre Herkunftsorte zurückkommen, ohne zu wissen, daß sie nun oft mit einem jahrelangen Einreiseverbot belegt sind, da ihren Daten in den entsprechenden Computern gespeichert werden. Beratungstätigkeit von ZAPOLA Obwohl Frauen aus Mittel- und Osteuropa zumeist auf legalem Wege einreisen (entweder mit Touristenvisa oder aus Polen mit Touristenstatus aber ohne Visa), befinden sich viele von ihnen nach Ablauf von drei Monaten in einem rechtlosen Status. Dadurch geraten sie umso leichter in Ausbeutungs- und Abhängigkeitsverhältnisse sowohl in persönlichen Beziehungen zu Männern als auch zu Arbeitgebern in bezug auf unabgesicherte Arbeitsverhältnisse. Viele der Frauen, die sich bisher an das Projekt ZAPO gewandt haben, sind Beziehungen mit Männern eingegangen, die in Berlin leben. Die Kontakte zu Polen sind eng, kommerzielle Heiratsvermittlung spielt nach unserer Erfahrung kaum eine Rolle. Nicht allein wegen der geographischen Nähe zu Polen besteht ein dichtes, privates Kontaktnetz, viele Beziehungen und Eheschließungen kommen aufgrund der engen Verwandtschaft- und Bekanntschaftsverhältnisse zustande. Zum Teil bestehen Kontakte schon lange, z.B. kommen Frauen aus der gleichen Gegend wie der deutsche Ehemann oder Freund, der zu einem früheren Zeitpunkt als Aussiedler übersiedelte. Viele Frauen wenden sich wegen Beziehungsproblemen und aus aufenthaltsrechtlichen Gründen an die Beratungsstelle. Zum Teil sind die Frauen sehr jung, leben isoliert in Partnerschaften, haben wenig Berufserfahrung. Häufig liegt das Alter der Frauen aber auch zwischen 40-50 Jahren, die Frauen waren bereits in Polen verheiratet, haben schon größere Kinder, z.T. haben sie mit der Heirat viel aufgegeben, Wohnung, Arbeit, gesicherte Lebensverhältnisse. Merkmale der Pendelmigration zeigen sich in unserer Beratungspraxis deutlich im Bereich der Partnerschaften und der Heiratsmigration. Pendelmigration und Abhängigkeiten in Lebensgemeinschaften Wir erfahren, daß auch zwischen hier lebenden Männern und polnischen Frauen die Ehe nicht unbedingt als zeitgemäß angesehen wird. Veränderte Lebensformen und Lebensstile, offenere Beziehungstrukturen - eine Tatsache, über die soziologische Untersuchungen in Deutschland umfassend berichten - machen an der Grenze nicht halt. Ebenso wie in vielen Beziehungen oder Ehen in Deutschland gependelt wird oder einfach Arbeits- und Wohnort nicht zusammenfallen, verhält es sich in deutsch-polnischen Beziehungen. Der Unterschied liegt weniger in den zu überwindenden Entfernungen, - mitunter haben die deutsch-polnischen Pendelbeziehungen kürzere Strecken zu überwinden als die deutschdeutschen, sondern darin, daß eine Grenze und ein Stück Papier wie der Paß nun ungeheure Schwierigkeiten schaffen. Als Beispiel für den Umgang der Behörden mit dieser Form von Pendelbeziehung und dafür, wie schnell Menschen illegalisiert werden, möchte ich das tragische Schicksal einer Frau schildern, die sich kürzlich an uns gewandt hat.Frau M. kommt aus einem Grenzort und hat 11 Jahre eine Beziehung mit einem Mann geführt, der auf der anderen Seite der Grenze, also damals in der DDR wohnte. Bald bekam die Frau eine Tochter, aber beide beschlossen, nicht zu heiraten, da wie Frau M. angibt - die Beziehung sich ungünstig auf das Arbeitsverhältnis ihres Freundes ausgewirkt hätte. So lebte Frau M. längere Zeit bei ihrem Freund in der DDR und arbeitete und wohnte zwischendurch wieder in Polen. Nach der Auflösung der FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 FRAUEN DDR erhielt der Vater ihres Kindes 1992 eine Frührente, und nun wurde der Wohnort der Frau in Polen zum gemeinsamen Aufenthaltsort. Sie beschlossen 1996 zu heiraten und mußten zuerst einmal einen Papierkrieg auf sich nehmen, da die Scheidungsunterlagen des Mannes aus der vorherigen Ehe nach dem politischen Umbruch nicht mehr aufzutreiben waren. Kurz vor der beabsichtigten Eheschließung erlitt der Mann einen schweren Herzinfarkt und mußte ins Krankenhaus in Polen. Sie heirateten im Krankenhaus, zogen aber nach Berlin, wo der Ehemann zur Weiterbehandlung in ein Krankenhaus verlegt wurde. Nach 2 Monaten starb er auf der geriatrischen Pflegestation. Die Ehefrau ist fest davon überzeugt, daß der Mann aufgrund eines Pflegefehlers verstorben ist und es läuft ein Untersuchungsverfahren über die tatsächliche Todesursache. Mit dem Tod des Mannes begann für die Frau ein gnadenloser Bürokratie-Hürdenlauf. Die Ausländerbehörde wirft Frau M. vor, sie sei als Touristin eingereist und habe das Verfahren der Familienzusammenführung nicht abgewartet. Des weiteren unterstellt sie Frau M. eine Scheinehe. In dem Aufforderungsschreiben zur Ausreise heißt es, sie hätte ihren Mann im Koma geheiratet und sei hierher gekommen, um für sich und ihre Tochter (mit deutschem Vater) Leistungen zu erschleichen. Eine Heirat aus ökonomischen Gründen, etwas selbstverständliches und vermutlich das verbreitetste Motiv für Eheschließung unter Deutschen, wird diskreditiert und gilt in diesem Zusammenhang als verwerflich und anrüchig. Das Sozialamt weigert sich, die Kosten für ein Wohnheim weiterzufinanzieren, in das die Familie aus finanzieller Not ziehen mußte, denn die Frau bezieht nur eine Invalidenrente von umgerechnet 150,-DM in Polen. Leistungen werden vom Sozialamt mit unterschiedlichen Behauptungen verweigert, sei es, daß die Frau ja eigene Rente in Polen beziehe, sei es mit dem Zuständigkeitsmarathon der einzelnen Bezirksämter oder last not least die Unterstellung - im Beisein meiner polnischen Kollegin des diskriminierenden Stereotyps, daß sie garantiert ihre Wohnung in Polen, die den älteren Kindern aus einer anderen Ehe gehört, untervermietet hätte, denn das würden alle Polen machen. Normalerweise erhält die Ehefrau nach dem Tod ihres Mannes (auch wenn die Ehebestandszeit noch keine 4 Jahre beträgt) ein eigenes Aufenthaltsrecht. Im Fall von Frau M. muß zuerst mittels Rechtsverfahren ein Kampf geführt werden, bis die Ehe und Vaterschaft nach deutschem Recht anerkannt sind. Noch unter Trauer und Schock über den Tod ihres Mannes bräuchte die Frau Ruhe, um ihr Leben neu zu organisieren, zu überblicken, was ihr an Witwen- und Waisenrente zusteht, um zu planen, wo und wie sie weiterleben wird. Stattdessen wird ihr eine tägliche Behördenlauferei zugemutet, in mindestens 6 Angelegenheiten müssen rechtliche Ansprüche erstritten werden, und darüberhinaus gibt es eine Unterkunft immer nur für ein paar Tage. Als Absurdität am Rande: die Schulbehörde in Berlin ist dagegen bestens informiert über den Aufenthalt der Tochter und hat bereits einen Brief zugestellt, indem 5.000,-DM Strafe angedroht wurden, falls ihre Tochter nicht weiterhin die Schule besuchen würde. Wir machen die Erfahrung, daß Ausländerbehörde und Sozialämter in solchen Fällen mit Unterstellungen und Diskriminierung arbeiten und versuchen rechtliche Ansprüche zu leugnen. Sie scheinen darauf zu setzen, daß sich die emotionale Kraft der Antragstellerin über kurz oder lang erschöpft und sie resigniert und “freiwillig” nach Polen zurückkehrt. Es gibt mitunter auch Beispiele, die zeigen, wieviel Selbstverständlichkeit in Beziehungen auch über Grenzen hinweg gesehen und gelebt wird. Neulich kam ein Mann in die Beratungsstelle, der ganz erstaunt war, daß seine Freundin aus Polen ihr jüngstes Kind nicht hier in der Schule anmelden kann, da sie nicht verheiratet sind. Eine Eheschließung ist nicht möglich, da die Frau noch nicht geschieden ist. Sie führen ihre Beziehung zwischen Stettin und Berlin, d.h. die Frau ist am Wochenende in Polen bei ihren älteren Kindern und hält sich während der Woche bei ihrem Freund in Berlin auf, dem sie offensichtlich bei seiner Arbeit in einem kleinen Gewerbe hilft. Eigentlich fällt es schwer einzusehen, daß im Zeitalter der Globalisierung und stets geforderten Mobilität dies nur für Waren und nicht zwischen Menschen und in Liebesbeziehungen nicht gelten soll! Mit jeder Eheschließung gehen Frauen im Grunde das Risiko der Illegalisierung ein, denn sobald die Ehe als gescheitert gilt und die Ehebestandszeit nach §19 noch keine 4 Jahre beträgt, droht die Ausweisung. Seit neuestem (gesetzeswirksam seit 31.10.97) gilt die Änderung des §19, nach der in Härtefällen die Ehebestandszeit nicht mehr ausschlaggebend für einen Aufenthalt ist. Skepsis ist dennoch angesagt hinsichtlich wirklicher Verbesserungen, unklar ist, wieweit z.B. der Bezug von Sozialhilfe ein Ausweisungsgrund wird und wie die Zumutung einer Rückkehr gesehen wird. Es muß sich erst einmal zeigen, wie diese Regelungen in der Praxis gehandhabt werden. Die seit Jahren bzw. Jahrzehnten bekannten Auswirkungen des § 19 AuslG bekommen wir auch in unserer Beratungstätigkeit zu spüren. Was gesellschaftlich an den ungleichen Rechten zwischen deutschen und nichtdeutschen Ehepartnern besteht, wiederholt sich auf der persönlichen Ebene. Dies gilt insbesondere für Beziehungen ohne Trauschein. Eheähnliche Beziehungen können nur bedingt als frei gewählte Beziehungsform verstanden werden. Häufig hoffen Frauen auf eine spätere Heirat, diesbezügliche Versprechen werden von den Männern aber oft nicht eingehalten, um die Abhängigkeit der Frauen in nicht legalisierten Beziehungen auszunutzen. Die Frauen wissen oft, daß sie illegal hier sind, sie fürchten Strafen und Ausweisungen und werden dadurch leicht erpreßbar. Häufig sind Frauen nach Berlin gezogen in der Hoffnung, ihre Situation zu verbessern, stellen nun aber fest, daß sich die Beziehung ausschließlich für den Mann 49 FRAUEN “rechnet”. Es ist immer wieder auffällig, wie gut die Lebenspartner der Frauen ihre Rechte zu kennen glauben, welche rechtlichen Informationen den Frauen vorenthalten werden, wie unzureichend sie über ihre Ansprüche aufgeklärt sind und wie häufig die rechtliche Dominanzposition genutzt wird, um die Frau einzuschüchtern mit der Drohung, daß sie wieder in ihren Herkunftsort zurückgeschickt wird. Typisch ist das Beispiel von Frau F., die seit 7 Jahren mit einem Rechtsanwalt zusammenlebt und mit Eheversprechungen hingehalten wird. Der Mann scheint durchaus zu wissen, wovon er (nicht nur ökonomisch) profitiert. Für die Geburt ihres Kindes hat er die Frau überredet nach Polen zu fahren, da die Entbindung in Deutschland zu teuer sei. Da die Vaterschaftanerkennung bisher nicht nach deutschen Gesetzen erfolgt ist, besitzen Frau und Kind keine Rechte, um hier legal leben zu können. Den Lebensunterhalt verdient die Frau, und bezahlt sämtliche Arztbesuche für sich und das Kind vom eigenen Verdienst, zumal der Mann in seiner Praxis verschuldet ist. Probleme und Gewalt tauchen i.d.R. dann auf, wenn Frauen sich nicht mehr ausbeuten lassen wollen, eine Erpressung nicht mehr hinnehmen oder andere selbstständige Schritte unternehmen. Frau K. ist 50, lebt seit einem Jahr in Berlin mit ihrem deutschen Mann. Beide verbinden schwierige Krankengeschichten, so daß sie sich entschlossen das weiteres Leben zusammen zu verbringen. Verärgert reagierte der Mann, als Frau K. ihm erklärte, daß sie ihren Verdienst nicht länger auf das Konto ihres Mannes überweisen lasse, sondern ihre Töchter in Polen unterstützen möchte. Ihr Mann war damit nicht einverstanden, nahm ihr den Schlüssel ab und setzte sie vor die Tür. Es könnten viele Beispiele angeführt werden, um zu zeigen, wie aufenthaltsrechtliche Regelungen gegen Fraün eingesetzt werden, wie mit Erpressungen bis hin zum Mißbrauch der Töchter gearbeitet wird und wie einschüchternd es wirkt, wenn Frauen da50 von ausgehen, sie hätten hier keinerlei Rechte. Der diskriminierende gesellschaftliche Diskurs über “Teilhabe der MigrantInnen an der Wohlstandsgesellschaft” spiegelt sich in den Beziehungen wider, häufig wird den Frauen vorgeworfen, sie wollten vom Wohlstand der Männer leben, z.T. bis zu absurden Vorwürfen wie “du willst von meinem Arbeitslosengeld leben”. Absolut verkehrt werden dabei die Tatsachen, wer von wem profitiert. Bei den vielen Frauen, die sich an die Beratungsstelle von ZAPO gewandt haben, steht zumindest fest, auf wessen emotionale und materielle Kosten die Beziehung geht, wer in der ungleichen Partnerschaft bezahlt. Soweit Frauen sich in Beziehungskrisen entschließen, ihre sozialen Netze in Polen in Anspruch nehmen, z.B. zu ihren Eltern zurückkehren, statt in einem Frauenhaus Zuflucht zu suchen, kann auch dies mit einem rechtlichen Risiko verbunden sein. Sie riskieren eine Anzeige wegen Kindesentführung, wie wir es in einem Fall bereits erleben mußten. Oft werden im Trennungsfall die letzten Trümpfe gezogen, wenn es um Unterhaltsregelungen, das Sorgerecht und den Zugewinnausgleich geht, wobei die Männer in der Regel gut ihre Interessen wahrzunehmen wissen und darauf setzen, daß die Frauen von Polen aus weniger in der Lage sind, ihre Rechte zu verfolgen.4 Selbstverständlich ist dies nur ein Ausschnitt der Gesamtsituation, da wir in der Beratungsstelle nur von den Fällen erfahren, wo Frauen in Schwierigkeiten geraten sind. Dennoch wissen wir von vielen gut funktionierenden deutsch-polnischen Liebesbeziehungen und Lebensgemeinschaften. Irreguläre Arbeitssituation Der Arbeitsmarkt bietet für Migrantinnen aus Mittel- und Osteuropa kaum legale Zugangsmöglichkeiten. Abgesehen von genehmigten Arbeitsaufenthalten als Au-Pair oder Saisonarbeiterin, sind die typischen Arbeitsbereiche für Migrantinnen der private Haushalt, Reinigungsgewerbe, Betreuungs- und Pflegedienste sowie Prostitution. Das gemeinsame Kennzeichen all dieser Beschäftigungen: Es sind ungeschützte Arbeitsverhältnisse. Aus der Beratungstätigkeit des Polnischen Sozialrats ist bekannt, daß auch im privaten Haushalt Fälle von extremer Ausbeutung, Ausnutzung des illegalen Status und Zwang zur Prostitution nicht selten vorkommen, bisher hat es über das Projekt ZAPO allerdings relativ wenig Kontakt mit Haushalts-und Saisonarbeiterinnen gegeben, obwohl viele Frauen gerade aus Polen in privaten Haushalten tätig sind. Lohnbetrügereien sind eher bei den Putzkolonnen an der Tagesordnung. Es kommt vor, daß Lohngelder nicht gezahlt werden und der fehlende legale Aufenhaltsstatus eingesetzt wird, um Frauen, die Lohnforderungen stellen, um ihr Gehalt zu bringen. Aufgrund der fehlenden Aufenthaltsgenehmigung ziehen Frauen häufig nicht in Betracht, ihren Lohn rechtlich einzufordern. Bekannt ist uns ein Fall von verweigerten Lohnzahlungen bei einer Putzkolonne in einer großen Lebensmittelkette. Trotz des nichtlegalen Status haben sich die Migrantinnen entschlossen, gerichtlich die Löhne einzuklagen. Es dürfte von Bedeutung sein, wie dieser Fall ausgeht, denn angesichts der zunehmenden Auslagerung von Dienstleistungen an Subunternehmen ist zu befürchten, daß der fehlende Aufenthaltstatus für Lohnvorenthaltungen auch in Zukunft genutzt wird. Um Lohnbetrug und ausbeuterische Arbeitsverhältnisse zu verhindern, wäre es wichtig, daß die Bundesregierung die UNO-Konvention Nr.158 vom 18.12.1990 (International Convention on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of their Families) ratifiziert, da in diesem Schutzabkommen vorgesehen ist, daß Arbeitnehmerinnen ihre Rechte unabhängig vom Aufenthaltsstatus einklagen können. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 FRAUEN Prostitution und Frauenhandel Im Bereich der Prostitution werden Illegalisierung und Kriminalisierung der Frauen am gewinnbringendsten ausgenutzt. Wegen der fehlenden Anerkennung von Prostitution als Beruf ist eine legale Arbeit in diesem Bereich nicht möglich, es ist ausgeschlossen eine Arbeitserlaubnis als Prostituierte zu erhalten. Besonders Frauen aus visapflichtigen Ländern wie der ehemaligen Sowjetunion geraten schnell in Abhängigkeits- und extreme Ausbeutungsverhältnisse, wenn sie mit dem Versprechen auf eine Arbeit als Kindermädchen, auf eine Arbeit in einer Bar oder auf “abwechslungsreiche Tätigkeiten” hierherkommen. Der Weg ist meist klassisch: Verschuldet wegen Visabeschaffung und überhöhter Transportkosten werden viele Frauen genötigt, das Geld in der Prostitution abzuarbeiten, die Einbehaltung des Passes, Angst vor der Polizei und hohe Isolation sorgen für weitere Einschüchterung. Immer häufiger werden die angeworbenen Frauen in Wohnungen untergebracht, von wo aus sie zu Privatclubs oder zu Hausbesuchen gebracht werden, die telefonisch organisiert werden. Von den ca. 8.000 Frauen die in Berlin in der Prostitution arbeiten, wird angenommen, daß fast die Hälfte aus Osteuropa stammt. Ein großer Teil der Frauen entscheidet sich zwar freiwillig für die Prostitution, häufig finden sie aber Bedingungen vor, unter denen ihr Selbstbestimmungsrecht in eklatanter Weise verletzt wird. Merkmale des Menschen-/Frauenhandel sind der Einsatz von Gewalt, Drohung, Täuschung, Machtmißbrauch, Verschuldung und Freiheitsentzug im Zusammenhang mit der Anwerbung zu Arbeits- und Dienstleistungen, unabhängig davon, ob dabei nationale Grenzen überschritten werden. Menschenhandel gilt nach §180b und §181 STGB als Straftatsbestand. In der juristischen Definition stehen die Ausnutzung der Hilflosigkeit einer Person im Ausland, der Zwang zu sexuellen Handlungen und Prostitution im Vordergrund. Im Gegensatz zu der engen strafrechtlichen Definition sprechen wir -analog zur Definition der Global Alliance against Trafficking in Women (GAATW)- von Menschen/Frauenhandel auch in Bezug auf Heiratshandel und Handel in ausbeuterische Arbeitsverhältnisse wie z.B. Haushaltstätigkeit. Obwohl die Medien offensichtlich häufig und gerne über das Thema Menschenhandel berichten (mit der Qualität der Berichterstattung möchte ich mich nicht weiter befassen) und das Phänomen Frauenhandel in den letzten Jahren auf politischer Ebene5 zunehmend Beachtung gefunden hat, ist erstaunlich wie wenig positive Konsequenzen dies für die Frauen hat. Anhand der Daten des BKA kann man feststellen, daß es zwar zu reger Ermittlungstätigkeit kommt, aber es ist auffällig, welch hohe Diskrepanz zwischen Strafverfolgung und Verurteilung liegt. In Berlin werden jährlich ca.100 bis 150 Verfahren wegen Menschenhandel eingeleitet. Meistens wird der Vorwurf des Menschenhandels im Verlauf der Ermittlungen fallengelassen, was für die Frauen bedeutet, nicht als Nebenklägerin auftreten zu können. Stattdessen ist nur noch von Förderung der Prostitution die Rede, zu Verurteilungen kommt es selten. In den letzten Jahren gab es in Berlin nur 4 Urteile wegen Menschenhandel. Während die Gewinner im Prostitutionsgeschäft selten zur Rechenschaft gezogen werden, sieht die Situation für osteuropäische Frauen, die bei Razzien in Bordellen festgenommen werden, völlig anders aus. Bei ihnen steht der Verstoß gegen das Aufenthalts- und Arbeitsgesetz im Vordergrund, sie gelten als kriminell, landen in Abschiebehaft, werden in die Herkunftsländer abgeschoben und erhalten Einreiseverbot für alle Schengener Staaten. Ein krasses Beispiel möchte ich hier anführen: Gegen zwei junge polnische Frauen, die betäubt über die Grenze verschleppt, vergewaltigt und zur Prostitution genötigt wurden, leiteten die deutschen Behörden ein Verfah- ren wegen unerlaubter Prostitutionsausübung ein. Die Frauen sollten die Kosten der Abschiebehaft selber tragen und erhielten darüberhinaus ein mehrjähriges Einreiseverbot. Zu Verfahren gegen Menschenhändler kommt es häufig nicht, da Frauen vielfach kein Interesse daran haben, Aussagen zu machen und sich dem Risiko von Repressionen seitens der Menschenhändler auszusetzen. Für eine Verurteilung ist es wichtig, daß in dem Verfahren Frauen vor Gericht aussagen. Es kommmt vor, daß Zeuginnen ins Herkunftsland zurückkehren mußten, und sie die Vorladung zum Gerichtsverfahren nie erhalten. Angesichts des Risikos, das sie mit einer Aussage eingehen, ist es nur zu verständlich, wenn eine Frau kein Interesse daran hat, zum Prozeß anzureisen, sich dem Alptraum der Erinnerung und der Stigmatisierung vor Gericht auszusetzen. Angesichts der Zunahme des Frauenhandels sah der Berliner Senat 1995 schließlich einen “erhöhten Handlungsbedarf”. Initiiert von Projekten und Beratungsstellen wurde unter dem Vorsitz der Staatssekretärin für Frauen bei der Senatsverwaltung für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen eine “Fachkommission Frauenhandel” einberufen, in der, sowohl Frauenprojekte und Beratungsstellen aus dem Bereich Frauenhandel wie Vertreter von Justiz, Polizei, Innensenat und Ausländerbeauftragte über Strategien gegen Frauenhandel diskutierten. Im Frühjahr 1997 wurden die Empfehlungen der Komission in einem Bericht vorgelegt6. Das konkreteste Ergebnis ist eine Weisung, in der die Ausländerbehörde aufgefordert wird, bei Verdacht auf Menschenhandel spätestens drei Tage vor der Abschiebung von Frauen, die bei Razzien in Bordellen festgenommen wurden, Polizei und Staatsanwaltschaft zu informieren, damit ermittelt werden kann, ob die Frau als Zeugin in einem Menschenhandelsverfahren in Frage kommt. Soweit Frauen bereit sind, als Zeuginnen auszusagen, erhalten sie eine Duldung, die aber spätestens mit dem En51 FRAUEN de des Prozesses aufgehoben wird. In der Praxis ist selbst die Umsetzung der Weisung nicht einmal ausreichend gewährleistet. Verhaftete Frauen werden i.d.R. nachts, unmittelbar nach einer Razzia verhört, wenn sie psychisch und physisch so erschöpft sind, daß sie oft so schnell wie möglich nach Hause zurück wollen. Es gibt keine Regelung, nach der den Frauen - wie in anderen Bundesländern - eine mehrwöchige Bedenkzeit eingeräumt wird, in der sie in Kontakt mit Beratungsstellen stehen und überlegen können, ob sie rechtliche Schritte unternehmen wollen. Es fehlt eine adäquate Unterbringung in eigenen Zufluchtswohnungen. Der Abschiebeknast Grünau ist derzeit überbelegt mit Frauen, die bei Razzien aufgegriffen wurden, so daß die Frauen zusätzlich in der Frauenhaftanstalt Plötzensee untergebracht werden. Zwangsverhältnisse bestehen für viele Frauen auch in Abschiebehaft weiter. Eine Möglichkeit aus der Abschiebehaft wieder herauszukommen war bisher der Antrag auf Asyl. Häufig haben Frauen aus Osteuropa davon Gebrauch gemacht bzw. wurde dieser Weg oft von den Zuhältern organisiert. Im Fall von Zwangsverhältnissen bedeutete das für die Frauen, daß die Zuhälter über den Entlassungszeitpunkt Bescheid wußten und die Frau draußen erwarteten. Die Chancen auszusteigen waren gering, dazu kamen neue Kosten wie das überhöhte Anwaltshonorar. Neuerdings entfällt die Möglichkeit des Asylantrags, da Frauen, die auf dem Landweg gekommen sind, nach der Drittstaatenregelung abgeschoben werden. Unsere Kritik7 richtet sich dagegen, daß Frauen erneut von Justiz und Behörden instrumentalisiert werden. Sie bekommen keine Aufenthaltserlaubnis wegen erlittener Gewalt und Traumatisierung, sondern erhalten eine Duldung (d.h. Aussetzung der Abschiebung) in Abhängigkeit davon, wieweit sie als Zeugin für Polizei und Justiz von Nutzen sind. Viel zu wenig werden die 52 gesellschaftlichen Strukturen thematisiert, die Frauenhandel ermöglichen, die bestehende Doppelmoral, Motive der Freier spielen keine Rolle, Diskriminierung, Anklage und Bestrafung, die Kriminalisierung richtet sich gegen Frauen. Darüberhinaus verbreiten viele Medien ein Bild der osteuropäischen Frauen, das diesen pure Naivität unterstellt. Hilfsangebote sind mehr als begrenzt.8 Es gibt keine vernünftigen Zeuginnenschutzprogramme, keinerlei Rückkehrhilfen oder irgendeine Form von Unterstützungsangeboten im Herkunftsland, ganz zu schweigen vom Bleiberecht, von Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Stattdessen wird eine Menge sicherheitspolitisches Kapital aus dem Phänomen Menschenhandel geschlagen. In Zusammenhang mit der Bekämpfung der organisierten Kriminalität gilt Menschenhandel als das Thema, das möglichst viele gesellschaftliche Gruppen verbinden soll. Im Vordergrund stehen dabei allerding die Schlepperbanden und die Verhinderung von Grenzüberschreitungen. Wie wenig es tatsächlich um die Frauen geht, die Opfer von Menschenrechtsverletzungen wurde, zeigt sich in einer Berliner Parlamentsdebatte im Sommer 1997 anläßlich einer großen Anfrage der CDU/SPD. Da Menschenhandel fast ausschließlich als Problem der Organisierten Kriminalität gefaßt wird, werden repressivere Maßnahmen gefordert und eine bessere personelle, technische und rechtliche Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden. Von der CDU wird ein größerer “Kontrolldruck” gefordert, das heißt, großer Lauschangriff, verdachtsunabhängige Kontrollen im ASOG etc. Das Augenmerk stärker auf die Situation der Frauen zu lenken, die in Abschiebehaft landen, wird aus “verwaltungstechnischen Gründen” als unzumutbar erachtet. Ebenso besteht die Gefahr, daß die Aussage von Frauen, sie seien zur Prostitution gezwungen worden, als reine Schutzbehauptung abgetan wird. Solange das ökonomische Gefälle zwischen Ost und West derart hoch ist, wird auch die Migration und Hoffnung auf ein besseres Leben weiterbestehen, ebenso das Ausbeutungsinteresse von Menschenhändlern. Ordnungsrechtliche Maßnahmen können nicht die Einhaltung der Menschenrechte für Frauen, die Opfer von Menschenhandel wurden, garantieren, sondern verschärfen - wie wir wissen - die Bedingungen für die Frauen. Notwendig sind reale Unterstützungsangebote, Aufklärung, Prävention und Stärkung der rechtlichen und sozialen Position der betroffenen Frauen. Solange der illegale Aufenthaltsstatus das Leben der Prostituierten bestimmt, bedeutet die Rechtlosigkeit der Frauen bares Geld für die Zuhälter. In Beratungsarbeit von ZAPO geht es zum einen um die individuelle Ebene, d.h. die Stärkung der Frau in ihren Interessen, Aufklärung ihrer rechtlichen Position, vielfach um Vermittlung von engagiertem Rechtsbeistand und um Unterstützung bei der Entwicklung von Zukunftsperspektiven.Auf der gesellschaftlichen Ebene sehen wir einen wichtigen Beitrag darin, gegenüber Behörden klarzustellen, daß die Frau nicht allein dasteht, vielleicht in Anlehnung an “Bürger beobachten die Polizei” eine Art “Beratungsstellen beobachten die Behörden”. Wichtig ist uns, in der Öffentlichkeit die Rechtlosigkeit zu problematisieren und darauf zu drängen, daß Menschenrechtskonventionen eingehalten und umgesetzt werden wie die internationale Konvention für ArbeitsmigrantInnen. Notwendig ist auch eine stärkere Zusammenarbeit mit entsprechenden Gruppen und Organisationen in Mittel- und Osteuropa. Zum Abschluß möchte ich noch auf einen mir wichtigen Asepkt hinweisen, auf den Zusammenhang von Gesundheit und Migration. Daß die Gesundheit wesentlich von der sozialen Schichtzugehörigkeit abhängt, ist mittlerweile unbestritten. Die erste Einwanderergeneration in den 60er Jahren, bei der mittels Pflichtuntersuchungen garantiert werden sollte, daß nur völlig gesunde Menschen einwandern, leidet heute im Schnitt 10 Jahre früher FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 FRAUEN an den Alterserkrankungen als Deutsche aus der gleichen Sozialschicht. Wenn heute eine neue Migrationsstruktur entsteht mit psychischen und physischen Belastungen aufgrund nicht garantierter Rechte, kann man sich vorstellen, zu welchen gesundheitlichen Auswirkungen das führen wird. Dazu kommt die Einschränkung des Zugangs zu gesundheitlichen Diensten, wenn kein abgesicherter Aufenthaltsstatus existiert. Dem polnischen Sozialrat sind Fälle bekannt, wo junge Menschen gestorben sind, weil sie wegen feh- lender Papiere Angst hatten, ein Krankenhaus aufzusuchen. Gegenwärtig verändert sich die Gesellschaft dahingehend, daß eine neue Schicht von rechtlosen Personen in diesem Land entsteht, für die Menschenrechte ausgehebelt werden. Um so mehr ist in Zukunft darauf zu achten, daß die sozialen, arbeitsrechtlichen und menschenrechtlichen Standards eingehalten werden. Diese Perspektive trifft nicht nur die Frauen, sondern alle, denen Aufenthaltsrechte vorenthalten werden. 1 Zur Anzahl und Vielfalt der Migrationsformen vgl. Frauke Miera: Zuwanderer und Zuwanderinnen aus Polen in Berlin in den 90er Jahren. Wissenschaftszentrum für Sozialforschung, Berlin 1996. 2 Die Absicht, mehr MigrantInnen einzustellen scheiterte an der Tatsache, daß es nur wenig Personen gibt, die sozialrechtlich soweit abgesichert sind, daß sie staatliche Unterstützung beziehen und die erforderlichen Voraussetzungen für ABM-Stellen vorweisen können. Insgesamt haben nur 40% der seit den 80erJahren in Berlin lebenden Polen eine derartige Absicherung im arbeitsrechtlichen Netz erwerben können. 3 Zu den Forderung des Polnischen Sozialrats und Projekt ZAPO vgl. Norbert Cyrus: Unterstützen statt Kontrollieren. Ein Konzept für die Durchsetzung tariflicher Standards auf den deutschen Arbeitsmärkten unter Beachtung sozialer und grundrechtlicher Standards. In: epd-Dokumentation Nr.4/98. S.26ff 4 Wenig thematisiert und beleuchtet ist der rassistische Aspekt in den persönlichen Beziehungen. Erzählungen der Frauen über ihre Demütigungen und Beleidigungen zeigen, daß alte Stereotype und das gedankliche Erbe aus dem Faschismus mitunter in polnisch-deutschen Beziehungen eine quälende Rolle spielen. Wie die Polizei mit rassistischen Momenten in privaten Beziehungen umgeht, konnten wir erfahren, als auf die Wohnung einer polnischen Mitarbeiterin ein Brandanschlag verübt wurde. Als sie gegenüber der Polizei angab, seit einiger Zeit rassistische Beschimpfungen in ihrem Briefkasten vorgefunden zu haben und vermutete, ein Aus diesem Grund unterstützen wir die Kampagne: Kein Mensch ist illegal. Hildegard Hellbernd Projekt :ZAPO: c/o Polnischer Sozialrat Oranienstr.34 10999 Berlin Tel. 614 024 09 Fax: 614 024 10 Nachbar käme vielleicht als Attentäter in Frage, wurde dies nicht als rassistischer Brandanschlag registriert. Stattdessen ging die Polizei davon aus, es handele sich um einen nachbarschaftlichen Streit, somit kämen nur persönliche, nicht aber rassistische Motive in Frage. Da sich für diese Polizeistelle persönliche und rassistische Gründe nicht vereinbaren lassen, ist aufschlußreich, daß derartige Brandanschläge anscheinend statistisch so kategorisiert werden, daß sie nicht als Fremdenfeindlichkeit zu Buche schlagen. 5 vgl. Beschlüsse der EU-Ministerkonferenz von April 97, vgl. Bericht der Berliner Fachkommission “Frauenhandel” im Frühjahr 1997 6 Bericht der Berliner Fachkommission “Frauenhandel”, Berlin 1997, zu beziehen über Senatsverwaltung für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen. 7 vgl. auch Presseerklärung des AK Frauenhandel in Berlin zum 25. November, dem internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen. An dem AK Frauenhandel nehmen Frauen aus Projekten und Beratungsstellen teil, die zu diesem Thema ist arbeiten. 8 Vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wurden 1997 im gesamten Bundesgebiet 6 Koordinierungs- und Beratungsstellen für Frauen aus Mittel-und Osteuropa, die Opfer von Frauenhandel wurden, finanziert, womit der Bedarf bei weitem nicht abgedeckt ist. In Berlin ist eine der Stellen bei IN VIA/Verein kath. Mädchensozialarbeit eingerichtet. 53 FRAUEN Weg mit herrschaftssichernden Grenzen! Aufruf und aktuelle Infos zu den antirassistischenFrauenLesbenAktionstagen an der dt./polnischen Grenze vom 30.6.-5.7.98 Der Staat hat die Grenzen hochgerüstet um Flüchtlinge und MigrantInnen die selbstorganisierte Einreise unmöglich zu machen. Die Toten in der Neiße/Oder und Frauenhandel sind Beispiele direkter Folgen dieser Politik. Die von der Bevölkerungsmehrheit vertretenen rassistischen und nationalistischen Positionen werden dabei aufgegriffen und durch gezielte Hetzpropaganda weiter verstärkt. Sie dienen dann zur Rechtfertigung von Verschärfungen der Gesetze und einer alltäglichen Praxis von Ausgrenzung. Antirassistische Politik muß deshalb konsequent sowohl die Interessen desStaates, als auch die der deutschen Mehrheitsbevölkerung an Rassismus benennen und angreifen. Der in der Gesellschaft zur gleichen Zeit bestehende Sexismus ist auch in der antirassistischen Bewegung noch nicht überwunden. Wir haben uns deshalb bewußt als Frauen und Lesben organisiert, um der herrschenden Grenzpolitik etwas entgegenzusetzen. Hier einige Stichworte zur derzeitigen Situation. - In Eigeninitiative gegründete Bürgerwehrgruppen, die gegen die Flüchtlinge vorgehen. - Ein “Infomobil des Bundesgrenzschutzes” informiert die AnwohnerInnen der Grenze über “Grenzkriminalität” und fordert zu Denunziation auf. Dafür sind eigene “Bürgertelefone” installiert worden. - Besondere Befugnisse des BGS 54 in einer 30 km-Zone an der Grenze, z. B. “verdachtsunabhängige Kontrollen”. - Anwendung des § 92 a AuslG (“Einschleusen von Ausländern”) auf TaxifahrerInnen, die auf der deutschen Seite im Grenzgebiet illegalisierte MigrantInnen befördern. Durch bereits erfolgte Verurteilungen wird versucht, eine ganze Berufsgruppe zu Handlangern des BGS zu machen. Wenn bei TaxifahrerInnen der Verdacht besteht, daß ihre Fahrgäste “illegale Ausländer “ sind (z.B. durch “undeutsches Aussehen”), sind sie verpflichtet, den BGS über Funk zu verständigen, bzw. die Fahrgäste sofort zum nächsten Bullenrevier zu fahren. Vom 30.6. - 5.7. werden wir in der Region Zittau/Görlitz antirassistische Aktionstage durchführen. Der Auftakttag wird in Dresden stattfinden. Anreisezeit ist der Abend des 30.6. in Dresden. Den 1.7. werden wir dazu nutzen, uns kennenzulernen, auszutauschen, die Aktionen zu koordinieren und das Schutzkonzept vorzustellen. Am 2.7. wollen wir dann gemeinsam zum Ausgangsort der Aktionstage fahren. Dort gibt es eine berollbare Halle mit ausreichendem Platz. Bei unseren Aktionen soll es darum gehen, den reibungslosen Ablauf der rassistischen Maschinerie an der Grenze zu stören. Wir wollen zeigen, daß wir die Abschottungs- und Abschiebepolitik ablehnen und nicht hinnehmen. Mit den Aktionen wollen wir gegen das Vorgehen des BGS, die herrschende Grenzpolitik und das Denunziationsverhalten in weiten Teilen der Bevölkerung Position beziehen. Unsere Solidarität gilt den betroffenen MigrantInnen und Flüchtlingen. Wir sehen die Aktionstage darüber hinaus als Unterstützung von denjenigen, die in der Region leben und antirassistische Haltungen vertreten. gen, wo wir die regionale Antifa bei einer Gegenkundgebung gegen einen bereits angemeldeten Faschoaufmarsch unterstützen. Form und Ausdruck der Aktionen werden vielfältig sein, auch deine Phantasie ist gefragt. Wir versuchen, die Aktionstage für möglichst viele Frauen/Lesben, die kommen wollen, zugänglich zu machen. Wir bemühen uns um Assistenzen, können diese aber noch nicht gewährleisten. Frauen, die Assistenz machen wollen, gebärdendolmetschen können etc., werden noch gesucht. Wir fänden es für alle FrauenLesben wichtig, sich bis zum 15.6.unter der untenstehenden Adresse anzumelden! Für die ausreichende Vorbereitung wäre das eine wichtige Voraussetzung. Infos, Fragen, Vorschläge und Absprachen über die Kontaktadresse. So, wenn du jetzt neugierig geworden bist und Lust auf die Aktionstage hast, melde dich bei uns: Stichwort “Sommerfrische” c/o Symbiose e. V. Kinzigstraße 9 10247 Berlin Tel. 030 / 294 76 88 Fax: 030 / 294 921 20 Spendenkonto bei: Forschungsgesellschaft Flucht und Migration Stichwort: “Frauen/Lesben Camp ‘98” KtoNr. 610024264 BLZ 100 500 00 Berliner Sparkasse Wenn du nicht zu den Aktionstagen kommen kannst/willst, die Idee aber unterstützenswert findest: Wir freuen uns über zeitgleiche Aktionen anderswo und natürlich Geld- oder Sachspenden (auch leihweise Handy’s, Laptop, Fax, Modem...) Der Schwerpunkt der Aktionstage liegt nicht darin, Aktionen vorzubereiten, sondern den Rahmen für deren Umsetzungen zu bieten. Dies bedeutet, daß von den teilnehmenden Frauen/Lesben bereits welche mit Plänen und praktischen Vorstellungen anreisen müssen. Den Abschlußtag am 5.7. werden wir in Zittau verbrin- FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 BÜRGERKRIEG Presseerklärung Förderverein Niedersächsischer Flüchtlingsrat e. V. Nds. Flüchtlingsrat - Lessingstr. 1 - 31135 Hildesheim 25.05.1998 Flüchtlingsrat protestiert gegen erneute Abschiebungen nach Kosova Restriktive deutsche Asylpolitik nimmt Mißhandlungen und selbst Tote in Kauf Holland gewährt in Deutschland abgelehnten Flüchtlingen Asyl Nur wenige Tage nach dem Treffen zwischen dem serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic und der albanischen Führung um Ibrahim Rugova sind auch über die vergangenen Tage Kampfhandlungen aus Kosova gemeldet worden. Erbitterte Kämpfe fanden u.a. um die Gemeinde Glirevo zwischen Kila und Prishtina statt. Die Region wurde vollkommen abgeriegelt, der Zugang für ausländische Berichterstatter verweigert. Als sicher gilt, daß auf beiden Seiten Menschenleben zu beklagen sind. Eine Beruhigung der Lage ist nicht in Sicht. Trotzdem wird auch aus Niedersachsen weiterhin in den Kosovo abgeschoben. Noch im März hatte sich Innenminister Gerhard Glogowski mit seinem Entschluß, vorerst nicht mehr nach Pristina abzuschieben, weit aus dem Fenster gelehnt und auch die andere SPD-regierten Länder dazu aufgefordert, es ihm gleich zu tun. Alarmiert hatte ihn die Information, daß sich unter den Toten des Massakers von Drenica auch ein aus Deutschland abgeschobener Greis befunden hatte. Die Gewissensbisse des niedersächsischen Innenministers währten leider nur drei Tage. Nach Gesprächen mit dem Bundesinnenministerium zog Glogowski sich auf den Standpunkt seiner SPD-Kollegen zurück, eine Rückkehr sei zumutbar. Mit der Dauerhaftigkeit der Kampfhandlungen haben die Übergriffe auf Rückkehrende zugenommen. Da die deutschen Behörden - wie mit Belgrad vereinbart - sowohl den freiwillig Ausreisenden als auch den Abgeschobenen ein „A“ in die Papiere stempeln, trägt augenblicklich jeder aus Deutschland Zurückkehrende das Signum eines Staatsfeindes und wird entwürdigenden Verhörmaßnahmen ausgesetzt. Zum Teil werden die Menschen unmittelbar an den Flughäfen für unbestimmte Zeit inhaftiert; die meisten Mißhandlungen geschehen jedoch auf den örtlichen Polizeidienststellen, zu denen die Flüchtlinge nach ihrer Ankunft vorgeladen werden. Trotz des dringlichen Appells des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) an die europäischen Staaten, aufgrund des explosiven politischen Klimas in Kosova von jeglichen Abschiebungen abzusehen, konnte sich die Innenministerkonferenz am 8. Mai nicht zu einem Abschiebungsstopp durchringen. In Niedersachsen droht jetzt die Aufhebung jenes MI-Erlasses, der bislang zumindest für Familien mit Kindern ein Aussetzen von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen vorsieht. Wie restriktiv die deutsche Asylpolitik geworden ist, wird auch im Vergleich zu unserem Nachbarland Holland deutlich: Dort erhalten Flüchtlinge aus Kosova viel häufiger Asyl und Abschiebungsschutz als in der Bundesrepublik. Selbst Flüchtlinge, die in Deutschland abgelehnt wurden, haben nach der sog. „Es sei denn - Klausel“ des niederländischen Asylrechts unter Umständen eine Chance: Dies bedeutet, daß bei Flüchtlingen, die zuvor schon einen Asylantrag in einem Schengener bzw. Dubliner Vertragsstaat gestellt hatten, dennoch ein Asylverfahren in Holland durchgeführt wird, wenn in ihrem Fall die Rechtsprechung in Holland zu einem positiven Ergebnis kommen würde. Chancen auf ein Bleiberecht haben z.B. Deserteure und Kriegsdienstverweigerer aus Restjugoslawien - Kosova, auch wenn ihre Asylanträge in Deutschland bereits rechtskräftig abgelehnt wurden. 55 BÜRGERKRIEG KosovoalbanerInnen: nach Holland? Bayerischer Flüchtlingsrat Presseerklärung, 19. Mai 1998 * Beckstein, Milosevic - jeder hat seinen Freund * Bayerischer Flüchtlingsrat informiert über Fluchtmöglichkeiten aus Bayern nach Holland * Am 20. Mai wieder Massenabschiebung vom Flughafen München Nur wenige Tage nach dem Treffen zwischen dem serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic und der albanischen Führung um Ibrahim Rugova sind auch über das vergangene Wochenende Kampfhandlungen aus Kosova gemeldet worden. Erbitterte Kämpfe fanden um die Gemeinde Glirevo zwischen Klina und Prishtina statt. Die Region wurde vollkommen abgeriegelt, der Zugang für ausländische Berichterstatter verweigert. Als sicher gilt, daß auf beiden Seiten Menschenleben zu beklagen sind. Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) bedrängte in einem eindringlichen Appell erneut die Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie der Schweiz, aufgrund des explosiven politischen Klimas in Kosova von jeglichen Abschiebungen abzusehen, die Sicherheitslage habe sich weiter verschlechtert. Mit der Dauerhaftigkeit der Kampfhandlungen haben die Übergriffe auf RückkehrerInnen systematischeren Charakter angenommen. Da die deutschen Behörden - wie mit Belgrad vereinbart - sowohl den freiwillig Ausreisenden als auch den Abgeschobenen ein “A” in die Papiere stempeln, trägt augenblicklich jede/r aus Deutschland Zurückkehrende das Signum eines Staatsfeindes und wird entwürdigen56 den Verhörmaßnahmen ausgesetzt, um so an Informationen über Auslandsaktivitäten des albanischen Widerstands zu gelangen. Zum Teil werden die Menschen unmittelbar an den Flughäfen für unbestimmte Zeit inhaftiert; die meisten Mißhandlungen geschehen jedoch auf den örtlichen Polizeidienststellen, zu denen die Flüchtlinge nach der Ankunft vorgeladen werden. Michael Stenger, Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrates, erklärte am heutigen Dienstag gegenüber der Presse in München, daß Abschiebungen erwiesenermaßen zu Mißhandlungen führten - bis hin zu grausamem Mord. Stenger: “Mittlerweile hat die Angst vor erneuter Verfolgung nach der Rückkehr derart um sich gegriffen, daß eine hohe Anzahl der Abgeschobenen bei erster Gelegenheit untertaucht. Durch jede weitere Abschiebung nach Kosova bestätigt die deutsche Innenpolitik, allen voran der bayerische Innenminister Günter Beckstein, Milosevic darin, seine Bosnientaktik auch in Kosova fortzuführen. Heute ein diplomatisches Häppchen, morgen militärisch (bzw. staatspolizeilich) zuschlagen. Eine fürwahr unheilige Allianz angesichts einer ansonsten traditionell antiserbischen deutschen Politik.” Der bayerische Flüchtlingsrat sieht aufgrund dieses unbelehrbaren Verzichts der Politik auf den Schutz der Unversehrtheit an Leib und Leben von (bestimmten) Menschen die Notwendigkeit gegeben, alle Wege aufzuzeigen, die einen Schutz vor den menschenrechtswidrigen Abschiebungen erhoffen lassen. Holland - eine Fluchtmöglichkeit aus Bayern Es ist nicht verwunderlich, daß Flüchtlinge aus Restjugoslawien Kosova, die in Deutschland kurz vor der Abschiebung stehen, immer häufiger versuchen, in anderen Ländern doch noch Schutz vor Verfolgung zu finden. Zumindest was Holland betrifft, bestehen dafür gewisse Erfolgsaussichten. Im Gegensatz zu den deutschen Gerichten geht die niederländische Rechtsprechung viel häufiger von einer politischen Verfolgung bzw. einer Rückkehrgefährdung dieser Flüchtlinge aus. Zudem findet sich im niederländischen Asylrecht eine sog. “Es sein denn - Klausel”. Dies bedeutet, daß bei Flüchtlingen, die zuvor schon einen Asylantrag in einem Schengener bzw. Dubliner Vertragsstaat gestellt hatten, trotzdem auch noch ein Asylverfahren in Holland durchgeführt wird, wenn in ihrem Fall die Rechtsprechung in Holland zu einem positiven Ergebnis kommen würde. Diese Verfahren dauern in Holland in der Regel zwischen 3 und 9 Monaten. Chancen auf ein vorübergehendes Bleiberecht bzw. auf eine Anerkennung als Asylberechtigte/r haben z.B. Deserteure und Kriegsdienstverweigerer aus Restjugoslawien-Kosova, auch wenn sie bereits erfolglos in der BRD Asylanträge gestellt hatten. Voraussetzung ist, daß in Deutschland das Asylverfahren abgeschlossen ist, bzw. ein Abschiebeschutz nicht mehr besteht. Eine legale Einreise nach Holland ist in aller Regel ausgeschlossen. Ein Asylgesuch muß bei einem “AC” (Aanmeldcentrum) gestellt werden. Flüchtlinge, die aus Deutschland kommen, melden sich normalerweise im grenznahen AC Zevenaar. Es befindet sich hinter dem Bahnhof in der Spoorstr. Vor kurzem war ein Vertreter des Bayerischen Flüchtlingsrates in Holland. Er konnte mit einem Kosovoalbaner sprechen, der sich für eine Weiterwanderung nach Holland entschieden hatte. Auf die Frage, wie er denn ohne Visum nach Holland gekommen ist, sagte er: “So wie viele andere Kosovoalbaner: Freunde haben mich mit dem Auto nach Holland gefahren und in der Nähe des AC Zevenaar abgesetzt.” Am Mittwoch, den 20. Mai, ist wieder eine Massenabschiebung vom Flughafen München angesetzt. “Solange Bayern an seiner rücksichtslosen Abschiebepraxis festhält, wird der Bayerische Flüchtlingsrat auf die Möglichkeit der Weiterwanderung nach Holland hinweisen”, so Michael Stenger. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 ANTI-DISKRIMINIERUNG Aufruf zur Mitarbeit Niedersächsische Anti-Diskriminierungs- Melde- und Interventionsstelle. Gudrun Mane Im Rahmen der Recherche in unserem Projekt anläßlich des Europäischen Jahres gegen Rassismus sind wir unter anderem darauf gestoßen, daß ein großes Manko der antirassistischen Arbeit in der Bundesrepublik darin besteht, daß es kaum Stellen gibt, die Diskriminierungsfälle im Alltag systematisch aufnehmen und in Einzelfällen auch intervenieren. Zwar gibt es einige lokale antirassistische Telefone, die sich dieser Aufgabe stellen, doch kann man weder von einem auch nur annähernd flächendeckenden Netz solcher Stellen reden, noch gibt es überregionale Institutionen in diesem Bereich. Einige der antirassistischen Initiativen arbeiten rein auf der theoretischen Ebene und haben zu den Opfern von Rassimus und Fremdenfeindlichkeit wenig Kontakt. Auf der anderen Seite erfahren die Initiativen in der Migrationsund Flüchtlingsarbeit immer wieder von Diskriminierungsfällen, haben jedoch für die Bearbeitung solcher Fälle kein Instrumentarium und keine Stelle, die sie bezüglich solcher Fragen ansprechen können. Der Flüchtlingsrat plant die Einrichtung einer Anti-Diskriminierungs- Melde und Interventionsstelle. Vor diesem Hintergrund wollen wir, angegliedert an unsere Geschäftsstelle eine landesweite Anti-Diskriminierungs-Melde- und Interventionsstelle aufbauen. Um hierfür die nötigen Mittel zu aquirieren, haben wir bereits einen entsprechenden Antrag an die Kommission der EU gestellt. Wenn die Mittel bewilligt werden, können wir im Dezember diesen Jahres mit der Einrichtung einer Meldestelle mit zwei MitarbeiterInnen beginnen. Das Projekt soll in Zusammenar- beit mit Partnern in anderen europäischen Ländern durchgeführt werden. Zu Beginn des Projektes sollen zunächst die Erfahrungen der Projektpartner in den Niederlanden und England nutzbar gemacht werden, wo die AntiDiskriminierungsarbeit bereits stärker verankert ist. Gegen Ende des Projektjahres soll es eine Konferenz der Projektpartner zum Austausch über die Arbeitskonzepte geben. Für ein realistisches Bild über Formen und Ausmaß von Rassismus ist auch eine Dokumentation von Diskriminierungsfällen notwendig. Die Diskriminierungsfälle, die uns gemeldet werden, sollen systematisch erfaßt und dokumentiert werden. Auch über die Art und den Erfolg unserer Interventionen wollen wir Daten sammeln. Alle relevanten Informationen sollen dem Beauftragten der Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung gestellt werden, um so zu einem vollständigeren Bild des tatsächlichen Ausmaßes von Rassismus in der Bundesrepublik Deutschland beizutragen. Die systematische Erhebung der Diskriminierungsfälle erscheint uns insbesondere wichtig, da sie erstmals ein realistisches Bild über das Ausmaß von Rassismus vermitteln kann, zumal in den offiziellen Statistiken nur gewalttätige Übergriffe oder rechtsextreme Aktivitäten erfaßt werden. Die Vielzahl von Diskriminierungen im Alltagsleben, auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt oder im Schulwesen werden hingegen nicht systematisch erfaßt und unserer Einschätzung nach noch nicht einmal ernst genommen. Die Bundesrepublik braucht ein Antidiskriminierungsgesetz! Neben der Dokumentation von Diskriminierungsfällen und der Intervention in Einzelfällen soll die geplante Meldestelle Öffentlichkeitsarbeit - vor allem zur Einführung einer umfassenden Antidiskriminierungsgesetzgebung leisten. Es gilt hier, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, daß eine Gleichbehandlung von Menschen verschiedener Herkunft, Hautfarbe, Religion und/ oder Kultur nicht nur wünschenswert ist, sondern daß es auch gesetzlicher Regelungen bedarf, um dieses Prinzip wirklich durchzusetzen. Es gilt darzustellen, daß die Erfahrungen in anderen Ländern mit einer solchen Gesetzgebung tatsächlich meßbare Fortschritte auf diesem Gebiet belegen. Wir wollen unsere Antidiskriminierungsarbeit in engem Kontakt mit der Basis konzeptionieren und durchführen Unabhängig von der Entscheidung über den Finanzantrag wollen wir jedoch bereits jetzt damit beginnen, mit allen Interessierten in einen Austausch zu treten, um konzeptionelle Vorüberlegungen für diese Arbeit zu beginnen. Daher rufen wir hiermit dazu auf, mit Ideen beizutragen. Wer Interesse an einem Arbeitskreis zur Antidiskriminierungsarbeit in Niedersachsen hat, möge sich bitte in der Geschäftsstelle des Flüchtlingsrates melden. Auch werden wir bereits zu diesem Zeitpunkt Berichte über rassistische Diskriminierungen und über antirassistische Arbeit sammeln. Wir hoffen, daß es mit vereinten Kräften gelingen wird, die Antidiskriminierungsarbeit voranzutreiben. 57 BÜRGERKRIEG Ne znam. Ich weiß nicht, wie es weitergeht. Heike Mahlke Liebe Redaktion vom “Flüchtlingsrat”, meine Frau Heike Mahlke, die seit mehr als 4 Jahren hier im Wendland die Initiative »den Krieg überleben - Regionalgruppe Wendland« leitet, ist zZt in Bosnien, um vor Ort zu erfahren, welche Möglichkeiten der Rückkehr es gibt für die etwa 40 Bosnier, die hier bei uns sind. Sie hat mir den folgenden Aufsatz gefaxt und gebeten, ihn an Euch weiterzuleiten mit der Bitte um Veröffentlichung. Freundliche Grüße Gottfried Mahlke Ne znam. Ich weiß nicht, wie es weitergeht. Zwei Jahre sind vergangen, seit ich in Sanski Most, in Bosnien gewesen bin als Vertreterin der Initiative „Den Krieg überleben, Regionalgruppe Wendland“. Nun bin ich wieder in der Stadt. Ich möchte Menschen treffen, die als Flüchtlinge im Wendland gelebt haben und von unserer Initiative betreut worden sind, und ich möchte mich informieren über Möglichkeiten für diejenigen, die in diesem Sommer aus dem Wendland nach Bosnien zurückkehren müssen. Mich interessieren Begegnungen und Gespräche, um etwas zu erfahren über die Lebenssituation der Menschen hier. 1996 hatte uns der Bürgermeister der Stadt gesagt: „Die Familien, die bei Ihnen leben, können alle nach Sanski Most kommen.“ Zu der Zeit lebten 30.000 Menschen in der Stadt, etwas weniger als halb so viel wie vor dem Krieg. Heute, zwei Jahre später, ist die offizielle Zahl bei 65.000 angelangt, die inoffizielle Zahl liegt bei 70.000 EinwohnerInnen. Diese Menschen sind zu einem großen Teil Flüchtlinge. Sie kommen aus 72 Orten der jetzigen 58 Republik Srpska, in die sie noch nicht zurückzukehren wagen. Die Stadt ist überfüllt. Es gibt keinen Wohnraum mehr. In vielen Gesprächen geht es um die Frage: Was passiert, wenn im Sommer noch tausende von Flüchtlingen aus Deutschland nach Sanski Most kommen werden? Ich frage meine Gastgeberin: „Was wird sein, wenn im Sommer Dein Bruder mit Familie zurückkehren muß?“ - „Ne znam. Ich weiß nicht.“ Die meisten Familien wohnen schon so beengt, daß ein Zusammenrücken nicht mehr möglich ist. Niemand wagt darüber nachzudenken, daß es die eigenen Verwandten treffen könnte, im Auffanglager untergebracht zu werden. In Sanski Most werden mit Ferienbeginn Schulen für zurückkehrende Flüchtlinge geöffnet. Ich frage Ado: „Meinst Du, daß nach den Ferien für Euch die Schule weitergeht?“ Er zuckt die Schultern: „Ne znam.“ Seit ich hier bin, geht mir nicht der Brief des Niedersächsischen Innenministers Glogowski aus dem Sinn, den er im März dieses Jahres an die bosnischen Flüchtlinge in Niedersachsen geschrieben hat. Er fordert sie darin auf, in ihr Land freiwillig zurückzukehren, weil die deutsche Bevölkerung es von ihnen erwartet und auch die eigenen Landsleute, andernfalls droht er die Abschiebung an. Herr Glogowski irrt. Die Menschen hier fürchten sich davor, daß sich ihre Situation durch diejeneigen, die zurückkehren, noch weiter verschlechtern wird. Viele Menschen, denen ich begegne, erzählen mit großer Wärme von ihrer Zeit in Deutschland und den Menschen, die sie dort aufgenommen haben und gleichzeitig von der schlimmen Erfahrung, nun an einem Ort zu sein, der nicht ihre Heimat ist, ohne genügend Wohnraum, ohne Arbeit, mit wenig oder gar keinem Einkommen. Ein Freund führt mich zu Fatima. Bewegt fallen wir uns in die Arme. Sie kramt die Fotos aus dem Wendland hervor. Die Menschen in der Initiative konnten ihr die schlimmen Kriegserfahrungen nicht nehmen, aber sie konnten ihr helfen, den Alltag zu bewältigen. Jetzt lebt Fatima mit ihrem Sohn in einem Zimmer. Sie ist alt, herz- und zuckerkrank. Sie hat Wasser in den Beinen und kann kaum laufen. Fatima bekommt kein Geld. Sie kann sich nicht krankenversichern. Bisher hat sie von der finanziellen Unterstützung ihrer Kinder in Deutschland gelebt und Medikamente kaufen können. Wenn als letzte im Sommer die Tochter zurückkehren muß, gibt es kein Geld mehr. Und dann? „Ne znam.“ Fatima ist kein Einzelfall. Der größte Teil der Menschen hier lebt von der Unterstützung von Verwandten im Ausland. Die Arbeitslosigkeit liegt zwischen 80 und 90 %. Wenige Fabriken haben ihren Betrieb wieder aufgenommen. Da es kein Geld gibt, um Maschinen zu reparieren, arbeiten sie zu 30 %. Die humanitäre Hilfe ist deutlich zurückgegangen. Flüchtlinge, die nach dem 1. Juli 1997 nach Sanski Most gekommen sind, erhalten keine Zuwendungen vom UNHCR (Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen). Emira hat in den letzten beiden Monaten ihre Rente von 70,- DM nicht mehr bekommen und macht sich Sorgen, wie sie die 100,- DM für Insulin jeden Monat aufbringen soll. Nasiha hat seit zwei Monaten keinen Lohn erhalten, obwohl sie in einer Holzfabrik Schwerstarbeit leistet. So ist in allen Gesprächen neben dem knappen Wohnraum das fehlende Geld das beherrschende Thema. Der stellvertretende Leiter des Sozialamtes, den wir schon 1996 als einen sehr engagierten Mann kennengelernt haben, hat uns berichtet, daß das Gesundheitswesen und die sozialen Strukturen noch große Mängel aufweisen. Die Rückkehr von alten Menschen, von kranken und behinderten und von alleinstehenden, älteren Frauen stellen für die Stadt ein unüberwindbares Problem da. Es gibt für sie keine Einrichtungen, die sie aufnehmen könnten. Darüberhinaus gibt es gerade für diesen Personenkreis keine Krankenversicherung. Wer soll Arzt- bzw. Krankenhaus kosten und Medikamente bezahlen? Ein drittes Thema schleicht sich beinahe in jedes Gespräch ein. Es ist die Sehnsucht, in die Heimat zurückkehren zu können. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 BÜRGERKRIEG Viele Menschen in Sanski Most haben ihre Heimatorte im serbisch besetzten Teil von Bosnien inzwischen besucht und mit denjenigen gesprochen, die in ihren Häusern leben. Oft sind es serbische Flüchtlinge aus Kroatien oder aus Gebieten Bosniens, in die sie wiederum nicht zurück können. Die Erfahrungen sind unterschiedlich: von freundlichen Gesten bis zu grober Abweisung. Entsprechend unterschiedlich sind auch die Einschätzungen, wann es möglich sein wird, in die Heimatstadt bzw. das Heimatdorf und das eigenen Haus zurückkehren zu können. Die Sehnsucht ist groß und die Angst sitzt tief. „Was meinst Du, wann wirst Du nach Dubica zurückkehren können?“ frage ich Tajba. „Ne znam“, antwortet sie traurig und versucht die Tränen zu verbergen. Manchmal ertappe ich mich nach Gesprächen, die von Resignation und Hoffnungslosigkeit geprägt sind, daß ich nach Hoffnungszeichen suche. Für mich ist ein solches Hoffnungszeichen, die engagierte Arbeit des stellvertretenden Leiters des Sozialamtes. Als ehemaliger Sonderschullehrer versucht er neben seiner alltäglichen, zermürbenden Arbeit Projekte ins Leben zu rufen für sprachbehinderte und verhaltensgestörte Kinder. Hoffnungszeichen sind für mich die 3 Mitarbeiterinnen beim Malteser Hilfsdienst. Geduldig und freundlich hören sie sich immer wieder die schlimmen Kriegserfahrungen von Menschen an, die zu ihnen kommen und um Rat fragen. Sie organisieren Gesprächskreise für Frauen, vermitteln rechtliche Un- Ziel: Vor dem Hintergrund auslaufender Duldungen bosnischer Flüchtlinge aus der Republik Srbska so viel wie möglich Informationen über dieses Gebiet um den Raum BANJA LUKA zu erhalten. Schwerpunkt war die Ermittlung der Verhältnisse nach dem Umzug der Regierung von Pale nach Banja Luka. UNHCR BANJA LUKA, - Radiojevic Radivoje, stellvertr. Flüchtlingsminister der Republik Srbska, - stellvertr. Bürgermeister der „offenen Gemeinde“ Laktasi, - moslem. Hilfsorganisation Merhamet, BANJA LUKA, - Besichtigung eines Projektes zur Förderung von Frauen (Hillary Clinton), - Bürgermeister u. Stellvertreter der Stadt Doboi-Ost, - Entwicklungsgesellschaft Tuzla als Teil der Gesellschaft für Techn. Zusammenarbeit, - Transit-Flüchtlingslager SredniJE, - Arbeitsstab Scheele in SARAJEVO, - Deutscher Botschafter in Sarajevo, Herr Graf von Bassewitz, - Deutsches Beratungsbüro für rückkehrfördernde Maßnahmen und Hess. Verbindungsbüro SARAJEVO, - Büro des Hohen Repräsentanten (OHR) SARAJEVO - Frau Bärbel Bohley (Verantwortl. für das Dacherneuerungsprogramm), - Eduard Hoffmann, Repräsentant der Deutschen Wirtschaft in Bosnien-Herzegowina, - Mehmed Alagic, General und Oberbürgermeister der Stadt SANSKI MOST.. Teilnehmer: Vertreter/Innen folgender Organisationen und Institutionen haben an der Reise teilgenommen: (Teilnehmerliste siehe Anlage) - Verwaltungen der Länder Hessen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen - Landtagsabgeordnete aus Hessen und Rheinland-Pfalz - Malteser Werke - Caritasverband Mainz - Diakonisches Werk Hessen und Nassau - Flüchtlingsräte - Hessischer Verwaltungsgerichtshof Kassel Gesprächsteilnehmer und Anlaufpunkte: - Bischof (röm. kath.) Dr. Franjo Komarica, BANJA LUKA, - Thomas Reuter, Leiter des Malteser Hilfsdienst Bosnien, - Axel Bisschop, Program Officer terstützung, weisen Ratsuchenden Wege, wo sie vielleicht Hilfe bekommen können. Auch die beiden Frauenorganisationen „KRAJISKA SUZA“ und „SRCEM DO MIRA“ sind für mich ein Hoffnungszeichen in ihrem Bemühen, Frauen zu helfen, mit ihren schrecklichen Kriegserfahrungen fertig zu werden und Schritte des Friedens aufeinander zu zugehen. Damit diese Hoffnungszeichen eine Chance haben, ist es nötig, daß die europäischen Länder, vor allem die Bundesrepublik Deutschland, in diesem Jahr keine zwangsweise Rückführung der Flüchtlinge durchführen und stattdessen die freiwillige Rückkehr der Flüchtlinge behutsam und gemessen an den realen Lebensbedingungen in Bosnien fördern. Sanski Most, 14.5.98 Heike Mahlke FLÜCHTLINGSRAT SCHLESWIG-HOLSTEIN Oldenburgerstr. 25, 24143 Kiel, Tel 0431-735000 Fax 0431-736077 Bericht über eine Reise Nach Bosnien-Herzegowina und die Republik Serbien 01.03. - 07.03. 98 Reiseroute: Bihac - Bosanska Krupa - OTOKA - BOSANSKI NOVI - Prijedor - Kozarac - BANJA LUKA - Laktasi Derventa - Doboi/Klocotnica Tuzla - Srednica - SARAJEVO - Pale - TRAVNIK - DONJ VAKUF - Jajce - Kljuc - Sanski-Most - Bihac. Die Häuser an der Frontlinie Bosanska-Krupa/Otoka sind teilweise wieder aufgebaut, dennoch sind immer noch viele Häuser zerstört oder stehen als Ruinen völlig offen. 59 BÜRGERKRIEG Bosanska Krupa: Zahlreiche Wiederaufbauten und Renovierungen heben den bei der letzten Reise entstandenen Eindruck einer totalen Zerstörung - besonders im Zentrum - wieder auf. Die Moschee ist wieder aufgebaut. PRIJEDOR: Einwohner 70.000, Flüchtlinge 40.000, überwiegend aus der Kraina und der Förderation. Im zentralen Kaufhaus der Stadt vorwiegend leere Regale, ungeheizt und unbeleuchtet. Die Kinder der Flüchtlinge werden „Tschetniks“ genannt, Stigmatisierung erfolgt durch Dialekt und den Flüchtlingsstatus. Die Häuser sind weitgehend intakt. KOZARAC: Die Stadt hatte 12.000 Einwohner (90 % Bosniaken), sie ist zu 100 % zerstört. Ein Vetriebener aus Westslawonien, von Beruf Bauschlosser, sein Haus dort ist zerstört, alle Verwandten tot, versucht ein Haus für Serben bewohnbar zu machen. Dies dürfte nur noch bei einigen wenigen Häusern gelingen. Strecke Prijedor-Banja-Luka - hohe Zerstörung der Gebäude (überwiegend Kategorie 6 Neuaufbau notwendig). BANJA LUKA: Bischof Dr. Komarica: „Haß ohne Boden nutzt niemandem. Die Hälfte der Kroaten in BANJA LUKA ist vertrieben. Von 35.000 Kroaten vor dem Kriege sind nur 6.000 geblieben. Von diesen sind 60 % über 70 Jahre alt, sie sind auf die Hilfe der Caritas angewiesen.“ Er hofft auf Unterstützung durch Außenminister Kinkel. Der Bischof plädiert für ein Heimatrecht für Serben und Kroaten. Die Unentschlossenheit der internationalen Vertreter behindert den Regulierungsprozeß. Die Deutschen könnten die „erwünschte“ Ordnung bringen. „Aufbauhilfen stärken das Regime - ist Serbien darüber hinaus bereit, Strukturen zu verändern?“ Unsere Betrachtungsweise und das Umsetzen demokratischer Strukturen ist grundsätzlich verkehrt weil „die Leute das nicht verstehen“. Wir verlängern dadurch nur die be60 stehende Situation, Entschlossenheit ist notwendig. Wir fördern die negative Entwicklung, aber „multikulturelles Leben muß möglich sein“. „Wir wollen einen bürgerlichen Staat, die neue Regierung Dodik nicht“. „Das Eigentumsgesetz ist Hohn Flüchtlinge und Vertriebene wohnen in fremden Häusern und der Vermieter (Staat) kassiert. „Die serbischen Führer haben sich an den eigenen Leuten und den Nachbarn schuldig gemacht“. Viele Binnenvertriebene besetzen die Häuser von Kroaten und Bosniaken. Serben könnten ohne weiteres in ihre Heimatorte Sipovo, Bosanski Petrovac und Mirkonjic Grad zurückkehren. „Die Republik Serbien ist kein Rechtsstaat, warum haben die Verantwortlichen keine Kompetenzen, angeordnete Maßnahmen durchzuführen? Seit dem 24. Aug. 95 ist ein Pastor entführt worden, wir wissen, daß er in einem Privatgefängnis gehalten wird. Allen ist dies bekannt keiner unternimmt etwas. Solange nur Pflaster aufgelegt werden, statt die Wunden zu heilen, legt dies den Grund für eine neue Katastrophe“. „Unterstützung ist notwendig und soll geleistet werden, aber knallharte Politik mit Forderungen und Auflagen. Es geht um das Prinzip unserer Zivilisation!“ „Der Bürgermeister hat sich für eine offene Stadt erklärt, mit freiem Zugang, Wohnungsinstandsetzungsprogramm usw. Wir erwarten dies für diese Stadt. Es ist unbedingte Notwendigkeit, erst Vorbedingungen zu schaffen, dann Flüchtlinge zurückzuschicken! Die Hilfeleistungen müssen an klare Vorbedingungen geknüpft sein. Sie schicken die Menschen zu ihren Henkern zurück.“ (Beispiel von Fuchs und Hühnern). „Die Schaffung eines Büros für Rückkehrer hat uns neue Hoffnung gegeben. Vorrang müssen Menschen haben, die in ihre eigenen Häuser zurückkehren. Es gibt viele Leute, die eigene Häuser in anderen Gebieten haben und in fremden Häusern in BANJA LUKA leben.“ Menschen, die in Häusern der Kategorie 5 und 6 leben, sind doppelt bestraft. Einerseits stehen sie vor einem völlig zerstörten Haus, andererseits wurde bis jetzt für die Kategorie 5 und 6 kein housing-program realisiert. Es besteht dringender Handlungsbedarf. In mehr als 30 Fällen haben Kroaten gerichtlich die Rückkehr in ihre Häuser erstritten, die Urteile seien aber nicht vollstreckt. „Diese Leute müssen zurück in ihre eigenen Häuser. Rückkehrwilligen soll der Aufbau ihrer eigenen Häuser ermöglicht werden. Viele Serben haben sich in Kroatien schuldig gemacht, deshalb wollen sie nicht zurückkehren. Weil dies so ist, läßt man kaum Kroaten nach BANJA LUKA zurück. Es darf keine Quotierung geben, allen Rückkehrwilligen muß erlaubt sein, zurückzukehren! Die Politiker wollen keine Serben nach Kroatien zurückschicken, damit Kroaten nicht zurückkommen können. Dies verfestigt die ethnische Säuberung.“ „Die Eröffnung eines kroatischen Generalkonsulates in BANJA LUKA steht bevor. Dort können in Zukunft rückkehrwillige Serben für die Kraina Pässe erhalten. Weil der Druck der BRD und von anderen nicht stark genug ist, schickt die BRD in ethnische Mehrheitsgebiete zurück. Das ist ethnische Säuberung festgeklopft mit Hilfe der BRD!“ „Kroaten und Muslime haben in der Schwerindustrie und in Fabriken gearbeitet (Fa. Salamander). Es gibt keine Rückkehraufforderung für sie aus BANJA LUKA, die Arbeiter fehlen. Sie (die Hilfsorganisationen) geben Geld für das Fernsehen, ohne diese Bevölkerungsgruppen zu berücksichtigen. Ohne Gegenstimme glaubt die Bevölkerung die Versionen der Regierung.“ So darf der Präsident der Kraina-Posavina-Serben ungestraft polemisieren und erklären, daß kein Kroate zurückkehren darf, ohne daß sich eine Gegenstimme erhebt. Der Bischof selbst wird „totgeschwiegen“. Thomas Reuter: „Vorrang hat die Rückkehr von <internal displaced persons> - damit muß die Rück- FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 BÜRGERKRIEG kehr von Flüchtlingen aus dem Ausland zurückgestellt werden.“ 165.000 sollen zurück in die Republik Serbien, davon 130.000 Muslime. UNHCR schätz 800.000 Vertriebene innerhalb Bosniens, noch 650.000 Flüchtlinge leben in Drittländern. Er spricht sich für eine „interne“ Erlaßregelung aus, die die Reihenfolge der Abschiebungen festlegt. Geographisch/Minderheit/Majorität? Die Rückkehrberatungsstelle in BANJA LUKA bietet Auskunft und Beratung für Einzelpersonen. Es gibt Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit der NGO´s mit dem Deutschen Beratungsbüro, keine formelle Zusammenarbeit mehr, aber sehr wichtiger Ansprechpartner trotz Schwierigkeiten. Platz für die Rückkehr vertriebener Kroaten und Muslime nach BANJA LUKA schaffen würden. Probleme bestehen für Rückkehrer, die ihre Wohnung besetzt vorfinden. haben ein (jedoch noch nicht offizielles) Konsulat. Man erwartet von der neuen Regierung, daß sie ihre Zusagen wahr macht. Voreiliger Optimismus ist unangebracht. Die Erklärung zur „offenen Stadt“ bedarf der Verifizierung durch UNHCR. LAKTASI hat die Verifizierung am Vortage erhalten. Dort befinden sich innerhalb der Gemeinde 50.000 Vertriebene. 60 % der in den Flüchtlingszentren lebenden sind über 60 Jahre alt, scheiden also für das Erwerbsleben aus. Die Regierung will diese Menschen aus den Sammelunterkünften (collective centers) in freiwerdenden Wohnungen unterbringen. Der UNHCR plant für diese Gruppe „geriatric centers“, also Alten- und Pflegeheime. Im Kanton UNA SANA gibt es ein Recht für Vertriebene und Rückkehrer, zeitweilig in fremden Häusern zu wohnen, bis der rechtmäßige Eigentümer zurückkommt. Danach ist der Platzmangel ein riesiges Problem, auch für Mehrheitenrückkehrer. Es gibt eine international police task force (UN-Polizei), angestrebt sind 20.000 (?) Rückkehrer mit freier Ortswahl und Niederlassungsrecht. Axel Bisschop: Sein Verantwortungsbereich deckt 3 Regionen, Kanton Una-Sana, BANJA LUKA und einen weiteren Kanton. Im ganzen Land besteht eine Gesellschafts- und Werteveränderung durch den Krieg. Durch den Krieg ist die Situation entstanden, daß 30 % der Familien keine Kontakte mehr haben. Das Prinzip, Wohnraum freizumachen, ruft eine Kettenreaktion hervor. Es entsteht Druck und Einfluß auf andere Gebiete. „Informationsreisen“ sind ungeheuer wichtig. Der UNHCR leitet organisierte Besuche mit eigenen Buslinien. Der neue Flüchtlingsminister der Republik Serbien stimmt den Maßnahmen des UNHCR grundsätzlich zu. Die jetzige Regierung war nicht in den Krieg involviert, dies macht Verhandlungen leichter. Büros des UNHCR gibt es auch schon in allen kleineren Städten. Ehemals serbische Gebiete mit Minoritäten haben Rückkehrer. Kroatische Gebiete wie DRVA versuchen, kroatische Rückkehrer und Übersiedler anzusiedeln, um Rückkehrer anderer Ethnien zu verhindern. BANJA LUKA hat viele serbische Vertriebene aus der Kraina. Es wird versucht, von der kroatischen Seite Papiere für Flüchtlinge zu erhalten, um „Informationsreisen“ in die Föderation möglich zu machen. Die Regionen PRIJEDOR, BANJA LUKA, DOBOI stellen das Hauptkontingent der ausländischen Asylsuchenden. Viele sind zurückgezogen, aber nach SANSKI MOST. Die Wiederaufbaugruppe (RRTFreturn and reconstruction task force) hat fünf Gebiete definiert, um mehr Druck auf kroatische Behörden auszuüben, Rückkehrer aufzunehmen (minority returns). Rückkehr in die Städte, in denen nach den Kommunalwahlen die Minderheit nunmehr die politische Mehrheit stellt, hat Priorität. So ist z. B. für Drvar, Bos. Grahovo und Glamoc die Rückkehr von ca. 10.000 vertriebenen Serben aus dem Großraum BANJA LUKA vorgesehen, die entsprechenden Probleme in PRIJEDOR und SANSKI MOST entstehen nicht bei den Rückkehrwilligen, sondern bei der Gruppe, die eine Rückkehr verhindern will. Die vertriebenen Kraina-Serben könnten für die Rückkehr von Bosniaken dort Platz schaffen. Unterkünfte und Zustand der Häuser in der Kraina sollen geprüft werden. Die aus PRIJEDOR Vertriebenen warten in SANSKI MOST auf Rückkehrmöglichkeiten. Die neue Regierung öffnet sich und die Grenzübergänge nach Kroatien (Bosanska Gradiska) und damit zu Europa. Es gibt seit der letzten Woche eine offizielle Fluglinie BANJA LUKA- BELGRAD und damit weiter nach ÖSTERREICH. Das kroatische Konsulat will ein Büro eröffnen, die USA Radivojevic Radiovoje: Nach 96 hatte BANJA LUKA 46.000 Flüchtlinge (überwgd. aus Kroatien), in der ganzen Förderation waren es 416.000. In der Republik Serbien gibt es 62 Zentren in 24 Gemeinden mit ca. 7042 Personen. 7 Sektoren in mehreren Verantwortungsbereichen sind vollkommen offen für Flüchtlinge, die 1. Phase kann stattfinden. Dies bedeutet, daß Rückkehrer in die leeren Häuser kommen können, die aber sehr beschädigt sind. Laut UNHCR sollen 50 % für eigene, 50 % für aus dem Ausland kommende Flüchtlinge zur Verfügung stehen Die geplante 2. Phase der Rückkehrer ist geplant in Häuser, wo sich Kroaten befinden. Dies geht nur auf Basis der Freiwilligkeit, sonst muß eine andere Unterkunft gesucht werden. Das neue Programm umfaßt Wiederherstellung ab obere Decke, dann ein Wohnungsbauprogramm für die Eigentümer, die zurückkehren. Zwischen SANSKI-MOST und PRIJEDOR gilt die Vereinbarung v. 07.02. 97 zur gemeinsamen Rückkehr. Die Tendenz entwickelt sich in den Gemeinden zur offenen Stadt. Für den Ort MODRICA gibt es eine Rückkehrerliste in Abstimmung mit der Verwaltung, die sich nur in einem Fall schwierig gestaltete wegen Straftaten. Es gibt eine große Rückkehrunwilligkeit Ausland-Heimat und Stadt/Land wegen des unterschiedlich hohen Lebensstandards. Z.b. könnten 123 Rückkehrer in durch eine Schweizer 61 BÜRGERKRIEG Organisation aufgebaute - Häuser zurück, sie gehen nicht wegen der Entfernung zur Schule und mangelnder Ausbildungsund Arbeitsmöglichkeiten, die Entfernung zum nächsten Krankenhaus beträgt 80 km. Ein neues Amnestiegesetz für die Republik Serbien und die Föderation wird vorbereitet. Alle Deserteure werden schnell nach diesem Gesetz amnestiert werden. Zur Todesstrafe macht der Minister keine Aussage, er sei Ingenieur und kein Jurist. Es gibt ein Gesetz der Förderation ohne Entsprechung in der Republik Srbska, eine genaue Definition wird noch erwartet. Es gibt eine Konferenz im März zur Rückkehr nach BANJA LUKA analog zur Konferenz zur Rückkehr nach SARAJEVO. Das Thema ist die Rückkehr von Kroaten und Moslems. Vor der Neubesetzung durch rückkehrende Eigentümer steht die Situation der im Haus befindlichen Familie. Nach alternativen Unterbringungsmöglichkeiten wird gesucht. Die Rückkehr ist keine politische Frage mehr, sondern eine rein wirtschaftliche. Man kann niemanden, der ein Haus in der Föderation hat, zwingen, aus BANJA LUKA wegzugehen. Es gibt keine Liste über diese Gruppe. Es existiert aber ein Gesetz zum Bezug des eigenen Hauses. „Krainaserben werden wir hier nicht zwingen zur Rückkehr in die Föderation. Es bestehen noch keine Bedingungen, die dies möglich machen. Die Erwartung, daß Kroaten in die Föderation zurückkehren, ist unreal. Grund: Ostslawonien und alle damit zusammenhängenden Probleme.“ LAKTARSI: (Herr Caygugc) Der Präsident des Gemeinderates hat die Stadt zur Offenen Stadt erklärt. 1991 hatte die Gemeinde 30.000 Einwohner, jetzt 36.000. Die Gemeinde hat - auch schon im sozialistischen System - frühe Strukturen zur privatwirtschaftlichen Initiative geschaffen. Es gab ca. 500 kleine Unternehmen mit 50.000 Beschäftigten, nach dem Krieg nur noch 10.000 Beschäf62 tigte. Dayton soll weiter durchgeführt werden, deshalb am 02. 03. Erklärung zur offenen Stadt, als 4. Gemeinde der Serbischen Republik. Eine Zeitlang hatte die Gemeinde bis zu 15.000 Flüchtlingen, jetzt noch 6.000, davon ca. 1200 aus SANSKI MOST und ca. 1000 aus Kroatien. Die indirekten Schäden sind sehr groß. Ca. 30.000 ehemalige Einwohner anderer Ethnien haben die Häuser und Wohnungen verlassen, diese wurden getauscht mit Objekten in Kroatien. Es gibt noch viele ungelöste Unterkunftsprobleme der Flüchtlinge hier. Es gibt noch 900 Vertriebene aus Westslawonien. Wir sind nicht in der Lage, alles allein zu lösen. Die einzige Lösung ist die Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimatorte. Es gibt eine Liste aller Gruppen, die bei gemeinsamen Interesse einen Austausch zu erreichen. Bisher sind viele Menschen in den Wochenendhäusern untergebracht. Rückkehrer gibt es bisher ca. 35 Familien (Bosniaken, die temporär in anderen Häusern untergebracht werden müßten) sowie 200 kroatische Familien. Es gibt Bedingungen für die organisierte Rückkehr: Beschäftigungsmöglichkeit, Realisierung der Wohnbedingungen. Der Haß in dieser Gemeinde war geringer, es gab auch keine direkten Auseinandersetzungen. Dies ist eine spezielle Situation, die Geflohenen hatten/haben dennoch in der Regel Angst. Wir haben großes Interesse an der Rückkehr der Flüchtlinge. Die Rückkehr kroatischer Flüchtlinge (nach Kroatien) ist offiziell möglich, praktisch jedoch nicht. Es ist zusammen mit dem UNHCR ein Fragebogen nach dem Rückkehrwunsch erstellt worden, 80 % der Kroaten wollen nicht zurück, der Grund ist Angst. Andere Flüchtlinge wollen zurück, z. B. nach DRVA 80 %, sogar in Gruppen, weitere 30 40 % nach einem größeren Zeitraum, auch hier ist der Grund Angst. Im Moment gibt es ca. 1000 Beschäftigte, der Anteil der Muslime in % ist nicht erfaßt. Der Status „offene Stadt“ wurde angeregt durch internationale Organi- sationen und durch Präsident Dodik. Rückkehrer können nicht sofort in ihr eigenes Haus, vorübergehend bis zum Freiwerden der Wohnung müssen sie bis zur Klärung der Wohnfrage in Wohnmöglichkeiten für 40 vorübergehend nutzbare Wohnungen ausweichen. Zuerst wird der Zustand des Hauses geprüft, dann der augenblickliche Nutzer, dann woher der Anspruchsteller gekommen ist. Rückkehrer werden vorübergehend untergebracht, bis der Flüchtling/Vertriebene aus seinem Haus gehen kann. Was passiert mit rückkehrenden Kroaten? „Vielleicht wären sie lieber an der Save geblieben!“ Merhamet: (Ziedim Smajlovic) Die Unterstützung durch die BRD während des Krieges war wichtig und notwendig. Vor dem Krieg gab es auf dem Gebiet der Gemeinde BANJA LUKA 40.000 Bosniaken heute 4.000, die bis heute geblieben sind, also etwa 10 %. „Es war eine schwierige Zeit für uns, aber wir haben überlebt. Wir haben den Eindruck, daß wir vergessen worden sind. Es ist ein Wunder, daß 4000 übriggeblieben sind. Wir geben allen Hilfe, ¼ sind keine Moslems, die Hilfe bekommen. WHO und ADRA, ASB, EU, dän. und holl. Organisationen sind die Unterstützer. Wir erhalten nur Mehl und Öl, und das ist nicht ausreichend. Es gibt 50 % Ältere, wenig Kinder und damit andere Bedürfnisse. Das am häufigsten benutzte Wort ist Rückkehr. Die Leute, die ihre Häuser verloren haben, können nicht hinein, sie leben daneben. Das erste Zeichen für Normalität wäre, daß Leute aus BANJA LUKA wieder in ihre Häuser in BANJA LUKA können. So könnten sie eine Entscheidung treffen, hier wieder hierher zu kommen. Wenn die Wohnungen leer sind, kann wieder neu begonnen werden. Wohnmöglichkeiten, Sachleistungen oder Geld - so eine Hilfe kann andere dazu bringen, nach Hause zu kommen.“ „Wir können die Bedürfnisse der Leute nicht befriedigen von der Geburt bis zum Tode. Ärzte müssen mit Medikamenten in die Dörfer, weil diese Leute dort nicht behandelt werden. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 BÜRGERKRIEG Wir betreiben eine Armenküche. Es gibt kein Fleisch. Die Älteren haben nur dies zur Versorgung. In Zusammenarbeit mit der EU haben wir eine Computerschule (4 Computer) gegründet. Es gibt 72 Teilnehmer. Wir leisten Hilfe für Holz (Heizung)“. „Unsere 40 Mitarbeiter erhalten kein Geld, sie arbeiten für ein Essenspaket. Wenn möglich, nehmen wir eine monatliche Mitgliedschaftsgebühr. Da Moslems keine Waffen haben dürfen, halten wir uns serbische Nachtwächter z. B. um die Computerschule zu bewachen. Dies ist noch immer notwendig.“ „Nach dem Krieg sind sehr wenig Kinder geboren worden. In der Schule gibt es keine Diskriminierung, der einzige Unterschied ist, daß serbische Kinder Religionsunterricht erhalten. Es findet jedoch keine Vermittlung bosniakischer Kultur statt.“ „Wir setzen unsere Hoffnung auf die neue Regierung. 14 % Bosniaken sind im Stadtrat von BANJA LUKA vertreten. Merhamet ist der einzige Ansprechpartner für Hilfesuchende. Früher gab es 16 Moscheen in der Stadt, heute steht keine einzige mehr. Die Ferhatia Moschee stand unter dem Schutz der UNESCO, sie ist dem Erdboden gleichgemacht. Es gibt einen Initiativkreis zur Errichtung neuer Moscheen, dies ist ein wichtiger symbolträchtiger Punkt. Von 40.000 Menschen aus BANJA LUKA haben nur 1 % eine Beschäftigung. Es gibt nur die humanitäre Hilfe, am besten ist es, wenn die Rückkehrer kommen und sehen. Viele entscheiden sich, trotz der widrigen Verhältnisse, zu bleiben. Viele der von Merhamet Betreuten leiden Hunger. Soviel uns bekannt ist, liegt die Armutsgrenze bei 2 Dollar, DM 1 am Tag wäre schon Reichtum. Informationsreisen sind ein gutes Mittel. Es gibt 26.000 Vertriebene in Westeuropa und dem Ausland. (Liste vorhanden, Verein der Freunde SANSKI MOST/BANJA LUKA: Wir denken, daß sie zurückkehren werden. Merhamet leistet Vereinshilfe und Hilfe für die Mitglieder. 1997 haben 65.000 Krankenhilfe erhalten und 13.000 Personen haben Hilfe be- kommen, dazu 14.000 Nichtbosniaken, darunter 10 Romafamilien.“ „Besetzer der Muslimhäuser kommen aus der Kraina, Eigentumsansprüche sind trotz Gerichtsverhandlung kaum durchzusetzen. Erfolgreich waren 119 Fälle seit 1996. 270 Familien und 600 Personen warten noch auf das Ergebnis der Gerichtsverhandlung. Die Chance ist gering, Verzögerungen sind üblich. Es gibt wenige unparteiische Richter und andere, die die Entscheidungen mutwillig verzögern. Menschen, die in der Stadt wohnen, haben eine Chance durch das Gesetz über verlassene Vermögen. Frau Plasvic hat Zusagen für Kroaten aus kleineren Orten, zurückzukommen.“ „Es gibt kein Sozialamt, es gibt Hilfe beim zuständigen OrgNGO vor Ort für Familien, die schon da sind. Bosniaken erhalten keine Sozialhilfe, wenn sie bei der Armee waren.“ DOBOI: Bürgermeistr. trotz vereinbartem Termin angeblich nicht da. Kein Empfang durch Stellvertreter. Auf Nachfragen bei Bürgern der Stadt: Es gibt keinen muslimischen Teil. Der Weg dahin ist unbekannt. Doboi-Ost existiert nicht. Stellvertr. Bürgermstr. (Herr Ramic Mujkic) u. Bürgermstr. DOBOIOst: (Herr Hasib Subasic) Er ist vertrieben aus DOBOI und beschäftigt sich mit Flüchtlingsfragen, Gesundheit und Sozialangelegenheiten. „Die Gemeinde hat nur noch den 10. Teil an Fläche und Einwohnerzahl als früher. Es gibt noch 13.500 Einwohner, die von hier stammen und 3.500 Vertriebene, überwiegend Bosniaken. Viele Mischehen. Eine Rückkehrfamilie ist in das instandgesetzte Haus zurückgekehrt, 5 weitere serbische (!) Häuser haben Priorität bei der Wiederherstellung, sobald Geld vorhanden ist. Die Gemeinde war von 3 Seiten okkupiert. Wir wollten einfach nur überleben. In Kriegszeiten kostete 1 ltr. Öl DM 30.00, aber es war kein Geld vorhanden. Der Ort gehört zur Föderation seit Sept. 92 als eigene Gemeinde. Diese Selbstorganisation ist Überlebensschutz. (Nähe zu DOBOI). Dayton soll durchgeführt werden und daß alle Bürger aller Nationalitäten das gleiche Recht haben. Zur Verhinderung eines Genozids sollen alle Menschen in ihre Häuser zurückkommen. 450 Häuser sind aufgebaut. Wir denken, daß alle Ethnien den Anspruch haben, zurückzukehren.“ „Ich bin als Mensch und Amtsperson dafür, daß Menschen zurückkehren können, wenn sie wollen. Das ist die einzige Chance, zu normalen sozialen Verhältnissen zurückzukommen. Solange in DOBOI und anderen Stellen die Kriegsverbrecher herumlaufen, ist eine Rückkehr nicht möglich. Ich hatte eine Wohnung in DOBOI von 100 m2, und lebe jetzt auf 10m2. Meine Familie und ich werden eines Tages nach DOBOI zurückkehren. Die Kriegsverbrecher in der Behörde in DOBOI möchten nicht, daß wir zurückkommen. Im Rathaus gibt es sehr viel Radikale. Der OSC hat die Wahlen vom September hier nicht anerkannt. Die Verwaltung behindert beabsichtigte Verbesserungen, die von der neuen Dodik-Regierung geplant sind. Wir erwarten, daß alle Kriegsverbrecher nach Haag geschickt werden.“ Er schätzt die neue Dodik-Regierung als hilfreich ein. Er betont, daß Bürgermeister und Stellvertreter jeweils einer anderen Partei angehören. (SDA/Sozialisten). Effektivität läßt sich daran messen, wie viele Leute (außer Serben) in Zukunft zurückkehren können. Bürgermeister: „Die neue Regierung sagt wenig über die Rückkehrer. Wir sehen keine Änderung. Vieles wird nach außen nur wegen des Geldes gemacht, in den Gemeinden, in denen die Politiker geblieben sind, wird alte Politik gemacht. Leute mit einem Haus in DOBOI können nicht zurück, dies ist objektiv nicht möglich. Trotzdem ist der Platz unserer Bürger hier und nicht in Deutschland, aber zuerst sollten die Leute aus der Föderation hierherkommen, um mit uns aufzubauen. Dies macht Druck auf die Regierung. In DOBOI müßten wohl 2/3 bis ¾ aller Wohnungen 63 BÜRGERKRIEG zurückgegeben werden, da etwa 35.000 bis 40.000 Bosniaken und Kroaten vertrieben wurden, vor dieser Rückgabe ist eine Rückkehr unmöglich. Österreich bietet Geld für die Gemeinden an. In DOBOI hat die SDS die Mehrheit, die Rückkehrer haben Angst.“ EG TUZLA Entwicklungsgesellschaft: (Herr Neunfinger) Gegründet 97 von der GRZ und dem Kanton Tuzla-Pdrinje, Wirtschaftsförderung und Regionalplanung im Kanton. Rückführungsplanung genügt nicht, sondern man muß Arbeitsplätze schaffen. Das Management wird durch die BRD gezahlt, Gemeinde und EU sind für die Projekte verantwortlich. Strom, Straßenbau, Wasserversorgung, Erarbeitung von Entwicklungsplänen, Förderung von Kleinunternehmen schafft Arbeitsplätze ((85 neue). Zuschüsse für die Existenzgründung werden gewährt. In BIH gibt es jetzt noch 200 NGO´s, im Bereich TUZLA 40 - 60, (keine Abstimmung untereinander). 100.000 Einwohner, 40-50.000 Flüchtlinge. Systemumstellung ist Bedingung bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Soldaten und Vertriebene haben Priorität bei der Verteilung von Arbeit. Es gibt eine Technologielücke von ca. 6 Jahren. Die Tendenz vieler Rückkehrer: „Wir gehen irgendwie wieder nach Deutschland zurück.“ (Keine Arbeit, nur Sozialhilfe, care-Pakte, fehlende Wohnmöglichkeiten). Es gibt keine Programme für Neubau. Für die Sanierung 60 bis 100 % zerstörter Häuser sind 13.000 (?) ECU bereitgestellt. Es besteht die Befürchtung, daß durch Neubauprogramme Dayton unterlaufen werden kann, aber Ersatzbau ist möglich. Der Zusammenhang Rückkehrer/Vertriebene/Eigentümer muß gesehen werden, durch Rückkehr wird eine ungeheure Bewegung im Lande in Gang gesetzt. Behinderte, ehem. Soldaten, Vertriebene, Flüchtlinge ohne Anbindung, ältere Leute, Roma stehen wegen mangelnder Wohnmöglichkeiten auf der Straße. Sie sollten in frühere Roma-Siedlungen zurück64 kehren, wo sie früher integriert waren. TUZLA ist eine offene Stadt. Es muß jetzt weggegangen werden von der Soforthilfe zu weiterreichenden Maßnahmen. Es gibt eine Rückkehrunwilligkeit, z. B. wollen viele Lehrer nicht zurück auf die Dörfer, noch immer ist es notwendig, Carepakete auszugeben, noch immer Häuserbelegungen bei Häusern ohne Dächer. SREDNJE: Transitlager, Aufenthalt soll nicht länger als 48 Stunden (im Notfall bis zu 5 Wochen) dauern. Die Verteilung auf die Flüchtlingslager erfolgt durch die Ministerien. Das Personal führt nur Anweisungen aus, ist nicht in der Lage, zu beraten. Es werden Busse zusammengestellt, die in die Heimatoder andere Gemeinden für den Transport der Flüchtlinge sorgen. Dieses Transitlager ist für die ganze Föderation vorgesehen. (Es gibt weitere 5 im Föderationsgebiet, weitere sind geplant). Papiere erhalten die Flüchtlinge über die Ministerien, von dort kommt Personal, um Rückkehrfragen zu besprechen. Ein Flüchtling aus DOBOI erklärt, daß er schon 2 Wochen hier sei, eine weitere Rückkehrfamilie bereits seit 4 Wochen. Die Aufnahmekapazität beträgt bis zu 100 Personen. Wenn sie nicht zurückkehren können, z. B. in die REPUBLIK SERBIEN; werden sie auf Orte in der Nähe verteilt. Die Gemeinden müssen sich vorher verpflichten, Unterkunftsmöglichkeiten bereitzustellen. Gruppenverteilung wird nach Möglichkeit angestrebt. Flüchtlinge, die wir angetroffen hatten, kamen aus Deutschland und Kroatien. AS SCHLEE: (Herr OTL Benke) entstand aus dem Flüchtlingsreferat des BMI, angegliedert bei der Botschaft, Außenstelle in BANJA LUKA beabsichtigt. Die Aufgabe: Verbindungsstelle zu UNHCR und EUROP. KOMMISSION, Verbindung zu SFOR wg. Sicherheit, Arbeitsplatz, Perspektiven für Kinder, Wohnraum, in dieser Reihenfolge. Der Arbeitsstab benötigt drin- gend Zahlen aus den Ländern über die Zugehörigkeit zur Volksgruppe, Heimatort, gewünschter Ziel-(Unterbringungs-)ort, Alternativen dazu. Klientel bisher 92.000 Flüchtlinge und 950 Abschiebungen in die Föderation. Sammeln Projekte: wo und was ist geplant in welcher Region? Stellungnahmen werden nach Überprüfung der Daten erstellt. Kompabilität muß hergestellt werden zwischen der Erlaßlage und der politischen Absicht sowie der Lage vor Ort. AS Schlee hat festgestellt, daß Bedingungen in der SERB: REPUBLIK Abschiebungen unmöglich machen. Regierung und internationale Organisationen haben große Angst vor einer massenhaften Rückkehr der Flüchtlinge, diese würde zu einer Destabilisierung in der ganzen Region führen, Priorität müssen IDP´s (intern Vertriebene) haben. Es wäre wichtig, Rückkehrstufen zu haben. Die Politik wird auf dem Rücken der Flüchtlinge ausgetragen. Die korrekte Durchführung und Absichten des Lagers SREDNJE werden bestätigt. Von 10 Kantonen haben 8 Rückführungspläne erstellt. In der REPUBLIKA SRBSKA funktioniert dies nicht, aber in der ganzen Förderation. Transit/Zwischenlager für alle, die keine Unterkunft haben. Die Aufenthaltsdauer beträgt in der Regel 48 Stunden bis zu einem Monat. Alle stehen unter der Kontrolle von UNHCR. Der Arbeitsstab erstellt monatlich einen Bericht zur Lage der Flüchtlinge, er (der Stab) ist über Internet erreichbar. Dayton Annex 7 Rückführung in den Heimatort ist Ziel. Das Boot ist nicht voll, es sollen 98 20.000 Binnenvertriebene in ihre Heimatorte zurückkehren. (SARAJEVO, BANJA LUKA, BRCKO). Die Unruhe der Flüchtlinge in Deutschland wird nach BIH transportiert. Der Schlüssel bei der Verhinderung der Rückführung von Vertriebenen liegt bei Tudjman. Die eingerichtete property claim commission arbeitet auf Grundlage der Eigentumsverhältnisse von 92. Dayton ist gesamtstaatlich konzipiert, soll aber auf 3 Staaten angewandt werden, darin liegt die Schwierigkeit. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 BÜRGERKRIEG BOTSCHAFTER: Warteschein für Visa in die BRD mindestens 4 Wochen. „Die sozialen Strukturen in SARAJEVO haben sich total verändert. Durch Vertriebene, Flüchtlinge und Rückkehrer hat die Stadt eine andere Zusammensetzung erhalten.“ „Hintergrund aller Schwierigkeiten ist die Tatsache, daß „keine Partei den Krieg verloren hat. Wir sind nur gestoppt worden.“ „ Die leichten Fälle sind hier, die schwierigen kommen erst. Die Länder forcieren die Abschiebung, dies ist hier bekannt und verursacht Unruhe. Es ist auch eine Sache der Verpackung.“ Der Arbeitsstab Schlee ist sehr wichtig nach Einschätzung des Botschafters. Es gibt ein neues Abkommen mit der Regierung Dodik, wie ein neutrales Fernsehen durchgeführt werden kann. Sanktionen sind jetzt vorgesehen. (Mostar, BANJA LUKA). In der REPUBLIK SERBIEN gibt es keine internationalen Zeitungen, in der Föderation stehen sie zur Verfügung. Der OHR hat Durchsetzungsmöglichkeiten, siehe Flagge, Staatsbürgerschaft, Kennzeichen. Die Regierung Dodik wird an Dayton gemessen werden. Es gibt ein Amnestiegesetz, das auch grundsätzlich umgesetzt wird. Gegenteiliges ist nicht bekannt. „Es gibt Fälle, in denen die Registrierung am Heimatort verweigert worden ist, dagegen sind wir angegangen.“ Deutsches Beratungsbüro für rückkehrfördernde Maßnahmen: (Herr Bernd Hausmann, Thomas Pfeiffer), (Hess. Verbindungsbüro) (Herr Amir Kurspahic) Zweigstelle der GEZ Gesellschaft für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Unterstützung des BMI von 40 deutschen Organisationen, Fond für Kleinprojekte, Wiederaufbauhilfe, Rückkehrunterstützung, Reintegration. Angebote: Intensivierung der Zusammenarbeit aller Hilfsorganisationen, Dokumentation und Beratung, Rückkehrberatung, Förderung von Einzelbe- ratung in SARAJEVO, MOSTAR; SANSKI MOST, BOSANSKA KRUPA und ZENICA: Datenbank für die Information von Rückkehrern. Im Gegensatz zu Dayton steht die Registrierungspraxis, man muß sich im Heimatort registrieren lassen, obwohl es nach Dayton auch anderweitig möglich sein muß. Im Herbst sind erneute Wahlen In der RPSka. Es gibt 600 freie Wohnplätze aber 250.000 Bosnier, die noch zurückgehen sollen. SARAJEVO hat 80.000 IDP´s. Minority - Rückkehr ist kontraproduktiv. SARAJEVO hat kaum mehr Vorkriegsstrukturen, 60 % sind Zuwanderer.. Einzelberatung für Rückkehrer und Informationsbeschaffung möglich. OHR: (Office of the High Representative) (Frau Bohley, Herr Granaß) Bärbel Bohley berichtet von einer Reise durch die Posavina, woher sie gerade zurückkommt. Zustände schlecht, kaum Wiederaufbau, keine Koordination der Hilfsorganisationen, keine Auseinandersetzung mit Kriegsursachen. Deutsche Flüchtlinge kommen mit überzogenen Ansprüchen. Sie haben jedoch oft Reserven für die Renovierung der eigenen Häuser, für Alleinstehende und Kranke ist die Rückführung in die Republik Srbska „ein Todesurteil“. Roma sind nicht als eigene Volksgruppe erfaßt worden. In 192 Gemeinden haben früher Roma gelebt. Die Regierung Dodik ist mit Vorsicht zu genießen, schwierige Lage besonders im Osten der RPSka. Kroaten bekommen Druck von der eigenen Seite, wenn sie zurückkehren wollen. Auch Serben, wenn sie von der RPSka wegwollen. Die untere Ebene versucht gutwillig die Regelungen vorzubereiten. Sobald die obere Ebene Kenntnis davon erhält, geht es schief, Regelungen werden behindert. IDP´-Rückkehrpläne (20.000 nach SARAJEVO) sind nicht bekannt. OHR kann theoretisch jeden Friedensverhinderer aus dem Amt entfernen. Es gibt eine neue, die Rückkehr begleitende Medienkampagne des OHR. Wirtschaftliche Unterstützung fördert die Bereitschaft, die Flüchtlinge aufzu- nehmen. (Beispiel: serbische Ziegel auf moslemische Dächer). Schuldzuweisung an die internationale Gemeinschaft. Anstelle von Gremien können Entscheidungen des OHR als Interimsentscheidung getroffen werden oder er kann - wenn zunächst keine Zustimmung oder Einigung aller Beteiligten zu erreichen ist - Gesetzesinitiativen initiieren, die dann durch 3 Länder „abgesegnet“ werden müssen. Die Rückkehr der Flüchtlinge ist gewünscht, muß aber organisiert werden. „Mafiose Strukturen“ behindern die Rückkehr, Bei der Registrierung werden Steuern erhoben, nur Lebensmittel und Medikamente sind zollfrei. Alle arbeiten daran, die Rückkehr nicht stattfinden zu lassen. Wohnraumbewirtschaftung fehlt, könnte kontraproduktiv zur Rückkehr an den Heimatort sein. Eine Stufung der Rückkehr ist gewünscht, Alte und Alleinstehende sollten in Deutschland bleiben können. In der Föderation werden Deserteure begnadigt. (siehe auch Lagebericht Auswärtiges Amt). Hoffmann, Repräsentant der Deutschen Wirtschaft: (DIHT) Nach wie vor weisen viele Industriebetriebe kriegsbedingte Schäden auf und arbeiten nur mit einem Teil der früheren Kapazität. Dies erklärt die überdurchschnittlich hohe Importabhängigkeit des Landes und das daraus resultierende Ungleichgewicht der Außenhandelsbilanz. Die wichtigsten Außenwirtschaftspartner sind, in der Reihenfolge ihrer Bedeutung, Kroatien, Slowenien, Deutschland und Italien. Die Importe aus diesen Ländern werden im Durchschnitt nur durch jeweils 10 % Exporte gedeckt. Die wirtschaftspolitischen Anstrengungen richten sich daher vorrangig darauf, die heimische Produktion und die Exportfähigkeit der Erzeugnisse systematisch zu erhöhen. Die Investitionsbereitschaft nimmt zu. Private Kredite werden selten in Anspruch genommen. Rückkehrförderung ist noch ein Loch. Aus ERP Mitteln gibt es Kredite zu folgenden Bedingungen: Laufzeit 2 Jahre, 10 % Zinsen im ersten JAHR; DIE ersten 6 Monate rückzahlungsfrei. 35 65 BÜRGERKRIEG Mio. sind bisher eingesetzt worden, 20 Mio. sind bereits zurückgezahlt. Das Kreditvolumen der Amerikaner beträgt 250 Mio. Dollar, aber nur für Gebiete, in denen Amerikaner stationiert sind. Erst drei große Investoren, TASS (VW), Synthetischer Kabelhersteller, Gas, Meggle (Molkereiprodukte). Durch die Privatisierung der Großbetriebe und deren Zerlegung in kleinere Einheiten wird der Sektor der kleinen und mittleren Unternehmen zukünftig eine größere Rolle als bislang spielen. Schwierigkeiten bereiten alte sozialistische Strukturen, diese behindern den normalen Ablauf einer geordneten wirtschaftlichen Entwicklung. Deutsche Banken haben kein Interesse zur Investition, die Saudis und Kuweit haben 20 Mio. Dollar angekündigt, es gibt Bestrebungen einer neuen Währung (Konvertibla Marka) im Verhältnis zur DM 1:1. Die Kapitaldecke aller bosn. Banken (ca. 50) beträgt 200 Mio. DM An Kriegsteilnehmer hat die Regierung Sparbücher ausgegeben in Stückelungen zwischen 10 und 40.000 (Währung?), es steht kein Wert dagegen, Wertschöpfung ist nicht möglich. Die bestehenden Häuser haben zu 90 % Hypotheken in Anspruch genommen, es ist vor und nach dem Kriege keine einzige vollstreckt worden. (Soz. System). JAICE: Im Gemeindegebiet gilt als Zahlungsmittel nicht die Währung der Föderation, sondern die kroatische „Kuna“. „Herzlich willkommen in der Stadt der Rückkehrer. Ich will mich noch einmal bei Deutschland bedanken im Namen aller Rückkehrer. Problem bei den Rückkehrern macht die ungelöste politische Situation im Land. Langsam findet eine Entwicklung zum besseren statt.“ Bei Elektrobosna (Elektrizitätswerk) arbeiten Kroaten, Bosniaken, Serben. Es gibt 2600 Beschäftigte in der Gemeinde. Frühere serbische Wohnungen, die der Gemeinde gehören, sind 66 jetzt durch Kroaten belegt. Über private Wohnungen haben sie keine Verfügung. Selbst für weitere eigene Leute, z. B.. 100 Kroaten, ist kein Platz mehr vorhanden. Der Vorsitzende des Gemeinderates ist ein Moslem. 44.000 Einwohner vor dem Krieg, im Moment ist die Hälfte hier.(16.000 Kroaten, 6.000 Bosniaken). Ungefähr 20.000 sind im Ausland. (alle 3 Ethnien). IDP´s etwa 2-300, die größte Gruppe Kroaten aus MRKONJICGRAD in der RPSka. Die Gemeinde möchte, daß rückkehrende Moslems in die benachbarten Ortsteile gehen. Die Hilfe ist nicht gerecht, sie sollte für alle gleich sein. Der Ort B 200 m vor den Ewerken wurde z. B. für rückkehrende Bosniaken angeboten. Die kroatische Seite hat die Rückkehr von Bosniaken in weitere multiethnische Gebiete angeboten, doch seien 500 in rein bosniakische Gebiete gekommen. Die Bosniaken wollen kein Zusammenleben, sie wollen nicht, daß die „kroatische“ Seite Hilfe bekommt. Die Vorfälle seien von „Zentren“ geplant gewesen, sie (die Kroaten) hätten sie nicht gewollt und gebraucht.. Das „Unglück“ passierte, als für JAICE große Hilfe ankommen sollte. (Anfang Aug. 97 wurden 500 bosn. Muslime wieder vertrieben, es wurden 14 Häuser niedergebrannt, die gerade wieder hergestellt waren. Verletzte, 1 Toter. Durch Druck der intern. Gemeinschaft wurde diese Vertreibung wieder rückgängig gemacht.). Die Hilfe ist nach dem „Unglück“ ausgeblieben, dies verstärke den Haß. „Die Lage der Kroaten ist jetzt kriegsfolgebedingt. Ob sich das demokratisch wandelt, hängt von den anderen ab. Ungerechte Hilfsverteilung entwickelt sich und wir gehen wieder in eine unruhige Zukunft.“ Er findet nicht richtig, daß Moslems im voraus Aufbauhilfen erhalten und nicht Kroaten, die hier schon seit 3 Jahren in schwierigen Lebensverhältnissen leben. Er spricht wieder vom Neid auf arabische Hilfe, diese erhalten nur Bosniaken. Häuser von Bosniaken werden aufgebaut, Kroaten haben das Nachsehen. Europäische Hilfe teilen wir mit den Bosniaken. Jeder verlangt von uns, daß wir Bosniaken aufnehmen. !“ Die Kroaten werden, wenn dies so weitergeht, die Föderation verlassen. Wir sollen kein Volk mehr sein, sondern nur noch eine Minderheit.“ „Man soll mir einen Staat in der Welt zeigen, wo eine Minderheit so viele Rechte hat wie in JAICE. Nicht nur Volksgruppen sollen bei der Hilfe berücksichtigt werden, sondern das Rathaus (die Gemeinde), IDP´s und Flüchtlinge zu gleichen Teilen“. SANSKI MOST: Vor dem Krieg: 61119, jetzt 62.000. Nach der Befreiung lebten dort nur noch 500 Menschen. Vor dem Krieg Bosniaken und Serben, eine geringere Zahl Kroaten und andere. Jetzt: Bosniaken, Kroaten und Serben. 50 % der Bürger haben früher in der RPSbka gelebt. Sie sind nach SANSKI MOST gekommen. 50 % der Rückkehrer kommen aus Deutschland. 62.000 kommen aus der Föderation und aus RPSpka., dies ist die demokratischste Rückkehr. Es sind meistens freiwillige Rückkehrer. Fast aus allen Gemeinden der RPSka. Leute aus 72 Gemeinden. Diese Rückkehr ist nicht ökonomisch unterstützt worden. „Wir haben sehr wenig gesprochen, über die Leute, die schon zurückgekehrt sind. Ich habe 13.000 Personen auf der Liste, die schon Sozialhilfeempfänger sind. Wir haben einen Schlaganfallpatienten bekommen ohne vorherige Ankündigung. Für behinderte Personen und Personen mit Handikap muß eine längere Vorbereitung erfolgen. Wir haben keine entsprechende Unterkünfte für solche Personen. Die Transportbegleiter haben sich nicht vorgestellt.“ „Alle bisher aufgenommenen Leute haben Unterkunft. Es gibt keine kollektive Unterbringungsmöglichkeiten. Ich bin ein Gegner davon: Es wird auch weiterhin keine kollektive Unterbringung geben. Die Schülerzahl ist nach dem Kriege von 186 auf über 5.000 gestiegen. Sie sind aus 57 FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 BÜRGERKRIEG verschiedenen Städten Europas gekommen. Es gibt 17509 zerstörte private Wohnungen, Zerstörungsgrad leicht bis schwer.“ „Wir haben Stromprobleme in 3 Dörfern, Wasserprobleme keine, Probleme mit dem Müll, aber das größte Problem ist die Kanalisation. Ohne Kanalisation besteht größte Gefahr für die Gesundheit, Seuchen können auftreten, zum Glück hatten wir bisher keine Epidemie. Die Gegend war schon früher für Hepatitisfälle bekannt.“ Er erklärt in Einzelheiten die wirtschaftliche Situation. Holzverarbeitung, Metall, Ziegel, Isoliermaterial, Beton, Tonwaren, Gummi, 2 von 3 Metallfabriken arbeiten wieder. Fenster und Türenhersteller als Privatunternehmen. Überwiegend Landwirtschaft mit 25.000 ha Landfläche! Es gibt ca. 100 private Unternehmen. „Wenn alle Betriebe arbeiten, könnten 25.000 Leute beschäftigt werden.“ Das Parlament besteht aus zwei Parteien, einmal Bosnier und auch die Partei der Serben. Sie versuchen, die Probleme zu lösen. Sie haben sich zur offenen Gemeinde erklärt. (Durch UNHCR noch nicht verifiziert). „Wir sind die einzige Gemeinde, die einen Plan für die Rückkehr der Menschen und die wirtschaftliche Entwicklung sowie eine Bedarfsermittlung erstellt hat. Dieser ist verschickt worden an den UNHCR, OHR.“ Gespräche mit Schwarz Schilling (intern. Schlichter für BIH) und Gespräche in PRIJEDOR sind vorgesehen, um Probleme gemeinsam zu lösen. „Es gibt in der Stadt jeden Schulzweig und berufsbildende Schulen, dafür gibt es eine ausreichende Zahl Lehrer. Es fehlen Grundschul- und Fremdsprachenlehrer. Für Lehrer gilt Schichtarbeit. Es gibt keine Mittel für Schulbusse, das Transportproblem der Schüler ist nicht zu lösen. Das Geld für Monatskarten fehlt. Wir waren schon vorher offene Stadt, weil mein Herz offen ist. Ich habe gute Mitarbeiter.“ „Die Weltgemeinschaft hat dieses Jahr zum Jahr der Rückkehrer propagiert. Schwerpunkt sollen Rückkehrer sein, die aus dem Ausland kommen, dies ist auch eine Vision des Planes, den ich Ihnen gezeigt habe. Die Hälfte der heutigen Einwohner stammt aus der Republik Srbska, von SANSKI MOST sollen jetzt 10.000 nach PRIJEDOR zurückkehren können. Ich gebe lieber kleinen Dörfern den Vorzug, um Häuser reparieren zu können. Die Leute, die jetzt in der Stadt sind, sollen lieber in die Dörfer zurückkehren.“ „Ich bin sicher, daß es in diesem Land keinen Krieg mehr gibt.“ “Ich war Kommandeur von 2 Corps, so wie ich dort aktiv war, so will ich in der Ruhe arbeiten. Wenn die Probleme mit Wasser, Strom und Häusern gelöst sind, dann kann ich weniger arbeiten. Ich hoffe auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft und natürlich der BRD“. „Privatisierung: Wir hoffen, daß dieser Prozeß zu einer besseren Beschäftigung führen wird. Der Schwerpunkt muß Ausbildung in Landwirtschaft und Handwerk sein“. Teilnehmer wird vorgestellt, um die Zusammenarbeit zu betonten: Der Vice-premier des executive-Ausschusses aus PRIJEDOR. Es arbeiten auch schon Leute aus SANSKI MOST in PRIJEDOR. „Kleine Schritte der anderen sind mir zuwenig, ich mache sehr große Schritte.“ „Für die Landwirtschaft gibt es keine Geräte und Ersatzteile. Letztes Jahr haben wir 2,5 ha Getreide anbau. Es besteht Neubaubedarf für 100.000 Einwohner(?), ca. 6.000 Objekte sind wieder instandgesetzt worden. „Es besteht die Wahrscheinlichkeit, daß sehr viele Rückwanderer und Vertriebene hierbleiben werden. Deutsche Rückkehrer haben hier 2 Häuser gebaut als Eigentümer.“ „Weitere Unterbringungsmöglichkeiten: Mein Boot ist nicht voll, das gilt für ganz BIH, aus SANSKI MOST ist noch keine Familie zurückgewiesen worden. Bei der Rückkehr müssen Sie mei- ne Probleme lösen und damit löse ich ihre.“ Bewirtschaftungsgesetz: „Ratsbeschlüsse lassen Belegung von leerem Wohnraum vorübergehend zu, wir haben einen geordneten Rückkehrprozeß von der Stadt nach dem Land. Ein Rückkehrstab und Planer für die Rückkehr entwickeln und planen 24 Stunden an einem Tag. Es kann nicht passieren, daß jemand abends um 20 Uhr kommt und findet keinen Ansprechpartner. Es gibt Transportmöglichkeiten für die Sachen der Flüchtlinge. Mein Arbeitstag und der meiner Mitarbeiter hat 24, wenn nötig; 26 Stunden.“ Uwe Tschanter TEILNEHMERLISTE der Bosnienreise vom 01.03. - 07.03.98 Herr Norbert Winterstein Bosnienbeauftragter der hess. Landesregierung Frau Elke Groß hess. Landesregierung, Geschäftsstelle Herr Joachim Preiß hess. Innenministerium Herr Dirk Hummel Ministerialrat Hessen Herr Tarek Al-Wazir MdL Hessen Bündnis 90/DIE GRÜNEN Herr Stephan Bremann Oberregierungsrat IM Rheinland-Pfalz Herr Josef Arldt MdL Rheinland-Pfalz SPD Herr Bernd Eckes Ausländerbehörde Mainz Herr Behrouz Asadi Malteser Hilfsdienst Mainz Frau Suzana Dakic Caritasverband Herr Pfarrer Friedrich Vetter Diakonisches Werk Herr Thomas Böhme IM Niedersachsen Sozialdirektor Herr Dr. Michael Sänger Vors. Verwaltungsgerichtshof Kassel 67 BÜRGERKRIEG Schutz bosnischer Frauen Presseerklärung der AWO Osnabrück In einer bundesweit einzigartigen Entscheidung verabschiedete der Rat der Stadt Osnabrück in seiner Sitzung am 24.3.1998 eine Resolution zum Schutz traumatisierter bosnischer Flüchtlingsfrauen und ihrer Kinder. Die Stadt Osnabrück fordert damit die Landesregierung auf, sich aktiv für eine bundesweite einheitliche Härtefallregelung einzusetzen, in der die Belange traumatisierter bosnischer Flüchtlingsfrauen berücksichtigt werden. Die Stadt Osnabrück erkennt an, daß eine Rückkehr für die bosnischen Flüchtlingsfrauen in Freiheit und Würde unter den momentanen Bedingungen unzumutbar ist. Diese Entscheidung wurde möglich durch ein breites Bündnis von Frauen aus unterschiedlichen Initiativen und Organisationen, die mit einer entsprechenden Resolution an den Rat herangetreten waren. Die Stadt Osnabrück stellt sich damit der Verantwortung, die sie im Jahr 1993 - ebenfalls in einer bundesweit einmaligen Aktion durch das Engagement der Initiative Frauenflüchtlingshaus - eingegangen war. In dieser Aktion waren im Herbst 1993 nach zähem Ringen bosnische Frauen und ihre Kinder in das neu eingerichtete Frauenflüchtlingshaus in der Stadt Osnabrück aufgenommen worden. Die Frauen und Kinder, die im Laufe des Jahres 1994 in eigene Wohnungen umziehen konnten, wurden seit ihrer Ankunft in Osnabrück von einer Gruppe Osnabrücker Frauen unterstützt. Nach der Unterzeichnung des Abkommens von Dayton und der anschließenden Innenministerkonferenz im Dezember 1995, Januar 1996 sind die Frauen und die Kinder permanent mit drohender Abschiebung konfrontiert. Keine Ausbildung für Sanel Alic Informationen zur Situation von Sanel Alic Sanel Alic wurde am 7.9.1978 in Srebrenica (ehem. Jugoslawien jetzt Republik Srpska) geboren. Sein Vater fiel 1992 als Soldat im Bürgerkrieg. Seine Mutter Sahza Alic konnte 1993 mit 2 ihrer 3 Kinder (einem 4 jährigen Sohn und einer 12 jährigen Tochter) nach Osnabrück fliehen, wo bereits einige ihrer Verwandten Zuflucht gefunden hatten. Ihren Sohn Sanel konnte sie nicht mitnehmen. Über Frau Gonzales (Sozialarbeiterin des Vereins EXIL-Osnabrücker Zentrum für Flüchtlinge) wurde der Kontakt auch zu anderen Vereinsmitgliedern hergestellt. Es entstand der Wunsch, eine Familienzusammen-führung mit dem Sohn zu ermöglichen. Leider war dies nur möglich durch die Verpflichtungserklärung einer Privatperson, die bereit war, die Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Bekleidung zu übernehmen. Diese Verpflichtung konnte abgegeben werden, nachdem sich ein Kreis von Vereinsmitgliedern und Freunden verpflichtete, monatlich ca. DM 500,- zu spenden. (Diese Unterstützung wurde bis August 97 durchgehalten.) Im Februar 1995 konnte die Ausreise Sanels aus seinem Aufenthaltsort Tuzla ermöglicht werden. Ein schwerer Verkehrsunfall mit anschließender Operation machte ihn für den Kriegsdienst untauglich, so daß eine Aus-reisegenehmigung von den bosnischen Behörden erteilt wurde. Von diesem Unfall hat er sich glücklicherweise sehr gut erholt. Es sind kei- ne Folgeschäden aufgetreten. Noch im Sommer 1995 wurde Sanel nach einem kurzen Sprachkurs in die 9. Klasse der Hauptschule Innen-stadt eingeschult. Seine schulischen Leistungen nach Abschluß der 9. Klasse rechtfertigten die Übernahme in das 10. Hauptschuljahr. Das Ziel, den Realschulabschluss zu erhalten, hat Sanel nur knapp verfehlt. Sanel ist sich sehr bewußt, daß er nach dem Tod seines Vaters die Ernährerrolle für seine Familie übernehmen muß. Sein ganzes Bestreben richtete sich daher auf die Aufnahme einer Ausbildung. Wir führten daraufhin Vorgespräche mit der Ausländerbehörde, um das Risiko einer Abschiebung vor Beendigung der Ausbildung einschätzen zu können. Diese informellen Gespräche machten uns Mut, intensiv nach einem Ausbildungsplatz zu suchen (die Rückführung einer moslemischen Familie ohne Vater in ein von Serben besetztes Gebiet erscheint allen Experten derzeit als völlig unzumutbar - auch eine Abschiebung in sog. befriedete Gebiete Bosniens ist in der derzeitigen Situation kaum vorstellbar ). In Herrn Köhne fanden wir einen Ausbilder, der bereit war, Sanel die Lehre zum Gas- und Wasserinstallateur zu ermöglichen. Für diesen Beruf hatte sich Sanel entschieden, um auch nach einer möglichen Rückkehr in seine Heimat eine Existenzgrundlage aufbauen zu können. Herr Köhne stellte Sanel im August 97 ein. Gleich-zeitig führte er ein Gespräch mit dem Arbeitsamt bezüglich einer Arbeitserlaubnis. Dort lehnte man ab mit dem Hin- Die bosnischen Frauen und ihre Unterstützerinnen hoffen nun, daß sich die Niedersächsische Landesregierung für eine bundesweite Härtefallregelung einsetzt. 68 FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 BÜRGERKRIEG - aber Anzeige wegen illegaler Beschäftigung weis auf den nicht gesicherten Aufenthaltsstatus der Familie Alic. Mit Unterstützung von Alfred Emmerlich (Rechtsanwalt und ehem. Bundestagsabgeordneter) und Ernst Schwanhold (Bundestagsabgeord-neter) versuchten wir dem Arbeitsamt deutlich zu machen, das im konkreten Fall mit einer alsbaldigen Aus-weisung der Familie nicht zu rechnen sei und das aus humanitären Gründen eine Ausbildung unbedingt geboten wäre. In einem Gespräch, das ich selbst im Januar 98 mit einem Sachbearbeiter im Arbeitsamt führte, wurde mir dann abweichend von der Auskunft im August 97 erläutert, der Aufenthaltsstatus von Sanel sei nicht der Hinderungsgrund für eine Arbeitserlaubnis, sondern die gesetzliche Regelung, das Ausländer wie Sanel nur eine Arbeitserlaubnis erhielten, wenn für den Arbeits- bzw. Ausbildungsplatz kein Deutscher oder EGAusländer zur Verfügung stünde. Eine Prüfung müsste im Einzelfall nach der jeweiligen Lage auf dem Arbeitsmarkt erfolgen. Man teilte mir mit, das nach der derzeitigen Lage (Januar 98) kaum ein geeigneter deutscher Bewerber für den Ausbildungsplatz zu finden sein würde und daher ein Antrag auf Arbeitserlaubnis große Aussicht auf Erfolg hätte. Sanel stellt daraufhin formell den Antrag auf Arbeitserlaubnis. Auch ihm wurde in einem Gespräch mit dem zuständigen Mitarbeiter des Arbeitsamtes Hoffnungen auf einen positiven Bescheid gemacht. Um so erstaunter waren wir, als am 10.2.98 eine Ablehnung des Antrags erfolgte. In dieser Ableh- nung wurde pauschal behauptet, für die von Sanel angestrebte Tätigkeit stünden genügend „Deutsche und bevorrechtigte Ausländer“ zur Verfügung. Von Sanels Arbeitgeber wissen wir, daß er für den Ausbildungsplatz keinen anderen geeigneten Bewerber gefunden hatte. Er hatte sich im Sommer 97 um die Besetzung von 2 Ausbildungsplätzen bemüht. Außer Sanel stellte er noch einen weiteren (deutschen) Auszubildenden ein. Diesem Auszubildenden mußte er wegen offensichtlicher Nichteignung vor Ablauf der Probezeit kündigen. Eine erneute Besetzung mit einem anderen geeigneten Bewerber war nicht möglich. Mit Sanel ist Herr Köhne demgegenüber sehr zufrieden. Auch Sanels Leistungen in der Berufsschule sind gut. Seine Leistungen und auch seine hohe persönliche Motivation lassen erkennen, das er für diesen Ausbildungsplatz in besonderer Weise geeignet ist. Ein von Sanel eingelegter Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid wurde zurückgewiesen. In der Begründungd behauptet, auch im Januar (also zu Zeitpunkt der Antragstellung) hätten noch 8 geeignete Bewerber zur Verfügung gestanden. Erstaunlicherweise ist es zu keinen erkennbaren Vermittlungsbemühungen von Seiten des Arbeitsamtes gekommen. Bei dem Arbeitgeber Herrn Köhne hat sich kein Bewerber vorgestellt. Nur nach einer Prüfung des Bewerbers durch den Arbeitgeber hätte doch letztlich entschieden werden können, ob dieser für den vorhandenen Ausbildungsplatz wirklich geeignet ist. Dieser Bewerber hätte zu- dem deutlich machen müssen, das er den Lehr- und Unterrichtsstoff ca. eines halben Jahres ohne größere Mühen nachholen kann. Das Arbeitsamt bleibt in seinem Ablehnungsbescheid die Antwort auf die Frage schuldig, warum es nicht alles getan hat, einem ausbildungsbereiten Unternehmer zu helfen, einen Ausbildungsplätze mit einem geeigneten deutschen Bewerber zu besetzen. Dies ist um so unverständlicher, da doch in der Öffentlichkeit der Mangel an Ausbildungsplätzen immer wieder beklagt wird und Politiker nicht Müde werden, für mehr Ausbildungsbereitschaft zu werben. Mit der Ablehnung des Widerspruchs ist nun der normale Verwaltungsweg zuende. Was bleibt, ist der Gang zum Sozialgericht mit der Hoffnung dort eine sachgerechtere Beurteilung des Falles zu erfahren. Bleibt noch zu erwähnen, das mit der Ablehnung des Antrags auf Arbeitserlaubnis die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen illegaler Beschäftigung verbunden war. Sowohl Sanel als auch sein Arbeitgeber müssen mit der Verhängung eines Bußgeldes rechnen. Wilfried Buck 49076 Osnabrück 69 KURDENVERFOLGUNG Mehmet Ali Akbas und die deutsche Einzelfalltheorie verbotenen kurdischen Partei HEP, Festnahmen und Mißhandlungen in der Türkei, versuchte Konsulatsbesetzung in Hannover 1993, namentliche Erwähnung in einer türkischen Zeitung in Zusammenhang mit Aktivitäten der PKK, um nur einige Beispiele zu nennen. schiebepraxis von Kurden haben. Man beeilte sich, nach Akbas’ Rückkehr schnell die alte Leier kundzutun: Hier wurde natürlich kein Präzedenzfall geschaffen. Nein - es handelt sich beim Fall Akbas um einen - wenn auch bedauerlichen - absoluten Einzelfall. Claudia Gayer Mehmet Ali Akbas wurde all dessen ungeachtet in die Türkei zurückbefördert. Irgendwo war das kürzlich doch schonmal zu hören. Einzelfälle bei der Bundeswehr, bei den rassistischen Übergriffen auf Ausländer/innen .... I m Februar ‘98 erhielt der Flüchtlingsrat einen Anruf aus der Türkei. Es meldete sich der im Januar abgeschobene Flüchtling Mehmet Ali Akbas, dem Flüchtlingsrat durch die Begleitung in seinem Asylverfahren bekannt. Die schlimmsten Befürchtungen hatten sich bestätigt: Mehmet Ali Akbas wurde nach seiner Abschiebung am 15.01.98 am Busbahnhof in Istanbul von der Geheimpolizei verschleppt und tagelang unter schwerer Folter intensiv verhört. Wenige Wochen vorher bescheinigte ihm noch ein deutsches Gericht, daß ihm in der Türkei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit keine Verfolgung drohe. Mit seinen exilpolitischen Aktivitäten zähle Akbas nicht zu dem Personenkreis, an dem der türk. Staat ein Verfolgungsinteresse habe, so der zuständige Richter Schmidt-Vogt vom VG Hannover. Das sollte sich als schwerwiegende Fehleinschätzung erweisen. Oder sollte man hier besser von wohlkalkulierter Ignoranz sprechen? Dem Richter lagen zum Fall Akbas seitenweise Unterlagen zur Vorverfolgung in der Türkei und den exilpolitischen Aktivitäten in Deutschland vor: Unterstützung der inzwischen 70 Für Frau Akbas, die sich mit den Kindern durch Untertauchen der Abschiebung entzogen hatte, begann in der Illegalität ihr Leidensweg. Sie erwartete damals ihr fünftes Kind. Die Unsicherheit und Ungewißheit ihrer rechtlosen Situation und die Nachrichten, die sie aus der Türkei von ihrem Mann erhalten hatte, lösten Mitte Februar starke Blutungen bei ihr aus. Aus Angst vor den deutschen Behörden wagte sie sich jedoch nicht in ärztliche Behandlung. Sie meldete sich verzweifelt beim Flüchtlingsrat. Auf ein Telefonat bei der Ausländerstelle Nienburg hin teilte uns der zuständige Sachbearbeiter mit, er sehe sich nicht in der Lage, von einer Festnahme absehen zu können. Sein Chef sei nicht da und er wolle keinen Fehler machen! Als sich Frau Akbas auf dringende Bitte des Flüchtlingsrates doch an das Nienburger Krankenhaus wandte, war es zu spät. Frau Akbas hatte eine Fehlgeburt erlitten. Was ist das Leben eines Menschen wert? Oder besser: das eines Flüchtlings? Das fragte auch Mehmet Ali Akbas, als er am 12.05.98 nach einer langen Odyssee wieder mit deutschem Visum in Frankfurt ankam. Herr Akbas fühlt sich als Versuchskaninchen mißbraucht - zu recht. Er mußte zuerst abgeschoben werden, um den schrecklichen Beweis für seine politische Verfolgung persönlich zu erbringen. Die bundesdeutschen Behörden und Gerichte benötigen offensichtlich das Messer im Rücken eines Flüchtlings, um von der Gefährdung des Betroffenen überzeugt zu werden. Und dem nicht genug. Die vom Innenministerium und Auswärtigen Amt bestätigten Folterungen an Mehmet Ali Akbas sollen keine Konsequenzen für die Ab- In der BRD wimmelt es derzeit nur so von Einzelfällen. Wehe, es kommt hier jemand auf die Idee, diese Einzelfälle aufeinander zu beziehen und grundsätzliche Fragen zu stellen. Der entsetzte Aufschrei ist vorprogrammiert, die offiziellen Dementierungen folgen prompt. Es gibt keinen organisierten Rechtsextremismus in der Bundeswehr, der Rassismus in Deutschland nimmt nicht zu und in der Türkei wird nicht systematisch gefoltert. Schon gar nicht die abgelehnten Asylbewerber. Daß die vom deutschen Staat nicht als Flüchtlinge akzeptiert wurden impliziert nämlich, daß keine politische Verfolgung vorliegt - ergo werden sie bei ihrer Rückkehr auch nicht gefoltert. Punkt. Schließlich hat die Türkei 1995 durch den damaligen Außenminister Nahit Mentese erklären lassen, daß abgeschobene türkische Staatsangehörige nicht menschenrechtswidrig behandelt werden. Papier ist geduldig - die BRD auch. Wenn es um die Einhaltung dieses Vertrages geht, legt sie eine außerordentliche Dickfelligkeit an den Tag. Die Türkei hat ihre eigenen Methoden, das Abkommen zu unterwandern: Eine zunehmend beliebte Strategie der türk. Verfolgungsbehörden ist es, die Abgeschobenen nach einem Routineverhör zunächst einmal freizulassen. Sie müssen ein Papier unterzeichnen, mit dem sie bestätigen, daß sie gut behandelt wurden und nunmehr freigelassen werden. Meist werden sie noch darauf hingewiesen, die besorgten Verwandten über die Freilassung zu informieren. Die eigentliche Festnahme erfolgt dann Stunden, mitunter Tage später. So bei FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 KURDENVERFOLGUNG Mehmet Ali Akbas oder bei Abdurrahman Kilic, der erst Tage nach seiner Rückkehr in Diyarbakir festgenommen wurde. (s. Flüchtlingsratrundbrief Nr. 50) Die Freilassungen nach der Ankunft sind also nicht sonderlich aussagekräftig. Die deutschen Behörden geben sich damit allerdings zufrieden. Abgeschoben gut angekommen. Alles klar. Vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und den Verwaltungsgerichten heißt es immer wieder, die Anzahl der bekannt gewordenen Referenzfälle sei viel zu gering, als daß die Sicherheit der Abgeschobenen grundsätzlich in Frage gestellt werden müßte. Wie viele Fälle werden eigentlich benötigt, um die Sicherheit in Frage stellen zu können - hundert, oder sollten’s besser ein paar tausend sein? Die relativ geringe Anzahl der bekannt gewordenen Folterfälle ist nicht darauf zurückzuführen, daß die Abgeschobenen problemlos aus dem Flugzeug in die Freiheit spazieren können, sondern darauf, daß es äußerst mühsam ist, Mißhandlungen und Folter an abgeschobenen Kurden zu recherchieren. Oft wenden sich die Betroffenen aus Angst vor weiteren Repressalien nicht an die richtigen Stellen, z.B. den türkischen Menschenrechtsverein. Sie tauchen mit ihren Familien in die Anonymität der türkischen Großstädte ab. Oder sie rufen bei den Rechtsanwälten an, deren Nummern ihnen von den Ausländerstellen bei der Abschiebung vorsorglich in die Hand gedrückt werden. Dort heißt es dann: Wir können nicht helfen. Diese Rechtsanwälte sind in der Türkei einschlägig bekannt. Sie werden von den großen türkischen Rechtsanwaltskammern wegen ihrer Art der Zusammenarbeit mit Deutschland seit Jahren heftig kritisiert. Die untergetauchten kurdischen Familien haben keine Stimme, sie erscheinen in keiner Statistik. Ebensowenig diejenigen, die erst Tage oder Wochen nach ihrer Abschiebung von den türkischen Verfolgungsbehörden einkassiert werden und in einem der zahlreichen Gefängnisse und Folterkam- mern verschwinden. Eine allgemeine Rückkehrgefährdung für kurdische und türkische Flüchtlinge ergibt sich, sofern man es mit klarem Menschenverstand betrachtet, aus der derzeitigen Situation in der Türkei. Im Osten tobt ein erbarmungsloser Krieg gegen die PKK - ausgetragen auf dem Rücken der kurdischen Zivilbevölkerung. Landesweit werden Oppositionelle durch Folter, extralegale Morde und „Verschwindenlassen“ eingeschüchtert und zum Schweigen gebracht. Massenhaft werden Prozesse geführt gegen Menschen, die sich für Frieden und Freiheit in Kurdistan und die Meinungsfreiheit einsetzen. Von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit kann keine Rede sein. Alle Gutachten und Einschätzungen, die dem Bundesamt und den Gerichten diesbezüglich vorgelegt werden, sind aber scheinbar nur dann relevant, wenn aus ihnen die Gefahrlosigkeit einer Abschiebung und die Existenz einer inländischen Fluchtalternative herausgelesen werden kann. Dabei schaffen es viele Richter und Einzelentscheider, aus seitenlangen Stellungnahmen ein paar wenige Sätze herauszupicken und aus dem Zusammenhang zu reißen, um sie den politisch opportunen Lageeinschätzungen anzupassen. Alles andere wird als Gefälligkeitsgutachten oder widersprüchlich abgetan oder schlichtweg ignoriert. Manche deutsche Richter haben auch keine Scheu, die Argumente des türkischen Staates nahezu wörtlich zu übernehmen, wie beispielsweise Richter von Krosigk vom VG Braunschweig: „Keine Zweifel hatte das Gericht auch bezüglich der Angaben des Klägers, daß er wegen des Verdachtes auf Unterstützung der PKK festgenommen wurde. Diese Maßnahmen der türkischen Sicherheitskräfte sind aber nicht als politische Verfolgung zu werten. Vielmehr handelte es sich um zeitlich begrenzte Ermittlungsmaßnahmen im Rahmen der Terrorismusbekämpfung.“ Man kann es auch so machen, wie Richter Borchert von der 7. Kammer des VG Hannover im August letzten Jahres. Er verfügte die Abschiebung eines politisch äußerst aktiven Kurden (Gebietsleiter der PKK, Organisation einer kurdischen Großdemonstration usw.), um in seinen nachfolgenden Urteilen und Beschlüssen zu verkünden, diesem besagten Kurden sei ja nichts passiert. Daß dieser Kurde sich seit Monaten aus Angst vor erneuter Inhaftierung samt seiner Familie in der Türkei versteckt hält, fällt nicht mehr in die Zuständigkeit der Richters. Ein türkischer Mann hält eben etwas aus. (Meinte der Vorsitzende der 7. Kammer in einer öffentlichen Verhandlung zur Folter in der Türkei!) Bei Mehmet Ali Akbas hat dies bekanntlich nicht so gut funktioniert. Dummerweise ergab Akbas sich nicht, wie tausende andere mißhandelte Kurden, seinem Schicksal, sondern er wagte es, sich an Rechtsanwälte, den IHD und letztlich an die deutsche Botschaft zu wenden und seinen Fall öffentlich zu machen. Damit ist er nun wirklich ein Einzelfall - der erste, bei dem die Verfolgung nach penibel deutschen Maßstäben lückenlos recherchiert und bewiesen werden konnte. „Absoluter Einzelfall“ heißt es immer, wenn die Verantwortlichen nicht gewillt sind, die Verantwortung zu tragen und politische Konsequenzen daraus zu ziehen. Den ohnehin angekratzten Beziehungen Deutschlands zur Türkei würde das auch nicht gut bekommen, gerade jetzt, wo die beiden Außenminister wieder vorsichtigen Kontakt zueinander aufgenommen haben. Die Freundschaft sei zu wichtig, um sie „im schwierigen Fahrwasser“ zu lassen, so Kinkel. Die möchte man sich auch nicht durch die zugegebenerweise lästigen Menschenrechtsverletzungen in der Türkei allzu madig machen lassen. Also werden weiterhin Kurden in die Türkei abgeschoben und der „sicheren inländischen Fluchtalternative“ überlassen, derweil sich „Einzelfall“ an „Einzelfall“ reiht. 71 KURDENVERFOLGUNG Mehmet Ali Akbas: Mit deutschem Ticket in den türkischen Folterkeller Von Tomas Avenarius* Mehmet Ali Akbas ist der erste Kurde, der als Verfolgter wieder in die Bundesrepublik zurück durfte1 - aber nun steht die Abschiebung seines Cousins an Er schaut immer wieder ins Leere, redet nur leise, kritzelt zwischen zwei Zigaretten ziellos auf einem Blatt Papier herum. Der hagere, dunkelhaarige Mann, der in einem Cafe in der Innenstadt von Hannover sitzt, erzählt von der Folter, von Menschen, die ihn gequält haben, von seiner Angst und davon, daß er am Ende zusammengebrochen ist und Bekannte, Freunde und Verwandte belastet hat. Auch solche, die gar nichts getan haben. Mehmet Ah Akbas, aus Deutschland in die Türkei abgeschobener Kurde, berichtet davon, wie es dazu kam, daß er von deutschen Polizisten in die Türkei gebracht, dort von türkischen Polizisten schwer gefoltert wurde und wie er schließlich auf abenteuerlichem Wege und offenbar mit dem Wissen deutscher Behörden - aus seiner Heimat floh und zurück nach Hannover kam. Der Fall des 32jährigen Akbas könnte das ohnehin belastete Verhältnis zwischen Bonn und Ankara weiter trüben und zugleich jenen Argumente liefern, die die harte Haltung der Bunder- * Süddeutsche Zeitung; Hannover, 17 Mai 1998 72 regierung bei der Abschiebung abgelehnter Asylbewerber unmenschlich nennen. Denn im Fall von Mehmet Ah Akbas ist erstmals von deutscher Seite amtlich dokumentiert und anerkannt, daß ein aus Deutschland abgeschobener kurdischer Asylbewerber in der Türkei gefoltert worden ist. Und das heißt: Ankara bricht seine mit Bonn getroffenen Vereinbarungen über den Umgang mit abgeschobenen türkischen Staatsbürgern. Stimmt alles, was Akbas erzählt - und es gibt keinen Grund, ihm nicht zu glauben -, dann werden auch Bundesinnenminister Manfred Kanther und seinen Länderinnenminister-Kollegen über die angeblich gesicherte rechtsstaatliche Situation in der Türkei neu nachdenken müssen. Und dies gilt auch für deutsche Verwaltungsrichter und Asylentscheider. Bei der Einreise festgenommen Denn das Schicksal von Mehmet All Akbas ist typisch für das vieler Kurden in Deutschland. Seine Familie, die in Viransehir nahe der Stadt Urfa lebt, svmphatisiert offen mit der Kurdenbewegung. Einer seiner Brüder war Mitbegründer der später verbotenen Kurdenpartei HEP und saß dafür 13 Jahre im Gefängnis: er hat heute Asvl in Deutschland. Ein Cousin von Akbas ist seinem Bericht zufolge als Guerillakämpfer der PKK. der Arbeiterpartei Kurdistans. ,,In die Berge” gegangen, eine Tante und ein Onkel ,,wurden von der Conterguerilla ermordet”. Auch er selbst habe die HEP unterstützt, sei mehrmals festgenommen und mißhandelt worden. 1993 reiste er schließlich mit Frau und Kindern aus, beantragte in Deutschland Asyl, nahm dann an der Besetzung des türkischen Konsulates in Hannover 1993 teil. Sein Asylantrag wurde 1997 abgelehnt, weshalb er am 15. Januar 1998 mehrere Polizisten an seiner Haustüre in Nienburg vorfand, die ihn, begleitet von zwei Beamten, in ein Flugzeug nach Istanbul setzten. ,,Als wir gelandet waren, drückten mir die beiden meine Papiere in die Hand und sagten ,Tschüß’. Ich mußte alleine zur Zollkontrolle und wurde dort sofort abgeführt.” Am Bahnhof entführt Mehrere Stunden habe man ihn verhört, dann habe man gesagt, er sei “sauber” und könne gehen. Was folgte, war offensichtlich bis ins Detail geplant und angelegt, alle Spuren zu verwischen, “Sie ließen mich ein Papier unterschreiben, daß ich gut behandelt worden sei, und schärften mir ein, an der nächsten Telephonzelle meine Familie in Viransehir anzurufen. Ich sollte sagen, daß ich auf freiem Fuß bin”, sagt Akbas. “Als ich zum Busbahnhof ging, hielt ein Auto neben mir. Drei Männer zerrten mich hinein, verbanden mir die Augen, schlugen mich.” Verkehrspolizisten, die am Busterminal standen, seien trotz seiner Schreie nicht zu Hilfe gekommen. “Die wußten, wer mich entführt”, sagt Akbas. An das, was dann folgte, erinnert er sich wie an einen Alptraum: “Wir fuhren etwa 30 Minuten, dann führten sie mich in ein Gebäude, ich hörte ein Stahltüre ins Schloß fallen, wurde eine Treppe hinunter geführt. Einer sagte: Wir stellen Fragen. Du antwortest. Es gibt nur Ja oder Nein, kein ,ich weiß nicht’.” Sie hätten nach den PKK-Strukturen in Deutschland gefragt, nach Hintermännern der Konsulatsbesetzung, nach seinem Bruder. “Sie schlugen mich am ganzen Körper. Als ich zusammebrach, traten sie mich.” Irgendwann wurde er bewußtlos. Als er wieder klar wurde, rissen sie ihm die Kleider vom Leib, übergossen ihn mit eiskaltem Wasser - “es war Januar und ich lag auf dem Betonboden und fror brutal”. Schließlich legten sie ihm Elektroden an Ohren und Genitalien, folterten ihn mit Strom. Zuletzt spürte Akbas den Lauf einer Pistole an der Schläfe, hörte, wie der Hahn gespannt wurde. Was er dann getan hat, beschämt ihn heute tief. “Ich habe ihnen irgendwelche Namen genannt, möglichst viele, damit sie nur glauben. In meiner Angst hätte ich sogar erzählt, daß mein alter Vater PKK-Kämpfer ist.” Akbas hat wahllos Freunde, Verwandte und Bekannte denunziert und das “Angebot einer Zusammenarbeit” mit der Polizei angenommen. Er weiß, daß diese Menschen, falls sie in die Türkei fahren sollten oder von den deut- FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 KURDENVERFOLGUNG schen Behörden dorthin abgeschoben werden, Gefahr laufen, ebenfalls gefoltert zu werden. Nach seinem “Geständnis” habe man ihm Zigaretten und Tee gereicht, ihm Decken und einen Pullover gegeben. Nach acht Tagen setzten ihn die Polizisten irgendwo in Istanbul an einer Straße ab. “Vorher hatten sie noch gedroht, daß meiner Familie etwas passieren würde, wenn ich nicht zusammenarbeite.” Bis dahin, das haben der türkische Menschenrechtsverein und Amnesty International oft genug nachgewiesen, ist der Fall nicht einzigartig: Folter ist auf türkischen Polizeirevieren an der Tagesordnung, immer wieder werden ,,von Unbekannten” ermordete Kurden mit Folterspuren aufgefunden. Nur: Der aus Deutschland abgeschobene Asylbewerber Mehmet All Akbas konnte in Istanbul untertauchen, ließ sich mit Hilfe des niedersächsischen Flüchtlingsrates und der Grünen-Landtagsabgeordeneten Silke Stokar von einem Vertrauensarzt des deutschen Generalkonsulates untersuchen. Der bestätigte in seinem Gutachten “weitgestreckte Prellungsgebiete (...) von Einwirkungen durch stumpfe Gegenstände” sowie weitere Verletzungen, also eindeutige Foltermale. Damit ist der Foltervorwurf von deutscher Seite erstmals amtlich dokumentiert und anerkannt. Und nur so erklärt es sich auch, daß der abgelehnte und abgeschobene Asylbewerber Akbas am 12. Mai wieder nach Deutschland einreisen durfte. Weil ihm die Türken die Ausreise verweigert hatten, war er mit einem Boot über den türkisch-griechischen Grenzfluß Meric geflohen, wurde dann in Zusammenarbeit mit der deutschen Botschaft in Athen nach Hannover gebracht. Offenbar ist den Zuständigen im Auswärtigen Amt längst klar geworden, was von den Absprachen mit Ankara zu halten ist. Auch wenn man das in Bonn nicht bestätigen will, arbeitet man dort angeblich bereits an der Änderung des Lageberichts Türkei. Diese Analysen der Situation in den jeweiligen Staaten bilden die Grundlage für den Vollzug von Abschiebungen. Selbst das Bundesinnenministerium zweifelt nicht mehr daran, daß Akbas gefoltert wurde. Es soll gegenüber dem Außenministerium sogar eingeräumt haben, mit der Abschiebung einen Fehler begangen zu haben. ,,Daran, daß der Asylfolgeantrag von Akbas jetzt rasch bewilligt werden wird, gibt es gar keinen Zweifel”, sagt Seyit Gül vom niedersächsischen Flüchtlingsrat. Einzelfall oder exemplarisch? Die alles entscheidende Frage ist aber, ob Mehmet Ali Akbas Schicksal in den Augen der deutschen Behörden ein Einzelfall ist oder exemplarisch steht für den Umgang der Türken mit politisch unliebsamen Bürgern. Wie wenig Sicherheit Abgeschobene in der Türkei genießen, zeigt sich auch an der Liste jener türkischen Rechtsanwälte, die den Abschiebekandidaten von deutscher Seite mit auf den Weg gegeben werden. “Als ich dort anrief”, sagt Akbas, “haben sie mir sofort gesagt, sie könnten gar nichts für mich tun. Das war die ganze Hilfe.” Und während Menschenrechtsgruppen wie Pro Asyl und der Flüchtlingsrat bereits Konsequenzen für die deutsche Asylpolitik fordern, zeigen sich die Verantwortlichen im Bundesinnenministerium noch unbeeindruckt. Es handele sich bei Akbas um einen ,,offensichtlichen Einzelfall”, argumentiert ein Sprecher. Und auch im Bundesamt für Flüchtlingsfragen scheint man an der harten Linie festzuhalten. Seyit Gül vom Flüchtlingsrat sagt, die Behörde habe jüngst “innerhalb von zwei Stunden” entschieden, einen ebenfalls in Nienburg lebenden Cousin von Akbas abzuschieben - “obwohl wir ihnen das ganze neue Material über den Fall von Mehmet Ali Akbas vorgelegt hatten”. Wenn es schlecht läuft, ist dieser Cousin, Mirze Akbas, in ein paar Tagen bereits in den Händen der türkischen Polizei. Auch er steht auf der Liste der Hannoveraner Konsulatsbesetzer, auch er war in Deutschland politisch für Kurdengruppen aktiv. Mehmet Ali Akbas, der die Namen vieler seiner Verwandter als angeblich politisch Aktiver unter der Folter ge- nannt hat, sagt nur: “Was ihn in der Türkei erwartet, ist doch ganz klar.” 1) Auch die Ehefrau und die Kinder der kurdischen Familie Doruk konnten 1995 mit Einverständnis der niedersächsischen Landesregierung und der Bundesregierung nach ihrer spektakulären Abschiebung wieder einreisen. Beiden Fällen ist gemeinsam, daß die deutschen Behörden auf legalem Wege nicht in der Lage gewesen wären, die Abgeschobenen wieder nach Deutschland zurück zu holen. 73 KURDENVERFOLGUNG Glogowskis Rücktritt gefordert Wie viele menschliche Versuchskaninchen benötigt der niedersächsische Herr Innenminister noch, um sich von der Vertragstreue der türkischen Polizei zu überzeugen? Dr. Burkhard Hirsch, MdB (F.D.P).* Zu erneuten Verletzungen des deutsch-türkischen Verhältnisses erklärte der F.D.P.-Bundestagsabgeordnete Dr. Burkhard Hirsch, MdB, heute in Bonn: Es steht leider fest, daß der aus Niedersachsen in die Türkei abgeschobene kurdische Asylbewerber Mehmet Aktas von der türkischen Polizei in übelster Weise gefoltert worden ist. Der niedersächsische Herr Innenminister hat ihm zwar dankenswerterweise die Rückkehr nach Deutschland gestattet, hält aber daran fest, einen Verwandten des Folteropfers demnächst abzuschieben. In einer normal funktionierenden Demokratie würde schon die Folterung eines politischen Flüchtlings ausreichen, den für die Abschiebung verantwortlichen Innenminister zum Rücktritt zu veranlassen. Er kann persönlich nichts dafür, aber er hat es zu verantworten. Wer sonst? Wie viele menschliche Versuchskaninchen benötigt der niedersächsische Herr Innenminister noch, um sich von der Vertragstreue der türkischen Polizei zu überzeugen? Er kann sich darauf berufen, daß der Bundesinnenminister die Vereinbarung abgeschlossen hat. Ist das alles? Ist jeder der beiden Herren nur das hilflose Werkzeug des anderen? * Erklärung von Dr. Burkhard Hirsch, MdB vom 18.05.1998 Man muß erwarten können, daß die Bundesregierung erklärt, welche Folgerungen sie zu ziehen gedenkt. Keine? Eine Fernsehsendung berichtet unwidersprochen von den Aussagen zweier in die Schweiz geflohener Offiziere der türkischen Armee, daß entgegen allen Verpflichtungen mit deutschen Waffen Massaker an Kurden verübt wurden, so in der kurdischen Stadt Kars im Kreis Kazman. Die Panzer seien noch mit der deutschen Bedienungsanleitung ausgestattet gewesen. Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung daraus? Sagt sie wenigstens, daß es ihr leid tut? Wir wollen gute Beziehungen zur Türkei. Wir würdigen die schwierige innenpolitische Lage ihrer Regierung . Aber unabhängig davon, ob die Bundesregierung der Türkei den Weg nach Europa öffnen will oder nicht, wird sie das Gesicht verlieren, in der Türkei und sonstwo, wenn sie derartige Vorgänge aus Eigennutz oder Hilflosigkeit schweigend hinnimmt. Verantwortung liegt bei Minister Kanther Minister Gerhard Glogowski* Sehr geehrter Herr Dr. Hirsch, mit Fassungslosigkeit und großer Betroffenheit habe ich Ihre Presseerklärung vom 18. März 1998 zur Kenntnis genommen, in der Sie auf unfaire Weise und wider besseres Wissen versuchen, mir die Verantwortung für die Mißhandlung eines aus Niedersachsen in die Türkei abgeschobenen Kurden in die Schuhe zu schieben. Von einem so erfahrenen Abgeordneten wie Sie es sind, der sich nicht nur regelmäßig zu Fragen der Asyl- und Ausländerpolitik äußert, sondern * Presseinformation des Nds. MI vom 9.05.98/Nr. 106/98 74 in den Jahren 1992 und 1993 maßgeblich am Parteienkompromiß zur Änderung des Asylrechts mitgewirkt hat, hätte ich eigentlich erwartet, daß er über die von ihm selbst mitgestaltete Aufteilung der Kompetenzen zwischen den Bundes- und Landesbehörden in diesem Bereich besser informiert ist. Da dies offenbar nicht der Fall ist, will ich es noch einmal erklären: Zuständig für die Entscheidung über Asylanträge und das Vorliegen auslandsbezogener Abschiebungshindernisse ist aus wohlerwogenen Gründen ausschließlich das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge. Die Dienst- und Fachaufsicht über diese Behörde führt das Bundesministerium des Innern. Die Aus- länderbehörden der Länder sind an die Entscheidungen dieser Behörde und der Verwaltungsgerichte, die zur Überprüfung eingeschaltet werden können, gebunden. Grundlage für die Entscheidungen dieser Stellen sind u.a. die Lageberichte des Auswärtigen Amtes. Für die Ausländerbehörden, für die ich in Niedersachsen die Verantwortung trage, besteht keine Möglichkeit, hiervon abweichende Entscheidungen zu treffen; sie müssen die vom Bundesamt getroffene Entscheidung ohne eigene Prüfungskompetenz vollziehen. Wenn hier also von deutscher politischer Verantwortung die Rede ist, so liegt diese für die Entscheidungen des Bundesamtes für die FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 KURDENVERFOLGUNG Anerkennung ausländischer Flüchtlinge beim Bundesinnenminister, also ihrem Koalitionspartner Kanther. Dem Bundesaußenminister, bekanntlich ihr Parteifreund Kinkel, hingegen ist es offenbar bis zum heutigen Tage nicht gelungen, die Türkei zu veranlassen, rechtsstaatliche Grundsätze einzuhalten und die Menschenrechtssituation zu verbessern. Auch hat er in seinen Lageberichten die Situation für die Kurden in der Türkei so dargestellt, daß eine Asylanerkennung oder die Gewährung von Abschie- bungsschutz nur im Einzelfall in Betracht kommen kann und Abschiebungsstopps nicht geboten sind. Abschiebung kurdischer Volkszugehörige in die Türkei geanträge zu stellen. Anlage: 1 als Anlage erhalten Sie einen Auszug aus dem aktuellen Bericht des Auswärtigen Amtes zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Türkei. Der komplette Lagebericht wird Ihnen in Kürze übersandt. Die im Lagebericht vom Auswärtigen Amt bestätigten Mißhandlungsvorwürfe betreffen einen im Januar d.J. aus Niedersachsen abgeschobenen abgelehnten kurdischen Asylbewerber. Der ehemalige Asylbewerber ist inzwischen mit Zustimmung des Bundesinnenministeriums und Unterstützung des Auswärtigen Amtes über Griechenland legal wieder in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und hält sich seither wieder in Niedersachsen auf. Er erhält Gelegenheit, die nach seiner Abschiebung in der Türkei erlittenen Mißhandlungen und Bedrohungen in einem Asylfolgeverfahren geltend zu machen. Weitere Familienangehörige des zurückgekehrten ehemaligen Asylbewerbers, die in der Bundesrepublik verblieben waren, erhielten ebenfalls Gelegenheit, Asylfol- Es ist auch unredlich, weil nicht zutreffend, daß ich daran festhalte, demnächst einen Verwandten des Folteropfers abzuschieben. Die Abschiebung dieses Verwandten ist ausgesetzt und ihm die Möglichkeit gegeben worden im einem Asylfolgeverfahren die jetzt neuen Erkenntnisse vorzubringen. Es wird also eine neue Entscheidung des zuständigen Bundesam- Die Ereignisse um den zurückgekehrten ehemaligen Asylbewerber geben keine Veranlassung dazu, generell von der Durchsetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegenüber kurdischen Volkszugehörigen aus der Türkei abzusehen. Soweit zur Ausreise verpflichtete Kurdinnen und Kurden aus der Türkei - ggf. unter Berufung auf die erlittenen Mißhandlungen des jetzt zurückgekehrten ehemaligen Asylbewerbers geltend machen, bei ihrer Rückkehr in die Türkei bedroht zu sein, sind sie darauf zu verweisen, daß diese Gefährdung bei Asylbewerberinnen und Asylbewerbern in individuellen Verfahren vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zu entscheiden ist. Sollten auch in diesen (erneuten) Verfahren Abschiebungshindernisse nicht festgestellt werden, ist die Ausreiseverpflichtung der kurdischen Volkszugehörigen aus der Türkei zwangsweise durchzusetzen, wenn sie der Ausreisepflicht nicht freiwillig nachkommen. Auf Wunsch ist den ausreisepflichtigen kurdischen Volkszugehörigen die Möglichkeit zu ge- tes geben. Von dieser Entscheidung hängt das weitere Vorgehen der Ausländerbehörde ab. Wenn Sie also meinen, in einer „normal funktionierenden Demokratie“, für die Sie die Bundesrepublik Deutschland offenbar nicht halten, müßten die verantwortlichen Minister zurücktreten, dann darf ich Sie bitten, diese Aufforderung an Ihren Parteifreund Kinkel bzw. an Ihren Koalitionspartner Bundesinnenminister Kanther zu richten, was Mut von Ihnen erfordern würde, aber redlich wäre.“ Nds. Innenministerium: Keine Konsequenzen aus dem Fall Akbaz ... sind sie darauf zu verweisen, daß diese Gefährdung bei Asylbewerberinnen und Asylbewerbern in individuellen Verfahren vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zu entscheiden ist. * ben, bereits von Deutschland aus Kontakt mit Anwälten ihres Vertrauens in der Türkei aufzunehmen, wenn sich dadurch die Ausreise nicht verzögert. Im Auftrage Middelbeck * Schreiben des MI per Fax an die Bezirksregierungen mit der Bitte um Weiterleitung an die Ausländerbehörden vom 22.05.1998 Az.: 45.31-12230/1-1(§54)1-3 75 KURDENVERFOLGUNG Gutachten zur Gefährdung abgeschobener Kurden in der Türkei Serafettin Kaya* Seit der Gründung der Republik Türkei hat der türkische Staat stets Angst davor, daß das kurdische Volk sich für seine nationale Identität und seine politischen und kulturellen Rechte erhebt und daß dessen Frage auf internationaler Ebene behandelt wird. Er hat sich vor den Aktivitäten der kurdischen nationalen Opposition zu jeder Zeit gefürchtet und hat deswegen jeden Auflehnungsversuch mit äußerster Härte bestraft. Alle Nachrichtendienste der Republik Türkei haben, auch wenn sie mit unterschiedlicher Zielsetzung gegründet wurden und unterschiedliche Aufgabenbereiche abdecken, die kurdische nationale Opposition und deren Aktivitäten ebenso wie ihren genuinen Aufgabenbereich verfolgt und tun dies immer noch. Der Staat der Republik Türkei verfolgt die gesamte Presse- und Medienarbeit (in Printmedien, Rundfunk und Fernsehen)der kurdischen nationalen Opposition und der türkischen linken Opposition sowohl in der Türkei als auch * Gutachten vom 20.02.1998 für das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen; Az.: 2 a K 5300/97.A 76 in Europa. Neben dem nationalen Nachrichtendienst MIT verfolgen auch die Nachrichtenabteilung des Sicherheitsamtes der Generaldirektion der Polizei sowie die Niederlassungen der Nachrichtenabteilung bei den Polizeidirektionen der Provinzen diese regelmäßig. Bei diesen Behörden gibt es jeweils Dezernate für besondere Aufgabenbereiche wie z.B. ,,Kurdenabteilung, ,,Kurdendezernat“. Bei diesen Behörden werden Informationen gesammelt, ausgewertet und entsprechende Maßnahmen eingeleitet. Die mir bekannten Abgeordneten in Ankara und Personen aus den politischen Kreisen von HADEP und CHP, zu denen ich Kontakt aufgenommen habe, bestätigten mir, daß bei dem Sicherheitsamt der Generaldirektion der Polizei in Ankara sowie bei den Polizeidirektionen in den großen Städten wie Izmir und Istanbul besondere, technisch gut ausgestattete Sonderbüros eingerichtet worden sind, deren einzige Aufgabe in der Beobachtung der Sendungen von MED-TV besteht. Sie sind der Auffassung, daß den MED-TVSendungen deswegen besondere Beachtung geschenkt wird, weil durch visuelle Medien größere Kreise erreicht werden können, sie zur Bildung eines Nationalbewußtseins bei den Massen beitragen und in größerem Maße bei der politischen Aufklärung mitwirken. Anwaltskollegen von der Anwaltskammer in Diyarbakir haben mir berichtet, daß bei der Nachrichtenabteilung des Polizeipräsidiums in Diyarbakir eine besondere Abteilung eingerichtet wurde und diese in mit allen technischen Möglichkeiten ausgestatteten Räumlichkeiten die Sendungen von MED-TV verfolgt. Die Nachrichtenabteilung der Gendarmerie bedient sich der Auskunft zufolge bei der Beobachtung der Programme von MED-TV der kurdischsprechenden Gendarmen. Im Notstandsgebiet, insbesondere in der Provinz Diyarbakir und Umgebung, sind einige Dorfschützer von den Gendarmeriekommandanturen mit der Beobachtung von MED-TV beauftragt worden. (Bezweckt wird damit, in MED-TV auftretende Personen zu identifizieren. Zu diesem Zweck wurden ihnen auch Satellitenempfänger zur Verfügung gestellt. Nach dem Erlaß des Ministerpräsidentenamtes vom 30.11.1993 und dem im Anschluß daran an die Gouverneure, die Generaldirektion der Polizei, die Gendarmeriekommandanturen und Auslandsvertretungen gesandte Rundschreiben vom 30.1.1994 mit der Nummer 03438, in dem dazu aufgefordert wurde, die Verbreitung der Publikationen der kurdischen nationalen und türkischen linken Opposition zu verhindern, wurden MED-TV und die von der kurdischen nationalen Opposition noch strenger kontrolliert. Man kann sagen, daß der Nachrichtendienst der Gendarmerie sowie die Gendarmeriekommandanturen und sogar untergeordnete Einheiten MED-TV beobachten und sich dabei der kurdischsprechenden Gendarmen oder Personen aus der Bevölkerung oder vorläufiger Dorfschützer bedienen. In dem betreffenden Rundschreiben heißt es, nachdem über die legalen Aktivitäten der kurdischen nationalen Opposition und über die Presse- und Medienorgane, die sich mit der kurdischen Frage befassen, ausführlich berichtet wurde: ,,Die Aktivitäten der Zeitungen, Zeitschriften, Radio- und Fernsehsender, die separatistische und gewalttätige Organisationen unterstützen - insbesondere von Özgür Ülke - haben in letzter Zeit eine Qualität erreicht, die direkt das Ansehen und den Fortbestand des Staates angreift. Daher bitte ich darum, A) diese Presse- und Medienorgane streng zu beobachten und zu verfolgen, B) die Gründe dafür festzustellen, warum, obwohl so viele Straftaten begangen und Strafanzeigen gestellt wurden, von den Verwaltungs- und anderen Organen keine wirkungsvollen rechtlichen Schritte unternommen worden sind und wirksame Maßnahmen dagegen zu ergreifen, C) Methoden zur Bekämpfung solcher Presse- und Medienorgane zu entwickeln, welche Organisationen, welche sich gegen den Fortbestand des Staates richten und separatistische Propaganda betreiben und Terrororganisationen unterstützen; die entwickelten Methoden müssen rasch umgesetzt FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 KURDENVERFOLGUNG werden. Außerdem hat das Innenministerium einen von der damaligen Innenministerin Meral Aksener unterzeichneten Erlaß vom 03.0l.l997 an den Gouverneur für das Notstandsgebiet und die Gouverneure aller Provinzen, die Generalkommandantur der Gendarmerie, der Generaldirektion der Polizei und das Generalsekretariat des Nationalen Sicherheitsrates gesandt. Der Erlaß mit der Nummer 073/472, welcher zusätzliche zu den bereits ergriffenen Maßnahmen beinhaltet, um die legalen politischen Aktivitäten der PKK unwirksam zu machen, fordert dazu auf, die Sendungen von MED-TV zu beobachten sowie zu verhindern, daß dieser Sender im Land Aufnahmen macht und ausstrahlt (2. Abschnitt, Punkt 10). In den Tageszeitungen und in MED-TV wird auch berichtet, daß die Sicherheitsbehörden Häuser, Cafés, Restaurants und ähnliche Geschäfte überfallen und die Bevölkerung unter Druck setzen, um die Verbreitung von Zeitungen und Zeitschriften der kurdischen nationalen Opposition sowie den Empfang des MED-TVSenders zu verhindern. Außerdem werden Personen, die in den Sendungen aufgetreten oder in Sendungen erkannt worden sind, verfolgt, um kurdische und türkische Intellektuelle einzuschüchtern, damit diese sich von MEDTV und den Publikationen der kurdischen nationalen Opposition distanzieren. Viele Teilnehmer an Gesprächsrunden in MED-TV oder Personen, die in MED-TV-Sendungen zu sehen waren, wurden verhört, und es wurden gegen sie strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Unter anderem wurden Güven Özata, der stellvertretende Vorsitzende von HADEP, Akin Birdal, Vorsitzender des Menschenrechtsvereins (IHD), die Rechtsanwältin Eren Keskin, der Rechtsanwalt Mahmut Sakar und die kurdischen Intellektuellen Dr. Tank Ziya Ekinci, H. Musa Sagnic, Abdullah Varli, die DEP-Abgeordneten Ahmet Türk und Sirri Sakik und viele andere nach ihrem Auftritt bei MED-TV bei der Einreise in die Türkei verhört, und es wurde gegen sie gemäß § 169 TStGB und §§ 7/2 und 8 des Gesetzes Nr. 3713 (Gesetz zur Bekämpfung des Terrors strafrechtlich ermittelt. Eine mir bekannte Person, die ich hier zu ihrem Schutz nur als T.K. bezeichnen möchte, hat während ihres Europaaufenthalts als Zuhörer an einer Diskussionssendung von MED-TV teilgenommen und wurde bei ihrer Rückkehr eine Woche festgehalten und unter Folter verhört. Sie fürchtet noch immer, daß deswegen ein Strafverfahren gegen sie eingeleitet werden könnte. nisation zu gestehen. Während des Verhörs habe man ihm eine Videoaufzeichnung der Fernsehsendung, an der er via Telefon teilgenommen hatte, gezeigt Außerdem wurde einer der stellvertretenden Vorsitzenden von HADEP, Mehmet Satan, wegen seiner Rede in einer Talkshow in MED-TV über die kurdische Frage und die Aktivitäten der kurdischen nationalen Opposition bei seiner Einreise in die Türkei festgenommen und danach beim Staatssicherheitsgericht Ankara ein Verfahren gegen ihn eingeleitet. Am 28.10.1997 wurde er zu vier Jahren und sechs Monaten schwerer Freiheitsstrafe verurteilt. Die Anklageschrift und die Protokolle dieses Verfahrens sowie das von der Nachrichtenabteilung der Generaldirektion der Polizei in Ankara herausgegebene und den zuständigen Behörden zugeleitete Bulletin über die betreffende MED-TV Sendung vom 4.4.1997 befinden sich in meinem Archiv. Es ist allgemein bekannt, daß der kurdische Staat sich von den Aktivitäten der kurdischen nationalen Opposition bezüglich der Anprangerung der staatlichen Kurdenpolitik vor der demokratischen Weltöffentlichkeit sowie von ihrem Bemühen um Unterstützung bei der europäischen Öffentlichkeit für eine politische Lösung der kurdischen Frage beunruhigt fühlt. Aus diesem Grunde hat er seit den 80er Jahren, seit die kurdische nationale Opposition sich nach Europa öffnete - insbesondere seit der Aufnahme des bewaffneten Kampfes und seiner Ausbreitung - auch im Ausland Organisationen geschaffen, um die kurdische nationale Opposition zu bremsen. Auf der einen Seite versucht er durch gezielte Propaganda und provokative Aktionen die Parteien und Organisationen der kurdischen nationalen Opposition dort, wo sie aktiv sind, als ,,verbotene“ Organisationen zu diskreditieren, auf der anderen Seite bemüht er sich, die Menschen kurdischer Abstammung in Europa durch verschiedene Maßnahmen einzuschüchtern und sie so von der kurdischen nationalen Opposition fernzuhalten. Um die kurdische nationale Opposition besser beobachten und Informationen über sie sammeln zu können und um sie durch Provokationen zu lenken und von ihrem Kurs abzubringen, haben die Nachrichtendienste und Auslandsvertretungen der Republik Türkei seit 1986 neue Wege bei der Organisierung beschritten, und es wurden bei den Konsulaten Büros des wieder ins Leben gerufenen Amtes für Öffentlichkeitsarbeit eingerichtet Der ehemalige HADEP-Provinzvorsitzende von Diyarbakir Abdullah Akin (jetzt Mitglied des Parteipräsidiums) wurde, weil er per Telefonschaltung an einer Diskussionsrunde von MED-TV über den geplanten Musa-Anter-Friedenszug von Brüssel nach Diyarbakir teilgenommen hatte, festgenommen, verhört und verhaftet, und es wurde gegen ihn ein Strafverfahren mit dem Vorwurf der Mitgliedschaft in der PKK eingeleitet. Bei der Gerichtsverhandlung wurde er freigesprochen und freigelassen, weil die Mitgliedschaft in der Organisation nicht bewiesen werden konnte. In der Presse wurde über diesen Fall berichtet. Akin hat angegeben, er sei während seiner Festnahme unter Folter verhört worden, und man habe versucht ihn zu zwingen, seine Mitgliedschaft in der Orga- Der MIT ist zudem nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland organisiert und verfolgt mit Hilfe der Auslandsvertretungen der Republik Türkei die kurdische nationale Opposition, die radikale türkische Linke und die islamischfundamentalistische Opposition und deren Aktivitäten und Publikationen - das trifft insbesondere auch auf MED-TV zu. 77 KURDENVERFOLGUNG und mit technischen Mitteln ausgestattet. Darüber hinaus hat man sich auch innerhalb der extrem-nationalistischen Föderation der türkischen Vereine in Europa und des Amtes für Religiöse Angelegenheiten/Türkisch-Islamische Union organisiert1) Zweifellos verfolgt der Nachrichtendienst MIT in den Auslandsvertretungen in Europa regelmäßig die von der kurdischen nationalen Opposition, der linken Opposition und den radikalen fanatisch-religiösen Strömungen herausgegebenen Zeitungen und Zeitschriften und die von ihnen verteilten Flugblätter. Das ist auch nicht weiter schwer. Er kann sich die Publikationen entweder selbst oder über die Organisationen und Einrichtungen, mit denen er zusammenarbeitet oder über seine Agenten besorgen. Über die Massenaktionen wie Kundgebungen, Demonstrationen, Abendveranstaltungen und Versammlungen, über Hungerstreiks und ähnliche Protestaktionen sammelt er neben Informationen auch Aufnahmen. Auch deren Besorgung ist einfach. Alle Organisationen nehmen die von ihnen durchgeführten Aktionen ohnehin auf Videokassetten auf, welche sie vervielfältigen und zum Kauf anbieten. Sicherlich wird auch das Programm von MED-TV täglich beobachtet und werden wichtige Sendungen aufgezeichnet. Die Personalien derjenigen, die in Sendungen von MED-TV auftreten oder gezeigt werden und derjenigen, die bei Aktionen gefilmt werden, werden oftmals genannt. Auch wenn das nicht der Fall ist, kann ihre Identität über die in die Organisationen der kurdischen und türkischen Opposition eingeschleusten Agenten, über die Türkische Föderation und die türkischen Moscheen sowie über die Arbeiter und Geschäftsleute, die mit den Auslandsvertretungen in engem Kontakt stehen, festgestellt werden. Ich kenne viele Personen kurdischer Abstammung - ob Studenten oder Arbeitnehmer - denen bei der Erledigung ihrer Angelegenheiten in den Konsulaten (bei der Verlängerung von Pässen, der Inanspruchnahme notarieller 78 Dienste wie der Beglaubigung von Vollmachten und bei standesamtlichen Angelegenheiten) Schwierigkeiten bereitet wurden, weil sie an Aktionen in ihrem Wohnort teilgenommen hatten oder in Sendungen von MED-TV zu sehen waren. (Weil in der Presse nicht darüber berichtet wurde und ich ihre Einwilligung nicht eingeholt habe, möchte ich ihre Nahmen an dieser Stelle nicht nennen.) Vielen wurden diese Aktivitäten vorgehalten, sie wurden eingeschüchtert und zu Agententätigkeiten genötigt. Aus meinem Umfeld ist mir persönlich ein Arbeiter kurdischer Abstammung bekannt, der in seinem Wohnort politisch aktiv ist und zusammen mit seiner Frau an einer Sendung im MED-TVStudio in Brüssel teilgenommen hatte (die Sendung hieß „HeviyaGel“ - Hoffnung des Volkes) und dabei auf dem Bildschirm zu sehen war. Als er zwecks Erteilung einer Vollmacht das türkische Generalkonsulat in Hamburg aufsuchte, wurde er in ein separates Zimmer gebracht, wo er verhört und bedroht wurde. In den Zeitungen wurde darüber berichtet und ich habe viele Dokumente zu entsprechenden Fällen, daß vielen Personen bei der Rückkehr in die Heimat wegen ihrer Beteiligung an politischen Aktivitäten während ihres Auslandsaufenthaltes der Prozeß gemacht wurde. In den Zeitungen wurde darüber berichtet, und ich habe viele Dokumente zu entsprechenden Fällen, daß vielen Personen bei der Rückkehr in die Heimat wegen ihrer Beteiligung an politischen Aktivitäten während ihres Auslandsaufenthaltes der Prozeß gemacht wurde. In den Zeitungen wurde darüber berichtet und ich habe viele Dokumente zu entsprechenden Fällen, daß vielen Personen bei der Rückkehr in die Heimat wegen ihrer Beteiligung an politischen Aktivitäten während ihres Auslandsaufenthaltes der Prozeß gemacht wurde. Zum Beispiel: Ein Arbeiter namens Salih Berkil aus dem Kreis Hacibektas in Nevsehir wurde während seines Urlaubs in der Türkei wegen seiner politischen Aktivitäten in Nürnberg und der Teilnahme an Protestaktionen vor dem Konsulat verhaftet, und es wurde gegen ihn ermittelt. (Der Rechtsanwalt Murat Erdogan aus Antalya, zu dem ich Kontakt aufgenommen habe, hat diesen Vorfall bestätigt. Der Brief, den der Kollege Erdogan diesbezüglich an Karen Steinle geschrieben hat und eine Abschrift des Schreibens des Polizeipräsidiums Ankara vom 15.01.1997 mit der Geschäftsnr. 97/1930 bezüglich der Festnahme von Salih Berkil und seiner Überführung liegen mir vor.) Der Rechtsanwalt Murat Erdogan hat mir berichtet, daß gegen Salih Berkil beim Staatssicherheitsgericht Izmir ein Verfahren eingeleitet wurde und er nach 40 Tagen bei der Gerichtsverhandlung freigesprochen und aus der Haft entlassen worden ist. Wie ich erfahren habe, ist Salih Berkil nach seiner Freilassung nach Deutschland zurückgekehrt und hält sich wieder in Nürnberg auf. Abdurahman Kilic aus Bingöl wurde wegen seiner Aktivitäten und Geldspenden in Deutschland verhaftet, und es wurde gegen ihn beim Staatssicherheitsgericht in Diyarbakir gemäß 168/2 TStGB ein Strafverfahren eingeleitet. Er befindet sich noch in Untersuchungshaft. Die Hauptverhandlung findet am 5. März 1998 statt. Er wird von Rechtsanwalt Sirac Anik vertreten. Laut Auskunft von RA Sirac Anik und RA Firat Anli, der mit dem Menschenrechtsverein zusammenarbeitet, war Abdurahman Kilic, als er aus Deutschland kam, auf dem Istanbuler Flughafen eine Weile festgehalten und dann wieder freigelassen worden. Als er in Diyarbakir auf dem Busbahnhof wartete, um seine Familienangehörigen, die aus Bingöl zu Besuch kamen, wurde er von den staatlichen Sicherheitskräften festgenommen. Er wurde acht Tage lang unter Folter verhört. Dabei wurden ihm seine Teilnahme an Veranstaltungen und der Verkauf von Büchern und Zeitschriften in Deutschland und die Überweisung von Geld an seine Familie vorgehalten, und ihm wurde vorgeworfen, er sei PKK- FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 KURDENVERFOLGUNG Mitglied und als Kurier ins Land eingereist. Man versuchte ihn zu einer Aussage zu zwingen, mit wem er in Deutschland und in der Türkei Kontakte unterhalte und wen er im Land besuchen wolle. Die Anklageschrift und andere Dokumente, in deren Besitz ich bin, bestätigen diese Darstellung. (Die Anklageschrift der Republikanischen Oberstaatsanwaltschaft beim Staatssicherheitsgericht Diyarbakir vom 31.12.1997 mit der Ermittlungsaktennr. 1997/3425, dem Aktenzeichen 1997/1548 und der Anklageschriftnummer 1997/1495 befindet sich in meinem Archiv.) Ahmet Karakus aus dem Kreis Araban/Gaziantep wurde mit der Behauptung, er habe während seines Aufenthaltes in Deutschland an von der PKK und ERNK veranstalteten Demonstrationen teilgenommen, beschuldigt, eine bewaffnete Bande unterstützt zu haben und verhaftet. Vor dem Staatssicherheitsgericht in Izmir wurde ihm der Prozeß gemacht, und er wurde mit dem Urteil vom 6.11.1997 mit dem Aktenzeichen 1997/20 und der Urteilsnummer 1997/294 gemäß § 169 TStGB und § 5 des Gesetzes Nr. 3713, Gesetz zur Bekämpfung des Terrors, zu 4 Jahren und 6 Monaten schwerer Gefängnisstrafe verurteilt. Ich bin im Besitz einer Abschrift dieses Dokumentes, und über den Vorfall wurde auch in der Presse berichtet. Laut Bericht des Rechtsanwaltes Firat Anli wurde der am 15. Januar 1998 in die Türkei abgeschobene Mehmet Ali Akbas auf dem Flughafen festgenommen und erst nach einiger Zeit wieder freigelassen. Ein paar Tage später, als er zum Busbahnhof ging, um nach Urfa zu fahren und seine Verwandten zu besuchen, wurde er erneut festgenommen und wegen seiner Teilnahme an der Besetzung des Generalkonsulats in Hannover verhört. man versuchte ihn zu zwingen, die Hintergründe dieser Aktion, deren Organisatoren und die weiteren Teilnehmer preiszugeben. (Die Anwaltskollegen haben mir eine Abschrift des durch den Arzt Dr. Mustafa Vurgun in der Zentralen Gesundheitsstation in Viransehir ausgestellten Attestes gesandt, demzufolge Mehmet Ali Akbas gefoltert worden ist. Das Attest datiert vom 2.2.1998 und trägt die Nummer 6130.) Die oben aufgeführten Beispiele zeigen deutlich, daß die Zeitungen und Zeitschriften der kurdischen nationalen Opposition sowie die Sendungen vom MED-TV von den Sicherheitsbehörden und Nachrichtendiensten sowohl im Inland als auch im Ausland durch Angehörige der Auslandsvertretungen und der Nachrichtendienste tatsächlich verfolgt und über die gegen den Staat der Republik Türkei gerichteten Aktivitäten der Opposition im Ausland Informationen gesammelt werden. 2. Die mir übersandte Videokassette mit in MED-TV und im Offenen Kanal ausgestrahlten Aufnahmen des Hungerstreiks in der Dortmunder Petri-Kirche habe ich angeschaut. Darüber hinaus habe ich auch die in der türkischen Presse und in den Publikationen der kurdischen nationalen Opposition darüber erschienenen Berichte geprüft. Die Teilnehmer an dem Hungerstreik sind einzeln aufgenommen und ein paar Mal gezeigt worden, so daß ihre Identifizierung leicht möglich ist. Außerdem werden die Namen der Hungerstreikenden auch in den Presseberichten genannt. Der Name des beigeladenen Ismail Badur sowie die Namen der zur gleichen Familie gehörenden Yildiz Badur, Cahide Badur und Nafiye Badur werden in dem in der Ausgabe vom 13.2.1997 erschienenen Bericht der Zeitung Demokrasi genannt. In der Zeitung Hevi sind auch Fotos der Hungerstreikenden veröffentlicht worden. Die Identifizierung des beigeladenen Ismail Badur und der anderen Angehörigen der Familie, die sich an dem Hungerstreik beteiligt haben, fällt den türkischen Sicherheitskräften um so leichter, als der betreffende Hungerstreik in der Kirche lange gedauert hat und sowohl in der Presse als auch im Fernsehen darüber berichtet wurde. Viele deutsche demokratische Organisationen, politische Parteien und Gruppen, Kirchen, Abgeordnete, Politiker, Schriftsteller und Journalisten haben diese Aktion unterstützt. Es ist unwahrscheinlich, daß eine Aktion, die in einem solchen Maße das Interesse der Öffentlichkeit auf sich gezogen hat, der Aufmerksamkeit des türkischen Nachrichtendienstes und der Auslandsvertretungen entgangen ist und daß sie diese nicht insbesondere beobachtet und darüber Informationen gesammelt haben. Vordergründig sind Ismail Badur und die anderen in den Hungerstreik getreten, um die drohende Abschiebung der Familien Serin und Yildirim, deren Asylanträge abgelehnt worden waren, zu verhindern und richtete sich diese Aktion gegen den deutschen Staat. Wie den Presse- und Fernsehberichten zu entnehmen ist, richtete sich diese Aktion jedoch in erster Linie gegen die Kurdenpolitik des Staates der Republik Türkei und zielte darauf ab, auf die Unterdrückung des kurdischen Volkes aufmerksam zu machen. Die gestellten Forderungen trugen politischen Charakter und standen in direkter Beziehung zum türkischen Staat. Außerdem hat die Zeitung Postain ihrem Bericht alle Hungerstreikenden als PKK’ler bezeichnet und hob besonders hervor, daß diese Aktion von der PKK organisiert worden sei. Die Berichte in den anderen türkischen Zeitungen lauteten ähnlich. Die Hungerstreikenden haben auf die Fragen der Presseund Fersehjournalisten hin stets über die Unterdrückung des kurdischen Volkes durch die Sicherheitskräfte des türkischen Staates und über die Machenschaften der staatlichen Sicherheitskräfte wie sie die Dörfer niedergebrannt und die Menschen erschossen haben - gesprochen. Alle loben während ihrer Rede auch die kurdische nationale Opposition, insbesondere die PKK. Auch fordern die gezeigten Transparente zu einer politischen Lösung der Kurdenfrage auf. Wenn der beigeladene Ismail Badur oder andere Teilnehmer des Hungerstreiks abgeschoben werden sollten, werden die Konsulate und die Angehörigen des Nachrichtendienstes davon Kenntnis haben. Die Sicherheitsbehörden vor Ort werden über ihre Rückkehr zweifellos informiert werden. Es ist zu erwarten, 79 KURDENVERFOLGUNG daß sie bei der Einreise festgenommen werden. Man wird sie unter Anwendung von Gewalt verhören und versuchen, sie zu einer Aussage darüber zu zwingen, welche Kontakte sie zur PKK haben, mit wem zusammen sie sich an welchen Aktivitäten beteiligt haben und welche finanzielle Unterstützung sie geleistet haben, und man wird sie zu diesem Zweck ohne Zweifel auch foltern. Ob sie verhaftet und ein Strafverfahren gegen sie eröffnet wird, hängt von ihren Aussagen bei der Polizei bzw. von dem Ergebnis der Nachforschungen und den beschafften Beweisen ab. Nicht jeder Mensch ist in der Lage, der Folter körperlich und seelisch standzuhalten. Es ist auch möglich, daß gegen sie auf der Grundlage der existierenden Aufnahmen, Pressegerichte und ihrer Forderungen gemäß den §§ 7 und 8 des Gesetzes Nr. 3713 ein Strafverfahren eingeleitet wird mit dem Vorwurf, sie hätten sich durch die Teilnahme an der Akti- on der Unterstützung und Unterschlupfgewährung für die PKK schuldig gemacht. Stellungnahme des Kölner Flüchtlingsrates und von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten anläßlich der Aufnahme von Kurden in Kirchen in Köln und Umgebung richten durchsetzen können. Dort wird die Diskriminierung von Kurden, ihre Schwierigkeit, sich irgendwo in der Türkei ein menschenwürdiges Leben zu sichern, als für eine Asylgewährung nicht schwerwiegend genug angesehen. Und weil dies so ist, wird sie so behandelt, als existiere sie gar nicht. Der folgende Text wurde außer vom Flüchtlingsrat Köln noch von 27 RAinnen und RAen aus NRW unterschrieben: Kölner Flüchtlingsrat Kurden im Kirchenasyl und auf Schiffen vor der italienischen Küste lenken zunächst die Aufmerksamkeit auf die Frage des allgemeinen Verfolgungsrisikos für Kurden in der Türkei. Immer wieder sind einzelne Gerichte für nicht-assimilierte Kurden in der Türkei von einer allgemeinen Verfolgung ausgegangen, die zum Asylrecht führt. Solange aber die vom Bundesverwaltungsgericht für eine Gruppenverfolgung aufgestellten Maßstäbe gelten, wird sich dieser Schutzgedanke nicht bei den Ge80 Darüber hinaus sind solche Personen in den Augen der staatlichen Sicherheitskräfte, auch wenn gegen sie kein Strafverfahren eingeleitet werden sollte, Anhänger der PKK und schuldig. Wie man in der Praxis sehen kann, werden die Menschen kurdischer Abstammung, die sich in einer derartigen Situation befinden -, beobachtet, wo sie sich auch aufhalten mögen. Nach jedem Vorfall, der sich in ihrem Gebiet ereignet, werden ihre Häuser überfallen und durchsucht und sie selbst verhört und belästigt, weil man sie verdächtigt, an dieser Aktion teilgenommen zu haben oder diejenigen, die die Aktion durchführten, unterstützt und beherbergt zu haben. 1) Ich habe in meinem Gutachten für das Verwaltungsgericht Darmstadt vom 30.07.1996 zum Aktenzeichen / E 8304/93 A ausführlich erläutert, wie sich die türkischen Nachrichtendienste und Auslandsvertretungen seit 1986 organisiert haben, wie sie die gegen die Republik Türkei gerichtete Opposition beobachten und Informationen über sie sammeln und über welche Möglichkeiten sie verfügen, um Informationen zu sammeln. Eine Abschrift dieses Gutachtens füge ich anbei. Mit freundlichen Grüßen Unterschrift - Serafettin Kaya - Für das Risiko einer körperlichen Mißhandlung von asylerheblicher Schwere aber wird die erforderliche Wahrscheinlichkeit oft als “überwiegende” bezeichnet und damit als so hoch, daß es danach seit der Judenverfolgung durch Nazideutschland keine asylerhebliche Gruppenverfolgung mehr gegeben haben dürfte. Demgegenüber haben die Bundesländer wiederholt für Kurden aus den Ostprovinzen der Türkei von der ihnen gegebenen Möglichkeit eines vorübergehenden Abschiebungsstopps Gebrauch gemacht. Dessen Verlängerung setzt aber die Zustimmung des Bundesinnenministers voraus, der diese nur erteilt, wenn fast alle Bundesländer zustimmen. uch hier wird also im Zweifel gegen den Schutz der Menschenrechte entschieden. Ebenfalls vor Gefahren, die Personengruppen drohen, soll Artikel 3 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe schützen. Er verbietet eine Abschiebung, wenn “stichhaltige” Gründe für die Annahme bestehen, daß eine Person gefoltert wird. Soweit das UN-Übereinkommen in Art. 3 Absatz 2 fordert, daß bei der Prognose die allgemeine Menschenrechtssituation in dem Land berücksichtigt wird, in das abgeschoben werden soll, hat die Bundesregierung in einer Denkschrift (BT-Drucks. 11/5459) erklärt, daß dieses Indiz keine besondere Bedeutung habe. Bei der Unterzeichnung hat sie eine Erklärung hinterlegt, wonach die deutsche Rechtslage bereits dem Abkommen entspreche. Das deutsche Recht ( 53 AuslG) schützt aber nur bei der “konkreten” individuellen Gefahr der Folter. Die allgemeine Menschenrechtssituation in der Türkei erhält dabei im Wider- FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 KURDENVERFOLGUNG spruch zu Art. 3 des UN-Abkommens kein besonderes Gewicht. Der Hinweis auf die verbreitete und systematische Anwendung der Folter in der Türkei löst daher bei deutschen Asylentscheidern nur Widerwillen aus und wird gerade als Beweis angesehen, daß der Asylbewerber, der hierauf hinweist, kein individuelles Risiko aufzeigen kann. Zu fordern ist daher die uneingeschränkte Umsetzung der UN-Übereinkommen, damit wenigstens die internationalen Mindeststandards des Menschenrechtsschutzes in Deutschland gewahrt werden. Mit der Ablehnung einer auf Gruppenschicksale bezogenen Prüfung des asylerheblichen Risikos ist für die deutsche Justiz der Weg geöffnet zu einer “Einzelfallprüfung”, bei der fast jede Willkürentscheidung hinter angeblichen oder tatsächlichen Besonderheiten des Einzelfalles versteckt werden kann. Die isolierte Betrachtung einer einzelnen Person wird aber der Verfolgungssituation in der Türkei nicht gerecht. Das subjektive Verhältnis sowohl des Staatsbürgers als auch des Beamten in der Türkei zum Staat entwickelt sich auf der Grundlage von familiären, landsmannschaftlichen und konfessionellen Bindungen. Daß sich einer der Beteiligten von diesen Bindungen löst, ist eine (für den Menschenrechtsschutz unerhebliche) Ausnahme. Dementsprechend erhöht (oder senkt) die Herkunft aus einer bestimmten Familie, einem Dorf oder einer Provinz, der Aufenthalt in bestimmten Vierteln der Großstädte, der Kontakt zu bestimmten Personengruppen, die Zugehörigkeit zu einer Minderheitskonfession oder -religion die Gefahr der Verfolgung erheblich. Damit ist das asylerhebliche Verfolgungsrisiko in der Türkei zu einem großen Teil an Gruppenzugehörigkeiten gebunden. Dies betrifft wiederum hauptsächlich das Risiko der Verfolgung “unterhalb” bzw. “außerhalb” der gerichtlich angeordneten Haft. Nur die Verfolgung durch die Justiz in der Türkei orientiert sich weitgehend an einem individuellen Verhalten. Demgegenüber werden die Verfolgungsformen der Bedrohung, Entführung, Mißhandlung in oder außerhalb des Polizeigewahrsams, des Verschwindenlassens usw. von den türkischen Behörden aber gerade gewählt, weil Täter und vor allem der Kreis der Opfer so schwer faßbar sind, und weil daher die Kritik aus dem Ausland zumindest vorübergehend weniger Ansatzpunkte findet. Die Kugel, die in einer irgendwo unter einer Brücke liegende Leiche steckt, trägt im Gegensatz zu einer Anklageschrift keine Unterschrift. Die auf Individuen bezogenen Entscheidungskriterien des deutschen Asylverfahrens werden daher allenfalls der Verfolgung in Form eines individuellen Strafverfahrens gerecht. Weder die Tatsache, daß sich eigentlich politische Gruppierungen und Lager bekämpfen (wobei eine Seite den Staat usurpiert hat), noch die außerjustiziellen Verfolgungsformen werden ausreichend berücksichtigt. Offensichtlich fehlt der Wille zu einer realistischen und umfassenden Würdigung des Verfolgungsrisikos. Wenn man das zu bewertende Verfolgungsrisiko nun von vornherein so extrem individualisiert, muß man die Prüfung auch von Fall zu Fall in die Hand der Einzelentscheider und (i.d.R. Einzel-) Richter beim Verwaltungsgericht geben. Das heutige Asylverfahren legt die Verantwortung normalerweise in die Hand dieser zwei Personen. Die weiteren Rechtsmittel und leider aufgrund der Entscheidungspraxis des Bundesverfassungsgerichts auch die Verfassungsbeschwerde - sind nicht geeignet, deren spezielle Einzelfallprüfung noch einmal zu überprüfen. Bei der so erforderlichen Einzelfallprüfung kann sich kaum ein Richter dem Zeitgeist entziehen, der gegenüber jedem Asylbegehren die Vermutung des Asylmißbrauchs erhebt. Die Widerlegung der Vermutung des Asylmißbrauchs wird immer schwieriger, was letztlich dazu führen kann, daß die Einzelfallprüfung jedes Inhalts beraubt wird. (Ne- ben dem Zeitgeist wirkt beim vom Gesetz her unabhängigen Einzelentscheider noch die Beeinflussung durch den Dienstherrn, die hier nicht näher erörtert werden soll.) Die Mißbrauchsvermutung beruht auf der Annahme, daß alle Angehörigen von Nicht-IndustrieStaaten aus wirtschaftlichen, auf jeden Fall aber nicht verfolgungsbezogenen Erwägungen nach Deutschland gekommen sind. Dementsprechend wird keine Sekunde auf den Gedanken verwendet, warum ein Mensch mit nachweislich gesicherter wirtschaftlicher und beruflicher Position die Türkei verläßt, um hier jahrelang mit Flüchtlingen aus anderen Herkunftsländern, deren Sprache er nie lernen wird, in einem abgelegenen Waldstück fern jeglicher Kultur zu leben. Auch die Tatsache, daß ein Oppositioneller seine lange unter großen Schwierigkeiten wahrgenommenen politischen Wirkungsmöglichkeiten in der Türkei aufgibt, kann nur zu seinem Nachteil Bedeutung erlangen: Die Tatsache, daß er es so lange ausgehalten hat, spricht dafür, daß er es auch weiter aushalten könnte. Der Asylbewerber aus der Türkei, der es nun doch unternimmt, auf ein aufgrund bestimmter Tatsachen drohendes Verfolgungsrisiko hinzuweisen wird, sieht sich damit konfrontiert, daß über die letzten Jahrzehnte ausreichende Argumentationen entwickelt, wie für den einzelnen Fall dargelegt werden kann, daß er anders liegt als diejenigen, die zur Verfolgung führten. Wenn einem ablehnungswilligen Entscheider oder Richter aber völlig die Argumente fehlen, um einen Antrag detailliert abzulehnen, dann zieht er sich einfach auf die nicht näher begründete Behauptung zurück, er könne sich nicht vorstellen, daß der türkische Staat gerade den Antragsteller verfolgen wolle. Im einzelnen wird als Indiz für das fehlende Verfolgungsinteresse schon die Tatsache gesehen, daß dem Asylbewerber die Flucht 81 KURDENVERFOLGUNG nach Deutschland gelungen ist. Für diese Argumentation wird der türkische Staat auf einmal zur perfekten und lückenlosen Unterdrückungsmaschine, dem kein “wirklich” Oppositioneller entwischt. (Diese Argumentation entspricht diametral derjenigen im Bereich der politischen Tätigkeit in Deutschland, an welcher der türkische Staat dann überhaupt nicht mehr interessiert sein soll.) me, daß er die jetzt drohende Verfolgung nur behauptet. (Da oft sowohl echte wie gefälschte Urkunden von der Verwandtschaft gegen Geldleistung besorgt werden, kann der Asylbewerber die falsche Urkunde nicht ohne weiteres erkennen. Ist sie falsch, so ist doppelt betrogen: Er hat das Geld bezahlt, und sein ganzer Vortrag gilt allein wegen der falschen Urkunde als erlogen.) Auch wiederholte Festnahmen sollen kein Indiz für eine drohende Verfolgung sein, weil ja jeder Festnahme auch eine Freilassung entspricht, die gegen ein Verfolgungsinteresse spricht. Der kölsche Wahlspruch “et hät noch immer jot jejange” ist im Asylverfahren auf dem Vormarsch. Wer für seine Verfolgung keine Urkunden vorweisen kann, muß sich sein Asylrecht allein mit einer “glaubwürdigen” Aussage erkämpfen. Eine häufige Form der als unglaubwürdigen angesehenen Aussage ist dabei diejenige mit “gesteigertem” Vorbringen. Die Annahme einer Fortsetzung oder Wiederholung der Verfolgung wird von einigen Entscheidern und Gerichten auch leichtfertig mit der Begründung abgelehnt, der Asylbewerber habe sich längere Zeit erfolgreich dem Zugriff der Behörden entzogen, oder er könne dies durch Aufenthaltswechsel in der Türkei tun. Die Annahme der “innerstaatlichen Fluchtalternative” läßt außer acht, daß in der Türkei zum Überleben eine soziale Struktur erforderlich ist. Wer als irgendwie “staatsfeindliches Element” in der Türkei zum Überleben auf sein soziales Umfeld zurückgreift, wird auch in einer (dem Touristen als anonym erscheinenden) Metropole wieder mit den Behörden in unangenehme Berührung geraten. Für den ablehnungswilligen Entscheider fallen Urkunden in zwei Kategorien: Der eine Teil ist gefälscht. Teilweise werden atemberaubende Gründe für die Annahme der Fälschung genannt. Wenn der Asylbewerber Glück hat, hat er nach Jahren die Echtheit der Urkunden bewiesen. Der andere Teil der Urkunden weist keine direkte Verfolgung nach, sondern trifft nur ein sogenanntes Randgeschehen. Diese Urkunden weisen vielleicht auf eine politische Betätigung des Asylbewerbers oder frühere Verfolgung hin, hindern aber Gericht und Entscheider nicht an der Annah82 Der Oppositionelle aus der Türkei ist gewohnt, so wenig wie möglich über Details seiner Tätigkeit zu berichten. Ereignisse, an denen Personen beteiligt sind, die noch gefährdet sind, wird er nicht berichten. Sollte er sie berichten, wenn diesen Personen wegen Tod, Verhaftung oder Flucht keine Gefahr mehr droht, so wird er unglaubwürdig. Sehr verbreitet bei Asylbewerbern aus der Türkei ist die - nicht abwegige - Auffassung, daß der Entscheider und Richter, der die Schilderung des Asylbewerbers hinterfragt und in Zweifel zieht, indirekt die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei überhaupt in Zweifel zieht. Er hält es für ein sowohl unwürdiges wie aussichtsloses Unterfangen, solche Menschen überzeugen zu wollen. Eine vollständige und detaillierte Aussage gleich zu Beginn des Verfahrens wird auch von Opfern massiver, traumatisierender und ehrverletzender Folterungen und sexueller Übergriffe erwartet. Die Folter wirkt hier in das Verfahren hinein, indem sie die Aussage und damit die Asylgewährung erheblich erschwert. Damit hat es gerade der gefolterte Flüchtling schwerer, Asyl zu erhalten. Soweit der Flüchtling Details aber schon bei der ersten Anhörung berichten wollte, kann es aus den verschiedensten Gründen gesche- hen, daß er nicht zu Wort kommt. Insbesondere kommt es vor, daß die Anhörung durch Fragen gesteuert wird und hinterher wichtige Dinge fehlen. Dolmetscher kennen oft entweder den vom Asylbewerber gesprochenen Dialekt nicht oder sie beherrschen den “Slang” der jeweiligen Oppositionskreise nicht. Diese Situation in der Anhörung läßt sich später kaum noch rekonstruieren. Weitere Probleme ergeben sich in der Schilderung zeitlicher Abläufe und Daten. Hier werden oft unrealistische Anforderungen, insbesondere an Asylbewerber mit bäuerlichem Hintergrund gestellt. Es gibt Fälle, in denen sich der Verfolgungsvortrag von den Abläufen her nachträglich urkundlich bestätigte, ohne erkennbaren Grund der Asylbewerber aber alles um ein Jahr falsch zuordnete. Auch sonst werden häufig im Vortrag und unter den Schilderungen verschiedener Beteiligter zum gleichen Ereignis Widersprüche gesehen. Interessant ist hier der Vergleich zwischen dem verurteilungswilligen Strafrichter und dem ablehnungswilligen Asylrichter. Ersterer wird widersprüchliche Angaben von Belastungszeugen soweit wie möglich als im Kerngeschehen identisch ansehen und die Widersprüche als (wahrnehmungspsychologisch normalen) Ausdruck spontaner und echter Erinnerung ansehen. Für den ablehnungswilligen Asylrichter sind zwei Schilderungen des gleichen Ereignisses nur widerspruchsfrei, wenn sie wörtlich identisch (d.h. auswendig gelernt) sind. Wenn also der Ehemann sagt, er sollte Dorfschützer werden, und die Frau berichtet, ihnen sei eine Waffe aufgedrängt worden, so sind dies danach unterschiedliche Darstellungen. Der erfahrene ablehnungswillige Asylrichter fragt so lange, bis er genügend “Widersprüche” dieser Qualität zusammen hat. Im Kollegialgericht verständigen sich Vorsitzender und Beisitzer über diesen Zeitpunkt durch Blickkontakt und Nicken. Dem erfahrenen ablehnungswilligen Asylentscheider oder -richter wird es daher selten geschehen, daß er sich für die FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 KURDENVERFOLGUNG Ablehnung statt auf angebliche Widersprüche auf “fehlende Plausibilität” berufen muß. Für die “fehlende Plausibiliät” kann man die Aussagen in zwei Gruppen unterteilen: Einerseits gibt es geschilderte Sachverhalte, von denen der Entscheider noch nie gehört hat, und die daher falsch sein müssen. Andererseits gibt es Abläufe, die zahlreiche Asylbewerber schildern. Die Tatsache allein, daß zahlreiche Asylbewerber ähnliche Sachverhalte schildern führt bei einigen Entscheidern ohne weitere Grundlage zur Ablehnung. Für die Ereignisse, die sich in der Türkei abgespielt haben, kommt es fast ausschließlich auf die Bewertung der Angaben von Antragstellern oder Zeugen an. Auf der Grundlage der Mißbrauchsvermutung wurde ein umfangreiches Instrumentarium entwickelt, um diese als unzureichend abzuqualifizieren. Ereignisse in Deutschland führen bei Asylbewerbern aus der Türkei nur noch selten zur Anerkennung. Es deutet einiges darauf hin, daß die türkischen Behörden es vermeiden, Rückkehrer sofort bei der Rückkehr und offen wegen ihrer Tätigkeit in Deutschland zu verfolgen. Über die Dunkelzif- fer bei sofortiger oder späterer Verfolgung unter anderen Vorwänden gibt es keine verläßlichen Schätzungen. So kommt es, daß die Berücksichtigung von öffentlichen politischen Tätigkeiten in Deutschland weitgehend abgelehnt wird. Die so kritisierte Entscheidungspraxis hat Opfer, denen schwer zu helfen ist. Die allgemeine Kritik an den Menschenrechtsverletzungen in der Türkei ist wichtig, aber nicht ausreichend. Sie muß ergänzt werden durch die Kritik an den einzelnen Ablehnungsentscheidungen. Ein wichtiger Schritt ist es dabei, wenn Einzelpersonen, Gruppen, Kirchengemeinden, Journalisten usw. mit ihrer Auffassung in die Öffentlichkeit gehen, daß nach ihrer eigenen Prüfung dem abgelehnten Flüchtling sehr wohl eine Verfolgung droht, die eine Abschiebung verbietet. Es ist zu begrüßen, wenn der allgemeinen Politik der individualisierten Asylverweigerung durch einen breiten Protest gegen individuelle Ablehnungen entgegengetreten wird. Dies ist auch unerläßlich zur Verteidigung des Rechts auf Asyl. 83 KURDENVERFOLGUNG “Ich bin illegal”* Zeynep Kandemir kam mit ihrer Tochter Didem und ihrem Mann Hasan nach Deutschland. Ihm wurde vorgeworfen, Mitglied der kommunistischen Partei MLKP zu sein. Er war Lehrer in Istanbul, bevor er in ein kurdisches Dorf strafversetzt wurde. Nach einem Massaker des Militärs an der Zivilbevölkerung versuchte er, die EinwohnerInnen von einer Anzeige gegen das Militär zu überzeugen. Schließlich wurde ihm vorgeworfen, seine Schule angezündet zu haben. Elif und Ali Karakoc ind 60 bzw. 68 Jahre alt. Sie waren Viehzüchter in Pazarcik. 1978 nahm der Terror der Militärs zu. Alis Bruder Dogan war damals ein bekannter Partisan. Ali und die anderen Brüder wurden deshalb immer wieder verhaftet und unter Folter verhört. Nach und nach flohen ihre beiden Töchter und die drei Söhne nach Deutschland. Alle wurden als Flüchtlinge anerkannt. Auch Alis Bruder Dogan floh nach Deutschland. 1987 wurde er unter ungeklärten Umständen in Köln ermordet. Dennoch wurden die beiden immer wieder verhört und wegen der Flucht ihrer Söhne unter Druck gesetzt. 1990 beschlossen sie, zu ihren Kindern nach Deutschland zu kommen. Ihr Asylantrag wurde positiv entschieden, aber vom Oberverwaltungsgericht wieder aufgehoben. “Am 5.1.1998 wurde uns vom Ausländeramt mitgeteilt, daß wir * (aus: morgengrauen Antirassistische Zeitung Nr. 68 April/Mai 1998) 84 Deutschland verlassen müssen.” Elif und Salman Tordogan kommen aus Maras, wo 1978 türkisches Militär und “Graue Wölfe” ein Massaker unter Kurden und Aleviten anrichtete. Salman Tordogan wurde 1980 - damals war er 15 Jahre alt - zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, weil er Flugblätter verteilt, Plakate geklebt und Guerilleros unterstützt hatte. Aufgrund seines jugendlichen Alters mußte er “nur” 17 Monate absitzen. Seit zehn Jahren leben beide in Deutschland. Hüseyin Havayitli ist 20 Jahre alt. 1993 wurde er für das Kleben von Newroz-Plakaten in Gaziantep drei Wochen lang eingesperrt. Danach durfte er den Ort nicht verlassen und wurde aufgefordert, seine politischen Aktivitäten einzustellen. Dennoch nahm er am 1.Mai an einer Demonstration teil und verteilte Flugblätter. Da er damit gegen die Auflagen verstoßen hatte, mußte er mit Verfolgung rechnen. In Deutschland fand er Arbeit, die er wegen der Illegalität verlor. Celal Top kam 1989 nach Deutschland. In der Türkei war er ein halbes Jahr lang aus politischen Gründen im Gefängnis. Der Asylantrag seiner Mutter wurde anerkannt. Er selbst zog seinen Asylantrag zurück, als er heiratete und dadurch aufenthaltsberechtigt wurde. Fünf Jahre lang arbeitete er als Autoschlosser in Köln. Die Ehe scheiterte, aber eine Erneuerung seines Asylantrages wurde aus Fristgründen abgelehnt, seine Fluchtgründe nie geprüft. Auch er verlor seinen Arbeitsplatz, als er “illegal” wurde. Die hier lebende Mutter seines Kindes kann er als “Illegaler” nicht heiraten. Emine Aktas und ihr Sohn Anil flüchteten 1994 nach Deutschland. Der Vater der Familie erhielt 1988 und 1993 Gefängnisstrafen wegen seiner Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei MLKP. Die Familie war immer wieder Repressionen des türkischen Militärs ausgesetzt. Das Geschäft des Vaters in Istanbul wurde zu einem Treffpunkt linker AktivistInnen und deshalb von den Behörden geschlossen. Seit drei Jahren ist der Vater verschollen, zwei Ge- schwister von Anil sind untergetaucht. Der Asylantrag von Emine Aktas wurde mit der Begründung abgelehnt, die Verfolgung richte sich nicht gegen sie, sondern gegen ihren Mann und die untergetauchten Kinder. “Wir sind illegal” und fordern Bleiberecht: Ahmet Acar, Hasan Aksoy, Mehmet Aksoy, Özkan Aksoy, Zeliha Aksoy, Anil Aktas, Emine Aktas, Halat Ay, Hasan Ay, Safiye Ay, Valat Ay, Sadettin Ayhanci, Ali Basilgan, Mustafa Basilgan, Hatice Berci, Kiymet Bozkaya, Ali Riza Büyük, Ipek Büyük, Mehmet Ali Büyük, Zuheyla Büyük, Hasan Calhan, Hüseyin Calhan, Mehmet Ciro, Behlul Comak, Gurmus Cuma, Hüsner Dardere, Fatma Donat, Hatice Donat, Hüseyin Donat, Ali Dönekli, Gülay Dönekli, Hassan Dönekli, Hatice Dönekli, Salman Dönekli, Selver Dönekli, Tacim Dönekli, Tahir Dönekli, Yusuf Dönekli, Yilmaz Göze, Duygu Gülsen, Hasan Gülsen, Selver Gülsen, Hüseyin Havayitli, Farac Kalay, Kadriye Kalay, Ramazan Kalay, Tüleay Kalay, Didem Kandemir, Firat Safak Kandemir, Hasan Kandemir, Zeynep Kandemir, Asur Kaplan, Ali Karakoc, Elif Karakoc, Hasan Kasarca, Mustafa Kaya, Erkan Kinay, Hasan Hüseyin Kinay, Saniye Kinay, Serlean Kinay, Süllü Kinay, Isa Kök, Cem Korkmaz, Cigdem Kus, Cihan Kus, Dogan Kus, Enver Kus, Fatma Kus, Masut Kus, Mehmet Can Kus, Nazli Kus, Selman Kus, Teyfik Kus, Ahmed Maldur, Hassan Maldur, Hatice Maldur, Mustafa Maldur, Ahmet Menekseli, Salman Midik, Fatma Muratdas, Hasan Muratdas, Ibrahim Muratdas, Mehmet Sagir, Insaf Selvi, Döne Sicakyüz, Duran Sicakyüz, Duygu Sicakyüz, Ibrahim Sicakyüz, Izzet Simsik, Ali Suvan, Celal Top, Elif Tordogan, Salman Tordogan, Ali Üyen, Siho Üyen, Ali Üzrek, Alev Yadirgi, Erdal Yadirgi, Hatice Yadirgi, Mehmet Yadirgi, Safiye Yadirgi, Sedav Yadirgi, Veli Yadirgi, Yusuf Yaskiran, Demet Yildiz FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 KURDENVERFOLGUNG Genau zwei Monate nach Beginn der Protestaktion kurdischer Familien in Kölner Kirchen starteten am 21. März dreißig Männer, Frauen und Kinder zur zweiten Station des Wander-Kirchenasyl von Düren nach Aachen. Dort gab es einen großen Empfang auf dem Herbert Leuninger die uneingeschränkte Solidarität von PRO ASYL mit dem Wanderkirchenasyl erklärte. In Aachen beteiligen sich erstmals katholische Gemeinden und gewähren den Flüchtlingen vier Wochen Zuflucht. Sie haben sich mit Organisationen wie dem Regionalen Caritasverband und Einzelpersonen zum Aachener Netzwerk “kein mensch ist illegal” zusammengeschlossen und führen gemeinsam mit den Flüchtlingen eine Reihe von Aktionen und Veranstaltungen durch zur Information der Bevölkerung und zum gegenseitigen Kennenlernen. Im April wird eine weitere Karawane der kurdischen Flüchtlinge zum 2.Wander-Kirchenasyl nach Bielefeld aufbrechen. Fast täglich melden sich Flüchtlingsfamilien bei uns, sie wollen sich an der Protestaktion beteiligen, die ihre letzte Hoffnung ist. Sie wurden durch die Verschärfung der Asylrechtssprechung in die Illegalität abgedrängt. Sie sollen abgeschoben werden, obwohl sie schon lange Jahre hier leben und ihre Kinder hier aufgewachsen sind, obwohl in Kurdistan Krieg herrscht und ihre Dörfer zerstört sind, obwohl der türkische Staat die Menschenrechte mit Füßen tritt. In Köln hat sich unterdessen die Stadtverwaltung bereit erklärt, den hier untergebrachten Kindern der illegalisierten kurdischen Familien den Schulbesuch zu ermöglichen. Zahlreiche ÄrztInnen helfen mit, sie behandeln die Menschen umsonst, die nicht zuletzt aus Angst wegen der drohenden Abschiebung krank werden. In den Kirchengemeinden in Köln, in denen zur Zeit über 70 Menschen Zuflucht gefunden haben, gibt es kleinere Veranstaltungen mit Information, Gesprächen, Essen und Musik. Zwischen den kurdischen Familien und einer koreanischen Gemein- de hat sich z.B. eine besondere Freundschaft entwickelt; einmal wöchentlich wird koreanisch gekocht, gemeinsam gegessen und gefeiert. Auch der “Runde Tisch für Ausländerfreundlichkeit” (zu dem u.a. die Kölner Bürgermeisterin Renate Canisius gehört) solidarisiert sich mit der Aktion der kurdischen Flüchtlinge, die von mittlerweile 12 evangelischen und einer ersten katholischen Gemeinde und dem Kölner Netzwerk “kein mensch ist illegal”, unterstützt wird. Wir sind unserem Ziel “Bleiberecht - Abschiebestop in die Türkei” zwar ein Stück näher gekommen, die Protestaktion wird von den Medien beachtet und es gibt zahlreiche Solidaritätserklärungen von PDS, Jusos, Grauen Panthern, terre des hommes u.a. Aber dringend notwendig ist, daß alle PolitikerInnen, die Unterstützung zugesagt haben (u.a.Yemal Karsli, flüchtlingspolitischer Sprecher der Grünen Landtagsfraktion; Kerstin Müller, Amke Diethard-Scheuer, Angelika Beer - alle Bundestagsabgeordnete der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Martin Schulz /SPD, Claudia Roth /Bündnis 90/Die Grünen - beide Abgeordnete des Europaparlaments -) ihre zugesagte Unterstützung auch in die Tat umsetzen. “Wir tauchen auf! Abschiebestop in die Türkei! Kein Mensch ist illegal!” Am 17. April sollte eine Düsseldorfer Regierungsdelegation in die Türkei reisen um die Menschenrechtssituation zu untersuchen. Die Reise wurde von der türkischen Regierung abgesagt, doch es gibt mehr als genug Delegationsberichte über die Türkei. Darum fordern die Flüchtlinge, Kirchengemeinden und Netzwerke “kein mensch ist illegal”, daß eine öffentliche Anhörung über die Notwendigkeit des Abschiebestops in die Türkei stattfinden soll; mit MenschenrechtsexpertInnen aus der Türkei und Deutschland, mit VertreterInnen des Landesinnenministeriums und der Landtagsfraktionen. Diese Anhörung soll im Mai stattfinden. Wir tauchen auf Keine Abschiebung in die Türkei - Bleiberecht und Papiere für für alle! Kölner Netzwerk „kein mensch ist illegal“ Wir rufen die demokratische Öffentlichkeit, Verbände, Organisationen und Persönlichkeiten auf, sich stärker als bisher hinter die Forderung der Flüchtlinge für Bleiberecht zu stellen und sich aktiv einzusetzen für die Durchführung dieser Anhörung. Abschiebungen verhindern Flüchtlinge schützen! Die Brutalität der deutschen Abschiebemaschinerie Süleyman Yadirgi, der sich mit seiner Frau und zwei Kindern an der Protestaktion gegen Abschiebung beteiligte, ist abgeschoben worden. Er wurde im Ausländeramt in Bergheim am 10.3. festgenommen, als er seine noch gültige Duldung verlängern lassen wollte. Er wurde in den Abschiebeknast nach Büren verschleppt und am Montag, 16.3., vom Düsseldorfer Flughafen aus abgeschoben. Proteste im Flugzeug konnten die Abschiebung nicht verhindern. Süleyman Yadirgi wurde direkt nach der Ankunft in Istanbul verhaftet. Er kam zwar auf Druck des dortigen Menschenrechtsvereins inzwischen frei, lebt aber seitdem versteckt aus Furcht vor Verfolgung. Seine Familie, FreundInnen und wir alle sorgen uns um sein Leben. Süleyman Yadirgi muß sofort zurück in die BRD! kölner netzwerk c/o Allerweltshaus, Körnerstr. 77-79, 50823 Köln Fax 0221 / 9521197 Netzwerk Asyl in der Kirche NRW Tel. 3382-281 85 KURDENVERFOLGUNG Gummihandschuhe zur Abschiebung kurdischer Kinder? Metin Ograks weiche Landung nach dem Sprung Von Bettina Markmeyer* Im niedersächsischen Glandorf haben die Bürger eine Abneigung gegen Gummihandschuhe und viel Übung mit “begrenzter Regelverletzung” entwickelt. Davon profitiert ein junger Kurde, der auf abenteuerliche Weise seiner Abschiebung entkam und dem Fußballclub erhalten blieb. Metin hat Mathe. Sein Klassenlehrer wandert zwischen den Tischen herum, die 10b rechnet: 6 hoch 4 mal 25. Metin beugt sich über den Taschenrechner, stößt seinen Nachbarn an, flüstert mit den anderen. Eine normale fünfte Stunde, aber für ihn bedeutet sie mehr als Punkt- und Potenzrechnung. Niemand kontrolliert seine Haarlänge oder den Kragen seiner Schuluniform, er muß nicht antreten und die türkische Nationalhymne anstimmen. Metin war sechs, als er die zum letzten Mal singen mußte. Als gelehriger Sohn eines kurdischen Vaters hat er ,,es gehaßt”. Jetzt ist er fünfzehn, geht zur Realschule und will in Osnabrück das Abitur machen. Die Abschiebung seiner Eltern, seiner fünf Brüder und seiner Schwester Emine hat nicht viel länger gedauert als eine Mathestunde. Nach neun Jahren und vier Monaten in Deutschland holten zwölf PolizistInnen und Beamte der Ausländerbehörde die kurdische Familie Ograk am 23. Januar mittags aus dem Kirchenasyl. Metin sprang aus dem Fen- * Aus: taz 28. Mai 1998 86 ster des ersten Stocks auf das Flachdach des Pfarrbüros, von dort auf die Straße, schwang sich über den Jägerzaun und versteckte sich bei Bekannten auf dem Dachboden. So entkam er seiner Abschiebung. Und weil ein halbes Dorf das Kirchenasyl als “begrenzte Regelverletzung” unterstützt hat, kann Metin die Regeln für gemischte Rechenaufgaben vorläufig weiter auf deutsch pauken. In Mathe hat er, wie sein Klassenlehrer meint, ,,etwas nachgelassen, bedingt wohl durch die Ereignisse”. In Sozial-und Erdkunde hat der Flüchtlingsjunge aus der Nähe von Sirnak. tief im Südosten der Türkei, eine Eins. Wenn er mittags von der Schule kommt. läuft er jetzt nicht mehr zur alten Dorfschule, wo er mit seiner Familie gewohnt hat. sondern zum Anwesen neben der ehemaligen Mühle. Seine neuen Wahlverwandten heißen Magdalene und Martin Kürten, Markus, Andrea und Sebastian. Als die kurdische Familie Ograk Anfang 1989 für die Dauer ihres Asylverfahrens der Gemeinde Glandorf im Landkreis Osnabrück zugeteilt wurde, hatte sie das typische Schicksal von Vertreibung und Flucht hinter sich. Metins Vater sympathisierte mit der PKK, war mehrfach verhaftet und gefoltert worden. Die Ograks mußten ihr Dorf verlassen. “Das ist so, als wenn Soldaten hier in die Bauernschaften kämen und sagen würden: Packt eure Sachen und seht zu, wo ihr unterkommt. Wenn ihr freiwillig geht, zünden wir eure Häuser nicht an”, erklärt Metin im altdeutsch eingerichteten Wohnzimmer der Kürtens. Obwohl er nur zwei Jahre älter und einen Kopf kleiner ist als der dreizehnjährige Markus, wirkt er neben ihm erwachsen. Als ältester Sohn hat er für seine Eltern gedolmetscht. Behördengänge, Termine beim Anwalt und Einkäufe gemacht, mit seinem Vater PKKTreffen besucht und für seine Mutter auf die Geschwister aufgepaßt. “Ich habe den Eindruck, manche neue Freiheit bei uns genießt Metin auch”, sagt Magdalene Kürten. Selbstgemachte Pizza, Feten im Dorf, mehr Zeit für Fußball. Was Metin denn nun sei, ein Gast, ein Freund, ein Bruder?. ”Vielleicht ein Pflegebruder”, schlägt der achtjährige Sebastian ein wenig verlegen vor. Seine Mutter grinst, für sie ist Metin ,,einfach einer mehr”. Magdalene Kürten (38) ist Hausfrau, ihr Mann Martin (42) Schichtführer in einem Arzneimittelwerk. Die Arbeitskollegen im Betrieb hatten ihn ,,für bekloppt” erklärt. ,,Mensch, da kriegste doch nichts dafür.” Die Kürtens kriegen tatsächlich nichts, sie zahlen Metins Unterhalt, legen die Spenden für ihn auf die hohe Kante und verlieren möglichst wenig Worte darüber. Für die Entscheidung. Ograks Ältesten aufzunehmen, “haben wir nicht lange gebraucht”, sagt Martin Kürten. Ein paar Stunden - bis sie wußten, daß Metin der Polizei entkommen war und Hilfe brauchen würde. Für ihn und seine Frau ist es keine Frage, daß sich ihre Glaubwürdigkeit als Katholiken auch am Umgang mit den Asylsuchenden im eigenen Dorf mißt. Das sehen viele so in Glandorf, wenn auch nicht alle. Die CDU-Mehrheit im Gemeinderat verhinderte eine überparteiliche Protestnote gegen die Abschiebung. Die Kürtens hätten Metin genauso geholfen, seinen Eltern in die Türkei nachzureisen: ,,Das mußte er entscheiden.” Metin entschied sich für Glandorf. Und zog zu den Kürtens in ein eigenes Zimmer mit Blick auf den Gemüsegarten, in dem sich Magdalene Kürtens Vater zu schaffen macht. Der 86jährige schrieb nach der Abschiebung einen wütenden Brief an Christian Wulff, den niedersächsischen Vorsitzenden seiner Partei, der CDU, die bei Wahlen im katholischen Glandorf 70 Prozent der Stimmen erhält. Dann verkaufte er sein letztes Mastschwein. Seit Metin da ist, gibt es Rind. Pute oder Kaninchen. Seit Metin da ist, hat sich überhaupt einiges verändert. Andrea soll in der Schule berichten, wie es seiner Familie in der Türkei ergeht, und kann doch nicht einmal sagen, wo die Ograks jetzt sind. Sebastian fragt beim Abendbrot plötzlich, ob das Folter ist, wenn einer einen anderen mit der Peitsche schlägt. Er hat FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 KURDENVERFOLGUNG das in einem Winnetou-Film gesehen. Markus hat in Metin einen weiteren eingefleischten BayernFan gefunden, der mit ihm DartPfeile auf das Mannschaftsfoto von Borussia Dortmund wirft. Magdalene Kürten will sich einen Scanner anschaffen, um die Glandorfer Zeit der Ograks und die Abschiebung zu dokumentieren. Die Asylanträge aller Familienmitglieder waren rechtskräftig abgelehnt. Auch Petitionen an Landund Bundestag mit 1.400 Unterschriften aus dem 6.590 Einwohner zählenden Glandorf hatten nichts ausrichten können. Also hatte sich die katholische Gemeinde in Glandorf mit dem Pfarrer auf die Gewährung von Kirchenasyl verständigt. Am Abend des 22. Januar brachte Magdalene Kürten Metins Familie kurz entschlossen ins sicher geglaubte Pfarrhaus im Ortsteil Schwege. Am nächsten Abend war die kurdische Familie abgeschoben - bis auf Metin. Die Verbitterung der Glandorfer über den Einsatz fand ein Symbol: die Gummihandschuhe der Polizistin Renate Gausmann. mit denen sie die Ograk-Kinder zu dem wartenden Bus führte. Der Glandorfer Pfarrer und sein Kaplan wetterten in ihren Predigten am folgenden Sonntag so deutlich gegen die “unmenschliche” Behandlung von Flüchtlingen und die Beamtin mit ihren Handschuhen im besonderen, daß der CDU-Bürgermeister zornig das Hochamt verließ. Eine Dienstvorschrift über das Tragen von Handschuhen gibt es nicht für niedersächsische Polizeibeamte, wohl aber Empfehlungen zur ,.Eigensicherung”. Ein Einsatz ohne Handschuhe, sagt Renate Gausmann. die seit 25 Jahren bei der Polizei ist, wäre ,,das gleiche, als wenn ich ohne Dienstwaffe rausfahren würde”. Sie hat an über zwanzig Abschiebungen teilgenommen, für den Einsatz gegen die Ograks hatte man sie von ihrer Polizeidienststelle in der Nähe von Osnabrück nur widerwillig eingeteilt, um keine Glandorfer KollegInnen hinschicken zu müssen. ,Meistens”, sagt Renate Gausmann, “stehen die Leute ja schon mit gepackten Koffern da.” Aber die Ograks hatten nichts gepackt. Sie saßen wie gelähmt auf dem gefliesten Küchenfußboden im Pfarrhaus, umgeben von versteinerten Glandorfern und ihren Kindern, die sich von Mesut, Rasit, Zeyni, Emine, Tekin, Delil und Metin verabschieden wollten. Mit dem Einverständnis der Polizei hatten Magdalene Kürten und ihre Helferinnen die Lehrer der Kinder, den Anwalt der Familie und den Pfarrer benachrichtigt, dann aus einem Kleidersack so etwas wie Reisegepäck zusammengestellt. Die Darstellungen über den Einsatz der Gummihandschuhe gehen auseinander: Renate Gausmann behauptet bis heute, sie angezogen zu haben, um beim Einpacken zu helfen. Die Freunde der Ograks behaupten bis heute, sie habe sie angezogen, um die Kinder abzuführen. Für die 42jährige Beamtin war es der “unangenehmste Einsatz” ihrer Laufbahn, der “ihr sehr nahe gegangen” sei. Für viele Glandorfer ist sie die Personifikation eines Behördenapparates, der Ausländerkinder nur mit Gummischutz anfaßt. Renate Gausmanns Dienstherr, der niedersächsische Innenminister Gerhard Glogowski (SPD), hatte am 22. Januar persönlich grünes Licht für die Abschiebung gegeben: Ein leerstehendes Pfarrhaus sei kein sakraler Raum, das Kirchenasyl folglich zu beenden. Es war die dritte Räumung eines Kirchenasyls in Niedersachsen. Wenn sich Magdalene Kürten an die Szenen des 23. Januar erinnert, steigen ihr heute noch die Tränen hoch. ,,Man kriegt’s nicht auf”, sagt sie und meint, daß mancher Kummer zum Runterschlucken zu groß ist. Metin durchwühlt derweil ohne sichtbare Regung einen Müllsack, zieht eine Maus aus Papier hervor, die sein jüngster Bruder Delil bemalt hat, und stopft sie ratlos wieder zurück. Darüber, was er vermißt, redet er nicht. So verschlossen er in eigener Sache ist, so offen ist sein Umgang mit der Familie Kürten und dem Dorfleben überhaupt. Er trainiert den Nachwuchs im Fußballverein, kickt mit der Thekenmannschaft des Heimatvereins und lästert über den Bierkonsum danach. Er selbst, witzelt er, denke da eher an die Nationalelf. Allerdings nicht an die türki- sche. Die Anspannung verschafft sich ein Ventil in seinem Bewegungsdrang, selbst wenn er im Sessel sitzt, scharrt er mit den Füßen und verfolgt alles und jeden mit hellwachem Blick. Seit die Kürtens vom Landkreis Osnabrück die Zusage haben, daß Metin bis zu seiner Mittleren Reife nicht abgeschoben wird, kann er wieder zur Schule gehen. Für die Legalisierung seines Aufenthalts bis zum Abitur mußte der Unterstützerkreis nach Hannover fahren, zum Staatssekretär des Innenministers. “Wir wären auch bis zu Glogowski gegangen”, sagt Martin Kürten. Den Platz an einem katholischen Gymnasium sichert das Bistum Osnabrück, denn Metins Ausbildung darf keine Steuergelder kosten. Rechtlich haben Metins HeIferlnnen nichts in der Hand, allein der öffentliche Druck zwingt die Behörden zum Nachgeben. Gleich körbeweise hat Innenminister Glogowski Protestbriefe erhalten: Sieben Ograk-Sprößlinge, das macht sechs Schulklassen an drei Schulen, ein Kindergarten und diverse Tischtennis- und Fußballmannschaften des Blau-Weiß Schwege in Glandorf. Da kommt was zusammen. “Verärgert und enttäuscht” erklärte der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode, ,,von der Abschiebung der Familie Ograk völlig überrascht worden” zu sein. ,,Einen derartigen Fall” habe es ,,bislang im Bistum Osnabrück nicht gegeben”. Woraufhin Glogowski in einem Brief an den Bischof antwortete, daß es ,,das Rechtsinstitut des Kirchenasyls nicht gibt”, und den Bischof ,,herzlich” bat, im Hinblick darauf, ,,daß bei uns im Lande die Kirchenasylbewegung besonders aktiv ist”, regelmäßig zu prüfen, ob ,,mit dem Kirchenasyl sorgfältig” umgegangen werde. Nach Auskunft der Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche gewähren in Niedersachsen derzeit vermutlich 17 Gemeinden Kirchenasyl. Das Land schob im vergangenen Jahr 3.160 Menschen ab, davon 633 in die Türkei. Vor gut zwei Wochen durfte der Kurde Mehmet Ali Akbas, der nach seiner Abschiebung von der türkischen Polizei verhört und gefoltert worden war, wieder nach Niedersachsen einreisen. Bis April 87 KURDENVERFOLGUNG 1998 sind weitere 1.296 Flüchtlinge aus diesem Bundesland abgeschoben worden. 1.297 wären es jetzt, hätte die Polizistin Renate Causmann am 23. Januar im Glandorfer Pfarrhaus nicht Metin Ograk aus den Augen verloren. Nun wird er hier in ein paar Jahren Abitur machen. Dann ist er l8 Jahre - so alt wie Renate Gausmanns Sohn Achim jetzt. Als der die Berichte über die Glandorfer Abschiebung in der Zeitung las, wollte er von seiner Mutter wissen, “was da abgelaufen ist. Er hat mich zwar irgendwie verstanden”, erzählt Renate Gausmann, “aber er hat auch diesen großen Jungen verstanden, den Metin”. Am Ende sagte Metin Gausmann zu seiner Mutter: “Ich wäre auch abgehauen, Mama.” Anzeige in Osnabrücker Tageszeitungen: Das Maß ist voll ! In den letzten Wochen sind viele von uns Zeuge von Ereignissen geworden, von denen wir glaubten, sie würden in Deutschland der Vergangenheit angehören: Menschen wurden auf gewaltsame Weise aus ihren Wohnungen geholt und außer Landes geschafft. Unter diesen Menschen waren Kinder, die in Deutschland aufgewachsen sind, hier zur Schule gingen und ihre Freunde hatten, Frauen, denen aufgrund ihres Gesundheitszustandes von Ärzten die Transportunfähigkeit attestiert wurde, Männer, denen in ihrer Heimat Inhaftierung und Folter drohen. Wir waren ohnmächtige Zeugen von Abtransporten aus kirchlichen Zufluchtsräumen. In Verwaltungsgerichtsverfahren wurde Flüchtlingen jegliche Glaubwürdigkeit abgesprochen und Hinweise auf ihr Verfolgungsschicksal wurden kalt ignoriert. Wir versuchten Politiker und Behördenvertreter zur Rede zu stellen. Wir wurden verwiesen auf geltendes Recht. Kaum einer war bereit, persönlich Verantwortung zu übernehmen für die Folgen dieser Abschiebungen. Gesetze werden von Menschen gemacht und sie werden von konkreten Menschen ausgeführt. Wer sich aktiv daran beteiligt, Menschen ihrem Henker auszuliefern, der wird mitschuldig an ihrem Schicksal. Das beispielhaft mutige Handeln Hans Calmeyers einerseits und die Verfolgung und Ermordung Felix Nussbaums andererseits sind uns eine Mahnung, weitere unmenschliche Abschiebungen nicht schweigend hinzunehmen. Die Region Osnabrück feiert in diesem Jahr die Wiederkehr des Westfälischen Friedens und beruft sich auf ihr Engagement für mehr Menschlichkeit. Gleichzeitig werden Menschen aus Osnabrück und Umgebung in Kriegs- und Bürgerkriegsgebiete abgeschoben, in denen die Menschenrechte nachweislich mißachtet werden. Uns fällt das Mitfeiern angesichts dieser Widersprüchlichkeit schwer. Auch den bei uns bislang geduldeten Flüchtlingen werden zunehmend die Menschenrechte verweigert. Wie anders soll man die Vorbereitung eines Gesetzes verstehen, das die rechtliche Grundlage dafür schaffen soll, daß demnächst allen diesen Personen die Hilfe zum Lebensunterhalt ganz verweigert werden kann, weil sie nicht freiwillig die Bundesrepublik Deutschland verlassen? Auch aus Osnabrück könnten mit Hilfe dieses Gesetzes ca. 850 Flüchtlinge „rausgehungert“ werden. Wir fordern alle Mitbürgerinnen und Mitbürger auf, für mehr Menschlichkeit zu protestieren und sich zu solidarisieren mit den Menschen, die durch drohende Abschiebungen in ihrer Existenz bedroht sind. Wir fordern die Politikerinnen und Politiker der Stadt und des Landkreises Osnabrück auf, alles zu tun, um Abschiebungen von Flüchtlingen in Gefahrengebiete zu verhindern. Wir bitten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Polizei und der Ausländerbehörden, Zivilcourage zu zeigen und sich der Umsetzung unmenschlicher Anordnungen zu widersetzen. Wenn die Grundsätze von Menschlichkeit erst einmal ins Wanken geraten sind, dann gibt es kaum noch Einhalt! Ali Abdol Adolf Abke Uwe Afemann Thomas Allien Pastor Karl H. Asbrock Volker Bajus (Grüne Ratsfraktion) Christa Balka Karl Bartels Johannes Bartelt Pastor Guenter Baum Birgit Behrensen Prof. Martin Bennhold Christiane Priebe-Beumler Ursula Bock Norbert Böckenholt Kirstin Bommersheim Beatrix Brockmeyer Gertrud Nordmann-Bruns Wilfried Buck Annegret Bünte Michael Bünte Anna Büschemann Dr. Thomas Lob Corzilius Christian Deilke Gerta Dieckerhoff Karla Dingfelder Axel Enneking Diethard Einhoff Malte Ewert Anke Fedrowitz Stefan Fehren Heinz Fischer Brigitte Fründ Hans-Christian Fründ Sonja Glasmeyer Michael Göcking Ingrid Gostischa Prof. Emil Gostischa Susanne Grebe Adelheid Grueneisen Eitel Hamm Lilo Hampel Hans-Jürgen Hartmann Tom Heise Roswitha Henneken Heinrich Henneken Francoise Herbin Frauke Herrmann Maria Heuking Antje Horstmann Michael Horstmann Inge Jahns OStR Harry Jahns Claudia Jansen Prof. Dr. Andreas Kamlah Angela Kannenberg Wolfgang Kannenberg Hannelore Klingebeil Hans-Jörg Klingebeil Bernd Kruse Prof. Klaus Künkel Christine Dornbusch-Künne Hans-Jürgen Künne Pamela Kuhtz Dorrothee Laarmann Karl Landmeyer Maria Ursula Laudahn Rainer Laudahn Detlef Lehmann Annette Listl Bernd Lobgesang Uschi Luecken Wolfgang Luecken Gunthild Luther Heike Ammer-Marahrens Frieder Marahrens (Studentenpfarrer) Mossen Massarrat Lioba Meyer Uta Meyer Hans-Dieter Möller Eva Maria Mohr Prof. Dr. Heinrich Mohr Stefanie Neckermann Annette König-Neuhoff Andreas Neuhoff Syelle Gerken-Neumann Gertrud Neumann Detlef Neumann Meike Niemeyer Barbara Sievert-Niemeyer Dr. Arnulf Nüßlein Renate Ohliger Jochen Ohliger Sophie Osterheider Maria Ostermöller Marja Pals Doris Petersen Wolfgang Pruisken Margret Pues Dr. Silke Reinecke Uwe Reinecke Tanja Remberg Maria Reuter Jean-Patrick Revel Hermann-Josef Ricke Andreas Rister Antje Ritter Martin Ritter Heike Ritterbusch Margret Rohling-Burke Marina Ruckelshausen Prof. Dr. Arno Ruckelshausen Christian Rüger 0.Th.S. Silli Kroneck-Salis Luis Duran Sanchez Maice Sandmann Hiltrud Schäfer Karl Schäffer Monika Schlonski Elsbeth Schlüter Elisabeth Schlüter Rolf Schlüter Marianne Wahrheit-Schmidt Ingrid Schürmann Jan Schulz Ruth Gonzales Ewald Serra Prof. Elisabeth Siegel Gabriele Ströher Anna Sydow Heiner Tiesmeyer Gerald Thier Edeltraut Thünemann Ursula Thume Werner Thume Ralph Vorbach Wilhelm Voss Berd Wacker Martina Wagener Ingrid Wagner Renate Wall Frauke Wassermann Lisabet Weidenbach Monika Wetzel Wolfgang Wissemann Flora von Wnorowski Klemens Wolf Erich-Maria-Remarque-Gesellschaft Hans-Calmeyer-Initiative Felix-Nussbaum-Gesellschaft Projekt 350 Jahre Frieden - ohne Frauen? Osnabrücker Frauenbündnis Aktionszentrum 3. Welt Kurdistan Kulturzentrum AG terre des hommes OS Pax Christi Regionalstelle OS/HH Ak. Asyl d. Ev.ref. Gemeinde OS Ältestenrat Ev. ref. Friedenskirchen OS Flüchtlingshilfe Martinsgemeinde Paul-Gerhardt-Kirche Ökum. Arbeitskreis Asyl Iburg/Glane VNB OS-Frauenlesben Bildung- Ak. Kirchenasyl Nordhorn Ev.ref. Kirchengem. Gildehau Deutsche Pfadfinderschaft Kurdischer Kultur- und Bildungsverein Studierende der FH OS Verista - Linke Zeitung Deutsche Pfadfinderschaft St. Georg Diözesanverb. OS, Frauenkulturverein e.V. Mother Jones Liste für Völkerverständigung EXIL-Osnabrücker Zentrum für Flüchtlinge 88 FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 DEPORTATION Wir möchten auf wichtige Neuigkeiten hinweisen, die die Abschiebung von Ausländerinnen und Ausländern mit ungeklärter Staatsangehörigkeit oder Identität betreffen. Seit Herbst letzten Jahres gibt es hier offensichtlich intensive Bemühungen, zu weiteren Maßnahmen zu kommen. Aus dem Kreis der Arbeitsgruppe „Rückführung“ (AG Rück) sind uns folgende Maßnahmen bekannt geworden, die entweder bereits begonnen haben oder konkret geplant sind: Seit November 1997 werden die Botschafter sogenannter Problemstaaten vom Auswärtigen Amt einbestellt. An den dann stattfindenden Gesprächen sind offensichtlich neben dem Auswärtigen Amt die Bundesministerien des Innern und für wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie Vertreterinnen und Vertreter der Bundesländer beteiligt. Den Botschaftern der „Problemstaaten“ Ägypten, Sudan, Côte d´Ivoire, Eritrea, Guinea, Niger, Pakistan, Sri Lanka, Nigeria, Angola und Senegal werden Namenslisten mit unbearbeiteten Paßanträgen übergeben. Einbestellt werden neben den Botschaftern künftig auch die Leiter der jeweiligen Einwanderungsbehörden der „Problemstaaten“, weil „diese häufig mehr Autorität besitzen als die Botschafter.“ Ein Probelauf betreffend Gambia soll in Hamburg bereits positive Ergebnisse gehabt haben. Zum Bereich bereits existierender oder künftig geplanter Rückübernahmeabkommen wurde festgestellt, daß nach der dritten Expertensitzung im Rahmen des deutsch/jugoslawischen Rücknahmeabkommens die Rückübernahmeverfahren um das vierfache beschleunigt worden sind. In Planung sind immer noch Verträge mit Algerien, Marokko, Pakistan, Sri Lanka und Libanon. Zu den Forderungen, die die Bundesländer an den Bund herantragen, gehört insbesondere die Vorstellung, man möge mit den Botschaften verbindliche Absprachen über die Bedingungen für die Ausstellung von Heimreisedokumenten treffen, weil die Praxis eher willkürlich sei. Angeblich mit Zustimmung des Innenministeri- ums, des Auswärtigen Amtes und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit soll auf die Verbindung von Entwicklungshilfe und Rückübernahmepflicht gedrungen werden (zu erinnern ist hier an die kürzliche Kontroverse Kinkel / Spranger). In den Fällen ungeklärter Staatsangehörigkeit soll mit der frühzeitigen Feststellung der Staatsangehörigkeit schon während des laufenden Asylverfahrens durch das Bundesamt mit der Hilfe von „Dialektdolmetschern“ begonnen werden, was auch immer unter diesem Begriff zu verstehen sei. Unklar ist hierbei, ob es sich hier um etwas grundlegend anderes handelt als die im letzten Jahr begonnene „Sprachanalyse“, die in diesem Jahr auf weitere mutmaßliche Herkunftsstaaten ausgedehnt worden ist. Auf Ebene der Länder ist geplant: Einrichtung einer „Clearingstelle Paßbeschaffung“ auf Fachbeamtenebene, bei der die Wege der Paßbeantragung und -beschaffung dokumentiert werden. Diskutiert wird, ob ein Verstoß gegen Mitwirkungspflichten als Straftatbestand in das Ausländergesetz aufgenommen werden kann. Hierzu gibt es offensichtlich keine Einigkeit zu der Frage, ob die Kriminalisierung der Weigerung, die Staatsangehörigkeit zu offenbaren, zum gewünschten Erfolg führt. In den Abschiebehaftanstalten sollen künftig die beschlagnahmten persönlichen Gegenstände der Inhaftierten nicht nur wegen möglicher Suizidgefahr kontrolliert werden, sondern auch, um Hinweise auf die Staatsangehörigkeit und Identität zu erhalten. In den Abschiebehaftanstalten sollen künftig die Gefangenen hinsichtlich ihrer Brief- und Telefonkontakte bespitzelt werden. Zwar ist den Betreibern klar, daß eine Öffnung der Briefe oder ein Mithören von Telefongesprächen rechtswidrige Grundrechtseingriffe und Datenschutzverstöße wären. Dies soll aber nicht daran hindern, daß Ausländerbehörden künftig mitgeteilt wird, von welchen Absendern der Abschiebungshaftgefangene Briefe erhalten hat und mit welchen Telefonpartnern er gesprochen hat. Die Aktuelle Informationen zu Abschiebungen von PRO ASYL Bernd Mesovic ISDN-Technik läßt hier viele Möglichkeiten offen. Die Idee: Der Herkunftsort eines Briefes oder eine Ortsnetzkennzahl könne schon Aufschluß über die Staatsangehörigkeit bringen. Ausländerinnen und Ausländer mit ungeklärter Staatsangehörigkeit sollen künftig in Sammelunterkünften separat untergebracht werden. Ein Modellprojekt soll in Niedersachsen bereits laufen: Eine Einrichtung nach dem Modell der Niederlande. Die Grundidee: Ausländerinnen und Ausländer, die bis zu ihrer Einweisung in diese Unterkunft angeblich ihre Mitwirkungspflichten verletzt haben, sollen Duldungen mit enger räumlicher Beschränkung erhalten und Sozialleistungen nur in diesen Einrichtungen bekommen können, wo sie offensichtlich mehr oder minder permanent erreichbar sein sollen. „Die Kontaktaufnahmen und Betreuungsmaßnahmen erfolgen in enger Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern der Ausländerbehörden, Sozialarbeitern und Dolmetschern an einem Ort, so daß mit den spezifischen Erkenntnissen und Erfahrungen mehr Einfluß auf den Ausländer genommen werden kann.“ In einigen Bundesländern beginnen wohl Modellversuche von „Rückkehrein-richtungen“, die als Alternative zur Abschiebungshaft dargestellt werden. In NordrheinWestfalen sollen 100 Plätze für ausreisepflichtige Ausländer im Rahmen eines Vertrags mit dem Deutschen Roten Kreuz Westfalen/Lippe bereitgestellt werden. Geplant ist eine Kombination von psychosozialer Betreuung und ausländerbehördlicher Beratung, um die Ausländer zur Mitwirkung zur Paßbeschaffung und letztlich 89 DEPORTATION zur freiwilligen Ausreise zu bewegen. Versuchskaninchen sind einerseits Abschiebungshäftlinge, die bereits länger als 3 Monate in Abschiebungshaft sitzen, weil Paßersatzpapiere wegen ihrer fehlenden Mitwirkung nicht beschafft werden können, andererseits sollen auch Ausreisepflichtige in der Einrichtung wohnen müssen, für die überhaupt noch kein Antrag auf Abschiebungshaft existiert, deren Reisedokumente allerdings wegen verweigerter Mitwirkung noch nicht vorliegen. Im rot/grünen Nordrhein-Westfalen läuft dies unter dem Titel der „Abschiebungshaftvorbeugung“. Die großmütige Formulierung rührt daher, daß messerscharf geschlossen wird, daß die fehlende Mitwirkung ja ein Indiz für das Vorliegen eines Haftgrundes sei. Der Abschiebungshaft wird also „vorgebeugt“ durch vorbeugende Unterbringung in dieser neuartigen Sondereinrichtung. Psychosoziale Beratung und Betreuung: DRK Westfalen/Lippe (Anmerkung: Seit der Schlacht von Solferino haben sich die Tätigkeitsbeschreibungen dieser Organisation mehrfach verändert. Der Begriff „psychosozial“ entfaltet inzwischen ein beträchtliches Drohpotential). Geplant sind weiter verschärfte Duldungsauflagen, für die demnächst Muster verschickt werden und ausländerrechtliche Erwerbsverbote für die Personengruppe. Überlegt wird auch, ob den nicht-Mitwirkenden bei der Paßbeschaffung ausländerrechtliche Vorteile entzogen werden können, etwa indem man ihnen nach 2-jährigem Aufenthalt keine Aufenthaltsbefugnis erteilt. Unklar ist hier der Neuigkeitswert, weil § 30 Abs. 4 AuslG diese Möglichkeit ohnehin zuläßt, wenn die Ausländerin oder der Ausländer sich weigert, „zumutbare Anforderungen zur Beseitigung des Abschiebungshindernisses zu erfüllen“. Geplant ist weiterhin eine Ausweitung der Sammelvorführungen bei den Botschaften der vermuteten Herkunftsstaaten. Ebenfalls um eine Art Sonderaktion zum selben Thema handelt es sich möglicherweise bei der pauschalen Überprüfung und ED-Be90 handlung von Schwarzafrikanerinnen und Schwarzafrikanern in einer Kornwestheimer Sammelunterkunft (s. den Artikel aus der Kornwestheimer Zeitung vom 12. Mai 1998 in der Anlage). der Öffentlichkeit vorgeworfen worden, bei der Ausstellung von Paßersatzpapieren recht generös zu sein und Angaben deutscher Paßbeschaffungsbehörden zu folgen. Nachtrag zur oben erwähnten Einladung hochrangiger Funktionsträger der vermuteten Herkunftsstaaten und dem Beispiel Gambia. Was gemeint ist, ergibt sich aus dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu Gambia vom März 1998. Dort heißt es: „Probleme mit aus Deutschland nach Gambia abgeschobenen Personen haben sich in jüngster Zeit kontinuierlich verschärft. Abgeschobene behaupten zunehmend bei Ankunft in Gambia, keine gambischen Staatsangehörigen zu sein. Da oft die Namen auf den Reisedokumenten der Abgeschobenen ohnehin nicht gambischer Herkunft sind, besteht die gambische Einreisebehörde in der Regel auf Zurückführung der Abgeschobenen durch die BGS-Beamten nach Deutschland. In der Vergangenheit hatte die Botschaft vielfach die abschiebenden Behörden per Fernschreiben darauf hingewiesen, daß der Name des Abgeschobenen nicht gambischen Ursprungs war. Trotzdem wurden die Abschiebungen immer wie geplant durchgeführt, zumeist mit negativem Ergebnis, d.h. die Abgeschobenen mußten wieder nach Deutschland zurückkehren. Nach dem Besuch von zwei hohen Beamten der gambischen Einwanderungsbehörden in Hamburg und Koblenz im November 1997 hat sich die Abschiebungsproblematik wieder etwas entspannt. Die beiden Polizeibeamten waren von der Hansestadt Hamburg und der Grenzschutzdirektion Koblenz zu einem viertägigen Besuch eingeladen worden um (vermutlich) gambische, in Abschiebehaft befindliche Personen zu identifizieren und Gespräche mit deutschen Behörden zu führen. Der Besuch hat u.a. dazu geführt, daß seither weniger Abschiebungen von Deutschland nach Gambia gescheitert sind.“ Leider wird über Rahmenprogramm und Speisefolge dieser Besuche nichts mitgeteilt. Honorarkonsulaten Gambias war in der Vergangenheit mehrfach in Auch ein weiterer Hinweis im Lagebericht klingt diesbezüglich beunruhigend: „Obwohl 1997 insgesamt vermehrt Schwierigkeiten bei der Feststellung der Identität bzw. Staatsangehörigkeit aufgetreten sind, ist seit dem Besuch von gambischen Einwanderungsbeamten bei einigen deutschen Behörden jedoch eine Verbesserung dieser Situation zu bemerken. Aufgrund der Verteilung der verschiedenen Ethnien und des regen Austauschs mit den anderen anglophonen Staaten Westafrikas sind Verwechslungen mit anderen Afrikanern der Region nicht völlig auszuschließen.“ Was uns aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen zu deutschen Planungen in diesem Sektor erreicht hat, findet sein Korrelat auf der europäischen Ebene. (s. beigefügtes Dokument des Rates der Europäischen Union zu Rückübernahmeproblemen). Auch in diesem Rahmen ist der mögliche künftige Druck über die Entwicklungshilfe angedacht. Eine Vorschau in die nähere Zukunft gewähren auch die zugehörigen Länderberichte zum Umgang mit dem Thema. Wenn Dänemarks Rücknahmeabkommen vom 6. Juli 1997 mit Clanchefs in Nordost- und Nordwestsomalia Schule macht und die ersten 28 Betroffenen ausgeflogen werden, dann werden andere nachziehen (Nach Angaben aus dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ist inzwischen mit den Rückführungen begonnen worden). Wenn die höchstrichterliche Rechtsprechung in Deutschland inzwischen davon ausgeht, daß die Europäische Menschenrechtskonvention keinen Schutz vor nichtstaatlicher Verfolgung gewährt, die so vom Recht Geschlagenen aber bislang ganz überwiegend im Lande blieben, dann liegt es nah, die nichtstaatlichen Autoritäten künftig auch zu Vertragspartnern aufzuwerten. Wenn in immer mehr Ländern sich die staatlichen FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 DEPORTATION Strukturen auflösen, was läge da näher, als sich an diejenigen zu halten, die jeweils von sich behaupten, Sicherheit garantieren zu können: Warlords, Clanchefs, Söldnerführer, lokale Autoritäten. Interessant in dem Dokument weiter, daß insbesondere Deutschland auf die Kooperation mit der liberianischen Botschaft hinweist, die offensichtlich bei der Identifizierung von Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit hilfreich ist. Interessant auch die Findigkeit der belgischen Behörden, die offensichtlich planen, mit Nigeria ein System der „konditionierten Rückführung“ zu vereinbaren. Man schöbe in diesen Fällen zunächst in das vermutete Herkunftsland Nigeria ab und würde die sofortige Rücknahme nach Belgien für den Fall zusichern, daß sich herausstellt, daß die abgeschobene Person keine nigerianische Staatsangehörigkeit besitzt. Hier finden wir also eine weitere Denkvariante zum Thema „Abschiebungen in Regionen“, das von der deutschen Innenministerkonferenz bereits angedacht wurde. In der taz vom 12. Mai 1998 findet sich die Behauptung, es liege nah, daß die „Abschiebungen nach Afrika“ längst umgesetzt sei. Seit Jahren gebe es Hinweise darauf, daß der Verband der Versicherungen an einem unbekannten Ort in einem westafrikanischen Land ein Sammellager für Abgeschobene „blinde Passagiere“ unterhalte. Drehscheibe für Abschiebungen in die Region wäre nach dieser Lesart der Senegal. Das Thema wird offensichtlich vom BMI auch gezielt in die Medien lanciert. Wie anders wäre es sonst zu verstehen, daß gerade jetzt ein internes Papier des BGS an die Bildzeitung gelangt, in dem die Staaten aufgelistet werden, die sich angeblich weigern, die eigenen Bürgerinnen und Bürger wieder aufzunehmen. Welche Belege die deutsche Seite in diesen Fällen beibringt, um die Behauptung der Staatsangehörigkeit zu untermauern, wird nicht dargestellt. Die meisten der genannten Elemente werden auf Länder-, Bundes- und Europaebene vermutlich zügig weiterentwickelt werden. Probeläufe für die eine oder andere Maßnahme in einzelnen Staaten und Bundesländern haben wie geschildert bereits begonnen. Für Informationen zum Thema sind wir dankbar. (...) Die Herkunftsbestimmung durch Sprachanalyse - wissenschaftlich mehr als zweifelhaft - beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge geht in Form eines „erweiterten Testlaufs“ weiter, wie dem Einzelentscheiderbrief des Bundesamtes 2/98 zu entnehmen ist. „Nach anfänglicher Zurückhaltung zeigen sich Wissenschaftler dem Vorhaben gegenüber - entgegen anderslautenden Pressemitteilungen - grundsätzlich aufgeschlossen.“ Welche Schlußlogik und Qualität solche Gutachten haben verdeutlicht schon folgender Satz aus der Erläuterung der Methode: „Mittels Sprachgutachten wird primär nicht die Staatsangehörigkeit, sondern die Herkunftsregion bestimmt. Erstreckt sich eine solche über das Gebiet lediglich eines Landes, ist die Bestimmung der Herkunftsregion identisch mit der Bestimmung des Herkunftslandes.“ Wenn man diese Prämisse einmal übernimmt, wäre in afrikanischen Fällen kaum jemals eine Bestimmung des Herkunftslandes möglich. Das Bundesamt behauptet aber, in über 90% der untersuchten Fälle sei eine Zuordnung der Asylbewerberinnen und Asylbewerber zu einem Herkunftsland möglich gewesen. Hoffähig macht das Bundesamt die Sprachanalysen geradezu dadurch, daß die Ablehnung von Asylanträgen eben nicht allein auf das Analyseergebnis gestützt wird „Die Sprachanalyse floß im Sinne einer Gesamtschau ein“, so heißt es beim Bundesamt. Man wird dann in der Folge auch kaum Verwaltungsgerichtsentscheidungen zu erwarten haben, die sich mit der Qualität der Methode befassen, wohl aber auf eine Reihe von Richterinnen und Richtern treffen, die der Suggestion dieses Mumpitz unterliegen. Hingewiesen sei an dieser Stelle auf einen Aufsatz von Hubert Heinhold zum Thema in der Juniausgabe des Informationsbriefes Ausländerrecht. Der Mainzer Afrikanist Prof. Kastenholz hat bei der Rechtsberaterkonferenz umfassend über Möglichkeiten und Grenzen dieser Methode berichtet. Wir hoffen, diesen Vortrag in einigen Monaten dokumentieren zu können. Mit freundlichen Grüßen Bernd Mesovic Referent 91 DEPORTATION Das neue Abschiebekonzept in Blankenburg Nds. Modellprojekt zur Internierung von Flüchtlingen Claus Melter* Wie aus einem internen Papier des Niedersächsischen Innenministeriums vom 6.2.1998 an die Bezirksregierungen hervorgeht, sollte in den folgenden Monaten ein neues Konzept zur Effektivierung von Abschiebungen umgesetzt werden. Flüchtlinge, deren Identität und Nationalität schwer zu ermitteln sind und die bald abgeschoben werden sollen, werden zentral in den ZASten in Braunschweig und bei Oldenburg untergebracht, um sie besser zu überwachen, ihre Mitarbeit (z.B. bei der Ermittlung der Staatsangehörigkeit oder der Beschaffung für die Abschiebung notwendiger Dokumente) zu erwirken, sie leichter festzunehmen und dann abschieben zu können. Bei insgesamt 100 Flüchtlingen, die aus dezentralen Unterbringungen in die jeweilige ZASt geordert werden, soll dies Konzept ausprobiert werden. Der Leiter des Sachgebiets „Rückführung“ der Dezernate 301 / 305 in Blankenburg, Herr Heinisch, bestätigte auf Anfrage, daß dieses „Modellprojekt“, welches auf einem niederländischen Konzept beruht, Anfang April be- * Mitarbeiter in der Initiative für offene Grenzen gegen Abschiebung und Sondergesetze / Oldenburg, den 9.5.1998 92 gonnen wurde. 20 Flüchtlingen wurde eine „Wohnsitzauflage“ für die ZASt Blankenburg und den Bereich der Stadt Oldenburg zugesandt. Zu wohnen haben diese Personen in Blankenburg, sie dürfen sich aber im Bereich der Stadt Oldenburg aufhalten (normalerweise dürfen sich Asylsuchende in einem Landkreis aufhalten und nicht nur in dem Gebiet einer Stadt). In Oldenburg wolle man es „mit der menschlichen Art“ versuchen, dies sei womöglich erfolgreicher. Die andiskutierte Reduzierung oder der Entzug von Taschengeld sei dementsprechend vorläufig verworfen worden. Eventuelle Aufenthaltsbeschränkungen und die Verweigerung finanzieller Mittel, wie sie in den Niederlandern praktiziert werden, stehen zur möglichen Nutzung allerdings im Hintergrund. Die alleinstehenden Männer - vor allem Schwarzafrikaner - sollen durch Gespräche mit SozialarbeiterInnen des Sozialdienstes der ZAST und Anhörungen durch MitarbeiterInnen der Bezirksregierung zur Mitarbeit und Auskunftserteilung bewegt werden. Den Flüchtlingen werde nahegelegtso der Leiter des Sachgebiets „Rückführung“ - daß man ihnen ja eigentlich helfen wolle, ihr Asylverfahren evtl. neu zu bearbeiten, einen Asylfolgeantrag zu stellen oder eine Duldung zu beantragen. Bedingung sei, daß sie ihre Nationalität mitteilen würden. Praktisch ist dies der schnellste Weg für die Flüchtlinge, abgeschoben werden zu können. stimmten „Fällen“ evtl. angefragt werden. Das Dezernat 301 / 305, Sachgebiet „Rückführung“, habe die Akten der Flüchtlinge durchgearbeitet: einige Flüchtlinge seien wegen fehlender Kooperation im Asylverfahren abgelehnt worden. Über die Gespräche führen die SozialarbeiterInnen und die MitarbeiterInnen der Bezirksregierung Protokoll. Ende September müsse ein Erfahrungsberischt beim Niedersächsischen Innenministerium vorliegen. Danach würde über Änderungen, Weiterbestand oder Beendigung des Projekts entschieden. Dieses neue Modellprojekt ist eine qualitative Verschärfung der rassistischen Kontroll- und Internierungspraxis der Abschiebebehörden. Die Flüchtlinge werden zum Aufenthalt in ein Lager gezwungen (sonst erhalten sie keine materielle und finanzielle Unterstützung), sie werden ständig Verhören unterzogen und Botschaften vorgeführt, fast alle Bediensteten des Lagers helfen beim Bespitzeln mit, so daß die Flüchtlinge massiv unter Druck gesetzt werden! Über die Absichten der Behörden sollten die Flüchtlinge - soweit sie von FlüchtlingsunterstützerInnen noch nicht erreicht wurden - baldigst informiert werden! SozialarbeiterInnen sollten sich weigern, an der Bespitzelung mitzumachen! Ein breiter Widerstand gegen diese neue Internierungs- und Kontrollpraxis ist notwendig! Am 5. Mai waren 11 der angeschriebenen 20 Flüchtlinge in Blankenburg, 3 weitere hatten den Behörden ihre Ausweispapiere offengelegt. Die restlichen 3 seien vermutlich untergetaucht. Bewußt handele es sich bei diesen Männern nicht um Personen, bei denen Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz vorlägen oder zu befürchten seien, um keine Unruhe in die ZASt zu bringen. Der Sozialdienst der ZASt arbeite eng mit der Beratungsstelle des Diakonischen Werkes zusammen, das nicht in das Konzept involviert sei, würde jedoch in be- FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 DEPORTATION Presseerklärung Förderverein Niedersächsischer Flüchtlingsrat e. V. Nds. Flüchtlingsrat ( Lessingstr. 1 ( 31135 Hildesheim 24.05.1998 Funktionär der „Aktiven Volkspartei Vietnams“ in Abschiebungshaft Quang Duong Nguyen droht Freiheits- oder gar Todesstrafe in Vietnam Flüchtlingsrat fordert sofortige Aussetzung der Abschiebung Der Niedersächsische Flüchtlingsrat ist besorgt über das Schicksal des vietnamesischen Flüchtlings Quang Duong Nguyen aus Dahlenburg bei Lüneburg. Der Funktionär der Aktiven Volkspartei Vietnams wurde am 20.05.98 auf Beschluß des Amtsgerichts Lüneburg in Abschiebungshaft genommen. Jetzt droht ihm die Abschiebung. Auf dem Parteitag der Aktiven Volkspartei Vietnams im März 1998 wurde Herr Nguyen zum stellvertretenden Parteigruppenleiter II in Norddeutschland gewählt und ernannt. Die Aktive Volkspartei Vietnam ist eine 1991 in den USA gegründete vietnamesische Partei, die sich für die Überwindung der kommunistischen Herrschaft, für Demokratie und für wirtschaftliche Entwicklung einsetzt und in Kambodscha, Rußland, Frankreich, Thailand sowie in der Bundesrepublik Dependancen unterhält. Diverse Mitglieder der Aktiven Volkspartei sind in Vietnam in Haft, darunter Personen, die Ende 1996 von der kambodschanischen Regierung nach Vietnam abgeschoben wurden. Nach Artikel 73 des vietnamesischen Strafgesetzbuchs wird die Unterstützung einer Organisation, die das Ziel hat, die Volksregierung zu stürzen, mit Freiheitsstrafe von 5 - 15 Jahren bestraft. Organisatoren und Anstifter müssen mit einer Freiheitsstrafe von 12 bis 20 Jahren, mit lebenslanger Haft oder gar mit der Todesstrafe rechnen. Über den Parteitag der Aktiven Volkspartei Vietnams am 22.03.1998 berichtete die überregionale Presse. Die „Wilhelmshavener Zeitung“ vom 27.03.1998 brachte einen Bericht und ein Photo, das Herrn Nguyen in der Schar der Parteifunktionäre zeigt. Im übrigen ist davon auszugehen, daß der Parteitag vom vietnamesischen Geheimdienst beobachtet wurde. Vor diesem Hintergrund befürchten wir, daß den vietnamesischen Verfolgungsbehörden das Engagement des Herrn Nguyen in Deutschland nicht verborgen geblieben ist. Quang Duong Nguyen muß im Fall seiner Rückkehr nach Vietnam mit einer langjährigen Haftstrafe, wenn nicht sogar mit der Todesstrafe rechnen. Wir fordern daher die Verantwortlichen auf, die Abschiebung des Herrn Nguyen sofort zu stoppen und die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens zu ermöglichen. 93 DOKUMENTATION Nun zu den Problemen bei der Rückführung abgelehnter Asylbewerber ... Bericht des IMK-Vorsitzenden vor dem Bundestagsinnenausschuß am 1.4.98 Vorab möchte ich zur Verdeutlichung einige Zahlen nennen: Zugangsentwicklung im Asylbereich in den Jahren 1991 bis 1997 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 156.112 438.191 322.599 127.210 127.937 116.367 104.353 Die Zugangsentwicklung im Asylbereich in den Jahren 1991 bis 1997 stellt sich wie folgt dar. Die Höchstzahl lag 1992 bei 438.000 und ist seit dem kontinuierlich zurückgegangen. Lag die Zahl 1994 und 1995 bei über 127.000, so kamen 1997 noch 104.000 Asylbewerber nach Deutschland. Die Zahl aller Abschiebungen, die 1997 durch die Grenzschutzdirektion durchgeführt wurden, betrug 38.205. 1996 lag diese Zahl bei 32.100. Im Jahr 1995 wurden 36.455 Personen nach Kenntnissen der Grenzschutzdirektion abgeschoben. Nach Angaben der Grenzschutzdirektion sind diese Zahlen nicht vollständig, da auch Abschiebungen ohne die Grenzschutzdirektion erfolgen. Im Jahre 1996 wurden 12.119 ehemalige Asylbewerber abgeschoben. Zudem fanden 10.832 kontrollierte Ausreisen statt. Bei 25.524 Personen war der Verbleib nicht zu ermitteln. Diese Personen können entweder freiwillig ausgereist sein, ohne dies der Ausländerbehörde mitzuteilen, oder sie sind untergetaucht. Die genannten Zahlen sind nicht vollständig, da nicht alle Bundesländer ihre Zahlen dem Bundesministerium des Innern übermittelt haben. Zahlen für 1997 liegen dem Bundesministerium des Innern noch nicht vor. Ich gehe davon aus, daß der anwesende Vertreter des Bundesministerium des Innern die notwendigen ergänzenden Angaben machen kann, falls dies von Ihnen gewünscht wird. Die Zahl der abgelehnten Asylbewerber, die aufgrund eines Abschiebestopps oder aus rechtlichen Gründen geduldet werden, ist erheblich zurückgegangen. Dagegen ist der Anteil der Personen, deren Aufenthalt vorübergehend aufgrund tatsächlicher Abschiebungshindernisse weiterhin geduldet wird, stark gestiegen. Genaue Zahlen lassen sich hierfür nicht ermitteln. Häufige Gründe sind fehlende Rückreisepapiere (Pässe), unterbrochene Verkehrswege sowie körperliche und psychische Erkrankungen. Besondere Bedeutung nehmen in der letzten Zeit Fälle an, in denen Ausreisepflichtige vorbringen, sie seien wegen der anstehenden Rückführung suizidge- 94 fährdet. Eindeutiges Haupthindernis einer raschen und effektiven Durchsetzung der Ausreisepflicht ist jedoch zweifelsohne das Problem der fehlenden Rückreisedokumente. Insbesondere abgelehnte Asylbewerber verfügen in vielen Fällen nicht über einen gültigen Paß beziehungsweise ein anderes Rückreisedokument, mit dem sich eine rechtlich gebotene Abschiebung ins Heimatland organisieren ließe. Bei der Vielzahl der Fälle muß vermutet werden, daß zahlreiche Betroffene absichtlich Dokumente entgegen ihren gesetzlichen Mitwirkungspflichten (§§ 4 Satz 1, 70 AuslG; § 15 AsylVfG) zurückhalten beziehungsweise ihre Identität und Herkunft bewußt verschleiern, um die gesetzlich erforderlichen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu verzögern beziehungsweise gänzlich unmöglich zu machen. Namentlich in den Fällen, in denen Asylbewerber mit Hilfe sogenannter „Schlepperbanden“ ins Bundesgebiet eingeschleust werden, sind derartige Verhaltensweisen der von den Schleppern entsprechend „präparierten“ Ausländer in einer Vielzahl von Fällen zu beobachten. Lediglich bei wenigen Herkunftsländern, mit denen die Bundesrepublik Deutschland entsprechende Rückübernahmeabkommen geschlossen hat, genügt die Glaubhaftmachung deutscher Stellen für das Vorliegen der Staatsangehörigkeit beziehungsweise Herkunft aus dem Vertragsstaat, um von den diplomatischen und konsularischen Vertretungen dieser Länder rasch und letztlich „unbürokratisch“ die erforderlichen Reisedokumente beziehungsweise Übernahmeerklärungen zu bekommen. Entsprechende Abkommen existieren mit einigen Staaten Osteuropas (Polen, Tschechien, Bulgarien und Rumänien). In diese Staaten lassen sich daher derzeit Abschiebungen ohne größeren bürokratischen Aufwand zeitnah organisieren. Lediglich in bezug auf Rumänien berichten die Ausländerbehörden von Schwierigkeiten. Rumänische Stellen entlassen auf Antrag Bürger ihres Landes aus der rumänischen Staatsangehörigkeit in die Staatenlosigkeit, mit der Folge, daß Rumänien eine Rückführung dieser Personen ablehnt. Diese völkerrechtlich zweifelhafte Praxis wurde trotz Intervention der Bundesregierung bisher nicht aufgegeben. Bislang noch unbefriedigend ist die Umsetzung des im Jahre 1995 geschlossenen Rückübernahmeabkommens mit der Volksrepublik Vietnam. In diesem Abkommen hatte sich die Volksrepublik Vietnam verpflichtet, bis zum Jahre 2000 vertraglich festgesetzte jährliche Kontin- gente ihrer Staatsangehörigen wieder aufzunehmen. Die ausgehandelten Rückführungsmodalitäten zwingen die deutschen Behörden zu einem zeitraubenden und leider oft auch erfolglosen Verwaltungsaufwand, da zum einen bei den ausreisepflichtigen Vietnamesen eine Fülle von biographischen Daten zu ermitteln sind (wobei sich die Betroffenen in vielen dieser Fälle weigern, diese den Ausländerbehörden zu offenbaren), zum anderen vietnamesische Stellen n der Vergangenheit von den Ausländerbehörden vorbereitete Rücknahmeersuchen zurückgegeben haben, weil diese angeblich den vertraglich ausgehandelten Rücknahmemodalitäten nicht entsprechen. Die Bundesregierung hatte die aufgetretenen Probleme hinsichtlich der zu verschiedenen Zeitpunkten genehmigten Rückführung von vietnamesischen Familien mit der vietnamesischen Seite erörtert. Dabei hat die vietnamesische Seite ausdrücklich zugesagt, daß sie künftig Rückübernahmeersuchen für Familien einheitlich bearbeiten und für die gesamte Familie beantworten wird. Aufgrund dessen ist davon auszugehen, daß künftig die betroffenen vietnamesischen Familien im Interesse der Wahrung der Familieneinheit gemeinsam zurückgeführt werden können. Ähnlich unerfreulich sind die bisherigen Erfahrungen mit der Umsetzung des Ende 1996 geschlossenen Rückübernahmeabkommens zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Bundesrepublik Jugoslawien. So muß festgestellt werden, daß regelmäßig die nach dem Abkommen vereinbarten Fristen zur Rückantwort (abhängig von den Nachweismitteln drei bis zwanzig Tage) nicht eingehalten werden. Alle Bundesländer machen hier im wesentlichen gleichartige Erfahrungen. Allerdings werden in letzter zeit zunehmend mehr Rückübernahmeersuchen positiv beantwortet. Dennoch ist das Verfahren nicht zufriedenstellend, da weiterhin wesentlich mehr jugoslawische Staatsangehörige zur Beantragung von Asylgewährung einreisen bzw. eingeschleust werden, als über das Abkommen zurückgeführt werden können. Soweit Rückübernahmeabkommen nicht existieren, bestimmen die diplomatischen und konsularischen Vertretungen der entsprechenden Länder selbst, welche Nachweise und Unterlagen deutsche Stellen vorzulegen haben beziehungsweise welche weiteren Bedingungen zu erfüllen sind, um mutmaßlichen Staatsangehörigen dieser Länder Pässe oder Rückreisedokumente auszustellen beziehungsweise eine Übernahme zuzusagen. Hier berichten alle Bundesländer von erheblichen zeitlichen Verzögerungen insbesondere dann, wenn - wie in nicht wenigen Fällen - die ausländischen Vertretungen Nachforschungen im Heimatland zur Identitätsfeststellung für erforderlich halten. Je nach den speziellen Umständen des betreffenden Landes (insbesondere der dortigen kommunikativen Infrastruktur) ergeben sich so meist längerfristige Verzögerungen. Bei diesen Anforderungen ist es wenig aussichtsreich, zeitnah Rücknahmedokumente zu erhalten, insbesondere in Fällen, in denen der Ausreisepflichtige selbst die vom Heimatland für erforderlich gehaltenen Angaben seiner biographischen Daten verweigert beziehungsweise eine völlig andere Identität angibt. Dann bestehen meist langfristige Abschiebungshindernisse. Die Möglichkeiten der Innenbehörden, bei den ausländischen Vertretungen auf eine rasche Bearbeitung hinzuwirken, sind begrenzt. Hier berichten die Ausländerbehörden davon, daß in zahlreichen Fällen auch nach mehrmaligen schriftlichen und telefonischen Nachfragen ein Fortgang des Verfahrens nicht erreicht werden kann. Den Ausländerbehörden muß sich zumindest bei einigen Vertretungen ausländischer Staaten der Verdacht aufdrängen, daß dort keinerlei Interesse besteht, mitzuhelfen, die Illegalität der eigenen Landsleute in Deutschland zu beenden. Soweit die obersten Landesbehörden von derartigen Fällen durch die Ausländerbehörden Kenntnis erlangten, haben sich diese in der Vergangenheit in sehr vielen Fällen entweder direkt oder über das Auswärtige Amt an die jeweiligen Vertretungen gewandt. In vielen Fällen waren derartige Interventionen - wenn auch teilweise mit erheblichen Verzögerungen - erfolgreich. Es gibt allerdings auch nicht wenige Fälle, in denen selbst eine Intervention auf der Ebene des Auswärtigen Amtes letztlich erfolglos geblieben ist. Das Auswärtige Amt hat die Repräsentanten einiger Staaten eingestellt, um zusammen mit Vertretern der Bundesländer den Botschaftsangehörigen die Problematik bei der Rückführung ihrer Staatsangehörigen zu verdeutlichen. Das hat in Einzelfällen schon zu positiven Ergebnissen geführt. Ein endgültiges Ergebnis dieser Gespräche liegt aber noch nicht vor. Es muß hierbei allerdings festgehalten werden, daß Ursache der restriktiven Haltung einiger Auslandsvertretungen nicht immer nur Desinteresse oder Kalkül ist. Viele Asylbewerber (insbesondere aus dem nord- und westafrikanischen Raum) geben nämlich im Asylverfahren als Herkunftsstaat ein Land an, von dem sie hoffen, daß die aktuelle politische Lage dort eher zur Anerkennung als politisch Verfolgte beziehungsweise zum Feststellen eines Abschiebungshindernisses führen wird. Die betroffenen Staaten haben daher sicher auch Anlaß zu überprüfen, ob der Betreffende tatsächlich die Staatsangehörigkeit besitzt, die er gegenüber den deutschen Behörden zunächst angegeben hat. Insbesondere bei einer Herkunft aus dem westafrikanischen Raum stehen die Ausländerbehörden oft vor dem Problem den Ausreisepflichtigen einen der vielen Staaten in dieser Region zuordnen zu FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 DOKUMENTATION müssen. Hierbei kommt es naturgemäß zu erheblichen Verzögerungen bei der Aufenthaltsbeendigung, wenn der Ausländer seine genaue Herkunft verschleiert. Einige weitere Probleme möchte ich an dieser Stelle nur stichwortartig darstellen: So werden in Einzelfällen von Botschaften ausgestellte Papiere von den jeweiligen Grenz- oder Innenbehörden nicht anerkannt. Die Einreise in das Herkunftsland wird dann verweigert, obwohl die hiesige Botschaft den Betreffenden als ihren Staatsangehörigen angesehen hatte. Auch gibt es teilweise Probleme bei der Beförderung auf dem Luftweg, weil die Fluggesellschaften Personen trotz gültiger Papiere nicht weiterbefördern, wenn die Ausländer den Fluggesellschaften mitteilen, daß sie nicht aus dem Zielstaat kommen oder wenn die Flugkapitäne der Auffassung sind, die Flugsicherheit sei in irgendeiner Weise gefährdet, und sei es auch nur durch verbale Attacken. Der Vollständigkeit halber möchte ich auch einige Probleme bei bestimmten Herkunftsstaaten darstellen: a) Kurden aus der Türkei Die Abschiebung von Kurden gehört zu den meist diskutierten Fragen der derzeitigen Ausländerpolitik. Die Innenministerkonferenz hat sich zuletzt auf ihrer Sitzung am 18. Mai 1995 intensiv mit der Abschiebung von Kurden befaßt. Alle Länder haben versucht, auf eine einheitliche Linie zurückzukehren. Die Innenministerkonferenz hat den Briefwechsel zwischen Bundesinnenminister Kanther und dem türkischen Innenminister Mentese begrüßt. Dieser bezieht sich aber nur auf Personen, die sich an Straftaten im Zusammenhang mit der PKK und anderen terroristischen Organisationen in Deutschland beteiligt haben. Die Innenminister haben weiter ausgeführt: „Auch über diesen Personenkreis hinaus sollten in begründeten Einzelfällen Möglichkeiten zu Absprachen mit der Türkei und zu sonstigen ‘flankierenden Maßnahmen’ genutzt werden. Dazu kann in geeigneten Fällen z.B. gehören, daß die Kontaktaufnahme mit türkischen Anwälten bereits vor der Abschiebung angeboten und/oder die Rückkehr heimatlichen Organisationen angekündigt wird.“ Dieser Beschluß der IMK ist in den Ländern unterschiedlich umgesetzt worden. Letztlich hat es aber bei der Vielzahl von Rückführungen türkischer Staatsangehöriger keine nennenswerten Probleme gegeben. Es wird jedoch von Angehörigen in Deutschland oder Unterstützergruppen häufig behauptet, daß abgeschobenen Kurden bei ihrer Rück- kehr von Sicherheitskräften festgehalten und gefoltert worden und einige danach „verschwunden“ seien. Allerdings konnten nachweise bisher nicht erbracht werden. Die Länder bitten in Einzelfällen die deutsche Botschaft bzw. das Generalkonsulat um Aufklärung. b) Entwicklung im Kosovo Einige Bundesländer hatten Flüge nach Jugoslawien Anfang März ausgesetzt, bis vom Auswärtigen Amt eine neue Lagebeurteilung vorlag. Im Anschluß an ein Gespräch mit Herrn Schlee am 12. März 1998, das ich gemeinsam mit Vertretern der Länder Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen sowie des Bundesinnenministeriums geführt habe, haben wir angesichts der aktuellen Entwicklung im Kosovo das weitere Vorgehen bei der Rückführung von Kosovo-Albanern erörtert. Dabei haben die Beteiligten zunächst den neuesten Bericht des Auswärtigen Amtes vom 11. März 1998 zur Lage im Kosovo zur Kenntnis genommen. Die Beteiligten haben vor dem Hintergrund des Lageberichtes und den ergänzenden Erläuterungen des Vertreters des Bundesinnenministers festgestellt, daß ein genereller Abschiebestopp nicht in Betracht kommt. Die Auseinandersetzungen in der sogenannten Drenica-Region seien am 8. März 1998 beendet worden. Seitdem würden von dort nur noch kleinere Schießereien gemeldet. Die übrigen Landesteile der Kosovo-Region seien von gewaltsamen Zwischenfällen nicht erfaßt worden. Die Gesprächsteilnehmer wiesen darauf hin, daß vor anstehenden Abschiebungen selbstverständlich mögliche Abschiebehindernisse im Einzelfall geprüft worden sind. Sie sind einvernehmlich der Auffassung, daß an der - in der jeweiligen Länderverantwortung - bisherigen Abschiebepraxis festgehalten werde. c) Rückführungen nach Bosnien und Herzegowina Nach dem Ende der Kriegshandlungen hat die Innenministerkonferenz am 15. Dezember 1995 beschlossen, den Abschiebestopp für Personen aus Bosnien und Herzegowina aufzuheben, die nach dem 15. Dezember 1995 einreisen. Daran anschließend wurden am 26. Januar zwei Rückführungsphasen festgeschrieben. Danach sollten ursprünglich in der ersten Phase Erwachsene ohne Kinder, in einer zweiten Phase Familien mit Kindern, Traumatisierte, Deserteure und Auszubildende zurückgeführt werden. Mit Blick auf die damalige Situation hatte die Innenministerkonferenz am 19. September 1996 in Bonn im wesentlichen beschlossen, daß die Rückkehr im Rahmen des am 26. Januar 1996 beschlossenen Phasenplans erfolgen kann. nach Einschätzung der Bundesregierung waren zwangsweise Rückführungen ab dem 1. Oktober 1996 möglich. den Innenministern und -senatoren der Länder bestand aber Einvernehmen, daß den Ländern im Rahmen der ersten Rückführungsphase hinsichtlich des Beginns der zwangsweisen Rückführung eine flexible Handhabung möglich ist. Ein weiterer IMK-Beschluß ist am 25. März 1997 im Umlaufverfahren zustande gekommen. Dabei wurden für einige Personengruppen bundeseinheitlich besondere Regelungen getroffen, so für Traumatisierte Personen (unabhängig von einer Einreise im Rahmen der Kontingentaufnahme), die deswegen mindestens seit dem 16. Dezember 1995 in ständiger (fach)ärztlicher Behandlung stehen, soweit die Behandlung nicht abgeschlossen ist; Auszubildende, die ihre Ausbildung vor dem 26. Januar 1996 begonnen haben, soweit dies nicht abgeschlossen ist und soweit die Bereitschaft besteht, die zeit bis zum Ausbildungsabschluß auch getrennt von der Familie in der Bundesrepublik Deutschland zu verbringen. Durch die fachliche Qualifikation der Rückkehrer soll der Wiederaufbau in Bosnien und Herzegowina unterstützt werden. Von der Rückführung sowohl in der ersten als auch in der zweiten Phase sind weiterhin ausgenommen: Personen, die am 15. Dezember 1995 das 65. Lebensjahr vollendet hatten, wenn sie in Bosnien und Herzegowina keine Familien mehr haben, aber in der Bundesrepublik Deutschland Angehörige mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht leben, soweit entsprechende Verpflichtungserklärungen vorliegen oder sonst sichergestellt ist, daß für diesen Personenkreis keine Leistungen der Sozialhilfe in Anspruch genommen werden. Personen, die als Zeugen vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag im Rahmen eines Kriegsverbrecherprozesses geladen werden und bereit sind, dort auszusagen. Über die weitere Behandlung dieser Personengruppen wird in der IMK zu einem späteren Zeitpunkt entschieden. Die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder hat am 6. Juni 997 zudem festgestellt, daß die Rückführung der aus der Republik Srpska stammenden Flüchtlinge bosnischer oder kroatischer Volkszugehörigkeit besondere Sensibilität erfordert. Sie stimmte deshalb darin überein, daß Abschiebungen dieser Personen im Grundsatz als nachrangig anzusehen sind. Ein differenziertes Vorgehen ist danach ausdrücklich möglich und wird auch von den zuständigen Ausländerbehörden praktiziert. Die Forderung von Dayton, daß jeder in seinen Heimatort zurückkehren kann, wird nicht durchgesetzt werden können. Deshalb muß den Flüchtlingen zugemutet werden, jetzt in einen anderen Ort nach Bosnien-Herzegowina zurückzukehren, aus dem sie möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt in ihren früheren Wohnort umziehen können. Zur Förderung der freiwilligen Rückkehr bosnisch-herzegowinischer Bürgerkriegsflüchtlinge kann für eine Orientierungsreise bzw. in begründeten Einzelfällen für eine weitere Orientierungsreise eine Rückkehrberechtigung (Vignette) für die Dauer von höchstens zwei Monaten erteilt werden. Zusätzlich werden, um die Rückkehrbereitschaft zu fördern, den Rückkehrwilligen konkrete Hilfen nach dem REAG(Reintregation and Emigration Programme für Asylum-Seekers in Germany)- und GARP-Programmen (Government Assisted Repatriation Programme) angeboten. REAG ist ein Programm der Regierung der Bundesrepublik Deutschland für die finanzielle Unterstützung der Beförderung mittelloser Asylbegehrender, Asylbewerber, abgelehnter Asylbewerber, anerkannter Flüchtlinge, Bürgerkriegsflüchtlinge sowie vietnamesische ehemalige Vertragsarbeitnehmer, die aus eigenem Entschluß freiwillig in ihre Heimat zurückkehren wollen oder in einen aufnahmebereiten Drittstaat weiterwandern können. GARP stellt ein Programm der Regierung der Bundesrepublik Deutschland zur Förderung der freiwilligen Rückkehr in ausgewählte Heimatländer dar. In diesen Programmen beteiligen sich auch in unterschiedlicher Weise die Länder und Kommunen. In einigen Bundesländern kann die Ausreise und Wiedereingliederung von Familien mit Kindern gefördert werden, indem bei Ausreise der restlichen Familienmitglieder der weitere Aufenthalt eines Familienmitgliedes zur Fortsetzung bzw. Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zu einem halben Jahr geduldet wird. Voraussetzung ist u.a., daß ein Arbeitsplatz nachgewiesen ist und die erforderliche Arbeitserlaubnis vorliegt oder zugesichert ist. Problematisch ist in diesem Zusammenhang, daß die Arbeitsverwaltung nur noch sehr eingeschränkt Arbeitserlaubnisse erteilt. Zudem muß darauf hingewiesen werden, daß die Länder bisher nur unzureichend über die geplanten und durchgeführten EU-Projekte informiert wurden. Trotz mehrfacher Nachfrage ist bisher keine ausreichende Transparenz über die Auswahlkriterien bei der Vergabe von Projektmitteln erreicht worden. Eine Verbesserung der bisher unbefriedigenden Situation bei den von der EU-Kommission geförderten Wiederaufbauprojekten erhoffen sich die Länder von dem Beauftragten der Bundesregierung für Flüchtlingsrückkehr und rückkehrbegleitenden Wiederaufbau Herrn Innenminister a.D. Dietmar Schlee. Wie in einem Gespräch mit Herrn Schlee am 12. März in Mainz vereinbart, wurde die Arbeitsgruppe Rückführung der Innenministerkonferenz gebeten, bis zur Sitzung der IMK am 7./8. Mai 1998 Vorschläge zu unterbreiten, wie die Ressourcen von Bund, Ländern und Europäischer Union noch zielgerichteter eingesetzt werden könnten, um den Wiederaufbau voranzubringen und so die freiwillige Rückkehr zu fördern. Zwischen dem Bundesinnenminister und 95 KIRCHENASYL Kirchenasyl Hannover Zehn Nigerianern droht wieder die Abschiebung Ingrid Lange/ Sprecherin für den Unterstützerkreis Biodun Adedeji Johnson Akindele Sunday Alao Delly Johnson Christopher Mitee Josiphat Nwagwu Desmond Ogundaye Otomi L’Otomi Venatious Umelo Im Januar 1997 hatten diese zehn Nigerianer und zwei andere, die inzwischen untergetaucht sind, in vier hannoverschen Kirchengemeinden Zuflucht gefunden. Diese Nigerianer, alle Mitglieder der Nigerian Association in Niedersachsen (NAN), waren wie heute wieder - von Abschiebung bedroht. Ab September konnten sie nach und nach das Kirchenasyl verlassen, weil sie aufgrund ihrer Einwanderungsanträge nach Kanada von dieser Botschaft zu einem Interview eingeladen worden waren. Die Bezirksregierung Hannover sprach daraufhin befristete Duldungen aus. Leider wurden alle zehn Einwanderungsanträge von der kanadischen Botschaft abgelehnt. In Kanada laufen seit Wochen Bemühungen von Kirchengemeinden und Einzelpersonen, die kanadische Botschaft zu überzeugen, wie gefährdet die Nigerianer bei Abschiebung wären. So sehen wir immer noch eine Chance zur Weiterwanderung. Die verantwortlichen Behörden sollen ihnen unbedingt die nötige Zeit geben, um ihre Weiterwanderungsbemühungen fortsetzen zu können. 96 Doch am 13. Mai 1998 hat die Ausländerstelle Hannover auf Anweisung der Bezirksregierung Hannover und im Einvernehmen mit dem niedersächsischen Innenministerium die Duldungen nicht mehr verlängert und wiederum Abschiebungsmaßnahmen eingeleitet. Die Nigerianer konnten und wollten aus politischen Gründen nicht auf die wie schon 1997 gestellte Forderung der Bezirksregierung eingehen, sich Paßersatzpapiere zu beschaffen. Auch wir als UnterstützerInnen sind der Meinung, daß die Nigerianer nicht in die Botschaft des illegitimen Abacha-Regimes, das sie seit vielen Jahren bekämpfen, gehen sollten, um sich freiwillig “Abschiebe-Papiere” abzuholen. Paßersatzpapiere gelten nämlich nur 16 Tage und auch nur für die Einreise nach Nigeria. Zusammen mit den Nigerianern haben wir seit mehr als zwei Jahren immer wieder versucht, die Behörden zu überzeugen, wie gefährdet die Nigerianer im Falle einer Abschiebung sind. Außerdem warnen wichtige Organisationen der nigerianischen Prodemokratiebewegung und mehrere ihrer international anerkannten Sprecher nachdrücklich vor Abschiebung von Flüchtlingen, die im Exil aktiv gegen das Militärregime von General Abacha kämpfen. Ihnen drohen Mißhandlung, Gefängnisaufenthalte oder gar der Tod. Den zuständigen Behörden liegen neueste Stellungnahmen vor, z.B. von: Dr. Kayode Fayemi, United Democratic Front of Nigeria, UDFN, Koordinator für Europa (7.4.1998) Prof. Usman G. Akano, Präsident der Koalition für Menschenrechte und Demokratie in Nigeria, COHDN (23.4.1998) RA Olisa Agbakoba, Sprecher von United Action for Democracy, UAD (28.4.1998) Prof. Julius Ihonvbere, Vizepräsident UDFN World, Mitglied im Aktionskomitee von UDFN und National Democratic Coalition, NADECO (29.4.1998) am 1. Mai 1998 durch die nigerianische prodemokratische Opposition hat sich die politische Lage in Nigeria noch verschärft. Viele ihrer Anführer und andere Prodemokraten wurden verhaftet. Auch Herr Olisa Agbakoba, der Rechtsanwalt Ken Saro Wiwa’s und einer der aktivsten Kämpfer für Menschenrechte, Sprecher von UAD, befindet sich unter unmenschlichen Bedingungen im Gefängnis. Im Zusammenhang damit wurden seine Computer, alle Aktenbestände und Korrespondenzen beschlagnahmt. Hieraus ergibt sich für die zehn NAN-Mitglieder im Falle der Abschiebung eine neue akute Gefahr für Leib und Leben. Tatsache ist, daß dem SSS (Secret Security Service) nun auch die aktuellsten Informationen über die von Agbakoba unterstützten NAN-Miglieder zur Verfügung stehen. Aufgrund der immer noch bestehenden Aussicht auf Weiterwanderung und der sich verschärfenden Rückkehrgefährdung bei Abschiebung dürfen die Nigerianer auf keinen Fall nach Nigeria abgeschoben werden. Der Unterstützerkreis für nigerianische Flüchtlinge in Hannover appelliert an alle Leser und Leserinnen dieses Berichtes Helfen Sie uns, die Abschiebung der zehn Nigerianer zu verhindern ! Wenden Sie sich an: Innenminister Herrn Glogowski, Lavesallee 6, 30169 Hannover. Fax: 0511/120-6580 Bezirksregierung, Frau Haunschild, Postfach 203, 30002 Hannover, Fax: 0511/106-2629 Ordnungsamt, Herr Seidel, Leinstraße 5, 30159 Hannover, Fax : 0511/1684-5352 Nach dem Wahlboykott der Parlamentswahlen am 26. April 1998 und der Protestaktionen FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 LÄNDERBERICHT Seit der 7. Jahresbericht der “Organisation zur Verteidigung der Menschenrechte” (AZADHO) erschienen ist, sind die gegen das Regime in Kinshasa erhobenen Vorwürfe bekannt. Ende des vergangenen Jahres klagte Human Rights Watch die kongolesische Regierung an, tagtäglich die Menschenrechte zu verletzen, nachdem Beweise erbracht wurden für die systematische Vernichtung von ruandischen Flüchtlingen durch die Soldaten der AFDL und ihre Verbündeten. Der Chilene Roberto Garreton, Intitiator der UNO-Untersuchung von Massakern an Flüchtlingen, bestätigte, daß die Regierung von Ex-Zaire die Rechte auf Freiheit und körperliche Unversehrtheit abgeschafft hätten. Auch wenn den Aktionen der kongolesischen Behörden einige positive Aspekte zu entnehmen sind, kommt der Bericht der UNO u.a. dennoch zu dem Schluß, daß die Kongolesen weder das Recht auf Demokratie “genössen”, noch nah daran seien, es zu “genießen”. Der Vorwurf, der geteilt wird von Amnesty International in einem am Vorabend des Treffens der Freunde Kongos veröffentlichte Bericht, prangert Mißbrauch und Verletzungen der Menschenrechte an, die von den Truppen der AFDL seit Beginn des Krieges im Oktober 1996 begangen wurden. Andererseits - und trotz der Unterstützung des AFDL-Regimes durch die Clinton-Regierung - erkannte das amerikanische State Department zu Beginn des Jahres bei der Bilanzierung des KabilaRegimes in bezug auf die Rechte an, daß es hinsichtlich fundamentaler Freiheiten in der DRK noch erhebliche Probleme gibt. Selbst der deutsche Außenminister, der sich unlängst bezüglich Anschuldigungen gegenüber Mobutu traditionell skeptisch zeigte, bestätigte ausdrücklich Roberto Garretons Behauptungen. Der Bericht vom Januar 1998 enthält u.a. die Erkenntnis, daß selbst acht Monate nach der Machtübernahme die Regierung, von der man sich so vieles erwartete, nur Ernüchterung oder gar Enttäuschung hervorgerufen hat. Der Gedanke der “Ernüchterung” und “Enttäuschung” der vom kongolesischen Volk empfunden wird nach einer mißratenen Befreiung, ist der gleiche, der sich als Hauptthema wiederfindet in dem Bericht der AZADHO, der den einfachen Titel trägt “Des espoirs déçus à une vague d’inquiétudes, les occasions manquées” (Enttäuschte Hoffnungen nach einer Welle der Unruhe, die vertanen Gelegenheiten). Als letzter in einer langen Liste von Jahresberichten erschienen, konnte dieses Dokument von 60 Seiten vom Februar 1998 im ganzen nur einen weiteren Bericht darstellen über den Zustand der Menschenrechte in der DRK. Aber die Behörden in Kinshasa, die durch Täuschungsmanöver die Verbreitung verhindern wollen, haben seitdem ein Nachschlagewerk für die Verteidiger der Menschenrechte daraus gemacht. Empört über diese Form des Anschlags auf die Freiheiten unabhängiger Organisationen, hat Human Rights Watch Präsident Clinton unter Druck gesetzt, gegen das Regime von Laurent-Désiré Kabila Stellung zu beziehen. Kongo Schließlich scheinen selbst den Autoren des letzten AZADHO-Berichts die Risiken bewußt geworden sein, die die Veröffentlichung eines solchen Dokuments mit sich bringen könnte. “Von Menschenrechtsverletzungen zu sprechen in einem Umfeld, in welchem offizielle Debatten geprägt sind von unzähligen Hinweisen auf die “Befreiung” könnte als Trotzreaktion angesehen werden,” schreibt Guillaume NGEFA, der Präsident der Organisation, in seiner Einführung des Berichts. Die Reaktion der kongolesischen Behörden - wenn dies die Art ist, Trotz hervorzurufen wie der, den die Organisation zur Verteidigung der Menschenrechte Trotz ihnen entgegenbringt - enthält unterschwellig ein endgültiges Geständnis der Verwicklung der genannten Behörden bei den Mißbräuchen, die gegenwärtig in der Demokratischen Republik Kongo stattfinden. In der Tat unterstreicht der AZADHO-Bericht: “Die zivilen ebenso wie die militärischen Behörden waren insofern Mittäter bei den Menschenrechtsverletzungen, da sie in der Mehrzahl der Fälle auf die eine oder andere Weise die Verursa- jean-rené kwaka mbangu AZADHO trotzt den Behörden in Kinshasa jean-rené kwaka mbangu cher dieser Mißbräuche nicht verfolgt haben.” Um seinerseits die Frage anzusprechen, kümmerte es Mwnze Kongolo, den Justizminister der DRK, wenig, im nationalen Fernsehen zu erklären: “Man hat den Ton nicht verschärft” hinsichtlich der Menschenrechte. Dennoch lernen wir aus den Handlungen der politischen Behörden Kongos. e.-Mail: [email protected] http://www.elikya.de 97 DEPORTATION Abschiebungen ehemaliger Asylbewerber Stand: 19. März 1998 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996* 1997* Baden-Württemberg Bayern Berlin Brandenburg Bremen Hamburg Hessen Mecklenburg-VorpommernNiedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Saarland Sachsen Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein Thüringen 266 170 169 19 619 176 242 467 201 18 70 - 432 252 144 10 536 186 308 605 183 30 107 - 559 404 84 9 491 247 410 711 283 43 86 - 1.445 756 122 36 793 160 506 1.243 511 59 230 - 1.789 1.026 155 15 89 1.025 298 8 735 2.234 525 123 6 199 - 2.557 1.152 223 393 244 1.123 318 95 1.194 1.990 555 113 5 315 302 46 5.586 3.135 1.398 3.167 611 1.957 1.238 1.005 3.888 6.627 2.231 525 178 1.062 969 747 4.674 2.959 1.606 2.987 583 2.199 1.746 1.198 3.215 7.298 1.736 536 2.019 860 773 959 2.169 1.947 809 1.352 310 1.444 1.323 605 2.001 4.851 909 215 2.854 412 491 696 2.081 1.59 1.822 3.112 654 926 1.025 1.025f 223 225 989 848 1.436 1.534 327 453 1.339 1.822 3.250 3.543 785 956 186 202 1.926 758 427 589 351 287 775 714 Zusammen: 2.417 2.793 3.327 5.861 8.232 10.798 36.165 36.183 21.487 16.428 17.745 Quelle: Ländermeldungen Abschiebungen von Ausländern insgesamt** Jahr . . . . . . . . . . . . .Anzahl 1990 1991 1992 1993 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .10.850 .13.668 .19.821 .47.070 Jahr . . . . . . . . . . . . .Anzahl Personen Personen Personen Personen 1994 1995 1996 1997 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .53.043 .36.455 .31.761 .38.205 Personen Personen Personen Personen Quelle: Abschiebungen durch den GSD und den mit der grenzpolizeilichen Kontrolle beauftragten Behörden *bisher von den Bundesländern gemeldete Abschiebungen von Asylbewerber für 1996 und das lfd. Jahr 1997 gemeldet (nicht vollständig). ** Daneben werden von einigen Bundesländern Abschiebungen ohne Beteiligung des BGS vorgenommen. Diese werden statistisch nicht erfaßt. 98 FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 LÄNDERBERICHT 43.000 aufgegriffene Menschen an den Ostgrenzen Österreichs in sieben Jahren ... Flüchtlinge, Arbeitsuchende, Verzweifelte. Gejagt wie die Hasen mit Wärmebildkameras, Bodensensoren und Nachtsichtgeräten, neuerdings auch vom Hubschrauber aus. Die Kehrseite der EU-Integration heißt Ausgrenzung, Demütigung. Das Stichwort dazu: “Schengen”. Im Schengener Vertrag aus dem Jahre 1985 wurden die Grenzen der Europäischen Union für Menschen dichtgemacht, damit innerhalb EU-Europas freier Reiseverkehr stattfinden kann. Die Opfer dieser Politik sind hilfesuchende Menschen aus Osteuropa, Asien und Afrika. Ob politisch verfolgt, religiös unter Druck oder wirtschaftlich am Ende, die Biographie des einzelnen Grenzgängers spielt keine Rolle mehr. In Österreich sind RumänInnen, RussInnen, KurdInnen oder SriLankesInnen nicht erwünscht. Anläßlich des definitiven Beitritts des Landes zum Schengener Vertrag erörtern die Autoren das volle Ausmaß des Rassismus, das hinter der täglich stattfindenden Menschenverachtung an der Außengrenze der Europäischen Union steckt. Österreichs Exekutivbeamte, seit einem Jahr speziell geschulte Menschenjäger, sind nun Teil des umfassenden Überwachungssystems. Die Maßnahmen zur Bekämpfung der sogenannten “illegalen Einwanderung” erweisen sich als äußerst kostspielig und für Flüchtlinge im Extremfall tödlich. An den EU-Außengrenzen sind in den vergangenen Jahren 800 Menschen ums Leben gekommen, entweder in der Oder ertrunken, in LKWs erfroren oder erstickt, oder sie haben sich aus Angst vor der Auslieferung umgebracht. Durch die Kriminalisierung der Hilfesuchenden entsteht ein weites Geschäftsfeld für Visa- und Paßfälscher, Transportunternehmen und korrupte Beamte, das in den Sicherheitsberichten als eine der “gewinnträchtigsten Formen organisierter Kriminalität” beschrieben wird. “Menschenjagd” dokumentiert diese im Kern rassistische Politik, ihre Auswirkungen auf die Militarisierung der Gesellschaft im inneren und die Brutalisierung nach außen. Dabei werden in einzelnen Kapiteln die “Jäger”, die “Helfer”, die “Flucht”, das “Schubgefängnis” sowie der gesellschaftliche Nährboden behandelt, auf dem das Phänomen Abschottung basiert. Vorangestellt sind dem Band eine kurze Geschichte des Schengener Abkommens, eine Auseinandersetzung mit den historischen Wurzeln des West-Ost-Gegensatzes in Europa sowie die aktuellen gesetzlichen Grundlagen der Menschenjagd. Die HerausgeberInnen: neues Buch: MENSCHENJAGD Schengenland in Österreich Anny Knapp/ Herbert Langthaler (Hg.)* Anny Knapp und Herbert Langthaler sind langjährige Mitarbeiter des Vereins” Asylkoordination”, der seit der Wende die Opfer des neuen Vorhanges an der Ostgrenze Westeuropas betreut. Anny Knapp studierte Geschichte und Germanistik in Wien. Herbert Langthaler ist Journalist und Ethnologe. Beide publizieren regelmäßig in der Zeitschrift “asylkoordination aktuell”. * (Presseinformation des Verlags) ISBN 3-85371-133-2, 208 Seiten 99 LÄNDERBERICHT Unanständige Behandlung von Asylsuchenden Über das Flughafenverfahren, das konsultative Modell, die Abschiebehaft und das „Pflasterstein-Verfahren in den Niederlanden Henri Kho (Der Artikel ist erstmals erschienen in dem Magazin der niederländischen Organisation „prime“. Die englische Fassung, die uns vom Autor zur Verfügung gestellt wurde, wurde von Gudrun Mane übersetzt.) Nach Verlautbarungen der Regierung ist die niederländische Asylpolitik human. Aber immer häufiger schießt die selbe Regierung Löcher in ihre eigene nicht völlig wahre Darstellung. Wenn der Immigration and Naturalization Service (IND)1 im Aufnahmezentrum (AC) auf dem Schiphol-Flughafen zu der Ansicht gelangt - in einem 24-stündigen Verfahren - , daß der Antrag eines Asylsuchenden offensichtlich unbegründet ist, wird eine negative Entscheidung ausgegeben mit einer sogenannten 18b Verfügung. In der Mehrzahl der Fälle folgt eine Inhaftierung im Grenzgefängnis. Es gibt nur eine Möglichkeit der Anfechtung; ein endgültiges Verfahren vor einem Richter. Aber sehr oft wird der Asylsuchende bereits vor dieser richterlichen Anhörung abgeschoben. Wer sind diese Asylsuchenden? Ist es möglich, sie nach 24 Stunden auszuweisen? Sind sie gebrandmarkt? Werden sie von der Inanspruchnahme ihrer Grundrechte abgehalten? Eine Analyse individueller Fälle kann nicht zu einer klaren Beurteilung führen, denn es mag deutlich sein, daß ein kolumbani100 scher asylsuchender Drogendealer ein „unerwünschtes Element“ sein würde, ein verfolgter irakischer Flüchtling sollte hingegen vollen Schutz genießen. Aber was soll man über einen Asylsuchenden denken, der eine mit Sicherheit unwahre Geschichte erzählt, aber alle physischen Merkmale lange andauernder Folter trägt? Und was soll man von einer Flüchtlingsfrau denken, die nicht bereit ist zu sprechen und ihre Reise nach Kanada fortsetzen will, um dort Asyl zu beantragen? Eil-Verfahren Diese Asylsuchenden sind angewiesen auf die Angemessenheit des durchgeführten Eil-Verfahrens. Wenn erst einmal eine negative Entscheidung mit gerichtlicher Verfügung ergangen ist, sind die Möglichkeiten sehr beschränkt. Was die Rechtssicherheit angeht, sind alle Sicherheitsnetze in den ACs erreichbar; Rechtsanwälte, Rechtsberatung und das Vluchtelingen Werk2. Die Freiwilligen im Vluchtelingen Werk haben die Möglichkeit, den Asylsuchenden innerhalb von 15 Minuten (!) über das bevorstehende Verfahren zu informieren. Es gibt drei Rechtsanwälte für alle (!) Asylsuchenden, die an dem Tag das AC passieren. Die Rechtsanwälte können einer Person eine einstündige Vorbereitung auf die Hauptanhörung bieten. Aber eine unabhängige Beobachtung dieser Anhörungen findet nur in 20 Prozent der Fälle statt. In Bezug auf diese Beobachtung ist der Asylsuchende angewiesen (in der besten Tradition der Armen-Hilfe des neunzehnten Jahrhunderts) auf die Freiwilligen vom Vluchtelingen Werk. Die Pläne des Frühlings-Memorandums der Regierung, das 24Stunden-Verfahren auf 48 Stunden auszudehnen, würde nicht die unsichere Situation eines müden, mißtrauischen und häufig verwirrten Flüchtlings beenden. Und wenn ein Asylgesuch erst einmal als „wahrscheinlich erfolglos“ eingestuft ist, muß man seine ganze Lebensgeschichte einem nicht (!) speziell ausgebildeten Beamten des IND offenlegen. Für die anderen Flüchtlingen „mit Aussicht auf Erfolg“, gibt es Rechtsschutz, Tage zum Ausruhen und eine Unterbringung in einem Schutzzentrum (OC), bevor die Hauptanhörung stattfindet. Insbesondere für die erste Gruppe, die sofort von Abschiebung bedroht ist (und denen möglicherweise höchste Gefahr droht), ist das 24-Stunden-Verfahren viel zu kurz, um gewissenhaft zu sein. Mißbrauch In diesem Zusammenhang wird häufig die Diskussion um den Mißbrauch des Asylrechts aufgebracht. Eigens die jungen westafrikanischen Frauen, die sich darauf berufen, aus einem Kriegsgebiet zu kommen, und tatsächlich (häufig) zum Zweck der Prostitution in Europa sind. Die Frage ist: Kann dieser speziellen Gruppe Mißbrauch des Asylverfahrens vorgeworfen werden? Meistens sind sie sehr jung, häufig Minderjährige, ihre Familien sind im Heimatland in der einen oder anderen Weise im Würgegriff. Und die Frauen werden mit falschen Geschichten nach Europa gelockt. Von Mißbrauch kann eher im Zusammenhang mit den kriminellen Organisationen gesprochen werden, die diese Sklaverei organisieren und davon profitieren. Bemerkenswert ist, daß die niederländische Regierung keine aktive Untersuchungspolitik bezüglich dieser Probleme betreibt und daß dies scheinbar auch nicht als wichtig angesehen wird. In der Diskussion um Asyl und Mißbrauch auf diese Gruppe zu verweisen, ist daher fast schäbig. Abschiebungen ohne gerichtliche Verfügung Sofortige Abschiebungen finden nach einer negativen Entscheidung des Justizministeriums statt. Zur Rechtfertigung dieser Abschiebungen beruft es sich auf den Vertrag von Chicago. In diesem Fall wird ein Luftfahrt-Abkommen für einen anderen Zweck benutzt. Aber es gibt noch andere Fälle, in denen zurückgeschoben wird, da die Betroffenen aus einem sicheren Herkunftsstaat kommen (Nicht zu verwechseln mit den per Gesetz (!) für si- FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 LÄNDERBERICHT cher erklärten Drittländern). Hier vergleicht der Staat individuelle Fälle mit den allgemeinen Informationen des Auswärtigen Amtes und entscheidet immer in Bevorzugung der Letzteren. Beide Methoden sind zweifelhaft. Es erscheint im Zusammenhang mit Art. 13 des - auch von der niederländischen Regierung unterzeichneten - Abkommens über bürgerliche und politische Rechte eine klare Verletzung von Menschenrechten. Die im Einwanderungsgesetz erwähnte 18-b Verfügung (Inhaftierung) gibt den Betroffenen nicht das Recht, in den Niederlanden auf das Ergebnis der Klage zu warten. Die aufschiebende Wirkung muß gesondert beantragt werden. Die Anwälte können dies (pro forma) innerhalb der 24 Stunden tun. Aber sobald der Antrag als „wahrscheinlich erfolglos“ eingestuft ist, wird der Antrag schnell - manchmal (!) in Absprache mit dem Asylsuchenden - zurückgezogen. Das konsultative Modell Hier sehen wir ein weiteres Phänomen. Aufgrund eines Gewirrs von Abkommen zwischen dem Ministerium, den betroffenen Dienststellen, Anwälten, der Rechtsberatung und dem Vluchtelingen Werk und durch das „Wir sind hier humaner“-Gefühl, ist der Asylsuchende fast unsichtbar konfrontiert mit einem System, in dem alle miteinander verbunden sind. Die Unabhängigkeit von einigen Organisationen in diesem System ist überhaupt nicht sicher. Die Rechtsanwälte haben das Recht eine sogenannte „schwerwiegenden Empfehlung“ abzugeben und sind in einer Weise befugt, dem Offiziellen des Justizministeriums beizusitzen, der über das Asylgesuch entscheiden wird. Die Ratschläge werden aber systematisch ignoriert. Das Prinzip dieses Arbeitsabkommens zwischen dem IND und den Rechtsanwälten, einem wichtigen Element des konsultativen Modells, ist kontrovers. Inhaftierung Nach der Inhaftierung im Grenzgefängis - manchmal mit zwei Gefangenen in einer Zelle (!) sitzt das Stigma fest. Offensichtlich gibt es nur Kriminelle im Gefängnis. Wenn ein Flüchtling erst einmal hinter Gittern sitzt, sind die Chancen für eine Revision der negativen Asyl-Entscheidung stark eingeschränkt. Der kurze Zeitraum zwischen dem ersten Tag im Gefängnis und der Anhörung vor dem Gericht ist nicht annähern ausreichend, um neue Beweise zu beschaffen oder Bestätigung für das bereits Gesagte zu finden. Und wenn der Asylsuchende kein Geld hat, ist es sogar unmöglich, zu telefonieren oder einen Brief zu schicken. Ein Vergleich drängt sich auf zu der „oubliette“, den Zellen der Vergessenen unter Louis dem 13ten. Die Niederlande (mit den meisten Gefängniszellen pro Kopf in Europa) verweisen immer noch auf ihre eigene (!) humane Politik. Die beigeordneten Rechtsanwälte im Gefängnis sind zumeist dieselben Anwälte, die im AC bereits eine „Beurteilung“ des Falles abgegeben haben in der Handhabung des Antrags auf aufschiebenden Wirkung und/ oder der „schwerwiegenden Empfehlung“. Dies kann für den Flüchtling ein sehr negativer Faktor sein. In den Gefängnisse gibt es einige Rudimente von unabhängiger Rechtshilfe. Immerhin wird die Haft selten per Gerichtsbeschluß aufgehoben. Dies geschieht in Fällen, in denen der Rechtsanwalt es beantragt (!). Betrug noch vor einigen Jahren die maximale Zeit, die ein Asylsuchender (nicht ein Illegaler) im Grenzgefängnis festgesetzt werden konnte, einen Monat, sind nun sechs Monate die maximale Zeit, obwohl auch längere Haftzeiten vorkommen. Das Pflasterstein-Verfahren Während der Zeit, in der ein Asylsuchender inhaftiert ist, ist das Justizministerium verpflichtet, alles für seine Ausweisung zu tun. Dieser Pflicht wird nachgekommen, indem der (im endgültigen Klageverfahren abgelehnte) Asylsuchende bei verschiedenen Botschaften vorgestellt wird, unabhängig von der angegebenen Nationalität, in der Hoffnung, daß eine dieser Botschaften Reisedokumente ausstellt. Dabei werden häufig die Grenzen zu Deutschland oder Belgien überquert (bewaffnete Wächter mit gefesselten Häftlingen). Die Gesetzmäßigkeit ist recht unklar. Die Ausstellung von Dokumenten wird von den Botschaften häufig verweigert und dem Asylsuchenden wird die Schuld daran gegeben. Wenn es nicht möglich ist, für den Asylsuchenden Reisedokumente zu bekommen, wird er auf die Straße gesetzt; das sogenannte Pflasterstein-Verfahren, mit einer schriftlichen Notiz in der Hand, daß er die Niederlande innerhalb 24 Stunden verlassen soll. Da der Asylsuchende überhaupt kein Geld bekommt, um dies zu bewerkstelligen, wird er binnen 25 Stunden zum Illegalen. (Dann besteht die Möglichkeit, ihn erneut zu inhaftieren, diesmal jedoch als Illegalen.) Es gibt Fälle, in denen Personen tagelang in der Nähe des Gefängnistores herumgeirrt sind. Inzwischen werden sie von Gefängniswärtern in einem Mini-Bus zur nächsten U-Bahn-Station gebracht - fünfzehn Minuten Fußmarsch vom Grenzgefängis entfernt - und dort freigelassen. Asylsuchende sind nicht vor willkürlichen Ausweisungen nach den ersten 24 Stunden geschützt. Es gibt zwar einen minimalen legalen Schutz, aber die kurze Zeitspanne und die Sorgfalt stehen zueinander in Konflikt. Die Einstufung als „wahrscheinlich erfolglos“ beeinflußt die „schwerwiegende Empfehlung“ und den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung. Die Haftzeiten sind länger und die Stigmatisierung spielt eine zunehmende Rolle. Daß der Staat sich um die Schwächsten kümmert, ist das absolut notwendige Minimum, um Anständigkeit zu gewährleisten. Bei diesem Thema müssen wir eine extrem unanständige Behandlung feststellen. 1) Der „Einwanderungs- und Einbürgerungs- Dienst“ ist in den Niederlanden die zuständige Stelle für Asylentscheidungen. Er gehört zum Justizministerium. 2) Das Vluchtelingen Werk ist in die größte unabhängige Organistation zur Beratung und Unterstützung von Flüchtlingen in den Niederlanden. Es erhält finanzielle Unterstützung vom Justizministerium und ist mit Büros in vielen Aufnahmezentren und auch am Flughafen und im Grenzgefängnis vertreten. 101 DOKUMENTATION Europäische Beobachtungsstelle für Rassismus und Ausländerfeindlichkeit siehe Aufruf von Gudrun Mane Das Zentrum wurde im Juni 1997 geschaffen, Kraft des Ratsverordnung (EC) No 1035/97. Zur Zeit hat die Beobachtungsstelle noch keinen endgültigen Amtssitz in Wien. Ziel Versorgung der Europäischen Union und Ihrer Mitgliedsstaaten mit objektiven, zuverlässigen und vergleichbaren Daten auf europäischer Ebene. keit, Objektivität und Zuverlässigkeit der Daten Veröffentlichung eines jährlichen Berichtes über die Situation bezüglich Rassismus und Ausländerfeindlichkeit in der Gemeinschaft Einrichtung und Koordination von Raxen (European Racism and Xhenophobia Information Network). Erleichterung und Unterstützung der Organisation von regelmäßigen Diskussionen und Treffen am Runden Tisch Inhalte Untersuchung des Ausmaßes und der Entwicklung der Phänomene, Analyse der Ursachen, Folgen und Auswirkungen, und Untersuchung guter Praxen im Umgang mit ihnen. Sammeln, Speichern und Analysieren von Informationen und Daten Aufbau einer Kooperation zwischen den Informationsübermittlern, Entwicklung einer Politik der abgestimmten Nutzung ihrer Datenbanken, Verbreitung dieser Informationen (gegebenenfalls auf Ersuchen des Europäischen Parlamentes, der Kommission oder des Rates) Durchführung wissenschaftlicher Untersuchungen und Gutachten, Vorbereitungs- und Durchführbarkeitsstudien (gegebenenfalls auf Ersuchen der Europäischen Gemeinschaft, der Kommission oder des Rates). Dabei vermeidet sie Doppelarbeit und garantiert die best mögliche Nutzung von Ressourcen, unter Berücksichtigung der bereits durch die Institutionen der Europäischen Gemeinschaft durchgeführten Aktivitäten und die anderer Körperschaften und kompetenter internationaler Organisationen. Einrichtung eines der Öffentlichkeit zugänglichen Dokumentationsfonds Formulierung von Schlußfolgerungen und Gutachten Entwicklung von Methoden zur Verbesserung der Vergleichbar102 Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Organisationen Das Zentrum soll eine Rechtspersönlichkeit sein. Es soll mit Organisationen in den Mitgliedsstatten oder internationalen, Regierungs- und Nicht-Regierungs-Organisationen zusammenarbeiten, die für die Phänomene des Rassismus und der Ausländerfeindlichkeit zuständig sind. Das Zentrum soll seine Aktivitäten mit denen des Europäischen Rats koordinieren. Hierzu ist ein Abkommen in Arbeit, das vom Rat der EG (art.228 des Vertrags) im Auftrag des Zentrums vollendet werden soll, zum Zweck der Etablierung einer engen Zusammenarbeit. trums. das jährliche Arbeitsprogramm des Zentrums nach Maßgabe des Haushalts und der verfügbaren Mittel festlegen den jährlichen Bericht des Zentrums annehmen den Direktor des Zentrums ernennen den Entwurf des Haushaltsplans verabschieden und den endgültigen Jahreshaushaltsplan festlegen die Abrechnungen genehmigen und den Direktot entlasten. Jedes Mitglied (oder in seiner Abwesenheit sein Stellvertreter) soll eine Stimme haben. Entscheidungen sollen mit einer Zwei-Drittel- Mehrheit der abgegebenen Stimmen getroffen werden. Der Verwaltungsrat soll seine Geschäftsordnung festlegen. Er soll sich treffen, wenn er vom Vorsitzenden einberufen wird, - mindestens zweimal im Jahr. Auf ihrem ersten Treffen diskutierten die Mitglieder des Verwaltungsrats: die Wahl des Vorsitzenden und Vize-Vorsitzenden des Verwaltungsrats und des Exekutivausschusses das Jahres-Programm der Aktivitäten für 1998 den Haushaltsplan für 1998 und den Entwurf des Haushaltsplans für 1999 das Verfahren der Auswahl und Ernennung des Direktors des Zentrums Joseph VOYAME und der Vertreterin der Kommission: Mrs. Odile QUINTIN Der Direktor soll der gesetzliche Vertreter der Beobachtungsstelle sein. Er oder sie soll durch den Verwaltungsrat auf Vorschlag der Kommission für einen Zeitraum von vier Jahren (verlängerbar) ernannt werden. Er/ Sie soll an den Sitzungen des Verwaltungsrates und des Exekutivausschusse teilnehmen. Er/ Sie soll verantwortlich sein für: 1. die Wahrnehmung der Aufgaben des Zentrums 2. die Erstellung und Durchführung des Jahresarbeitsprogramms des Zentrums 3. die Erstellung des Jahresberichtes, Schlußfolgerungen und Stellungsnahmen 4. die Personalangelegenheiten und die alltägliche Verwaltung Das Ernennungsverfahren für den Direktor/ die Direktorin ist bereits angelaufen. Der Aufruf zur Bewerbung wurde in der offiziellen Zeitschrift der Europäischen Gemeinschaftnveröffentlicht und eine kurze Anzeige in einigen nationalen Zeitungen veröffentlicht. Das ganze Verfahren sollte in ein paar Wochen abgeschlossen sein (möglicherweise Ende Mai) Der Exekutivausschuß Der Verwaltungsrat ist zusammengesetzt aus Personen mit angemessenen Erfahrungen im Bereich der Menschenrechte und der Analyse von rassistischen, ausländerfeindlichen und antisemitischen Phänomenen. Jedes Mitglied soll einen auf derselben Basis benannten Stellvertreter haben. Die Amtszeit soll drei Jahre betragen (einmal verlängerbar). Der Verwaltungsrat soll die notwendigen Entscheidungen treffen für die Tätigkeit des Zen- soll die Arbeit des Zentrums kontrollieren, die Ausarbeitung und Durchführung der Programme überwachen und Tagungen des Verwaltungsrates mit Unterstützung des Direktors des Zentrums vorbereiten. Er soll sich zusammensetzen aus: - dem Vorsitzenden: Mr. Jean KAHN - dem Vize-Vorsitzenden: Mr. Robert PURKISS - einem vom Verwaltungsrat gewählten Mitglied: Prof. Anton PELINKA - einer Person, die vom Europäischen Rat benannt wird: Prof. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 DOKUMENTATION Ausländer- und Asylrecht; Gesetz zur Änderung ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften vom 29.10.1997 (BGBI. S. 2584) Nds. Innenministerium vom 16.2.98 Zur Anwendung der am 01.11.1997 in Kraft getretenen gesetzlichen Neuregelungen gebe ich folgende Hinweise: Zu § 17 Abs. 2 AusIG Der Familiennachzug kann zur Vermeidung besonderer Härten auch dann zugelassen werden, wenn der sich bereits in Deutschland rechtmäßig oder geduldet aufhaltende „nachziehende“ Familienangehörige den Lebensunterhalt sichert. Gleichermaßen kann der Lebensunterhalt durch einen gesetzlich zum Unterhalt verpflichteten Verwandten erbracht werden, wenn diese Unterhaltsverpflichtung im Bundesgebiet durchsetzbar ist. Dazu kann eine Verpflichtungserklärung nach § 84 AusIG als Absicherung eingefordert werden. Eine besondere Härte liegt u.a. vor, wenn der hier lebende Ausländer wegen Erkrankung, Schwangerschaft oder Betreuung von Kleinkindern nicht in der Lage ist, den Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit zu sichern. Zu § 19 Abs. 1 AusIG Ausländischen Ehegatten ist nach Scheitern ihrer Ehe ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte ohne Mindestbestandszeit der ehelichen Lebensgemeinschaft zu gewähren. Die Legaldefinition in Abs. 1 Satz 2 macht deutlich, daß die Rückkehr in das Herkunftsland wegen der Auflösung der Ehe unzumutbar sein muß. Im Vermittlungsausschuß bestand bei den Beratungen über dieses Gesetzesvorhaben Einvernehmen, daß der außergewöhnlichen Härte besondere Umstände im In- und Ausland zugrunde liegen können. Danach können insbesondere Fälle der außergewöhnlichen Härte gegeben sein wenn der nachgezogene Ehegatte wegen physischer oder psychischer Mißhandlung durch den anderen Ehegatten die eheliche Lebensgemeinschaft aufgehoben hat (z.B. wegen Körperverletzungen, strafbarer Handlungen gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder die persönliche Freiheit, Zwangsprostitution, Zwangsabtreibung), wenn der Ehegatte sein eheliches Kind sexuell mißbraucht oder mißhandelt hat und bei Verpflichtung des nachgezogenen Ehegatten zur Rückkehr das Kindeswohl gefährdet wäre, wenn die Betreuung eines behinderten Kindes, das auf Beibehaltung des spezifischen sozialen Umfeldes existentiell angewiesen ist, ansonsten nicht sichergestellt werden kann, wenn davon auszugehen ist, daß dem nachgezogenen Ehegatten im Heimatland jeglicher Kontakt zu einem eigenen Kind willkürlich und zwangsweise auf Dauer untersagt wird und das Kindeswohl gefährdet wäre oder wenn eine Schwangerschaft besteht und davon auszugehen ist, daß im Ausland eine Zwangsabtreibung droht. Die Aufzählung ist naturgemäß nicht abschließend, so daß auch ähnlich gelagerte Situationen mit vergleichbarem Gewicht als außergewöhnliche Härte angesehen werden können. Dabei sind gewachsene Bindungen und eine besondere Eingliederung in das soziale und wirtschaftliche Leben der Bundesrepublik Deutschland ebenso zu berücksichtigen, wie erhebliche Nachteile im Ausland aufgrund der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft. Nachteile können z.B. daraus erwachsen, daß in fremden Rechts- und Kulturkreisen die Eheauflösung im wesentlichen den Ehemännern vorbehalten und eine geschiedene Frau schwerwiegenden gesellschaftlichen Diskriminierungen ausgesetzt ist. Dagegen sind allgemeine Härten, die jede Verpflichtung zur Ausreise mit sich bringt, nicht zu berücksichtigen. Nach der gesetzlichen Regelung besteht die Möglichkeit, trotz Vorliegens einer außergewöhnlichen Härte zur Vermeidung von Mißbrauch die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zu versagen. Allein der Bezug von Sozialhilfe kann jedoch nicht zum Ausschluß von der Verlängerung führen, da in diesen Fällen Gründe bestehen, die eine außergewöhnliche Härte darstellen. Es müssen somit konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die eine Mißbrauchssituation begründen, um überhaupt von der Ermessensregelung Gebrauch machen zu können. Liegen diese Gründe vor, muß im Rahmen der Ermessensausübung eine Abwägung der Gesamtumstände des Einzelfalles erfolgen. Die Versagung kommt danach in Betracht, wenn der Ehegatte sich nicht ernsthaft auf Arbeitsuche begibt, auf eine Arbeitsvermittlung nicht reagiert oder zumutbare Arbeit abgelehnt hat. Die Frage der Zumutbarkeit bei der Betreuung und Erziehung von Kindern bestimmt sich insoweit nach den sozialhilferechtlichen Vorschriften. Zu § 23 AusIG Die Änderung zieht die notwendigen Konsequenzen aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der Ausgestaltung des Rechts des nicht-sorgeberechtigten Elternteils unter Berücksichtigung des Schutzes des Art. 6 des Grundgesetzes. Der nicht-sorgeberechtigte Elternteil kann eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, wenn er das Kind in häuslicher Gemeinschaft mit versorgt. Bei der Ermessensausübung ist auch maßgebend, ob das deutsche Kind in seiner Entwicklung auf den ausländischen Elternteil angewiesen ist (z. B. Vorlage einer Stellungnahme des Jugendamtes), der nicht-sorgeberechtigte Elternteil seit der Geburt des Kindes seinen Unterhaltsverpflichtungen regelmäßig nachgekommen ist oder das Kindeswohl einen auf Dauer angelegten Aufenthalt des nicht-sorgeberechtigten Elternteils im Bundesgebiet erfordert. Zu § 26 AusIG Diese Änderung soll auch den Ausländern den Weg in die unbefristete Aufenthaltserlaubnis eröffnen, die die gesetzlichen Voraussetzungen bislang nicht erfüllen konnten. Ein Abweichen von dem Nachweis ausreichender Sprachkenntnisse und der eigenständigen Sicherung des Lebensunterhalts ist gerechtfertigt, wenn Krankheit 103 DOKUMENTATION oder Behinderung des Ausländers es ihm unmöglich machten, diese lntegrationsschritte selbständig zu erbringen. Zu § 27 AusIG Jüngere Ausländer, die sich um einen Schul oder Ausbildungsabschluß bemühen und deshalb die erforderlichen Beiträge zur Rentenversicherung bzw. einer vergleichbaren privaten Versicherung nicht erbringen konnten, haben einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung, wenn sie die übrigen Tatbestandsmerkmale erfüllen. Zu § 35 AusIG Auf die Frist von 8 Jahren werden Zeiten einer Duldung gemäß § 55 Abs. 2 angerechnet. Grundlage der Duldung muß jedoch § 53 Abs. 1, 2, 4 oder 6 oder eine Abschiebungsstoppregelung gemäß § 54 AusIG sein. Die Zeiten der Duldung können längstens für einen Zeitraum angerechnet werden, der der Dauer der Aufenthaltsbefugnis entspricht. Zeiten angeordneter Abschiebungsstopps vor dem 01.01.1991 bleiben unberücksichtigt. Zur Vereinfachung der Anrechnung von Zeiten angeordneter Abschiebungsstopps für kurdische Volkszugehörige verweise ich auf die Anlage zu diesem Erlaß. Im Zusammenhang mit der Anrechnung von Zeiten der Aufenthaltsbefugnis bei der Erteilung von unbefristeten Aufenthaltserlaubnissen wird auf folgendes aufmerksam gemacht: Ehegatten von Ausländern, die nach § 35 Abs. 1 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhalten haben, wird die Dauer des Besitzes einer Aufenthaltsbefugnis auf die nach § 24 erforderliche Dauer des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis angerechnet (§ 35 Abs. 2). Für ausländische Ehegatten von 104 deutschen oder anderen Ausländern, die eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis oder eine Aufenthaltsberechtigung auf anderer Rechtsgrundlage erhalten haben, ist eine Anrechnung dieser Vorzeiten nach dem Wortlaut des Ausländergesetzes nicht vorgesehen. Die Anrechnung der Zeiten einer Aufenthaltsbefugnis für die Erteilung von unbefristeten Aufenthaltserlaubnissen stellt somit lediglich eine Verbesserung für Inhaber von Aufenthaltsbefugnissen dar (§ 35 Abs. 2 Satz 2). Zu § 44 AusIG Diese Bestimmung soll dagegen keine Schlechterstellung von Aufenthaltserlaubnisinhabern bewirken, die zuvor eine Aufenthaltsbefugnis hatten. Deshalb ist es sachgerecht, bei der Erteilung von unbefristeten Aufenthaltserlaubnissen gemäß §§ 24 bis 26 die Zeit der Aufenthaltsbefugnis in analoger Anwendung des Rechtsgedankens des § 35 Abs. 2 anzurechnen, soweit die sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen des § 31 Abs. 1 erfüllt sind. Damit wird eine Schlechterstellung durch eine im Anschluß an eine Aufenthaltsbefugnis befristet erteilte Aufenthaltserlaubnis vermieden. Die Unterhaltsverpflichtung kann auch durch eine im Zeitpunkt der Ausreise vorhandene Verpflichtungserklärung nach § 84 AusIG nachgewiesen werden, die zwar einen alle Risiken abdeckenden Krankenversicherungsschutz, nicht jedoch eine Pflegeversicherung umfassen muß. Die Ausländerbehörde hat im Benehmen mit dem Sozialamt zu prüfen, ob der Ausländer unter Einbeziehung der in § 44 Abs. 1a Satz 1 Nr.1 genannten Leistungen Sozialhilfe in Anspruch nehmen muß. Die von der Ausländerbehörde auszustellende gebührenpflichtige Bescheinigung kann auch noch nach der Ausreise ausgestellt werden. Zu § 41a AusIG Die neue Regelung findet entsprechende Anwendung auf Ehegatten von ausländischen Rentnerinnen und Rentnern. Zu den eigenen Rentenansprüchen gehört auch eine Witwenrente. Für Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien und Herzegowina kommt diese Regelung nur noch dann zur Anwendung, wenn eine Abschiebung erfolgt. Bei der Erteilung einer Duldung halte ich die Vorschrift dagegen nicht für anwendbar, soweit eine bestehende Duldung gemäß § 55 Abs. 2 i. V. m. § 54 AusIG verlängert wird. Die erkennungsdienstliche Behandlung kann auch nicht aufgrund von § 41a AusIG erfolgen, wenn die Erteilung der Aufenthaltsbefugnis nicht auf § 32 oder § 32a AusIG bzw. die Erteilung der Duldung nicht auf § 54 AusIG beruht. In diesen Fällen kommt nur eine einzelfallbezogene Identitätsfeststellung nach § 41 AusIG in Betracht. Begünstigt sind nur diejenigen ausländischen Rentnerinnen und Rentner, die sich im Zeitpunkt der Einführung der Regelung und danach im Bundesgebiet aufhalten. Bei Personen, deren Aufenthaltsgenehmigung erloschen ist, findet § 16 Abs. 5 Anwendung. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis müssen bereits im Zeitpunkt der Ausreise erfüllt gewesen sein. Zu § 47 AuslG Die zwingenden Ausweisungstatbestände in Abs. 1 sind bei Verurteilungen wegen einzelner und mehrfacher Straftaten auf einheitlich 3 Jahre herabgesetzt worden. Einbezogen werden auch Verurteilungen zu schwerem Landfriedensbruch (§ 125a StGB) und einfachen Landfriedensbruchs in Zusammenhang mit verbotenen Versammlungen (§ 125 StGB) und zwar unabhängig vom Strafmaß bzw. bei Verurteilungen zu mindestens 2 Jahren Jugendstrafe. Auch die Regelausweisungstat- bestände sind erweitert worden. So führt - wie bereits bisher der Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz - jetzt auch die Beteiligung als Täter oder Teilnahme an verbotenen oder aufgelösten Versammlungen, bei denen Gewalttaten begangen wurden, regelmäßig zur Ausweisung, ohne daß es einer strafrechtlichen Verurteilung bedarf. Es müssen aber die in Abs. 2 Nr. 3 genannten Tatbestandsmerkmale nachgewiesen werden, wonach der betroffene Beteiligter an genau beschriebenen Gewalttaten oder Teilnehmer an der gewalttätigen Versammlung war. Zu §§ 48 und 51 AusIG Bezüglich der Änderungen der §§ 48 und 51 über den besonderen Ausweisungs- und Abschiebungsschutz weise ich auf Art. 33 Abs. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention hin. Danach ist eine Abschiebung nur zulässig, wenn der Flüchtling aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit des Landes anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Staates bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder wegen eines besonders schweren Vergehens rechtskräftig verurteilt worden ist. Von einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 3 Jahren ist in dieser Vorschrift - anders als im Ausländergesetz - keine Rede. Auch muß bedacht werden, daß die Abschiebung eines Asylberechtigten nur in absoluten Ausnahmefällen in Betracht kommt und dabei eine Einzelfallprüfung zu erfolgen hat. Bei Asylberechtigten ist somit eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen grundsätzlich unzulässig. Auch bei den übrigen nach § 48 Abs. 1 geschützten Ausländern ist eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen regelmäßig unzulässig und kann nur in besonders schwerwiegenden Fällen erfolgen. Zu § 56 Abs. 6 AusIG FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 DOKUMENTATION Bei der für die Ankündigung der Abschiebung von bisher 3 auf jetzt 1 Monat verkürzten Frist handelt es sich um eine Mindestfrist. Bei langjährigen Duldungszeiten kann es deshalb geboten sein, die Abschiebung nach wie vor frühzeitiger anzukündigen. Auch bei Duldungszeiten von weniger als 1 Jahr sind Abschiebungen weiterhin grundsätzlich rechtzeitig anzukündigen. Nur in gesondert gelagerten Fällen kann darauf verzichtet werden. Zu § 57 Abs. 2 AusIG Die Frist für die kurzzeitige lnhaftnahme zur Sicherung einer Abschiebung ist auf 2 Wochen verlängert worden. Von dieser Ermessensentscheidung ist in Niedersachsen nach wie vor nur in besonders gelagerten Einzelfällen Gebrauch zu machen. Zu § 63 Abs. 6 AusIG Es handelt sich um eine Klarstellung der bestehenden Gesetzeslage im Hinblick auf die Befugnisse der Polizei. Es bleibt in Niedersachsen bei der Festlegung, daß Abschiebungshaft grundsätzlich von den Ausländerbehörden zu beantragen ist. Zu § 70 Abs. 4 AusIG Es handelt sich um eine neue Rechtsgrundlage für Botschaftsvorführungen, so daß die teilweise umstrittenen landesgesetzlichen Regelungen nicht mehr herangezogen werden müssen. Zu § 96 Abs. 4 AusIG Die Regelung ist klarstellend in das Gesetz aufgenommen worden im Zusammenhang mit der Einführung der Aufenthaltsgenehmigungs- und Visumpflicht für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren aus den ehemaligen Hauptanwerbeländern durch Streichung des § 2 Abs. 2 DVAusIG. Zu § 99 Abs. 1 AusiG Die Regelung betrifft die früheren Vertragsarbeitnehmer der ehemaligen DDR, denen mit Beschluß der lnnenministerkonferenz vom 14. Mai 1993 unter bestimmten Voraussetzungen ein Bleiberecht eingeräumt worden ist. Es erfolgt nunmehr eine volle Anrechnung dieser Aufenthaltszeiten auf die Anrechnung der Achtjahresfrist, die zur Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis eingehalten werden muß. Dabei kommt es auf die Geltungsdauer der erteilten Aufenthaltsbefugnis nicht an. Zu § 14 AsylVfG Bisher war ein Ausländer aus der Abschiebungshaft zu entlassen, wenn er einen Asylerstantrag aus der Haft heraus stellte. Der neue Abs. 4 regelt nunmehr, daß bei Ausländern, die aus der Abschiebungshaft heraus einen Asylantrag stellen, die Abschiebungshaft nicht mehr automatisch endet. Die Gesetzesänderung verfolgt das Ziel, gerade bei Straftätern der mißbräuchlichen Stellung offensichtlich aussichtsloser Asylanträge aus der Sicherungshaft heraus begegnen zu können, die allein aus taktischen Gründen in der Absicht gestellt werden, die Abschiebung zu verhindern. Die Neuregelung bewirkt nicht die lnhaftnahme von potentiellen Asylsuchenden nach der Einreise und vor der Asylantragstellung, da eine weitere lnhaftnahme nur erfolgen kann, wenn sich der Ausländer länger als einen Monat ohne Aufenthaltsgenehmigung im Bundesgebiet aufgehalten hat. Die Ausländerbehörde hat durch entsprechende organisatorische Vorkehrungen auf die Einhaltung der Frist bzw. Beendigung der Abschiebungshaft zu achten, insbesondere durch Nachfragen beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge. Soweit der Asylantrag bei der Ausländerbehörde eingereicht wird, hat die Ausländerbehörde den Antrag nach § 14 Abs. 2 Satz 2 unverzüglich per Telefax an das Bundesamt weiterzuleiten. Die Frist berechnet sich insoweit ab Eingang des Telefax beim Bundesamt. In Zweifelsfällen sind entsprechende Auskünfte beim Bundesamt einzuholen. wenn dieser Personenkreis straffällig geworden ist oder nach wie vor eine Integration nicht stattgefunden hat, insbesondere der Lebensunterhalt in vollem Umfang durch Inanspruchnahme von Sozialhilfernitteln bestritten wird. im Auftrage Mit der Stellung des Asylantrages ist zugleich die Identität des Betroffenen durch erkennungsdienstliche Maßnahmen zu sichern (§ 16 Abs. 1 AsylVfG). Dies gilt auch für die von der Neuregelung betroffenen Ausländer, die aus der Abschiebungshaft heraus einen Asylerstantrag stellen. Um eine möglichst lückenlose ldentitätssicherung auch dieses Personenkreises sicherzustellen, wird die Ausländerbehörde aufgrund der ihr obliegenden (parallelen) Zuständigkeit gebeten, dafür Sorge zu tragen, daß die betroffenen Personen auch tatsächlich erkennungsdienstlich behandelt werden. Im Einzelfall hat die Ausländerbehörde sich mit der jeweils zuständigen Außenstelle des Bundesamtes bzw. der örtlichen Polizeidienststelle Verbindung zu setzen, um sich zu vergewissern, daß die erkennungsdienstliche Behandlung erfolgt ist bzw. darauf hinzuwirken, daß die Sicherung der Identität unverzüglich nachgeholt wird. Middelbeck Dem Ausländer ist nach der Asylantragstellung aus der Haft heraus unverzüglich Gelegenheit zu geben, mit einem Rechtsbeistand seiner Wahl Verbindung aufzunehmen, es sei denn, er hat sich selbst bereits vorher anwaltlichen Beistands versichert. Zu § 2b Kontingentflüchtlingsgesetz Der Status nach dem Kontingentflüchtlingsgesetz kann künftig widerrufen werden. Dies könnte in Niedersachsen insbesondere bei den seinerzeit nach dem Kontingentflüchtlingsgesetz aufgenommenen albanischen Botschaftsflüchtlingen zur Anwendung kommen, 105 DOKUMENTATION Abschiebestoppregelungen für Kurden aus der Türkei gemäß § 54 des Ausländergesetzes (ausgenommen Straftäter - §§ 46, 47 AusLG) Erlaß MI vom Zeit Regelung Anlaß / Begründung FS-Erl. Vom 05.02.1991 56.3112230/1-1 (§ 54) 05.02.1991 bis 04.08.91 Abschiebungsstopp gemäß § 54 AuslG für türkische Staatsangehörige deren gewöhnlicher Aufenthalt in der Türkei östlich der Linie Adana - Samaun war Golfkrieg 17.06.1991 56.31-12230/1-1 (§ 32) bis 30.09.91 Aussetzung der Abschiebung IMK-Beschluß vom 03.05.91 FS-Erl. Vom 03.04.1992 56.3112230/1-1 (§ 54 - Kurden) 03.04.1992 bis 02.10.1992 Abschiebungsstopp aus humanitären Gründen gemäß § 54 Satz 1 AuslG Auseinandersetzungen in der Türkei zwischen der türkischen Armee und der PKK aus Anlaß von Feiern im Zusammenhang mit dem kurdischen Neujahrsfest 1992 (Newroz-Fest) Ende des Abschiebungsstopp mit Ablauf des 02.10.92; Hineiß auf besondere Notwendigkeit der Prüfung von Abschiebungshindernissen Zeitablauf des 6-monatigen Abschiebungsstopps 29.09.1992 - 56.31 FS-Erl. 02.11.1992- 56.3112230/1-1 (§ 54 - Kurden) bis auf weiteres (27.07.93) Vorabregelung und späterer Abschiebungsstopp gemäß § 54 Satz 1 AuslG zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland Einstimmig gefaßte Resolution des Bundestags mit Empfehlung an BMI,das Einvernehmen für einen V gemäß § 54 Satz 2 AuslG zu erklären FS-Erl. 27.07.1993- 56.3112230/1-1 (§ 54 - Kurden) sofort Ende des Abschiebungsstopp; Hinweis auf Prüfung individueller Abschiebungshindernisse (soweit dafür nicht das Bundsamt zuständig ist) Endgültige Verweigerung des beantragten Einvernehmens durch BMI FS-Erl. 20.05.1994-56.3112230/1-1 § 54)1-3 20.05.1994 bis 19.11.1994 Abschiebungsstopp für Kurden aus den Notstandsprovinzen Fluchtbewegung in den Irak aus den Notstandsgebieten 18.01.1995, 21.02.1995, 28.03.1995, 27.04.1995 -45.31-12230/1-1 (§54)1-3 13.12.1994 bis 12.06.1995 Aussetzung der Abschiebung in Übereinstimmung mit dem BMI Verurteilung kurdischer Parlamentarier und Verhandlungen mit der Türkei im Rahmen der Zollunion 106 FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 RECHTSPRECHUNG Abschiebestoppregelungen für Kurden aus dem Irak Mit Femschreiberlaß des Niedersächsischen lnnenministeriums vom 05.2.1991-56.31-12230/1-1 (§ 54), wurde wegen des Golfkrieges erstmals die Aussetzung der Abschie-bung für irakische Staatsangehörige in den Irak gemäß § 54 S.2 AuslG an-geordnet. Die-ser Abschiebungsstopp wurde regelmäßig zuletzt bis zum 31.12.1997 im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern verlängert. In Niedersachsen hingegen wurde mit RdErlaß vom 13.12.1993 - VG Braunschweig: Verfolgung von PKK-Unterstützer ist „Terrorismusbekämpfung“; Foltervorwurf „unglaubhaft“ Die 5. Kammer des VG Braunschweig hat am 16. Juni 1997 ohne mündliche Verhandlung durch den Richter am VG von Krosigk als Einzelrichter entschieden, daß ein nachgewiesenermaßen mehrfach inhaftierter und der Unterstützung der PKK bezichtigter Kurde in der Bundesrepublik kein Asyl beanspruchen darf. Wir zitieren aus der Urteilsbegründung: „... Allerdings ist dem Kläger abzunehmen, daß er am 31.12.93 festgenommen worden ist und dann in der Folgezeit in Karakocan, Elazig, Erzurum und Erzincan sich im Gefängnis bzw. auf der Militärwache aufgehalten hat. Das Gericht folgt insoweit der eingeholten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 9.2.97 ..., wonach die vorgelegte Unterlage des Klägers ... für echt gehalten werden. Dies hat auch der vom Kläger benannte Zeuge ... hinsichtlich des Aufenthaltes des Klägers im Gefängnis in Erzurum bestätigt. Kein Zweifel hatte das Gericht auch bezüglich der Angaben des Klägers, daß er wegen des Verdachtes der Unterstüt- 56.31-12231/ 3-4 (Übersendung des Lageberichts für den Irak) festgestellt, daß es einer weiteren An-ord-nung eines Abschiebungsstopps nicht bedarf, da Abschiebungen in den Irak tatsächlich nicht möglich sind. Einige Bundesländer haben daraufhin die Aussetzung der Abschiebung für diesen Personenkreis auch weiterhin angeordnet. Hinsichtlich der Anrechnung von Duldungszeiten gemäß § 35 Abs. 1 Satz 3 AusIG sind die in Niedersachsen sich aufhaltenden irakischen Staatsangehörigen kurdi- scher Volks-zugehörigkeit so zu be-handeln als sei auch in Niedersachsen von der Möglichkeit der Anordnung eines Ab-schiebungsstopps Gebrauch gemacht worden Abschiebungen in den Irak sind auch jetzt und in absehbarer Zukunft tatsächlich nicht möglich. Das Einvernehmen für einen Abschiebungsstopp wird vom BMI seit dem 01.01.1998 nicht mehr erteilt. Asyl- und aufenthaltsrechtliche sowie leistungsrechtliche Entscheidungen zusammengestellt von Kai Weber zung der PKK festgenommen worden sei. Diese Maßnahmen der türkischen Sicherheitskräfte sind aber nicht als politische Verfolgung zu werten. Vielmehr handelt es sich um zeitlich begrenzte strafrechtliche Ermittlungsmaßnahmen im Rahmen der Terrorismusbekämpfung. . Der Kläger ... hat in diesem Zusammenhang selbst eingeräumt, daß er vor seiner Verhaftung die PKK in der Umgebung seines Heimatortes regelmäßig mit Lebensmitteln, Kleidung und Medikamenten unterstützt habe. Die vom Kläger insoweit geschilderten Festnahmen, Verhöre und Inhaftierungen waren grundsätzlich von der türkischen Gesetzgebung gedeckt. Ander verhält es sich dagegen, wenn den betroffenen Kurden während der Freiheitsentziehung ... erhebliche körperliche Mißhandlungen zugefügt werden .... Die von dem Kläger ... in diesem Zusammenhang gemachten Angaben hält das Gericht für unglaubhaft. ...“ So ähnlich hätte die türkische Staatsanwaltschaft das wohl auch ausgedrückt ... VG Kassel: Zweifel an Bestehen einer inländischen Fluchtalternative bei 1-jähriger Kurdin Das VG Kassel hat mit Beschluß vom 12.12.97 - Az. 6 G 2652/97.A (4) - ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG für eine einjährige Kurdin aus der Türkei festgestellt, die hier allein mit ihrer 17-jährigen Mutter lebt. Der Bescheid des Bundesamtes („offensichtlich unbegründet“) wurde vom VG aufgehoben, da „eine Anerkennung der Antragstellerin als Asylberechtigte ... nicht ohne weitere Nachprüfung verneint werden“ könne. Die Volksgruppe der Kurden unterliege seit der 2. Jahres107 RECHTSPRECHUNG hälfte des Jahres 1993 einer Gruppenverfolgung. Grundsätzlich bestehe zwar eine inländische Fluchtalternative in der Westtürkei. „Das Bestehen dieser inländischen Fluchtalternative muß indes für jeden Asylbewerber einzeln festgestellt werden.“ Im vorliegenden Fall sei die Existenz der Antragstellerin im Westen der Türkei nur dann gewährleistet, wenn sie dort über Eltern, Verwandte oder aufnahmebereite Bekannte verfügte. „Dafür gibt es im jetzigen Verfahrensstadium aber keine hinreichenden Anhaltspunkte.“ OVG Lüneburg: Gruppenverfolgung von Kurden/innen im Nordirak Das OVG Lüneburg hat in einer Entscheidung von 12. März 1997 (Az. 2 L 6436/96; 5 A 326/96) seine bisherige Auffassung (Urteil vom 24.8.93, Az. 2 L 659/91) bekräftigt, daß Kurden/innen im Nordirak einer Gruppenverfolgung ausgesetzt sind. Umstände, die jetzt eine andere Beurteilung zuließen, seien nicht ersichtlich. BVerwG: Keine „Zurückverweisung“ an das Bundesamt im Folgeverfahren Sind nach Auffassung des im Asylfolgeverfahren angerufenen Verwaltungsgerichts die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens erfüllt, darf es die Sache nicht zur Entscheidung über das begehrte Asyl an das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge „zurückverweisen“, sondern muß auch hierüber selbst entscheiden („durchentscheiden“). Urteil des 9. Senats vom 10.02.98 - BVerwG 9 C 28.97 VG Darmstadt: Gruppenverfolgung von Tamilen nicht mehr auszuschließen Das VG Darmstadt hat in einer Entscheidung vom 29.12.1997 Az. 3 G 31488/97.A (3) - die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens für eine Tamilin angeordnet. Es sei „nach neuesten Auskünften zumindest wieder fraglich, ob sie heute bei einer Rückkehr in ihren Heimatort Point Pedro im Norden Sri Lankas 108 dort nicht einer Gruppenverfolgung von Tamilen ausgesetzt wäre.“ Dies werde in den neuesten Entscheidungen des Hessischen VGH (Urteil vom 29.7.97, Az. 10 UE 2268/95) nach einer Phase der Verneinung nun zumindest wieder offen gelassen. Aus neuen Auskünften ergäben sich Hinweise darauf, daß in Colombo keine ausreichend sichere Fluchtalternative mehr zur Verfügung stehe. Nach Auskunft des Sachverständigen Keller-Kirchhoff vom Südasienbüro erhielten zurückkehrende tamilische Flüchtlinge allenfalls noch eine befristete Aufenthaltserlaubnis für Colombo, wenn sie nicht bereits vor ihrer Ausreise in Colombo ansässig waren. Spätestens nach Ablauf dieser Aufenthaltserlaubnisse müßten sie in ihre Heimatregion zurück. Diese Auskünfte hätten das VG Kassel zu der Annahme veranlaßt, daß zur Zeit Tamilen im Norden einer Gruppenverfolgung ausgesetzt seien, ohne im Großraum Colombo über eine inländische Fluchtalternative zu verfügen (Beschluß vom 5.11.97, Az. 1 G 3414/97 (1)). VG Göttingen: Asylantrag einer 63-jährigen Tamilin nicht „offensichtlich unbegründet“ Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach §53 Abs. 6 wahrscheinlich Das VG Göttingen hat in einem Eilverfahren am 15.12.1997 (Az. 2 B 2550/97) entschieden, daß der Asylantrag einer 63-jährigen Tamilin nicht als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt werden durfte. Zur Begründung führt das Gericht u.a. an: „Zwar nimmt das Gericht in jüngster (ständiger) Rechtsprechung regelmäßig an, daß Angehörige der tamilischen Minderheit seit Anfang des Jahres 1994 einer gruppengerichteten Verfolgung im Norden Sri Lankas nicht mehr ausgesetzt sind. Es geht außerdem bei unverfolgt ausgereisten Tamilen in der Regel davon aus, daß ihnen bei einer Rückkehr nach Sri Lanka politische Verfolgung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Weiter ist es der Auffassung, daß vorverfolgt ausgereiste Angehörige der tamilischen Volksgruppe, die älter als 35 Jahre sind, regelmäßig vor erneuter Verfolgung hinreichend sicher sind. Die genannte Rechtsprechung beruht jedoch auf einer eingehenden Prüfung des jeweiligen Asylschicksals, bei der im konkreten Einzelfall und unter Berücksichtigung der neuesten dem Gericht zugänglichen Erkenntnismittel entschieden wird, ob der jeweilige Kläger einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter und auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hat. ... Die dargelegte Rechtsprechung des Gerichts führt, auch wenn sie obergerichtlichen Entscheidungen folgt, nicht dazu, daß Asylanträge von Tamilen von vornherein als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden können. ...“ Im konkreten Fall sei, so das Gericht, voraussichtlich ein Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach §53 Abs. 6 AuslG gegeben, da für die alleinstehende Frau aufgrund ihres Geschlechts, ihres Alters und ihres Gesundheitszustandes bei einer Rückkehr nach Sri Lanka eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben bestände. VG Oldenburg: „Schutz vor männlichem Verhalten kann das Asylrecht nicht bieten“ Das VG Oldenburg hat am 15. Januar 1998 - Az. 6 A 4379/96 entschieden, daß eine Iranerin, die von ihrem Nachbarn, dem Sohn des Iman, massiv bedrängt und verfolgt wurde, kein Asyl in der Bundesrepublik beanspruchen könne. Dem Vortrag der Iranerin zufolge wurde ihr angedroht, daß man ihren Mann beiseite schaffe, falls sie sich den Wünschen ihres Nachbarn nicht füge. Später sei ihr Mann aufgrund falscher Beschuldigungen festgenommen, ausgepeitscht und für einen Monat inhaftiert worden. Sie selbst sei unter einem Vorwand festgehalten und ins Gefängnis gesteckt worden, woraufhin sie versucht habe, sich umzubringen. Noch im Krankenhaus sei sie erneut unter Druck gesetzt worden. Die Familie habe daraufhin gemeinsam fliehen wollen. Der bezahlte Fluchthelfer habe aber zunächst nur die illegale Ausreise FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 RECHTSPRECHUNG der Frau mit den beiden jüngsten Kindern ermöglichen können. Das Bundesamt erkannte die Iranerin zunächst als politisch Verfolgte an. Auf die Klage des Bundesbeauftragten änderte das VG Oldenburg diese Entscheidung ab und führte zur Begründung für die Ablehnung des Asylantrags u.a. aus: „Politisch verfolgt i.S. von Art. 16 a Abs. 1 GG wie auch § 51 Abs. 1 AuslG ist derjenige, der wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder Beschränkungen seiner persönlichen Freiheit ausgesetzt ist oder solche Verfolgungsmaßnahmen begründet befürchtet. Es ist bereits zweifelhaft, ob eine asylspezifische Zielrichtung der gegen die Beigeladenen und ihre Familie gerichteten Maßnahmen gegeben ist. Zwar kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Maßnahmen, Repressalien, Übergriffe und sonstigen Rechtsverletzungen, die die Beigeladenen vorgetragen haben, von asylerheblichem Gewicht sind. Jedoch ist die Frage, ob die Verfolgung „wegen“ eines Asylmerkmals erfolgt, nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht nach der Motivation, sondern nach dem inhaltlichen Charakter der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen. Danach ist eine Verfolgung bereits dann als politisch anzusehen, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale gezielt Rechtsgutverletzungen zufügt, die diesen ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzt (vgl. ...). Jedenfalls kann das Gericht in zusammenfassender Würdigung des Schicksals der Beigeladenen nicht feststellen, daß die Beigeladenen und die weiteren Mitglieder der Familie das Ziel von Maßnahmen wegen eines Asylmerkmals geworden sind oder solche begründet befürchten müssen. Zwar ist insbesondere die Beigeladene zu 1) von den Maßnahmen betroffen worden, weil sie eine Frau ist. Damit ist sie aber nicht betroffen als Mitglied einer sozialen Gruppe, der Frauen, dem einzigen näher in Betracht zu ziehenden Merkmal, sondern als einzelne Frau, die allein deshalb den Maßnahmen ausgesetzt ist, weil sie gegenüber dem Drängen ihres Nachbarn an ihrer Ehe festgehalten hat und diesem nicht zu Willen gewesen ist. Schutz vor solchem männlichen Verhalten kann das Asylrecht nicht bieten. [...]“ VG Hannover: Anerkennung als politisch Verfolgte nach Vergewaltigung Das VG Hannover hat mit Entscheidung vom 18.07.98 - Az. 11 A 2012/94 - eine Kurdin als politisch Verfolgte anerkannt, die von türkischen Soldaten vergewaltigt worden war. Die Entscheidung hebt sich wohltuend von anderen Entscheidungen ab, in denen Vergewaltigung als „nicht vom Staat zu verantwortende, unpolitische Straftat“ bezeichnet oder als „gesteigertes Vorbringen“ abgelehnt wird. Nachfolgend ein Auszug aus der Begründung: „... Zwar hat die Klägerin ... während ihrer persönlichen Anhörung im Vorverfahren nichts von sexuellen Übergriffen erzählt, sondern allenfalls Andeutungen gemacht. Sie hat dies aber glaubhaft damit erklärt, daß der Vorfall für sie und ihre Familie eine Schande sei und niemand, auch nicht ihr Ehemann, etwas habe erfahren sollen. ... Die Kammer sieht in der Vergewaltigung der Klägerin ... über den strafrechtlichen Gehalt hinaus auch einen politisch motivierten und damit asylrechtlich relevanten Übergriff. Ebenso wie die Folter gegen vermeintliche politische Straftäter und Regimegegner nach den Erkenntnissen der Kammer im Allgemeinen eingesetzt wird, um - zumindest auch - die freie persönliche Meinung zu treffen und die Persönlichkeit des Betroffenen zu brechen, kann dies bei Personen weiblichen Geschlechts entsprechend durch die Androhung oder gar durch den Vollzug von Vergewaltigungen geschehen. Denn Sexualstraftaten können nicht minder als die Folter schwerwiegende psychische Schäden hervorrufen. Die Kammer sieht daher keinen substantiellen Unterschied zwischen Folter und Vergewaltigung bei der Verfolgung separatistischer Straftaten. Es steht außer Frage, daß eine Vergewaltigung die Schwelle der Asylerheblichkeit überschreitet, soweit sie politisch motiviert ist. ...“ VG Lüneburg: Voraussetzungen für die Erteilung der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 35 Abs. 1 AuslG Das VG Lüneburg hat sich in einer Entscheidung vom 13. Mai 98 (Az. 1 A 166/97) ausführlich zu den Voraussetzungen der Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis für eine Flüchtlingsfamilie geäußert, die 1989 ein Bleiberecht nach der nds. Bleiberechtsregelung erhalten hatte. Die wichtigsten Aussagen: 1. Der Familienvater hat bei Erfüllung der übrigen Voraussetzungen Anspruch auf die Erteilung der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, auch wenn die Familienangehörigen (ergänzende) Sozialhilfe beziehen und er selbst Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz erhält. Gedeckt sein muß der eigene Unterhalt, nicht auch der unterhaltsberechtigter Personen. Entgeltersatzleistungen wie Unterhaltsgeld, Arbeitslosengeld pp. stehen der Erteilung der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nicht im Wege, da diese „dem Grundsatz nach auf eigenen Leistungen der Versichertengemeinschaft und damit auch auf solchen des zuvor viele Jahre erwerbstätig gewesenen Klägers beruhen“. 2. Es kommt bei der Frage der Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nicht darauf an, ob ein theoretischer Anspruch auf Sozialhilfe besteht. Entscheidend ist für die Beurteilung des Vorliegens eines Ausweisungsgrundes nach § 46 Nr. 6 AuslG, ob die Sozialhilfe tatsächlich bezogen wird. 3. Auch bei tatsächlichem Bezug von Sozialhilfe ist das Vorliegen eines Ausweisungsgrundes nicht automatisch gegeben. „Bei der Ausweisung wegen Sozialhilfebezugs stellt sich nämlich die Frage der Erforderlichkeit der Ausweisung in ganz besonderer Weise, 109 RECHTSPRECHUNG ist mithin eine sorgfältige Abwägung der im Rahmen der Ermessensentscheidung einzubeziehenden Belange und Gesichtspunkte in besonderem Maße geboten. ... In entsprechend gelagerten Ausnahmefällen ist eine Ausländerbehörde mithin keineswegs gehindert, Ausländern mit Rücksicht auf Härtegesichtspunkte und etwaige unverhältnismäßige Folgen von Sozialhilfebedürftigkeit einen gesicherten Aufenthalt durch Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen zu ermöglichen.“ VG Osnabrück: Konventionsflüchtlinge haben gemäß dem Europäischen Fürsorgeabkommen in jedem Bundesland Anspruch auf Sozialhilfe; § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG ist auf sie nicht anwendbar Das VG Osnabrück - 4. Kammer hat mit Entscheidung vom 11. März 1998 (Az. 4 B 11/98) in einem Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes entschieden, daß Konventionsflüchtlinge in jedem Bundesland Anspruch auf die Gewährung von Sozialhilfe haben. § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG sei auf sie nicht anwendbar. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bayerischen VGH vom 01.07.1997, Az. 12 CE 96.2856, führt das Verwaltungsgericht aus: „Als sog. Konventionsflüchtling ist der Antragsteller auch Flüchtling im Sinne des Art. 1,2 des Zusatzabkommens zum Europäischen Fürsorgeabkommen und muß von der Bundesrepublik Deutschland ebenso behandelt werden wie ein Staatsangehöriger eines anderen Vertragsschließenden im Sinne des Art. 1 EFA.“ VG Hannover: Verfassungskonforme Auslegung des § 120 Absatz 5 Satz 2 BSHG erfordert Berücksichtigung von Härtefällen Das VG Hannover hat mit Entscheidung vom 8.7.98 - Az. 3 A 6716/96 - einer libanesischen Familie mit Aufenthaltsbefugnis, die aus Nordrhein-Westfalen nach Hannover gezogen ist, einen Anspruch auf (ergänzende) Sozialhilfeleistungen zugesprochen. Zwar erstrecke sich die Regelung des § 120 Abs. 5 BSHG auch auf die Flüchtlinge nach der Genfer Konvention, die über eine Auf110 enthaltsbefugnis verfügen. Aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls (Familienvater arbeitet) stehe der Familienvater bei Anwendung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG vor der Alternative, die Arbeitstätigkeit aufzugeben oder eine unabsehbar lange Trennung von der Familie in Kauf zu nehmen. Zur Vermeidung eines Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 1 GG iVm Art. 6 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsgebot in Art. 20 Abs. 1 GG sei die Regelung des § 120 Abs. 5 Satz 2 verfassungskonform dahingehend auszulegen, daß die Möglichkeit eröffnet werde, „wenigstens in Härtefällen eine abweichende Entscheidung zu erreichen (vgl. BVerfGE 30, 25)“. sen Anwalt (ca. 350,— DM) muß von der heiratswilligen Person übernommen werden. Darüber hinaus müßten zwei Paßbilder, die Namen und Anschriften der Eltern und Geschwister, die eigenen Anschriften der letzten zehn Jahre sowie die Anschriften aller Arbeitgeber in den letzten zehn Jahren übermittelt werden. Urgroßmütter, Kinder, Enkel oder Nachbarn bleiben einstweilen von den Recherchen ausgenommen. VG Lüneburg: Übernahme des Elternbeitrags für das Kind einer geduldeten Familie zwecks Besuch des Kinderspielkreises Von Ursula Knapp; Frankfurter Rundschau v. 7. April 98 Das VG Lüneburg hat in einem Eilverfahren mit Beschluß vom 17. März 1998 (Az. 4 B 6/98) den Landkreis Harburg verpflichtet, für das 4-jährige Kind einer libanesischen Flüchtlingsfamilie, die sich seit September 1990 geduldet im Bundesgebiet aufhält, den Elternbeitrag zum Besuch des Kinderspielkreises zu übernehmen. Zur Begründung verweist das Gericht auf § 90 Abs. 3 SGB VIII (KJHG), wonach Kinder vom vollendeten dritten Lebensjahr an bis zum Schuleintritt einen Anspruch auf den Besuch einer Tageseinrichtung haben. Der gewöhnliche Aufenthalt der Familie sei eindeutig in der Bundesrepublik gegeben. Die Begründung des LK Harburg, daß eine Integration in Deutschland möglicherweise nicht erfolgen müsse, entbehre einer sachlichen Grundlage. Sonstige Infos: - Die Deutsche Botschaft in Lagos teilt mit, daß sie eine Legalisation von Heiratsurkunden nur noch dann vornimmt, „wenn die Zuständigkeit der ausländischen Behörde geklärt und die inhaltliche Richtigkeit festgestellt worden ist“. Hierfür sei die Einschaltung eines Vertrauensanwalts erforderlich. Das Honorar für die- Karlsruhe stellt Flüchtlinge den Deutschen gleich Bremen muß Kurden Sozialhilfe vorerst auszahlen/Familie aus Rheinland-Pfalz zugezogen Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe überprüft die umstrittene Praxis der Sozialbehörden, Flüchtlinge bei der Auszahlung der Sozialhilfe anders zu behandeln als Inländer. Einer in Bremen lebenden zehnköpfigen kurdischen Familie, die nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt ist und eine räumlich unbegrenzte Aufenthaltsbefugnis besitzt, wird seit Monaten die Sozialhilfe in Bremen verweigert, weil die Familie zunächst in Rheinland-Pfalz ihre Aufenthaltserlaubnis erhalten hatte. Deshalb, so die Auffassung Bremens, müsse Rheinland-Pfalz für die Sozialhilfe aufkommen. Der Familie wurde wegen Mietrückstandes bereits die Wohnung gekündigt. Eine Kammer des BVerfG verpflichtete Bremen jetzt per einstweiliger Anordnung zur vorläufigen Auszahlung der Sozialhilfe. Die Verfassungsbeschwerde der Familie sei nicht offensichtlich unbegründet, heißt es in der Eilentscheidung. Bis zum Abschluß des Hauptsacheverfahrens erhalten die Kurden die Sozialhilfe nun aus Bremen. (AZ: 1 BvR 93/98) Die juristische Frage ist, ob die Praxis der deutschen Sozialhilfeträger gegen die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) verstößt, der die Bundesrepublik wirksam beigetreten ist. Nach deren Artikel 23 müssen Flüchtlinge, die sich rechtmäßig in dem betreffenden Staatsgebiet aufhalten, in FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 STELLENAUSSCHREIBUNG der Sozialhilfe wie Inländer behandelt werden. Nach einer 1991 erfolgten Änderung des Bundessozialhilfegesetzes knüpfen die Sozialhilfeträger Auszahlungen für anerkannte Flüchtlinge jedoch an besondere Bedingungen. Sie verweisen die Flüchtlinge nämlich selbst dann an das Bundesland, in dem sie erstmals ihre Aufenthaltsbefugnis erhielten, wenn das eigene Bundesland die Aufenthaltsgenehmigung inzwischen verlängert hat. Die Betroffenen müssen theoretisch regelmäßig von ihrem Wohnort zu dem Sozialamt reisen, das zuerst für sie zuständig war. So auch im Falle der kurdischen Familie, die von Rheinland-Pfalz nach Bremen gezogen war. Der UN-Flüchtlingskommissar hatte die deutsche Behördenpraxis bereits im Februar und August 1996 als Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention bezeichnet, jedoch ohne Erfolg. Nun prüft das BVerfG die Verfassungsmäßigkeit. Mit der endgültigen Entscheidung des Ersten Senats ist frühestens in einem halben Jahr zu rechnen. Förderverein Niedersächsischer Flüchtlingsrat e. V. Lessingstraße 1 31135 Hildesheim Stellenausschreibung Der Förderverein Nds. Flüchtlingsrat e.V., - Koordinierungs- und Vernetzungsstelle der Flüchtlingsinitiativen mit Sitz in Hildesheim-, sucht zum 01.10.98 einen Mitarbeiter/eine Mitarbeiterin in Vollzeit für die Bereiche Rundbrief und Pressearbeit. Die Stelle wird aus Mitteln der Arbeitsförderung finanziert, entsprechende Voraussetzungen müssen erfüllt sein. Dem Arbeitsbereich ist eine Verwaltungsstelle in Teilzeit (50%) zugeordnet. Der Rundbrief erscheint als 40-60 Seiten starke Mitgliederzeitschrift und Abonnementheft achtmal im Jahr; davon viermal als allgemeines Info-Heft und viermal als Sonderheft. Die Auflagenhöhe liegt bei 700 Exemplaren. Im Rahmen seiner Öffentlichkeitsarbeit kommentiert der Förderverein darüber hinaus regelmäßig einzelfallbezogene (Menschen-)rechtsverstöße und politische Entwicklungen im Flüchtlingsbereich. Das Tätigkeitsfeld umfaßt vor allem: * Erstellung und Herausgabe des Rundbriefs mit eigenem redaktionellem Anteil * Themengestaltung und -absprachen für die Sonderhefte * Schaffung und Begleitung eines Redaktionsteams * Verfassen und Veröffentlichen von Presseerklärungen * Kontaktpflege und -aufbau zu Journalisten und Zeitungen * Vorbereitung und Durchführung von Pressekonferenzen Erwartet werden: * Profunde migrationspolitische Kenntnisse * Medienwissenschaftliches Studium/Ausbildung zum Journalisten oder entsprechende berufliche Erfahrung * einschlägige EDV-Kenntnisse u. -erfahrung * sicheres und sprachgewandtes Auftreten * Fremdsprachenkenntnisse sind von Vorteil, aber nicht Bedingung. Der Arbeitsplatz ist nicht unbedingt an den Sitz der Geschäftsstelle gebunden, sofern Möglichkeiten der Vernetzung vorhanden sind. Die Bezahlung erfolgt abhängig von der Qualifikation und Befähigung der Bewerberin/des Bewerbers analog BAT. Interessierte richten ihre aussagekräftige Bewerbung bis zum 30.06.1998 an die Geschäftsstelle Dr. Matthias Lange Vorsitzender 111 NIEDERSACHSEN Sommer 1998 in Deutschland Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht! Idee einer Herbst-Tagung zum politischen Widerstand - Jacqueline Duchat, Anke Egblomassé, Norbert Grehl-Schmitt* Menschen, denen es gelungen ist, nach Deutschland zu fliehen, werden in Verfolgung,Folter und Mord abgeschoben. Ist dies nachweisbar und es gelingt den verfolgten Menschen die Flucht nach Deutschland zum zweiten Mal, schieben sich die Innenminister der Länder und des Bundes die Verantwortung gegenseitig zu. Oder war nicht doch der Kollege Außenminister derjenige, der die Menschenrechtsverletzungen im Herkunftsland politisch nicht verhindert hat? Bemühen sich Länder nicht intensiv genug darum, ihren Staatsangehörigen die Rückkehr zu erleichtern, wäre es doch logisch die Entwicklungshilfe-Gelder zu kürzen. Der gesellschaftliche Grundkonsens eines Existenzminimus für jede und jeden soll durch die 2. Änderung des AsylbewerberLeistungsgesetzes endgültig abgeschafft werden. Man meint, damit die Rückkehr in ein lebensgefährliches Herkunftsland zu einer Zukunftsperspektive für Menschen machen zu können. Die verdachtsunabhängige Kontrolle von Menschen wird immer weiter ausgedehnt, Platzverweise werden zahllos verteilt. Menschen wird nach Aussehen oder politischenProtesten kein öffentlicher Raum mehr zugestanden. Kurze Ausschnitte aus der politischen Situation in der Bundesrepublik im Sommer 1998. Bewegungen Während in Frankreich die Ar- * als Arbeitsgruppe des Vorstands 112 beitslosenproteste und die Sans Papiers zeigen, daß Bewegungen entstehen können, um politische Veränderungen einzufordern, bleibt es in Deutschland ruhig. Es gibt Arbeitslosen-Aktionstage, aber es gibt auch - gerade rechtzeitig vor der Bundestagswahl unzählige Trainingsmaßnahmen, Ernteeinsätze und Existenzgründungszusschüsse für Arbeitslose, denen sie sich nicht entziehen können, ohne ihre Existenzgrundlage zu verlieren. Statt dessen verlieren sie ihre Menschenwürde. So wird verhindert, daß die Proteste gar nicht erst zu einer Bewegung werden. Es gibt immer mehr Kirchenasyle in Deutschland. Viele Menschen können nur noch geschützt durch Kirchenasyl ihre rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um Schutz für Leib und Leben zugesprochen zu bekommen. In Nordrhein-Westfalen gibt es das Wanderkirchenasyl, das sich für einen Abschiebestopp für kurdische Flüchtlinge einsetzt und endlich die politische Anerkennung des Krieges in der Türkei fordert. In Niedersachsen dagegen werden Kirchenasyle geräumt, veranlaßt von Innenminister Glogowski, der im Herbst diesen Jahres Ministerpräsident als Nachfolger einesmöglichen Kanzler Schröder werden soll. Politische Situation Die gegenwärtige politische Situation, aber auch die vergangenen Jahre der politischen Arbeit haben uns auf die Idee gebracht, daß wirkungsvolle politische Veränderungen nur mit möglichst vielen politischen BündnispartnerInnen eingefordert werden können. Radikale Veränderungen sind notwendig. Gesellschaftliche Grundwerte, wie Solidarität, Menschenwürde, selbstbestimmte Arbeit sind verloren gegangen. Die an ihre Stelle getretenen Werte wie Leistungswillen, innere Sicherheit, Arbeit unter jeden Bedingungen bestimmen mittlerweile unseren Alltag und auch unsere politische Arbeit: Statt grundsätzliche Gesellschaftsperspektiven zu formulieren, reagieren wir kurzfristig auf politische Initiativen und versuchen, das Schlimmste zu verhindern. Die Idee Wir wollen gern gemeinsam mit Menschen aus anderen Initiativen, Organisationen und Verbänden eine Herbsttagung vorbereiten, die mit den Einstiegsreferaten "Der aktuelle Diskurs über Innere Sicherheit in der BRD - gesellschaftliche Ursachen und Funktionen" von Thomas Kunz und zur Illegalisierung/ Heimliche Menschen von Margrit Frankenhäuser aus der Schweiz beginnen könnte. In Arbeitsgruppen, die verantwortlich vielleicht vom VEN im Bereich "Globalisierung, Agenda 21, Fluchtursachen, -bewegungen", von der Antifa, der VVN, Thomas Kunz imB ereich "Polizei, Demonstrationen, Abbau demokratischer Rechte", von Pax Christi, der BAG Asyl in der Kirche und der Graswurzel im Bereich "Ziviler Ungehorsam, Widerstandsformen", vom Flüchtlingsrat und der Selbstorganisation der MigrantInnen(AMFN) für den Bereich "Rassismus, Illegalisierung" und von Kobra und Solwodi im Bereich "Frauenhandel, Menschenhandel" vorbereitet und durchgeführt werden könnten, könnten gemeinsame oder auch kontroverse Forderungen erarbeitet und politische Aktionen überlegt werden. Am folgenden Tag könnte im Plenum über Möglichkeiten und Grenzen einer gemeinsamen oder auch unterschiedlichen weiteren politischen Arbeit diskutiert werden. Vernetzung und auch die Entwicklung von Politikstrategien würden hierzu gehören. Da wir der Auffassung sind, von dieser Herbsttagung sollte ein politisches Signal ausgehen, würden wir einen Appell - oder Resolutionsentwurf in den o.g. Arbeitsgruppen diskutieren wollen, der dann im Plenum zum Abschluß der Tagung verabschiedet werden könnte. Unsere Überlegungen, wie eine Herbsttagung mit größtmöglicher Beteiligung von Menschen aus den unterschiedlichsten politischen Zusammenhängen aussehen kann, würden wir gern auf einem ersten Treffen mit Initiativen und Organisationen, die die Durchführung mit uns gemein- FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 NIEDERSACHSEN sam vorbereiten wollen, vorstellen und diskutieren. Im Rahmen dieser Arbeitsgruppe würden wir auch die Erarbeitung des angesprochenen Resolutions- oder Appellentwurfes sehen. Ziel unserer Überlegungen ist, die gemeinsame Vorbereitung und Durchführung einer politischen Veranstaltung, die nicht vom Zuhören und Mi tdiskutieren allein lebt, sondern ihren Erfolg und ihre Wirkung in der Mitverantwortung politisch Engagierter findet. Wenn wir uns gemeinsam über unsere Grenzen und Möglichkeiten einer politischenWiderstandsstrategie gegen die Richtung der derzeitigen Veränderungen der Gesellschaft verständigen könnten, können wir vielleicht auch unsere Lähmung überwinden und so gemeinsam, aber auch als Einzelne wieder stärker werden und uns in die politischen Umbruchsprozesse wirkungsvoll einmischen. ----------------------------Interessierte Menschen, Initiativen und Organisationen wenden sich bitte bis Mitte Juli an den Nds. Flüchtlingsrat, Lessingstr. 1, 31135 Hildesheim, Tel. 0512115605, Fax 05121-31609, email: [email protected], wenn sie mit uns gemeinsam diese Tagungsidee verwirklichen wollen Zwei neue Medienpakete ausleihbar. Es handelt sich um zwei Projekte, die in Kooperation von Werkstattfilm Oldenburg und dem VNB in Barnstorf entstanden sind. 1. „Sie kommen hierher zurück“ Ansichten aus Sarajevo Das Projekt umfaßt eine Ausstellung, eine Broschüre und zwei Videofilme zum Thema. Ausgangspunkt sind zwei Reisen, die Ali Farschid Zahedi von Werkstattfilm Oldenburg im Sommer 1997 nach Sarajevo bzw. Bosnien unternommen hat. Beleuchtet werden die Situation von Flüchtlingen, die nach Bosnien zurückkehren bzw. abgeschoben worden sind, die Lebensbedingungen in Sarajevo, Zusammenleben nach dem Krieg, die bundesdeutsche Politik und politische Hintergründe des Krieges bzw. der heutigen Situation. Die Ausstellung umfaßt 10 Bildtafeln (60x80 cm) zu unterschiedlichen Themenschwerpunkten wie z.B. Menschen in und Stadtbilder aus Sarajevo, Militärpräsenz, Minen oder Aufbauarbeiten und Zukunftsperspektiven. Dabei werden die Fotos zum Teil durch persönliche Aussagen und/oder Sachinformationen ergänzt. Die Broschüre zur Ausstellung umfaßt 28 Seiten. Sie informiert einerseits über die politische Entwicklung Jugoslawiens mit Schwerpunkt auf dem Zeitpunkt 1980 bis heute; zum anderen berichten - vor dem Hintergrund bundesdeutscher Flüchtlingspolitik - Menschen aus Sarajevo über ihre diesbezüglichen Erfahrungen und Erlebnisse, aber auch über ihre (Zukunfts) -wünsche, ihre Hoffnungen oder Hoffnungslosigkeit. „Deportation from Germany“ Videofilm, 21 min, BRD-BIH (Sarajevo) 1997. Der Film begleitet rückkehrende und abgeschobene Flüchtlinge nach Bosnien und zeigt die Situation bei der Ankunft in einem Land nach dem Krieg. 2. „der andere Blick“ Das Projekt umfaßt eine Ausstellung, einen Videofilm und eine Broschüre. Es entstand durch einen Besuch im Blindenzentrum Sarajevo, bei dem die Idee entstand, daß die dort lebenden Jugendlichen ihre Welt selbst photographieren und darstellen. Ergänzt wurde das Projekt in Deutschland durch Zusammenarbeit mit dem Blindenzentrum Hannover und dem Blinden - und Sehbehindertenverein Landesteil Oldenburg die durch ihre Photographien ihre „Sicht der Dinge“ präsentieren machen. Die Photoausstellung beruht auf einer neuen Form der Darbietung, indem die dargestellten Fotografien auf ein Minimum beschränkt sind. Das Hauptaugenmerk - es geht um die Augen und die Art des Sehens, ist auf die Aufnahmen der Kinder gerichtet. Dadurch wird das Publikum nicht nur über das Blindenzentrum informiert, sondern es sieht die Welt quasi mit den Augen derjenigen Jugendlichen, die diese Fotos aufgenommen haben. Um den unmittelbaren Erfahrungswert zu erhöhen, sollen die BesucherInnen den Ausstellungsraum mit einer speziellen Brille betreten, die das Gesichtsfeld stark einengt und für kurze Zeit eine Beeinträchtigung des Sehens nachvollziehbar macht, wie es für diese Kinder alltäglich ist. Das Leben geht weiter, „der andere Blick“ Videofilm, 31 Min, BRD-BIH (Sarajevo) 1998, Original mit deutschen Untertitel. Informationen über das Blindenzentrum Sarajevo mit Aufnahmen der SchülerInnen und Archivmaterial aus der Kriegszeit. Katalog mit den von Jugendlichen erstellten Photos Postkarten mit Motiven aus der Arbeit der Jugendlichen im Blindenzentrum Kontaktadressen für Ausleihe und Bezug von beiden Medienpaketen: Werkstattfilm Kaiserstr. 24 26122 Oldenburg Tel.Fax.0441/12180 VNB Geschäftsstelle Barnstorf Bahnhofstr.16 9406 Barnstorf Tel.05442/991417 Fax. 05442/2241 113 KURDENVERFOLGUNG Außenposten an der Festung Türkei richtet Abfanglager ein für “illegale” kurdische Flüchtlinge aus dem Irak Rat der EU Rat der Europäischen Union, 21. April 1998 kunftsländer sowie zur Fortsetzung des Kontakts und der Zusammenarbeit auf offizieller Ebene. Vorschläge in die relevanten Arbeitsgruppen weitergeben. 3. In Ankara versicherten Vertreter des Außen- und des Innenministeriums ihre Bereitschaft, auf technischer Ebene zusammenzuarbeiten, und brachten ihr Interesse an einem verstärkten Informationsaustausch und technischer Unterstützung bei der Bekämpfung illegaler Einwanderung zum Ausdruck. Sie waren sich der Notwendigkeit bewußt, über die Verwickelung organisierter Kriminalität beim Schleppen von illegalen Migranten zu reden. Was das Asyl-Thema angeht, erwähnten die türkischen Autoritäten ihre Pläne, Aufnahmezentren für illegale Migranten zu etablieren, sträubten sich aber dagegen, den UNHCR in den Prozeß der Überprüfung von Asylantragstellern einzubeziehen. Sie waren jedoch bereit, UNHCR-Unterstützung für das Training von Grenzwächtern im Bereich der Prüfungsvwerfahren zu akzeptieren. (Die weiteren Details der gemeinsamen Pläne zum Aufbau der Türkei als Vorposten der EU zum Auf- und Abfangen unerwünschter Flüchtlinge haben wir nicht mehr übersetzt, da die uns vorliegende Kopie sehr schlecht ist. Den Tenor kann sich jede/r denken. Weitere Informationen erhaltet Ihr beim Büro von Claudia Roth (MdEP Bündnis90/Die Grünen, Tel. 0228 - 16 83138 oder 0228 - 16 87939, Fax 0228 - 16 46124) Details ... Note von: der Präsidentschaft an: das K4 Kommitee Thema: Einströmen von Migranten aus dem Irak und der Nachbarregion: Bericht über das in Istanbul und Ankara am 9. und 10. März 1998 abgehaltene Treffen. In Übereinstimmung mit der Zurückverweisung von ... am 5. März 1998 besuchte die Präsidentschaft in Begleitung des Vorsitzenden der Arbeitsgruppe Migration und Vertretern der Kommission und des Generalsekretariats Istanbul und Ankara am 9. und 10. März 1998. Ein Bericht über diese Treffen ist zur Information der Mitgliedsstaaten und insbesondere als Grundlage für die weitere Arbeit zur Verfügung gestellt worden. Aktion Punkt 2 und Bereich G des Aktionsplans betrifft das Einströmen von Migranten aus dem Irak und der benachbarten Region ... . Dieses Dokument wurde überarbeitet, um das Ergebnis des Treffens des am 26./27. März 1998 abgehaltenen K4-Kommitees mit einzubeziehen. Zusammenfassung: 2. In Istanbul beschrieben Beamte der Sicherheits- und Fremdenpolizei die Bedeutung Istanbuls als eines Transitpunktes für die illegale Einwanderung in die EU, insbesondere von Staatsbürgern des Iran, Irak, Sri Lankas, aus Bangladesh, Pakistan und Ägypten. Sie ersuchten die EU um Unterstützung zur Verbesserung die Zurückschiebung von Personen aus Drittstaaten, die sich illegal in der Türkei aufhalten, in ihre Her114 4. Im Licht dieser Kontakte und, soweit relevant, unter Einbeziehung des UNHCR könnte eine weitere Zusammenarbeit zwischen der EU und der Türkei in den folgenden Bereichen nützlich sein:Prüfung von Wegen zur Sicherstellung einer ordentlichen Überprüfung von Asylsuchenden und Unterstützung zu diesem Zweck; die Überprüfung der Bedingungen der Inhaftierung illegaler Einwanderer vor der Zurückführung; der Austausch von praktischer Erfahrung zum Bewirken der Rückkehr in dritte Länder, insbesondere Pakistan und Bangladesh; Unterstützung für die Entwicklung neuer türkischer Einwanderungsgesetze; technische Unterstützung zur Verbesserung der Aufdeckung falscher Papiere an der Grenze. Die Präsidentschaft wird diese FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998 Materialien Reader: „Verfolgte Frauen schüt zen“ Materialien zum Umgang mit geschlechtsspezifischer Verfolgung und Flüchtlingsfrauen in der Bundesrepublik Deutschland und anderen Ländern“. Mai 98, DM 16,-/Expl. - Broschüre: „Gefesselte Medizin. Ärztliches Handeln - abhängig von Aufenthaltsrechten? Eine Handreichung“ .Hg. Ärztekammer Berlin, Flüchtlingsrat Berlin und PRO ASYL, vorauss. Juni 98, DM 13,-/Expl. Gutachten: „Asylrechtskundige Beratung durch Sozialarbeiter und Ehrenamtliche - Ein Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz?“ v. RA Hubert Heinhold, Mai 97, DM 7,- - Zu bestellen: PRO ASYL e.V., PF 16 06 24, 60069 Frankfurt/M. Reader zur AAA der schweizer „Aktion für abgewiesene Asylbewerber“, Kontaktadresse: Heidi u. Peter Zuber, Waldheim, 3072 Ostermundigen 1-. Herrenmenschentum und der ganz alltägliche Terror von Gewalt. Rechtsextremismus ist kein gesellschaftliches Randphänomen, sondern entsteht in der Mitte der Gesellschaft. Ausstellung Rechtsextremismus, (Neo-)Faschismus, Alltagsgewalt. Bestellung über: AK-Rechtsextremismus, Edda Rommel, c/o Grüner laden, Wollenweberstr. 29/30, 31 134 Hildesheim. Die Ausleihgebühr beträgt zwischen 250,und 400,- DM, je nach Dauer und finanziellen Möglichkeiten. „kein mensch ist illegal“ - Reader zu Fluchthilfe sowie deren organisierter Kriminalisierung. Zu beziehen gegen 6,- DM zzgl. Versandkosten. Unterschriftenliste + Aufrufsammlung in den Sprachen: Dari/Farsi, Deutschg, Englisch, Französisch, Italienisch, Polinisch, Portugiesisch, Spanisch, Russisch, Türkisch, Urdu. Alles zu beziehen bei: AG 3 F, Antirassistische Gruppe für Freies Fluten, Tel./Fax: 0 61 81/18 48 92 Erstellung einer Dokumentation/Da tenbank für Sinti- u. Romaverbände, internat. Organisationen. Infos u. Fragebögen: Interface, Centre de recherches tsiganes - Gypsy Research Centre - Université de Paris V 106, Quai de Clichy, F-92110 - Clichy, Fax: 33/1 47 31 29 23 Reader „No Borders“ zu den The men: Frauen-Abschiebeknast Neuss, Situation von Migrantinnen in der BRD, Debatte um die Verknüpfung von Rassismus und Sexismus. Zu bestellen über: Infoladen Anschlag, Stichwort Neuss, Hee per Str. 132, 33 607 Bielefeld. Bezugspreis: DM 5,- zzgl. 1,50 Port in Briefmarken oder bar. Handbuch Migration für AIDS-Hil fen, AIDS-Fachkräfte und andere im AIDS-Bereich Tätige. Das Handbuch ist kostenfrei erhältlich und kann bei der Deutschen AIDS-Hilfe, Dieffenbachstr. 33, 10 967 Berlin angefordert werden. Protokoll der Anhörung zum Asyl bewerberleistungsgesetz vom 29.04.1998, Urteil des BVerwG - 9 Cf 34.96 - v. 4.11.97, Abschiebeschutz Afghanistan gem. § 53 Abs. 6 S. 1 Zu bestellen bei: Nds. Flüchtlingsrat, Lessingstr. 1, 31135 Hildesheim, Tel.: 0 51 21/15 605, Fax: .../31 609 Lageberichte des Auswärtigen Am tes: Togo (3/98), Gambia (3/98), BR Jugoslawien (3/98), BR Jugoslawien - Ergänzung (3/98), Türkei (3/98), Bosnien-Herzegowina (3/98), Dem. Rep. Kongo (1/98), Pakistan (1/98), Syrien (1/98), Tschad (1/98), Nigeria (1/98) Zu beziehen bei ai-Materialversand, PF 17 02 29, 53 108 Bonn Menschenrechtssituation in Tunesi en - Zusammenfassender Bericht. Zu bestellen bei: ai-Tunesien-Koordination, Helga Lindenmaier, Heumadenstr. 16, 74 199 Unterheinriet, Tel.: 0 71 30/72 83 Infos Kosova- „Übergriffe an aus Westeuropa nach Kosova abgescho benen Asylsuchenden“ (39 S.) - „Interventionen an albanischsprachigen Schulen Kosovas (44 S) -Zu bestellen beim: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Monbijoustr. 120, PF 81 54, CH-3001 Bern, Tel.: 0 31/370 75 75, Fax: .../370 75 00, e-mail [email protected]. Abgabe zum Selbstkostenpreis. „Diakonie - Verfahrensberatung in der Zentralen Anlaufstelle für Asyl bewerberInnen (ZAST) Braun schweig - Jahresbericht 1997. Infos: ZAST Braunschweig, Boeselagerstr. 4, 38 108 Braunschweig. „Rechtliche Verpflichtungen und Möglichkeiten, Abschiebungshin dernisse nach § 53 AuslG festzustel len.“ Die vorliegende Dokumentation der Fortbildungstagung in Mainz am 14.11.97 enthält Referate und überarbeitete Beiträge zum Thema Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG, wobei insbesondere die Kompetenzverteilung zwischen Bundesamt und Ausländerbehörde zur Prüfung dieser Abschiebungshindernisse behandelt wird. 2. Aufl., Bad krueznach, mai 1998, 63 Seiten, DIN a 4, DM 10,-. Zu bestellen: Diak. Werk mainz-Bingen, Fachstelle für Flüchtlinge, Binger Str. 45, 55 218 Ingelheim, Tel.: 0 61 32/7 30 56/57, Fax: .../7 65 95 Haushaltsmittel der Europäischen Kommission zur Förderung von Pro jekten: 1. Projekt B7-6008 zur Erleichterung der feiweilligen Rückkehr von Flüchtlingen, vertriebenen Personen und Asylbewerbern in ihr Herkunftsland; 2. Projekt B5-803 zur Verbesserung der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber, vertriebenen Personen und Flüchtlingen in den Mitgliedstaaten. Einsendeschluß für die Bewerbungen ist der 30. Juni 98. Unterlagen können angefordert werden bei: Europäische Kommission, Rue de la Loi 200, B-1049 Bruxelles, Tel.: (+322)2 95 51 76/5 22 63, Fax: .../2 96 59 97, Internet: Wenceslas de [email protected] 07 11/9 25 77 50, Fax: .../9 25 77 25 Kampagne: „Erlaßjahr 2000 - Ent wicklung braucht Entschuldung“ hat das Ziel, übr einen Schuldenerlaß im Jahr 2000 und über eine Veränderung des internationalen Schuldenrechts gerechtere Finanzbezienungen zwischen den reichen Ländern im Norden und den armen Ländern im Süden zu erreichen. Kontaktadresse: Erlaßjahr 2000, c/o SÜDWIND e.V., Lindenstr. 58-60, 53721 Siegburg, Tel.: 0 22 41/59 12-26, Fax: .../...-27, Email: [email protected]. „Die Brücke - Forum für antirassisti sche Politik und Kultur“. Die Brücke ist ein interkulturelles Projekt, das von Menschen unterschiedlicher Herkunft gestaltet wird. Sie dient Gruppen und Initiativen, MultiplikatorInnen in Politik und Kultur als Informations- und Kontaktstelle. Erscheinungsweise: zweimonatlich, Preis des Einzelheftes: DM 14,80, Jahresabo: DM 66,-, Abonnementund Einzelheftbezug über den Buchhandel und den Brandes & Apsel Verlag, Elke Daniel, Zeilweg 20, 60 439 Frankfurt/M., Fax: 0 69/95 73 01 87 „Leben in Angst - Eine Kurdenfami lie im Kirchenasyl“. Das Buch erzählt die Geschichte der kurdischen Familie Yildiz, die seit über zweieinhalb Jahren im Kirchenasyl im mittelfränkischen Weißenburg lebt. Freunde und Wegbegleiter der vergangenen Jahre melden sich zu Wort und tragen Stein für Stein das Mosaik eines fast hoffnungslosen Falles zusammen. - Das Buch erscheint im Frühsommer, und der Erlös kommt der Familie Yildiz zugute. Zu bestellen bei: Verlag W. Keller, Knipferstr. 20, 91 757 Treuchtlingen kein mensch ist illegal - Aufkleber von Rasso Rottenfußer. Das Medium Aufkleber ist überall anzubringen und kann auf einfachem Wege große Verbreitung finden. Durch klare und sachliche Gestaltung wird der Inhalt verstärkt und kann ohne Umstände als das erkannt werden, was er ist. - Zur weiteren Information und/oder Unterstützung der Kampagne „KEIN MENSCH IST ILLEGAL“ wenden Sie sich an: Forschungsstelle Flucht und Migration e.V. (FFM), Gneisenaustr. 2a, 10 961 Berlin, Infos zur Arbeit Aufkleber bei: Rosso Rottenfußer, Fon + Fax: 0 30/3 22 45 13 Seit April 1998 neue Broschüre „eingemischt“ des Flüchtlingsrates Wiesbaden. 116 Seiten, 9,- DM, gegen 12,- DM in Briefmarken zu bestellen bei: Flüchtlingsrat Wiesbaden, Blücherstr. 32, 65 195 Wiesbaden, Tel/Fax: 06 11/49 52 49. Infoblatt an deutsche Fluggäste über Fluchtursachen, Abschiebun gen und Methoden, sog. „Schüblin ge“ ruhigzustellen. 2. Aktualisierte Neuauflage 1995. Zu beziehen über: Büro für notwendige Einmischungen/Frank Eyssen, Nernstweg 32-34, 22 765 Hamburg. „Lernen, glücklich zu sein“. Vom Beginn des Grenzübertritts bis zur Entscheidung der Behörden begleitet der Regisseur den Weg der Familie des Sudanesen Nabil durch das Schweizer Asylverfahren. Der Film wird vom EZEF in einer 70minütigen Kurzfassung auf Video herausgegeben und wird ca. ab Ende Juli über alle Evangelischen Medienzentralen bundesweit ausleihbar sein und auch zum Verkauf angeboten werden. Infos: Evangelisches Zentrum für entwicklungsbezogene Filmarbeit, Kniebisstr. 29, 70 188 Stuttgart, Tel.: Grundrecht-Report 1998. Herausgegeben von: Humanistische Union, Komitee für Grundrechte und Demokratie und seit Mai im RowohltVerlag erschienen. Bei Rückfragen: Julia Tomyx, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Presseabteilung, Tel.: 0 40/7 27 22-39, Fax: .../-395 Neue Publikation der Projektstelle Berufliche Qualifizierung von Flücht lingen und MigrantInnen, Barnstorf: „Handbuch. Weg zum Berufskraftfahrer. Eine Chance für MigrantInnen“. Gegen DM 19,80 zzgl. Versandkosten zu bestellen bei: Projektstelle Q, Klaus Schmelz, Bahnhofstr. 16, 49 406 Barnstorf. Schriftenreihe der Ausländerbeauf tragten des Landes Niedersachsen „Sachlich“: Heft 3: „Interkulturelles Lernen mit Kindern“, Heft 4: „Jugendliche in Niedersachsen“. Bezugspreis DM 5,- zzgl. Port. Zu bestellen bei: Nds. Sozialministerium, Ausländerbeauftragte -, Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz 2, 30 159 Hannover, Tel.: 05 11/1 20-29 02 Kosovo (Serbien-Montenegro) Serbische Truppen gehen militärisch gegen die albanische Bevölkerung vor. Bericht (deutsch/engl.) vom 7.3.1998, 1. Expertenanhörung: Rückkehr nach Bosnien 1998: Reale Chance oder Illusion? - Dokumentation -Beide Veröffentlichungen sind zu beziehen bei: gesellschaft für bedrohte Völker - international - President Tilman Zülch, PO-BOX 2024, 37 010 Göttingen, Tel.: 05 51/4 99 06-24, Fax: .../5 75 29, e-mail: [email protected], homepage: http://www.gfbv.de Als Diskussionshilfe: Abschiebungen und Menschenrechte - Eine Zustän digkeitsfrage? von Christiane Krombeck. Erschienen in „Der Schlepper“ Nr. 2 des Flüchtlingsrates SchleswigHolsteins Broschüre: Offen für Europa - offen für andere - Nationalismus und Ras sismus überwinden!. Zu bestellen bei: Ökumenischer Vorbereitungsausschuß zur Woche der ausländischen Mitbürger, PF 16 06 46, 60 069 Frankfurt/M. Veröffentlicht im Mai 1998. Unkostenbeiträge gestaffelt nach Anzahl der Exemplare und unterteilt in alte und neue Bundesländer. 115 Aufruf für Gleichbehandlung und gegen Rassismus: u.a.: Die Einführung der Visumspflicht für Kinder aus den ehemaligen Anwerbeländern, das generelle Arbeitsverbot für neu einreisende Flüchtlinge und Asylbewerber, die undifferenzierte Diskussion um die sog. Ausländerkriminalität u. die sofortige Abschiebung von straffällig gewordenen AusländerInnen tragen nicht dazu bei, eine gegenüber MigrantInnen in Deutschland positives Klima zu schaffen und Akzeptanz zu wecken. Infos: DGB. Referat Migration, T.: 02 11/4 30-10, Fax: .../-11 34 eine neue Art und Weise thematisieren. Gedacht ist an eine Tournee durch bundesrepublikanische Städte. Bis heute verbirgt sich hinter Kanak Attack politisches Entertainment, das mit viel Tamtam und Glamour eine neue Haltung gegenüber Rassismus, Nationalismus und dem Alltag in Almanya befördern soll. Für Rückfragen bei Interesse: Büro Kanak Attack, c/o Clubraum, Niddastr. 49, 60 329 Frankfurt, oder: Imran Ayata, Tel.: 0 69/5 60 41 46, email: [email protected] chen auf! -Demonstration in Düsseldorf am 13. Juni 1998, 12.00 Uhr, Schadowplatz zur Unterstützung der Forderungen der Flüchtlinge in den Kirchen von NRW. Kontakt: Netzwerk Asyl in der Kirche NRW, Tel.: 02 21/33 82-281, EMail: [email protected] Seminare/Tagungen/Veranstaltungen Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen: Jan. 1993 bis Jan. 1997. Selbstmorde von Flüchtlingen/Todesfälle, Verletzungen bei Grenzüberquerungen/ Todesfälle und Verletzungen wähend und nach zwangsweisen Abschiebungen/Berichte über Fluchtversuche/Angriffe und Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte. c/o Antirassistische Initiative, Yorckstr. 59, 10 965 Berlin, Tel.:0 30/7 85 72 81, Fax: /7 86 99 84, 60 Seiten, DM 7,zzgl. Porto. „Tag der offenen Tür“ in der Zentralen Anlaufstelle für AsylbewerbeInnen, Boeselagerstr. 4, 38 108 Braunschweig am 20. Juni von 14 bis 17 Uhr. „Lebenslaute“ - Aufruf zur Beteiligung an einer Konzertaktion zur Unterstützung der Kampagne „kein mensch ist illegal“. Für unser Konzert wählen wir bewußt eine ungewöhnlichen Ort. Eine eventuelle Bestrafung wegen Hausfriedensbruch nehmen wir dabei in Kauf. „Musik wird als störend oft empfunden, wenn sie mit Portest verbunden“. Aktionstage: 20.-24. August 98, Ort evtl. Bielefeld, Düsseldorf oder Dortmund, Anmeldungen bis spätestens 10.08.98 an: Lebenslaute, c/o Wohngemeinschaft Am Lambach 14, 32 051 Herford „Kein Mensch ist illegal“ - Wir haben in Zusammenarbeit mit der LayOuterInnen-Gruppe „Zusammen gestalten!“ eine Plakatreihe im Rahmen der bundesweiten Kampagne „Kein Mensch ist illegal“ entworfen. Die 4 Plakate können einzeln, aber auch aneinandergereiht aufgehängt werden. Idee ist, daß die Plakatreihe in Gruppenräuen, Praxen, Kanzleien, Läden, Kneipen, Beratungsstellen, Plakat- und Hauswände - eigentlich überall - hängt. Versand gegen Portokosten in Höhe von 15,- DM (4x10 Stck.) bzw. 25,- DM (4x25 Stck.) und Vorkasse in bar oder Briefmarken. Bestellen bei: FelS-Antifa-Ag, c/o Buchladen Schwarze Risse, Gneisenaustr. 2a, 10 961 Berlin. Materialien für die Arbeit mit Eh renamtlichen in der Flüchtlingsar beit. Broschüre „Flüchtlinge beraten - ein Orientierungskurs mit Schulungsmaterial im Ausländerrecht Teil I Das Ausländergesetz“. Ziel der Broschüre ist es, die gesetzlichen Grundlagen für die Flüchtlingsberatung auf einfache Weise zu vermitteln. Eigens zu diesem Zwecke sind Arbeitsbögen konzipiert worden, die es ermöglichen, das „Dickicht“ Gesetzestexte verstehen und anzuwenden zu lernen. Bestellung zum Selbstkostenpreis von 10,- DM/Stck. bei: GGUA Projekt Büro, c/o VIS, Herwarthstr. 2, 48 143 Münster, Tel.: 02 51/4 82 82 72, Fax: .../5 10 53 69 Kanak Attack. Kanak Attack ist ein selbstgewählter Zusammenschluß verschiedener Leute über die Grenze zugeschriebener bzw. mit in die Wiege gelegter „Identitäten“ hinweg. Kanak Attack soll die gesellschaftliche und politische Situation von MigrantInnen in der BRD auf 116 bewußt gewußt - Politikmanage ment Vorort. Aktueller Seminarplan der Länderbildungswerke der Heinrich-Böll-Stiftung für politisch engagierte Haupt- und Ehrenamtliche. Infos: Stiftung Leben und Umwelt Niedersachsen, Hausmannstraße 9/10, 30159 Hannover, Tel.: 05 11/16 40 314, Fax: /13 378 BUKO-Seminar in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stifung: „Zukunft der Arbeit“ - Widerstand und Solidarität im Neoliberalismus vom 12.06. bis 14.06.98 im Jugendgästehaus Bonn. Im Zeitalter des Neoliberalismus und der Standortlogik werden formale und gesicherte Arbeitsverhältnisse immer weiter zurückgedrängt. Der globale Arbeitsmarkt ist heute weniger von internationaler Solidarität als vom Empfinden der Konkurrenz und der Hierarchisierung entlang ethnischer und geschlechtlicher Kriterien geprägt. Trotzdem - oder gerade deshalb - steht die formale Erwerbsarbeit noch immer im Zentrum vieler sozialer Kämpfe. Anmeldungen: BUKO-Geschäftsstelle, Nernstweg 32, 22 765 Hamburg Vereinsmanagement, Selbstorgani sation und Zeitmanagement - Zivilcourage und Kreativität gegen Gewalt. Aktuelles Programm 1998/2 und mehr Informationen zu den Veranstaltungen der Akademie Frankenwarte, Gesellschaft für Politische Bildung e.V., Würzburg zu beziehen bei: Seminarsekretariat , Tel.: 09 31/8 04 64-14, -10, -33, Internet: http://www.wuerzburg.de/wue/bildung/frankenwarte, E-mail: [email protected] Protestkundgebung/Demonstration gegen die Visumspflicht für Kinder am 26.06.1998 um 16.00 Uhr vor dem Ordnungsamt Hannover, Leinsstr. 14. Veranstalter: ASKH e.V., Nds. Kulturzentrum der türkischen Sozialdemokraten in Hannover e.V. Tel.: 05 11/60 30 83 - Handy: 01 77 26 80 870 kein mensch ist illegal - Wir tau- kein mensch ist illegal - Bilanz nach einem Jahr und Perspektiven der Initiative. Auswertungs- und Perspektivenseminar der Göttinger Gruppe der Initiative vom 26.-28.6.98 auf dem Hohen Hagen. Freizeitheim Linden: 20 Jahre But jerfest am 6. Juni 98 - 13.30 Uhr: Festumzug vom Freizeitheim Linden aus, 15.00 Uhr: Begrüßung und Eröffnung durch OB H. Schmalstieg, danach: Musik, Tanz, Spiel und Sport. Aufruf zum Aktionscamp an der deutsch-polnisch-tschechischen Grenze vom 24. Juli bis 2. August 1998. Kontakt: Sommercamp, c/o Forschungsstelle Flucht und Migration, Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin, Tel.: 0 30/6 93 56 70, Fax: .../6 93 83 18, e-mail: [email protected], http://www.contrast.org/borders Sommer-Camp im Wendland - ge waltfrei, ökologisch, ungehorsam. Aktive aus allen Bewegungen treffen im Wendland zusammen, um gemeinsam Aktionen zu planen, Strategien zu entwickeln und Erfahrungen auszutauschen. Anmeldung, Infos: Sommer-Camp im Wendland, X-tausendmal quer, Bahnhofstr. 9, 29 479 Jameln, Fax: 0 58 83/4 14 Reisen ‘98 - Bildungsreisen der Lan desstiftungen der Heinrich Böll Stif tung. Aktuelles Programm anzufordern bei: Heinrich Böll Stiftung Hamburg, Max-Brauer-Allee 116, 22765 Hamburg, Tel.: 0 40/3 89 52 70, Fax: 3 80 93 62 Mitarbeiterfortbildung, Fortbil dungsreihe für Multiplikatoren in der Flüchtlingsarbeit. Tagungsort: AWO Hannover, Marienstr. 14, Zeit jeweils 10.00 bis 16.00 Uhr, Anmeldungen bis vier Wochen vor Veranstaltungstermin an: Gudrun Mane, Geschäftsstelle Flüchtlingsrat in Hildesheim. Erster Termin: 23. Juni 98, Thema: „Berücksichtigung von frauenspezifischen Verfolgungsgründen in Asylländern/Frauenspezifische Fluchtursachen“ Frauen zwischen Utopie und Rea lität. Die kurdische Frau im Spannungsfeld von Unterdrückung und Befreiungskampf. Zweitägige Frauenkonferenz in Hamburg am 20. u. 21. Juni 98, jeweils von 10.00 bis 20.00 Uhr in der Handwerkskammer, Holstenwall 12, 20 355 Hamburg. Anmeldungen: prison watch international e.V., Aktionsgruppe Harburg-Land, c/o Sidik Aktan, Todtglüsinger Str. 32, 21 255 Tostedt, Tel./Fax: 0 41 82/2 15 14 od. .../28 90 32 Frieden, der gewählt ist, nicht auf gezwungen. 22. Dreijahreskonferenz vom 19. - 24.09.98. in Porec, Kroatien. Die War Resisters’ International ist ein weltweites Netzwerk unabhängiger Organisationen, Gruppen und Einzelpersonen, die nicht nur dem Krieg Widerstand leisten, sondern für die Beseitigung der Kriegsursachen arbeiten. Eine WRI-Dreijahreskonferenz wird FriedensaktivistInnen aus der Region mit AktivistInnen aus vielen anderen Ländern und allen Kontinenten für einen Austausch über Erfahrungen und Visionen und für die Erarbeitung neuer Strategien und Kooperationen zusammenbringen. Weitere Informationen: http:77www.gn.apc.org/warresisters „Integration und psychosoziale Ge sundheit“. 2. Tagung zur Transkulturellen Psychosomatik vom 20./21. Juni 1998., Bad Fredeburg, Internistisch-Psychosomatische Fachklinik Hochsauerland in Zusammenarbeit mit der Deutsch-Türkischen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosoziale Gesundheit e.V. Fortbildungsseminar für Psychotherapie und psychosoziale Berufe. Das Seminar wendet sich an Psychotherapeuten und Mitglieder psychosozialer Berufe, die sich in verbalen und non-verbalen Interventionsformen selbst erfahren und fortbilden wollen. Anmeldungen beim Sekretariat der Klinik, Fr. M. Jäger, zu den drei Buchen 2, 57 392 Bad Fredeburg, Tel.: 0 29 74/73 21 94, Fax: .../73 28 00 Universität Hildesheim: Symposium: „Friedrich Konrad Hornemann (1772-1801) aus Hildesheim - der erste deutsche Afrikaforscher. Beiträge zur Afrikaforschung einst und heute vom 25.-26.9.98. Anmeldungen an: Uni Hildesheim, Institut für Sozialwissenschaften, Fr. Burgemeister, Marienburger Platz 22, 31 141 Hildesheim, Tel.: 0 51 21/8 83-105, Fax: .../86 75 58 Seminar „Aktuelle Entwicklung des Ausländerrechts“ am 20.06.98. Anmeldungen: GefAA, Gesellschaft für Ausländer- und Asylrecht e.V., Landhausstr. 86 B, 70 190 Stuttgart FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998