als PDF - Flüchtlingsrat Niedersachsen

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ISSN 1433-4488
H 43527
FLÜCHTLINGSRAT
Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen
Ausgabe 4|98
Heft 53/54
Juni 1998|
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Me al Fo
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Ei
Wir trauern um Hasan AKDAG
Über Pfingsten hat sich der 21jährige kurdische Flüchtling
Hasan AKDAG in der Haftanstalt Lingen verbrannt. Er übergoß seine Füße mit Benzin,
umwickelte seine Beine mit Plastiktüten, zog sich einen leicht
entflammbaren Trainingsanzug
über und zündete sich an.
Hasan zog sich entsetzliche
Verbrennungen zu. Er brannte
in Sekunden, schrie vor
Schmerzen und versuchte
noch, sich mit Wasser zu löschen. Seine Mitgefangenen
konnten ihm nicht helfen, da
sich das Plastik in seine Haut
einbrannte und nicht abgelöst
werden konnte. Nach ihrer
Aussage dauerte es 40 Minuten, bis Rettungskräfte die Tür
zur Haftanstalt öffnen konnten.
Hasan Akdag blieb bei Bewußtsein. Er weinte und verlangte
nach Wasser, stammelte etwas
von Abschiebung. Mit dem
Rettungshubschrauber wurde
er zur MHH nach Hannover
verlegt, wo er gegen 20 Uhr
starb.
che Weise zu verstümmeln?
Welche Gefahren drohten Hasan in der Türkei, wenn er die
damit verbundenen Gefahren
und Schmerzen einer Abschiebung vorzog? Der junge Kurde
hinterläßt eine Frau und ein
einjähriges Kind in Diyarbakir.
Noch ist unklar, ob Hasan sich
das Leben nehmen oder „nur“
die Füße verbrennen wollte,
um auf diese Weise seine Abschiebung zu verhindern. Zwar
hatte seine Rechtsanwältin ihm
kurz zuvor die Ablehnung des
Folgeantrag durch das Bundesamt mitgeteilt. Eine konkrete
Abschiebungsgefahr bestand
jedoch nicht vor September, da
Hasan wegen Verstößen gegen
das Ausländerrecht (illegale
Einreise, unerlaubtes Verlassen
des Landkreises) eine Ersatzfreiheitsstrafe (2 x 60 Tagessätze)
absitzen mußte. Zusätzlich hatte die Ausländerbehörde Abschiebungshaft gegen ihn beantragt - für den Fall, daß Hasan die Geldbuße (2 x 600 DM)
gezahlt hätte, wäre er also in
Abschiebungshaft gelandet. Paradoxerweise schützte ihn die
Strafhaft damit vor einer sofortigen Abschiebung.
Natürlich hat niemand den Tod
des Flüchtlings gewollt. Und
wahrscheinlich haben wieder
alle Beteiligten „nach Recht
und Gesetz“ gehandelt. Nach
Aussagen der Kripo sind die Ermittlungen abgeschlossen. Ein
Fremdverschulden könne ausgeschlossen werden. Dennoch
stellt sich uns die Frage nach
der politischen Verantwortung
für diesem Tod. Warum dauerte es 40 Minuten, bis die Rettungskräfte die Tür der Haftzelle öffnen konnten? In welcher
Weise wurde der junge Kurde,
der nur wenig deutsch sprach,
in der Haftanstalt betreut?
Vor allem aber: Warum befand
sich Hasan überhaupt in Haft?
Warum werden Flüchtlinge bei
uns eingesperrt, nur weil sie
den Landkreis verlassen haben
oder „illegal“ (wie denn sonst?)
eingereist sind? Was bedeutet
Abscchiebehaft insbesondere
für Menschen, die in ihrem
Herkunftsland Folter und
Mißhandlung befürchten? Wie
vieler „außergewöhnlicher Einzelfälle“ bedarf es noch, bis
Hat Hasan die Situation falsch
eingeschätzt? Selbst wenn –
wieviel Verzweifelung gehört
dazu, sich auf diese schreckli-
das nds. Innenministerium endlich einen Abschiebungsstopp
für kurdische Flüchtlinge verhängt?
Dem Kurden Mehmet Ali Akbas
wurde die Verfolgung erst geglaubt, nachdem die Spuren
der Folter nach seiner Abschiebung in die Türkei ärztlich
nachgewiesen waren (s.S.70ff).
Viele andere „Einzelfälle“ gelten den politisch Verantwortlichen bis heute als „nicht nachgewiesen“. Der türkische Menschenrechtsverein IHD hat uns
kürzlich eine Liste von aus
Deutschland ausgewiesenen
Flüchtlingen übersandt, die in
der Türkei nach der Abschiebung festgenommen und teilweise auch mißhandelt wurden.
„Nicht nur der Staat, der foltert, sondern auch der Staat,
der Flüchtlinge in Staaten abschiebt, in denen gefoltert
wird, verstößt gegen die Menschenrechte“ (PRO ASYL-Sprecher Heiko Kauffmann). Der
Tod des jungen Kurden muß
Anlaß sein, die Kollaboration
mit den türkischen Behörden
endlich zu beenden und die
bisherige Flüchtlingsvertreibungspolitik durch eine organisierte Rettungspolitik zu ersetzen.
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IMPRESSUM
Titel:
FLÜCHTLINGSRAT
Zeitschrift für
Flüchtlingspolitik in
Niedersachsen
Ausgabe:
4/98 - Heft 53/54
Juni 1998
Herausgeber, Verleger
Redaktionsanschrift:
Förderverein
Niedersächsischer
Flüchtlingsrat e.V.
Lessingstr.1
31135 Hildesheim
Tel: 05121-15605
Fax: 05121-31609
[email protected]
Verantwortlich und ViSdP:
George Hartwig
c/o Geschäftsstelle
Druck:
Druckerei Lühmann
Bockenem
1-3 Tausend, Juni 1998
Erscheinungsweise:
8 Hefte im Jahr
auch als Doppelnummer
Bezugspreis:
Jahres-Abonnement incl.
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(im Mitgliedsbeitrag
enthalten)
ISSN 1433-4488
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Titelbild:
Mehmet Ali Akbas
mit einem Schreiben
des deutschen Konsulats in Athen.
Foto: Özgür Politika, 22.5.1998
INHALT
>STELLENAUSSCHREIBUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .111
>Kann denn Hilfe strafbar sein? (RA Dr. Holger Hoffmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .5
>Strafbarkeit von Zufluchtgewährung und -vermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .10
Flüchtlingsarbeit:
Die Karawane zieht weiter (Red.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .12
Kein Mensch ist illegal (Protokoll Göttingen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .12
Duie Karawane - eine Bestandsaufnahme (ARAB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .13
Niedersachsen
Biallas, MdL (CDU) wird Mitglied der Ausländerkommission . . . . . . . . . . . . . . . .15
Aufruf zur Beteiligung am Aufbau einer Antidiskriminierungsstelle . . . . . . . . . . .57
Länderberichte
Frankreich: Sans-Papiers: Chronik einer ausländerfeindlichen Woche . . . . . . . . . .16
Kongo: AZADHO trotzt Behörden (Jean-Rene Kwaka Mbangu) . . . . . . . . . . . . . .97
Österreich: Menschenjagd - neues Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .99
Holland: Unanständige Behandlung von Asylsuchenden (Henri Kho) . . . . . . . . .100
Grundrecht auf Asyl
Kanthers willige Vollstrecker (George Hartwig) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .4
Bleiberecht für alle Flüchtlinge (morgengrauen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .18
“Wir brauchen Zuwanderer” MinPräs Gerd Schröder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .34
Bürgerkriegsflüchtlinge
Nds. Flüchtlingsrat gegen Abschiebung nach Kosova . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .55
Bayr. Flüchtlingsrat: Kosovo-AlbanerInnen nach Holland? . . . . . . . . . . . . . . . . . .56
Ne zam (Heide Mahlke) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .58
S/H Flüchtlingsrat: Reisebericht (Uwe Tschanter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .59
Keine Ausbildung für Sanel Alic (Wilfried Buck) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .68
Ehe und Familie
Bekämpfung von “Scheinehen” (Bettina Stang) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .42
Frauen
Rassismus und Sexismus (Bettina Stang) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .44
Vergewaltigung in Polizeihaft (M.Merlin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .45
Zur Situation von Frauen in Osteuropa (H. Hellbernd) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .47
Schutz bosnischer Frauen (AWO Osnabrück) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .68
Rassismus und Sozialabbau
Alltäglicher Rassismus (Kai Weber) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .9
Zwangsarbeit und Internierung (George Hartwig) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .20
Kürzen von Hilfen für Flüchtlinge gerügt (F.Forudastan) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .22
Gutscheine in Hannover? (Red.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .36
Nienburger Jugendarbeiter gegen Gutscheine (Daust/Klemm) . . . . . . . . . . . . . . .36
Umtauschaktion in Lüchow-Dannenberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .37
PE Bündnis90/Die Grünen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .37
Asylcard: Gegendarstellung Prof.Dr. Klönne/Stellungnahme PRO ASYL . . . . . . . . .38
Kurdenverfolgung
Mehmet Ali Akbas un die deutsche Einzelfalltheorie (Claudia Gayer) . . . . . . . . . .70
Mit deutschem Ticket in den türkischen Folterkeller (T.Avenarius) . . . . . . . . . . . .72
Breiefwechsel Hirsch, MdB und Glogowski, Minister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .74
Keine Konsequenzen aus dem Fall Akbas (Nds. MI) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .75
Gutachten zur Gefährdung abgeschobener (S.Kaya) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .76
Kölner Flüchtlingsrat: Stellungnahme zur Gefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .80
Türkische Lager für Kurden in der Türkei (EU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .114
Deportation
Metin Ograk in Osnabrück . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .86
Aktuelle Informationen (PRO ASYL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .89
Das neue nds. Abschiebekonzept in Blankenburg (Claus Melter) . . . . . . . . . . . . .92
Abschiebung nach Vietnam (Nds. Flüchtlingsrat PE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .93
10 Nigerianern droht die Abschiebung (Ingrid Lange) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .96
Statistik und Asyl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .98
kein mensch ist illegal
Gratishilfe für Flüchtlinge ohne Bleiberecht (Ärztekammer) . . . . . . . . . . . . . . . . .35
“Ich bin illegal” (Flugblatt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .84
“Wir tauchen auf” kmii . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .85
Aktionen
Aufruf zur Demo in Zittau am 6.7.98 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .19
Aufruf zu FrauenLesbenAktionstagen am 30.6.98 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .54
SERVICE
Zwei neue Medienpakete ausleihbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .113
Veranstaltungen
Herbsttagung des Flüchtlingsrats zum politischen Widerstand . . . . . . . . . . . . .112
Dokumentation
Bundestagsdebatte AsylbLG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .23
Nds. SPD LT-Fraktion antwortet PRO ASYL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .32
Stellungnahme AG der Landesflüchtlingsverwaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .33
IMK-Bericht zu Problemen bei der Rückführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .94
Europ. Beobachtungsstelle für Rassismus und Auslfeindlichkeit . . . . . . . . . . . . .102
Hinweise zum Ausl- und Asylrecht (Nds. MI) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .103
Abschiebestoppregelungen für Kurden (Nds. MI) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .106
Gerichtsentscheidungen (zusammengestellt von Kai Weber) . . . . . . . . . . . . . . .107
Seminare und Materialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .115
ASYLPOLITIK
“Kanthers
willige Vollstrecker”
Juristische Verfolgung von Bürgersinn
George Hartwig
“Die (...) Verwaltung vollstreckt
die Gesetze selbst dann, wenn
sie weiß, daß ihre Maßnahmen
Hunger, Folter, Vergewaltigung
oder Tod zur Folge haben
kann. (...) Die Vertreibung von
Flüchtlingen geht das Sozialamt (...) systematisch an: “Prüfung § 120 BSHG”. Das Sozialamt geht davon aus, daß jede
und jeder deshalb nach
Deutschland kommt, um Sozialhilfe zu zocken. (...) Pure
Menschenverachtung ist die
Grundlage, auf der der deutsche Flüchtlingsverwaltungsapparat seine gesetzlichen und
verwaltungsrechtlichen Maßnahmen aufbaut. Seit der Wiedervereinigung sind mehr
Menschen (beim Versuch nach
Deutschland zu gelangen) an
der deutschen Ostgrenze gestorben als während der Zeit
der DDR an der innerdeutschen
Grenze.
Der deutsche Rechtsstaat erschießt Flüchtlinge nur selten,
er läßt sie in den Grenzflüssen
ertrinken, er läßt sie sich
selbstmorden in den Abschiebeknästen und Polizeiwachen,
er läßt sie aus Angst vor der
Ungewißheit krank und depressiv werden, er schikaniert
sie und schüchtert sie ein.
Selbstverständlich auf rechtlicher Grundlage und juristisch
selten anfechtbar.
Der Tod wird billigend in Kauf
genommen.”
4
Der nebenstehende Text aus einem Flugblatt wird von der
Staatsanwaltschaft Bochum in einer Anklageschrift (33 Js 220/97)
zitiert mit dem Zusatz:
“Vergehen, strafbar gem. §§ 185,
187, 194, 52, 53 StGB”,
was heißen soll, daß der Autor
jemand anderen beleidigt, wider
besseres Wissen in Beziehung auf
einen anderen eine unwahre Tatsache behauptet und verbreitet
haben soll, welche denselben verächtlich zu machen oder in der
öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist.
Die Assoziation zum GoldhagenTitel, insbesondere die Nennung
einer beliebig austauschbaren Ministerial-Charaktermaske, stellt
sich als ausgezeichnetes publizistisches Mittel heraus, die offensichtlichen Übereinstimmungen
und die ebenso offensichtlichen
Unterschiede zu zeigen.
Der beanstandete Flugblatt-Text
wird wohl von allen, die mit der
flüchtlingspolitischen Arbeit Erfahrung haben, als Beschreibung
von Wirklichkeit wieder erkannt
werden.
Ebenso Realität ist, daß “Kanthers
willige Vollstrecker” - so die
Überschrift des Flugblatts - trotz
ihrer Arbeit dennoch anständig
geblieben sein wollen und zunehmend gereizter mit Strafanzeigen um sich schlagen.
Auch der Flüchtlingsrat hat satte
Erfahrung mit Strafanzeigen, die
samt und sonders - zulasten der
Steuerzahler - erfolglos für die
Staatsvertreter ausgingen.
Da glaubt ein Verwaltungsbeamter, daß ihn der Staat, dem er so
loyal wie brutal gegen Flüchtlinge
dient, vor öffentlicher Kritik zu
schützen habe; da soll ein Richter, dessen folgenschwere Entscheidungen in Kurdenfällen
mittlerweile international bekannt
sind, gegen vermeintliche Injurien
in Schutz genommen werden; da
wollen Ministerialbürokraten
nichts über Partei- und Regierungsfilz zum Abzocken von
Flüchtlings-Geldern in der Zeitung lesen, usw. usw.
Diese im Einzelfall durchaus
lächerlich wirkende besondere
Ehrenschutz-Erwartung von
Staatsvertretern stellt für die
Flüchtlingsarbeit eine nicht uner-
hebliche Bedrohung dar: die Verfahren sind unkalkulierbar, die
Kosten schnellen von Runde zu
Runde in Höhen, die normale
bürgerliche Existenzen unversehens ans Ende bringen.
Menschenrechte stehen dem Obrigkeitsstaat seit jeher im Wege,
Flüchtlinge werden staatlicherseits immer politisch definiert:
bezahlte Fluchthelfer bekommen
das Bundesverdienstkreuz, wenn
es sich um “gute” Flüchtlinge aus
der SBZ handelte, Menschenrechts- und Kirchenvertreter werden kriminalisiert und mit Haft
und Geldstrafe bedroht, wenn es
sich um “schlechte” Flüchtlinge
handelt, die in diesem Rechtsstaat Schutz suchen.
Aufrechter Gang und selbständiges Denken war den Obrigkeiten
seit jeher verhaßt. Vor über 150
Jahren hat der König von Hannover (der, dem sein “treues Volk”
das Pferdedenkmal vor den
Hauptbahnhof gestellt hat) den
Hannoverschen Stadtdirektor entlassen, aus Wut darüber, daß der
Magistrat von der Krone öffentlich die Einhaltung der Verfassungsrechte einforderte.
Mitten im Hannoverschen Regierungsviertel glänzt seit diesem
Jahr das neue Denkmal der “Göttinger Sieben”, die mit dem gleichen König ähnliche Erfahrungen
gemacht hatten.
Es ist bezeichnend, daß dieses
Denkmal mitten in der heftigsten
Phase einer neuerlichen Reaktion
per Staatsakt errichtet wird: so
wie die Sozialdemokratische Partei die Sozialistenverfolgung vergessen hat, so hat dieser bürgerliche Staat die Erkämpfung der
Bürger- und Menschenrechte als
eigene Grundlage vergessen. Das
Firmenschild wechselt, der Geist
bleibt.
Die derzeitige rechtlich/politische
Situation für die Flüchtlingsarbeit
wollen wir mit den folgenden
Texten beschreiben.
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
ASYLPOLITIK
I.
Kann denn Hilfe strafbar sein? dies besorgt gefragt von Flüchtlingshelfer/in provoziert die typische Juristenantwort: es kommt
darauf an. Aber worauf?
Um ein Bild zu versuchen: Hält
sich ein(e) Ausländer/in ohne
rechtlichen Status in Deutschland
auf und wird staatlicherseits mit
Abschiebung bedroht, ist es
dem/der Helfer/in rechtlich verboten, den handelnden staatlichen
Organen in den Arm zu fallen.
Ebensowenig brauchen sie ihnen
allerdings die Hand zu reichen.
Wie diese Konstellation in der
Rechtsordnung ausgeformt ist,
soll im folgenden Text näher erläutert werden. Vorab und zur
Beruhigung jedoch zunächst: wie
hoch ist das Risiko, bestraft zu
werden?
Im Rahmen der Vorbereitung habe ich die einschlägigen juristischen Fachzeitschriften für den
Zeitraum seit 1990, d.h. seit Inkrafttreten des jetzt geltenden
Ausländergesetzes auf obergerichtliche Entscheidungen zum
Themenkreis durchgesehen. Publiziert war eine Entscheidung
des Bundesgerichtshofs vom
12.06.1990 (5 Str 614/89 -NJW
1990, 2207). Sie ist noch zum
früher geltenden Ausländergesetz
von 1965 ergangen und behandelte die Frage, ob sich ein Wohnungseigentümer strafbar macht,
wenn er einer Ausländerin, die
sich illegal in Deutschland aufhält, eine Wohnung zur Verfügung stellt, damit sie darin der
Prostitution nachgehen kann (§
47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG von 1965).
Der Bundesgerichtshof bestätige
die Auffassung der unteren Gerichte, daß diese Art der Unterstützung als Beihilfe strafbar sei.
Weiter wurde ein Urteil des OLG
Frankfurt publiziert (NStZ 1993,
S. 394 -Urteil vom 31.03.1993 -2
Ss 65/93). Dem lag der Sachverhalt zugrunde, daß der Angeklagte jenes Verfahrens auf Bitten
eines ausländischen Staatsangehörigen, welcher seine Abschiebung befürchtete, ein
Scheinehe zwischen ihm und einer deutschen Staatsangehörigen
vermittelte. Dabei war allen Beteiligten bewußt, daß die Ehe-
schließung bezweckte, für den
Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Eine eheliche
Lebensgemeinschaft sollte nicht
begründet werden. Hierfür zahlte
der Ausländer an den Angeklagten DM 15.000,00. Die Ehe wurde geschlossen und die Aufenthaltsgenehmigung erteilt. Der
Angeklagte wurde wegen Beihilfe
zu § 47 Abs. 1 Nr. 6 AuslG von
1965 verurteilt. Nach dieser Bestimmung machte sich ein Ausländer strafbar, wenn er zur Begründung seines Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis
unrichtigerweise angab, mit einem deutschen Ehepartner die
Ehe geschlossen zu haben, obgleich die Partner keine eheliche
Lebensgemeinschaft beabsichtigten, sondern dem Ausländer nur
zu einem sonst ausgeschlossenen
Aufenthalt verholfen werden sollte. Auch diese Verurteilung erfolgte noch nach altem Recht. Allerdings stellte das OLG Frankfurt
fest, daß auch das neue Ausländergesetz in § 92 Abs. 1 Nr. 7 einen vergleichbaren Straftatbestand enthält und daher eine entsprechende Handlungsweise auch
nach dem neuen Recht strafbar
ist.
Ferner werden gelegentlich Entscheidungen publiziert, in denen
die Strafbarkeit des „Einschleusens“ von Ausländern nach
Deutschland strafrechtlich gewürdigt wird. Im Rahmen meiner
weiteren Erörterungen werde ich
mich jedoch mit diesem Bereich
nicht befassen, da ich davon ausgehe, daß das illegale Einschleusen von Ausländern nach
Deutschland keinen typischen Arbeitsbereich von Flüchtlingshelfern ausmacht.
Am 15.08.1997 berichtete die
„Frankfurter Rundschau“ über die
Verurteilung zweier Taxifahrer
durch das Amtsgericht Zittau zu
Freiheitsstrafen ohne Bewährung
wegen des Tatvorwurfs Ausländer, die zuvor illegal nach
Deutschland eingereist waren, innerhalb Deutschlands „ins Landesinnere (vom Zittauer Marktplatz zum Bahnhof Bautzen) gefahren zu haben. Das Gericht soll
das Urteil damit begründet haben, daß es den Taxifahrern „verdächtig“ gewesen sein müsse,
Kann denn Hilfe
strafbar sein?
Hilfen für statuslose Flüchtlinge im Rahmen
sozialer Arbeit
zwischen Strafrecht und
humanitärer Verpflichtung
Dr. Holger Hoffmann*
ausländische Fahrgäste ohne
Gepäck zu befördern. Das Gericht ging davon aus, daß die Taxifahrer im Auftrag von namentlich nicht bekannten Mittätern
gehandelt hätten. Das Urteil soll
noch nicht rechtskräftig sein.
Gelegentlich wird in der Presse
berichtet, daß strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen Pfarrer,
Kirchenvorstandsmitglieder oder
aktive Gemeindemitglieder, die
Kirchenasyl gewähren, von den
zuständigen Staatsanwaltschaften eingeleitet wurden. In der
Frankfurter Rundschau vom
10.03.1997 wurde berichtet, daß
es 1996 zu mehr als 20 Vermittlungsverfahren gegen Pfarrer gekommen sei. Es wurde jedoch
nicht mitgeteilt, ob diese Ermittlungsverfahren einstellt worden
sind oder ob sie zu strafrechtlichen Verurteilungen eines oder
mehrerer der Pfarrer geführt haben.
*) Dr. Hoffmann ist Rechtsanwalt.
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Lambertus Verlag
aus: Caritas Korrespondenz, Heft 3, März 1998
(Der vorstehende Text wurde als Vortrag gehalten anläßlich der Tagung „Illegalisierte Flüchtlinge“ der Karl-von-Ossietzky-Universität,
Oldenburg, in Haus Stapelfeld am 19.06.1997- Die Vortragsform wurde beibehalten, der Text allerdings geringfügig aktualisiert)
Anschrift des Verfassers:
Dr. Holger Hoffmann, Ostertorsteinweg 31/33, 28203 Bremen
5
ASYLPOLITIK
Bisher wird man davon ausgehen
können, daß das Risiko, wegen
einer Hilfeleistung für Flüchtlinge,
die sich illegal in Deutschland
aufhalten, bestraft zu werden,
zur Zeit noch eher gering ist. Angesichts der steigenden Zahl von
illegalen Flüchtlingen, die sich
weiterhin in Deutschland aufhalten, fällt es allerdings schwer, zu
prognostizieren, ob dies auch
zukünftig so bleiben wird.
II.
1.
Um sich dem Problemkreis im
Rahmen einer juristischen Betrachtung zu nähern, ist es erforderlich, zunächst drei Grundbegriffe zu erörtern: Hilfeleistung,
Täterschaft und Teilnahme.
Als Hilfeleistung kommt beispielsweise in Betracht: Beschaffen von
Beförderungsmöglichkeiten, Unterkünften, Informationen über
Grenzübertrittsmöglichkeiten, Zusammenführen mit anderen Personen, die sich des illegalen
Flüchtlings annehmen, Verstecken oder Beschäftigen des
Ausländers, Übersetzerdienste
zum Verdecken von Illegalität
(Senge in Erbs/Kohlhaas, strafrechtliche Nebengesetze, 5. Aufl.,
Stand 01.07.1995, § 92 AuslG
Rdnr. 16).
Ferner unterscheidet das Strafgesetzbuch (und dementsprechend
auch das Ausländerrecht) zwischen eigener Täterschaft, d.h.
eigener Verwirklichung eines
Straftatbestandes und der Teilnahme an einer strafbaren Handlung eines anderen.
Diese Teilnahmehandlungen, um
die es im wesentlichen in dem
uns interessierenden Sachbereich
gehen, werden differenziert in
Beihilfe (§ 27 StGB) und Anstiftung (§ 26 StGB).
Beihilfe ist die dem Täter vorsätzlich geleistete, für die Begehung
einer rechtswidrigen Tat kausale
Hilfe. Der Gehilfe muß das Zustandekommen der Haupttat,
welche er fördert, wollen. Beihilfe
ist dabei jede Handlung, die geeignet ist, die Haupttat zu fördern. Sie kann auch nach Beginn
der Tat noch geleistet werden, also z.B. dann, wenn der illegale
Aufenthalt bereits begonnen hat
6
und nun durch praktische (physische) oder psychische Beihilfe (etwa: Zusage von Unterbringungsmöglichkeiten) verlängert wird.
Entscheidend ist, daß der Entschluß des illegalisierten Ausländers bestärkt wird, sich weiterhin
unerlaubt in Deutschland aufzuhalten. Der Gehilfe muß vorsätzlich handeln, um eine Straftat des
Haupttäters zu fördern. Dabei
reicht es aus, wenn er aus Solidarität mit dem Ausländer handelt.
Anstiftung bedeutet, vorsätzlich
einen anderen zu dessen (eigener) vorsätzlicher Tat zu veranlassen. Der Anstifter ist verantwortlich, soweit er die Haupttat gewollt hat. Seine Strafe richtet sich
nach dem für die Haupttat geltenden Gesetz. Er wird auch
dann als Anstifter wie ein Täter
bestraft, wenn der Angestiftete
die Tat nur versucht.
2.
Diese in abstrakter Form beschriebenen Grundbegriffe tauchen in den strafrechtlichen Tatbeständen, die bei der Hilfe für illegalisierte Flüchtlinge relevant
werden können, in verschiedener
Form immer wieder auf. Als
wichtige Strafvorschriften zu benennen sind hier insbesondere
die Tatbestände der Begünstigung (§ 257 StGB), Strafvereitelung (§ 258 StGB) sowie Taten
gemäß § 92 ff AuslG und § 84 ff
AsylVfG.
a)
Eine Begünstigung begeht, wer
einem anderen, der selbst eine
rechtswidrige Tat bereits begangen hat (nachträglich), Hilfe leistet in der Absicht, dem Täter die
Vorteile der Tat zu sichern. Erforderlich ist beispielsweise eine Hilfeleistung, die eine bereits erlangte Aufenthaltsmöglichkeit
absichert. Eine Begünstigung
kann nur vorsätzlich begangen
werden. Es genügt, daß die Hilfeleistung erbracht wird in der Absicht, den Vorteil aus der Vortat
zu sichern, wenn dies möglicherweise auch im Ergebnis nicht gelingt und z.B. die Abschiebung
dann doch erfolgt.
Begünstigende Falschaussagen
sind strafbar, auch eine falsche
Angabe vor der Polizei, von der
Sache nichts zu wissen.
Besonders problematisch in jüngster Zeit war die Gewährung von
Kirchenasyl. Im Verstecken eines
Ausländers, der illegal sich in
Deutschland aufhält, in Kirchenasyl kann eine Begünstigung oder
Strafvereitelung liegen.
Insoweit ist bei kirchlich organisierten Flüchtlingshelfern/innen
die besondere Stellung von Caritas und Diakonie gemäß der Weimarer Reichsverfassung zu beachten: gemäß Art. 137 Abs. 3
WRV i.V.m. Art. 140 GG ordnet
und verwaltet jede Religionsgemeinschaft ihre Angelegenheiten
selbständig innerhalb der Schranken des Gesetzes. Hierzu gehören
auch die Strafgesetze. Die Hilfe
für Ausländer gehört nach dem
kirchlichen Selbstverständnis zu
den eigenen Angelegenheiten
der Religionsgemeinschaft. Die
für die Beratung von Ausländern
zuständigen kirchlichen Stellen
können sich daher auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht
gemäß Art. 137 Abs. 3 WRV berufen.
b)
Strafvereitelung (§ 258 StGB) begeht, wer absichtlich oder wissentlich ganz oder zum Teil vereitelt, daß ein anderer dem Strafgesetz gemäß wegen einer
rechtswidrigen Tat bestraft wird.
Der Versuch ist strafbar. Wegen
Strafvereitelung wird nicht bestraft, wer durch die Tat zugleich
ganz oder zum Teil vereiteln will,
daß er selbst bestraft wird (§ 258
Abs. 5 StGB). Straffrei ist auch,
wer die Tat zugunsten eines Angehörigen begeht (§ 258 Abs. 6
StGB).
Für unseren Sachbereich kommt
insbesondere eine Strafvereitelung i.V.m. § 92 AuslG oder § 85
AsylVfG in Betracht, d.h. nach illegaler Einreise, bei illegalem Aufenthalt oder bei anderen Straftaten nach den genannten Vorschriften.
Der Täter muß in der Absicht
handeln, eine Strafverfolgung
oder Vollstreckung zu vereiteln
(z.B. durch falsche Angaben gegenüber den Strafverfolgungsbehörden, Behinderung von Polizeibeamten bei der Verfolgung,
Verbergen eines Verfolgten, Ge-
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
ASYLPOLITIK
währung von Unterkunft, Fluchthilfe durch Aushändigen gefälschter Ausweispapiere oder
Geld).
c)
Letztlich muß bezüglich beider
Tatbestände von einer Wechselwirkung ausgegangen werden,
die unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips und einer
Güterablehnung im Einzelfall zu
unterschiedlichen Ergebnissen
führen kann (vgl. auch Gerhard
Robbers: Wann Sozialarbeit mit
Ausländern ohne legalen Aufenthaltsstatus strafbar sein kann Beihefte Caritas 1995, S. 41, hier
46). Hierzu einige Beispiele:
Ärztliche Hilfe bei einem geflohenen, verletzten oder kranken
Ausländer ist keine Strafvereitelung. Wer einem Flüchtigen erste
Hilfe leistet, indem er ihn versorgt oder zum Arzt bringt,
macht sich ebenfalls nicht wegen
Strafvereitelung strafbar.
Die Abgabe von Essen und Kleidung an einen polizeilich gesuchten Ausländer in kirchlichem Rahmen ist regelmäßig keine unzulässige Unterstützung.
Ein Flüchtlingshelfer wird jedoch
nicht dazu raten dürfen, um ein
Wiedererkennen zu vermeiden,
etwa Haarschnitt, Barttracht o.ä.
des Flüchtlings zu verändern. Unzulässig wäre es wohl auch, Flugkarten, Ausweise oder Fahrzeuge
zu beschaffen, um die Flucht vor
der Polizei zu ermöglichen.
In der strafrechtlichen Rechtsprechung bezüglich Straftätern allgemein (nicht spezifisch auf
Flüchtlinge bezogen) ist umstritten, ob die Beherbergung eines
flüchtigen Straftäters strafbar ist.
Ganz überwiegend wird die Auffassung vertreten, daß insoweit
keine Strafbarkeit besteht, falls
sich die Tätigkeit in der Gewährung von Obdach erschöpft,
ohne daß die Flucht weiter gefördert wird. Strafvereitelung läge
allerdings vor, wenn die Unterkunft als Versteck gerade aus Solidarität mit dem Täter zur Verfügung gestellt wird (OLG Stuttgart
-NJW 81, S. 1569).
Die bloße Unterkunftsgewährung
ohne „Solidarisierung“ ist nicht
strafbar. Andernfalls würde man
ein Gebot zur aktiven Mitwirkung
bei der behördlichen Fahndung
konstruieren. Dies ist jedoch der
deutschen Strafrechtsordnung
unbekannt.
Kirchenasyl kann als Beihilfehandlung im Sinne psychischer Unterstützung interpretiert werden. Ist
es allerdings gerade darauf gerichtet, die Legalisierung des Aufenthaltes zu erreichen, zielt es
eben nicht auf die Förderung der
Haupttat „unerlaubter Aufenthalt“.
Vielmehr soll diese Straftat gerade beendet werden durch das
Kirchenasyl. Daher ist nach meiner Auffassung das Handeln eines Helfers, der einem Flüchtling
bei dem Kirchenasyl Unterstützung gewährt, jedenfalls dann
nicht als vorsätzlich anzusehen,
wenn dies nicht „heimlich“ geschieht, sondern offen (auch gegenüber der Ausländerbehörde)
in der Absicht unternommen
wird, nur ein vorläufiges Bleiberecht zu sichern, bis über einen
Asylfolgeantrag erneut entschieden wird oder Mängel früherer
Verfahren nochmals überprüft
werden konnten.
Diskutiert wird die Strafbarkeit
insbesondere bei Kirchenasyl unter dem Aspekt der „Sozialadäquanz“ des Handelns: Ist ein bestimmtes Verhalten als sozialadäquat anzusehen, ist bereits der
strafrechtliche Tatbestand ausgeschlossen. Umstritten ist jedoch,
ob die Gewährung von Kirchenasyl bereits als sozialadäquates
Handeln gesellschaftlich allgemein akzeptiert ist.
Im Bereich des Kirchenasyls ist eine Anstiftungshandlung in der
Weise vorstellbar, daß ein Ausländer, der grundsätzlich ausreisewillig ist, durch ein Inaussichtstellen von Kirchenasyl motiviert
wird, einen längeren unerlaubten
Aufenthalt in Deutschland zu erhalten.
Ferner wäre es eine Anstiftungshandlung, dazu zu raten, eine
Aufenthaltsgenehmigung durch
falsche Angaben zu erschleichen
oder von einer derart erschlichenen Genehmigung Gebrauch zu
machen (z.B. durch falsche Identitätsangaben).
3.)
a)
Im Rahmen des Ausländergesetzes sind die §§ 92 und 92 a zu
beachten. Nach diesen Vorschriften kann sich als Gehilfe strafbar
machen, wer einen Aufenthalt
ohne Paß oder Ausweisersatz ermöglicht, wer zu unerlaubter Einreise verhilft oder zu einer Wiedereinreise nach erfolgter Abschiebung (§ 92 Abs. 2 AuslG),
oder wer bei der Beschaffung gefälschter Urkunden (Aufenthaltsgenehmigung) mithilft.
Bringt ein Flüchtlingshelfer einen
Ausländer über die Grenze ins
Ausland, weil der Ausländer sich
bereits zuvor wegen illegalen
Aufenthaltes in Deutschland
strafbar gemacht hat, hängt die
Strafbarkeit des Helfers vom
Schutzzweck des § 258 StGB ab:
geschütztes Rechtsgut ist die
staatliche Rechtspflege. Ihr wird
der Auftrag zugerechnet, den
staatlichen Strafanspruch sobald
wie möglich zu verwirklichen
(Generalprävention). Entzieht der
Helfer dadurch, daß er den Ausländer über die Grenze bringt,
diesen der deutschen Strafverfolgung, macht er sich selbst strafbar, auch wenn die strafbare Tat
(illegaler Aufenthalt) durch die
Handlung beendet wird.
Zu beachten ist, daß nach der
herrschenden Meinung in der älteren Rechtsprechung nicht jede
Handlung, die zu einer Verzögerung von Strafverfolgung führt,
bereits Strafvereitelung darstellt.
Gefordert wird in der Rechtsprechung vielmehr, daß die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs „für geraume Zeit“ verhindert wird. Eine Verzögerung
für einen Zeitraum von sechs bis
acht Tagen hat jedenfalls in der
älteren Rechtsprechung den Tatbestand der Strafvereitelung
nicht erfüllt.
b)
Die Formulierung in § 92 a AuslG
„dafür einen Vermögensvorteil
erhält oder sich versprechen läßt“
meint nicht die Entlohnung eines
angestellten Flüchtlingshelfers.
Das Gehalt wird nicht für die Teilnahme an der Straftat gezahlt.
7
ASYLPOLITIK
Gemeint ist vielmehr ein besonderer Vermögensvorteil im Sinne
eines „gewerbsmäßigen“ Handelns“.
Ferner ist in § 92 a AuslG zu beachten, daß das Tatbestandmerkmal eines Handels „zugunsten
von mehr als fünf Ausländern“
bereits erfüllt ist, wenn eine mittelgroße Familie unterstützt wird.
Eine weitere Besonderheit des §
92 a AuslG liegt darin, daß bereits der Versuch einer Straftat in
diesem Bereich selbst strafbar ist
(§ 92 a Abs. 3 AuslG). Damit begründet das Ausländergesetz eine Strafverschärfung, da im allgemeinen Strafrecht versuchte
Beihilfe oder Anstiftung nicht
strafbar ist.
Eine versuchte Straftat in diesem
Sinne könnte vorliegen, wenn der
Helfer noch versucht, eine Unterkunftsmöglichkeit zu beschaffen,
um den Ausländer dem Zugriff
der Polizei zu entziehen und der
Ausländer während dessen bereits verhaftet wird.
c)
Bei Verleitung zur mißbräuchlichen Asylantragstellung gemäß §
84, § 84 a AslyVfG besteht die
gleiche tatbestandliche Struktur
wie bei § 92 a AuslG:
Als Hilfeleisten kommt in Betracht die Vorbereitung oder die
Beschaffung falscher Behauptungen, Beweismittel oder Unterlagen oder die Zusicherung späterer Hilfen für den Fall eines
Mißerfolgs im Asylverfahren. Dabei kann auch das Abfassung von
Schriftsätzen eine Unterstützungshandlung zur mißbräuchlichen Asylantragstellung darstellen.
Es kommt nicht darauf an, daß
das Ziel einer asylrechtlichen Anerkennung erreicht wird. Die unzutreffenden Angaben brauchen
auch nicht dazu geeignet zu sein.
Es ist auch unerheblich, ob dem
Betroffenen auch aus anderen
Gründen ein Asylrecht zusteht.
Auch wer uneigennützig oder
aus Mitleid oder aufgrund humanitären Pflichtbewußtseins handelt, kann sich strafbar machen.
Erforderlich ist allerdings vorsätzliches Handeln. Dabei muß der
8
Vorsatz Kenntnis von der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der
Angaben umfassen und es muß
die Absicht vorliegen, die Asyloder Flüchtlingsanerkennung zu
bezwecken. Bereits der Versuch
eines Verleitens zur Antragstellung oder eines Unterstützens ist
strafbar. Nicht entscheidend ist,
ob der Täter dann später im Verfahren die ihm angesonnene Täuschungshandlung auch tatsächlich begeht.
d)
Wer sich nach § 92 a oder § 92 b
AuslG strafbar macht, haftet
gemäß § 82 Abs. 4 S. 2 AuslG
auch für die Kosten der Abschiebung oder Zurückschiebung des
Ausländers, und zwar sogar vor
dem Ausländer selbst. D.h. die
Pflicht, die Kosten der Abschiebung zu tragen, trifft den Flüchtlingshelfer/die Flüchtlingshelferin
persönlich. Sie kann auch nicht
beispielsweise auf den Arbeitgeber oder die Hilfsorganisation
„abgewälzt“ werden.
4.)
Auskunftsverweigerungsrechte
und Auskunftspflichten bestehen
gegenüber Polizei und Strafverfolgungsbehörden in eingeschränktem Umfang.
Gemäß § 55 StPO kann jeder
Zeuge (d.h. auch ein Flüchtlingshelfer) die Auskunft auf solche
Fragen verweigern, deren Beantwortung ihn selbst in die Gefahr
bringen würde, wegen einer
Straftat oder Ordnungswidrigkeit
verfolgt zu werden.
Andererseits kann, wenn eine Polizei- oder Strafverfolgungsbehörde Ermittlungen zum Aufenthalt
eines gesuchten Ausländers anstellt, die Verweigerung von Auskünften tatbestandsmäßig eine
Strafvereitelung gemäß § 258
StGB sein. Zur Aussage verpflichtet ist man allerdings nicht bereits vor der Polizei, sondern erst
vor dem Richter oder dem Staatsanwalt (§ 163 a Abs. 2 StPO). Die
Falschaussage vor einem Richter
ist nach § 153 StGB strafbar.
Flüchtlingsberater gehören auch
dann, wenn sie professionell z.B.
als Sozialarbeiter tätig sind, nicht
zum geschützten Personenkreis
des § 53 StPO, d.h. sie können
nicht wie etwa Ärzte, Pfarrer
oder Rechtsanwälte Zeugnisverweigerungsrechte aus beruflichen
Gründen geltend machen.
5.)
Letztlich sei noch ein Hinweis auf
§ 8 Rechtsberatungsgesetz angefügt:
Ordnungswidrig handelt, wer
fremde Rechtsangelegenheiten
„geschäftsmäßig“ besorgt, ohne
die erforderliche Erlaubnis zu besitzen (§ 8 Ziff. 1 Rechtsberatungsgesetz). Dies gilt beispielsweise für den Fall, daß von einem
Flüchtlingshelfer häufiger Klagen
formuliert und bei Gericht eingereicht oder Widersprüche an
Behörden gerichtet werden. Das
regelmäßige Aufsetzen von Klageschriften, Anträgen auf vorläufigen Rechtsschutz oder Widersprüchen mit Begründungen erfüllt den Tatbestand, sofern erkennbar ist, daß stets die gleiche
Person die entsprechenden
Schriftstücke ausgefertigt hat.
Problematisch ist in diesen Fällen
regelmäßig, ob die Beratung „geschäftsmäßig“ erfolgt. Hiermit ist
allerdings nicht gemeint, daß für
die Beratung oder die Tätigkeit
Geld gezahlt wird. Entscheidend
ist vielmehr, daß die Tätigkeit in
„professioneller Weise“ häufiger
ausgeführt wird.
III.
Als Ergebnis der vorstehenden
Erörterungen bleibt festzuhalten,
daß Hilfen auch für Ausländer,
die statuslos oder „ohne Papiere“
oder „illegalisiert“ sich in
Deutschland aufhalten, zulässig
sind. Flüchtlingshelfer -sollten
sich bewußt sein, daß ein Risiko
besteht, sich strafbar zu machen
insbesondere dann, wenn staatliche Verfolgungsbehörden (Polizei, Ausländerbehörde, Staatsanwalt) absichtlich getäuscht oder
in ihrer Arbeit behindert werden.
In anderer Konstellation mag
zwar der strafrechtliche Tatbestand (insbesondere Begünstigung oder Strafvereitelung) erfüllt sein. Letztlich wird jedoch in
jedem Einzelfall unter Beachtung
des Verhältnismäßigkeitsprinzips
zu entscheiden sein, ob das Verhalten auch rechtswidrig und
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
ASYLPOLITIK
schuldhaft war.
Aufgrund des bisher vorliegenden
empirischen Materials erscheint es
nicht angezeigt, aus Furcht vor
Bestrafung Handlungen, die man
aus ethischen Gründen für erforderlich hält, um Flüchtlinge zu
schützen, zu unterlassen. Zwar
besteht das Risiko, sich strafbar zu
machen, dem Grunde nach. Bisher sind jedoch die „Filter“ von
Staatsanwaltschaft und Gericht in
aller Regel so geartet gewesen,
daß es nicht zu strafrechtlichen
Verurteilungen im wesentlichen
Umfang gekommen ist.
Zur vertiefenden Lektüre sei auf
folgende Publikationen hingewiesen:
Pollern, Hans-Ingo: Das spezielle
Strafrecht für Ausländer, Asylbewerber und EU-Ausländer im Ausländergesetz, Asylverfahrensgesetz und EWG-Aufenthaltsgesetz Zeitschrift für Ausländerrecht
1996, S. 175 ff.
Robbers, Gerhard: Wann Sozialarbeit mit Ausländern ohne legalen
Aufenthaltsstatus strafbar sein
kann -Beihefte in der Zeitschrift
für Caritasarbeit und Caritaswis-
senschaft
-November 1995, S. 41 ff (dort
auch viele realitätsnahe Beispiele
aus der Praxis)
Flüchtlingsrat Niedersachsen Rundbrief 31/32 - Sonderheft:
Heimliche Menschen - illegalisierte
Flüchtlinge (1996)
Lange, Matthias: illegalisierte
Flüchtlinge -Bürgerrechte für
Schutzlose? In: Flüchtlingsrat Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in
Niedersachsen, Heft 42/43 Mai/Juni 1997, S. 4 ff
Alltäglicher Rassismus
Kai Weber
Als “Eilsache” verfolgt das Polizeikommissariat Alfeld gegenwärtig die Freveltat eines kurdischen Flüchtlings, der sich nach getaner Arbeit als Reinigungskraft für Bushaltestellen ohne die für Ausländer in diesem Land angemessene Körperhaltung (Beine sittsam übereinandergeschlagen, Kopf gesenkt) auf einem
der Sitze ausruhte. Der Tatvorwurf lautet auf “Belästigung der Allgemeinheit durch das Abstellen der Füße
auf einer Bank” ( § 118 Ordnungswidrigkeitengesetz). Dem Bericht des Polizeikommmissars Gerhardts
über die Aufklärung des Verbrechens vom 7.5.1998 läßt sich der folgende Tathergang entnehmen:
“POM Dietterle und ich befuhren am 07.05.98 gegen 11.30 Uhr mit einem zivilen Funkstreifenwagen die
Untere Dorfstraße in Petze. In Höhe einer Bushaltestelle wurde ich auf eine Person aufmerksam, die mit
Reinigungsarbeiten im Bereich der Wartehalle beschäftigt war. Ich fuhr in geringer Geschwindigkeit an
dem Wartehaus vorbei. Auf gleicher Höhe erkannten wir zwei weitere Personen, die sich in dem Wartehaus aufhielten.
(...) Die zweite Person ... saß auf der Wartebank, wobei er auf der Lehne saß und seine Füße auf die Sitzfläche gestellt hatte. Ich hielt den Streifenwagen sofort an. ... Die Person, die auf der Bank saß, forderte
ich auf, die Füße von der Sitzfläche zu nehmen. Da durch diese Art des Benutzens einer Bank die Sitzfläche
verschmutzt wurde, forderte ich den ... auf, die Bank zu reinigen. Dieses tat er widerwillig.
Da es sich ... offensichtlich um Ausländer handelte und die Personen Ordnungswidrigkeiten begangen hatten, wollte ich die Personalien feststellen, insbesondere auch in Hinblick auf die Feststellung des ausländerrechtlichen Status. ... Die Person ... verweigerte die Personalienangabe. Er wurde zum Zwecke der Identitätsfeststellung zur Gemeindeverwaltung Sibbesse, Ordnungsamt, verbracht. Hier konnten die Personalien festgestellt werden.
Ich eröffnete dem ..., daß ich gegen sie eine Ordnungswidrigkeitenanzeige wegen Personalienverweigerung und Belästigung der Allgemeinheit fertigen werde. Dem ... bot ich für sein Fehlverhalten, Belästigung
der Allgemeinheit durch das Abstellen von verschmutzten Schuhen auf einer Banksitzfläche, ein Verwarngeld von 40,— DM an. Dieses Verwarngeld konnte er nicht bezahlen.”
Es ist beeindruckend, mit welcher Konsequenz Polizeikommissar Gerhardts dem Rechtsbrecher hier nicht
nur die Toleranzgrenzen des demokratischen Rechtsstaats aufzeigt, sondern auch der Untat die Sühne folgen läßt. Die Strafe folgt auf dem Fuße! So lernt der Kurde, wenn auch widerwillig, wie man richtig sauber macht, und darf für diese Lehrstunde in gutem Benehmen auch gleich bezahlen. Den Verdienst von
20-stündiger Zwangsarbeit als Reinigungskraft von Bushaltestellen (2,- DM Aufwandsentschädigung) wird
er schon abdrücken müssen, ob es ihm paßt oder nicht. Das wird ihm hoffentlich eine Lehre sein...
9
ASYLPOLITIK
Strafbarkeit
von
Zufluchtgewährung
und
Zufluchtvermittlung
Keine Panik*
§ 92 Strafvorschriften (AuslG)
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe
wird bestraft, wer
1. entgegen § 3 Abs. 1 Satz 1
sich ohne Aufenthaltsgenehmigung im Bundesgebiet aufhält
und keine Duldung nach § 55
Abs. 1 besitzt,
2. (...)
Zunächst: keine Panik! In der
Praxis hatten die folgenden Darstellungen bislang eher geringe
Relevanz.
Das “Standarddelikt”:
§§ 92 AuslG, 27 oder 26 StGB
Wenn ihr Illegalen Zuflucht gewährt, macht ihr euch in jedem
Fall aufgrund der Beteiligung an
einem Verstoß gegen die Strafvorschriften des Ausländergesetzes (AuslG) gemäß § 92 Abs. 1
Nr.1 AuslG i.Vm. §§ 26 oder 27
StGB strafbar.
Konkret müssen hierfür 3 Voraussetzungen erfüllt sein:
1 Die/der MigrantIn muß “illegal”
sein.
D.h. er/sie muß sich gemäß § 92
*) Dieser Text lag beim Göttinger Arbeitstreffen
von kmii als Faltblatt vor
auch: http://www.contrast.org/borders
10
Abs. 1 Nr.1 AuslG strafbar machen. Dort heißt es:
Illegal bedeutet demnach:
* Es fehlt an einer der in § 5 AuslG aufgezählten Aufenthaltsgenehmigungen (Aufenthalts-erlaubnis, -berechtigung, -bewilligung, -be-fugnis).
Unerheblich ist, ob ein Anspruch
auf eine Aufenthaltsgenehmigung besteht.
§ 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG ist dagegen nicht einschlägig, wenn das
Visum oder die Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen ist, aber
die Ausländerbehörde noch über
eine Erteilung oder Verlängerung
entscheidet (§ 69 Abs. 3 AuslG).
* Es fehlt an einem Anspruch auf
Aufenthaltsgestattung als Asylbewerber (§ 55 AsylVfG).
Es fehlt an einer Duldung (§ 55
Abs. 1 AuslG), d.h. an einem Abschiebungshindernis.
2
Ihr müßt dazu Hilfe leisten.
EinE DeutscheR kann sich nach §
92 AuslG nicht selbst, sondern
nur in Form der Beihilfe (§ 27
StGB) oder der Anstiftung (§ 26
StGB) strafbar machen.
§ 27 Beihilfe (StGB)
(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer
vorsätzlich einem Anderen zu
dessen vorsätzlich begangener
rechtswidrigen Tat Hilfe geleistet
hat.
(2) (...)
Durch das Beherbergen von Illegalen ist das geforderte Hilfeleisten auf jeden Fall gegeben. Es
reicht aber auch die Vermittlung
einer Unterkunft u.ä. mehr Beispiele??
1 Ihr müßt hinsichtlich 1 & 2
Vorsatz haben.
Strafbar macht sich nur, wer von
der Illegalität der Migrantin/ des
Migranten weiß und trotzdem
wissentlich und willentlich Zuflucht gewährt.
Vorsatz ist möglicherweise dort
ausgeschlossen, wo Zuflucht mit
dem Ziel der Legalisierung des
Aufenthalts gewährt wird.
Strafe: Der angegebene Strafrahmen (bis zu 1 Jahr oder Geldstrafe) ist beim Gehilfen/ bei der Gehilfin zu mildern auf höchstens 9
Monate Freiheitsstrafe oder Geldstrafe (§§ 27 Abs. 2 Satz 2 i.V.m.
49 Abs. 1 Nr. 2 StGB).
Andere Verstöße und verschärfte
Strafen gemäß §§ 92 AuslG, 27
StGB
* Auch aufgrund der anderen in
§ 92 Abs. 1 Nr. 2-7 AuslG aufgeführten Tatbestände ist eine
Strafbarkeit als GehilfIn (oder AnstifterIn) entsprechend der obigen Voraussetzungen möglich
(v.a. Beihilfe zur unerlaubten Einreise, §§ 92 Abs. 1 Nr. 6 i.V.m.
58 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 AuslG, §
27 StGB). Der Strafrahmen bleibt
derselbe.
* Beherbergt ihr eineN Illegalen,
der/die zuvor ausgewiesen oder
abgeschoben worden ist (siehe §
8 Abs. 2 Satz 1 AuslG), oder helft
einen solchen Menschen bei der
erneuten Einreise, erhöht sich die
Strafandrohung auf maximal 2
Jahre, 3 Monate Freiheitsstrafe
oder Geldstrafe (§ 92 Abs. 2 Nr.
1 a) bzw. b) AuslG, §§ 27 i.Vm.
49 Abs. 1 Nr. 2 StGB).
Die sog.
“Schlepperparagraphen”:
§ 258 Strafvereitelung
(1) Wer absichtlich oder wissentlich ganz oder zum Teil vereitelt,
daß ein anderer dem Strafgesetz
gemäß wegen einer rechtswidrigen Tat bestraft oder einer Maßnahme (§ 11 Abs. 1 Nr.8) unterworfen wird, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit
Geldstrafe bestraft.
(2) [...] (6) [...]
§ 92a AuslG
Mit dem sog. “Verbrechungsbekämpfungsgesetz” von 1994
sind die §§ 92a und 92b in das
Ausländergesetz eingefügt worden. Sie sollen gegen den in der
Öffentlichkeit und der politischen
Debatte entwickelten Verbrechertypus des “Schleppers” vorgehen.
Dieses können auch Menschen,
wie du und ich sein.
§ 92 a Einschleusen von Ausländern
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf
Jahren oder mit Geldstrafe wird
bestraft, wer einen anderen zu
einer der in § 92 Abs. 1 Nr.1, 2
oder 6 oder Abs. 2 bezeichneten
Handlungen anstiftet oder ihm
dazu Hilfe leistet und
1. [...]
2. wiederholt oder zugunsten
von [mehr als fünf] Ausländern
handelt.
(2) Mit Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 10 Jahren wird be-
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ASYLPOLITIK
straft, wer in den Fällen des Absatzes 1
1. [...]
2. als Mitglied einer Bande, die
sich zur fortgesetzten Begehung
solcher Taten verbunden hat,
handelt.
Die erhöhte Strafandrohung in
Absatz 1 greift also ein, wenn
das obige “Standarddelikt” zum
zweiten Mal (“wiederholt”) begangen wird. Dabei muß das erste Mal nicht verfolgt worden
sein. Anstelle “mehr als fünf”
wird nach der kommenden Ausländergesetzänderung “mehreren” stehen, sodaß die Zufluchtsgewährung oder -vermittlung zugunsten von 2 Ausländern (z.B.
Mutter mit Kind) für das erhöhte
Strafmaß in Zukunft ausreicht.
Eine Bande im Sinne des Absatzes 2 ist eine auf ausdrücklicher
oder stillschweigender Vereinbarung beruhende und für eine gewisse Dauer vorgesehene Verbindung einer Mehrzahl von Personen (2 reichen).
Geld,
sowie andere praktische Hilfen
und Tips.
...nicht: Erste-Hilfe-leisten, ärztliche Hilfe, regelmäßige Abgabe
von Essen und Kleidung durch
Kirchen. Es wird vertreten, daß
Kirchenasyl als sozialadäquates
Verhalten nicht unter § 258 StGB
fällt.
Eine Begünstigung, § 257 StGB,
kann nicht begehen, wer an der
Haupttat (hier: dem illegalen Aufenthalt) beteiligt ist.
Strafvereitelung und Begünstigung,
§ 258, 257 StGB
Neben der Strafbarkeit nach einem der vorgenannten Tatbestände, kommt v.a.
die Strafvereitelung, §§ 258 StGB
i.V.m. 92 AuslG in Betracht:
Zur Vereitelung gehören...
... die Unterkunftgewährung zugunsten von StraftäterInnen
(hier:
Illegalisierten) jedenfalls dann,
wenn dieses “aus Solidarität” geschieht.
Ausgenommen ist allerdings
wohl (a) das (Kirchen-)Asyl mit
dem Ziel der Legalisierung des
Aufenthalts, (b) eine geringe Verzögerung der Ausreise um etwa
6-8 Tage.
... falsche Angaben gegenüber
Strafverfolgunsbehörden (Polizei
etc.)
und
deren Behinderung.
... Auskunftsverweigerung vor
dem Richter oder Staatsanwalt,
soweit mensch sich durch die
Auskunft nicht selbst belasten
würde (§ 55 StPO). Arzt, Pfarrerin, RechtsanwältInnen haben
Zeugnisverweigerungsrecht (§ 53
StPO).
...Fluchthilfe durch Aushändigen
gefälschter Ausweispapiere oder
11
ASYLPOLITIK
Die Karawane zieht weiter?
Gedanken zur Zukunft der Flüchtlingsarbeit in Niedersachsen
Das vergangene Jahr, die vergangenen Monate haben die politischen Rahmenbedingungen für
den Flüchtlingsrat Niedersachsen
nachhaltig verändert.
In der offiziellen Landespolitik stehen in Folge der Landtagswahl alle Signale auf rot:
Die Ausländerkommission hat die
SPD gegen die interessierte und
engagierte Hannoversche Abgeordnete Leuschner mit dem Abgeordneten Bachmann - zugleich
Bezirksgeschäftsführer der AWO besetzen lassen, dessen bislang
erkennbare Qualifikation dafür
wohl zuvörderst in seiner Braunschweiger Herkunft liegt.
Konsequenterweise ist selbst die
Diskussion der über die Auslän-
Kein Mensch ist illegal
Bundestreffen vom 16.-18.1.98 in Göttingen
Protokollnotizen aus der Mailingliste der Kampagne
Protokoll zur AG: Inhaltliche Diskussion (Strategien etc.)
Anwesend waren VertreterInnen
aus Köln, Hamburg, Bochum,
Bremen, Berlin, Frankfurt, Karlsruhe, Bielefeld, Hanau, Kassel,
Oldenburg, Göttingen.
Die AG stand von vornherein im
Zeichen einer Debatte, die im
2.Rundbrief nachzulesen ist. Die
Berliner ARI kritisierte im wesentlichen das Fehlen politischer Forderungen im Aufruf und der
“Kampagne”, was diese z.B. vereinnehmbar mache. Hierauf reagierten verschiedene Gruppen
aus anderen Städten. Zu nennen
ist etwa die Münchener Gruppe,
die gerade die Stärke des Aufrufs
in seiner Offenheit sah und den
Aspekt der “Legalisierung von
unten” hervorhob. Aus Köln gab
12
derkommission eingefordertern
Härtefallkommission gestrichen.
Der finanzielle Druck ist hoch und
droht mit Sparmaßnahmen und
dem nächsten Haushalt die Existenz des Flüchtlingsrats zu gefährden.
übergreifenden Service-Funktion
des Flüchtlingsrats mit Datenbank
und Infonetz ist an inneren Widersprüchen zunächst gescheitert.
Die Konsolidierung der Zusammenarbeit mit den tradierten gesellschaftlichen Großorganisationen über landesweite Projekte wie
“Verfolgte Frauen schützen!” hat
nicht den erhofften Erfolg gehabt.
Hingegen haben sich weitgehend
außerhalb des Flüchtlingsrats im
Zuge der Initiative “kein mensch
ist illegal” die Organisations- und
Kommunikationsstrukturen heftig
verändert, - mehr als genug Gründe für die Tagung des Flüchtlingsrats (siehe gesonderte Einladung)
zur Zukunft der flüchtlingspolitischen Arbeit in Niedersachsen.
Der faktische Isolationismus der
Hannoverschen Organisationen
und der schmale Aktivkreis des
Flüchtlingsrats machen die Situation nicht besser.
Im Folgenden werden einige
Beiträge von und über “kein
mensch ist illegal” gezeigt; - ein
schwacher Ersatz für die Teilnahme an der mailing-Liste. Red.
Der Ausbau der organisations-
es Anregungen, andere gesellschaftliche Gruppen, z.B. die Gewerkschaften, stärker einzubeziehen.
Theorie vs. Praxis?
Nun sollte der erste Teil der AG
eine Klärung bringen. Aus der
vielschichtigen Diskussion ergab
sich, daß die vorgebrachten
Standpunkte einander nicht notwendigerweise ausschlossen. Eine
“Politik des guten Willens” wurde
zwar angesichts der tatsächlichen
Machtverhältnisse und Interessenlagen als inadäquat gesehen.
Eine Legalisierung von unten in
Form breit angelegter praktischer
Unterstützung könne solche
Strukturen aber gerade sichtbar
machen.
Flexibel und vernetzt
Ein flexibler Umgang wurde einem statischen Verständnis, was
zutun oder zu lassen sei, vorgezogen. Dies ergab sich schon aus
der Tatsache, daß (1) der Organisationsgrad der Gruppen sehr
unterschiedlich ist, (2) unterschiedliche Voraussetzungen in
(z.B. großen und kleinen) Städten
bestehen, (3) der Kreis der von Illegalisierung Betroffenen variiert
(Herkunft, Organisationsgrad...).
Demnach stützten sich politische
Forderungen auf die konkrete Lage vor Ort. Sinn mache dann eine regionale Vernetzung für die
Unterstützung solcher Forderungen.
Mehr Leute!
Überlegungen zur Ausweitung
der Aktion wurden unter dem
Slogan “Politik des OHNE” (ohne
Papiere, ohne Obdach, ohne Arbeit, ohne...) formuliert. Wünschenswert wäre es die soziale
Basis einer Bewegung auf Arbeitslose, Obdachlose etc. zu erweitern. Es müßten auch Formen
gefunden werden, interessierte
Individuen einzubinden.
Perspektiven
Das Reden über Perspektiven fiel
im zweiten Teil der AG schwer.
Hier kann nach oben verwiesen
werden. Hoffnungen wurden allgemein in die Karawane und eine
größere Vernetzung gesetzt.
(...)
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
ASYLPOLITIK
Am 15. August wird in Bremen
eine vom Internationalen Menschenrechtsverein Bremen (IMRV)
initiierte Karawane für die Rechte
von Flüchtlingen und MigrantInnen starten. Sie wird über einen
Zeitraum von mehreren Wochen
hinweg durch knapp 30 Städte
ziehen und dabei die verschiedenen Aspekte des Rassismus in
dieser Gesellschaft zum Thema
machen. Die Karawane ist eine
Reaktion auf die Tatsache, daß
die Angriffe des deutschen Staates auf Flüchtlinge und MigrantInnen von Jahr zu Jahr an Schärfe zunehmen, während die Gegenmobilisierung weitgehend zusammengebrochen ist. Eine weitere Eskalation der Situation im
Wahljahr 1998 ist angesichts der
Debatten um “Innere Sicherheit”,
das “New Yorker Modell”, “zero
tolerance” etc., die die rassistische law-and-order Propaganda
1997 auf ein neues Niveau gehoben hatten, vorprogrammiert. Die
Vorwahlzeit dient als strategisch
günstiger Zeitpunkt, um mit der
Karawane die Lähmung zu überwinden, die vorhandenen Kräfte
zu bündeln und damit zu beginnen, der aggressiven Politik (wieder) offensiv gegenüber zu treten. Darüberhinaus ist es das erklärte Ziel, mit Hilfe der Karawane ein funktionsfähiges Netzwerk
unterschiedlichster Gruppen zu
etablieren, das auch über das
Jahr 1998 hinaus handlungsfähig
bleiben und so zur Basis weiterer
Aktivitäten im Sinne der so dringend benötigten Opposition von
unten werden könnte.
Mittlerweile sind diverse überregionale Koordinations- und Planungstreffen für die Karawane
abgehalten worden, in mehr als
einem Dutzend Städte haben
Veranstaltungen mit VertreterInnen aus Bremen stattgefunden,
um das Projekt vorzustellen. In
über 20 Städten sind lokale Vorbereitungskomitees aktiv. Ein
zentrales Ergebnis ist der Kreis an
Organisationen, Gruppen und
Einzelpersonen, den das Projekt
bislang zusammengeführt hat,
und die nun über die lokalen
Vorbereitungskomitees, die bundesweiten Treffen bzw. die Bremer Koordinationsgruppe miteinander in Kontakt stehen. Die Zusammensetzung aus überregional
organisierten MigrantInnenorga-
nisationen und lokal verankerten
Flüchtlingsgruppen, Einrichtungen und Vereinen, sowie den der
Kampagne “Kein Mensch ist illegal” angeschlossenen antirassistischen Gruppen und Organisationen ist ohne Beispiel in den letzten Jahren und stellt an sich bereits einen ersten großen Erfolg
dar. Sie ist zudem ganz im Sinne
der InitiatorInnen, die eine von
Flüchtlingen und MigrantInnen
organisierte und getragene Karawane für Flüchtlinge und MigrantInnen - unter fester und aktiver
Einbindung der deutschen antirassistischen Linken - wollten.
Die Geschichte des IMRV ist eng
verknüpft mit zahlreichen Kampagnen, Hungerstreiks, Demonstrationen und Aktionen, die in
den letzten Jahren in Bremen
stattgefunden haben. Ihr Ziel war
stets, Abschiebungen zu verhindern, die Anerkennung von
Flüchtlingen als Asylberechtigte
zu erzwingen oder die Lebensbedingungen in Flüchtlingsunterkünften zu verbessern. Zentrales
Moment der Aktivitäten war, daß
es sich nicht um stellvertretende
Humanitätsbekundungen wohlmeinender Deutscher für die Notleidenden dieser Welt gehandelt
hat, sondern um von Flüchtlingen selbst getragene Aktivitäten,
die entweder alleine entwickelt
und mit Unterstützung “weißer”
antirassistischer Gruppen durchgeführt oder aber gemeinsam
geplant und umgesetzt wurden.
Unbestrittener Höhepunkt waren
zwei im Wortsinne internationalistische Flüchtlingsdemonstrationen im Jahr 1995, die im Gefolge
einer von der tamilischen Community organisierten Mahnwache
gegen Abschiebungen nach Sri
Lanka und dreier Kampagnen für
die Verbesserung der Lebensbedingungen in Flüchtlingsunterkünften entstanden. Die Gründung des IMRV war der Versuch,
die Erfahrungen der Bremer Auseinandersetzungen zusammenzufassen, die AktivistInnen der
Flüchtlingskämpfe gemeinsam zu
organisieren und den verschiedenen Flüchtlingsgruppen eine politische Heimat zu bieten. Ziel war
es somit, über die Kontinuität der
Organisation IMRV eine Art “kollektives Gedächtnis” für die politischen Inhalte, Aktionsformen, Erfolge und Mißerfolge in den ver-
Die Karawane für die
Rechte von Flüchtlingen
und MigrantInnen
Eine Bestandsaufnahme
ARAB*
gangenen, gegenwärtigen und
zukünftigen Konflikten und
Kämpfen aufzubauen und zur
Verfügung zu stellen.
Das vom IMRV verfolgte Konzept
ist von Anfang an zweigleisig gewesen: Zum einen sollen die Verhältnisse in Deutschland und Europa, d.h. die konkreten Erfahrungen, die Flüchtlinge und MigrantInnen mit den verschiedenen Aspekten des Rassismus in
der Metropole machen, aufgegriffen werden. Zweitens geht es
darum, einen Bezug herzustellen
zwischen der Politik der europäischen Regierungen und den desolaten bzw. oft mörderischen
Verhältnissen in den Herkunftsländern. Den Ausgangspunkt für
diesen Ansatz bietet die Überlegung, daß die Anliegen der
Flüchtlinge im allgemeinen “doppelter Natur” sind. Neben dem
Rassismus, mit dem sie in
Deutschland konfrontiert sind,
“ist ihnen das Schicksal der
Zurückgelassenen sehr wichtig”.
Der IMRV betont daher stets die
Verantwortung der wirtschaftlichen und politischen Eliten in
Deutschland bzw. Europa dafür,
daß diktatorische und terroristische Regime in aller Welt am Ruder sind.
Das Karawane-Projekt ist Ausdruck der Überzeugung, daß es
nicht die richtige Antwort sein
kann, angesichts der gegenwärtigen Umstände zu kapitulieren
* Eine Bestandsaufnahme des ARAB, als Teil des Bremer Vorbereitungsbüros vom 25.5.98,
Internationaler Menschenrechtsverein Bremen
Kornstr. 51, 28201 Bremen
Tel. 0421/55 77 093, Fax 0421/55 77 094
e-mail: [email protected], http://www.humanrights.de
13
ASYLPOLITIK
oder sich gar in ihnen einzurichten. Wir wollen und müssen im
Gegenteil Strukturen aufbauen,
die der law-and-order Politik längerfristig etwas entgegensetzen
können, uns also die Möglichkeit
geben, die Lage nicht nur zu
analysieren, sondern auch praktisch und wirksam zu intervenieren. Die Karawane stellt die bislang einmalige Chance dar, damit
zu beginnen - und diese Chance
muß ergriffen werden. Die Idee
dabei war nie, daß Bremen einen
Treck mit großer Beteiligung auf
die Beine stellt (im Sinne einer
Wahlkampftour mit allem knowhow inklusive), der in den Städten von einigen Personen empfangen wird und dann auf dem
örtlichen Marktplatz seine Standard-Show abzieht. Die Karawane besteht vielmehr aus den
Beiträgen jeder einzelnen
Stadt/Gruppe/Person und soll Anlaß sein, lokal und überregional
neue Kontakte zu knüpfen und
bestehende zu festigen. Es ist
entscheidend, daß sich möglichst
viele Menschen an ihrer Planung
und Durchführung beteiligen.
Das wird mit Hilfe lokaler Vorbereitungsgruppen, die sämtliche
vor Ort anfallenden Organisationsarbeiten übernehmen, bewerkstelligt. Die Karawane wird
in Hinblick auf ihre thematische
Breite und Qualität genau das leisten können, was in den einzelnen Städten von den Vorbereitungsgruppen organisiert wird.
Drei zentrale Gedanken legen dabei den inhaltlichen Rahmen des
Projekts fest. Einmal geht es darum, den Rassismus in Deutschland in all seinen Dimensionen
auf- und anzugreifen. Im ersten
vom IMRV herausgegebenen
Flugblatt zur Karawane heißt es
dazu unter anderem: “Völlig unabhängig vom Wahlausgang
steht schon jetzt fest, daß man
unsere Rechte weiter beschneiden wird, daß man weiterhin
Zehntausende deportieren wird,
und daß unter noch viel mehr
Menschen ein derartiges Ausmaß
von Angst und Schrecken verbreitet werden wird, daß sie
Deutschland “freiwillig” verlassen
werden. (...) Doch wir werden
uns wehren! Wir rufen alle
Flüchtlinge und MigrantInnen,
egal aus welchen Staaten und
Teilen Deutschlands Ihr kommt,
14
auf: Setzt Euch mit uns in Verbindung und bringt Eure Ideen und
Vorschläge ein.”
Das zweite Ziel ist es, der nationalistischen “Standort Deutschland”-Politik eine offensive internationale Position entgegenzusetzen. Die Karawane soll dazu beitragen, einen erneuerten Internationalismus hervorzubringen, der
die mörderischen Effekte der
Weltwirtschaftsordnung aggressiv
angeht, anstatt sich mit dem
“Sieg” des Kapitalismus abzufinden. Personifiziert und konkret
repräsentiert wird die fundamentale Kritik an der Weltwirtschaftsordnung von MigrantInnen und
Flüchtlingen, die Europa aus allen
Regionen der Welt erreichen.
Drittens wird sich die Karawane
nicht nur auf Flüchtlinge und deren Probleme konzentrieren, sondern auch einen Bogen schlagen
zu anderen gesellschaftlichen
Gruppen. Sie soll ein Versuch
sein, sich der “Teile-und-Herrsche”-Politik, den endlosen Differenzierungen mit ihrem Gegeneinander-Ausspielen der verschiedensten Gruppen zu widersetzen
und diese lähmende Situation zu
durchbrechen. Damit ist nicht gemeint, die inhaltliche Schärfe aufzugeben und eine belanglose
Sauce zu fabrizieren, die nach
dem Motto “Allen geht’s irgendwie schlecht” rassistische und sexistische Hierarchien leugnet. Die
Idee ist vielmehr, die Schärfe beizubehalten und gleichzeitig eine
Ausweitung der Themen zu versuchen, so daß die Karawane einen (gegenseitig-solidarischen)
Brückenschlag ermöglicht. Gibt
es doch in der Logik der politischen, wirtschaftlichen und polizeilichen Angriffe auf verschiedenste Gruppen auch deutliche
Übereinstimmungen.
Gemäß der bisherigen Planung
werden bestimmte symbolische
Schlüsselorte des staatlichen Rassismus wie der Flughafen Frankfurt/Main, der Abschiebeknast in
Büren und einzelne Grenzübergänge angelaufen werden. Die
Protestaktionen werden von den
Vorbereitungskomitees vor Ort
organisiert. Auf dem letzten bundesweiten Vorbereitungstreffen
ist folgende Route festgelegt
worden:
Bremen (13.-15.8.) Hamburg/Norderstedt (16/17.8.)
- Kiel (18.8.) - Lübeck (19.8.) Berlin (20.-22.8.) - Dresden
(23.8.) - Leipzig (24.8.) - Aktionen bei ZAST in Tambach bzw.
Jena (25.8.) - Göttingen (26.8.) Kassel (27.8.) - Hannover (28.8.)
- Bielefeld (29.8.) - Büren (30.8.)
- Osnabrück (31.8.) - Regensburg
(2.9.) - München (3.9.) - Stuttgart (4.9.) - Tübingen (5.9.) Strasbourg (6.9.) - Karlsruhe
(7.9.) - Trier (8.9.) - Mainz (9.9.) Wiesbaden (10.9.) Frankfurt/Hanau (11/12.9) 13/14.9. sind noch offen - Bochum (15.9.) - Köln (16. - 20.9)
Die Route schließt die Teilnahme
weiterer Städte keineswegs aus.
Neu hinzukommende Städte
könnten ihr Programm zeitlich
parallel zum schon bestehenden
durchführen, so daß Der Transfer
zwischen den einzelnen Städten
wird voraussichtlich mit Bussen
erfolgen. Jede Stadt ist für die
Unterbringung, Verpflegung und
Weiterreise ebenso verantwortlich, wie für das lokale Programm.
Die bundesweite Koordination
des Projekts erfolgt über das Büro
des Internationalen Menschrechtsverein Bremen. Der Aufwand hierfür ist erheblich und
kann mit den ehrenamtlichen
Kräften kaum mehr bewältigt
werden. Darüber hinaus ist das
gesamte Projekt mit erheblichen
Kosten verbunden, unter anderem für Telefon und Postverschickungen, Flugblätter und Plakate, für Versorgung, Unterbringung und Transfer der TeilnehmerInnen etc. Das Bremer Vorbereitungskomitee im IMRV-Büro ist
deshalb dringend auf Spenden
angewiesen, die an den Internationalen Menschenrechtsverein
Bremen Stichwort “Karawane”
überwiesen werden sollten. Alle,
die das Projekt darüberhinaus unterstützen, in den lokalen Vorbereitungskomitees mitarbeiten
oder gar eine neue Station anbieten wollen, können sich an den
IMRV in Bremen werden, von wo
aus sie mit den nötigen lokalen
Adressen und weiteren Informationen versorgt werden.
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
ASYLPOLITIK
Staatlicher Rassismus
Sans-Papiers:
Chronik einer ausländerfeindlichen Woche
Die zusammenarbeitende Linke
steht der Rechten [1] in den Bereichen der Repression, des Rassismus und der staatlichen Ausländerfeindlichkeit in nichts nach.
Aber müssen wir uns darüber
noch wundern?
Sonntag, 15. März:
No Pasaran*
Im folgenden dokumentieren wir
einen Beitrag zum aktuellen
Stand der”sans-papiers”-Bewegung in Frankreich.
Die Bewegung nahm ihren Ausgangspunkt mit der Besetzung
der Saint-Bernard-Kirche in Paris
1996. Die zentrale Forderung der
“papierlosen” MigrantInnen
war/ist: Papiere für alle! Die gewaltsame Raeumung und darauffolgend die Abschiebungen von
mehreren BesetzerInnen konnten
nicht verhindern, daß sich die Bewegung ausbreiten konnte und
von vielen Menschen und Gruppen in Frankreich unterstützt
wird. Mittlerweile sind die “sanspapiers” auf der politischen Bühne zu einem festen Begriff geworden und aus antifaschistischen und antirassistischen Mobilisierungen, sowie der Arbeitslosenbewegung in Frankreich nicht
mehr wegzudenken. Der Artikel
wurde der französischen AntifaZeitung No Pasaran entnommen
und übersetzt.
* über mailinglist kmii aus GegenDruck Ausgabe Nr. 23 Mai ‘98;
Kontakt: Redaktion GegenDruck,
c/o Infocafé Anschlag, Heeper Str. 132, 33607 Bielefeld
(sMail) / [email protected] (eMail), erscheint auch im
World Wide Web: http://www.nadir.org/nadir/periodika/Gegendruck
16
Gegen 10 Uhr besetzen hundert
“sans-papiers” des 6. Kollektivs
(gegründet vor einigen Tagen im
18. Arrondissement) die NotreDame de la Gare-Kirche am Place
Jeanne d’Arc. Sie fordern die sofortige Freilassung von Bathili
Boubakar, der am 10. März festgenommen wurde. Die BesetzerInnen verfolgen des weiteren
noch ein anderes Ziel: Die Wiedereröffnung der Akten für eine
Regelung für alle.[2] Schnell
kommen UnterstützerInnen und
Leute aus dem Viertel, um ihre
Solidarität und ihre entschlossene
Haltung an diesem Tag der
“großen Wahlmesse” [3] zum
Ausdruck zu bringen. Darauffolgend die ebenfalls schnelle Stationierung eines beeindruckenden Truppenkontingents der Polizei, die jegliche Kommunikationsmöglichkeit mit den “sans-papiers” verhindert. Die Spannung
steigt als die CRS die “djumbés”
[4] verbietet. Trotz der Blockade
gelingt es den UnterstützerInnen,
Lebensmittel und Decken in die
Kirche zu bringen, wobei sie Angriffen der Polizei ausgesetzt waren. Während dieser Zeit verlaufen die Verhandlungen über die
Freilassung von Barhili Boukabarim Sande. Die Zusagen der
Behörden lösen sich schnell ins
Nichts auf, als auf einen Anruf
bei der DICILEC folgend bekannt
wird, daß die BesetzerInnen belogen worden sind, da Bathili
schon nach Roisy gebracht wurde, um von dort abgeschoben zu
werden. Gegen 20 Uhr lassen die
Bewegungen von Spezialeinheiten darauf schließen, daß eine
bevorstehende Räumung droht.
Die massenweise Präsenz von UnterstützerInnen trägt nach Meinung vieler ohne Zweifel dazu
bei, daß die Behörden unschlüssig und wenig dazu geneigt sind,
einen Wahlabend mit dem Bild
einer zweiten Kirche Saint-Bernard zu versehen. Die Haltung
des von der Pfarrgemeinde beauftragten Priesters war während
des ganzen Tages besonders widerlich. Sehr intensiv beschäftigt
mit der Reinhaltung der Kirche,
schließt er die Toiletten, dreht die
Heizung und den Strom ab, um
dann die Schlüssel der Kirche
schließlich den Ordnungskräften
zu übergeben . Schon am frühen
Morgen um 6 Uhr findet eine
Demonstration der Stärke statt,
die mit denen vergleichbar ist,
die man schon in der Vergangenheit erlebt hat. Beschimpfungen,
Schläge, die Trennung von
Weißen und Schwarzen . Die
“sans-papiers” werden sofort in
Polizeigewahrsam genommen
und zum “dépôt de la Cité” verfrachtet. Einer der Delegierten
des 6. Kollektivs kommt in den
Genuß des “Rechts” auf eine besondere Behandlung: digitale Registrierung seiner Fingerabdrücke,
Fotos, rassistische Beschimpfungen und Demütigungen aller Art.
Die repressive Gewaltspirale hat
nun erst begonnen und wird sich
im Laufe der Woche verschärfen.
Montag, 16. März:
Um 12 Uhr Versammlung vor der
Polizeipräfektur “La Cité”. Alles ist
schon vor Ort, um jegliche Auseinandersetzungen zu ersticken.
Spezialeinheiten und Geheimdienst sind überall, auf dem Platz
vor der Polizeipräfektur und in
der Metro. Ankommende UnterstützerInnen und „sans-papiers”
werden sofort festgenommen.
Diejenigen, die der Mausefalle
entgehen und sich sammeln können, werden sofort eingekreist
und niedergeknüppelt. Weitere
Protestversuche derselben Art an
diesem Tag erfahren dasselbe
Schicksal.
Mittwoch, 18. März:
Um den zweiten Jahrestag der
Besetzung der Kirche Saint-Ambroise zu feiern, besetzen hundert AfrikanerInnen, die aus den
Arbeitervierteln von Paris und ihrer Vorstädte gekommen sind,
dieses Mal die Kirche Saint-Jean
de Montmartre im 18. Arrondissement. Unglücklicherweise können sie dort nur einige Stunden
bleiben, bevor sie alle verhaftet
werden. Insgesamt gab es also
während einiger Tage mehr als
300 Verhaftungen in Paris.
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
ASYLPOLITIK
Die Woche endet mit dem Eifer
und der einfach bemerkenswerten Leistung der Justizbehörden.
Der 35. “bis”, der Menschen ohne geregelte Aufenthaltsgenehmigung verurteilt, hat anschließend mehr als 24 Stunden ohne Unterbrechung getagt, wie in
den guten alten Zeiten von SaintBernard. Bis zu diesem Zeitpunkt
wurden schon ungefähr 10 Menschen mit dem Flugzeug abgeschoben, gefesselt, betäubt mit
Alkohol und Chloroform, ganz in
der Tradition von Pasqua-Debré.
[5] Die anderen verhafteten
“sans-papiers” warten im Gefangenenlager, bis sie an der Reihe
sind. Die Regierung versucht offenkundig das unvermeidliche
Wiederaufleben der „sans-papiers“-Bewegung im Keim zu ersticken. Man schätzt, daß heute
ungefähr 70.000-100.000 Menschen einen Bescheid über das
Verlassen des französischen Territoriums erhalten haben. Diese
100.000 Menschen, die alle die
Akten für eine Regulierung ihrer
Situation ausgefüllt haben, befinden sich in einer schlimmeren Situation, wie vor dem Rundschreiben von Chevènement [6], weil
daran erinnert werden muß, daß
die Polizeibehörden nun Karteikarten mit Adressen, Arbeitsplätzen und Koordinationen der Leute, die “sans-papiers” beherbergen, in ihren Händen hallten. Sie
werden nicht zögern, neue Verhaftungen durchzuführen.
Seit mehreren Wochen taucht die
Bewegung der “sans-papiers”
wieder auf und verstärkt sich: Die
erste langandauernde Besetzung
der Kathedrale von Évry von 40
Menschen des Kollektivs 91, gefolgt von 50 Menschen des Kollektivs 94, die die Kathedrale von
Créteil besetzten. Neuigkeiten
und neue Möglichkeiten ergeben
sich durch das Erscheinen der
mehr und mehr wichtigen Mobilisierung in den Arbeitervierteln
von Paris und ihren Vorstädten
auf der politischen Bühne. Dies
zeigt, daß der seit zwei Jahren
andauernde, engagierte Kampf
heute damit beginnt, Früchte zu
tragen. Zum Zeitpunkt der Besetzungen schlossen sich auch AfrikanerInnen mit legalem Aufenthaltsstatus der Bewegung solidarisch an. Aber die Solidarität endet nicht hier, wie der relative Er-
folg der letztlich durchgeführten,
unterschiedlichen Aktionen auf
dem Flughafen von Roissy gezeigt hat. Zum wiederholten Male haben sich Passagiere entweder geweigert, das Flugzeug zu
besteigen oder mit Nachdruck
ihren Unmut demonstriert. Die
Behörden waren dazu gezwungen, die “sans-papiers” aus dem
Abschiebeverfahren herauszunehmen.
Es ist nicht verwunderlich festzustellen, daß diese Regierung versucht, jede Solidarität zwischen
Franzosen und AusländerInnen
zu verhindern. Das ist das Ziel der
geänderten Fassung des 21. Artikels des Erlasses von 1945, der
von Chevènement verbessert
wurde. Nach diesem Artikel würden sich Gewerkschaften, Organisationen und Kollektive, die die
“sans-papiers” unterstützen, vor
Gericht strafbar machen. Es ist
ein wahrhaftes Solidaritätsdelikt,
das an das Gastfreundschaftsdelikt des ersten Gesetzes von Debré erinnert. In diesen Zeiten der
feierlichen Erinnerung an die
großen Werte der Republik von
seiten Jospins und Chiracs, ist das
Gegenteil der Fall. Die Brutalitäten der Polizei, die Missachtung
elementarer Rechte, die Desinformation und die Lüge begleiten
das Wieder-an-die-Macht-kommen der Sozialisten. Die erfolgreiche Anstrengung der Regierung,
AusländerInnen zu den Sündenböcken der französischen Politik
zu machen bestätigt, daß die
staatliche Ausländerfeindlichkeit
der gemeinsame und wichtigste
Wert der Demokraten der zusammengesetzten Linken und Rechten ist.
[1] “Gauche plurielle et Droite plurielle” verweisen zum einen auf die derzeitige linke Regierungskoalition aus Sozialisten (PS), Kommunisten(PCF) und
Grünen unter dem Ministerpräsidenten
Lionel Jospin und zum anderen auf das
ehemalige Regierungsbündnis der konservativen und republikanischen Rechten (RPR und UDF).
[2] Die zentrale Forderung der BesetzerInnen der Saint-Bernard-Kirche1996
war die Wiedervorlage und Bearbeitung
aller Akten von “sans-papiers” und ihre
Anerkennung mit legalem Aufenthaltsstatus.
[3] An diesem Tag fanden in Frankreich
Regionalwahlen statt.
[4] Gemeint sind wahrscheinlich afrikanische Trommeln.
[5] Pasqua und Debré waren die jeweiligen Innenminister der letzten beiden
rechten Regierungskoalitionen unter
Chirac und Juppé.
[6] Chevénement ist der derzeitige Innenminister der linken Regierungskoalition; er gehört dem linksnationalistischen Flügel der Sozialistischen Partei
an.
Comission SCALP/REFLEX
(aus: No Paseran! April 1998)
17
ASYLPOLITIK
Kein Mensch ist illegal!
Bleiberecht für alle Flüchtlinge!
morgengrauen*
Auf den ersten Blick scheint es in
dieser Ausgabe der morgengrauen “nur” um kurdische Flüchtlinge zu gehen. In Wirklichkeit geht
es um mehr. Mittlerweile leben in
Deutschland schätzungsweise eine halbe Million “illegaler” Menschen. Menschen, die nicht in
das Land zurück können, aus
dem sie geflüchtet sind. Menschen, die in Deutschland geboren wurden, aber aus verschiedenen Gründen, z.B. weil sie als
“Ausländer” straffällig wurden,
ihre Aufenthaltserlaubnis verloren
haben. Sie haben alle Rechte verloren. Sie sind Freiwild, auf der
Flucht vor den Behörden, gezwungen, jede Arbeit zu jedem
Lohn zu machen. Illegalisiert zu
leben bedeutet: sich verstecken,
keine Schule für die Kinder, kein
Arzt im Krankheitsfall, immer mit
der Angst leben, denunziert und
erpreßt zu werden. Entdeckung
bedeutet Abschiebehaft oder die
sofortige Abschiebung.
Eine halbe Million Menschen leben in Deutschland unter diesen
Bedingungen. Das ist die Wirklichkeit hinter den Erfolgsmeldun-
* aus: morgengrauen
- Antirassistische Zeitung Nr. 68 April/Mai 1998)
18
gen aus dem Hause Kanther. Das
ist die Wahrheit hinter den Statistiken über rückläufige Zahlen
von Asylbewerbern. Das sind die
Menschen, die der Innenminister
als “Kriminelle und Gangster” denunziert, derentwegen er die
Grenzpatrouillen verschärfen läßt.
“Deutschland kann nicht alle Probleme der Welt lösen”, lautet die
ständig wiederholte Abwehraussage. Das ist so banal wie richtig.
Aber es geht am Kern der Sache
vorbei. Das Problem, daß am Ende des 20.Jahrhunderts mehr
Menschen als jemals zuvor auf
der Flucht sind oder aus zwingenden Gründen ihre Heimat verlassen müssen, ist ein globales.
Es ist eine Folge der Tatsache,
daß wir in einer “globalen Weltordnung” leben. Waren, Dienstleistungen, Arbeitsplätze, Waffen, Profite sollen nach Ansicht
unserer PolitikerInnen global, d.h.
ohne die Behinderung durch
Grenzen und Zölle, zirkulieren.
Und so verlieren Hunderttausende hierzulande ihren Job, weil er
anderswo billiger erledigt wird.
So werden in Nigeria ganze Regionen von Erdölkonzernen verwüstet und die Menschen, die
sich dagegen wehren, abgeschlachtet. So werden in Sri Lanka, Angola oder Kurdistan Millionen von Menschen mit Hilfe von
Waffen und Minen vertrieben,
die hierzulande hergestellt wurden. Die wenigsten von ihnen
kommen jemals nach Europa,
sondern stranden in wachsenden
Slums von Colombo, Luanda
oder Istanbul. “Think globally, act
locally!” (Denke global, handele
vor Ort) war einst ein Motto der
internationalen Bewegung zum
Schutz der Umwelt. Europäische
PolitikerInnen haben es ins Gegenteil verkehrt. Die CSU plant
eine weitere Ausdehnung menschenrechtsfeindlicher Maßnahmen mit dem Ziel, die Anzahl der
“Ausländer” in Deutschland zu
reduzieren. Derweil wirbt der
bayerische Wirtschaftsminister
weltweit um Investitions- und Exportmöglichkeiten für BMW und
andere Konzerne. “Standort” war
einst ein Synonym für eine oder
mehrere Kasernen. “Standort
Deutschland” (oder Rheinland,
Oberpfalz usw.) ist zu einem
Kampfbegriff geworden. Zu seiner Sicherung bzw. “Verteidi-
gung” scheint jedes Mittel recht.
Indes bleibt eine solche Entwicklung nicht ohne Einfluß auf die
gesellschaftlichen Verhältnisse.
Ein Land, dessen Verteidigungsministerium die Bundeswehr zur
“Standortsicherung” weltweit
einsetzt (“Schutz deutscher Interessen”),während das Innenministerium mittels Bundesgrenzschutz zu seiner “Verteidigung”
gegen illegale Einwanderer zuständig ist, wird auch im Innern
zunehmend einer Kaserne
ähneln. Solidarität ist eine Vokabel, die stets nur “deutsch”,
“französisch” oder anderweitig
national buchstabiert wird. PolitikerInnen benutzen sie ohnehin
nur in Sonntagsreden. Flüchtlinge
werden von ihnen benutzt, um
von ihrem eigenen Versagen abzulenken und statt dessen aggressiv “Innere Sicherheit” und
soziale Ausgrenzung auch anderer “Außenseiter”, Obdachloser,
Sozialhilfeberechtigter und Erwerbsloser voranzutreiben. Grenzen trennen nicht mehr nur Territorien, sie trennen auch Menschen. Grenzen verlaufen überall:
im Sozialamt, auf dem Bahnhof,
in der Innenstadt. Sie sind überall, wo Menschen befürchten
müssen, nach Papieren gefragt
zu werden. Dieser Entwicklung
wollen wir Grenzen setzen - und
dies sind die einzigen Grenzen,
die wir wirklich brauchen. Jeder
Mensch hat das Recht, selbst zu
entscheiden, wo und wie er leben will.
Aber wer lebt schon gern in einer
Kaserne.
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
RASSISMUS UND SOZIALABBAU
“Wieder Taxifahrer als Schleuser
verurteilt”, “BGS greift Illegale
auf”, “Erneut rechtsradikaler
Überfall auf Asylbewerber” Überschriften wie diese findet
mensch täglich in den Zeitungen,
jedoch kaum einer stört sich
noch daran. Statt dessen machen
PolitikerInnen von NPD bis SPD
Wahlkampf mit rassistischen Vorurteilen und der für Deutschland
typischen Angst vor allem Fremden. Seit der faktischen Abschaffung des Grundrechts auf Asyl
1993 mit den Stimmen von SPD
und Regierungsparteien im Bundestag hat sich die Situation für
Flüchtlinge in der BRD drastisch
verschärft. Die öffentliche Debatte um die Grundgesetzänderung
war damals im wesentlichen geprägt von durchweg rassistischen
Argumentationsmustern. Nicht
mehr von Menschen war die Rede, sondern von bedrohlichen
Ausländerfluten, von Asylantenschwemme und Asylbetrügern.
Bezeichnend ist vor allen Dingen
auch, daß der Artikel 16 des GG
zu einer Zeit geändert wurde, in
der es zu massiven rassistischen
Pogromen in zahlreichen deutschen Städten kam. Dem “Druck
der Straße” gehorchend wurde
und wird jede weitere Gesetzesverschärfung von den Abschottungsstrateglnnen als Erfolg gefeiert und entsprechend durch
die Medien aufbereitet. Formal
um Abgrenzung von neofaschistischen Organisationen und Parteien bemüht, haben jedoch fast
alle bürgerlichen Parteien mittlerweile rassistische Argumentationsrnuster in der einen oder anderen Form von den Neonazis
übernommen. Letztere haben
keinen Grund, sich als isolierte
politische Randgruppen zu verstehen, sondern können für sich
die Vorreiterrolle im “Kampf gegen Überfremdung und Durchrassung” beanspruchen - Rassismus ist gesellschaftlicher Konsens!
Diese Entwicklung bezeichnen
wir als Rechtsruck. Dessen Ausdruck ist auch der fortschreitende
Entzug der materiellen Grundlagen für Flüchtlinge und damit in
letzter Konsequenz deren Abdrängung in die Illegalität.
Flüchtlingen bleiben, so sie den
Wunsch hegen, in diesem Land
leben zu wollen, außer der illegalen Einreise und anschließendem
Untertauchen kaum noch andere
Möglichkeiten. Einerseits macht
ein hochgerüsteter, mit polizeilichen Vollmachten ausgestatteter
Bundesgrenzschutz Jagd auf
Flüchtlinge - Schleierfahndung,
verdachtsunabhängige Kontrollen, Wärmebildüberwachung,
Abschiebegewahrsam/-haft sind
nur einige Schlagworte. Andererseits reißt die Folge von Übergriffen auf AusländerInnen durch
junge Deutsche nicht ab. Beide BGS und Neonazis - wählen ihre
Opfer nach den gleichen rassistischen Kriterien aus. Mit massivem Protest muß nicht gerechnet
werden - die Reaktionen großer
Teile der Bevölkerung reichen von
stillschweigender Billigung über
offene Sympathie bis hin zu aktiver Mithilfe.
Es ist nicht verwunderlich, daß
sich die sogenannte “Mitte” nicht
bereit findet, gegen neofaschistische Aufmärsche und andere Aktivitäten zu protestieren. Das im
Vorfeld des Naziaufmarsches am
21. März diesen Jahres in Zittau
vielfach gepriesene “gesamte demokratische Spektrum” konnte
gerade einmal ca. 200 Menschen
zu einer (zeitlich und räumlich
zum Naziaufmarsch verschobenen ... ) Kundgebung mobilisieren. Gleiches ist zum Aufmarsch
der NPD am 5. Juli des vorigen
Jahres zu sagen. Damals zogen
etwa 300 Neonazis durch Zittau,
um den bei einem Mordversuch
an einem Migranten getöteten
Holger Müller zum Märtyrer zu
stilisieren. Außer einigen wenigen, zumeist jugendlichen Antifaschistlnnen protestierte niemand... Wir schlußfolgern daraus, daß die meisten Menschen
gar nicht einsehen, warum sie
Widerstand gegen Rassismus leisten sollten, sondern sich statt
dessen in der einen oder anderen
Form mit “Martyrern” wie Müller
identifizieren.
Die Stigmatisierung von Menschen aufgrund von Hautfarbe
oder Herkunft ist kein Zufall. Sie
muß vor dem Hintergrund einer
zunehmenden Verschärfung gesellschaftlicher Widersprüche gesehen werden. Von den ökonomischen Ursachen der Krise und
der Kritik an einem ausschließlich
auf die wirtschaftliche Verwertbarkeit von Mensch und Natur
ausgerichteten Systems wird abgelenkt, indem Problemursachen
Kampf dem
rassistischen
Normalzustand!
Flüchtlinge schützen!
Aufruf zur
antirassistischen und antifaschistischen
Demonstration
am 6. Juli ‘98 in Zittau
Antifa Görlitz*
auf gesellschaftliche Randgruppen projiziert werden. Die Diskriminierung von Minderheiten
führt aber nicht zur Auflösung
von Widersprüchen und Problemen, sondern verursacht
menschliches Leid.
Um es mit Egon Erwin Kisch zu
sagen - : “die Barbarei wird solange nicht aus den Ländern Mitteleuropas weichen, als künstliche Grenzen mit Festungen, Soldaten und anderen gewalttätigen
Kräften zwischen den Staaten erhalten bleiben. Diese primitive
Art der Abgrenzung ist eine Behinderung jeder Zivilisation, aber
in Mitteleuropa ist sie ein Hindernis für den Fortschriitt. Nur eine
soziale Qrdnung, die rivalisierende Märkte ausschließt und anerkennt, daß alte Menschen vor
dem Gesetz gleich sind, kann den
Frieden und ein Voranschreiten
der Zivilisation in Mitteleuropa
und überall sonst auf der Weit
gewährleisten.”
Kommt alle zur Demo
5. Juli 14.00 Uhr
Bahnhofsvorplatz Zittau!
* Adresse: Jugendkulturzentrum Basta,
clo Antifa, Hotherstr. 25, 02826 Görlitz
19
RASSISMUS UND SOZIALABBAU
Zwangsarbeit
und Internierungslager
für Flüchtlinge
Bundesrat und Bundesregierung betreiben
die soziale Verfolgung
George Hartwig*
Ich habe die Aufgabe, die geplante Gesetzesänderung vorzustellen; ich werde dies mit den
Worten von Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung, tun:
„Es gibt einen Wettlauf der Schäbigkeit in Europa, und Deutschland hält in diesem Wettlauf den
Spitzenplatz. Jüngster Beleg ist
die Bundesratsdrucksache
691/1/97, ein Gesetzentwurf,
den der Bundesrat am 6.2.98
verabschiedet hat. Man soll mit
dem Wort „Ungeheuerlichkeit"
zurückhaltend umgehen - aber
ein anderes Wort paßt zu diesem
Gesetzesvorhaben nicht, das von
CDU/CSU und von SPD-regierten
Ländern gleichermaßen getragen
wird: Danach soll den geduldeten Flüchtlingen in Deutschland
künftig keinerlei Leistung mehr
gewährt werden. Sie sollen weder Geld- noch Sachmittel erhalten. Man will sie so zur freiwilligen Ausreise zwingen. Man kann
diese Methode auch Aushungern
nennen. Beschwichtigend reden
die Innenminister von „Illegalen",
gegen die sich diese Maßnahme
richtet; doch das ist falsch. Es
geht um Menschen, die zwar irgendwann ausreisen müssen, die
aber wegen der Gefahren in ihrer
Heimat einen Aufenthaltstitel, eine „Duldung" haben. Es geht also
um Bürgerkriegsflüchtlinge aus
Bosnien oder Algerien, um ehemalige Vertragsarbeiter der DDR
aus Vietnam, um Frauen aus Afghanistan, es geht um insgesamt
* Redebeitrag für den Niedersächsischer Flüchtlingsrat
am 28.3.98/Kundgebung Kröpke (Hannover)
20
250.000 Menschen. Zwangsweise abschieben kann man in diesen Fällen nicht, also zwingt man
zur „freiwilligen" Ausreise. Diese
Menschen - überwiegend Familien mit Kindern - sollen künftig
keinen Pfennig Geld mehr für Lebensunterhalt und keine medizinische Versorgung mehr erhalten.
Schon bisher, nach den derzeit
geltenden Vorschriften, erhalten
sie weniger Mittel, als es dem Sozialhilfegesetz und dem Existenzminimum entspräche. Das Minimum für Flüchtlinge war also
schon bisher minimaler als das
für andere Menschen. Kinder sollen Flüchtlinge ohnehin nicht bekommen. Eine Baby-Erstausstattung zum Beispiel erhalten schon
bisher nur deutsche SozialhilfeEmpfängerinnen, nicht aber
Flüchtlingsfrauen. Der katholische
Caritas-Verband hat dagegen heftigst protestiert. Doch Politik hört
nicht auf die Caritas.
Im Gegenteil: Künftig wird es
noch viel schärfer. Künftig erhalten die Flüchtlinge nur noch ein
Zehrgeld für die Rückreise zur
Verfügung gestellt - Butterbrot
und Fahrkarte also. „Mehr an Hilfe gibt es nur, wenn es „unerläßlich" ist und auch nur soviel, wie
unerläßlich ist. Das heißt: Notfalls
gibt es Wassersuppe und Übernachtung in der Turnhalle. Das
Vorhaben nennt sich „2. Gesetz
zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes". Man sollte es
finales Leistungsverweigerungsgesetz nennen."
(Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung, am 14.02.1998 im NDR4)
Betroffen von der „finalen Leistungsverweigerung" durch den
Bundesratsbeschluß vom 6.2.98
sind vor allem die Flüchtlinge, die
die Behörden gerne deportieren
würden, aber aus rechtlichen
oder tatsächlichen Gründen nicht
deportieren können. Das sind z.B.
Flüchtlinge mit Duldung oder
sog. Grenzübertrittsbescheinigung, und Flüchtlinge ohne Papiere.
Der innenpolitische Sprecher der
SPD-Bundestagsfraktion, Fritz Rudolf Körper, erfindet dafür eigens
eine neue kriminelle Kathegorie:
„ ... ausreisepflichtige Ausländer
... die sich dem Ausländerrecht
zuwider im Bundesgebiet aus von
ihnen zu vertretenden Gründen
aufhalten." (Körper; Schreiben
GE/Boe v. 10.2.98)
Tatsächlich handelt es sich durchweg um Menschen, für die die
Ausländerbehörden keinerlei
Rechtsgrundlage zur Deportation
finden können.
Zwei Beispiele:
Der entgeisterte Einwand des Hohen Flüchtlingskommissars der
UN, daß der Gesetzentwurf auch
Flüchtlinge beträfe, die wegen
konkreter Foltergefahr nach internationalem Recht nicht abgeschoben werden dürften, wurde
im Bundesrat kackfrech mit dem
Hinweis abgetan, daß die Leistungsstreichung die Modalitäten
eines Abschiebestopps in keiner
Weise berührten. (Protokoll der
721. Sitzung)
Der nds. Staatssekretär des Inneren, Claus Henning Schaper, hat
vorgestern erklärt: „Auch wir
wollen keine unmenschliche
Flüchtlingspolitik. Aber wir wollen auch den klaren Mißbrauch
des AsylbLG abstellen, - etwa,
wenn Leute ihre Pässe wegwerfen, um einer Abschiebung zu
entgehen."
Um diesen ungeheuren Zynismus
zu verdeutlichen, stelle man sich
einen geflüchteten Verfolgten des
Naziregimes vor - vielleicht Bert
Brecht oder Willi Brandt -, der
von den Behörden des Landes, in
das er sich gerettet hatte, gezwungen worden wäre, mit der
Nazi-Botschaft zwecks Rückführung zu kooperieren... Und
dem man dann das Essen entzogen hätte, wenn er sich weigerte
mit den Nazis für seinen eigenen
Untergang zusammenzuarbeiten...
Zu Recht ist darauf hingewiesen
worden, daß das Zerreißen etwa
eines nigerianischen Passes eben
nur in Nigeria eine Straftat darstellt. Thilo Weichert, nds. Datenschützer, hat das nds. Innenministerium anläßlich des Kirchenasyls
für Nigerianer in Hannover nachdrücklich ermahnt, daß es keinerlei Rechtsgrundlage für Beugehaft oder ähnliche Sanktionen bei
Verweigerung der Kooperation
mit der eigenen Botschaft gibt.
Das Nds. Innenministerium berief
sich daraufhin übrigens dreist auf
das Allgemeine GefahrenabwehrGesetz als Rechtsgrundlage für
die rechtswidrige Inhaftierung:
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
RASSISMUS UND SOZIALABBAU
Flüchtlinge als Gefahr, als Bedrohung, als Katastrophe, die den
rechtlichen Ausnahmezustand
rechtfertigen...
Der vorliegende Bundesrats-Gesetzentwurf wurde praktisch unter Ausschluß der Öffentlichkeit,
unter Umgehung der Kabinette
(in Niedersachsen z.B. wurde weder das Sozial- noch das FrauenMinisterium, geschweige denn
die Ausländerbeauftragte beteiligt) und unter Umgehung der
Fraktionen von den Ministerialbürokratien des Inneren in einer
„sehr angenehmen, sehr sachlichen Atmosphäre" (Senatorin
Hübner, Berlin) gepuscht.
Tatsächlich jedoch konnte kein
Beteiligter hinterher öffentlich
oder in Gremien (z.B. Ausländerkommission des Nds. Landtags
am 10.02.98) erklären, was dort
tatsächlich unterschrieben worden war.
Der Gesetzentwurf stieß nach
Veröffentlichung auf den einmütigen Widerspruch von Wohlfahrtsverbänden, Kirchen, Gewerkschaften, Kommunen, Ausländerbeauftragten und migrationspolitischen Organisationen.
Kern der Kritik war die Einbeziehung bestimmter Gruppen, insbesondere der Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien und die Belastung der Kommunen durch
den bürokratischen Aufwand.
Wenige Proteste richteten sich
gegen den Mißbrauch des Sozialrechts als Vollzugsrecht (so etwa
die AWO am 3.2.98).
Keiner der Proteste erfaßte die
faktische Einführung der Zwangsarbeit für Flüchtlinge.
Staatssekretär Gustav Wabro (Baden-Württemberg): „Wir wollen
den Leistungsanspruch ausschließen für alle, die sich weigern,
gemeinnützige Arbeit zu verrichten." und „Für eine Privilegierung
von Asylbewerbern gibt es keinen
vernünftigen Grund." (Protokoll
der 721. Sitzung des Bundesrats)
Zur Erinnerung: sog. „Gemeinnützige Arbeit" für deutsche
Arbeitslose ist im Einzelfall dann
möglich, wenn sie die jeweils vorgeschriebenen „Bemühungen um
Arbeit" nicht nachweisen. Leistungseinschränkung durch die
Sozialbehörden ist gegenüber
deutschen Arbeitslosen dann
möglich, wenn diese schließlich
die „gemeinnützige Arbeit" verweigern.
Der Zynismus der demagogisch
propagierten „Privilegierung" der
Flüchtlinge besteht darin, daß sie
- im Gegensatz zu allen anderen
Bevölkerungsgruppen - einem Arbeitsverbot unterliegen.
Da es bei Arbeitsverbot eine sozialrechtliche Sanktion wegen „Arbeitsverweigerung" unmöglich
geben kann, deklariert die Androhung des Leistungsentzugs und
Lagereinweisung bei Verweigerung der sog. „gemeinnützigen
Arbeit" diese zur Zwangsarbeit,
die sich in dieser Form nicht einmal in den Knästen findet.
In der deutschen Nachkriegs-Sozialgeschichte gibt es dafür kein
Beispiel. Das einzige Vorbild
dafür findet sich bei den Nazis:
wer den Auflagen zur „Fürsorgepflichtarbeit" im extra zur Schikane eingerichteten Arbeitslager
nicht nachkam wurde umgehend
aus dem Unterstützungsbezug
gestrichen. In Hamburg etwa
wurde 1937 auf diese Weise die
Zahl der Sozialhilfeempfänger auf
ein Viertel reduziert.
Diese von den Nazis erprobte
Methode will der Bundesrat zunächst auf Flüchtlinge anwenden.
In einigen deutschen Kommunen
- auch im LKrs Hannover - wird
die Pflichtarbeit aber durchaus
auch heute schon als Waffe gegen Nichtseßhafte mit deutschem Paß eingesetzt: Wer als
Nichtseßhafter nicht arbeitet, erhält keine Hilfe zum Lebensunterhalt.
Auch das gab es schon einmal: In
den 30-er Jahren wurden auf der
Grundlage des Gesetzes gegen
das Wandererunwesen Obdachlose und Nichtseßhafte in Arbeitshäusern und später in sog.
Bettler-KZ zu Zwangsarbeit getrieben.
Das Bundesgesundheitsministerium nahm am 17.2.98 mit einem
Referentenentwurf dem Protest
der Verbände die Spitze, indem
die bosnischen Kriegsflüchtlinge
bis 1999 aus dem Gesetz herausgenommen werden sollen (natürlich ist nicht die Rede z.B. von
den Kosova-Albanern), und in-
dem die Kommunen durch die
Unterbringung der Betroffenen in
Lagern entlastet werden.
Diese Planung sieht für die Betroffenen ausschließlich Unterkunft und Verpflegung in Gemeinschaftsunterkünften vor, kein
Taschengeld, kein Tabak, kein Telefon; medizinische Behandlung
soll nur gewährt werden, „soweit
dies im Einzelfall unabweisbar
geboten ist".
Mit dieser unverwechselbaren Beschreibung eines Internierungslagers ändert der wildwüchsige
„Wettlauf der Schäbigkeiten" der
Ministerialbürokratien seine Qualität: er entpuppt sich als Übernahme eines zentralen sozialpolitischen Elements der Nazis zur
Befestigung der „Volksgemeinschaft" und zur Ausgrenzung
sog. Gemeinschaftsfremder.
Die Nazis übernahmen zum gleichen Zweck den Begriff der „geschlossenen Fürsorge" aus § 13
der Reichsgrundsätze zur Reichsfürsorgeverordnung der Weimarer Republik und beschränkten
für „asoziale und politisch widersetzliche" Unterstützungsempfänger die Fürsorgeleistungen auf
„Anstaltspflege". Dazu wurden
scharf bewachte Arbeitslager eingerichtet mit kasernenähnlichem
Reglement, Massenschlafsälen,
entweder Mindestkalorienverpflegung oder Zwangsarbeit gegen
Taschengeld, strikte Trennung der
Geschlechter, restriktive Besuchsregelung, Brief- und Postzensur,
amtsärztliche Zwangsuntersuchung. Als Sanktionsmittel gab
es in diesen Lagern Haftstrafe in
besonderen Zellen, ohne Bettzeug bei Wasser und Brot.
Dahin geht die Reise mit der anstehenden Novellierung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Es
handelt sich um nichts anderes
als die Vorbereitung eines Internierungsgesetzes für die betroffene Bevölkerungsgruppe, da doch
für jedermann offenkundig sein
muß, daß ein Leistungsentzug bis
aufs nackte Überleben nur unter
bewaffnet gesicherten Lagerbedingungen durchzusetzen ist.
Die Geschichte des Asylbewerberleistungsgesetz seit 1993 zeigt,
daß die von Staats wegen verordnete Armut und Entrechtung bei
Flüchtlingen einen Modellversuchs-Charakter hat. Dieser staat21
RASSISMUS UND SOZIALABBAU
liche Versuch führt vor, übt ein
und gewöhnt daran, wie leicht
Menschen aus unserem Sozialsystem herausdefiniert und ausgegrenzt werden können.
Vor einer Woche konnte in
Thüringen in Saalfeld ein großer
Aufmarsch von Neofaschisten und
Rechtsextremisten stattfinden. Unter dem Schutz des Innenministers
und der Polizei durfte dieses braune Pack die von ihnen sog. Befreite Gebiete, ausländerfreie Zonen
abfeiern. Die vorher angemeldete
antifaschistische Gegendemonstration, zu der Gewerkschaften,
Kirchen und Wohlfahrtsverbände
aufgerufen hatten, wurde wie eine Ansammlung von Staatsfeinden bewacht und abgedrängt.
Während wir jetzt hier am Kröpke
stehen, findet zur gleichen Zeit in
Kürzung von Hilfen für
Flüchtlinge gerügt
Experten lehnen Gesetzentwurf
des Bundesrates ab
Von Ferdos Forudastan*
Ein vernichtendes Zeugnis haben
Experten den geplanten Sozialkürzungen für Flüchtlinge ausgestellt. Bei einer Anhörung im Gesundheitsausschuß des Bundestages am Mittwoch forderten Wohlfahrtsverbände, Kirchen und Migrantengruppen den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf zur
Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes abzulehnen.
Die Kritiker einte der Vorwurf, es
sei widersinnig, bestimmten Ausländern einerseits eine Duldung
zu erteilen, ihnen aber andererseits keine oder weit unter dem
Sozialhilfesatz liegende Leistungen zu gewähren. Die beabsichtigte Beschränkung auf „im Ein-
* FR vom 30.4./1.5.98
22
Saalfeld in Thüringen eine Demonstration gegen die neofaschistische Mörderbande statt, die
vorgestern eine junge Frau aus
dem linken Spektrum umgebracht
hat.
Mit der gleichen Zielsetzung und
mit der gleichen Konsequenz, mit
der gleichen Trauer und Wut demonstrieren wir heute hier in
Hannover gegen den Rechtsextremismus und den Rassismus, der
aus der Mitte dieser Gesellschaft
kommt.
Die Neofaschisten wollen ausländerfreie Zonen im deutschen
Osten, die Kanther und Glogowskis ein flüchtlingsfreies Europa.
Es braucht heute längst keine
Neofaschisten mehr, um Flüchtlinge zu terrorisieren; deren Forderungen sind längst zu Recht und
zelfall unabweisbar gebotene“
Hilfen sei unzumutbar.
Die Vertreterin des Hohen Flüchtlingskommissariats der Vereinten
Nationen rügte, der Entwurf
berücksichtige nicht die Schutzbedürftigkeit von Betroffenen. Erlange einfach, jenen Menschen
Leistungen zu streichen, die nicht
„freiwillig“ ausreisten, obwohl
das „rechtlich und tatsächlich“
möglich sei. Es gebe aber Flüchtlinge, die zwar kein Asyl erhielten, aber dennoch schwerlich in
ihre Heimat zurückkehren könnten - etwa, weil Rückkehrabkommen nicht funktionierten oder sie
als Frauen Opfer geschlechtsspezifischer Diskriminierung seien.
Diese gilt hierzulande nicht als
Asylgrund. Kein Asyl erhalten
auch Bürgerkriegsflüchtlinge und
Menschen, die von nicht-staatlichen Gruppen verfolgt werden.
Paritätischer Wohlfahrtsverband,
Caritas und Sozialrechtswissenschaftler warnten, mit den massiven Einschränkungen würde das
Existenzminimum unterschritten.
Damit würden das in der Verfassung verankerte Sozialstaatsprinzip und der Grundsatz der Menschenwürde verletzt. Ein Experte
der Evangelischen Kirche in
Deutschland (EKD) sagte voraus,
ein Teil der Betroffenen werde sozial verwahrlosen. Ein Sprecher
Gesetz geworden.
Mit dem „finalen Leistungsentzug"
propagieren die Innenministerien
nunmehr direkt und unverblümt
Elemente faschistischer Sozialpolitik. Soziale Verfolgung ist angesagt.
Es gibt ein einfaches Mittel dagegen:
Laßt uns auf der Seite der Gesellschaft zusammenkommen, wo die
Menschenwürde uneingeschränkt
gilt und wo das Recht auf Leben
und Unversehrtheit für alle Menschen gleichermaßen gewährleistet ist.
Weg mit dem Asylbewerberleistungsgesetz!
der evangelischen Passionskirchengemeinde in Berlin gab zu
bedenken, die Menschen würden
geradezu in die Schwarzarbeit
und die Kriminalität getrieben.
Ein Vertreter der Bundesärztekammer verwarf den Entwurf als
„ethisch untragbar“. Die Mediziner würden sich nicht zur Lösung
politischer Probleme instrumentalisieren lassen. Praktiker bezeichneten bestehende Gesetze als
ausreichend, um Leistungsmißbrauch zu verhindern.
Die AG der Landesflüchtlingsverwaltungen begrüßt dagegen die
angepeilten Kürzungen weitgehend, vorausgesetzt die Ausreise
sei „zumutbar“. Ähnlich argumentierten kommunale Spitzenverbände. Rechtsprofessor Kay
Hailbronner nannte die Regelungen rechtlich unproblematisch. Er
hob darauf ab, daß lediglich geduldete Ausländer nicht die gleichen Leistungen erhalten sollten
wie Nichtdeutsche mit festem
Aufenthaltsstatus.
Die Bundesregierung begrüßt die
Bundesratsinitiative, die laut Experten bis zu 300.000 Menschen
treffen würde, darunter viele bosnische Bürgerkriegsflüchtlinge.
Unklar ist, wann der Bundestag
den Entwurf berät.
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
DOKUMENTATION
Bundestagsdebatte AsylbLG / Rassismus
Wir dokumentieren den uns von Georg Classen zugestellten Text der Bundestagsdebatte in voller Länge, und enthalten uns naheliegender Kommentierungen, - bis
auf eine: welche Artikulierungsmöglichkeit bliebe eigentlich einer DVU noch in diesem Parlament angesichts der Beiträge der christlichen Regierungsparteien? Red.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes
— Drucksache 13/10 155 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit (federführend)
Innenausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde
vorgesehen. — Widerspruch gibt es
nicht. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort
hat zunächst der Abgeordnete Wolfgang Lohmann.
Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)
(CDU/CSU): Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bereits am 6. Februar 1998, nur wenige
Minuten nach dem Beschluß des Bundesrates, haben wir uns hier in einer,
wie ich finde, völlig überflüssigen Aktuellen Stunde inhaltlich mit dem Entwurf
des Bundesrates eines Zweiten Gesetzes
zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes beschäftigt. Heute nun
wird dieser Entwurf offiziell eingebracht.
Die vom Bundesrat vorgeschlagenen Änderungen haben eine emotionale
Springflut ausgelöst, die nach unserer
Auffassung sachlich völlig unbegründet
ist. Kirchliche Gruppen und Wohlfahrtsverbände haben sich offensichtlich
durch die Verbände der Flüchtlinge und
Bündnis 90/Die Grünen instrumentalisieren lassen.
Bereits vor der Verabschiedung im Bundesrat hat der Bundesvorstandssprecher
von Bündnis 90/Die Grünen, Jürgen Trittin, den Inhalt des Gesetzes — ich zitiere
aus der “Westfälischen Rundschau” —
als “Ausdruck eines institutionalisierten
Rassismus” bezeichnet.
(Amke Dietert-Scheuer [BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!)
Die Entgleisung von Herrn Trittin wird
verständlich, wenn man bedenkt, daß
vor dem Hintergrund des bevorstehenden Bundestagswahlkampfes ein Thema
hochgeredet werden soll, von dem man
sich Pluspunkte bei der vermeintlich einzig moralischen Kompetenz verspricht.
(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Aber Trittin ist
nicht Mitglied des Hauses!)
Meine Damen und Herren von den Grünen — sie sind es noch —, Ihr grünes Ü,
das Sie jetzt ständig plakatieren, steht
auch beim Asylbewerberleistungsgesetz
für Übertreibung. Was ist denn eigentlich so skandalös an diesem Gesetzentwurf des Bundesrates? Wir meinen:
nichts.
Drei Personengruppen, die bislang uneingeschränkt Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten haben, sollen künftig nur noch Leistungen
bekommen, soweit dies im Einzelfall
nach den Umständen unabweisbar geboten ist. Zukünftig sollen also Auslän-
der von den Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ausgenommen
werden, die nur nach Deutschland einreisen, um diese Leistungen zu erlangen,
aber keinen Asylantrag stellen.
(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig so!)
Auch Ausländer, die die Durchsetzung
der Ausreisepflicht beispielsweise durch
Paßzerstörung verhindern oder die nicht
ausreisen, obwohl sie freiwillig ausreisen
könnten, sollen zukünftig keine Leistungen mehr erhalten.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Darüber hinaus sieht der Gesetzentwurf
einige Angleichungen des Gesetzes an
bereits gültige Regelungen des Bundessozialhilfegesetzes vor. Bedauerlich an
den Regelungen ist eigentlich nur, daß
die SPD-Mehrheit im Bundesrat im April
1997 noch nicht den Mut gehabt hatte,
diese Änderungen im Rahmen der Beratung des Ersten Gesetzes zur Änderung
des Asylbewerberleistungsgesetzes in
den Vermittlungsausschuß einzubringen.
Warum nicht gleich so, muß man eigentlich fragen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Doch zurück zur Gegenwart: Interessensgruppen, Bündnis 90/Die Grünen,
leider auch Sie, Frau Sonntag-Wolgast,
wenden sich gegen die Regelungen. Von
Aushungern, unmenschlichen Behandlungsmethoden und der Verletzung der
Menschenrechte ist die Rede. Auch der
üble Begriff Ausländerfeindlichkeit wird
teilweise in diesem Zusammenhang gebraucht. Kein Kommunalpolitiker, kein
Landespolitiker und auch keiner von uns
Bundespolitikern würde einer Regelung
das Wort reden, die tatsächlich einen
solchen Charakter hätte. Wir garantieren
in Deutschland in einem großen politischen Konsens, manifestiert im Grundgesetz, das Asylrecht.
Wir eröffnen in unserem Land jedem
Asylbewerber nach der Ablehnung im
Verfahren den Rechtsweg. Wir haben in
Deutschland zu Zeiten des Bürgerkriegs
im ehemaligen Jugoslawien mehr Flüchtlinge aufgenommen als jedes andere europäische Land. Das sind Fakten, die Kritiker an dieser Stelle einfach einmal zur
Kenntnis nehmen müssen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Auf diesen Rechtsrahmen sind wir stolz
und werden ihn auch verteidigen. Wir
und auch der Kanzler und die Bundesregierung wollen keine ausländerfeindlichen Regelungen, und, wie ich überzeugt bin, auch die Ministerpräsidenten,
ob sie nun Teufel, Lafontaine oder
Schröder heißen, wollen das nicht.
Wir Befürworter des Gesetzentwurfes
wollen lediglich den Schlepperbanden
den finanziellen Anreiz nehmen, um diesen ihr wirklich menschenverachtendes
und schmutziges Geschäft kaputtzumachen. Das wollen wir.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir wollen auch Leistungsmißbrauch zu
Lasten unserer Gemeinschaft erschweren. Dies haben wir bei vielen Sozialleistungen leider tun müssen; warum nicht
jetzt auch in diesem Bereich? Schließlich
wollen wir auch den Menschen, deren
Gastrecht in Deutschland abgelaufen ist
und die jetzt in ihre Heimat zurückkehren müssen und dies auch können, Anreize für ihre Rückkehr geben.
Ich persönlich kann zum Beispiel Personen aus Bosnien verstehen, die nicht in
ihre Heimat zurück wollen. Ihre derzeitige Versorgung hier ist staatlich gesichert. Zu Hause müßten sie eigenverantwortlich ein neues Leben beginnen. Wer
hätte für diese Menschen nicht mehr
Verständnis als Personen, die beispielsweise wie ich als Kind noch die Flüchtlinge und ausgebombten Menschen erlebt haben. Aber auch diese Menschen
haben sich nach dem menschenverachtenden Zweiten Weltkrieg an neuer oder
an alter Stelle eine Existenz aus dem
Nichts aufgebaut.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Niedersachsen
Ist es deshalb unmenschlich, wenn wir
den Bosniern jetzt deutlich machen, daß
es Zeit ist, daß auch sie in ihre Heimat
zurückkehren und wir ein längeres Bleiben in Deutschland nicht befürworten,
sie aber nicht durch staatliche Gewalt
gegen ihren Willen zum Ausreisen zwingen? Ich denke: Nein. Niemand wird gerade der zuletzt erwähnten Gruppe von
Menschen die Unterkunft verweigern
oder die notwendige Ernährung einschränken, wie die übertriebenen
Schlagworte dauernd heißen.
(Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Sehr
richtig!)
Aber müssen diese Menschen weiterhin
Taschengeld, Geld für Kleidung, Geld für
andere Ge- und Verbrauchsgüter oder
für Miete erhalten? Ich meine, wie Bundesrat und auch Bundesregierung: Nein.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Nur damit nicht morgen wieder von den
Grünen behauptet wird, die CDU/CSU
wolle Flüchtlinge nackt herumlaufen lassen: Es gibt schon sehr lange sehr gut
ausgestattete Kleiderkammern in den
Städten und Gemeinden.
Auch das füge ich hinzu: Die wirklich
unseriöse Politik betreiben doch Sie. In
Nordrhein-Westfalen, in jenem rotgrünen Möchtegern-Musterländle, lassen
Sie seit dem 1. Januar dieses Jahres die
Kommunen mit den finanziellen Lasten
der Bürgerkriegsflüchtlinge allein und
verschleppen die Abschiebungen.
Gleichzeitig versuchen Sie im Deutschen
Bundestag, überfällige Leistungskürzungen zu verhindern, die direkt den Kommunen zugute kommen sollen.
(Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Das ist
unerhört!)
Geld übrigens, das viele Kommunen liebend gerne auch in eine verbesserte Betreuung von ausländischen Jugendlichen, bessere Integrationsmaßnahmen
von anerkannten Asylbewerbern oder
Asylbewerberheime stecken würden, wie
mir Kommunalpolitiker immer wieder
versichern.
Unterstellt man, daß auch nur ein Drittel
der insgesamt 600 000 vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer von den Einschränkungen betroffen sein würden, ergäben sich direkte Einsparungen von
250 bis 300 Millionen DM im Jahr. Würden diese Anreize nur 10 Prozent der
Betroffenen bis 1999 zur Ausreise bewe-
gen, würden die Kommunen im nächsten Haushaltsjahr um etwa 600 Millionen DM entlastet.
Inhaltlich wird die CDU/CSU-Fraktion
trotz der generellen Befürwortung des
Gesetzentwurfs des Bundesrates im weiteren Verfahren natürlich sorgfältig prüfen, ob nicht an der einen oder anderen
Stelle Konkretisierungen, zum Beispiel
beim Leistungsumfang, in den Gesetzentwurf aufgenommen werden sollten.
Wir werden jedoch auch prüfen, ob
nicht der weitergehende Vorschlag der
Bundesländer Baden-Württemberg und
Bayern wieder aufgegriffen werden sollte, nämlich die Ausweitung der Einschränkung auf alle Personen, die sich
unerlaubt in den Geltungsbereich des
Gesetzes begeben haben.
Grundsätzlich, meine Damen und Herren, bleibt festzuhalten: Wir können
doch nicht in einer Zeit, in der wir angesichts der weltweiten Globalisierung vor
die deutschen Bürger treten und ihnen
erklären müssen, warum wir Leistungen
teilweise einschränken und Leistungsmißbrauch bekämpfen — weil er unsozial ist —, gleichzeitig tatenlos zusehen,
wie sich ein kleiner Teil — ich sage bewußt: ein kleiner Teil — der Ausländer
durch rechtswidriges Verhalten einen
Leistungsanspruch sichert.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr
Kollege, denken Sie an die Zeit!
Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)
(CDU/CSU): Übrigens: Dieses Verhalten
ist auch sehr vielen Ausländern gegenüber ungerecht, die sich an Recht und
Gesetz in unserem Land halten.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das
Wort hat jetzt die Abgeordnete Brigitte
Lange.
Brigitte Lange (SPD): Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren!
Ihre Rede, Herr Lohmann, macht es mir
wirklich sehr schwer, das durchzuhalten,
was ich mir vorgenommen habe: zu beachten, daß wir hier über ein sehr sensibles Thema reden, dessen Auswirkungen
in der ôffentlichkeit wir einschätzen können und bei dem jedes Wort auf
Mühlen geraten könnte, die wir nicht
haben wollen.
(Beifall bei der SPD)
Ich denke, wir sollten bei allem, was wir
sagen, im Auge behalten und überprüfen, ob es den Menschen hilft, um die
es heute geht.
Wir sollten von hier aus signalisieren,
daß es dabei bleibt, daß bei uns Schutzsuchenden, die vorübergehend Aufnahme in unserem Land finden, eine menschenwürdige Versorgung garantiert
wird.
(Beifall bei der SPD — Zuruf von der
CDU/CSU: Das ist keine andere Meinung!)
Ich bin von Schulkindern gefragt worden: “Müssen Entscheidungen bei euch
immer so lange dauern?” Ich habe versucht, ihnen zu erklären, warum Entscheidungen manchmal sehr lange dauern müssen.
Hier haben wir ein Beispiel dafür, daß
die Kürze der Beratung nicht unbedingt
ein Ausweis dafür sein muß, daß ein Gesetz gelingt.
(Zuruf von der CDU/CSU: Aber die Länge
23
DOKUMENTATION
auch nicht!)
Ich bin mir sicher — das ist aus den Erklärungen der Länder auch abzulesen —
, daß sie eigentlich etwas anderes gewollt haben
(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid]
[CDU/CSU]: Das kommt vom Bundesrat!)
und daß sie im Gestrüpp der Formulierungen hängengeblieben sind.
Das zu vermeiden ist ja auch nicht ganz
einfach. Denn so, wie das Gesetz angelegt und gestrickt ist, kann es schon passieren, daß jemand, der sich in dem
Recht nicht so auskennt, möglicherweise
einer Sache zustimmt, die er so nicht
wollte. Lesen Sie, was Bürgerkriegsflüchtlinge anbetrifft, Äußerungen nach!
(Zuruf von der F.D.P.: Wo kommt das
denn her?)
Insofern danke ich — im Gegensatz zu
Ihnen, Herr Lohmann — allen Organisationen, den Kirchen, den Gewerkschaften, die uns geschrieben
(Zuruf von der CDU/CSU: Und der eigenen Partei! — Weitere Zurufe von der
CDU/CSU)
— wenn der uns geschrieben hätte, hätte ich ihm auch gedankt — und uns auf
das Problem aufmerksam gemacht haben. Übertreibungen sind für diejenigen,
die Anwälte der Flüchtlinge sind, erlaubt. In unserer Gesellschaft, so sage
ich einmal, sind sie erst recht erlaubt.
(Beifall bei der SPD — Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]:Sie dürfen aber nicht zum Vorwand werden!)
Nur, in der Frage der Bürgerkriegsflüchtlinge, meine Damen und Herren, haben
sie sich leider nicht geirrt.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau
Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heinrich?
Brigitte Lange (SPD): Ja.
Ulrich Heinrich (F.D.P.): Frau Kollegin,
sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen,
daß wir heute die erste Lesung haben —
weil Sie eben gerade die Kürze der Beratung kritisiert haben?
(Heiterkeit bei der F.D.P. und der
CDU/CSU)
Brigitte Lange (SPD): Das Mißverständnis
läßt sich leicht aufklären. Ich meine die
Kürze der Beratung im Bundesrat.
(Cornelia Schmalz-Jacobsen [F.D.P.]: Die
Bundesratsbank ist erstaunlich leer! Das
muß ich schon sagen! — Ulrich Heinrich
[F.D.P.]: Das ist kein Mißverständnis,
Frau Kollegin! Das ist falsch ausgedrückt!)
— Ich kann doch nicht jemanden meinen, der es nicht gemacht hat.
Das war eindeutig. Es ist etwas schwierig.
(Beifall bei der SPD)
Aber wenn Sie schon das schlechte Gewissen packt, habe ich Hoffnung.
(Zurufe von der CDU/CSU)
— Wäre es möglich, daß Sie mir ganz
kurz zuhören? Dann geht es nämlich
schneller.
Ich möchte Ihnen kurz den Bundesratsentwurf erläutern, der bei Enthaltung
der ro/grün geführten Länder und bei
der Gegenstimme Schleswig-Holsteins
eine mehrheitliche Zustimmung gefunden hat.
Das macht Ihnen deutlich, daß ihm
nicht alle Länder zugestimmt haben,
sondern daß bereits Bedenken bestanden haben.
24
(Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Schröder
hat nicht zugestimmt!)
Die Bedenken werden in diesbezüglichen
Erklärungen, Briefen und Stellungnahmen deutlich. Ich empfehle Ihnen, die
Stellungnahme des UNHCR zu lesen.
Müssen wir in einer so sensiblen Debatte
wirklich auf diese Weise miteinander
umgehen?
(Beifall bei der SPD)
Ich bitte doch herzlich darum, mir zuzuhören. Ich referiere Ihnen jetzt einfach, was im Gesetzentwurf steht.
Hören Sie erst einmal zu. Vielleicht stimmen Sie mir dann zu.
(Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Lesen
Sie es doch selber! Wir kennen es!)
Hauptziel dieses Gesetzentwurfes ist,
Mißbrauch zu verhindern.
Das wollte man durch Leistungseinschränkungen erreichen. An dieser Stelle
füge ich hinzu — damit keine falsche
Vorstellung entsteht —: Die hier angesprochenen Leistungen, die bereits unterhalb der Sozialhilfe liegen, also nur
80 Prozent der Sozialhilfe betragen, sind
wahrlich nicht üppig
(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid]
[CDU/CSU]: Das behauptet ja keiner!)
und stellen ein Minimum an Versorgung
sicher. Nur damit nicht immer der Eindruck entsteht, die Betroffenen hätten
so viel, daß man davon noch etwas
wegnehmen könnte.
(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid]
[CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)
Es ist gerade das Minimum an Versorgung. Einmal im Kommentar zum Bundessozialhilfegesetz nachzulesen könnte
Ihnen helfen — Herr Lohmann, da kennen Sie sich ja aus —: Da wird das Unerläßliche als das um 20 Prozent gekürzte Regelsatzgeld definiert.
(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid]
[CDU/CSU]: Es geht um die Anspruchsberechtigten!)
Da wären wir bei dem, was ein Betroffener jetzt erhält.
Es wird sehr schwierig sein, tatsächlich
zu beschreiben, was man mit dem Gesetzentwurf vorhat. Von der Leistungseinschränkung sind zwei Gruppen betroffen: diejenigen, die man nachträglich
bei der letzten Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes dessen Geltungsbereich hinzugefügt hat, nämlich Personen, die nach § 55 des Ausländergesetzes eine Duldung besitzen, und Personen, die vollziehbar ausreisepflichtig
sind, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr
vollziehbar ist.
Ich will Ihnen gern einmal diejenigen
Gruppen nennen, die von dieser Duldung nach § 55 betroffen sein werden:
(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid]
[CDU/CSU]: Aber auch die anderen!)
Darunter fallen unter anderem bosnische
Kriegsflüchtlinge ohne Rücksicht auf
Herkunft und Rückkehrmöglichkeiten,
darunter auch Lagerinsassen, Opfer von
Kriegsverbrechen, Vergewaltigungen
und Folter; auch Zeugen des Haager
Kriegsverbrechertribunals und deren Familienangehörige. Darunter fallen auch
Flüchtlinge, die aus humanitären Gründen und wegen Gefahr für Leib und Leben eine Duldung erhalten, zum Beispiel
Flüchtlinge aus Afghanistan, Somalia
oder Algerien. Darunter fallen Flüchtlin-
ge, die eine Duldung erhalten, weil sie
nicht abgeschoben werden können, zum
Beispiel Flüchtlinge aus dem Kosovo,
Palästinenser aus dem Libanon und Kurden aus der Türkei.
(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid]
[CDU/CSU]: Um die geht es doch gar
nicht!)
Das zu der Erklärung, welcher Personenkreis hier im Gesetzentwurf beschrieben
wird.
(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid]
[CDU/CSU]: Theoretisch!)
— Nein, nicht theoretisch. Es steht ausdrücklich in dem Gesetzentwurf, nämlich “Leistungsberechtigte nach § 1 Abs.
1 Nr. 4 und 5”. Ich empfehle Ihnen, das
Asylbewerberleistungsgesetz von 1997
nachzulesen.
(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Sagen Sie das
doch einmal dem Herrn Schröder!)
Diese Gruppe soll Leistungseinschränkungen erhalten.
(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid]
[CDU/CSU]: Wenn sie ausreisen könnten
und es nicht tun!)
Das bedeutet praktisch keine Leistungen
mehr, wenn sie sich erstens in unser
Land hineinbegeben haben, um Sozialleistungen zu empfangen — diese Regelung ist aus dem BSHG übernommen;
wenn Sie sich erkundigen, werden Sie
herausfinden, daß dieser Paragraph selten angewendet werden kann und
Schwierigkeiten machen wird —, oder
wenn sie zweitens aus von ihnen zu vertretenden Gründen nicht ausreisen oder
abgeschoben werden können. Da, Herr
Lohmann, könnte ich mir vorstellen, daß
das die Gruppe ist, bei der man sagt, sie
könne nicht bei uns bleiben, weil sie selber ihre Ausreise verhindert, um weiter
Leistungen zu erhalten. Es ist richtig,
daß das Gesetz vollzogen werden muß
und daß sie unser Land verlassen müssen. Aber wir als Sozialpolitiker müssen
ganz grundsätzlich fragen: Welche Mittel nehmen wir? Es bleibt die Frage, ob
man dazu das Sozialrecht oder das Ausländerrecht nimmt. Es muß für uns als
Politiker zwingend sein, darüber nachzudenken: Was machen wir?
Welche Konsequenzen haben wir, wenn
wir ein Sozialrecht dahin gehend erweitern, daß wir es als Ordnungsrecht gebrauchen, quasi als Ersatz für die Unmöglichkeit eines Ordnungsrechts? Wir
werden darüber nachdenken müssen.
Das zweite ist — insbesondere da hat
der Protest angesetzt —, daß geduldete
Flüchtlinge praktisch keine Leistung erhalten sollen, wenn sie nicht ausreisen,
obwohl ihrer Ausreise in den Herkunftsstaat oder einen anderen zur Aufnahme
bereiten Staat keine rechtlichen oder
tatsächlichen Hindernisse entgegenstehen.
Wir alle, die wir zu Hause Flüchtlinge
aus Jugoslawien haben, wissen, wie
schwer es für die Familien ist, zurückzukehren. Herr Lohmann, der Vergleich mit
der Situation nach dem Krieg zieht
nicht.
(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid]
[CDU/CSU]: Das sagen Sie! Das sagen Sie
einmal den Menschen vor Ort!)
Er zieht nicht, weil die Flüchtlinge damals nicht an Leib und Leben bedroht
waren, wie manche es jetzt noch sind.
(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid]
[CDU/CSU]: Bitte, was? — Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Wo leben Sie denn?!)
Ich bin auf Einladung Ihres Verteidigungsministers Rühe in Sarajevo gewesen. Die Generäle haben uns den Zustand der Region dort geschildert. Sie
haben uns gesagt: Wenn unser Aufenthalt hier einen Sinn haben soll, wenn es
uns gelingen soll, diese Gegend von Minen freizuräumen, wenn es uns gelingen
soll, den Frieden in dieser Region einigermaßen zu bewahren, dann sagt bitte
zu Hause, daß die Rückkehr von Flüchtlingen nur behutsam und nur in bestimmte Gegenden erfolgen kann.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
— Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid]
[CDU/CSU]: Wer sagt denn etwas anderes?)
Wir wissen, daß in manchen Regionen,
in die man reisen kann, die Häuser zerstört sind, daß zum Teil andere Familien
in den nicht zerstörten Häusern wohnen, daß Flüchtlinge wieder in Lagern
aufgenommen werden und daß Flüchtlinge nicht auf Anerkennung stoßen. Der
Prozeß wird nur langsam fortschreiten.
Ich bitte Sie, einmal darüber nachzudenken, ob man hier wirklich so argumentieren kann.
(Zuruf von der CDU/CSU: Ich bin froh,
daß die die Wahlen nicht gewinnen werden!)
Ich denke, daß wir uns — nach der geplanten Anhörung, in der wir auf all diese Fragen Antworten bekommen —
bemühen und unsere ganzen Anstrengungen dareinsetzen sollten, mit den
Ländern zusammen dieses Gesetz so zu
verändern, daß die Menschlichkeit, der
Anspruch auf Menschenwürde und auch
der Rechtsstaat nicht auf der Strecke
bleiben.
Vielleicht erlauben Sie mir eine letzte Bemerkung: Das ist jetzt die dritte Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Jedesmal hat es eine Verschlechterung
gegeben. Wir suchen hier nach den richtigen Mitteln, um die Flüchtlingsfrage zu
lösen. Ich würde mir wünschen, wir
würden uns mindestens so engagieren
und so viel Phantasie aufwenden und
Mittel ersinnen, die es erlauben, daß die
Menschen, die bei uns Zuflucht suchen,
in ihren Heimatländern bleiben können.
Dann wäre es wirklich möglich, menschlich miteinander umzugehen.
(Beifall bei der SPD)
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das
Wort hat jetzt die Abgeordnete Amke
Dietert-Scheuer.
Amke Dietert-Scheuer (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als das
Asylbewerberleistungsgesetz 1993 beschlossen wurde, hieß es: Für ein Jahr,
auf keinen Fall länger, sollen Asylsuchenden die Leistungen im Vergleich zu
deutschen Sozialhilfeempfängern
gekürzt werden. Vergangenen Sommer
wurde der Personenkreis erweitert. Die
Bürgerkriegsflüchtlinge und die Geduldeten kamen hinzu. Außerdem wurde
die Kürzung um zirka 20 Prozent im Verhältnis zu den Sozialleistungen auf drei
Jahre verlängert.
Der Gesetzentwurf, um den es heute
geht, ist nicht mehr nur eine Kürzung,
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
DOKUMENTATION
sondern die Aufkündigung jedes sozialstaatlichen Konsenses. Einem Teil der
hier lebenden Bevölkerung — die Bundesregierung redet von zirka 600 000
Menschen — soll jeglicher Versorgungsanspruch und damit im Prinzip das Lebensrecht verweigert werden.
(Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: So ein
ausgemachter Blödsinn!)
Das dürfen wir nicht hinnehmen!
Erinnern wir uns an die von uns beantragte Aktuelle Stunde zum Asylbewerberleistungsgesetz am 6. Februar. Wir
haben aufgezeigt, wer von diesen Maßnahmen betroffen wäre: bosnische
Kriegsflüchtlinge, Flüchtlinge aus Algerien, aus dem Kosovo und afghanische
Frauen.
(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid]
[CDU/CSU]: Sprechen Sie doch endlich
über die Schlepperbanden!)
Was wurde uns da nicht alles vorgeworfen: Greuelszenarien, Unkenntnis des
Gesetzestextes.
Der Debatte vom 6. Februar war aber
auch zu entnehmen, daß es auch in den
Reihen der Koalitionsfraktionen Bedenken gegen das Gesetz gibt. Zumindest
wurde die Auffassung geäußert, daß
bosnische Flüchtlinge und Personen, die
auf Grund von Abschiebungshindernissen geduldet werden, nicht davon betroffen sein dürften. Bei Ihnen, Herr Lohmann, klang das vorhin schon wieder
deutlich anders.
Der vorliegende Gesetzentwurf erfüllt
aber nicht einmal diese Voraussetzungen. Nach wie vor sind auch bosnische
Kriegsflüchtlinge und Geduldete, bei denen Abschiebungshindernisse nach § 53
des Ausländergesetzes festgestellt wurden, weil ihnen Gefahr für Leib und Leben, Folter oder Todesstrafe drohen, von
dem Leistungswegfall betroffen. Eine
Klarstellung in einem Referentenentwurf
aus dem Gesundheitsministerium, die
diese Personen ausgenommen hätte,
wurde von der Bundesregierung in ihrer
Stellungnahme nicht übernommen. Dies
und auch die von der Bundesregierung
geschätzten 600 000 Betroffenen machen deutlich, daß gerade auch diese
Personengruppen unter diese Regelung
fallen sollten.
Die Bundesregierung will den Entwurf
des Bundesrates sogar noch weiter verschärfen. Was im Plenum des Bundesrates noch verworfen wurde, will sie wieder einführen. Von Leistungen ausgeschlossen soll auch werden, wer unerlaubt in die Bundesrepublik eingereist
ist. Gerade Personen, die vor politischer
Verfolgung oder auf Grund von Gefahr
für Leib und Leben fliehen, ist es so gut
wie unmöglich, legal in die Bundesrepublik einzureisen. Genau deswegen
schließt die Genfer Flüchtlingskonvention in Art. 31 eine Bestrafung wegen illegaler Einreise ausdrücklich aus. Es ist ein
Verstoß gegen den Geist des Völkerrechts, wenn hier bei uns nun eine Bestrafung über das Sozialrecht vorgenommen werden soll.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der PDS)
Nach wie vor unklar ist, was es zu bedeuten hat, wenn diejenigen Personen,
die keinen Anspruch mehr haben, nur
noch Leistungen erhalten, “soweit dies
im Einzelfall nach den Umständen unab-
weisbar geboten ist.” Sollen alle Sozialleistungen gestrichen werden, also die
ca. 600 000 Betroffenen auf die Straße
gesetzt werden? Sollen sie medizinisch
notversorgt werden? Sollen ihre Kinder
vom Schulrecht ausgeschlossen werden?
Sollen sie lediglich eine Rückfahrkarte
und ein Butterbrot erhalten? Diese und
andere Vorschläge kursieren. Es ist völlig
offen, wie verfahren werden soll.
Was bedeutet der Gesetzentwurf für die
konkrete alltägliche Praxis auf dem Sozialamt? Werden die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter der Sozialämter nun in jedem Fall feststellen müssen, ob eine Familie freiwillig ausreisen könnte, ob ein
krankes Kind zum Arzt darf oder nicht?
Nicht zuletzt sollten wir uns die absehbaren Nebeneffekte dieses Gesetzes vor
Augen führen.
Von mehreren Seiten kamen Warnungen, daß dieser Gesetzentwurf die Asylbewerberzahlen in die Höhe treiben
wird. Flüchtlinge aus Kriegen und Bürgerkriegen haben im Asylverfahren so
gut wie keine Anerkennungschancen.
Mit dem leider nie umgesetzten § 32
Ausländergesetz sollte daher vermieden
werden, daß sie ins Asylverfahren gedrängt werden. Dieser gewünschte Effekt wird nun mit der Neuregelung des
Asylbewerberleistungsgesetzes hintertrieben.
Die vorgesehene Regelung wird ein
enormes Maß an bürokratischen Einzelfallprüfungen und Gerichtsverfahren
nach sich ziehen. Was sollen Personen,
die auf Grund von Gefahr für Leib und
Leben nicht in ihre Heimatländer zurückkehren können, anderes tun, als den
Klageweg zu beschreiten, um sich nicht
durch diese Politik des Aushungerns aus
dem Land treiben zu lassen?
Nicht zuletzt ist es der soziale Sprengstoff, den dieser Gesetzentwurf enthält,
über den wir uns ernsthaft Gedanken
machen sollten. Sollen etwa die betroffenen Menschen in die Illegalität gehen,
um ihren Lebensunterhalt anderweitig
zu beschaffen?
(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid]
[CDU/CSU]: Die sollen nach Hause gehen!)
Wir werden Kriminalität produzieren,
wenn wir diesem Gesetzentwurf unsere
Zustimmung geben. Oder ist etwa gerade das gewollt: Flüchtlinge in die Kriminalität zu treiben, um weiterhin Angst
und Vorurteile zu schüren?
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So was
Dummes! — Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Ich war 16 Jahre in
der Kommunalpolitik! Soll ich mir so was
anhören?)
Der Gesetzentwurf enthält eine Reihe
von Unklarheiten und Ungereimtheiten.
Eines ist jedoch vollkommen klar: Mit
diesem Gesetz verläßt die Bundesregierung den Boden des Sozialstaates.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik wird einer Gruppe von Menschen
das pure Existenzrecht abgesprochen.
Nach dem Willen der Bundesregierung
werden Hunderttausende von Menschen
gezwungen sein, auf der Straße zu leben und zu hungern. Dies kann man
nur als einen Rückfall in die Barbarei bezeichnen.
Die Kirchen, die Wohlfahrtsverbände
und der UNHCR laufen — vollkommen
zu Recht — dagegen Sturm. Ich hoffe,
daß Sie sich bei der geplanten Anhörung zu dem Gesetzentwurf wenigstens von deren Argumenten überzeugen lassen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und
der PDS)
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das
Wort hat jetzt der Abgeordnete Uwe
Lühr.
Uwe Lühr (F.D.P.): Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Zwei Bemerkungen am Anfang: Daß
der Bundesrat bei der Debatte seines
Gesetzentwurfs, der über das Schicksal
von vielen Menschen durchaus wichtige
Entscheidungen treffen wird, nicht angemessen präsent ist, empfinde ich als
eine Zumutung für unser Hohes Haus.
(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der
SPD und der PDS)
Zweite Bemerkung: Auch ich werde versuchen, mich in meinem Diskussionsbeitrag differenziert zu dem Gesetzentwurf
zu äußern.
Ich möchte aber zunächst darauf hinweisen — speziell mit Blick auf die Rede
der Kollegin Lange —, daß der Bundesrat diesem Gesetzentwurf mehrheitlich
zugestimmt hat. Nun ist die SPD ja
kampferprobt, was die Blockade von Gesetzen im Bundesrat angeht, die nach
Meinung der SPD unvollständig sind.
(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid]
[CDU/CSU]: Das kann man wohl sagen!)
Es wäre sinnvoll gewesen, diesen Gesetzentwurf, der in meinen Augen wirklich nicht ausreichend ist, zu blockieren.
(Beifall bei der F.D.P.)
Meine Damen und Herren, in der ersten
Lesung dieses Gesetzentwurfs des Bundesrates möchte ich kurz beleuchten,
wie es zu dem jetzt diskutierten Gesetzentwurf gekommen ist.
Ausgegangen war das Verfahren von einem Antrag des Landes Berlin, daß Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz dann beschränkt werden
sollten, wenn Menschen in das Bundesgebiet einreisen, um Leistungen nach
dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erhalten. Dieser Antrag, der eine Regelung
des Bundessozialhilfegesetzes aufgreift,
war als solcher inhaltlich zweifellos sinnvoll. Allerdings hat sich durch das Plenum des Bundesrates die Möglichkeit einer erheblichen Erweiterung ergeben.
Diese Erweiterung hat aber in keiner
Weise dazu beigetragen, inhaltliche Verbesserungen oder gar klare Regelungen
zu erreichen.
Im Gegenteil: Die bisherige Diskussion
hat zu einer Verunklarung, Verschärfung
und damit aus meiner Sicht zu einer
“Verschlimmbesserung” geführt.
Mittlerweile hat die Bundesregierung
Stellung genommen. Diese Stellungnahme zeichnet sich durch eine große Offenheit, aber auch durch Interpretationsmöglichkeiten nach allen Seiten aus. Das
hat den Vorteil, daß sie für weitere Interpretationen offen ist.
Allerdings besteht auch die Gefahr, daß
in die falsche Richtung weitergedacht
wird.
Nach wie vor nicht befriedigend geklärt
ist, wen genau die vorgesehenen Kürzungen treffen sollen. Handelt es sich
um diejenigen, die mehrfach Sozialhilfe
beziehen und somit zweifellos Sozialleistungen mißbrauchen? Sind es diejenigen, von denen wir annehmen, daß sie
ausreisen könnten, es aber nicht tun?
Oder sind es eventuell auch diejenigen,
die illegal eingereist sind, weil sie vor
Folter oder Todesstrafe fliehen mußten?
Zumindest läßt sich zunächst feststellen,
daß sich derjenige, der eine ausländerrechtliche Duldung besitzt, legal im Bundesgebiet aufhält. Jede Abgrenzung innerhalb dieser Gruppen ist ausgesprochen schwierig.
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und
der SPD)
Diese Arbeit, denke ich, liegt noch vor
uns. Nehmen wir beispielsweise die
Gruppe der sogenannten illegal Eingereisten, die der Bundesrat mit Bedacht
nicht in die Neuregelung einbezogen
hat. Gleichwohl formuliert die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme, den Antrag zu “prüfen”, ob auch die illegale
Einreise für Leistungseinschränkungen
herangezogen werden sollte.
Meine Damen und Herren, illegal ist jeder eingereist, der bei seiner Einreise
nicht über die notwendigen Ausweisdokumente verfügt. Dies betrifft völlig unterschiedliche Personengruppen. Da ist
zum einen derjenige, der nach Deutschland gekommen ist, weil er sich hier ein
besseres Leben verspricht, und der gefahrlos ins Herkunftsland zurückreisen
könnte. Hier spricht nichts, aber auch
gar nichts dagegen, ihm hier in Deutschland das Leben so ungemütlich wie
möglich zu machen, damit er wieder
ausreist.
(Zustimmung des Abg. Ulrich Heinrich
[F.D.P.])
Es betrifft aber auch Bürgerkriegsflüchtlinge und Menschen aus Ländern, in denen staatliche Verfolgung herrscht. Diese
Menschen können die erforderlichen Dokumente zum Zeitpunkt ihrer Flucht oft
nur schwer oder gar nicht beschaffen.
Man muß sich gerade im Hinblick auf
Bürgerkriegsflüchtlinge oder auf Menschen aus Ländern, in denen staatliche
Verfolgung herrscht, klarmachen, daß
solche Papiere nicht oder nur unter ganz
großen Schwierigkeiten zu beschaffen
sind. Wir haben es deswegen mit einer
zahlenmäßig recht umfangreichen Gruppe zu tun. Was ist mit Flüchtlingen, in
deren Heimatländer — wie beispielsweise Afghanistan — keine Rückflüge möglich sind? Viele der illegal Eingereisten
erhalten nach § 53 oder § 54 Ausländergesetz zu Recht eine Duldung im Bundesgebiet, weil ihnen im Heimatland Tod
oder Folter drohen. Diese Flüchtlinge
sind nicht etwa gekommen, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen, sondern weil sie
Schutz begehren und den Schutz brauchen.
(Beifall der Abg. Cornelia Schmalz-Jacobsen [F.D.P.])
Die Genfer Flüchtlingskonvention legt
dazu international geltende Maßstäbe
fest, an die sich alle Staaten und damit
auch die Bundesrepublik Deutschland zu
halten haben. Diesen Menschen kann
man doch nicht auch noch die Leistungen beschneiden!
25
DOKUMENTATION
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P., der
SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, sicherlich
gibt es Mißbrauchsfälle, in denen der
Staat den Mißbrauch nicht dulden darf
und einschreiten muß. Das sollte uns
aber nicht Anlaß geben, eine ganze
Gruppe pauschal mit Leistungseinschränkungen zu belegen, so daß es
auch die Falschen treffen kann. So sehr
ich für Verwaltungsvereinfachung bin:
Hier ist es unumgänglich, klare und präzise Regelungen zu treffen und genaue
Voraussetzungen zu schaffen, nach denen eine Leistungseinschränkung im Einzelfall beurteilt werden kann.
Es geht nicht an, im Schnellverfahren
noch ein so wichtiges Gesetz vor der
Bundestagswahl durch die Gremien zu
peitschen. Es könnte uns dann sehr
leicht passieren, daß wir die Fortentwicklung der unzureichenden Gesetzesregelungen der Rechtsprechung überlassen
müssen, die die Einzelfälle individuell beurteilen wird, was sich über Jahre hinwegziehen würde. Die Sozialbehörden
vor Ort, die mit diesem Gesetz umgehen
müßten, dürften mit den Regelungen,
wie sie derzeit vorgeschlagen werden,
überfordert sein — und das zu Recht.
Die Behörden, die mit dem Gesetz umgehen sollen, müssen wissen, wann genau Mißbrauch vorliegt. Der Personenkreis, der mißbräuchlich Leistungen beansprucht, muß klar definiert sein.
Es wäre zudem auch wichtig, zu erfahren, wie andere europäische Länder mit
Asylbewerbern und Flüchtlingen umgehen.
(Beifall der Abg. Cornelia Schmalz-Jacobsen [F.D.P.])
Kaum ein anderes europäisches Land
verfügt über so ausgefeilte und differenzierte Regelungen zum Ausländerrecht
wie die Bundesrepublik. Nach Auskunft
des UNHCR behandeln manche europäische Länder Bürgerkriegsflüchtlinge und
Asylbewerber einfach einheitlich als
Flüchtlinge. Auch im Hinblick auf die Erteilung von Arbeitserlaubnissen sind andere Länder großzügiger.
Wenn aber eine legale Arbeitsaufnahme
nicht möglich ist, muß der Staat Flüchtlingen in anderer Weise ein menschenwürdiges Existenzminimum sichern, wie
zum Beispiel bei uns durch Geld- oder
Sachleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.
Ich sehe sehr wohl, daß soziale Leistungen des Staates finanzierbar bleiben
müssen. Das darf aber nicht auf Kosten
solcher Menschen gehen, die wirklich
schutzbedürftig sind. Darauf legen wir
wirklich Wert. Solchen Menschen darf
auch nicht von vornherein unterstellt
werden, sie seien gekommen, um sich
an Leistungen des deutschen Sozialstaats zu bereichern. Das kann nicht
Sinn der Übung sein. Ich bin hier dringend dafür, daß wir uns noch eingehend mit den genauen Voraussetzungen
dieser Regelungen befassen.
Meine Fraktion hat sich deswegen dafür
ausgesprochen, daß wir im Rahmen der
Ausschußberatungen unbedingt eine
Anhörung mit den beteiligten Verbänden, insbesondere dem UNHCR und anderen Organisationen, durchführen sollten.
26
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und
der SPD — Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Aber auch mit den
Kommunen!)
Das hat der Gesundheitsausschuß dankenswerterweise auch so beschlossen.
(Vorsitz: Vizepräsidentin Michaela Geiger)
Es handelt sich um eine so schwierige
und verzweigte Materie, daß wir uns
nicht anmaßen sollten, auf den Sachverstand und das Detailwissen dieser Verbände zu verzichten. Wir müssen hinterher mit den negativen Konsequenzen
dieser Entscheidung leben. Bevor wir
uns nicht restlos über die Konsequenzen
klar sind, habe ich und hat meine Fraktion deutliche Vorbehalte gegen den Gesetzentwurf, jedenfalls wie er jetzt aussieht.
Schönen Dank.
(Beifall bei der F.D.P. und der SPD)
Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das
Wort hat jetzt die Abgeordnete Heidi
Knake-Werner, PDS.
(Dr. Willfried Penner [SPD]: RheinlandPfalz hat auch zugestimmt!)
Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Es wird Sie nicht in Erstaunen versetzen, wenn ich Ihnen
gleich zu Beginn sage, daß die PDS den
Gesetzentwurf der großen Länderkoalition ablehnt. Dieser Bundesratsentwurf
bestätigt unsere Befürchtungen, die wir
bereits 1993 bei der Verabschiedung des
Asylbewerberleistungsgesetzes hatten.
Wer einmal von dem Grundsatz abweicht, daß die Menschenwürde unteilbar ist, wer einmal eine Gruppe von
Menschen unter diskriminierendes Sonderrecht stellt, der wird bei passender
Gelegenheit weiter an dieser Schraube
drehen. Aus welchen Gründen auch immer: Finanzkalkül und Ausländerfeindlichkeit ergänzen sich hier auf bedrohliche Weise.
Erst im vergangenen Jahr hat eine Mehrheit im Bundestag und auch im SPD-dominierten Bundesrat dafür gesorgt, daß
die obligatorische Leistungskürzung um
20 bis 25 Prozent im ersten Jahr des
Aufenthaltes von Asylantragstellern noch
einmal für drei Jahre fortgeführt wird
und daß das ausgrenzende und diskriminierende Sachleistungsprinzip verschärft
angewandt wird. Und nun — so jedenfalls die Intention des Bundesrates —
versuchen SPD und CDU erneut, sich im
Kampf gegen die sogenannte
mißbräuchliche Inanspruchnahme von
Sozialleistungen durch Ausländer zu
übertreffen.
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wollen Sie
die fördern?)
Gegen die Bekämpfung von Mißbrauch
kann niemand ernsthaft etwas einwenden.
(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid]
[CDU/CSU]: Etwas machen, nicht nur reden!)
— Hören Sie mir doch einfach einmal
zu, Herr Lohmann. — Aber da liegt gar
nicht das Problem. Hier geht es nicht
um die Verhinderung von Mißbrauch,
sondern hier soll der Verdacht des Leistungsmißbrauches dazu herhalten, Sozialleistungen für bestimmte Gruppen
von Flüchtlingen zu kürzen
(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid]
[CDU/CSU]: Das sagen Sie!)
und auf das unabweisbar Lebensnotwendige — Sie sollten einmal erklären,
was das ist — zusammenzustutzen.
(Beifall bei der PDS)
Dabei spielt neben Bayern auch Niedersachsen wieder eine besonders unrühmliche Rolle. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich will es noch einmal
deutlich sagen: Diese Aufgabenteilung
zwischen Bundesrat und Bundestagsfraktion macht Ihre Flüchtlingspolitik
wirklich nicht glaubwürdiger.
(Beifall bei der PDS)
Das Sozialrecht wird zur Regulierung
von Asyl- und Flüchtlingsfragen mit der
bösen Konsequenz instrumentalisiert,
Flüchtlinge durch Aushungern zu vertreiben — man kann es nicht anders nennen, Herr Lohmann —,
(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid]
[CDU/CSU]: Das, was Sie sagen, ist primitiv und beleidigend!)
wenn der, der wohnen will, der essen
will, der eine medizinische Versorgung
haben will, ausreisen muß, weil ihm
nichts anderes mehr bleibt. Auf diesen
skandalösen Vorgang ist in der Tat in
den vielen Stellungnahmen hingewiesen
worden, die wir in den letzten Wochen
erhalten haben.
Die Frage, ob jemand Sozialleistungen
bekommt oder nicht, wird nicht mehr
danach entschieden, ob der- oder diejenige für den Lebensunterhalt selbst sorgen kann oder nicht, sondern danach,
ob das alles ins ausländerpolitische Konzept paßt. Das stellt in der Tat das Sozialstaatsprinzip komplett auf den Kopf.
(Beifall bei der PDS)
Betrachtet man die Regelungen im einzelnen, verstärkt sich natürlich dieser
Eindruck: Erstens. Die Leistungseinschränkung soll Personen treffen, deren
Asylverfahren noch nicht rechtskräftig
abgeschlossen ist und bei denen der
Verdacht besteht, daß sie eine Abschiebung verhindern, um Sozialleistungen
zu erhalten. Daß diese Menschen einfach von der Angst um ihr Leben getrieben sein könnten, hat wohl in solchen
Gehirnwindungen keinen Platz mehr.
Zweitens. Die Leistungseinschränkung
soll Leistungsberechtigte treffen, die
nicht freiwillig ausreisen.
(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid]
[CDU/CSU]: Wenn sie es könnten!)
Dabei spielt bei der Auslegung der Freiwilligkeit das, was die Menschen nach
ihrer Rückkehr erwartet, überhaupt keine Rolle. Sich darüber hinwegzusetzen
ist zutiefst unmoralisch.
(Beifall bei der PDS –
Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid]
[CDU/CSU]: Daß Sie die Moral nennen,
ist ein Witz, wenn es nicht so traurig
wäre!)
— Sie können mir und auch meinetwegen der DDR viel vorwerfen, aber nicht,
daß sie keine Flüchtlinge aufgenommen
hat.
(Uwe Lühr [F.D.P.]: Der Salto war interessant! — Weitere Zurufe von der
CDU/CSU)
— Selbst dieses Thema ist Ihnen nicht
ernst genug, um es für solche Schoten
zu nutzen.
Drittens. Die Leistungseinschränkung soll
schließlich Leistungsberechtigte betref-
fen, die eingereist sind, “um Leistungen
zu erhalten”, wie es wörtlich heißt. Darunter können alle Flüchtlinge fallen, die
ausländerrechtlich weiterhin geduldet
oder zumindest aktuell nicht abgeschoben werden können, zum Beispiel Frauen und Männer, die in ihrem Heimatland
von Folter und Tod bedroht sind, oder
jene, die auf Grund eines Abschiebestopps geduldet werden; auch solche,
die auf Grund ethnischer Konflikte aus
ihren Ländern fliehen.
All diesen Menschen wird die Existenzgrundlage entzogen, egal, ob sie aus
dem Kosovo, aus Algerien, aus dem Libanon oder aus Afghanistan kommen.
Mit einem Butterbrot und einer Fahrkarte werden sie dorthin zurückgeschickt.
Und sie sagen, diese Menschen sollen
Rechtsmittel einlegen. Auf welcher
Grundlage denn eigentlich, Herr Lohmann? Wie sollen die denn in dieser Zeit
hier leben?
(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid]
[CDU/CSU]: Den Asylbewerbern werden
alle Rechtsmittel geboten!)
Aber man geht ja auch noch viel weiter:
Die Bundesregierung begrüßt die Initiative des Bundesrates und möchte sie darüber hinaus noch verschärfen. Herr Bundesminister Seehofer geht davon aus,
daß 600 000 im Lande lebende Ausländerinnen und Ausländer für die Leistungseinschränkung in Betracht kommen können.
Natürlich wollen Sie auch diejenigen erfassen, die illegal eingereist sind. Das
können sich wirklich nur Bürokraten ausdenken, in deren Vorstellungswelt es
nicht paßt, daß Menschen, die vor gesundheits- und lebensbedrohenden Situationen in ihrem Heimatland fliehen,
nicht auch noch Anträge in fünffacher
Ausfertigung ausfüllen können. Nein, in
Ihre Köpfe geht so etwas nicht hinein.
Der Gesetzentwurf, der hier vorliegt, hat
für diese Menschen nur eine Botschaft:
Raus, aber schnell! Das halten wir für einen unerträglichen Verstoß gegen den
Sozialstaat und gegen die Menschlichkeit. Ich versichere Ihnen: Die PDS wird
den breiten Widerstand gegen dieses
unsoziale und rassistische Gesetz unterstützen.
(Beifall bei der PDS sowie der Abg. Amke Dietert-Scheuer [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN])
Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich erteile jetzt das Wort dem Bundesminister
für Gesundheit, Horst Seehofer.
Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit: Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Angesichts so vieler Falschbehauptungen möchte ich mit dem beginnen,
worum es heute nicht geht. Es geht
nicht darum, daß Leistungen für Menschen eingeschränkt werden, die sich in
einer Notlage befinden und denen deshalb der Aufenthalt in Deutschland gestattet ist, zum Beispiel Asylbewerbern
während des Asylverfahrens oder anerkannten Asylbewerbern. Es geht auch
nicht darum — das immer wieder
bemühte Beispiel —, einem durch Folter
traumatisierten Menschen, der in
Deutschland die erforderliche medizinische Hilfe erhält, Leistungen zu kürzen;
denn diesen Menschen wird es nicht zu-
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
DOKUMENTATION
mutbar sein, in ihre Heimat zurückzukehren.
(Zurufe von der Tribüne — Die Zurufer
werden vom Ordnungsdienst des Saales
verwiesen — Die Abgeordneten der
Gruppe der PDS verlassen den Saal —
Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die haben
auf den Auftritt gewartet und gehen
jetzt geschlossen raus! Das ist ein dicker
Hund!)
Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr
Minister, ich schlage vor, daß Sie jetzt
mit Ihrer Rede von vorne beginnen.
Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit: Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Ich möchte
angesichts vieler Falschbehauptungen
noch einmal feststellen, worum es heute
nicht geht. Es geht nicht darum, Leistungseinschränkungen für Menschen
vorzusehen, die in einer Notlage sind,
und sich hier berechtigterweise aufhalten. Es geht auch nicht um Menschen
— um das noch einmal zu sagen —, die
durch Folter traumatisiert sind, die hier
in Deutschland die erforderliche medizinische Hilfe erfahren und denen man
nicht zumuten kann, in ihr Heimatland
zurückzukehren.
Worum geht es eigentlich bei diesem
Bundesratsentwurf? Nach der aktuellen
Rechtslage haben Ausländer einen
Rechtsanspruch auf uneingeschränkte
Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz selbst dann, wenn sie diese
Leistungen rechtsmißbräuchlich in Anspruch nehmen. So ist heute die Rechtslage. Deshalb hat der Bundesrat einen
Gesetzentwurf vorgelegt, nach dem Leistungen für Ausländer eingeschränkt
werden sollen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland rechtswidrig aufhalten, die also rechtlich verpflichtet wären,
die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Das ist der Grundtatbestand.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Zu diesem Grundtatbestand muß eine
von drei Fallgruppen hinzutreten — und
nur eine dieser drei Fallgruppen. Es ist
nicht so, wie in der Öffentlichkeit immer
behauptet wird. Wenn eine dieser Fallgruppen vorliegt, dann kann es zu Leistungseinschränkungen kommen.
Erste Fallgruppe: Die Leistungseinschränkung soll für diejenigen Ausländer gelten, die nach Deutschland gekommen
sind, um Leistungen zu erhalten. Leistungsberechtigte Ausländer nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz sollen nämlich rechtlich nicht anders behandelt
werden als leistungsberechtigte Ausländer nach dem Bundessozialhilfegesetz.
Wir haben seit eh und je die Bestimmung im Bundessozialhilferecht, wonach Ausländer, die nur zum Zweck des
Leistungsbezugs nach Deutschland gekommen sind, eingeschränkte Leistungen erhalten.
Nun gibt es keinen einleuchtenden
Grund, warum die Rechtsbestimmung,
die seit Jahrzehnten für Ausländer nach
dem Sozialhilferecht gilt, nämlich daß
Ausländer, die nur zu uns kommen, um
Sozialhilfe zu beziehen, Leistungseinschränkungen hinnehmen müssen, nicht
auch für Leistungsberechtigte nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz gelten soll.
Das versteht doch niemand in der ôffentlichkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Die zweite Fallgruppe: Unter die Leistungseinschränkungen sollen auch die
ausreisepflichtigen Ausländer fallen, die
selbst dafür verantwortlich sind, daß sie
nicht ausreisen und nicht abgeschoben
werden können. Das ist zum Beispiel
dann der Fall, wenn sie ihre Identität
oder Nationalität verschleiern oder wenn
sie ihre Ausweispapiere weggeworfen
haben.
Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr
Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit: Nein, Herr Schuster.
Sie können doch in der Öffentlichkeit
niemandem erklären, daß uneingeschränkt Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erforderlich sind,
wenn jemand vorsätzlich die Feststellung
seiner Identität verhindert.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Eine dritte Personengruppe, die unter
die Leistungseinschränkung fallen soll,
sind ausreisepflichtige Ausländer, die
zwar aus bestimmten Gründen nicht abgeschoben werden können, aber ohne
weiteres freiwillig in ihr Herkunftsland
oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat ausreisen könnten und es nicht
tun.
Darunter — das wissen Sie — fallen Personen, zum Beispiel Vietnamesen, für
die von seiten der Bundesrepublik
Deutschland kein Rückübernahmeabkommen abgeschlossen werden konnte,
weil die zuständige Regierung dazu
nicht bereit war, die aber ohne weiteres
freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren
könnten.
Um diese drei Personengruppen geht es.
Ausschließlich in den drei hier genannten Fällen sollen ausreisepflichtige Ausländer künftig nur noch einen Anspruch
auf eingeschränkte Leistungen haben;
nur in diesen drei Fällen, wo es in der
Person des Ausreisepflichtigen liegt und
er es zu vertreten hat. Das ist weder inhuman noch stellt es eine soziale Härte
dar. Ich sage, es ist eine Notwendigkeit.
Es ist schon gar nicht ausländerfeindlich.
Wir vollziehen jetzt im Asylbewerberleistungsgesetz lediglich etwas, was für
Deutsche und Ausländer seit eh und je
nach dem Bundessozialhilfegesetz gilt.
Auch Deutsche, die sich rechtsmißbräuchlich verhalten, haben nach
dem Bundessozialhilfegesetz keinen Anspruch auf Sozialhilfe.
Wenn wir diesen Grundsatz im Asylbewerberleistungsgesetz in drei ganz konkreten Fallgruppen konkretisieren und
hinzufügen, daß wir von diesen Leistungseinschränkungen nicht Menschen
erfassen wollen, die sich hier in einer
Notsituation aufhalten, zum Beispiel wegen Folter traumatisiert und hier in medizinischer Behandlung sind, dann kann
man nicht ernsten Gewissens sagen, daß
dies inhuman oder gar ausländerfeindlich ist.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)
Dieser generelle Leitgedanke, daß man
dann, wenn man gegen Recht und Gesetz verstößt, mit Leistungseinschränkungen rechnen muß, gilt auch für
deutsche Staatsbürger in der Bundesrepublik Deutschland.
Ich darf erinnern, weil Sie, Frau Lange
gesagt haben, daß wir zu schnelle und
zu häufige Änderungen vornehmen: Vor
genau einem Jahr haben wir langwierige
Verhandlungen im Vermittlungsverfahren zwischen Bundestag und Bundesrat
zum Asylbewerberleistungsgesetz geführt. Sie haben sich ein Jahr lang dagegen gesträubt. Wir haben über diese
Dinge auch in der zuständigen Arbeitsgruppe im Vermittlungsausschuß gesprochen. Es ist damals von der SPD abgelehnt worden. Jetzt kommt die große
Überraschung: Die SPD-regierten Länder
machen plötzlich bei Vorhaben mit,
über die sie vor einem Jahr mit uns noch
nicht einmal diskutiert haben.
Nachdem es fast einhellige Zustimmung
in den Bundesratsausschüssen gab, hat
es schon ein erstes unklares Stimmverhalten im Plenum des Bundesrates bei
Rot und Rotgrün gegeben. Es ist ein Novum in der Parlamentsgeschichte, daß
parallel zur Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs im Bundesrat — von einer
Mehrheit, die zur Zeit nicht die Union
stellt — die Grünen hier eine Aktuelle
Stunde beantragen. Ich weiß bis jetzt
nicht, welche Haltung die SPD dazu hat,
weil sich die Fraktionsführung bisher in
betretenes Schweigen hüllt.
Wir sind sehr dafür, daß man den Gesetzentwurf diskutiert — ich komme
noch einmal darauf zurück —, auch im
Detail. Aber eines lassen wir nicht durchgehen, Frau Lange: Hier als SPD links reden, als Schröder im Bundesrat rechts
handeln und das Ganze als Politik der
Mitte ausgeben.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Das ist keine Politik der Mitte, das ist eine Politik der Täuschung. Die lassen wir
im Bundestag nicht durchgehen. Da
werden wir Sie stellen. Das ist ein Bild
von Uneinigkeit und Zerfahrenheit bei
SPD und Grünen, das Sie nicht nur in
dieser Frage bieten. Das zeigt deutlich,
daß es nicht im Interesse dieses Landes
wäre, wenn die deutsche Politik von
Ihren Entscheidungen abhängig wäre.
In Deutschland leben 7,4 Millionen Ausländer, darunter nicht wenige, die berechtigt wegen Verfolgung und Folter
bei uns Schutz suchen. Diese Tatsache ist
Ausdruck der Hilfsbereitschaft der Deutschen gegenüber ihren ausländischen
Mitbürgern. Diese Hilfsbereitschaft läßt
sich nur aufrechterhalten, wenn sich die
Menschen in der Bundesrepublik
Deutschland darauf verlassen können,
daß es bei der Gewährung von Hilfe und
Schutz gerecht zugeht.
(Zuruf von der SPD: Richtig!)
Dazu gehört, daß unterschieden wird
zwischen Ausländern, die sich zu Recht
hier aufhalten, und Ausländern, die
Deutschland verlassen müßten, dies aber
rechtsmißbräuchlich nicht tun und dadurch Sozialleistungen in Anspruch nehmen. Dazwischen müssen wir schon unterscheiden; denn sonst zerstören wir jede Akzeptanz, wenn es darum geht, jenen Menschen, die anders glauben oder
politisch anders denken, bei uns Schutz
zu gewähren, weil sie in ihren Herkunftsländern um ihre Gesundheit oder
gar ihr Leben fürchten müssen. Wir
brauchen die Akzeptanz der deutschen
Bevölkerung. Wir werden sie nur aufrechterhalten, wenn wir da, wo es in der
Person des Ausländers liegt, in Gründen,
die er zu vertreten hat, die Sozialhilfeleistungen drastisch einschränken, und
zwar in den drei Fallgruppen, die ich genannt habe.
Ich bin sehr dafür, Herr Kollege Lühr,
daß wir im zuständigen Ausschuß des
Deutschen Bundestages manche Dinge
noch griffiger zu formulieren versuchen,
um eine klare und saubere Anwendung
in der Praxis zu gewährleisten.
(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)
Wer aber Rechtsmißbrauch akzeptiert,
muß wissen, daß das die Fundamente
der Solidarität mit Ausländern zerstört,
und zwar gerade im Hinblick auf die
Ausländer, die als Opfer von Verfolgung
und Folter dringend auf unsere Hilfe angewiesen sind.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das
Wort hat die Abgeordnete Cornelie Sonntag-Wolgast, SPD-Fraktion.
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD):
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Seit Jahr und
Tag ist in der Diskussion, in welchem
Maße Bürgerkriegsflüchtlinge und Asylbewerber während ihres Aufenthalts in
der Bundesrepublik finanziell unterstützt
werden sollen. Volkes Stimme ist da im
allgemeinen mit dem Urteil schnell fertig: So gering wie möglich, heißt es da.
Weiter heißt es, viele kämen nur her, um
Geld zu kassieren. Wer als Asylsuchender abgewiesen sei, der müsse so schnell
wie möglich raus.
Aber so simpel, so einfach liegen die
Dinge nun einmal nicht.
Zweifellos sind es hohe Kosten, die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen von uns allen fordern. Zweifellos
gibt es solche, denen es vorwiegend
darum geht, unter besseren wirtschaftlichen Bedingungen zu leben, als es in ihrer Heimat der Fall war. Aber es gibt
eben auch die anderen. Es gibt diejenigen, die nicht nach den strengen Kategorien unseres Asylrechts politisch verfolgt sind und dennoch aus humanitären Gründen vorerst hier bleiben
dürfen. Die gesamte Problematik entzieht sich simplen Lösungen.
Nun zu Ihrem Beitrag, Herr Minister Seehofer. Dieser Bundesratsentwurf für dieses Zweite Gesetz zur Änderung des
Asylbewerberleistungsgesetzes war noch
nicht Gegenstand unserer parlamentarischen Beratungen. Es gab lediglich seinerzeit die Aktuelle Stunde, als noch der
Disput in der Länderkammer lief.
Eine differenzierte Auseinandersetzung
war damals, Anfang Februar, nicht möglich.
Wohl aber hat die Initiative ein überaus
lebhaftes und höchst kritisches Echo in
den Medien, in den Kirchen, bei den
Wohlfahrtsverbänden, Flüchtlingsorganisationen und natürlich auch bei uns Parlamentariern erzeugt. Selbstverständlich
gab es einige überhitzte Formulierungen, denen ich mich nicht anschließe.
Trotzdem begrüße ich diesen Disput ausdrücklich. Er hat übrigens auch in Kreisen des Bundesrates Nachdenklichkeit
ausgelöst. Das stärkt die Chancen einer
Korrektur.
(Beifall bei der SPD)
Ich erkläre Ihnen mit aller Deutlichkeit:
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So, wie der Gesetzentwurf jetzt vorliegt,
kann er unsere Zustimmung nicht finden. Das will ich an einigen Punkten begründen. Herr Kollege Lohmann, offenbar sind Sie in die Details und die Formulierungen nicht richtig eingestiegen,
die in diesem Gesetzentwurf stecken.
Die geplanten Leistungsabstriche — das
hat der Herr Minister eben durchaus
noch einmal bestätigt — sollen auch
Ausländer betreffen, die nicht freiwillig
ausreisen, obwohl es ihnen tatsächlich
und rechtlich möglich wäre. Genau diese Formulierung halte ich so für nicht
akzeptabel.
(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid]
[CDU/CSU]: Dabei ist sie genau richtig!)
— Ich will das erklären. — Denn bei dieser Formulierung wird nicht danach gefragt, ob den Betroffenen eine Heimkehr
in ihr Land zumutbar ist oder ob sie
nicht weiterhin den Schutz des Aufnahmelandes Deutschland brauchen. Das
gilt zum Beispiel für Flüchtlinge, die wegen einer Härte von der Rückführung bis
auf weiteres ausgenommen sind, oder
für eine Frau aus Afghanistan, die davor
zurückschreckt, sich dem Unterdrükkungsapparat der Taliban auszusetzen,
oder für Flüchtlinge aus Algerien oder
Somalia; für Menschen, die ungeachtet
der rein rechtlichen und tatsächlichen
Lage mit unserer Fürsorge und unserem
humanitären Verantwortungsbewußtsein rechnen dürfen. Soweit diese Gruppe.
Ich gebe noch ein weiteres Argument zu
bedenken. Nach den Plänen des Bundesrates sollen diejenigen keine vollen Leistungen mehr erhalten, die nur einreisen, um finanzielle Unterstützung einzustreichen. Das leuchtet erst einmal jedem ein, ist aber in der Realität kaum zu
praktizieren. Dieser Grund muß dem einzelnen nämlich jeweils als prägendes
Motiv für seine Ankunft nachgewiesen
werden. Das ist in den zurückliegenden
Jahren in verschwindend geringen Fällen
überhaupt gelungen. Außerdem erfordert die Beweisführung dann einen hohen Verwaltungsaufwand. Beim Bürger,
der solche Bemühungen sicherlich mit
Beifall begleitet, erweckt es Erwartungen, die in der Praxis überhaupt nicht
erfüllt werden.
Auch das halte ich für bedenkenswert.
(Beifall bei der SPD)
Nachvollziehbar — das will ich ganz ehrlich sagen — halte ich allerdings die Absicht, ausreisepflichtigen Ausländern die
Gelder zu kappen, wenn sie wirklich mit
allen möglichen Tricks versuchen, ihre
Rückführung zu verhindern, etwa dadurch, daß sie ihre Papiere vernichten
oder mit anderen Mitteln ihre Identität
verschleiern.
Das ist, zugegeben, in vielen Städten,
besonders zum Beispiel in Hamburg, ein
großes Problem.
Meine Damen und Herren, wir sind bereit, zu einem Konsens bei dieser
schwierigen Thematik zu kommen. Das
setzt aber — ich sage es noch einmal —
deutliche Korrekturen vor allem zugunsten des Status der Geduldeten und der
Bürgerkriegsflüchtlinge voraus.
Übrigens, einen Teil unserer Sorgen
wären wir los, wenn der in § 32 a des
Ausländergesetzes vorgesehene Status
für Bürgerkriegsflüchtlinge mit einer ge-
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rechten Kostenverteilung zwischen Bund
und Ländern jemals Wirklichkeit geworden wäre.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
und der Abg. Cornelia Schmalz-Jacobsen
[F.D.P.])
Wenn ich das Meinungsbild in dieser
Diskussion noch einmal Revue passieren
lasse, gibt es ja interessante unterschiedliche Beurteilungen, etwa zwischen den
Sprechern der CDU und dem Sprecher
der F.D.P., die wir eben gehört haben.
Deswegen kann ich uns allen nur eine
gründliche Beratung, eine sorgfältige
Anhörung vor den beteiligten Ausschüssen und einen behutsamen, differenzierten Umgang mit der Thematik empfehlen. Dem dienen im übrigen Auftritte,
wie wir sie eben hier oben auf der Empore erlebt haben, nicht.
(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)
Aber was der Stammtisch fordert, darf
ebensowenig Richtschnur unserer politischen Handlung sein.
Danke schön.
(Beifall bei der SPD)
Vizepräsidentin Michaela Geiger: Als
letzter im Rahmen dieser Debatte spricht
der Abgeordnete Ulf Fink, CDU/CSUFraktion.
Ulf Fink (CDU/CSU): Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Wolgast, Ihre Aufforderung,
sich über eine solche Frage vernünftig zu
verständigen, können wir ohne weiteres
akzeptieren. Dem dient es allerdings
nicht sehr, wenn Frau Lange zum Abschluß ihrer Rede sagt, man solle durch
Änderungen des Gesetzes dafür sorgen,
daß die Menschlichkeit nicht auf der
Strecke bleibe,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU
— Amke Dietert-Scheuer [BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN]: Was tun Sie denn dagegen?)
zumal dies gar kein Gesetzentwurf der
Bundesregierung oder der Regierungskoalition im Deutschen Bundestag ist. Vielmehr reden wir über einen Gesetzentwurf des Bundesrates, und zwar in erster Lesung.
Diesem Gesetzentwurf des Bundesrates
hat das Land Niedersachsen mit dem
Kanzlerkandidaten der SPD zugestimmt.
Diesem Gesetzentwurf hat der Parteivorsitzende der SPD für das Saarland zugestimmt.
(Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)
Herr Abgeordneter Lühr, auch das Land
Rheinland-Pfalz mit einer Regierung aus
SPD und F.D.P. hat diesem Gesetzentwurf im Bundesrat zugestimmt, so daß
wir uns heute mit diesem Gesetzentwurf
beschäftigen.
Der Umsetzung der Aufforderung, sich
vertieft damit auseinanderzusetzen und
eine schwierige Materie miteinander ordentlich zu behandeln, dient deshalb die
Aussage, Menschlichkeit sei nur gewahrt, wenn man es anders mache als
hier, nicht sehr.
Das muß ich ganz offen sagen.
(Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]:
Wieso ist das ein Gegensatz?)
— Das ist doch ganz klar, Frau Sonntag:
Weil es doch heißt, wenn man den Gesetzentwurf in dieser Fassung verabschiede, diene man der Menschlichkeit
nicht. Das heißt es doch. Was denn
sonst?
(Amke Dietert-Scheuer [BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)
Lassen Sie uns deshalb eine andere Tonart wählen, damit wir mit dem Problem
richtig umgehen können.
Ein Zweites. Sie sagen immer, daß 600
000 Menschen von diesem Gesetzentwurf betroffen wären. Das stimmt nicht.
Tatsache ist vielmehr — worauf der Bundesgesundheitsminister aufmerksam gemacht hat —, daß es 600 000 Menschen gibt, die vollziehbar ausreisepflichtig sind oder eine Duldung nach § 55
des Ausländergesetzes besitzen. Aber
die sind ja nicht alle betroffen, sondern
nur diejenigen, die unter die drei Fallgruppen fallen: diejenigen, die eingereist
sind, um Sozialleistungen zu erhalten,
diejenigen, bei denen aufenthaltsbeendende Maßnahmen deshalb nicht vollzogen werden können, weil sie zum Beispiel ihre Ausweispapiere vernichten,
und diejenigen, die ausreisen könnten,
die aber nicht ausreisen, obwohl “keine
rechtlichen oder tatsächlichen Hindernisse” dem entgegenstehen. Davon sind
natürlich sehr viel weniger als 600 000
betroffen. Deshalb sollten Sie diese Zahl
nicht so in den Raum stellen.
Ich gebe sehr wohl zu, daß wir uns über
die Fragestellung, was “rechtliche oder
tatsächliche Hindernisse” sind, im Ausschuß vertieft unterhalten müssen. Denn
es ist uns doch klar: Wir wollen und
können nicht erwarten, daß mit einem
Male 200 000 Bosnier in ihre Heimat
zurückkehren. Das erwartet auch niemand. Deshalb müssen wir in den Ausschußberatungen, in dem Hearing genau klären, wie in diesen Fällen zu verfahren ist, damit nicht jedes Sozialamt
für sich entscheidet: Dieser Bosnier
kann, jener Bosnier kann nicht. Das muß
natürlich geklärt und klargestellt werden.
Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr
Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schuster?
Ulf Fink (CDU/CSU): Ja.
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wenn es
sein muß!)
Vizepräsidentin Michaela Geiger: Bitte
schön.
Dr. R. Werner Schuster (SPD): Herr Kollege Fink, im vollen Bewußtsein, daß Sie
mit dem Satz recht haben, daß der Entwurf aus dem Bundesrat stammt, will ich
doch Ihre Aufforderung hinterfragen, mit
Fingerspitzengefühl gegebenenfalls das
eine oder andere zu ändern. Ich bin Entwicklungspolitiker. Ich kenne Fälle, die
viele von Ihnen nicht kennen: Nigerianer,
die in Nigeria verfolgt werden, nach Benin flüchten — Benin ist unbestritten ein
sicheres Drittland —, dorthin zurücküberwiesen werden. Aber nur Insider wissen, daß wegen der Tatsache, daß Benin
ein so kleines Land ist, und wegen seiner
Nachbarschaft mit Nigeria die Behörden
Benins keine Chance haben, wenn nigerianische Truppen in das Land kommen
und die Personen verschleppen.
Dazu sagt der UNHCR am Schluß seiner
Stellungnahme: Der Gesetzentwurf
macht erforderlich, daß Sozialbehörden
komplexe ausländerrechtliche Sachverhalte beurteilen. Was entgegnen Sie dem
UNHCR auf eine solche, wie ich meine,
berechtigte Forderung?
Ulf Fink (CDU/CSU): Herr Abgeordneter
Schuster, ich habe gerade zum Ausdruck
gebracht, daß es sich in der Tat um eine
schwierige Materie handelt. Deshalb
darf man nicht mit Schlagworten arbeiten.
Der Bundesrat versucht hier, einem erkennbaren Mißbrauch entgegenzutreten. Ich selber war Sozialsenator in Berlin. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich
habe mich über acht Jahre lang exakt
mit diesen Themen beschäftigt. Es gibt
in der Tat Menschen, die zu Recht bei
uns Zuflucht suchen, aber es gibt auch
andere, die — so sage ich es einmal —
in geradezu schamloser Art und Weise
das Sozialsystem der Bundesrepublik
Deutschland ausnutzen.
Gegen die Letztgenannten soll vorgegangen werden, nicht gegen die Erstgenannten.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Deshalb sage ich zum Abschluß: Auch
wir sind der Auffassung, daß gar keine
Rede davon sein kann, daß etwa der
Versuch unternommen werden soll,
Menschen, die sich zu Recht bei uns
aufhalten, über das Sozialhilferecht auszuhungern. Nein, das ist nicht die Absicht. Ausländerrecht, Aufenthaltsrecht
und Sozialrecht müssen natürlich parallel laufen.
Aber es darf auf der anderen Seite auch
nicht sein, daß man sich nicht bemüht,
den Mißbrauch zu beseitigen. Dieser
Mißbrauch trifft ja letztendlich in seinen
finanziellen Konsequenzen nicht etwa
die Reichen. Vielmehr verhält es sich
dann, wenn Mißbrauch getrieben wird,
regelmäßig so, daß die Allerärmsten
nicht mehr die für sie vorgesehenen Leistungen der Kommunen und der Länder
empfangen können. Deshalb sollte es,
finde ich, unser gemeinsames Bemühen
sein, auf der einen Seite dafür zu sorgen, den Mißbrauch zu beseitigen, aber
auf der anderen Seite Menschen, die
sich zu Recht bei uns aufhalten und zu
Recht zu uns geflüchtet sind, einen angemessenen Aufenthalt zu ermöglichen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. –
Dr.Willfried Penner [SPD]: Dem stimme
ich zu!)
Vizepräsidentin Michaela Geiger: Weitere
Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich
schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des
Gesetzentwurfes auf Drucksache
13/10155 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Gibt es dazu anderweitige Vorschläge?
—
Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11
auf:
Beratung der Beschlußempfehlung
und des Berichts des Innenausschusses
(4. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Siegfried Vergin, Helga KühnMengel, Gerd Andres, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Europäisches Jahr gegen Rassismus
1997
— Drucksachen 13/7711, 13/9667 —
Berichterstattung:
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
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Abgeordnete Erika Steinbach, Siegfried Vergin, Cem Özdemir, Cornelia
Schmalz-Jacobsen, Ulla Jelpke.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe
Stunde vorgesehen. — Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat
die Abgeordnete Helga Kühn-Mengel von
der SPD-Fraktion, der ich zu ihrer ersten
Rede viel Glück wünsche.
(Beifall)
Helga Kühn-Mengel (SPD): Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Europäische Jahr gegen Rassimus 1997 ist
vorbei. Der Antrag der SPD hierzu
kommt nun endlich im Bundestag zur
Sprache, ein Vierteljahr nach Ablauf des
Europäischen Jahres gegen Rassismus.
Das ist vielleicht beschämend spät, aber
besser jetzt als nie.
(Beifall bei der SPD)
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Burkhard
Hirsch)
Der Antrag löste, wenigstens, so hoffe
ich, während er durch die Arbeitsgruppen und Ausschüsse lief, fruchtbare Diskussionen aus.
An Aktualität hat er bis heute nichts verloren; denn bekanntlich ist der Kampf
gegen rassistische Tendenzen und Fremdenfeindlichkeit für uns eine Daueraufgabe.
(Beifall bei der SPD)
In Deutschland haben wir allen Anlaß,
uns mit dem alltäglichen Rassismus in all
seinen Erscheinungsformen, den subtilen
und den offen ausgelebten, und vor allem mit seinen Ursachen zu befassen.
Fast täglich lesen wir von Ausschreitungen gegenüber Schwarzafrikanern oder
von schändlichen Schmierereien auf jüdischen Friedhöfen. Noch öfter kommt
es vor, daß junge Musliminnen angepöbelt werden.
Während man in manchen unserer europäischen Nachbarländer das Europäische Jahr gegen Rassismus bereits genutzt hat, um ein konkretes Signal für
Fairneß und Partnerschaft zwischen den
Menschen verschiedener Herkunft zu
setzen, hat der zuständige Bundesinnenminister Kanther diese Chance für einen
Beitrag der deutschen Bundesregierung
über das Jahr 1997 hinweg praktisch
verstreichen lassen.
(Beifall bei der SPD — Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Leider wahr!)
Selbst in der Woche der ausländischen
Mitbürger wurde die Gelegenheit von
seiten der Bundesregierung nicht genutzt, der europäischen Menschenrechtspolitik im Rahmen des Europäischen Jahres gegen Rassismus Ausdruck
zu verleihen.
In Frankreich gingen führende Politiker
und Politikerinnen an der Spitze von landesweiten Demonstrationen gegen Rassismus mit. In Griechenland wurde eine
große Toleranzwoche auf die Beine gestellt und das Thema Einwanderung in
eine Regierungsagenda aufgenommen.
Dänemark führte Veranstaltungen direkt
auf kommunaler Ebene durch, und in
ôsterreich hat man auf nationaler Ebene
einen zusätzlichen Haushaltstopf geschaffen, um Projekte zu ermöglichen.
In der deutschen Bundesregierung wurde hierüber noch nicht einmal ernsthaft
nachgedacht.
(Erwin Marschewski [CDU/CSU]:
Quatsch! Wir denken über alles ernsthaft
nach! Dummes Zeug!)
Die Art, mit der der zuständige Bundesinnenminister das Europäische Jahr
gegen Rassismus gehandhabt hat, kann
man wohl als äußerst kühl bezeichnen.
Zur Ehrenrettung Deutschlands haben
allerdings die klaren Worte von Bundespräsident Roman Herzog beigetragen,
mit denen er am 4. März letzten Jahres
das Europäische Jahr gegen Rassismus
eröffnet hat. Er forderte Toleranz und
den Dialog zwischen den Kulturen und
traf damit die Stimmungslage vieler
Menschen, die Aktivitäten gegen Rassismus ergreifen wollen.
So hat es auch in der Bundesrepublik
Deutschland auf lokaler Ebene eine Fülle
von Aktivitäten zum Europäischen Jahr
gegen Rassismus gegeben, wenn auch
nicht immer mit der gewünschten Medienpräsenz. Das Interesse der Bürgerinnen und Bürger an diesem Thema kann
man vielleicht nicht zuletzt daran ablesen, daß es hierzu allein im deutschsprachigen Raum 668 173 Treffer im Internet gibt. Sehr bedauerlich ist, daß der
Deutsche Bundestag erst im Jahre 1998
die Zeit findet, die Initiativen zum Europäischen Jahr gegen Rassismus 1997
öffentlich zu befürworten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Aber gut, daß es die vielen Schüler- und
Studentengruppen, die Vereine und Verbände gibt. Von ihnen, den NGOs, kamen, wie mein Fraktionskollege Siegfried
Vergin bei anderer Gelegenheit feststellte, die spannendsten Projekte. Von der
Bundesregierung kam wenig, und kosten durfte es auch nichts. Eigenmittel
vom Bund für die Finanzierung von Projekten über die EU-Mittel hinaus waren
nicht vorgesehen.
Natürlich ändert allein die Ausrufung eines solchen Jahres gegen Rassismus
überhaupt nichts. Auch markige und
einstimmig gefaßte Bundestagsbeschlüsse bewegen für sich genommen noch
nichts.
Dennoch sind klare Worte und Strategien gefordert. Ausschreitungen mit rassistischem Hintergrund auch in den Nachbarländern und die Zunahme der elektronisch verbreiteten rassistischen Propaganda machen deutlich, daß diese Phänome grenzüberschreitend bekämpft
werden müssen. Einzelne Staaten können hier nur noch wenig ausrichten.
Mit unserem Antrag unterstützt der
Bundestag die europaweite Initiative zur
Bekämpfung von Rassismus, Rechtsextremismus, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit, eine Initiative, die den
Schutz der Menschenrechte als zentralen
Wert europäischer Identität betont.
(Beifall bei der SPD)
Unser Antrag enthält konkrete Bitten an
verschiedene gesellschaftliche Gruppen,
die Initiativen gegen Rassismus zu unterstützen. Vor allem setzt sich der Deutsche Bundestag in unserem Antrag
nachdrücklich für die Einrichtung einer
Europäischen Beobachtungsstelle für
Rassismus ein. Diese ermöglicht Daten-
vergleiche und die Erarbeitung spezifischer Strategien im Kampf gegen Rassismus. Nur eine solche europäische Beobachtungsstelle hat die Möglichkeit, die
Entwicklung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in der Europäischen
Union aufmerksam zu verfolgen. Sie
hilft, konkrete politische Maßnahmen
vorzubereiten. Diese Stelle ermöglicht
erstmals, Daten verschiedener Länder
Europas aufzuarbeiten und für geeignete Strategien im Kampf gegen Rassismus
nutzbar zu machen.
Das alles darf aber nicht heißen, daß wir
über die Ereignisse in unserem Lande
hinwegsehen oder uns auf öffentlich
vorgetragene Empörung beschränken,
wenn wieder einmal rassistische Vorfälle
die Schlagzeilen bestimmen. Diese reißerischen Berichte künden oft auch von
der weitverbreiteten Irrmeinung, man
brauche nur einen ordentlich funktionierenden Polizei- und Justizapparat, um
rassistischer Ausschreitungen Herr zu
werden. Der Ruf nach Polizei und harten
Strafen ist natürlich viel bequemer als
die Erforschung und Bekämpfung von
Ursachen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir werden aber nicht darum herumkommen, uns der Tatsache zu stellen,
daß Rassismus, Rechtsextremismus und
Fremdenfeindlichkeit auch etwas mit der
Verschlechterung der Lebensbedingungen, mit hoher Arbeitslosigkeit, vor allem mit Jugendarbeitslosigkeit und Jugendhoffnungslosigkeit, zu tun haben.
Wer sich getreten fühlt, der tritt selber
auch. Wer zum Verlierer gemacht wurde, der sucht sich andere, die er seinerseits zum Verlierer stempeln kann. Wer
sich ausgegrenzt sieht, der entwickelt eine größere Bereitschaft, sich auf einfache Erklärungsmuster und entsprechende politische Konzepte einzulassen.
Auch darauf zielt unser Antrag: ins Bewußtsein zu rufen, daß die Bekämpfung
des Rassismus nicht nur den direkt Betroffenen helfen soll, sondern daß er in
unser aller Interesse liegt. Wir sind uns
mit der Mehrzahl der Bürger und Bürgerinnen aus den Ländern der Europäischen Union einig, daß die kulturelle
und ethnische Vielfalt in den Gesellschaften europäischer Staaten einen positiven und bereichernden Faktor darstellt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die überwiegende Mehrheit der Menschen in der Europäischen Union begrüßt das Diskriminierungsverbot, wie es
die Europäische Konvention zum Schutz
der Menschenrechte und Grundfreiheiten vorsieht. Aber es ist auch immer
wieder wichtig, daß wir uns in der ôffentlichkeit mit diesem Thema befassen,
das Bewußtsein für die Ursachen und Erscheinungsformen von Diskriminierung
und Rassismus schärfen und uns über
geeignete Gegenmaßnahmen verständigen.
Ich hätte mir eine inhaltlich weitergehende Erklärung zum Europäischen Jahr
gegen Rassismus vorstellen können.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulla
Jelpke [PDS])
Ich hätte mir im vergangenen Jahr einen
breiten politischen Diskurs über eine
moderne Einwanderungspolitik gewünscht. Wir hätten im Zusammenhang
mit dem Thema Bekämpfung von Rassismus auch über eine Liberalisierung des
Ausländer- und Staatsangehörigkeitsrechts diskutieren können.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Der Antrag zum Europäischen Jahr gegen Rassismus 1997 fordert unter anderem die Bundesregierung dazu auf, die
Einbürgerung zu erleichtern. Um dem
Antrag eine breite Zustimmung zu sichern, wurde in der vorliegenden Ausschußfassung aber darauf verzichtet, die
Forderung zu den umstrittenen Bereichen der Einbürgerung näher zu konkretisieren. So enthält der Antrag in der jetzigen Fassung des Innenausschusses
zum Beispiel nichts Konkretes zum Thema der doppelten Staatsbürgerschaft
und zum Anspruch auf Einbürgerung
von in der Union geborenen Kindern.
Der Antragstext ist weitgehend auf den
Kern des Menschenrechtsschutzes reduziert worden. In diesen Kernfragen sind
wir uns, so hoffe ich, alle einig.
Über die Fraktionsgrenzen hinweg können wir denjenigen Unterstützung geben, die sich vor Ort für Integration und
gegen rassistische Ausgrenzung engagieren. Mit einem Beschluß des Deutschen Bundestages wird zudem ein
deutliches Zeichen gesetzt, daß sich die
demokratischen Parteien gegen den
Rechtsextremismus stellen und diesen
Kampf als eine ständige Aufgabe betrachten.
Ich bitte Sie daher um Zustimmung zum
Antrag.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten
der F.D.P.)
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau
Kollegin, Sie hatten als Nachrückerin erst
jetzt Gelegenheit, im Bundestag zu sprechen. Zu Ihrer ersten Rede möchte ich
Ihnen nach der Sitte des Hauses herzlich
gratulieren.
(Beifall)
Ich gebe das Wort der Abgeordneten
Erika Steinbach.
Erika Steinbach (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mit dem Europäischen Jahr gegen Rassismus 1997 wurde der Leitgedanke von
Toleranz und mitmenschlichem Verständnis zentral in das Bewußtsein der
Völker Europas gerückt. Der Schutz von
Menschenrechten und Grundfreiheiten
ist ein zentraler Wert in der europäischen Identität. Rassismus darf in den
Ländern der Europäischen Union keinen
Platz erlangen. Vor diesem Hintergrund
war das Jahr gedacht.
“Die Würde des Menschen ist unantastbar.” Mit dieser Kernaussage unseres
Grundgesetzes ist der Geist der deutschen Haltung zum Europäischen Jahr
gegen Rassismus vollständig beschrieben. Wir Deutsche wissen ja um die
Notwendigkeit, daß Würde und Rechte
des einzelnen und das friedliche Zusammenleben aller immer und immer wieder
29
DOKUMENTATION
im Bewußtsein der Menschen gehalten
werden müssen.
Alle Staaten der Europäischen Union haben ihre Bürger im vorigen Jahr daran
erinnert, daß Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus in diesem
Europa nicht toleriert werden. In
Deutschland wird darüber hinaus seit
vielen Jahren, bevor dieses Jahr ausgerufen wurde, sehr engagiert in Informationskampagnen für einen menschlichen
Umgang miteinander geworben.
(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr
wahr!)
Das Bewußtsein dafür ist in der breiten
ôffentlichkeit mehr — so behaupte ich
voller Überzeugung — als in vielen anderen Ländern sensibilisiert. Und das ist
gut so.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)
Die Öffentlichkeitsarbeit von Bund und
Ländern gemeinsam mit der Aktion
“Fairständnis” — fragen wir einmal nicht
nach, wie dieses Wort nach der Rechtschreibreform geschrieben würde — hat
Früchte getragen. Die Zahl der ausländerfeindlichen Gewalttaten ist in
Deutschland seit dem Höchststand 1992
um 70 Prozent zurückgegangen. Dazu
haben unter anderem die konsequente
Strafverfolgung der Gewalttäter und
empfindliche Freiheitsstrafen beigetragen. Aber auch andere staatliche Maßnahmen wie der Erlaß von Vereins- und
Versammlungsverboten zeigten ihre Wirkung.
Potentielle Gewalttäter mußten so erkennen, daß die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland Gewalt, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit
und Antisemitismus nachdrücklich ablehnt.
Darüber hinaus muß aber auch festgestellt werden, daß ohne die Änderung
des Asylrechtes 1993 die Entwicklung
mit Sicherheit anders verlaufen wäre.
(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr
richtig!)
Das Gefühl der Ohnmacht gegenüber
Zuwanderung war bis 1993 mehr als
nur latent ein Nährboden für Fremdenfeindlichkeit. Jeder hier im Lande muß
sich deshalb auch darüber im klaren
sein, daß die verträgliche Ausgestaltung
des Ausländer- und Asylrechtes unabdingbare Voraussetzung für ein friedliches Miteinander in Deutschland ist. Eine weitere Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes — vorhin wurde ja
hier darüber diskutiert — ist notwendig,
um den Nährboden für fremdenfeindliches Verhalten unfruchtbar zu machen.
Sie müssen das wissen.
(Beifall bei der CDU/CSU — Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr wahr!)
Predigten und erhobene Zeigefinger gehen dann ins Leere, wenn die Sinnhaftigkeit von Gesetzen nicht im Bewußtsein unserer Bürger verankert ist. Wir
dürfen doch berechtigte Sorgen und
Ängste nicht so einfach abtun und zur
Seite schieben, sondern müssen diese
Ängste ernst nehmen, sonst werden die
bindenden Werte für menschliches Miteinander leicht ganz einfach über Bord
geworfen.
Das wollen wir eben nicht. Deshalb
brauchen wir auch weiter eine strikte
Zuwanderungsbegrenzung für Deutsch-
30
land. Die massiven Integrationsprobleme
in vielen Städten müssen unabdingbar
immer im Blickfeld behalten werden,
wenn es um die Frage von Zuwanderung geht.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Unser Bundespräsident Roman Herzog
hat über diesen Bereich hinaus in seiner
Rede zur deutschen Eröffnungsveranstaltung zum Europäischen Jahr gegen Rassismus mit vollem Recht darauf hingewiesen, daß auch Toleranz ihre Grenzen
kennt. Er sagte dort:
Wer massiv gegen geltendes Recht verstößt und vor allem wer Gewalt und Terror verbreitet, mißbraucht und verwirkt
sein Gastrecht.
Hier muß der Staat auch im Interesse
der vielen friedlich mit uns lebenden
Ausländer handeln. Das ist genauso notwendig wie die unnachsichtige Strafverfolgung fremdenfeindlicher Gewalttaten
von Deutschen.
Er hat recht.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Im Einklang mit seinen Aussagen steht
deshalb auch die Verschärfung des Ausländerrechtes und des Strafrechtes in
diesem Zusammenhang.
Allein mit Strafverfolgung — das wurde
von meiner Vorrednerin auch gesagt —
werden wir allerdings in Deutschland
und Europa Rassismus nicht bekämpfen
können. Da sind wir uns völlig einig.
Wir müssen die Herzen und die Hirne
der Menschen für mehr Toleranz und
mitmenschlichen Umgang gewinnen.
Dazu brauchen wir alle gesellschaftlichen Kräfte.
Die entscheidende Vorsorge gegen Extremismus und Gewalt ist eine wertorientierte Erziehung, in deren Mittelpunkt
die Geltung von Menschenwürde und
Recht steht. Da ist in den vergangenen
Jahrzehnten in den Schulen vieles im argen gewesen. Nach wie vor muß mehr
Gewicht auf diesen Bereich gelegt werden; denn das transportiert sich fort in
die nächsten Generationen hinein.
Orientierung durch Wertevermittlung
und beispielhaftes Vorbild auf der einen
Seite und die Annahme von Fragen und
Beschränkungen auf der anderen Seite
sind gleichermaßen notwendig, um im
Lande den Konsens zu erhalten.
Das Elternhaus, die Schulen, die Kirchen
und die Medien sind genauso gefordert
wie wir Politiker, um ein friedliches und
tolerantes Miteinander für die Zukunft in
Deutschland und im gesamten Europa
auszubauen und am Ende zu sichern.
Gesetzgeberisches Handeln und staatliche Aktivitäten sind zwar einerseits notwendig, auf der anderen Seite lebt eine
wehrhafte Demokratie durch das Engagement ihrer Bürger. In Deutschland,
meine sehr geehrten Damen und Herren, wird viel dafür getan, mehr als in
den meisten anderen europäischen Ländern.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. — Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Das war eine Rede
für Untätigkeit!)
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich
gebe das Wort der Abgeordneten Annelie
Buntenbach.
Annelie Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Präsident! Sehr geehrte
Damen und Herren! Hinsichtlich des Europäischen Jahres gegen Rassismus
1997 können wir bereits jetzt Bilanz ziehen. Wir sollten allerdings diese Bilanz
ziehen, ohne sie schönzureden, Frau
Steinbach,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD)
und ohne, wie immer, den falschen Leuten die Schuld für das in die Schuhe zu
schieben, was wir hier in Deutschland
haben. Das sind beileibe keine paradiesischen Zustände. Das Jahr gegen Rassismus ist nämlich mit einer großen Zahl
fremdenfeindlicher und rassistischer
Straf- und Gewalttaten zu Ende gegangen. Wir alle wissen, daß die Dunkelziffer gerade in diesem Bereich immens ist
und die offiziellen Zahlen den wirklichen
Zustand nur unzureichend widerspiegeln.
In einigen Teilen des Landes, das Sie
eben so gelobt haben, Frau Steinbach,
werden “ausländerfreie Zonen” oder
“national befreite Zonen” propagiert.
Auch wenn ich diese Unwörter sehr ungern in den Mund nehme, können wir
doch vor dieser Realität die Augen nicht
verschließen. Die bittere Realität im Europäischen Jahr gegen Rassismus ist,
daß sich Menschen, die nicht deutscher
Herkunft sind, in einigen Regionen dieses Landes nicht mehr angstfrei in der
ôffentlichkeit bewegen können.
Kein Zweifel, hier sind die Handelnden
Neonazis und ihre Anhänger. Es wäre
aber allzu billig — so billig können wir
das hier nicht machen, auch Sie nicht,
Frau Steinbach —, den gesellschaftlichen
Zusammenhang außer acht zu lassen.
Zu den Brandstiftern gehören die Biedermänner, die sogenannte Mitte der Gesellschaft, die den Tätern das Gefühl
gibt, im Einklang mit den Ansichten vieler zu handeln; denn neonazistische und
rassistische Gewalt richtet sich meist gegen diejenigen Menschen, die auch von
der Gesellschaft ausgegrenzt werden.
Hier müßte die Politik gegensteuern, hier
hätte auch der Bundestag Vorbild- und
Signalfunktion.
Wir hätten gerne dem ursprünglichen
Antrag der SPD zugestimmt, weil er wenigstens einige konkrete Schritte in die
richtige Richtung enthielt, zum Beispiel
die Forderung nach doppelter Staatsbürgerschaft oder den Rechtsanspruch auf
Einbürgerung. Bei dem Antrag in seiner
jetzigen Form werden wir uns als Bündnisgrüne aber enthalten, weil wir der
Meinung sind, daß den schönen Worten
auch Taten folgen müßten und die schönen Worte nicht verdecken können, daß
die Regierungspolitik in dem nun abgelaufenen Europäischen Jahr gegen Rassismus eine recht traurige Bilanz vorzuweisen hat, weil sie eben genau jene
Ausgrenzung fördert, durch die die Neonazis sich in ihrer Gewalt bestätigt sehen.
(Beifall bei der PDS — Dr.-Ing. Dietmar
Kansy [CDU/CSU]: Was Sie da machen,
ist Brandstiftung!)
Zur Bilanz dieses Jahres gehört der Visumszwang für Minderjährige. Dazu
gehört eine pauschale und diskriminierende Kampagne des Innenministeriums
gegen die islamische Kultur. Dazu gehört
eine panische Angstkampagne, deren
Anlaß einige wenige Kurden waren, die
in Italien Schutz vor Verfolgung gesucht
haben.
Zu dieser Bilanz gehört auch der Vorschlag für eine weitere Verschärfung des
Asylbewerberleistungsgesetzes — leider
mit angeregt von der SPD —, mit dem
Flüchtlinge jeden Anspruch auf Leistungen verlieren, ausgehungert und auf kaltem Wege vertrieben werden sollen. Eine solche Politik verschärft die bestehende Ausgrenzung und Diskriminierung
von Minderheiten in der Bundesrepublik
und trägt nicht zu ihrer Integration bei.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn Sie wirklich etwas gegen den Rassismus in dieser Gesellschaft unternehmen wollen, dann beenden Sie endlich
diese Ausgrenzung und Diskriminierung
und hören Sie damit auf, Opfer zu Tätern zu machen und diejenigen zu legitimieren, die zur Selbsthilfe gegen die sogenannte Asylantenflut greifen.
Erkennen auch Sie, meine Damen und
Herren von den Regierungsfraktionen,
endlich die Realität an, und bekennen
Sie sich zu einer solidarischen Gesellschaft, zu der alle hier lebenden Menschen gehören und die selbstverständlich Asyl für Verfolgte bietet — als letztes Menschenrecht, wenn alle anderen
Menschenrechte gebrochen sind, als
Konsequenz aus den bitteren Erfahrungen des Nationalsozialismus. Bekennen
Sie sich dazu, daß Deutschland ein Einwanderungsland ist!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der PDS)
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich
gebe der Abgeordneten Cornelia
Schmalz-Jacobsen das Wort.
Cornelia Schmalz-Jacobsen (F.D.P.): Herr
Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Nachdem das Europäische Jahr gegen Rassismus bereits seit drei Monaten
zu Ende ist, ist es an der Zeit, im Namen
des Deutschen Bundestages all jenen
Dank zu sagen, die mit ihren Initiativen
und Projekten in den Vereinen, in den
kleinen und großen Verbänden und in
den Behörden eine ganze Menge auf die
Beine gebracht haben. Das ist nicht
selbstverständlich, und es kann nicht nur
die Politik sein, die etwas tut.
(Beifall des Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.])
Solche Jahre und solche Wochen wie die
Woche der ausländischen Mitbürger haben sicher ihren Sinn. Sie hinterlassen
aber auch eine Menge Zwiespältigkeit.
In der letzten Woche traf ich in Brandenburg einen Mann — er ist Vietnamese —, der dort seit 20 Jahren lebt und
mir gesagt hat: Ich denke überhaupt
nicht daran, mich an der Woche der
ausländischen Mitbürger selber zu beteiligen. Das ganze Jahr über darf ich angepöbelt werden, und dann dürfen wir
eine Woche lang Geige spielen. — Ich
habe großes Verständnis dafür.
Ich möchte einige Dinge aus dem Antrag hervorheben. Mir scheint die Erarbeitung sinnvoller Unterrichts- und Informationsmaterialien durch die Bundeszentrale für politische Bildung besonders
wichtig. Wir müssen noch sehr viel stärker an die Kinder herankommen, die zur
Schule gehen. Sie sollten dort nicht nur
Toleranz lernen, sondern auch die Achtung und den Respekt vor Kindern, die
aus anderen Kulturen kommen, und
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
DOKUMENTATION
mehr Verständnis für sie haben. Hier
kann man sich noch eine Menge einfallen lassen.
Es reicht nicht, wenn wir nur an die Medien appellieren, den Zugang zu ethnischen Minderheiten stärker zu thematisieren, statt Leute nur entweder als Opfer oder als Täter zu zeigen. Diejenigen
von uns, die Mitglieder in entsprechenden Gremien sind, können dazu das
Nötige tun, und zwar mehr als das, was
jetzt geschieht.
Ich möchte ausdrücklich begrüßen, daß
die Bundesregierung inzwischen hat erkennen lassen, daß das Jahr gegen Rassismus keine Sonderveranstaltung ohne
Fortsetzung ist. In der letzten Woche hat
sich das Forum gegen Rassismus konstituiert. Es ist ein Nachfolgegremium des
letztjährigen Koordinierungsausschusses.
Ziel muß es auch sein, daß die Arbeit
der Europäischen Beobachtungsstelle in
Wien bald aufgenommen wird und wir
uns dort informieren. Denn dort — das
ist hier schon gesagt worden — können
Fakten gesammelt und sicherlich Anregungen gegeben werden.
Der falscheste Weg wäre, zu sagen: Wir
haben diese Beobachtungsstelle eingerichtet, und das war’s dann. Das kann es
nicht sein.
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und
der CDU/CSU)
Die Gewaltstatistik scheint zu zeigen,
daß die schlimmsten Zeiten von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in
der Bundesrepublik Deutschland vorbei
sind. Aber mir geht sehr nach — ich
denke wie die Kollegin, die in der vergangenen Woche bei der kleinen Expertenanhörung im Innenausschuß dabei
war —, daß — —
(Zuruf der Abg. Dr. Cornelie SonntagWolgast [SPD])
— Ja, es ist schade, daß doch relativ wenige Kollegen dabei waren. Das bringt
einen schon sehr zum Nachdenken.
Der Organisationsgrad rechtsextremer
Gruppen, sowenig strukturiert er bisher
sein mag, nimmt zu. Das muß uns sehr
unruhig machen. Die Netzwerke werden
ja nicht nur in Hinterzimmern geknüpft,
sondern Rechtsradikale rotten sich — ich
sage das ganz bewußt so — im Internet
zusammen. Die Bedeutung des Internets
für die Kooperation und Kommunikation
der Rechtsextremen ist außerordentlich
hoch. Hier scheinen die Hemmschwellen
zusehends zu sinken. Immer offener und
immer dreister wird agiert. Die “national
befreiten Zonen”, die eigentlich “national besetzte Zonen” heißen müßten,
sind hier genannt worden.
Wir sollten uns nicht täuschen. Diese
Entwicklung ist ebenso brisant wie
rechtsextreme Gewalt oder Aufmärsche
rechter Gruppen auf unseren Straßen.
Über das Internet laufen längst schon
Kontakte rechtsextremer Gruppierungen
auf europäischer Ebene. Wir haben sicher keinen Anlaß, die Dinge über Gebühr zu dramatisieren; aber wir haben
auch ganz und gar keinen Anlaß, sie
herunterzuspielen.
Lassen Sie mich noch zwei Gedanken
ansprechen. Wir werden morgen über
das Thema der Staatsangehörigkeit reden. Die Dinge ernsthaft betrachtend,
glaube ich nicht, daß die Doppelstaatsbürgerschaft oder eine erleichterte Ein-
bürgerung oder ein Einwanderungskontrollgesetz die Fremdenfeindlichkeit in
diesem Lande im Kern treffen könnten.
Die Leute, die sich da zusammentun, haben eine andere Philosophie. Sie würden
sich davon nicht abschrecken lassen. Ich
glaube, das muß man sagen.
(Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]:
Das war doch der Hauptgrund für die
Reform!)
Das zweite ist folgendes: Wir haben
auch in der Anhörung gehört, daß ein
Klima der Arbeitslosigkeit, ein Klima der
Sorge sicherlich geeignet ist, so etwas
zu befördern. Aber der Umkehrschluß,
daß die Gewalttäter vor allen Dingen
unter arbeitslosen oder ausbildungslosen
Jugendlichen zu suchen sind, ist schlicht
falsch.
Wir brauchen einen politischen Konsens,
der über den heutigen Konsens hinausgeht. Wir müssen den Rechtsextremismus ernst nehmen.
Wir müssen besonders darauf achten,
was in den neuen Bundesländern passiert und wie dort die Gemengelage aussieht. Wir dürfen uns nicht einfach
zurücklehnen und gegenseitig beruhigen.
Danke.
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das
Wort hat die Abgeordnete Ulla Jelpke.
Ulla Jelpke (PDS): Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung war von Anfang an bemüht,
das Europäische Jahr gegen Rassismus
zu einer Farce werden zu lassen. Frau
Schmalz-Jacobsen, auch Sie gehören zur
Bundesregierung. Dieses Jahr begann
nämlich mit der Einführung des Kindervisums, es wurde fortgesetzt mit dem
Arbeitsverbot für Asylsuchende, es ging
weiter mit der Verschärfung des Ausländer- und Asylverfahrensgesetzes, der Abschiebung von bosnischen Bürgerkriegsflüchtlingen in Chaos und Gewalt und
der von der Union angezettelten Kampagne zur sogenannten Ausländerkriminalität. Der hier zur Debatte stehende
Antrag spielte jedoch keine Rolle.
Gerade eben haben wir die Debatte um
das Asylbewerberleistungsgesetz verfolgen können.
Bürgerkriegsflüchtlingen, geduldeten
oder illegalisierten Menschen sollen nur
noch der Proviant zur Rückfahrt verbleiben. Finden Sie es nicht beschämend,
jetzt einen Antrag zu verabschieden, in
dem die Würde und die Rechte des einzelnen als unsere grundlegenden Werte
bezeichnet werden? Die Würde des
Menschen haben Sie, meine Damen und
Herren von der Koalition, erst vor wenigen Minuten mit Füßen getreten.
(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Reden Sie doch nicht so einen Quatsch! Das
ist unverschämt!)
Sie wollen das Asylbewerberleistungsgesetz hier zweifellos durchsetzen.
(Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN)
In Bayern strengt beispielsweise der
CSU-Politiker Gauweiler ein Volksbegehren zur Änderung der Landesverfassung
an, mit dem er feststellen will: Bayern ist
kein Einwanderungsland. Das entspricht
vornehm umschrieben der Formulierung:
Ausländer raus!
Das ist mit dem Anspruch dieses Antrags, Rassismus bekämpfen zu wollen,
nicht zu vereinbaren.
(Beifall bei Abgeordneten der PDS)
Dem ursprünglichen Antrag der SPD
hätten wir, wenn auch mit Bauchschmerzen, zugestimmt. Den Antrag,
den Sie heute vorlegen, können wir allerdings nicht mehr unterstützen. Im ursprünglichen Antrag war nämlich noch
die Forderung nach der doppelten
Staatsbürgerschaft und dem erweiterten
Rechtsanspruch auf Einbürgerung enthalten. Jetzt finden wir nur noch die unverbindliche Aufforderung an die Bundesregierung, die Einbürgerung zu erleichtern.
Sie und ich, werte Kolleginnen und Kollegen, wissen genau, daß die Bundesregierung, daß die Koalition selber ihrer eigenen Forderung nicht nachkommen
wird. Wir werden es morgen früh an
dieser Stelle erleben, wenn wir erneut
über die Reform der doppelten Staatsbürgerschaft und des Staatsbürgerschaftsrechts debattieren.
Hunderttausende von Migrantinnen und
Migranten, die hier seit Jahren leben,
warten dringend auf ein Signal der Politik. Sie wollen hören: Ihr gehört zu uns,
zu dieser Gesellschaft. Das wäre ein weiterer Beitrag zur Bekämpfung von Rassismus. Doch das einzige, was diese Koalition unseren ausländischen Bürgerinnen und Bürgern vermittelt, ist, daß sie
auch nach Jahrzehnten immer noch als
Gäste behandelt werden, daß sie eine
Bedrohung sind, daß sie Fremde bleiben.
Geradezu verhöhnend ist die Aussage in
dem neuen Antrag — ich zitiere —:
“Der Deutsche Bundestag begrüßt, daß
die Bundesregierung in ihrem Verantwortungsbereich Ausländer beschäftigt.”
In der Ursprungsfassung der SPD forderte der Bundestag die Bundesregierung
immerhin noch auf, den öffentlichen
Dienst einschließlich BGS verstärkt für
Nichtdeutsche zu öffnen.
Ich frage mich wirklich, warum Sie von
der SPD eine solche Verhohnepipelung
unserer im öffentlichen Dienst drastisch
unterrepräsentierten Mitbürgerinnen
und Mitbürger ausländischer Herkunft
mitmachen. Sie wissen, daß sie hauptsächlich bei der Müllabfuhr und bei der
Straßenreinigung beschäftigt sind. 1995
betrug der Anteil ausländischer Beschäftigter im gesamten öffentlichen Dienst
3,4 Prozent.
Ich meine, daß ein Antrag, der den
Kampf gegen den Rassismus fordert,
mehr beinhalten muß. Deswegen können wir ihm leider nicht zustimmen.
(Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Für
die Bundesregierung spricht der Parlamentarische Staatssekretär Manfred Carstens.
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär
beim Bundesminister des Innern: Herr
Präsident! Meine verehrten Kolleginnen
und Kollegen!
Ich möchte damit beginnen, daß die
Bundesregierung dem Europäischen Jahr
gegen Rassismus von Anfang an und
das ganze Jahr hindurch einen hohen
Stellenwert gegeben hat. Deutschland
steht hier in besonderer historischer Verantwortung. Es hat sich dieser Verantwortung gestellt und wird dies auch
künftig tun.
Nicht nur in diesem Jahr hat sich die
Bundesregierung mit diesem Problem
befaßt, sondern schon viele Jahre vorher,
so wie Frau Kollegin Steinbach es hier
eben eindrucksvoll geschildert hat.
Dieser Einsatz war in den vergangenen
Jahren nicht ohne Erfolg.
Offensichtlich ist man hier nicht bereit,
auf Fakten einzugehen.
Diese Erfolge sind hier eben schon genannt und mit Prozentzahlen belegt
worden. 6721 fremdenfeindlich motivierte Straftaten sind in unserem Land
im Jahre 1993 begangen worden. Diese
Zahl ist bis 1996 kontinuierlich auf 2232
zurückgegangen. Das ist in der Tat ein
Rückgang um mehr als zwei Drittel. Man
kann auch sagen: 1996 ist gegenüber
dem Jahre 1993 nur noch ein Drittel
dieser Fälle zu verzeichnen gewesen. Das
war ein großartiger Erfolg all derer, die
sich an der Bekämpfung dieser Straftaten beteiligt haben. Man braucht nicht
nach Ausreden zu suchen und Vorwürfe
zu erheben, sondern wir sollten uns darüber freuen, daß dieser Tatbestand festgestellt werden kann.
Schade und schwierig zugleich ist es,
festzustellen, daß 1997 ein leichter Anstieg auf 2952 Fälle stattgefunden hat.
Aber man bedenke, daß wir noch vier
Jahre vorher 6721 Fälle hatten. Der Anstieg muß ernst genommen und darf
nicht hingenommen werden. Wir fordern alle gesellschaftlichen Gruppen auf,
an der Lösung dieses Problems mitzuwirken; denn es handelt sich doch um
eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Die Bundesregierung ist gefragt, selbstverständlich. Aber auch die Landesregierungen, die Kirchen, andere gesellschaftliche Gruppen und im Grunde jeder Bürger unseres Landes sind gefragt, hier
mitzumachen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Es ist angenehm, bei empirischen Untersuchungen feststellen zu können, daß es
auch ganz erfreuliche Ansätze gibt, nach
denen man durchaus auch zuversichtlich
sein darf. Zum Beispiel ist durch solche
Umfragen — ich nenne die Shell-Studie
— bekannt, daß rechtsextremistische
Gruppierungen auf größte Ablehnung
bei Jugendlichen stoßen. öber 80 Prozent der Jugendlichen geben an, solche
Gruppierungen abzulehnen. Diese empirischen Untersuchungen zeigen auch regelmäßig, daß der Anteil der Jugendlichen, die sich selbst der rechtsextremistischen Szene zuordnen, bei maximal 1
bis 2 Prozent, und der Anteil derjenigen,
die mit der Szene sympathisieren, deutlich unter 5 Prozent dieser Altersgruppe
liegen.
Wir haben bei unseren Initiativen — von
der Aufklärungskampagne der Innenminister von Bund und Ländern ist ja eben
schon die Rede gewesen — auch festgestellt, daß es einen gesellschaftlich breit
getragenen Konsens gegen extremistische Ideologien und Fremdenfeindlichkeit gibt.
Die wieder wachsende Gewaltkriminalität von Jugendlichen führt uns aber erneut zu der Frage nach den Ursachen
31
DOKUMENTATION
und nach den Hintergründen hierfür.
Die Ursachen sind vielschichtig. Sie werden in der Politik- und Sozialwissenschaft, aber auch in der Publizistik breit
erörtert. Ein umfassendes, konsistentes
und allgemein anerkanntes Analyse- und
Erklärungsmodell liegt bislang nicht vor.
Eine wichtige Rolle spielen aber sicher
eine zunehmende Orientierungs- und
Bindungslosigkeit, ein zunehmender
Werteverlust, Medieneinflüsse und in
den neuen Bundesländern sicher auch
der totale gesellschaftliche Umbruch.
Die Bundesregierung hat sich selbstverständlich auch um die Erforschung der
Ursachen bemüht. Auf den Bericht zu
dem Forschungsprojekt “Analyse fremdenfeindlicher Straftäter” möchte ich
besonders hinweisen. Darüber hinaus
führt die Bundesregierung vielfältige
Maßnahmen sowohl im gesetzgeberischen und administrativen als auch im
Bereich der Prävention durch. Ich weise
insbesondere auf die “Offensive gegen
Gewalt und Fremdenfeindlichkeit” hin,
in der auf Beschluß der Bundesregierung
vom 2. Dezember 1992 alle einschlägigen Maßnahmen und Planungen der
Bundesregierung zusammengefaßt worden sind. Zuletzt wurde dieser Bericht
im Mai 1997 aktualisiert. Auch die Maßnahmen der Bundesregierung im Bildungsbereich sind hier aufgeführt.
Nun noch einiges zum Europäischen
Jahr gegen Rassismus: Hier hat sich die
Bundesregierung sehr stark engagiert,
anders als es die Rednerin der SPD eben
zum Ausdruck gebracht hat. Mit der
Umsetzung dieser Initiative in Deutschland war am 7. Oktober 1996 ein nationaler Koordinierungsausschuß beauftragt worden, dem sowohl Vertreter von
Regierungsstellen als auch von Nicht-Regierungsorganisationen angehörten.
Vorsitz und Geschäftsführung lagen
beim BMI. Die nationale Eröffnungsveranstaltung fand am 4.März 1997 mit
dem Bundespräsidenten als Hauptredner
statt. Wir haben auf Initiative des BMI
zum Beispiel im Rahmen dieses Jahres
ein Poster mit dem Motto “Sportler gegen Rassismus — und Du?” produziert
und finanziert, um die Öffentlichkeit für
diese Problematik zu sensibilisieren.
(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Für die Einbürgerung in 24 Stunden!)
Dann haben Bund, Länder und Gemeinden — Frau Schmalz-Jacobsen hat es
eben schon gesagt und dafür Dank ausgesprochen, dem ich mich anschließen
möchte — und viele Nicht-Regierungsorganisationen der Geschäftsstelle im
BMI eine Fülle von Projekten gemeldet
und durchgeführt, die zur Zeit dokumentiert werden. Sie werden sich allesamt darüber wundern, wieviel in diesem einen Jahr in unserem Land, in
Deutschland, zu diesem Thema getan
worden ist: mehr als in allen anderen
Ländern Europas, wage ich zu behaupten.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)
Dieses Europäische Jahr gegen den Rassismus ist nun aus kalendarischer Sicht
beendet; doch alle Beteiligten haben
sich dafür entschieden, daß der begonnene Dialog zwischen Nicht-Regierungsorganisationen und Regierungsstellen in
einem Nachfolgegremium, dem Forum
gegen den Rassismus, fortgeführt wird.
Das Gremium hierfür ist schon am 19.
März in Frankfurt konstituiert worden.
Letzte Ausführung: Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind keine auf Deutschland beschränkten Erscheinungen. In
praktisch allen Ländern der Europäischen Union, in denen in den letzten
Jahren ein starker Zuzug von Ausländern
stattgefunden hat, sind sie zu beobachten. Zur Zeit leben über 7,3 Millionen
Ausländer in Deutschland. Das spricht
nicht für Fremdenfeindlichkeit.
Die damit verbundene Begegnung verschiedener Kulturen und Traditionen
kann die Lebensverhältnisse der Bürger
bereichern, aber auch zu Spannungen
führen. Einheimische wie Zuwanderer
sind aufgefordert, solche Spannungen
nicht durch Mißachtung und Provokation zu verstärken, sondern durch Offenheit und Toleranz, Verständnis und Re-
spekt abzubauen.
Danke schön.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die
Beschlußempfehlung des Innenausschusses zum Antrag der Fraktion der
SPD zum Europäischen Jahr gegen Rassismus, Drucksache 13/9667. Der Innenausschuß empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 13/7711 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer der Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte
ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! —
Stimmenthaltung? — Dann stelle ich
fest, daß die Beschlußempfehlung mit
den Stimmen der Koalition und der
Fraktion der SPD bei Stimmenthaltung
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Gruppe der PDS
angenommen worden ist.
Schreiben der nds. SPD-Landtagsfraktion an PRO ASYL
v. 18.02.98
Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für Ihr Schreiben vom 05. Februar 1998. Der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion Herr Heinrich Aller hat mich gebeten, Ihnen zu antworten. Dieser Bitte komme ich gerne nach.
Bei der Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes geht es darum, ausreisepflichtigen Ausländern, die sich dem Ausländerrecht
zuwider hier aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufhalten,
nicht mehr wie bisher automatisch die vollen Leistungen nach
dem Asylbewerberleistungsgesetz zu gewähren. Dies gilt insbesondere für diejenigen, die sich jeglicher Mitwirkung an der Aufklärung ihrer Identität und der Paßbeschaffung verweigern. Die
Zahl dieser Fälle hat mittlerweile im gesamten Bundesgebiet ein
unvertretbares Ausmaß erreicht. Es gibt keinen vernünftigen
Grund, weshalb ein zur Ausreise verpflichteter Ausländer, der seiner gesetzlich gebotenen Mitwirkung bei der Paßbeschaffung
nicht nachkommt, den uneingeschränkten Anspruch auf Leistung
nach dem Asylbewerberleistungsgesetz behalten soll. Aus diesem
Grunde soll bei Ausländern, bei denen aus von ihnen zu vertretenen Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen
werden können, eine Anspruchseinschränkung erfolgen. Keineswegs ist es so, daß die geplante Gesetzesänderung den davon betroffenen Personengruppen alle Leistungen vorenthalten will.
Für telefonische Rückfragen stehe ich jederzeit zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
(Unterschrift)
Gert Armin Neuhäuser
Parlamentarischer Referent
32
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
DOKUMENTATION
Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaften
der Landesflüchtlingsverwaltungen
Stellungnahme des Arbeitskreises 4
(Ausländische Flüchtlinge) der Arbeitsgemeinschaft der Landesflüchtlingsverwaltungen zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes BT-Drs. 13/10155
war. Dies führte zu einer Besserstellung
der Ausreisepflichtigen (uneingeschränkte Leistungen gem. AsylbLG) gegenüber
denjenigen mit besserem ausländerrechtlichen Status (Leistungsausschluß
gem. § 120 Abs. 3 BSHG). Es handelt
sich bei dieser Änderung also um eine
A) Funktion der Arbeitsgemeinschaft der rechtssystematische Anpassung des AsylLandesflüchtlingsverwaltungen (ArgeFlü) bLG an das BSHG, die unter Sozialstaatsgesichtspunkten keine Probleme aufwirft
Die Arbeitsgemeinschaft der Landesflüchtlingsverwaltungen (ArgeFlü) bildet Zur Frage des von dieser Fallvariante
den Zusammenschluß der jeweils in den möglicherweise erfaßten Personenkreises
Ländern für die Aufnahme, Unterbrinwurden auf bestimmte Ausländergrupgung und Versorgung von ausländischen pen hingewiesen, die offen erklärten,
Flüchtlingen zuständigen Obersten Lan- eingereist zu sein, um Sozialhilfeleistundesbehörden. Es handelt sich dabei um gen zu erlangen und gleichzeitig offen
Mitarbeiter der Fachebene, die zusam- zu erkennen gaben, keinen Asylgrund zu
menkommen, um Erfahrungen auszuhaben. So wurde von derartigen Einreitauschen, die Verwaltungspraxis in den sen aus Ex-Jugoslawien nach Berlin, aus
Ländern weitestgehend zu vereinheitli- Afghanistan nach Hamburg, aus dem
chen oder zu bestimmten ProblemfelIrak nach Baden-Württemberg und aus
dern gemeinsame Positionen abzustim- Osteuropa nach Rheinland-Pfalz berichmen und, soweit ggf. möglich, für Be- tet.
schlußgremien Vorschläge zu erarbeiten.
Die Positionsbestimmungen werden da- Die Darlegungs- und Beweislast für die
bei grundsätzlich aus fachlicher und ver- Einreisemotive wird, wie dies auch bei §
waltungstechnischer Sicht vorgenom120 Abs. 3 BSHG (um-zu-Regelung) der
men, um sodann als Material für politi- Fall ist, bei den das Gesetz ausführenden
sche Entscheidungsprozesse zur Verfü- Behörden liegen.
gung zu stehen.
Die Fallgruppe der Ziffer 2 des § 1a bildet aus der Sicht unseres Gremiums die
Im Falle der Grundsatzpositionen zum
zentrale Regelung der AnspruchseinEntwurf eines zweiten Gesetzes zur Än- schränkung. Für eine Regelung besteht
derung des Asylbewerberleistungsgeset- angesichts der bisherigen Erfahrungen
zes hat der Arbeitskreis 4 (ausländische der Verwaltungspraxis der Länder ein
Flüchtlinge) seine Beratungen - unter
dringender Bedarf. Betroffen von einer
Zurückstellung ggf. auf Landesebene be- solchen Regelung wären vollziehbar ausstehender grundsätzlicher politischer
reisepflichtige Ausländer - namentlich alVorbehalte gegen eine Änderung der
so abgelehnte Asylbewerber - denen
Regelungsmaterie - geführt und sich
ausschließlich deswegen eine Duldung
ausschließlich an den aus Sicht der Ver- erteilt werden muß, weil ihre Abschiewaltungspraxis ergebenen Notwendig- bung allein aus Gründen nicht möglich
keiten orientiert. Die politische Wertung ist, die in ihrem eigenen Verhalten liedieser - im wesentlich konsensual erar- gen. Konkret handelt es sich dabei insbeiteten - Vorstellungen muß dabei ent- besondere um diejenigen, die mutwillig
sprechend der reinen Fachfunktion der ihre Identität verschleiern, indem sie ihre
Arbeitsgemeinschaft den hierfür zustän- Reisedokumente beiseite schaffen und
digen Institutionen vorbehalten bleiben. im Rahmen der Paßersatzbeschaffung
bei persönlicher Vorsprache in den AusNach dieser Maßgabe wird die nachste- landsvertretungen Angaben verweigern,
hende Stellungnahme abgegeben.
gezielte Falschangaben machen oder
sich angeblich nicht in der Lage sehen,
B) Stellungnahme
Beschreibungen ihres Heimatlandes zu
Zu Artikel 1 Nr. 1 (§ 1a (Anspruchseingeben. Durch dieses Verhalten gelingt es
schränkungen))
ihnen, für die Behörden unlösbare AbDie Einfügung eines § 1a wird mehrheit- schiebungshindernisse zu schaffen und
lich grundsätzlich als notwendig erach- damit einen weiteren Aufenthalt im
tet, um künftig ein Instrument zur Ver- Bundesgebiet zu erzwingen. Die Zahl
hinderung der rechtsmißbräuchlichen In- der hiervon betroffenen Personen ist
anspruchnahme von Sozialleistungen
zwar nicht genau zu ermitteln; es steht
durch ausreisepflichtige Ausländer zur
aber fest, daß einerseits die Zahl der abVerfügung zu haben. Die Regelung des gelehnten Asylbewerber, die aufgrund
§ 1a Nr. 1 führt dabei richtigerweise ei- eines Abschiebestopps oder aus rechtline Gleichbehandlung der Leistungsbe- chen Gründen geduldet werden, erhebrechtigten nach AsylblG mit leistungsbe- lich zurückgegangen ist, während der
rechtigten Ausländerinnen und Auslän- Anteil der Personen, deren Aufenthalt
dern nach dem Bundessozialhilfegesetz aufgrund tatsächlicher Abschiebungshin(BSHG) herbei. Eine Einschränkung der dernisse - wie etwa Fehlen der RückreiLeistungen nach dem AsylbLG war bis- sepapiere - zu dulden ist, stark angestieher selbst in den Fällen nicht möglich, in gen ist. Überschlägige Ermittlungen in
denen der Antragsteller offen bekundet, einigen Ländern haben ergeben, daß jedaß sein Motiv für die Einreise in die
weils 1000 bis 3000 Personen auf diese
Bundesrepublik Deutschland nur die In- Weise versuchen, ihre Ausreisepflicht zu
anspruchnahme von Sozialleistungen
verhindern.
§ 1a Ziffer 3 sieht Leistungseinschränkungen für die ausreisepflichtigen Ausländerinnen und Ausländer vor, die nicht
freiwillig ausreisen, obwohl sie jederzeit
ausreisen könnten. Aus den Erfahrungen
der Praxis heraus stößt die Abschiebung
in diesen Fällen auf Schwierigkeiten, weil
bestimmte Regularien vereinbart sind
(z.B. Rücknahmeersuchen, Zustimmung
des Heimatstaates, Streckung der Rückführung über mehrere Jahre). Dies trifft
insbesondere für Staaten zu, mit denen
Rückübernahmeabkommen abgeschlossen wurden (z.B. Vietnam, Bundesrepublik Jugoslawien). Eine freiwillige Ausreise ist in der Regel grundsätzlich außerhalb des Abkommens möglich. Auch
hier soll der Grundgedanke gelten, daß
derjenige, der vollziehbar zur Ausreise
verpflichtet ist und es selbst in der Hand
hat, das Land zu verlassen, keine vollen
Leistungen nach dem AsylbLG erhalten
soll, solange er nicht ausreist.
Daraus wird deutlich, daß die vom Gesetz betroffenen Personen, nicht wie gelegentlich behauptet wird, auf eine
„Nullrate“ gesenkt werden und ihnen
auch das Notwendigste gestrichen wird.
In der praktischen Ausführung dieser Regelung wird es nach hiesiger Einschätzung stark auf den Einzelfall ankommen.
Der Verweis auf § 1a Satz 2 sollte gestrichen werden.
Bei isolierter Betrachtung stellt dieser
Tatbestand lediglich auf die objektive
Möglichkeit der Ausreise ab. Dies kann
möglicherweise in einer Reihe von Fällen
zu Härten führen. Insofern sollte die beabsichtigte Anspruchseinschränkung nur
dann greifen, wenn die freiwillige Ausreise tatsächlich möglich und zumutbar
ist. Die Gesetzesanwendung im konkreten Fall würde dann alle Umstände eines
Einzelfalles einbeziehen, wozu auch der
Grund für die ausländerrechtliche Duldung gehört. Danach würden bosnischen Bürgerkriegsflüchtlinge, die
zunächst noch von der Rückführung
ausgenommen sind, z.B. weil sie sich in
einer Berufsausbildung befinden, auch
weiterhin Leistungen nach dem AsylbLG
erhalten können, da ihre Rückkehr möglich, aber nicht zumutbar ist. In den Erläuterungen des Gesetzentwurfes sollten
zur Klarstellung die Überlegungen zur
Zumutbarkeit und Möglichkeit der freiwilligen Ausreise noch näher ausgeführt
und durch Beispiel ausgelegt werden.
Zur Konkretisierung der Rechtsfolge (Anspruchseinschränkung auf das im Einzelfall unabweisbar gebotene) muß darauf
hingewiesen werden, daß auch hier eine
jeweils einzelfallbezogene Entscheidung
möglich ist. Für den betroffenen Personenkreis besteht nicht mehr, wie nach
geltendem Recht, automatisch ein voller
Leistungsanspruch in Höhe der Grundleistungen nach dem AsylbLG. Die Leistungsbehörden werden bei der Ausgestaltung und ihrer Anpassung an die Besonderheiten des Einzelfalles freier gestellt. Aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalles kann dabei die Leistungsgewährung im Ergebnis durchaus
das Niveau voller Leistungen erreichen.
Dieser Leistungshöhe würde sozusagen
die „Begrenzung nach oben“ bilden. Die
„Grenze nach unten“ dürte dort liegen,
wo Ernährung, Unterkunft und Kleidung
bis zur Ausreise sichergestellt sind. Hinsichtlich der gesundheitlichen Versorgung wird es zu keiner Veränderung
kommen.
Zu Artikel 1 Nr. 2 (§ 3 Abs. 1 Satz 5)
Die leistungsrechtliche Gleichstellung
von Abschiebe- und Untersuchungsgefangenen wird als wünschenswert angesehen.
Zu Artikel 1 Nr. 3 (§ 5 Abs. 4 Satz 2)
Die Gesetzesformulierung erscheint
mißverständlich. Daher wird folgende
Neuformulierung vorgeschlagen:
„Bei unbegründeter Ablehnung einer
solchen Tätigkeit erhalten Leistungsberechtigte Leistungen nach diesem Gesetz
nur, soweit dies im Einzelfall unabweisbar geboten ist. Der Leistungsberechtigte ist vorher entsprechend zu belehren.“
Zu Artikel 1 Nr. 4 (§ 7 Abs. 1 Satz 2)
Diese Bestimmung erscheint als parallele
Regelung zu § 122 BSHG wünschenswert.
Die bisherige Besserstellung der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG
gegenüber Sozialhilfeberechtigten erscheint problematisch, auch unter Zugrundelegen der neueren Rechtsprechung, insbesondere des Urteils des Verwaltungsgerichtshof Mannheim vom 14.
April 1997 (Az: 7 S 1816/95)
Zu Artikel 1 Nr. 5 (§ 7a)
Die Einführung einer Sicherheitsleistung
von Leistungsberechtigten erscheint
grundsätzlich für wünschenswert, obwohl diese in der praktischen Anwendung problematisch werden könnte. Soweit nämlich Vermögen im Sinne des §
7 Abs. 1 Satz 1 vorhanden ist, muß
zunächst dieses eingesetzt werden, bevor Leistungen nach dem Gesetz beansprucht werden können. Es wird zu prüfen sein, ob und wie die Sicherheitsleistung auf den Erstattungsanspruch nach
§ 7 Abs. 1 Satz 2 in der derzeitigen Fassung zu beschränken ist.
Zu Artikel 1 Nr. 6 (§ 11 Abs. 3)
Die mit der Regelung eröffnete zusätzliche Möglichkeit des automatisierten Datenabgleichs zwischen der Sozialbehörde und der Ausländerbehörde erscheint
sinnvoll und erforderlich. Es ist bekannt,
daß der Bundesbeauftragte für Datenschutz aus seiner Sicht Bedenken im
Hinblick auf Überschneidungen mit § 79
Abs. 3 Ausländergesetz geäußert hat. Er
sollte daher um Prüfung aus seiner Sicht
bzw. um Vorschlag zu einer Neuformulierung gebeten werden.
Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)
Um Schwierigkeiten bei der Umsetzung
der gesetzlichen Neuregelung in den
Bundesländern zu vermeiden, sollte das
Gesetz nicht unverzüglich sondern ggf.
erst drei Monate (maximal) nach Verkündung in Kraft treten.
Unterschrift (Hummel)
33
ASYLPOLITIK
„Wir brauchen
Zuwanderer“
Der niedersächsische Ministerpräsident
Gerhard Schröder (SPD) über das Recht auf Asyl
Fest steht: Die Bundesrepublik
Deutschland ist Unterzeichnerin
der Genfer Flüchtlingskonvention. Damit sind deren Bestimmungen geltendes Recht. Das heißt:
Gut die Hälfte aller abgelehnten
Asylbewerberinnen und -bewerber dürfen gar nicht abgeschoben
werden, weil ihnen im Heimatland Gefahr für Leib, Leben oder
Freiheit droht. Keine Änderung
des Grundgesetzes darf die Genfer Flüchtlingskonvention außer
Kraft setzen. Aber wer bestimmt
und in welchem Verfahren, wer
bleiben darf und wer gehen muß
Die Bundesrepublik hat sich aus
gutem Grund ein politisches Asylrecht ohne Wenn und Aber gegeben: Zehntausende vom Deutschen haben das Dritte Reich nur
überlebt, weil sie im Ausland
Asyl fanden. Innenpolitische Erwägungen dürfen bei der Asylgesetzgebung keine Rolle spielen das einzige Kriterium hat die Sicherheit politisch verfolgter Menschen zu sein.
(...)
Die Union - das ist schwarz auf
weiß bewiesen - hat entdeckt, daß
sich mit dem Asylthema Wahlkampf machen läßt. Wahlkampf
auf Kosten von Menschen und
auf Kosten des Ansehens der
Bundesrepublik. Wahlkampf mit
einem Sud aus Vorurteilen und
Fremdenangst, aus Deutschtümelei und Sozialneid.
(...)
* Auszüge eines Artikels im Spiegel 11/1992
34
Aufgabe von Politik wäre es, diesen Stimmungen in Wort und Tat
entgegenzuarbeiten. Die Union
aber schürt sie - um so deutlicher,
je weiter es in der Parteihierarchie nach unten geht.
Und SPD-Politiker in Bonn
führen dazu einen sozialdemokratischen Klassiker auf: Sie lassen
sich ohne Not in die „vaterländische Pflicht“ nehmen und finden
sich in einer Lage wieder, aus der
es beim politisch-moralischen
Anspruch und dem historischen
Hintergrund der SPD keinen Ausweg gibt.
(...)
Erstens: Ohne diese Zuwanderung wäre die Arbeitslosigkeit in
der Bundesrepublik nicht niedriger, sondern höher. nach Berechnungen des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) haben die 3,5 Millionen Menschen mehr Arbeitsplätze geschaffen, als sie selbst
besetzen.
Zweitens: Auch ohne Zuwanderung gäbe es in der Bundesrepublik eine drastische Wohnungsnot, weil die deutsche Bevölkerung heute pro Kopf 50 Prozent
mehr Wohnraum beansprucht als
vor 20 Jahren und der Bund den
sozialen Wohnungsbau in den
achtziger Jahren faktisch eingestellt hat.
Drittens: Ohne Zuwanderung
wären die Sozialversicherungsbeiträge höher und die Sozialleistungen niedriger. Nach der RWIBerechnung haben die 3,5 Millionen Zuwanderer den staatlichen
und den Sozialkassen 1991 direkt
und indirekt einen Reingewinn
von 41 Milliarden Mark gebracht
- die Kosten für ihre Eingliederung bereits abgerechnet.
Diese Beiträge werden in den
nächsten Jahren noch wichtiger
werden: Weil es unter der deutschen Bevölkerung immer mehr
Alte und immer weniger Junge
gibt, wird nach Prognosen des
Verbandes Deutscher Rentenversicherer im Jahre 2040 auf jeden
deutschen Erwerbstätigen ein
Rentner kommen.
Das heißt: Wir brauchen Zuwanderer. Oder wir können ausrechnen, wann mit dem Generatio-
nenvertrag die Grundlage unseres
sozialen Systems zusammenbricht.
(...)
Die Bonner Koalition aber hält
stur an dem Trugbild fest: „Die
Bundesrepublik ist kein Einwanderungsland.“
Sie verhindert, daß wir Zuwanderung steuern, die wir haben und
die wir brauchen. Sie verhindert,
daß wir endlich eine positiv definierte Ausländerpolitik entwickeln, die Ausländern gleiche
Rechte auf dem Arbeits- und
Ausbildungsmarkt gibt, die ihnen
das Wahlrecht gibt, die ihre Einbürgerung erleichtert und ihre
Diskriminierung unter Strafe
stellt.
Solch praktische Politik könnte
dann auch Ausländerfeindlichkeit
wirksam abbauen, weil sie Fremde als das behandeln würde, was
sie sind: als Bereicherung für unser wirtschaftliches, soziales und
kulturelles Leben.
Aber das ist nur die eine Seite.
Auf der anderen stehen die erbärmlichen Lebensverhältnisse in
vielen Regionen der Dritten Welt,
stehen Diktaturen, die nicht selten von den Industrieländern gestützt werden, stehen Kriege, die
die Menschen aus ihrer Heimat
vertreiben. Die Ursachen der
Fluchtbewegung haben wir selbst
mit erzeugt. Also brauchen wir
endlich eine Entwicklungspolitik,
die sich ehrlich müht, diese Ursachen in den Heimatländern der
Flüchtlinge zu beseitigen.
(...)
Die Asyldebatte vom Kopf auf
die Füße zu stellen: Das ist es,
was die Hüter der Verfassung zuerst zu leisten haben. Das zu beginnen heißt, die Asylfrage den
Wahlkampfstrategen aller Lager
aus der Hand zu nehmen.
(...)
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
GESUNDHEIT
Ärztekammer:
Gratishilfe für Flüchtlinge ohne Bleiberecht
Artikel in der NP vom 08.03.98
Ärztekammer: Gratishilfe für
Flüchtlinge ohne Bleiberecht
Bis zu 500.000 Menschenleben
illegal in Deutschland, davon
rund zehn Prozent in Niedersachsen. Sie haben keinen Anspruch
auf Sozialleistungen oder medizinische Versorgung. Die niedersächsische Ärztekammer ruft ihre
Mitglieder kommende Woche im
Ärzteblatt auf, abgelehnte Asylbewerber anonym und kostenlos
zu behandeln.
„Wir wollen keine politische Meinung vertreten, sondern humanitäre Hilfe leisten“, so Cornelia
Goesmann, Vizepräsidentin der
Ärztekammer. Die Allgemeinärz-
aus: nds ärzteblatt 3/98
Abgelehnte Asylbewerber wer übernimmt medizinische
Behandlung?
Ein Ärzte-Netzwerk zugunsten
der medizinischen Versorgung
abgelehnter, aber noch nicht ausgewiesener Asylbewerber wird
zur Zeit in niedersächsischen Ärztekreisen diskutiert. Dafür sollen
Ärztinnen und Ärzte gewonnen
werden, die jenen Personen eine
anonyme und kostenfreie Behandlung gewähren wollen, die oftmals ohne Ausweise und Aufenthaltspapiere - zumeist aus
Angst vor einer drohenden Abaus: Münch. med. Wschr. 139
(1997) Nr. 12
ÄK Berlin will Armenambulanzen
Wer bezahlt für die ärztliche Behandlung von Ausländern, die
sich illegal in der Bundesrepublik
aufhalten und die nicht krankenversichert sind? Dieses Thema
wird derzeit in Berlin heiß diskutiert - das Problem dürfte aber
nicht nur die Hauptstadt betreffen. Bei der Behandlung von
Schwarzarbeitern, die sich illegal
tin hat bislang nur wenige „illegale“ Patienten behandelt. „Aber
es ist klar, daß es sich nicht um
Einzelfälle handelt. Und die Zahl
steigt deutlich an.“
Beispiel: Die junge Kurdin A. Sincar. Als sie im sechsten Monat eine Fehlgeburt hatte, lebte sie mit
ihrem Mann illegal im Kirchenasyl. Sincar hatte Glück: Ein evangelisches Krankenhaus behandelte sie kostenlos - und ohne sie zu
melden, was zur Abschiebung
geführt hätte. Heute wohnt sie
mit ihrem Mann legal in Niedersachsen, ist als politische Asylberechtigte anerkannt.
„Aus Angst vor der Rückkehr in
die Heimat tauchen immer mehr
abgelehnte Asylbewerber bei
Freunden unter oder bitten um
Kirchenasyl“, weiß Sigrid Ebritsch
vom Diakonischen Werk Hannover. „Zwei Drittel der Menschen,
die im Kirchenasyl gelebt haben,
werden später doch als Asylberechtigte anerkannt oder zumindest befristet geduldet.“ Sie hat
bisher gute Erfahrungen in der
Zusammenarbeit mit Ärzten gemacht.
„Niedergelassene Ärzte haben
wegen der Schweigepflicht keine
rechtlichen Probleme, anonym zu
behandeln“, so ein Helfer der Kooperative Flüchtlingssolidarität in
Hannover. In Krankenhäusern sei
es schwieriger. Dort hänge es von
der Verwaltung ab, ob sie Patienten ohne Aufenthaltsgenehmigung meldet.
schiebung in die Illegalität abgetaucht sind.
Dieses Ansinnen verfolgt eine Initiative “Kein Mensch ist illegal”.
Nach deren Schätzung sollen sich
in Deutschland ca. eine Million
Menschen aufhalten, die aufgrund ihres Rechtsstatus’ als
nicht anerkannte Asylbewerber
keinerlei Anspruch auf die sonst
üblichen Sozialleistungen haben.
Vor allem bei diesen Menschen
bewirken Illegalität, Streß und
Abschiebeangst nicht selten psychosomatische Krankheiten, die
zumeist unbehandelt bleiben.
Beschluß der Kammerversammlung vom vergangenen November - Ärztinnen und Ärzte aus
dem Kammerbereich, sich mit
diesem Problem zu befassen und
sich für ein solches Netzwerk zur
Verfügung zu stellen. Mediziner,
die sich dazu bereit erklären,
werden der o.g. Initiative benannt, die wiederum für die Kontaktaufnahme zwischen Patient
und behandelndem Arzt sorgt.
“Verbindungsfrau” zwischen interessierten Kollegen und der Initiative “Kein Mensch ist illegal”
ist die frisch gewählte stellvertretende Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen, Dr. med. Cornelia Goesmann aus Hannover.
Die Ärztekammer Niedersachsen
bittet daher - gestützt auf einen
hier aufhalten, können erhebliche
Kosten entstehen. So mußte in
einem Berliner Krankenhaus ein
osteuropäischer Arbeiter wegen
schwerer Verbrennungen versorgt
werden. Die Behandlung verschlang 1,6 Millionen DM.
In diesem Fall übernahm das Sozialamt die Kosten. Nach Ansicht
der Ärztekammer Berlin ist dies
aber keine Dauerlösung, da es
sich hier um ein gesamtgesellschaftliches Problem handle, das
nichts mit einem bestimmten Bezirk oder Sozialamt zu tun habe.
Wegen der Nähe zur polnischen
Grenze sei das Problem in Berlin
nur ausgeprägter als anderswo.
Die Berliner Ärztekammer forderte den Senat der Hauptstadt auf,
Armenambulanzen einzurichten,
in denen Obdachlose und nicht
Versicherte medizinische Hilfe erhalten könnten. Die Trägerschaft
würde von der Ärztekammer
übernommen. Der Berliner Senat
wies das Anliegen zurück, weil es
sich hier um ein bundesweites
Problem handle. (rm)
35
RASSISMUS UND SOZIALABBAU
Hannover wehrt sich gegen die Weisung der Bezirksregierung!
Letz
te
Meld
ung
!
SPD-Fraktion im Rat der
Landeshauptstadt Hannover
BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN Fraktion
im Rat der Landeshauptstadt
Hannover
In den Verwaltungsausschuß
03.06.98
Antrag
gemäß der Geschäftsordnung des
Rates der Landeshauptstadt Hannover
Asylbewerberleistungsgesetz; Einführung des Wertgutscheinverfahrens
1. Die Landeshauptstadt Hannover
protestiert gegen die Weisung der
Bezirksregierung, die Leistungen
Für Bargeld
Fachliche Stellungnahme des Arbeitskreises
hauptamtlicher MitarbeiterInnen
der Jugendarbeit im Landkreis Nienburg
Koordinator Karl-Erich Daust
Jugendpfleger Rudi Klemm
Zum 01.05.1998 hat der Landkreis Nienburg die praktische
Umsetzung des Asylbewerberleistungsgesetzes in soweit verschärft, als daß HilfeempfängerInnen die Ihnen zustehenden
Sozialleistungen weitestgehend
nur noch in Form von Wertgutscheinen erhalten.
Die hauptamtlichen MitarbeiterInnen der Jugendarbeit halten
diese neue Praxis insbesondere
für Familien mit Kindern für un-
* vom 13.05.98; Adresse: K.-E. Daust, Kirchplatz 2, Landesbergen;
Tel/Fax: 05025-6311
36
nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ab dem 1.10.1998 in Form
von Wertgutscheinen auszuzahlen
und erklärt sich solidarisch mit
den betroffenen Flüchtlingen und
AsylbewerberInnen
2. Die Verwaltung wird beauftragt, die Möglichkeiten und Aussichten eines Klageverfahrens
noch einmal extern rechtsgutachterlich prüfen zu lassen.
3. Zudem sollen ggf. angestrengte
Einzelklagen von Betroffenen
durch Beitritt der Landeshauptstadt Hannover unterstützt werden.
Begründung:
Die Weisung der Bezirksregierung
stellt einen erheblichen Eingriff in
die Autonomie der Kommune dar
zumutbar, da die Versorgung von
Kindern und Jugendlichen häufig
mit dem Einsatz von kleineren
Barbeträgen verbunden it. Aus
pädagogischer Sicht wirkt sich
das Wertgutscheinsystem in
mehrfacher Hinsicht negativ aus:
Es setzt die Menschen, die vor
politischer Verfolgung nach
Deutschland gekommen sind, einer weiteren Diskriminierung aus.
Es bietet der rassistischen Unterstellung von Rechtsradikalen
Nahrung, daß die Gründe für eine Flucht nach Deutschland darin
liege, hier Sozialleistungen zu erhalten.
Es ist darüber hinaus zu befürchten, daß rechtsradikale Gewalttäter durch die Herabsetzungen
von staatlicher Seite ihrerseits ermutigt werden, Flüchtlinge zu
attackieren.
Durch die Wertgutscheine erhalten die betroffenen Flüchtlinge
eine negative Sonderstellung
beim Einkauf. Die komplizierte
Abwicklung oder die Unkenntnis
des Verkaufspersonals führen bisweilen zu Wartezeiten für andere
Kunden, deren Aggression sich,
dies zeigen die Erfahrungen,
dann gegen die betroffenen
Flüchtlinge richtet.
Es handelt sich bei den Wertgut-
und bürdet der Landeshautstadt
Hannover zusätzliche Verwaltungskosten in Höhe von ca. 1,5
Mio auf. Dies ist bei gegebener
Haushaltslage und den ebenfalls
von der Bezirklsregierung auferlegten Sparvorgaben nicht hinnehmbar.
Die Landeshauptstadt Hannover
lehnt es zudem ab, über die Einführung solcher Auszahlungsmodalitäten einer diskriminierenden
Politik Vorschub zu leisten.
Frank Huneke
Fraktionsvorsitzender
Lothar Schlieckau
Fraktionsvorsitzender
(Abschrift)
scheinen um eine öffentlich präsentierte Unterstellung des Sozialleistungsmißbrauchs.
Gerade Kinder reagieren auf diese alltäglichen Diskriminierungen
sensibel, sie merken schnell,
wenn das Einkaufen für die Eltern
zum „Spießrutenlaufen“ wird.
Die Folgen für die Entwicklung
dieser Kinder sind nicht abzusehen.
Daß Kinder unter diesen Bedingungen wohl kaum den Umgang
mit Geld lernen können, ist ein
weitere negativer Aspekt.
Die Fachkräfte der Jugendarbeit
appellieren deshalb an alle Verantwortlichen beim Landkreis Nienburg und dem Land Niedersachsen, zu einer menschenwürdigen Praxis beim Asylbewerberleistungsgesetz zu kommen. Als
besonders erstaunlich wird zur
Kenntnis genommen, daß in Zeiten leerer Haushaltskassen die
entstehenden Zusatzkosten stillschweigend in Kauf genommen
werden. Die durch ein Wertgutscheinsystem entstehenden Kosten sollten lieber, so Jugendpfleger Rudi Klemm, durch die Umstellung auf Bargeld eingespart
werden, um damit Arbeitsplätze
im Landkreis zu schaffen.
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
RASSISMUS UND SOZIALABBAU
Für 5 000 DM Gutscheine
getauscht
Initiative fordert Barauszahlung
von Sozialhilfe an Flüchtlinge*
Etwa 5 000 DM wechselten gestern vormittag vor dem Kreishaus den Besitzer: Das hiesige
„Bündnis gegen Rassismus“ hatte dort einen Stand aufgebaut,
an dem Flüchtlinge die an sie
ausgegebenen Sozialhilfewertgutscheine gegen Bargeld eintauschen konnten. Anschließend
gab die Gruppe die Gutscheine
im Sozialamt des Kreises ab - eine Mitarbeiterin sicherte zu, den
Betrag zu überweisen. Anfang
Februar hatte sich die Initiative
bereits schriftlich an Landrat
Christian Zühlke und seinen
Stellvertreter Kurt Herzog gewandt und sie aufgefordert, die
noch von Zühlkes Amtsvorgänger Klaus Poggendorf erlassene
Regelung außer Kraft zu setzen
und den Flüchtlingen ihre Sozialhilfe wieder bar auszahlen zu
lassen. Die Gutscheine seien
„diskriminierend und menschenunwürdig“, heißt es in dem
Schreiben, vor dem „Hintergrund zunehmender rassistischer Ausschreitungen“ in
Deutschland sei eine solche
„Brandmarkung“ besonders bedenklich. Außerdem seien praktische Probleme beim Einkauf die
Folge; das den Flüchtlingen bar
ausgezahlte Taschengeld reiche
auch nicht, um etwa Anwälte zu
bezahlen. Auch der Kreis könne
bei einer Rückkehr zur Barauszahlung sparen, argumentiert
die Initiative in dem Schreiben,
auf das sie nach ihren Angaben
bisher keine Antwort erhalten
hat. So verursachten vor allem
die Bearbeitung der Gutscheinregelung Mehrausgaben für den
Kreis. Die Stadt Hildesheim spare
durch die Abschaffung der Gutscheine etwa 100 000 DM pro
Jahr. Eine Rückkehr zur Barauszahlung liege in der Entscheidungsbefugnis des Kreises, stellt
das „Bündnis gegen Rassismus“
fest und appelliert an die Verwaltungsspitze, sich für eine niedersachsenweite Rückkehr zur Barauszahlung einzusetzen.
* Elbe-Jeetzel-Zeitung v. 1.4.1998
Pressemitteilung
Bündnis 90/Die Grünen im Landtag Niedersachsen
Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz 1, 30159 Hannover
Tel. 0511-3030-4205, Tel. 0511-3030-3305, Fax 0511-329829
Asylbewerberleistungsgesetz
Niedersachsen macht den Weg frei
Mit einer perfiden Arbeitsteilung zwischen SPD-Bundestagsfraktion und
niedersächsischer Landesregierung soll das Gesicht gewahrt und gleichzeitig der Weg freigemacht werden für die Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Nach dem Fahrplan der SPD soll die Bundestagsfraktion am Donnerstag, 18.06. in 2. und 3. Lesung das Gesetzesvorhaben im Bundestag
ablehnen und damit den Protest, der vor allem aus Wohlfahrtsverbänden und Kirchen kommt, auffangen.
Den Ausputzer spielt dann Niedersachsens Innenminister Glogowski,
der zur Zeit einen Änderungsvorschlag mit einigen wenigen kosmetischen Korrekturen in seinem Ministerium erarbeiten läßt.
Bereits einen Tag nach der Abstimmung im Bundestag, am Freitag, den
19.06. stimmen die SPD regierten Länder dem Niedersachsenentwurf
im Bundesrat zu und machen damit den Weg frei für eine Verabschiedung noch vor der Bundestagswahl.
SilKe Stokar, innenpolitische Sprecherin der bündnisgrünen Landtagsfraktion: “Nicht Politikwechsel, sondern Große Koalition zur Durchsetzung eines Gesetzes, das die Ärmsten der Armen trifft, ist das Signal,
das von Niedersachsen ausgeht.
Die FDP ist gegen diese Asylrechtsverschärfung, selbst die CDU ist gespalten - Wie beim ‘Großen Lauschangriff’ ist es erneut der niedersächsische Innenminister Glogowski, der der handlungsunfähigen Regierung
aus dar Patsche hilft.
An der Durchsetzung des ‘Aushungerns von Flüchtlingen’ scheint niemand größeres Interesse zu haben als der niedersächsische Innenminister.
Es liegt in der Hand der SPD, dieses Gesetz zum Scheitern zu bringen.
Sie darf mit ihrer geplanten Wählertäuschung nicht durchkommen.”
37
RASSISMUS UND SOZIALABBAU
Gegendarstellung von
Prof. Dr. Arno Klönne
Sehr geehrter Herr Hartwig,
Prof. Dr. Klönne arbeitet in der
Universität/Gesamthochschule Paderborn, Fachbereich 1, Kooperationsstelle Wissenschaft - Arbeit Gesellschaft.
Das nebenstehende Schreiben von
ihm geben wir wie gewünscht zur
Kenntnis.
Herrn Prof. Dr. Klönne liegt ebenfalls die Stellungnahme von PRO
ASYL vor, die im Anschluß abgedruckt ist und die aus unserer
Sicht jede weitere Kommentierung überflüssig macht. Red.
Asylcard
Stellungnahme von PRO ASYL
Bernd Mesovic
Planung für eine elektronische
Chipkarte im Asylverfahren
(Asylcard)
Der Sachstand zum Thema hat
sich seit der Veröffentlichung in
der taz vom 16. Januar 1998
(“Der volldigitalisierte Flüchtling”)
und in Die Woche vom 24. April
1998 (“Asyl à la carte”) wenig
38
in Heft 50 Ihrer Zeitschrift („AsylCard“, S. 36) lese ich (leider erst
jetzt) einige mich betreffende Bemerkungen, die m.E. den Leserinnen und Lesern ein falsches Bild
geben und möglicherweise auf
unzureichenden Informationen
beruhen.
Der Auftrag für eine Machbarkeitsstudie in Sachen Chip-Karte
im Asylverfahren ist nicht mir,
sondern der Firma ORGA Consult
in Paderborn erteilt worden; in
diese Studio sind Informationstechnologen, Juristen und Sozialwissenschaftler einbezogen worden, ich bin einer der zuletzt Genannten. Welches „bezeichnende
Licht auf die gesellschaftliche Rolle von Intellektuellen“ ergibt sich
daraus nun für Sie? Offenbar unterstellen Sie, wer als Wissenschaftler an einer Studie für eine
Behörde mitarbeite, liefere dann
in jedem Falle Ergebnisse, die
den vermuteten Vorstellungen
eben dieses Auftraggebers entsprechen. Dies halte ich für eine
in der Generalisierung unzutreffende Annahme. Was mich betrifft, so habe ich noch nie einem
Auftraggeber bei wissenschaftlicher Arbeit Gefälligkeitsresultate
geliefert. Sie können das, wenn
Sie sich mit meinen Veröffentlichungen vertraut machen, leicht
geändert. PRO ASYL wurde Ende
März von der mit dem soziologischen Teil der Machbarkeitsstudie
befaßten universitären Stelle um
eine Stellungnahme zu folgenden
Fragestellungen gebeten:
•Würden Sie in der Umstellung
vom jetzigen Datensystem auf eine Chipkarte im Asylverfahren
Möglichkeiten einer Verbesserung sehen - für die Asylbewerber? Für die Verwaltungen? Im
Hinblick auf Einstellungen in der
Öffentlichkeit?
•Könnte sich mit dieser Umstellung eine “Imageveränderung”
der Asylbewerber verbinden?
•Welche Einwände/Vorbehalte
gegenüber der Chipkarte im Asylverfahren halten Sie für wichtig
überprüfen. Allerdings bin ich
der Meinung, daß es sinnvoll ist,
die Möglichkeiten und die Probleme eines Einsatzes von ChipKarten im Bereich der öffentlichen Verwaltung und so auch
des Flüchtlingswesens zu untersuchen. Die derzeitigen Verfahrensweisen der Erfassung und
Dokumentation von Daten sind
m. E. alles andere als der Weisheit letzter Schluß. Dies heißt
wiederum nicht, daß der Einsatz
von Chip-Karten nun bereits unter allen Umständen und Bedingungen vernünftiger sei. Selbstverständlich kommen in unserer
Studie, die ja noch nicht erstellt
ist, auch die grundsätzlichen und
die konkreten Einwände und Gegenargumente zum Einsatz von
Chip-Karten zu Geltung, darunter
auch die von Herrn Dr. Weichert.
Ich finde, es wäre besser, Ihre
Einschätzung der Studie und
auch meines Parts darin dann
vorzunehmen, wenn die Ergebnisse der Studie vorliegen.
Dankbar wäre ich Ihnen, wenn
Sie meine Meinung zu den Vorbemerkungen des Artikels in
„Flüchtlingsrat 50“ Ihren Leserinnen und Lesern mitteilen würden.
Freundliche Grüße
Unterschrift
und plausibel? Lassen sich Kriterien nennen, von denen die positive/negative Einschätzung der
Chipkarte im Asylverfahren zu
machen ist?
•Wie sieht es bei solchen Beurteilungen mit dem Verhältnis von
“Basisfunktionen” und “optionalen Funktionen” aus?
•Ist die Beurteilung einer Chipkarte im Asylverfahren möglicherweise auch davon abhängig, ob
diese Datentechnik in weiteren
Bereichen der öffentlichen Verwaltungen/Leistungen Eingang
findet?
•Ist bei einer Umstellung auf die
Chipkarte im Asylverfahren die
Forderung nach einer Harmonisierung der Asyl- und Flüchtlingspolitik im Rahmen der Europäischen Union mitzubedenken?
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
RASSISMUS UND SOZIALABBAU
Durch die Novellierung des Asylbewerberleistungsgesetzes
kommt es offensichtlich zu Verzögerungen beim Abschluß der
Machbarkeitsstudie. Vor Ende Juni ist mit Neuigkeiten nicht zu
rechnen.
gez. Bernd Mesovic
6. Mai 1998
——————————————
Einsatz einer Chipkarte
im Asylverfahren
Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Herr Dr. Biermann,
wir bedanken uns für Ihr Schreiben vom 22. März 1998, mit
dem Sie das Konzept eines Einsatzes einer Chipkarte im Asylverfahren skizzieren und eine Reihe
von Fragen stellen.
PRO ASYL ist sowohl die der Studie zugrundeliegende “Leistungsbeschreibung zur Durchführung
einer Machbarkeitsstudie zum
Einsatz einer Smartcard im Asylverfahren” als auch die bereits
seit einiger Zeit angelaufene öffentliche Diskussion (siehe TAZ
vom 16. Januar 1998) bekannt.
Vor diesem Hintergrund möchten
wir vorausschicken, daß wir es
bedauern, daß der Beitrag der
Sozialwissenschaften zum Thema
sich offensichtlich auf das beschränkt, was die Leistungsbeschreibung als einen Teilbereich
der “soziosystemischen Anforderungen” aufführt, insbesondere
auf die Frage der Akzeptanz bei
den Betroffenen, sowie in der nationalen und internationalen Öffentlichkeit. Zu befürchten ist
demnach, daß sich Ihre Kooperationspartner im Rahmen der Studie mit dem Kernbereich des
Machbaren in technischer und juristischer Hinsicht auseinandersetzen und der Sozialwissenschaft
die Rolle zufällt, das so für technisch machbar Befundene daraufhin zu untersuchen, ob es für
die Politik mit akzeptablen Reibungsverlusten durchsetzbar ist.
Eine sich kritisch verstehende Sozialwissenschaft müßte aus unserer Sicht erhebliche Probleme da-
mit haben, daß die Analyse des
Ist-Zustandes arbeitsteilig von anderen geleistet wird, wobei die
Interessenlage der Fa. Orga-Consult mit der Werbung der Unternehmensgruppe identisch sein
dürfte, und die Sozialwissenschaften sich dann gleichsam
nachgehend mit soziosystemischen Anforderungen beschäftigen dürfen, als stünden diese im
luftleeren Raum und ergäben sich
nicht unter anderem aus der Interessenlage des Auftraggebers,
dem fortgeschrittenen Stand der
Entrechtung von Asylsuchenden
in diesem Lande und der Instrumentalisierung einer gesellschaftlich marginalisierten Gruppe für
eine permanente Mißbrauchsdebatte mit dem Ziel, Bezieher sozialer Leistungen unter generellen
Mißbrauchsverdacht zu stellen
und damit Akzeptanz zu schaffen
für weitere Einschnitte ins Sozialsystem. Daß der Auftraggeber
solches unter den “soziosystemischen Anforderungen” nicht formuliert, sollte kritische Sozialwissenschaftler nicht davon abhalten, sich mit der politischen Verortung der Fragestellung auseinanderzusetzen und damit der Akzeptanzfrage den Stellenwert zu
geben, den sie unseres Erachtens
hat.
Ziel der Studie ist, abweichend
von der zumindest teilweise beschönigenden Darstellung unter
Ziffer 2 der Leistungsbeschreibung der Einsatz einer multifunktionalen Chipkarte in einem bislang nicht dagewesenen und
nicht für denkbar gehaltenen
Ausmaß, perspektivisch abgelöst
von einzelnen Zweckbindungen,
im Klartext: permante Kontrolle.
Asylsuchende sind bereits jetzt eine Personengruppe, die vielfachen Kontrollen unterliegt und
von der eine Vielzahl von Daten
bei unterschiedlichen Stellen gespeichert werden. Es wäre verdienstvoll, wenn sich eine Studie
auch dem aktuellen Stand der
“Verdatung” von Asylsuchenden
widmen würde und die Vielzahl
der verstreuten gesetzlichen Ermächtigungen zur Erhebung und
Speicherung von Daten zu einem
Bild des Ist-Zustandes zusammentragen würde, bevor vor dem
Hintergrund behaupteter Defizite
der bereits weit fortgeschrittenen
“Datensammelei auf Vorrat”
durch die Einführung einer multifunktionalen Chipkarte weiter
Vorschub geleistet wird.
Trotz der Behauptung in der Leistungsbeschreibung, die Studie
sei “ergebnisoffen”, wird an den
Vorgaben deutlich, daß gar nicht
untersucht werden soll, ob die
Chipkarte auf juristische und sozialpolitische Hürden stößt, sondern wie solche Hindernisse überwunden werden können. Der
Hinweis des Auftraggebers, aufzuzeigen seien auch mögliche
verfassungsrechtliche Probleme
sowie die entsprechenden Lösungsmöglichkeiten, wird von
PRO ASYL als offensive Aufforderung verstanden, das Grundgesetz und die Rechtssprechung
des Bundesverfassungsgerichtes
zur informationellen Selbstbestimmung nicht als Tabu zu sehen. Deutlich wird dies auch an
dem Versuch, das Mitte der 70er
Jahre im Bundestag gescheiterte
Personenkennzeichen in Form eines bundesweiten behördenübergreifenden personenbezogenen
Zuordnungskriteriums über die
Zielgruppe Asylantragsteller erneut in die Debatte zu bringen,
obwohl bisher personenidentifizierende Kennzeichen verfassungskonform lediglich auf die
Nutzung durch eine Stelle oder
für einen einzigen Zweck beschränkt sind. Nach Auffassung
von PRO ASYL belegt dies, daß
sich der Auftraggeber Akzeptanz
erwartet für weitere Grundgesetzänderungen, mit denen in
den Bereich des Persönlichkeitsrechtes und der informationellen
Selbstbestimmung eingegriffen
werden könnte. Nach dem
“Großen Lauschangriff” steht die
elektronische Totalkontrolle bestimmter Personengruppen auf
der Tagesordnung.
An dieser Stelle ist daran zu erinnern, daß die gesellschaftliche
Skandalisierung der mit der Aufnahme von Asylsuchenden objektiv verbundenen Probleme bereits
dazu gedient hat, Grundrechte
über die zunächst erkennbare
Zielsetzung hinaus zu beschneiden und leerlaufen zu lassen.
39
RASSISMUS UND SOZIALABBAU
(Angesprochen sei hier die Demontage der Rechtsweggarantie
des Artikels 19 Absatz 4 GG
durch die “normative Vergewisserung”, ein Drittstaat sei sicher
und des Rechtsschutzes im Einzelfall bedürfe es dann nicht
mehr (Artikel 16 a Absatz 2 Satz
3 GG), sowie die Festschreibung
einer langjährigen Minder- und in
der Praxis Unterversorgung durch
die Novellierung des Asylbewerberleistungsgesetzes im Jahre
1997 mit der Konstruktion mehrerer Existenzminima und damit
mehrerlei Menschenwürde.) Der
Landesbeauftragte für den Datenschutz Niedersachsen hat bereits vor mehr als einem Jahr darauf hingewiesen, daß die Leistungsbeschreibung aus weiteren
Gründen nicht mit den verfassungsrechtlichen Standards in
Deutschland in Einklang gebracht
werden kann. So sei weder die
de facto vorgesehene Vorratsdatenverarbeitung noch das Erstellen von Persönlichkeitsbildern
zulässig. PRO ASYL teilt die Kritik
des Niedersächsischen Datenschutzbeauftragten auch in Bezug auf seinen Hinweis, daß der
Auftraggeber offensichtlich, anstatt sich mit rechtlichen Fragen
zu beschäftigen, nach Maßnahmen zur Imageverbesserung der
Anspruchsberechtigten und zur
Akzeptanzförderung verlange.
Die Beachtung verfassungsrechtlicher Vorgaben dürfe aber nicht
durch Public-Relations-Aktivitäten
ersetzt werden.
Obwohl wir die Fundamentalkritik des Niedersächsischen Datenschutzbeauftragten, die Erstellung der Machbarkeitsstudie sei
aus Datenschutzsicht nicht machbar, teilen, möchten wir einige
Bemerkungen zu Ihren konkreten
Fragestellungen anfügen:
•Eine konkrete Verbesserung für
die Asylbewerber versprechen wir
uns von der Einführung einer
Chipkarte im Asylverfahren nicht.
Aus der Zielsetzung der Machbarkeitsstudie ergibt sich eindeutig, daß die Verbesserung der Lebenssituation von Asylsuchenden
nicht zu den angestrebten Zielen
gehört, sondern eine weitergehende Verfügung über Asylsuchende angestrebt wird, die nach
40
Maßgabe der Verwaltungsfreundlichkeit der Abläufe geschehen soll. Einziges explizit genanntes Ziel, in dem eine Verbesserung des Ist-Zustandes zugunsten von Asylsuchenden angesprochen ist, ist die in Ziffer 2.4.
genannte Imageverbesserung der
Anspruchsberechtigten. Man
könnte nun natürlich argumentieren, eine Harmonisierung und
Rationalisierung der Arbeitsabläufe im Asylverfahren, die angestrebte schnellere Abwicklung der
Verfahren, die Identifizierung der
Karteninhabers mit der Chipkarte
und die Verhinderung von Leistungsmißbrauch kämen insgesamt den Betroffenen zugute. Es
entspricht aus unserer Sicht den
Legitimationsmustern von Bürokratien, den angeblichen Nutzen
für das gesellschaftliche Ganze,
verstanden als Effizienzsteigerung
der bürokratischen Abläufe, gegen mögliche Nachteile auf der
Seite der betroffenen Einzelnen
ins Feld zu führen, bzw. diese
auszublenden. Effizienz ist kein
Grundwert der Verfassung, obwohl die schleppende Abwicklung eines Asylverfahrens im konkreten Fall einer Rechtsverweigerung gleichkommen kann. Es
muß im übrigen bezweifelt werden, daß die Chipkarte wesentliche Beschleunigungseffekte hat.
•Eine bewußte “Imageveränderung” zugunsten von Asylsuchenden fordert bewußtes politisches
Handeln von Seiten der politisch
Verantwortlichen. Dieses müßte
aus unserer Sicht darin bestehen,
für das Asylrecht in seiner menschenrechtlichen Gebundenheit
in der Öffentlichkeit einzutreten,
den Bürgerinnen und Bürgern
Verständnis dafür zu vermitteln,
daß die mit der Aufnahme von
Asylsuchenden und anderen
Flüchtlingen verbundenen Kosten
der Realisierung eines Grundrechtes dienen, das vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte
besondere Bedeutung hat. Dazu
wäre es insbesondere notwendig,
den Lebensalltag von Asylsuchenden so “normal” wie möglich zu
gestalten und diese Personengruppe weder zum reinen Objekt
von Verwaltungshandeln zu machen noch sie öffentlich zu stigmatisieren. Leider ist seit Jahren
von Seiten der Politik der gegen-
läufige Prozeß im Gange. Flüchtlinge werden in der Regel in
Sammellagern untergebracht, unterliegen einer Residenzpflicht,
sind bei der Einreise nach dem
Stichtag 15. Mai 1997 fast ausnahmslos vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen, werden systematisch
durch nicht mehr existenzsichernde Leistungen im Rahmen des
Asylbewerberleistungsgesetzes
unterversorgt, von der “Normalität” der persönlichen Dispositionsfreiheit bei der Versorgung
durch das Sachleistungsprinzip
ausgeschlossen und sind Gegenstand permanent geführter
Mißbrauchsdebatten. Wie vor
diesem Hintergrund eine Imageveränderung zugunsten von Asylbewerbern durch die Einführung
einer Chipkarte bewirkt werden
soll, ist für uns nicht erkennbar.
•Als bloßer Identitätsnachweis
mit Ausweisfunktion hätte die
Chipkarte der jetzigen Aufenthaltsgestattung nichts voraus.
Aus der Funktionsbeschreibung
der Smartcard geht jedoch bereits hervor, daß diese ursprüngliche Basisfunktion, Identitätsnachweis und Sicherung der Eindeutigkeit der Grunddaten, bereits
im Rahmen der unter Ziffer 5.1.
genannten Pflichtfunktionen nur
eine unter einer Vielzahl von
Funktionen ist.
Die Beschreibung der Funktionen
ist in Verbindung mit den offensichtlich zur Speicherung vorgesehenen maschinenlesbaren Daten ein Horrorkatalog der Datensammelwut. Von Datenschutzexpertinnen und -experten ist bereits darauf hingewiesen worden,
daß die Erforderlichkeit von über
die bloße Ausweisfunktion hinausgehenden Funktionen und
entsprechenden Speicherungen
nicht nachgewiesen ist. Daß unter den genannten Pflichtfunktionen mit dem “Anwesenheitsnachweis” sich bereits ein durch das
aktuelle Ausländerrecht nicht gedeckter Zweck findet und auf der
Chipkarte im Rahmen des Abrechnungsverfahrens für Leistungen Dritter auch Daten gespeichert werden sollen, die nicht nur
das Verhältnis zwischen dem Karteninhaber und den jeweils zuständigen Behörden, sondern
auch Dritte betreffen, läßt erken-
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
RASSISMUS UND SOZIALABBAU
nen, daß die Chipkarte diesbezüglich Pilotfunktion für weitere
Bereiche der öffentlichen Verwaltung haben soll. Auch diese Tendenz ist natürlich vor dem Hintergrund zu betrachten, daß eine
potentiell schrankenlose multifunktionale Datenverarbeitung
und die Vorratsdatenverarbeitung
das informationelle Selbstbestimmungsrecht unterläuft. Dies gilt
aus unserer Sicht bereits für die
beabsichtigten Pflichtfunktionen,
da z.B. nicht zu akzeptieren ist,
daß Daten zur Leistungsberechtigung zwingend mit Daten zum
Abrechnungsverfahren für Leistungen Dritter oder zur Feststellung der Identität auf einer Chipkarte zusammengeführt werden.
Es ist darauf hinzuweisen, daß
sich die Daten, die zum Nachweis
der Berechtigung für den Empfang von Leistungen gespeichert
werden sollen, auch wohl kaum
in der Form von Ja-Nein-Alternativen darstellen lassen.
•PRO ASYL hat keine besonderen
Kenntnisse im europäischen Datenschutzrecht. Wir nehmen an,
daß die Datenschutzbeauftragten
des Bundes und der Länder sich
zu diesem Themenbereich äußern
werden. Da aber viele der in der
Funktionsbeschreibung der Chipkarte genannten Funktionen
durch die völlig unterschiedliche
Gestaltung der Asylverfahrensabläufe und der Gewährung sozialer Leistungen in den einzelnen
Staaten zwischen den europäischen Staaten kaum vergleichbar
sind, ergibt sich kein besonderer
Sachzwang aus der Perspektive
einer künftigen europäischen Zusammenarbeit. Eine sehr weitgehende und - aus unserer Sicht
problematische - Datenspeicherung für ausländer- und asylrechtliche Zwecke erfolgt zum
Beispiel über das Schengen-Informationssystem (SIS). Wenn sich
die europäische Harmonisierung
im Bereich des Asyls bislang vorrangig auf Zuständigkeitsregelungen für die Durchführung des
Asylverfahrens konzentriert,
während Flüchtlingsbegriff und
Verfahrensgestaltung in den verschiedenen europäischen Staaten
höchst unterschiedlich sind, ist
nicht erkennbar, welchen Nutzen
eine potentielle “Europäisierung”
des für die Chipkarte beabsichtig-
ten Datenbestandes haben soll,
wenn man nicht an die Orwellsche Perspektive einer europaweiten Totalkontrolle von Flüchtlingen mit einer permanenten Meldepflicht und Leistungszuteilung
nach elektronisch-biometrischer
Identifizierung denken will.
Auch aus den Regelungen des
Vertrages von Amsterdam, die
sich auf das Asylrecht beziehen,
läßt sich kein Sachzwang in Richtung auf eine europaweite multifunktionale Chipkarte ersehen.
Mit dem Vertrag von Amsterdam
werden der EU eine Reihe von
asylrelevanten Aufgaben zugewiesen, die in den Vertrag zur
Gründung der Europäischen Gemeinschaft unter Titel IV, Artikel
61 - 69 aufgenommen werden.
Sowohl der für die meisten Neuregelungen ins Auge gefaßte
Zeitrahmen (in der Regel 5 Jahre
nach Inkrafttreten des Vertrages)
als auch der Katalog der zu erledigenden Aufgaben legen es
nicht nahe, daß beim Thema der
Einführung einer Chipkarte die
Harmonisierung in der Asyl- und
Flüchtlingspolitik im Rahmen der
Europäischen Union als wesentlicher Faktor mitzubedenken wäre.
der multifunktionellen Chipkarte
zwingen nun zu einer Neubewertung, was der Auftraggeber der
Studie offensichtlich auch sieht,
wenn er auf “verfassungsrechtliche Probleme und Lösungsmöglichkeiten” unter Ziffer 8.1. hinweist. Daß jedoch an anderer
Stelle der Leistungsbeschreibung
technikpositivistisch davon die
Rede ist, den Planungen sei “der
Zwang zur Weiterentwicklung systemimmanent”, läßt befürchten,
daß hier die Erwartung zum Ausdruck kommt, Verfassungsrecht
habe sich dem technischen Sachzwang anzupassen.
PRO ASYL steht der weiteren Planung zur Einführung einer multifunktionalen Chipkarte für Asylantragsteller aus den genannten
Gründen ablehnend gegenüber.
Sie können unsere Äußerungen
gerne zitieren.
Mit freundlichen Grüßen
Bernd Mesovic
Referent
Hinsichtlich der Bewertung des in
den Niederlanden praktizierten
Modells des Chipkarteneinsatzes
schließen wir uns den kritischen
Bemerkungen des Niedersächsischen Datenschutzbeauftragten
in seiner Stellungnahme vom 7.
März 1997 an. Wir halten das
über die Chipkarte ermöglichte
informationelle Zusammenwirken
von Datenspeicherungen, Meldepflichten, Leistungsgewährung
und Asylverfahren für mit dem
Menschenbild des Grundgesetzes
unvereinbar. Darüber hinaus weisen wir darauf hin, daß dieses
Menschenbild historisch geprägt
war von der Überzeugung, niemals wieder dürften Menschen in
Deutschland unter Mißachtung
ihrer personalen Würde zu
bloßen Objekten staatlichen Handelns werden. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Vorstellung in seiner Rechtssprechung
konkretisiert, die Gefahren für
das Persönlichkeitsrecht jedoch
nach dem Stand der Technik von
Beginn der 80er Jahre vor allem
bei zentralen staatlichen Speicherungen gesehen. Die Potentiale
41
RASSISMUS
Bekämpfung von
“Scheinehen”
Bettina Stang
Bisher weitgehend unbeachtet
von der Öffentlichkeit soll ab Juli
mit einem neuen Bundesgesetz
die Heirat mit Nicht-EU-Ausländern erschwert werden. Es erweitert die Kompetenzen der Standesbeamten und beinhaltet die
Möglichkeit, daß Behörden auch
im nachhinein die Auflösung von
Ehen vor Gericht beantragen
können.
Grundlage für das neue Gesetz
ist die am 4.12.1997 vom Rat
der EU verabschiedete “Entschließung über Maßnahmen zur
Bekämpfung von Schein-Ehen”.
Als eine Scheinehe wird definiert
“die Ehe eines Staatsangehörigen
eines Mitgliedstaats oder eines
sich in einem Mitgliedstaat legal
aufhaltenden Angehörigen eines
Drittstaats mit einem Angehörigen eines Drittstaats, mit der allein der Zweck verfolgt wird, die
Rechtsvorschriften über die Einreise und den Aufenthalt von Angehörigen dritter Staaten zu umgehen und dem Drittstaatsangehörigen eine Aufenthaltsgenehmigung oder -erlaubnis zu
verschaffen”. Die nationalen Regierungen werden dazu angehalten, bis zum Jahr 1999 ihre
Rechtsvorschriften der Entschließung angeglichen zu haben.
Die Entschließung sieht vor, daß
eine Aufenthaltserlaubnis erst
ausgestellt wird, wenn kein Verdacht auf eine Scheinehe besteht. Besteht ein Verdacht, sind
die Behörden dazu aufgerufen,
Prüfungen durchzuführen. “Diese
Überprüfung”, heißt es unter
dem dritten Punkt der Entschließung, “kann ein getrenntes
Gespräch mit jedem der beiden
Ehegatten umfassen.” Verdachtsmomente sind laut Punkt 1 beispielsweise “die fehlende Aufrechterhaltung der Lebensgemeinschaft”, “das Fehlen eines
angemessenen Beitrags zu den
Verpflichtungen aus der Ehe”,
oder wenn die Ehegatten “nicht
42
eine für beide verständliche Sprache” sprechen. Entsprechende Informationen können durch “Erklärungen Dritter”, “aus Schriftstücken”, aus Ermittlungserkenntnissen oder aus den Aussagen
der Betroffenen gewonnen werden. Kommen “die zuständigen
Behörden” daraufhin zu dem
Schluß, daß es sich um eine
“Scheinehe” handelt, wird die
zum Zwecke der Eheschließung
ausgestellte Aufenthaltsgenehmigung oder -erlaubnis des Drittstaatenangehörigen grundsätzlich entzogen, widerrufen oder
nicht verlängert”.
Mit dem am 4. Mai diesen Jahres
verabschiedeten “Gesetz zur
Neuordnung des Eheschließungsrechts” ist die Bundesregierung
ihrer Pflicht frühzeitig gefolgt.
Am1.Juli tritt das Gesetz in Kraft.
Es erleichtert in einigen Punkten
die Eheschließung zwischen
Staatsbürgern der EU, erschwert
aber die Eheschließung eines EUBürgers mit einem sogenannten
Drittstaatenangehörigen. Vor allem verpflichtet es den Standesbeamten, seine Mitwirkung zu
verweigern, “wenn offenkundig
ist, daß die Ehe nach § 1314
Abs.2 aufhebbar wäre” (§1310
Abs.1 BGB). Aufhebbar wird eine
Ehe ab dem 1. Juli auch dann,
wenn “beide Ehegatten sich bei
der Eheschließung darüber einig
waren, daß sie keine Verpflichtung gemäß § 1353 Abs. 1 begründen wollen”. In diesem §
1353 heißt es nun: “Die Ehegatten sind einander zur ehelichen
Lebensgemeinschaft verpflichtet;
sie tragen füreinander Verantwortung”. Eine beabsichtigte Ehe
kann also solange vom Standesbeamten nicht vollzogen werden,
bis dieser sich überzeugt hat, daß
beide Partner tatsächlich eine
“Lebensgemeinschaft” eingehen
wollen.
Cornelia Spohn von der Initiative
binationaler Familien und Partnerschaften iaf in Frankfurt nennt
das die “Einforderung eines Liebesbeweises durch die Standesbeamten”.
Darüber hinaus ermächtigt das
neue Gesetz in §1316 nicht nur
jeden Ehegatten sondern auch
“die zuständige Verwaltungsbehörde” einen Antrag auf Aufhebung der Ehe zu stellen - auch
dann, wenn sie schon geschlossen ist, und auch dann, wenn sie
schon über ein Jahr lang besteht
und der Antrag auf der Übereinkunft beruht, keine eheliche Lebensgemeinschaft zu begründen
(§1317). Die Aufhebung muß ein
Gericht aussprechen (§1313). Eine Ehe kann nicht aufgehoben
werden, wenn nach der Eheschließung tatsächlich eine Lebensgemeinschaft besteht oder
bestanden hat (§ 1315). Nach §
1316 soll die Verwaltung im Falle
der fehlenden Übereinkunft sogar
einen entsprechenden Antrag
stellen - hier ist allerdings die
“großzügige” Härteklausel eingefügt, daß sie im Falle der Unzumutbarkeit “für einen Ehepartner
oder die aus der Ehe hervorgegangenen Kinder” von einem solchen Antrag Abstand nehmen
kann.
Die neuen Pflichten des Standesbeamten erläutern einige neu gefaßte Paragraphen des Personenstandsgesetzes: Er hat nun ausdrücklich “zu prüfen, ob der Eheschließung ein Ehehindernis entgegensteht” (§5 Abs.2 PstG).
Meint er “konkrete Anhaltspunkte” für das Vorliegen einer
Scheinehe ausmachen zu können, kann er “die Verlobten in
dem hierzu erforderlichen Umfang einzeln oder gemeinsam befragen und ihnen die Beibringung geeigneter Nachweise aufgeben”. Welcher Art diese Nachweise sein könnten, mag der geneigte Leser sich in seinen Phantasien ausmalen, hier soll es
genügen, die Stellungnahme der
Initiative binationaler Familien
und Partnerschaften zu zitieren:”Die Unerwünschtheit binationaler Ehen wird ins Vorfeld
verlagert - da es, bei allen Kontrollen und Sanktionen, schwierig
bleibt, dem ausländischen Ehepartner den Aufenthalt auf Dauer
zu verweigern, soll es gar nicht
erst zu einer Eheschließung kommen.” Die iaf verweist im weiteren auf die Beschlußempfehlung
des Rechtsausschusses: “Den
Standesbeamten soll die Möglichkeit eröffnet werden, ‘gerichtlich verwertbares Material für eine Mitwirkungsverweigerung zu
erlangen’. Dazu können sie von
öffentlichen Stellen Auskünfte
einholen oder Akten einfordern”.
Zur neuen Möglichkeit der Aufhebung von Ehen, schreibt die
iaf: “Es gibt wohl kaum objektive
Kriterien um festzustellen, inwie-
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
RASSISMUS
weit die Verlobten vor der Eheschließung darin übereinstimmen,
keine eheliche Lebensgemeinschaft begründen zu wollen. Ein
solcher ‘Verdacht’ begründet sich
in kulturell determinierten Haltungen, Vorurteilen, sexistischen wie
rassistischen Stereotypen (Frau älter als der Mann, abgelehnte AsylbewerberIn, keine gemeinsame
Sprache, kurze Kennenlernzeit, finanziell schwache Verhältnisse
etc.).” Und auch auf einen weiteren Punkt macht die iaf aufmerksam: “Daß der Ehepartner/die
Ehepartnerin eine Aufhebung beantragen kann, zementiert die
Machtverhältnisse in der Ehe und
kann als Druckmittel benutzt
werden.”
Fragenkatalog für Standesbeamte
Es ist kaum zu glauben: es gibt bereits Kommunen wie z.B. den Landkreis Lüchow-Danneberg, die einen Fragenkatalog wie den folgenden benutzen. Diese Verwaltungen lassen ihre MitarbeiterInnen auf speziellen Seminaren in Berlin besonders für diese Schnüffeltätigkeit schulen. (Kommunales Bildungswerk e.V., Direktor
Prof.Dr.Gurtz, Eitelstr. 86, 10317 Berlin)
Eine Veranlassung des Innenministeriums gibt es dazu (noch?) nicht, eine Grenze der Scham in diesen besonders eifrigen Verwaltungen offensichtlich auch nicht. Ob diesen Beamten wohl bewußt ist, daß ihre Vorgänger
einmal einen Arier-Paragrafen anzuwenden hatten? Red.
Wann haben Sie sich entschlossen, zu heiraten?
Wer kam zuerst auf die Idee?
Wo wohnt Ihr/e zukünftige/r EhepartnerIn?
Nennen sie die genaue Anschrift und falls
vorhanden die Telefonnummer!
Trinken Sie bzw. lhr/e Partnerin Kaffee oder
Tee und wenn ja wie?
Schwarz,mit Milch und Zucker?
Wo und wann hat Ihre Verlobung stattgefunden?
Wo,wann und wie haben Sie sich kennengelernt?
Wie häufig sehen Sie sich?
In welchem Rahmen fand Ihre Verlobung
statt ? Gab es eine Feier?
Welchen Familiennamen wollen Sie und
Ihr/e Partnerin nach der Vermählung annehmen ?
Welche Hobbies hat lhr/e Partnerin?
Beschreiben Sie das Aussehen Ihres/r Partners/in!
Haben Sie bereits Pläne über die Gestaltung
Ihrer Hochzeit bzw. Hochzeitsfeier?
Wo wird diese stattfinden?
Was ist das Lieblingsessen Ihres/r
Partners/in?
Wo wird Ihre Hochzeitsreise hingehen?
Nennen Sie die Namen und das Alter Ihrer
zukünftigen Schwiegereltern!
Welche Augenfarbe hat Ihr/e Partnerln?
Wie sehen Ihre gemeinsamen Zukunftspläne
aus?
Wo wollen Sie wohnen und wie werden Sie
sich finanzieren?
Nennen Sie den Wohnort ihrer zukünftigen
Schwiegereltern!
Wie oft hatten sie bisher Kontakt mit der Familie lhres/r Partners/in!
Welchen Beruf führt Ihr/e PartnerIn aus und
welchen Schulabschluß besitzt er/sie?
Leben Sie in einer gemeinsamen Wohnung
oder haben Sie schon zusammen gewohnt?
War Ihr/e EhepartnerIn schon einmal verheiratet?
Warum wollen Sie jetzt heiraten?
Gibt es gemeinsame Aktivitäten, denen Sie
beide nachgehen?
Nennen Sie den vollständigen Namen und
das Geburtsdatum Ihres/r Partners/in!
Wo und wie haben Sie lhre/n PartnerIn kennengelernt?
Welche Augenfarbe hat lhr/e Partnerin?
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FRAUEN
Rassismus und Sexismus
80 Plätze hat der einzige Abschiebeknast
der Bundesrepublik, der allein für
Frauen bestimmt ist
Bettina Stang
80 Plätze hat der einzige Abschiebeknast der Bundesrepublik,
der allein für Frauen bestimmt ist.
1993 wurde er von der (rot-grünen) Regierung Nord-Rhein-Westfalens aus einem gewöhnlichen
Gefängnisbau in der Innenstadt
von Neuss umfunktioniert. Die
Bielefelder Initiative gegen Ausgrenzung und eine Bochumer
Roma-Unterstützerinnengruppe /
mehrere migrationspolitische und
antirassistische Gruppen rufen für
den Herbst zur Demonstration
vor dem Frauenabschiebeknast
auf. Sie soll dieses Jahr anstelle
der Demonstration vor dem Bürener Abschiebegefängnis stattfinden.
Die Verlegung der Demonstration
nach Neuss haben die beiden
Gruppen Initiative gegen Ausgrenzung IGA aus Bielefeld und
die RomaunterstützerInnengruppe aus Bochum angeregt. Sie
wollen damit auf die besondere
Situation von Migrantinnen aufmerksam machen und die eigene
“Szene” für sexistische und rassistische Vorstellungen sensibler
machen. Wie sie in ihrem Reader
um Thema Frauenabschiebeknast* erklären, haben die “gemischten antirassistischen Gruppen (...) die spezifische Situation
von Flüchtlingsfrauen und Migrantinnen bisher kaum beachtet”.
Man(n) beschäftige sich vornehmlich mit dem staatlichen
Rassismus und blende die eigenen Vorurteile aus, darüber hinaus habe “eine Auseinandersetzung mit Sexismus in seiner Verknüpfung mit Rassismus kaum
stattgefunden”.
44
In den eigenen linken Reihen habe mensch sich daran gewöhnt,
von der zuverlässigen polnischen
Putzfrau zu sprechen und in “alternativen” Betrieben Ausländer
als billige Arbeitskräfte einzustellen.
Die beiden Gruppen suchen daher noch nach weiteren Initiativen, die die Demo, die ausdrücklich auch den Zusammenhang
von Rassismus und Sexismus thematisieren soll, mit vorbereiten
wollen.
Frauen, die in der Bundesrepublik
in Abschiebehaft kommen, haben meist ganz andere Schicksale
hinter sich, als die Männer (und
ihre Familien), für die sich Flüchtlingsinitiativen gewöhnlich einsetzen. Denn noch viel weniger als
Männer schaffen es Frauen, sich
Elend und Verfolgung durch die
Flucht nach Europa zu entziehen.
Sie verfügen nicht über die entsprechenden Finanzquellen und
sind auch wegen der Kinder ihrer
Familie weniger mobil. Die meisten Flüchtlingsfrauen bleiben
Binnenflüchtlinge oder schaffen
es vielleicht gerademal ins Nachbarland. Frauen, die es bis Westeuropa schaffen, haben noch weniger Chancen als Männer, ein
Asylverfahren positiv zu beenden.
Der Kampf darum, daß frauenspezifische Fluchtgründe in
den Verfahren ebenfalls ein Gewicht bekommen, beginnt gerade erst. In die Illegalität getrieben, landen Frauen meist als billige Putzkräfte in den Haushalten
oder im Rotlichtmilieu. Die in
Neuss einsitzenden Frauen kommen in ihrer großen Mehrzahl
aus Osteuropa. Viele sind als
Zwangsprostituierte nach
Deutschland gekommen, und
wurden als Illegale entdeckt oder
von ihren Zuhältern verraten. Andere wurden von ihren deutschen
Ehemännern “aufgegeben”. SozialarbeiterInnen und Pfarrer
gehören zum Personal des Frauenabschiebeknastes, ein Solidaritätskreis hilft den Frauen, um
Rechtsberatung anzunehmen,
deren Pässe wiederzubesorgen,
vermitteln weitere Beratung und
Hilfsfonds und versuchen, gemeinsam mit den Frauen deren
Rückkehr in ihr Herkunftsland
vorzubereiten.
Aus dem vorläufigen
Demo-Aufruf:
Die wenigsten der weltweit fliehenden Frauen schaffen es, in die
Festung Europa und in die BRD
zu gelangen. Da ihre Fluchtgründe ignoriert und entpolitisiert
werden, werden sie in der Regel
nicht als Asylberechtigte anerkannt. Somit haben sie kaum
Chancen auf ein eigenständiges
Aufenthaltsrecht. Entscheiden
sich Frauen, durch Eheschließungen einen legalen Status zu erlangen, werden sie - vor allem
durch § 19 Ausländergesetz - in
die Abhängigkeit vom Ehemann
gedrängt: Trennung oder Scheidung, z.B. von gewalttätigen
Ehemännern, bedeutet Abschiebung. Gleiches droht, wenn ihr
Ehepartner seinen Aufenthaltstitel verliert. Die Abschiebung
heißt für die meisten Frauen
Rückkehr in Armut und/oder Verfolgung, oft aber noch zusätzlich
gesellschaftliche Ächtung in den
Herkunftsländern, weil sie pauschal verdächtigt werden, gegen
geltende Werte und Normen verstoßen zu haben.
Deshalb fordern wir:
- Eigenständiges Aufenthaltsrecht
für Flüchtlingsfrauen und MigrantInnen
- Anerkennung sexistischer Verfolgung und sexualisierter Gewalt
als Asylgrund!
Kontakt:
IGA c/o IBZ, Teutoburger Str.106,
33607 Bielefeld
Quellen/Literaturhinweise:
Reader “no borders” zum Abschiebeknast Neuss, Situation von
Migrantinnen und zur Debatte
Sexismus-Rassismusfür 5 Mark
plus 1,50 DM Porto zu bestellen
bei Infoladen Anschlag, Heeperstraße 132, 33607 Bielefeld
Artikel “Die Abschiebhaft muß
weg!” von Anita Rüffer in “Social
Courage” vom Januar 1998
DIE EUROPÄISCHE BEOBACHTUNGSSTELLE FÜR RASSISMUS
UND AUSLÄNDERFEINDLICHKEIT
sammelt Eure Informationen und
Berichte. Das Zentrum wurde im
Juni 1997 auf Grundlage einer
entsprechenden Ratsverordnung
der EU geschaffen. Sie hat noch
keinen Amtssitz aber einen Verwaltungsrat, dessen Mitglieder
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
FRAUEN
offenbar vom Rat bestimmt wurden und der bisher einmal zusammengetreten ist. Aufgabe der
Beobachtungsstelle ist die Informationssammlung und -verarbeitung zu “ausländerfeindlichen,
rassistischen und anti-semitischen
Phänomenen” in den Mitgliedsstaaten der EU. Der entstehende
Dokumentationspool soll öffentlich zugänglich sein. Das Zentrum
soll selbst aktiv werden, um wissenschaftliche Forschung auf seinem Gebiet zu betreiben und
jährliche Berichte auszuarbeiten.
Außerdem soll ein Datennetz
(“Raxen - European Racism and
Xenophobia Network) zwischen
den Daten”zulieferern” und dem
Zentrum aufgebaut und Kongresse und Seminare organisiert werden.
Kontakt:
Luca Pirozzi, Rue de la Loi 200,
1049 Brüssel, BelgienTelefon:
0032-2-2951703; Fax: 0032-22951899.
I
m Frühsommer letzten Jahres
wurde in der Türkei ein Projekt
zur Unterstützung von Frauen,
die von staatlichen Sicherheitskräften vergewaltigt oder auf andere Weise sexuell mißhandelt
wurden,gegründet (siehe ak 404
- Juli 1997). Den Betroffenen
wird unentgeltliche rechtliche Hilfe gewährt, unter Ausschöpfung
aller innerstaatlichen sowie innereuropäischen Rechtsmittel.
Außerdem arbeitet das Projekt
mit medizinisch-psychologischen
Einrichtungen zusammen. Inzwischen liegt ein erster Bericht über
Erfahrungen, aufgetretene
Schwierigkeiten und Lösungsstrategien vor.
In der Presse, bis hin zu islamischen Kreisen, fand das Projekt
großen Anklang. Immer wieder
wird das Tabuthema sexuelle Folter seitdem auch in der Öffentlichkeit thematisiert.
Das Projekt vertritt 48 Frauen, hat
jedoch Kenntnis von weitaus
mehr Fällen. Dort, wo die Betroffene der Anzeigeerhebung zugestimmt hat, erstatten die Anwältinnen diese sowohl aufgrund
des im türkischen Strafgesetzbuch verankerten Tatbestands der
Folter, als auch in Anlehnung an
das Sexualstrafrecht. Hier besteht
allerdings das Problem, daß Vergewaltigung vom Gesetz als “Eindringen des Penis in die Scheide”
definiert wird und somit Fälle der
Vergewaltigung mit Gegenständen und anale Vergewaltigung
nicht erfaßt werden. Diese fallen
unter den Artikel “Belästigung”
und stehen so auf einer Stufe mit
“verbaler Belästigung”. Außerdem ist die Verfolgung dieser Tat
an eine sechsmonatige Strafantragspflicht gebunden, die in der
Realität selten eingehalten werden kann. Deswegen stellte das
Projekt Forderungen zur entsprechenden Änderung der Gesetzestexte auf, die bei der geplanten
Reform des Strafgesetzbuches
berücksichtigt werden sollten.
Diese Forderungen wurden dem
Justizministerium und der Presse
vorgelegt.
Vergewaltigung in
Polizeihaft
Hilfsprojekt in der Türkei legt Zwischenbericht vor
M.Merlin*
Psychische Folgen sexueller Folter
Weg zu einer Beweisführung ist.
Für Frauen, die nicht in Haft sind,
ist es möglich, Atteste über ihren
Zustand - z.B. durch das FolterRehabilitationszentrum - zu erhalten und sie der Anzeige beizufügen. Die Gerichte erkennen
zwar nur gerichtsmedizinische
Gutachten als Beweismittel an,
haben aber schon in drei Fällen
aufgrund solcher Atteste eine
neue gerichtsmedizinische Untersuchung beschlossen. Für Frauen
in den Gefängnissen gibt es diese
Möglichkeit nicht. Bis jetzt ist in
keinem Antrag auf Behandlung
und Erstellung eines Attestes für
diese Frauen stattgegeben worden. Das Projekt hat sich sich vorgenommen, jede Verweigerung
einer Behandlung zu einem gesonderten Verfahrensgegenstand
zu machen, da dies einen Verstoß gegen die Europäische Konvention der Menschenrechte darstellt. Da die Behandlung und
psychische Begutachtung von sexuell Gefolterten nicht als eigenständiges Arbeitsgebiet entwickelt ist, sind Spezialistinnen
der Medizin und Psychologie auf
diesem Gebiet selten. Für diesen
Monat ist daher ein länder- und
disziplinübergreifendes Seminar
mit Rechtsanwältinnen und Spezialistinnen der Medizin auf diesem Gebiet geplant. Ziel ist es,
das Interesse für diesen Bereich
anzuspornen, wissenschaftliche
Methoden auf diesem Gebiet zu
entwickeln, einen Austausch von
Erfahrungen zu ermöglichen und
die gegenseitige Unterstützung
zu fördern. Das Projekt zur Un-
In Anzeigen wird immer auch ein
Antrag auf die Untersuchung der
psychischen Folgen der Tat durch
spezialisierte Medizinerinnen gestellt, da dies meist der einzige
* [email protected]
Aus: ak 414, 7.5.98, S.19
45
FRAUEN
terstützung der sexuell mißhandelten Frauen arbeitet insbesondere mitFolter-Rehabilitationszentren, dem Sozialpsychologischen
Traumazentrumder medizinischen
Fakultät Capa und den Ärztekammern in Istanbul und Diyarbakir
zusammen. Gespräche mit Gerichtsmedizinern erwiesen sich als
fruchtlos. Die Ergebnisse des Seminars sollen auf einer gemeinsamen Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt werden.
Unterstützung kurdischer Frauen
Das Projekt hat mit mehreren Anwältinnen in der Türkei Kontakt
aufgenommen, um das Vorgehen
in Verfahren um sexuelle Folter
zu vereinheitlichen und um Informationen auszutauschen. In den
kurdischen Gebieten sind die dort
tätigen Rechtsanwältinnen einer
besonderen Repression ausgesetzt, so daß sie es zum Großteil
vorziehen, bekanntgewordene
Vorfälle an das Projekt weiterzuleiten. Eine Anwältin des Projekts
hat die Verfahren in mehren Fällen übernommen, wo kurdische
Frauen durch vom Staat bewaffnete und bezahlte Dorfschützer
und Gendarmeriekräfte vergewaltigt worden sind. In einem Fall
wurde das Opfer nach der Vergewaltigung ermordet. In verschiedenen Gerichtsverfahren konnten
durchaus Teilerfolge erzielt werden. So ist ein Verfahren vor dem
Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte mit einer Verurteilung der Türkei beendet worden, was zu einer Verfahrensaufnahme in der Türkei gegen den
Hauptmann der Gendarmerie
führte. Das bedeutendste Ergebnis des Projekts liegt jedoch in
der Enttabuisierung des Themas.
Vergewaltigungen durch Sicherheitskräfte und sexuelle Folter
werden vermehrt sowohl in der
Presse und der Öffentlichkeit, als
auch insbesondere unter den Betroffenen, z.B. in den Gefängnissen und den kurdischen Gebieten, thematisiert und diskutiert.
Aus den Folgeproblemen ist jedoch ersichtlich, daß insbesondere auf folgenden Gebieten dringend Solidaritätsarbeit erforderlich ist:
Unterstützung jeglicher Art für
die kurdischen Frauen in den
Kriegsgebieten, die sich entschließen zu reden; das kann u.U.
46
auch heißen, Zuflucht im Westen
zu gewähren, auch wenn das nur
der letzte Ausweg sein kann.
Bewußtseinsarbeit in den Familien; Thematisierung der sexuellen
Angriffe und deren Ziele als Methode staatlicher Repression; Thematisierung der Notwendigkeit
von Unterstützung durch männliche Familienmitglieder, damit die
betroffenen Frauen den Mut finden zureden und ihre Scham und
Schuldgefühle überwinden können.
Jegliche Art von Zufluchtsarbeit
(Unterbringung, Schutz, Arbeit
etc.).
Spendenkonto:
Berliner Sparkasse
Kto. 1040 149 452
BLZ 100 500 00 Verwendungszweck: Projekt gegen Folter Kontoinhaberin: Jutta Sons
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
FRAUEN
Tagung zu Diskriminierung, Kriminalisierung, Illegalisierung
8./9.11. 97
Titel:
Wie man Menschen von Menschen
unterscheidet.
Praktiken der Diskrimination,
Kriminalisierung, Illegalisierung
Der Transformationsprozeß in
den mittel- und osteuropäischen
Ländern hat bekanntlich zur Verschärfung ökonomischer und gesellschaftlicher Ungleichheit geführt, was für viele Menschen
und insbesondere für Frauen mit
niedrigen Löhnen, Arbeitslosigkeit, Abbau sozialer Sicherheit
und der Absenkung des bisherigen Lebensstandards verbunden
ist. Die Folge ist eine neue Migrationbewegung, mit einem hohen
Anteil an Frauen, die in der Hoffnung auf bessere Verdienstmöglichkeiten für sich und oft für ihre
Kinder den Weg nach Westeuropa riskieren. Die Abschottungspolitik und restriktive Gesetzgebung lassen jedoch kaum längere
Aufenthalte auf legalem Wege
zu.
Vorherrschendes Muster dieser
neuen Migrationsform ist die
Pendelmigration, d.h. ein zeitlich
befristeter Aufenthalt mit der Perspektive einer kurzfristigen Erwerbstätigkeit. PendelmigrantInnen beabsichtigen i.d.R. keinen
Daueraufenthalt in Berlin oder
Brandenburg oder können ihn
auch nicht begründen. Diese
Gruppe von MigrantInnen ist
äußerst heterogen, das Spektrum
der individuellen Problematiken
breit gefächert. Eine Gemeinsamkeit besteht aber darin, daß die
sozialen Dienste weder sprachlich
noch thematisch auf ihre Bedürfnisse eingestellt sind. Aus diesem
Grund wurde vom Polnischen Sozialrat das Projekt :ZAPO:(Zentrale Anlaufstelle für Pendler und
Pendlerinnen aus Osteuropa) eingerichtet, um Hilfestellung und
Beratung in Notlagen zu bieten.
Darüberhinaus sollen die Öffentlichkeit und die MitarbeiterInnen
sozialer Dienste in Berlin/Brandenburg sowie in den Herkunftsländern für die Probleme dieser
Personengruppen sensibilisiert
werden. Das Projekt ist gedacht
als eine Art “Scharnier” bei der
Zusammenarbeit der entspre-
chenden Dienste hier und in den
Herkunftsländern und bei der Suche nach geeigneten Lösungsansätzen.
Das “Projekt ZAPO” existiert seit
Juni 1997 auf ABM-Basis und ist
aus der überwiegend ehrenamtlichen Arbeit des Polnischen Sozialrats entstanden. Der Polnische
Sozialrat ist ein Selbsthilfeverein
und wurde vor 15 Jahren von Polen und Polinnen gegründet, die
zu Solidarnosc-Zeiten vor dem
Kriegsrecht in Polen nach Berlin
flüchteten. In den 80er Jahren
mußten die polnischen Flüchtlinge als erste Gruppe erfahren, was
es bedeutet, mit dem Status einer Duldung in der BRD zu leben,
finanzielle Unterstützung verweigert zu bekommen und dadurch
möglicherweise in die Illegalisierung abgedrängt werden. Neben
den kulturellen Aktivitäten gehört
seitdem die Unterstützung in sozialen Fragen, die Weitergabe
von arbeits- und aufenthaltsrechtlichen Informationen zum
Tätigkeitsbereich des Polnischen
Sozialrats. Heute ist der Sozialrat
zu einer wichtigen Anlaufstelle
für alle möglichen Fragen geworden, die in irgendeiner Weise mit
Polen zusammenhängen.
Nach offiziellen Angaben leben
in Berlin 30.000 polnische Staatsangehörige, es kann aber davon
ausgegangen werden, daß es in
Wirklichkeit mindestens doppelt
so viele sind. In den 70er und
80er Jahren sind ca. 1 Mio. Aussiedler polnischer Herkunft in die
BRD übergesiedelt. Da Reisende
aus Polen kein Visum benötigen,
somit eine legale Einreise und ein
dreimonatiger Touristenaufenthalt möglich ist, ist es überaus
schwierig Schätzungen zu der
Anzahl von PendelmigrantInnen
zu geben.1
Die Arbeit von ZAPO ist nach 3
Adressatengruppen gegliedert:
- Jugendliche aus Polen, die aus
unterschiedlichsten Gründen ihr
Elternhaus und ihren Herkunftsort verlassen haben und in Berlin
“stranden”,
- Werkvertragsarbeiter, SaisonarbeiterInnen und andere ArbeitnehmerInnen aus Osteuropa. Hier
geht es um die Stärkung der
Konfliktfähigkeit der Arbeitneh-
Zur Situation von
Frauen aus Osteuropa
Vorstellung des Projekts “ZAPO”
Hildegard Hellbernd
merInnen und um die Sicherung
arbeitsrechtlicher Standards.
- Der dritte Bereich ist der Frauenbereich (kurz: ZAPOLA). Das
Beratungsangebot richtet sich
nicht nur an Migrantinnen aus
Polen, sondern auch an Frauen
aus anderen osteuropäischen
Ländern, die von Frauen/Menschenhandel betroffen oder in
andere Abhängigkeitsverhältnisse
geraten sind.
Insgesamt gibt es 13 MitarbeiterInnen in dem Projekt. In den unterschiedlich gewichteten Arbeitsgruppen arbeiten polnische und
deutsche MitarbeiterInnen gemeinsam.2
Bevor ich ausführlicher über die
Erfahrungen berichte, wie Frauen
aus Mittel-und Osteuropa in
Deutschland diskriminiert, illegalisiert und kriminalisiert werden,
möchte ich einen Überblick über
die Problembereiche der anderen
beiden Arbeitsgruppen geben.
Ein häufiger Grund, weshalb sich
Werkvertragsarbeiter an den Polnischen Sozialrat wenden, ist die
Nichtauszahlung von Löhnen.
Vielleicht ist aus der Presse noch
in Erinnerung, daß erst vor 2 Wochen polnische Wanderarbeiter
ein Dach wieder abdeckten,
nachdem sie erfuhren, daß sie
keinen Lohn erhalten würden, da
das Subunternehmen sich für
zahlungsunfähig erklärte. In der
Regel sind Arbeitsvertrag und
Aufenthaltsgenehmigung zeitlich
an die auszufertigende Arbeit gebunden und die Bauarbeiter
machten mit ihrer Aktion nicht
nur darauf aufmerksam, daß sie
keine Löhne bekommen, sondern
wollten auch verhindern, nach
der Beendigung ihres Arbeitsauf47
FRAUEN
trags wegen unerlaubten Aufenthalts abgeschoben zu werden.
Bei Pleiten von Subunternehmen
können die Lohnansprüche nicht
mehr an Ort und Stelle eingeklagt werden, sondern nur von
Polen aus. Das bedeutet faktisch,
daß es keine Chance gibt, an
ausstehende Gelder heranzukommen. In Verhandlungen erfahren
die Kollegen oft das reibungslose
Zusammenspiel von Unternehmen und Subunternehmen, die
Unschuld und Ahnungslosigkeit
vortäuschen: der eine hat angeblich keine Gelder bekommen, der
andere hat von nichts gewußt, so
daß nicht selten der Verdacht
aufkommt, daß es sich hier um
ein abgekartetes Spiel von Unternehmen und Subunternehmen
handelt. So etwas geschieht
durchaus auch bei großen Bauvorhaben wie Bundesautobahn,
Schulen und der Hauptstadtausbau. Wenn Aufträge an Firmen
vergeben werden, die günstige
Ausführungen garantieren,
braucht man nicht viel Phantasie
um sich auszurechnen, zu wessen Lasten die kostengünstigen
Angebote gehen bzw. wer
tatsächlich das Risiko bei diesen
Gewinnmöglichkeiten trägt. Da
offensichtlich mit der Konfliktunfähigkeit der Saison- und
Werkvertragsarbeiter kalkuliert
wird, geht es darum, Unterstützungsformen zu finden, statt die
Kontrollsysteme gegen die Arbeitnehmer weiter auszubauen.3
Nun zur Arbeit im Jugendbereich.
Ein hoher Anteil der inhaftierten
Jugendlichen in Untersuchungshaft kommt aus Polen. Wenn reisende Jugendliche aus Osteuropa
in Berlin mit dem Gesetz in Konflikt geraten, handelt es sich in
erster Linie um Bagatelldelikte.
Statistisch gesehen stehen an erster Stelle Ladendiebstähle - also
ein Delikt, dessen Ahndung m.W.
mittels Bußgeldern diskutiert wird
und an zweiter Stelle Einbrüche
in Autos und Diebstahl von Autoradios. Im Gegensatz zu in Berlin
angemeldeten Jugendlichen
droht polnischen Jugendlichen
die Untersuchungshaft, da sie
hier nicht angemeldet sind. Nicht
selten dauert es zwei bis sechs
Wochen, bis es zur Verhandlung
kommt. Sogenannnte erzieherische Strafen und Auflagen, üblich für hier lebende Jugendliche,
48
werden nicht verhängt. Die Urteile liegen oft unter der Haftzeit,
die in U-Haft abgesessen wurde,
Anspruch auf Entschädigung gibt
es in der Regel nicht. Nach der
Entlassung aus der Haft stehen
die Jugendlichen dann häufig ohne Geld auf der Straße und können sehen, wie sie in ihre Herkunftsorte zurückkommen, ohne
zu wissen, daß sie nun oft mit einem jahrelangen Einreiseverbot
belegt sind, da ihren Daten in
den entsprechenden Computern
gespeichert werden.
Beratungstätigkeit von ZAPOLA
Obwohl Frauen aus Mittel- und
Osteuropa zumeist auf legalem
Wege einreisen (entweder mit
Touristenvisa oder aus Polen mit
Touristenstatus aber ohne Visa),
befinden sich viele von ihnen
nach Ablauf von drei Monaten in
einem rechtlosen Status. Dadurch
geraten sie umso leichter in Ausbeutungs- und Abhängigkeitsverhältnisse sowohl in persönlichen
Beziehungen zu Männern als
auch zu Arbeitgebern in bezug
auf unabgesicherte Arbeitsverhältnisse.
Viele der Frauen, die sich bisher
an das Projekt ZAPO gewandt
haben, sind Beziehungen mit
Männern eingegangen, die in
Berlin leben. Die Kontakte zu Polen sind eng, kommerzielle Heiratsvermittlung spielt nach unserer Erfahrung kaum eine Rolle.
Nicht allein wegen der geographischen Nähe zu Polen besteht
ein dichtes, privates Kontaktnetz,
viele Beziehungen und Eheschließungen kommen aufgrund
der engen Verwandtschaft- und
Bekanntschaftsverhältnisse zustande. Zum Teil bestehen Kontakte schon lange, z.B. kommen
Frauen aus der gleichen Gegend
wie der deutsche Ehemann oder
Freund, der zu einem früheren
Zeitpunkt als Aussiedler übersiedelte.
Viele Frauen wenden sich wegen
Beziehungsproblemen und aus
aufenthaltsrechtlichen Gründen
an die Beratungsstelle. Zum Teil
sind die Frauen sehr jung, leben
isoliert in Partnerschaften, haben
wenig Berufserfahrung. Häufig
liegt das Alter der Frauen aber
auch zwischen 40-50 Jahren, die
Frauen waren bereits in Polen
verheiratet, haben schon größere
Kinder, z.T. haben sie mit der Heirat viel aufgegeben, Wohnung,
Arbeit, gesicherte Lebensverhältnisse. Merkmale der Pendelmigration zeigen sich in unserer Beratungspraxis deutlich im Bereich
der Partnerschaften und der Heiratsmigration.
Pendelmigration und Abhängigkeiten in Lebensgemeinschaften
Wir erfahren, daß auch zwischen
hier lebenden Männern und polnischen Frauen die Ehe nicht unbedingt als zeitgemäß angesehen
wird. Veränderte Lebensformen
und Lebensstile, offenere Beziehungstrukturen - eine Tatsache,
über die soziologische Untersuchungen in Deutschland umfassend berichten - machen an der
Grenze nicht halt. Ebenso wie in
vielen Beziehungen oder Ehen in
Deutschland gependelt wird oder
einfach Arbeits- und Wohnort
nicht zusammenfallen, verhält es
sich in deutsch-polnischen Beziehungen. Der Unterschied liegt
weniger in den zu überwindenden Entfernungen, - mitunter haben die deutsch-polnischen Pendelbeziehungen kürzere Strecken
zu überwinden als die deutschdeutschen, sondern darin, daß eine Grenze und ein Stück Papier
wie der Paß nun ungeheure
Schwierigkeiten schaffen.
Als Beispiel für den Umgang der
Behörden mit dieser Form von
Pendelbeziehung und dafür, wie
schnell Menschen illegalisiert
werden, möchte ich das tragische
Schicksal einer Frau schildern, die
sich kürzlich an uns gewandt
hat.Frau M. kommt aus einem
Grenzort und hat 11 Jahre eine
Beziehung mit einem Mann geführt, der auf der anderen Seite
der Grenze, also damals in der
DDR wohnte. Bald bekam die
Frau eine Tochter, aber beide beschlossen, nicht zu heiraten, da wie Frau M. angibt - die Beziehung sich ungünstig auf das Arbeitsverhältnis ihres Freundes
ausgewirkt hätte. So lebte Frau
M. längere Zeit bei ihrem Freund
in der DDR und arbeitete und
wohnte zwischendurch wieder in
Polen. Nach der Auflösung der
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
FRAUEN
DDR erhielt der Vater ihres Kindes
1992 eine Frührente, und nun
wurde der Wohnort der Frau in
Polen zum gemeinsamen Aufenthaltsort. Sie beschlossen 1996 zu
heiraten und mußten zuerst einmal einen Papierkrieg auf sich
nehmen, da die Scheidungsunterlagen des Mannes aus der vorherigen Ehe nach dem politischen Umbruch nicht mehr aufzutreiben waren. Kurz vor der beabsichtigten Eheschließung erlitt
der Mann einen schweren Herzinfarkt und mußte ins Krankenhaus in Polen. Sie heirateten im
Krankenhaus, zogen aber nach
Berlin, wo der Ehemann zur Weiterbehandlung in ein Krankenhaus verlegt wurde. Nach 2 Monaten starb er auf der geriatrischen Pflegestation. Die Ehefrau
ist fest davon überzeugt, daß der
Mann aufgrund eines Pflegefehlers verstorben ist und es läuft ein
Untersuchungsverfahren über die
tatsächliche Todesursache. Mit
dem Tod des Mannes begann für
die Frau ein gnadenloser Bürokratie-Hürdenlauf.
Die Ausländerbehörde wirft Frau
M. vor, sie sei als Touristin eingereist und habe das Verfahren der
Familienzusammenführung nicht
abgewartet. Des weiteren unterstellt sie Frau M. eine Scheinehe.
In dem Aufforderungsschreiben
zur Ausreise heißt es, sie hätte
ihren Mann im Koma geheiratet
und sei hierher gekommen, um
für sich und ihre Tochter (mit
deutschem Vater) Leistungen zu
erschleichen. Eine Heirat aus ökonomischen Gründen, etwas
selbstverständliches und vermutlich das verbreitetste Motiv für
Eheschließung unter Deutschen,
wird diskreditiert und gilt in diesem Zusammenhang als verwerflich und anrüchig. Das Sozialamt
weigert sich, die Kosten für ein
Wohnheim weiterzufinanzieren,
in das die Familie aus finanzieller
Not ziehen mußte, denn die Frau
bezieht nur eine Invalidenrente
von umgerechnet 150,-DM in Polen. Leistungen werden vom Sozialamt mit unterschiedlichen Behauptungen verweigert, sei es,
daß die Frau ja eigene Rente in
Polen beziehe, sei es mit dem Zuständigkeitsmarathon der einzelnen Bezirksämter oder last not
least die Unterstellung - im Beisein meiner polnischen Kollegin des diskriminierenden Stereotyps,
daß sie garantiert ihre Wohnung
in Polen, die den älteren Kindern
aus einer anderen Ehe gehört,
untervermietet hätte, denn das
würden alle Polen machen. Normalerweise erhält die Ehefrau
nach dem Tod ihres Mannes
(auch wenn die Ehebestandszeit
noch keine 4 Jahre beträgt) ein
eigenes Aufenthaltsrecht. Im Fall
von Frau M. muß zuerst mittels
Rechtsverfahren ein Kampf geführt werden, bis die Ehe und
Vaterschaft nach deutschem
Recht anerkannt sind. Noch unter
Trauer und Schock über den Tod
ihres Mannes bräuchte die Frau
Ruhe, um ihr Leben neu zu organisieren, zu überblicken, was ihr
an Witwen- und Waisenrente zusteht, um zu planen, wo und wie
sie weiterleben wird. Stattdessen
wird ihr eine tägliche Behördenlauferei zugemutet, in mindestens 6 Angelegenheiten müssen
rechtliche Ansprüche erstritten
werden, und darüberhinaus gibt
es eine Unterkunft immer nur für
ein paar Tage. Als Absurdität am
Rande: die Schulbehörde in Berlin
ist dagegen bestens informiert
über den Aufenthalt der Tochter
und hat bereits einen Brief zugestellt, indem 5.000,-DM Strafe
angedroht wurden, falls ihre
Tochter nicht weiterhin die Schule besuchen würde.
Wir machen die Erfahrung, daß
Ausländerbehörde und Sozialämter in solchen Fällen mit Unterstellungen und Diskriminierung
arbeiten und versuchen rechtliche
Ansprüche zu leugnen. Sie scheinen darauf zu setzen, daß sich
die emotionale Kraft der Antragstellerin über kurz oder lang erschöpft und sie resigniert und
“freiwillig” nach Polen zurückkehrt.
Es gibt mitunter auch Beispiele,
die zeigen, wieviel Selbstverständlichkeit in Beziehungen
auch über Grenzen hinweg gesehen und gelebt wird. Neulich
kam ein Mann in die Beratungsstelle, der ganz erstaunt war, daß
seine Freundin aus Polen ihr
jüngstes Kind nicht hier in der
Schule anmelden kann, da sie
nicht verheiratet sind. Eine Eheschließung ist nicht möglich, da
die Frau noch nicht geschieden
ist. Sie führen ihre Beziehung
zwischen Stettin und Berlin, d.h.
die Frau ist am Wochenende in
Polen bei ihren älteren Kindern
und hält sich während der Woche bei ihrem Freund in Berlin
auf, dem sie offensichtlich bei
seiner Arbeit in einem kleinen
Gewerbe hilft.
Eigentlich fällt es schwer einzusehen, daß im Zeitalter der Globalisierung und stets geforderten
Mobilität dies nur für Waren und
nicht zwischen Menschen und in
Liebesbeziehungen nicht gelten
soll!
Mit jeder Eheschließung gehen
Frauen im Grunde das Risiko der
Illegalisierung ein, denn sobald
die Ehe als gescheitert gilt und
die Ehebestandszeit nach §19
noch keine 4 Jahre beträgt, droht
die Ausweisung. Seit neuestem
(gesetzeswirksam seit 31.10.97)
gilt die Änderung des §19, nach
der in Härtefällen die Ehebestandszeit nicht mehr ausschlaggebend für einen Aufenthalt ist.
Skepsis ist dennoch angesagt
hinsichtlich wirklicher Verbesserungen, unklar ist, wieweit z.B.
der Bezug von Sozialhilfe ein
Ausweisungsgrund wird und wie
die Zumutung einer Rückkehr gesehen wird. Es muß sich erst einmal zeigen, wie diese Regelungen in der Praxis gehandhabt
werden.
Die seit Jahren bzw. Jahrzehnten
bekannten Auswirkungen des §
19 AuslG bekommen wir auch in
unserer Beratungstätigkeit zu
spüren. Was gesellschaftlich an
den ungleichen Rechten zwischen deutschen und nichtdeutschen Ehepartnern besteht, wiederholt sich auf der persönlichen
Ebene. Dies gilt insbesondere für
Beziehungen ohne Trauschein.
Eheähnliche Beziehungen können
nur bedingt als frei gewählte Beziehungsform verstanden werden. Häufig hoffen Frauen auf eine spätere Heirat, diesbezügliche
Versprechen werden von den
Männern aber oft nicht eingehalten, um die Abhängigkeit der
Frauen in nicht legalisierten Beziehungen auszunutzen. Die
Frauen wissen oft, daß sie illegal
hier sind, sie fürchten Strafen
und Ausweisungen und werden
dadurch leicht erpreßbar.
Häufig sind Frauen nach Berlin
gezogen in der Hoffnung, ihre Situation zu verbessern, stellen nun
aber fest, daß sich die Beziehung
ausschließlich für den Mann
49
FRAUEN
“rechnet”. Es ist immer wieder
auffällig, wie gut die Lebenspartner der Frauen ihre Rechte zu
kennen glauben, welche rechtlichen Informationen den Frauen
vorenthalten werden, wie unzureichend sie über ihre Ansprüche
aufgeklärt sind und wie häufig
die rechtliche Dominanzposition
genutzt wird, um die Frau einzuschüchtern mit der Drohung, daß
sie wieder in ihren Herkunftsort
zurückgeschickt wird.
Typisch ist das Beispiel von Frau
F., die seit 7 Jahren mit einem
Rechtsanwalt zusammenlebt und
mit Eheversprechungen hingehalten wird. Der Mann scheint
durchaus zu wissen, wovon er
(nicht nur ökonomisch) profitiert.
Für die Geburt ihres Kindes hat er
die Frau überredet nach Polen zu
fahren, da die Entbindung in
Deutschland zu teuer sei. Da die
Vaterschaftanerkennung bisher
nicht nach deutschen Gesetzen
erfolgt ist, besitzen Frau und
Kind keine Rechte, um hier legal
leben zu können. Den Lebensunterhalt verdient die Frau, und bezahlt sämtliche Arztbesuche für
sich und das Kind vom eigenen
Verdienst, zumal der Mann in seiner Praxis verschuldet ist.
Probleme und Gewalt tauchen
i.d.R. dann auf, wenn Frauen sich
nicht mehr ausbeuten lassen wollen, eine Erpressung nicht mehr
hinnehmen oder andere selbstständige Schritte unternehmen.
Frau K. ist 50, lebt seit einem
Jahr in Berlin mit ihrem deutschen Mann. Beide verbinden
schwierige Krankengeschichten,
so daß sie sich entschlossen das
weiteres Leben zusammen zu
verbringen. Verärgert reagierte
der Mann, als Frau K. ihm erklärte, daß sie ihren Verdienst nicht
länger auf das Konto ihres Mannes überweisen lasse, sondern ihre Töchter in Polen unterstützen
möchte. Ihr Mann war damit
nicht einverstanden, nahm ihr
den Schlüssel ab und setzte sie
vor die Tür.
Es könnten viele Beispiele angeführt werden, um zu zeigen, wie
aufenthaltsrechtliche Regelungen
gegen Fraün eingesetzt werden,
wie mit Erpressungen bis hin
zum Mißbrauch der Töchter gearbeitet wird und wie einschüchternd es wirkt, wenn Frauen da50
von ausgehen, sie hätten hier
keinerlei Rechte.
Der diskriminierende gesellschaftliche Diskurs über “Teilhabe der
MigrantInnen an der Wohlstandsgesellschaft” spiegelt sich
in den Beziehungen wider, häufig
wird den Frauen vorgeworfen, sie
wollten vom Wohlstand der
Männer leben, z.T. bis zu absurden Vorwürfen wie “du willst von
meinem Arbeitslosengeld leben”.
Absolut verkehrt werden dabei
die Tatsachen, wer von wem profitiert. Bei den vielen Frauen, die
sich an die Beratungsstelle von
ZAPO gewandt haben, steht zumindest fest, auf wessen emotionale und materielle Kosten die
Beziehung geht, wer in der ungleichen Partnerschaft bezahlt.
Soweit Frauen sich in Beziehungskrisen entschließen, ihre
sozialen Netze in Polen in Anspruch nehmen, z.B. zu ihren Eltern zurückkehren, statt in einem
Frauenhaus Zuflucht zu suchen,
kann auch dies mit einem rechtlichen Risiko verbunden sein. Sie
riskieren eine Anzeige wegen Kindesentführung, wie wir es in einem Fall bereits erleben mußten.
Oft werden im Trennungsfall die
letzten Trümpfe gezogen, wenn
es um Unterhaltsregelungen, das
Sorgerecht und den Zugewinnausgleich geht, wobei die Männer in der Regel gut ihre Interessen wahrzunehmen wissen und
darauf setzen, daß die Frauen
von Polen aus weniger in der Lage sind, ihre Rechte zu verfolgen.4
Selbstverständlich ist dies nur ein
Ausschnitt der Gesamtsituation,
da wir in der Beratungsstelle nur
von den Fällen erfahren, wo Frauen in Schwierigkeiten geraten
sind. Dennoch wissen wir von
vielen gut funktionierenden
deutsch-polnischen Liebesbeziehungen und Lebensgemeinschaften.
Irreguläre Arbeitssituation
Der Arbeitsmarkt bietet für Migrantinnen aus Mittel- und Osteuropa kaum legale Zugangsmöglichkeiten. Abgesehen von
genehmigten Arbeitsaufenthalten
als Au-Pair oder Saisonarbeiterin,
sind die typischen Arbeitsbereiche für Migrantinnen der private
Haushalt, Reinigungsgewerbe,
Betreuungs- und Pflegedienste
sowie Prostitution. Das gemeinsame Kennzeichen all dieser Beschäftigungen: Es sind ungeschützte Arbeitsverhältnisse. Aus
der Beratungstätigkeit des Polnischen Sozialrats ist bekannt, daß
auch im privaten Haushalt Fälle
von extremer Ausbeutung, Ausnutzung des illegalen Status und
Zwang zur Prostitution nicht selten vorkommen, bisher hat es
über das Projekt ZAPO allerdings
relativ wenig Kontakt mit Haushalts-und Saisonarbeiterinnen gegeben, obwohl viele Frauen gerade aus Polen in privaten Haushalten tätig sind.
Lohnbetrügereien sind eher bei
den Putzkolonnen an der Tagesordnung. Es kommt vor, daß
Lohngelder nicht gezahlt werden
und der fehlende legale Aufenhaltsstatus eingesetzt wird, um
Frauen, die Lohnforderungen
stellen, um ihr Gehalt zu bringen.
Aufgrund der fehlenden Aufenthaltsgenehmigung ziehen Frauen
häufig nicht in Betracht, ihren
Lohn rechtlich einzufordern. Bekannt ist uns ein Fall von verweigerten Lohnzahlungen bei einer
Putzkolonne in einer großen Lebensmittelkette. Trotz des nichtlegalen Status haben sich die Migrantinnen entschlossen, gerichtlich die Löhne einzuklagen. Es
dürfte von Bedeutung sein, wie
dieser Fall ausgeht, denn angesichts der zunehmenden Auslagerung von Dienstleistungen an
Subunternehmen ist zu befürchten, daß der fehlende Aufenthaltstatus für Lohnvorenthaltungen
auch in Zukunft genutzt wird.
Um Lohnbetrug und ausbeuterische Arbeitsverhältnisse zu verhindern, wäre es wichtig, daß die
Bundesregierung die UNO-Konvention Nr.158 vom 18.12.1990
(International Convention on the
Protection of the Rights of All
Migrant Workers and Members
of their Families) ratifiziert, da in
diesem Schutzabkommen vorgesehen ist, daß Arbeitnehmerinnen ihre Rechte unabhängig vom
Aufenthaltsstatus einklagen können.
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
FRAUEN
Prostitution und Frauenhandel
Im Bereich der Prostitution werden Illegalisierung und Kriminalisierung der Frauen am gewinnbringendsten ausgenutzt. Wegen
der fehlenden Anerkennung von
Prostitution als Beruf ist eine legale Arbeit in diesem Bereich
nicht möglich, es ist ausgeschlossen eine Arbeitserlaubnis als Prostituierte zu erhalten. Besonders
Frauen aus visapflichtigen Ländern wie der ehemaligen Sowjetunion geraten schnell in Abhängigkeits- und extreme Ausbeutungsverhältnisse, wenn sie mit
dem Versprechen auf eine Arbeit
als Kindermädchen, auf eine Arbeit in einer Bar oder auf “abwechslungsreiche Tätigkeiten”
hierherkommen.
Der Weg ist meist klassisch: Verschuldet wegen Visabeschaffung
und überhöhter Transportkosten
werden viele Frauen genötigt,
das Geld in der Prostitution abzuarbeiten, die Einbehaltung des
Passes, Angst vor der Polizei und
hohe Isolation sorgen für weitere
Einschüchterung. Immer häufiger
werden die angeworbenen Frauen in Wohnungen untergebracht,
von wo aus sie zu Privatclubs
oder zu Hausbesuchen gebracht
werden, die telefonisch organisiert werden.
Von den ca. 8.000 Frauen die in
Berlin in der Prostitution arbeiten,
wird angenommen, daß fast die
Hälfte aus Osteuropa stammt. Ein
großer Teil der Frauen entscheidet sich zwar freiwillig für die
Prostitution, häufig finden sie
aber Bedingungen vor, unter denen ihr Selbstbestimmungsrecht
in eklatanter Weise verletzt wird.
Merkmale des Menschen-/Frauenhandel sind der Einsatz von Gewalt, Drohung, Täuschung,
Machtmißbrauch, Verschuldung
und Freiheitsentzug im Zusammenhang mit der Anwerbung zu
Arbeits- und Dienstleistungen,
unabhängig davon, ob dabei nationale Grenzen überschritten
werden.
Menschenhandel gilt nach §180b
und §181 STGB als Straftatsbestand. In der juristischen Definition stehen die Ausnutzung der
Hilflosigkeit einer Person im Ausland, der Zwang zu sexuellen
Handlungen und Prostitution im
Vordergrund. Im Gegensatz zu
der engen strafrechtlichen Definition sprechen wir -analog zur Definition der Global Alliance
against Trafficking in Women
(GAATW)- von Menschen/Frauenhandel auch in Bezug auf Heiratshandel und Handel in ausbeuterische Arbeitsverhältnisse
wie z.B. Haushaltstätigkeit.
Obwohl die Medien offensichtlich
häufig und gerne über das Thema Menschenhandel berichten
(mit der Qualität der Berichterstattung möchte ich mich nicht
weiter befassen) und das Phänomen Frauenhandel in den letzten
Jahren auf politischer Ebene5 zunehmend Beachtung gefunden
hat, ist erstaunlich wie wenig positive Konsequenzen dies für die
Frauen hat.
Anhand der Daten des BKA kann
man feststellen, daß es zwar zu
reger Ermittlungstätigkeit
kommt, aber es ist auffällig,
welch hohe Diskrepanz zwischen
Strafverfolgung und Verurteilung
liegt. In Berlin werden jährlich
ca.100 bis 150 Verfahren wegen
Menschenhandel eingeleitet.
Meistens wird der Vorwurf des
Menschenhandels im Verlauf der
Ermittlungen fallengelassen, was
für die Frauen bedeutet, nicht als
Nebenklägerin auftreten zu können.
Stattdessen ist nur noch von Förderung der Prostitution die Rede,
zu Verurteilungen kommt es selten. In den letzten Jahren gab es
in Berlin nur 4 Urteile wegen
Menschenhandel. Während die
Gewinner im Prostitutionsgeschäft selten zur Rechenschaft
gezogen werden, sieht die Situation für osteuropäische Frauen,
die bei Razzien in Bordellen festgenommen werden, völlig anders
aus. Bei ihnen steht der Verstoß
gegen das Aufenthalts- und Arbeitsgesetz im Vordergrund, sie
gelten als kriminell, landen in Abschiebehaft, werden in die Herkunftsländer abgeschoben und
erhalten Einreiseverbot für alle
Schengener Staaten.
Ein krasses Beispiel möchte ich
hier anführen: Gegen zwei junge
polnische Frauen, die betäubt
über die Grenze verschleppt, vergewaltigt und zur Prostitution
genötigt wurden, leiteten die
deutschen Behörden ein Verfah-
ren wegen unerlaubter Prostitutionsausübung ein. Die Frauen
sollten die Kosten der Abschiebehaft selber tragen und erhielten
darüberhinaus ein mehrjähriges
Einreiseverbot.
Zu Verfahren gegen Menschenhändler kommt es häufig
nicht, da Frauen vielfach kein Interesse daran haben, Aussagen
zu machen und sich dem Risiko
von Repressionen seitens der
Menschenhändler auszusetzen.
Für eine Verurteilung ist es wichtig, daß in dem Verfahren Frauen
vor Gericht aussagen. Es
kommmt vor, daß Zeuginnen ins
Herkunftsland zurückkehren
mußten, und sie die Vorladung
zum Gerichtsverfahren nie erhalten. Angesichts des Risikos, das
sie mit einer Aussage eingehen,
ist es nur zu verständlich, wenn
eine Frau kein Interesse daran
hat, zum Prozeß anzureisen, sich
dem Alptraum der Erinnerung
und der Stigmatisierung vor Gericht auszusetzen.
Angesichts der Zunahme des
Frauenhandels sah der Berliner
Senat 1995 schließlich einen “erhöhten Handlungsbedarf”. Initiiert von Projekten und Beratungsstellen wurde unter dem Vorsitz
der Staatssekretärin für Frauen
bei der Senatsverwaltung für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen eine “Fachkommission Frauenhandel” einberufen, in der, sowohl Frauenprojekte und Beratungsstellen aus dem Bereich
Frauenhandel wie Vertreter von
Justiz, Polizei, Innensenat und
Ausländerbeauftragte über Strategien gegen Frauenhandel diskutierten. Im Frühjahr 1997 wurden die Empfehlungen der Komission in einem Bericht vorgelegt6. Das konkreteste Ergebnis
ist eine Weisung, in der die Ausländerbehörde aufgefordert wird,
bei Verdacht auf Menschenhandel spätestens drei Tage vor der
Abschiebung von Frauen, die bei
Razzien in Bordellen festgenommen wurden, Polizei und Staatsanwaltschaft zu informieren, damit ermittelt werden kann, ob
die Frau als Zeugin in einem
Menschenhandelsverfahren in
Frage kommt. Soweit Frauen bereit sind, als Zeuginnen auszusagen, erhalten sie eine Duldung,
die aber spätestens mit dem En51
FRAUEN
de des Prozesses aufgehoben
wird.
In der Praxis ist selbst die Umsetzung der Weisung nicht einmal
ausreichend gewährleistet. Verhaftete Frauen werden i.d.R.
nachts, unmittelbar nach einer
Razzia verhört, wenn sie psychisch und physisch so erschöpft
sind, daß sie oft so schnell wie
möglich nach Hause zurück wollen. Es gibt keine Regelung, nach
der den Frauen - wie in anderen
Bundesländern - eine mehrwöchige Bedenkzeit eingeräumt wird,
in der sie in Kontakt mit Beratungsstellen stehen und überlegen können, ob sie rechtliche
Schritte unternehmen wollen. Es
fehlt eine adäquate Unterbringung in eigenen Zufluchtswohnungen.
Der Abschiebeknast Grünau ist
derzeit überbelegt mit Frauen,
die bei Razzien aufgegriffen wurden, so daß die Frauen zusätzlich
in der Frauenhaftanstalt Plötzensee untergebracht werden.
Zwangsverhältnisse bestehen für
viele Frauen auch in Abschiebehaft weiter. Eine Möglichkeit aus
der Abschiebehaft wieder herauszukommen war bisher der Antrag
auf Asyl. Häufig haben Frauen
aus Osteuropa davon Gebrauch
gemacht bzw. wurde dieser Weg
oft von den Zuhältern organisiert.
Im Fall von Zwangsverhältnissen
bedeutete das für die Frauen,
daß die Zuhälter über den Entlassungszeitpunkt Bescheid wußten
und die Frau draußen erwarteten.
Die Chancen auszusteigen waren
gering, dazu kamen neue Kosten
wie das überhöhte Anwaltshonorar. Neuerdings entfällt die Möglichkeit des Asylantrags, da Frauen, die auf dem Landweg gekommen sind, nach der Drittstaatenregelung abgeschoben werden.
Unsere Kritik7 richtet sich dagegen, daß Frauen erneut von Justiz und Behörden instrumentalisiert werden. Sie bekommen keine Aufenthaltserlaubnis wegen
erlittener Gewalt und Traumatisierung, sondern erhalten eine
Duldung (d.h. Aussetzung der
Abschiebung) in Abhängigkeit
davon, wieweit sie als Zeugin für
Polizei und Justiz von Nutzen
sind. Viel zu wenig werden die
52
gesellschaftlichen Strukturen thematisiert, die Frauenhandel ermöglichen, die bestehende Doppelmoral, Motive der Freier spielen keine Rolle, Diskriminierung,
Anklage und Bestrafung, die Kriminalisierung richtet sich gegen
Frauen. Darüberhinaus verbreiten
viele Medien ein Bild der osteuropäischen Frauen, das diesen
pure Naivität unterstellt. Hilfsangebote sind mehr als begrenzt.8
Es gibt keine vernünftigen Zeuginnenschutzprogramme, keinerlei Rückkehrhilfen oder irgendeine Form von Unterstützungsangeboten im Herkunftsland, ganz
zu schweigen vom Bleiberecht,
von Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis.
Stattdessen wird eine Menge sicherheitspolitisches Kapital aus
dem Phänomen Menschenhandel
geschlagen. In Zusammenhang
mit der Bekämpfung der organisierten Kriminalität gilt Menschenhandel als das Thema, das
möglichst viele gesellschaftliche
Gruppen verbinden soll. Im Vordergrund stehen dabei allerding
die Schlepperbanden und die
Verhinderung von Grenzüberschreitungen. Wie wenig es
tatsächlich um die Frauen geht,
die Opfer von Menschenrechtsverletzungen wurde, zeigt sich in
einer Berliner Parlamentsdebatte
im Sommer 1997 anläßlich einer
großen Anfrage der CDU/SPD.
Da Menschenhandel fast ausschließlich als Problem der Organisierten Kriminalität gefaßt wird,
werden repressivere Maßnahmen
gefordert und eine bessere personelle, technische und rechtliche
Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden. Von der CDU
wird ein größerer “Kontrolldruck”
gefordert, das heißt, großer
Lauschangriff, verdachtsunabhängige Kontrollen im ASOG etc. Das
Augenmerk stärker auf die Situation der Frauen zu lenken, die in
Abschiebehaft landen, wird aus
“verwaltungstechnischen Gründen” als unzumutbar erachtet.
Ebenso besteht die Gefahr, daß
die Aussage von Frauen, sie seien
zur Prostitution gezwungen worden, als reine Schutzbehauptung
abgetan wird.
Solange das ökonomische Gefälle
zwischen Ost und West derart
hoch ist, wird auch die Migration
und Hoffnung auf ein besseres
Leben weiterbestehen, ebenso
das Ausbeutungsinteresse von
Menschenhändlern. Ordnungsrechtliche Maßnahmen können
nicht die Einhaltung der Menschenrechte für Frauen, die Opfer
von Menschenhandel wurden,
garantieren, sondern verschärfen
- wie wir wissen - die Bedingungen für die Frauen.
Notwendig sind reale Unterstützungsangebote, Aufklärung,
Prävention und Stärkung der
rechtlichen und sozialen Position
der betroffenen Frauen. Solange
der illegale Aufenthaltsstatus das
Leben der Prostituierten bestimmt, bedeutet die Rechtlosigkeit der Frauen bares Geld für die
Zuhälter.
In Beratungsarbeit von ZAPO
geht es zum einen um die individuelle Ebene, d.h. die Stärkung
der Frau in ihren Interessen, Aufklärung ihrer rechtlichen Position,
vielfach um Vermittlung von engagiertem Rechtsbeistand und
um Unterstützung bei der Entwicklung von Zukunftsperspektiven.Auf der gesellschaftlichen
Ebene sehen wir einen wichtigen
Beitrag darin, gegenüber Behörden klarzustellen, daß die Frau
nicht allein dasteht, vielleicht in
Anlehnung an “Bürger beobachten die Polizei” eine Art “Beratungsstellen beobachten die
Behörden”. Wichtig ist uns, in
der Öffentlichkeit die Rechtlosigkeit zu problematisieren und darauf zu drängen, daß Menschenrechtskonventionen eingehalten
und umgesetzt werden wie die
internationale Konvention für ArbeitsmigrantInnen. Notwendig ist
auch eine stärkere Zusammenarbeit mit entsprechenden Gruppen und Organisationen in Mittel- und Osteuropa.
Zum Abschluß möchte ich noch
auf einen mir wichtigen Asepkt
hinweisen, auf den Zusammenhang von Gesundheit und Migration. Daß die Gesundheit wesentlich von der sozialen Schichtzugehörigkeit abhängt, ist mittlerweile unbestritten. Die erste Einwanderergeneration in den 60er
Jahren, bei der mittels Pflichtuntersuchungen garantiert werden
sollte, daß nur völlig gesunde
Menschen einwandern, leidet
heute im Schnitt 10 Jahre früher
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
FRAUEN
an den Alterserkrankungen als
Deutsche aus der gleichen Sozialschicht. Wenn heute eine neue
Migrationsstruktur entsteht mit
psychischen und physischen Belastungen aufgrund nicht garantierter Rechte, kann man sich vorstellen, zu welchen gesundheitlichen
Auswirkungen das führen wird.
Dazu kommt die Einschränkung
des Zugangs zu gesundheitlichen
Diensten, wenn kein abgesicherter
Aufenthaltsstatus existiert. Dem
polnischen Sozialrat sind Fälle bekannt, wo junge Menschen gestorben sind, weil sie wegen feh-
lender Papiere Angst hatten, ein
Krankenhaus aufzusuchen.
Gegenwärtig verändert sich die
Gesellschaft dahingehend, daß eine neue Schicht von rechtlosen
Personen in diesem Land entsteht,
für die Menschenrechte ausgehebelt werden. Um so mehr ist in
Zukunft darauf zu achten, daß die
sozialen, arbeitsrechtlichen und
menschenrechtlichen Standards
eingehalten werden. Diese Perspektive trifft nicht nur die Frauen, sondern alle, denen Aufenthaltsrechte vorenthalten werden.
1 Zur Anzahl und Vielfalt der Migrationsformen vgl. Frauke Miera: Zuwanderer und Zuwanderinnen aus Polen in
Berlin in den 90er Jahren. Wissenschaftszentrum für Sozialforschung,
Berlin 1996.
2 Die Absicht, mehr MigrantInnen einzustellen scheiterte an der Tatsache,
daß es nur wenig Personen gibt, die sozialrechtlich soweit abgesichert sind,
daß sie staatliche Unterstützung beziehen und die erforderlichen Voraussetzungen für ABM-Stellen vorweisen können. Insgesamt haben nur 40% der seit
den 80erJahren in Berlin lebenden Polen eine derartige Absicherung im arbeitsrechtlichen Netz erwerben können.
3 Zu den Forderung des Polnischen Sozialrats und Projekt ZAPO vgl. Norbert
Cyrus: Unterstützen statt Kontrollieren.
Ein Konzept für die Durchsetzung tariflicher Standards auf den deutschen Arbeitsmärkten unter Beachtung sozialer
und grundrechtlicher Standards. In:
epd-Dokumentation Nr.4/98. S.26ff
4 Wenig thematisiert und beleuchtet ist
der rassistische Aspekt in den persönlichen Beziehungen. Erzählungen der
Frauen über ihre Demütigungen und
Beleidigungen zeigen, daß alte Stereotype und das gedankliche Erbe aus dem
Faschismus mitunter in polnisch-deutschen Beziehungen eine quälende Rolle
spielen. Wie die Polizei mit rassistischen Momenten in privaten Beziehungen umgeht, konnten wir erfahren, als
auf die Wohnung einer polnischen Mitarbeiterin ein Brandanschlag verübt
wurde. Als sie gegenüber der Polizei
angab, seit einiger Zeit rassistische Beschimpfungen in ihrem Briefkasten vorgefunden zu haben und vermutete, ein
Aus diesem Grund unterstützen
wir die Kampagne: Kein Mensch
ist illegal.
Hildegard Hellbernd
Projekt :ZAPO:
c/o Polnischer Sozialrat
Oranienstr.34
10999 Berlin
Tel. 614 024 09
Fax: 614 024 10
Nachbar käme vielleicht als Attentäter
in Frage, wurde dies nicht als rassistischer Brandanschlag registriert. Stattdessen ging die Polizei davon aus, es
handele sich um einen nachbarschaftlichen Streit, somit kämen nur persönliche, nicht aber rassistische Motive in
Frage. Da sich für diese Polizeistelle
persönliche und rassistische Gründe
nicht vereinbaren lassen, ist aufschlußreich, daß derartige Brandanschläge anscheinend statistisch so kategorisiert werden, daß sie nicht als
Fremdenfeindlichkeit zu Buche schlagen.
5 vgl. Beschlüsse der EU-Ministerkonferenz von April 97, vgl. Bericht der
Berliner Fachkommission “Frauenhandel” im Frühjahr 1997
6 Bericht der Berliner Fachkommission
“Frauenhandel”, Berlin 1997, zu beziehen über Senatsverwaltung für Arbeit,
Berufliche Bildung und Frauen.
7 vgl. auch Presseerklärung des AK
Frauenhandel in Berlin zum 25. November, dem internationalen Tag gegen
Gewalt gegen Frauen. An dem AK
Frauenhandel nehmen Frauen aus Projekten und Beratungsstellen teil, die zu
diesem Thema ist arbeiten.
8 Vom Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend wurden
1997 im gesamten Bundesgebiet 6 Koordinierungs- und Beratungsstellen für
Frauen aus Mittel-und Osteuropa, die
Opfer von Frauenhandel wurden, finanziert, womit der Bedarf bei weitem nicht
abgedeckt ist. In Berlin ist eine der Stellen bei IN VIA/Verein kath. Mädchensozialarbeit eingerichtet.
53
FRAUEN
Weg mit
herrschaftssichernden
Grenzen!
Aufruf und aktuelle Infos
zu den antirassistischenFrauenLesbenAktionstagen
an der dt./polnischen Grenze vom 30.6.-5.7.98
Der Staat hat die Grenzen hochgerüstet um Flüchtlinge und MigrantInnen die selbstorganisierte
Einreise unmöglich zu machen.
Die Toten in der Neiße/Oder und
Frauenhandel sind Beispiele direkter Folgen dieser Politik. Die von
der Bevölkerungsmehrheit vertretenen rassistischen und nationalistischen Positionen werden dabei
aufgegriffen und durch gezielte
Hetzpropaganda weiter verstärkt.
Sie dienen dann zur Rechtfertigung von Verschärfungen der
Gesetze und einer alltäglichen
Praxis von Ausgrenzung.
Antirassistische Politik muß deshalb konsequent sowohl die Interessen desStaates, als auch die
der deutschen Mehrheitsbevölkerung an Rassismus benennen und
angreifen.
Der in der Gesellschaft zur gleichen Zeit bestehende Sexismus
ist auch in der antirassistischen
Bewegung noch nicht überwunden. Wir haben uns deshalb bewußt als Frauen und Lesben organisiert, um der herrschenden
Grenzpolitik etwas entgegenzusetzen.
Hier einige Stichworte zur derzeitigen Situation.
- In Eigeninitiative gegründete
Bürgerwehrgruppen, die gegen
die Flüchtlinge vorgehen.
- Ein “Infomobil des Bundesgrenzschutzes” informiert die AnwohnerInnen der Grenze über
“Grenzkriminalität” und fordert
zu Denunziation auf. Dafür sind
eigene “Bürgertelefone” installiert
worden.
- Besondere Befugnisse des BGS
54
in einer 30 km-Zone an der Grenze, z. B. “verdachtsunabhängige
Kontrollen”.
- Anwendung des § 92 a AuslG
(“Einschleusen von Ausländern”)
auf TaxifahrerInnen, die auf der
deutschen Seite im Grenzgebiet
illegalisierte MigrantInnen befördern. Durch bereits erfolgte Verurteilungen wird versucht, eine
ganze Berufsgruppe zu Handlangern des BGS zu machen. Wenn
bei TaxifahrerInnen der Verdacht
besteht, daß ihre Fahrgäste “illegale Ausländer “ sind (z.B. durch
“undeutsches Aussehen”), sind
sie verpflichtet, den BGS über
Funk zu verständigen, bzw. die
Fahrgäste sofort zum nächsten
Bullenrevier zu fahren.
Vom 30.6. - 5.7. werden wir in
der Region Zittau/Görlitz antirassistische Aktionstage durchführen. Der Auftakttag wird in
Dresden stattfinden. Anreisezeit
ist der Abend des 30.6. in Dresden. Den 1.7. werden wir dazu
nutzen, uns kennenzulernen,
auszutauschen, die Aktionen zu
koordinieren und das Schutzkonzept vorzustellen. Am 2.7. wollen
wir dann gemeinsam zum Ausgangsort der Aktionstage fahren.
Dort gibt es eine berollbare Halle
mit ausreichendem Platz. Bei unseren Aktionen soll es darum gehen, den reibungslosen Ablauf
der rassistischen Maschinerie an
der Grenze zu stören. Wir wollen
zeigen, daß wir die Abschottungs- und Abschiebepolitik ablehnen und nicht hinnehmen. Mit
den Aktionen wollen wir gegen
das Vorgehen des BGS, die herrschende Grenzpolitik und das Denunziationsverhalten in weiten
Teilen der Bevölkerung Position
beziehen. Unsere Solidarität gilt
den betroffenen MigrantInnen
und Flüchtlingen. Wir sehen die
Aktionstage darüber hinaus als
Unterstützung von denjenigen,
die in der Region leben und antirassistische Haltungen vertreten.
gen, wo wir die regionale Antifa
bei einer Gegenkundgebung gegen einen bereits angemeldeten
Faschoaufmarsch unterstützen.
Form und Ausdruck der Aktionen
werden vielfältig sein, auch deine
Phantasie ist gefragt. Wir versuchen, die Aktionstage für möglichst viele Frauen/Lesben, die
kommen wollen, zugänglich zu
machen. Wir bemühen uns um
Assistenzen, können diese aber
noch nicht gewährleisten. Frauen, die Assistenz machen wollen,
gebärdendolmetschen können
etc., werden noch gesucht. Wir
fänden es für alle FrauenLesben
wichtig, sich bis zum 15.6.unter
der untenstehenden Adresse anzumelden! Für die ausreichende
Vorbereitung wäre das eine wichtige Voraussetzung. Infos, Fragen, Vorschläge und Absprachen
über die Kontaktadresse.
So, wenn du jetzt neugierig geworden bist und Lust auf die Aktionstage hast, melde dich bei
uns:
Stichwort “Sommerfrische”
c/o Symbiose e. V.
Kinzigstraße 9
10247 Berlin
Tel. 030 / 294 76 88
Fax: 030 / 294 921 20
Spendenkonto bei:
Forschungsgesellschaft Flucht
und Migration
Stichwort: “Frauen/Lesben Camp
‘98”
KtoNr. 610024264
BLZ 100 500 00
Berliner Sparkasse
Wenn du nicht zu den Aktionstagen kommen kannst/willst, die
Idee aber unterstützenswert findest: Wir freuen uns über zeitgleiche Aktionen anderswo und
natürlich Geld- oder Sachspenden (auch leihweise Handy’s,
Laptop, Fax, Modem...)
Der Schwerpunkt der Aktionstage
liegt nicht darin, Aktionen vorzubereiten, sondern den Rahmen
für deren Umsetzungen zu bieten. Dies bedeutet, daß von den
teilnehmenden Frauen/Lesben bereits welche mit Plänen und praktischen Vorstellungen anreisen
müssen. Den Abschlußtag am
5.7. werden wir in Zittau verbrin-
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
BÜRGERKRIEG
Presseerklärung
Förderverein
Niedersächsischer
Flüchtlingsrat e. V.
Nds. Flüchtlingsrat - Lessingstr. 1 - 31135 Hildesheim
25.05.1998
Flüchtlingsrat protestiert gegen erneute Abschiebungen nach Kosova
Restriktive deutsche Asylpolitik nimmt Mißhandlungen und selbst Tote in Kauf
Holland gewährt in Deutschland abgelehnten Flüchtlingen Asyl
Nur wenige Tage nach dem Treffen zwischen dem serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic und der albanischen Führung um Ibrahim Rugova sind auch über die vergangenen Tage
Kampfhandlungen aus Kosova gemeldet worden. Erbitterte Kämpfe fanden u.a. um die Gemeinde Glirevo zwischen Kila und Prishtina statt. Die Region wurde vollkommen abgeriegelt, der Zugang für ausländische Berichterstatter verweigert. Als sicher gilt, daß auf beiden
Seiten Menschenleben zu beklagen sind. Eine Beruhigung der Lage ist nicht in Sicht. Trotzdem wird auch aus Niedersachsen weiterhin in den Kosovo abgeschoben.
Noch im März hatte sich Innenminister Gerhard Glogowski mit seinem Entschluß, vorerst
nicht mehr nach Pristina abzuschieben, weit aus dem Fenster gelehnt und auch die andere
SPD-regierten Länder dazu aufgefordert, es ihm gleich zu tun. Alarmiert hatte ihn die Information, daß sich unter den Toten des Massakers von Drenica auch ein aus Deutschland abgeschobener Greis befunden hatte. Die Gewissensbisse des niedersächsischen Innenministers währten leider nur drei Tage. Nach Gesprächen mit dem Bundesinnenministerium zog
Glogowski sich auf den Standpunkt seiner SPD-Kollegen zurück, eine Rückkehr sei zumutbar.
Mit der Dauerhaftigkeit der Kampfhandlungen haben die Übergriffe auf Rückkehrende zugenommen. Da die deutschen Behörden - wie mit Belgrad vereinbart - sowohl den freiwillig
Ausreisenden als auch den Abgeschobenen ein „A“ in die Papiere stempeln, trägt augenblicklich jeder aus Deutschland Zurückkehrende das Signum eines Staatsfeindes und wird
entwürdigenden Verhörmaßnahmen ausgesetzt. Zum Teil werden die Menschen unmittelbar an den Flughäfen für unbestimmte Zeit inhaftiert; die meisten Mißhandlungen geschehen jedoch auf den örtlichen Polizeidienststellen, zu denen die Flüchtlinge nach ihrer Ankunft vorgeladen werden.
Trotz des dringlichen Appells des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen
(UNHCR) an die europäischen Staaten, aufgrund des explosiven politischen Klimas in Kosova
von jeglichen Abschiebungen abzusehen, konnte sich die Innenministerkonferenz am 8.
Mai nicht zu einem Abschiebungsstopp durchringen. In Niedersachsen droht jetzt die Aufhebung jenes MI-Erlasses, der bislang zumindest für Familien mit Kindern ein Aussetzen von
aufenthaltsbeendenden Maßnahmen vorsieht.
Wie restriktiv die deutsche Asylpolitik geworden ist, wird auch im Vergleich zu unserem
Nachbarland Holland deutlich: Dort erhalten Flüchtlinge aus Kosova viel häufiger Asyl und
Abschiebungsschutz als in der Bundesrepublik. Selbst Flüchtlinge, die in Deutschland abgelehnt wurden, haben nach der sog. „Es sei denn - Klausel“ des niederländischen Asylrechts
unter Umständen eine Chance: Dies bedeutet, daß bei Flüchtlingen, die zuvor schon einen
Asylantrag in einem Schengener bzw. Dubliner Vertragsstaat gestellt hatten, dennoch ein
Asylverfahren in Holland durchgeführt wird, wenn in ihrem Fall die Rechtsprechung in
Holland zu einem positiven Ergebnis kommen würde. Chancen auf ein Bleiberecht haben
z.B. Deserteure und Kriegsdienstverweigerer aus Restjugoslawien - Kosova, auch wenn ihre
Asylanträge in Deutschland bereits rechtskräftig abgelehnt wurden.
55
BÜRGERKRIEG
KosovoalbanerInnen:
nach Holland?
Bayerischer Flüchtlingsrat
Presseerklärung, 19. Mai 1998
* Beckstein, Milosevic - jeder hat
seinen Freund
* Bayerischer Flüchtlingsrat informiert über Fluchtmöglichkeiten
aus Bayern nach Holland
* Am 20. Mai wieder Massenabschiebung vom Flughafen München
Nur wenige Tage nach dem Treffen zwischen dem serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic und
der albanischen Führung um
Ibrahim Rugova sind auch über
das vergangene Wochenende
Kampfhandlungen aus Kosova
gemeldet worden. Erbitterte
Kämpfe fanden um die Gemeinde Glirevo zwischen Klina und
Prishtina statt. Die Region wurde
vollkommen abgeriegelt, der Zugang für ausländische Berichterstatter verweigert. Als sicher gilt,
daß auf beiden Seiten Menschenleben zu beklagen sind.
Der Hohe Flüchtlingskommissar
der Vereinten Nationen (UNHCR)
bedrängte in einem eindringlichen Appell erneut die Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie der
Schweiz, aufgrund des explosiven
politischen Klimas in Kosova von
jeglichen Abschiebungen abzusehen, die Sicherheitslage habe sich
weiter verschlechtert.
Mit der Dauerhaftigkeit der
Kampfhandlungen haben die
Übergriffe auf RückkehrerInnen
systematischeren Charakter angenommen. Da die deutschen
Behörden - wie mit Belgrad vereinbart - sowohl den freiwillig
Ausreisenden als auch den Abgeschobenen ein “A” in die Papiere
stempeln, trägt augenblicklich jede/r aus Deutschland Zurückkehrende das Signum eines Staatsfeindes und wird entwürdigen56
den Verhörmaßnahmen ausgesetzt, um so an Informationen
über Auslandsaktivitäten des albanischen Widerstands zu gelangen. Zum Teil werden die Menschen unmittelbar an den Flughäfen für unbestimmte Zeit inhaftiert; die meisten Mißhandlungen geschehen jedoch auf den
örtlichen Polizeidienststellen, zu
denen die Flüchtlinge nach der
Ankunft vorgeladen werden.
Michael Stenger, Sprecher des
Bayerischen Flüchtlingsrates, erklärte am heutigen Dienstag gegenüber der Presse in München,
daß Abschiebungen erwiesenermaßen zu Mißhandlungen führten - bis hin zu grausamem
Mord. Stenger: “Mittlerweile hat
die Angst vor erneuter Verfolgung nach der Rückkehr derart
um sich gegriffen, daß eine hohe
Anzahl der Abgeschobenen bei
erster Gelegenheit untertaucht.
Durch jede weitere Abschiebung
nach Kosova bestätigt die deutsche Innenpolitik, allen voran der
bayerische Innenminister Günter
Beckstein, Milosevic darin, seine
Bosnientaktik auch in Kosova
fortzuführen. Heute ein diplomatisches Häppchen, morgen militärisch (bzw. staatspolizeilich)
zuschlagen. Eine fürwahr unheilige Allianz angesichts einer ansonsten traditionell antiserbischen deutschen Politik.”
Der bayerische Flüchtlingsrat
sieht aufgrund dieses unbelehrbaren Verzichts der Politik auf
den Schutz der Unversehrtheit an
Leib und Leben von (bestimmten)
Menschen die Notwendigkeit gegeben, alle Wege aufzuzeigen,
die einen Schutz vor den menschenrechtswidrigen Abschiebungen erhoffen lassen.
Holland - eine Fluchtmöglichkeit
aus Bayern
Es ist nicht verwunderlich, daß
Flüchtlinge aus Restjugoslawien Kosova, die in Deutschland kurz
vor der Abschiebung stehen, immer häufiger versuchen, in anderen Ländern doch noch Schutz
vor Verfolgung zu finden.
Zumindest was Holland betrifft,
bestehen dafür gewisse Erfolgsaussichten. Im Gegensatz zu den
deutschen Gerichten geht die
niederländische Rechtsprechung
viel häufiger von einer politischen
Verfolgung bzw. einer Rückkehrgefährdung dieser Flüchtlinge
aus. Zudem findet sich im niederländischen Asylrecht eine sog.
“Es sein denn - Klausel”. Dies bedeutet, daß bei Flüchtlingen, die
zuvor schon einen Asylantrag in
einem Schengener bzw. Dubliner
Vertragsstaat gestellt hatten,
trotzdem auch noch ein Asylverfahren in Holland durchgeführt
wird, wenn in ihrem Fall die
Rechtsprechung in Holland zu einem positiven Ergebnis kommen
würde. Diese Verfahren dauern in
Holland in der Regel zwischen 3
und 9 Monaten. Chancen auf ein
vorübergehendes Bleiberecht
bzw. auf eine Anerkennung als
Asylberechtigte/r haben z.B. Deserteure und Kriegsdienstverweigerer aus Restjugoslawien-Kosova, auch wenn sie bereits erfolglos in der BRD Asylanträge gestellt hatten. Voraussetzung ist,
daß in Deutschland das Asylverfahren abgeschlossen ist, bzw.
ein Abschiebeschutz nicht mehr
besteht.
Eine legale Einreise nach Holland
ist in aller Regel ausgeschlossen.
Ein Asylgesuch muß bei einem
“AC” (Aanmeldcentrum) gestellt
werden. Flüchtlinge, die aus
Deutschland kommen, melden
sich normalerweise im grenznahen AC Zevenaar. Es befindet sich
hinter dem Bahnhof in der Spoorstr.
Vor kurzem war ein Vertreter des
Bayerischen Flüchtlingsrates in
Holland. Er konnte mit einem Kosovoalbaner sprechen, der sich
für eine Weiterwanderung nach
Holland entschieden hatte. Auf
die Frage, wie er denn ohne Visum nach Holland gekommen ist,
sagte er: “So wie viele andere Kosovoalbaner: Freunde haben mich
mit dem Auto nach Holland gefahren und in der Nähe des AC
Zevenaar abgesetzt.”
Am Mittwoch, den 20. Mai, ist
wieder eine Massenabschiebung
vom Flughafen München angesetzt. “Solange Bayern an seiner
rücksichtslosen Abschiebepraxis
festhält, wird der Bayerische
Flüchtlingsrat auf die Möglichkeit
der Weiterwanderung nach
Holland hinweisen”, so Michael
Stenger.
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
ANTI-DISKRIMINIERUNG
Aufruf zur Mitarbeit
Niedersächsische Anti-Diskriminierungs- Melde- und Interventionsstelle.
Gudrun Mane
Im Rahmen der Recherche in unserem Projekt anläßlich des Europäischen Jahres gegen Rassismus sind wir unter anderem darauf gestoßen, daß ein großes
Manko der antirassistischen Arbeit in der Bundesrepublik darin
besteht, daß es kaum Stellen
gibt, die Diskriminierungsfälle im
Alltag systematisch aufnehmen
und in Einzelfällen auch intervenieren. Zwar gibt es einige lokale
antirassistische Telefone, die sich
dieser Aufgabe stellen, doch
kann man weder von einem auch
nur annähernd flächendeckenden
Netz solcher Stellen reden, noch
gibt es überregionale Institutionen in diesem Bereich. Einige der
antirassistischen Initiativen arbeiten rein auf der theoretischen
Ebene und haben zu den Opfern
von Rassimus und Fremdenfeindlichkeit wenig Kontakt.
Auf der anderen Seite erfahren
die Initiativen in der Migrationsund Flüchtlingsarbeit immer wieder von Diskriminierungsfällen,
haben jedoch für die Bearbeitung
solcher Fälle kein Instrumentarium und keine Stelle, die sie bezüglich solcher Fragen ansprechen können.
Der Flüchtlingsrat plant die Einrichtung einer Anti-Diskriminierungs- Melde und Interventionsstelle.
Vor diesem Hintergrund wollen
wir, angegliedert an unsere Geschäftsstelle eine landesweite Anti-Diskriminierungs-Melde- und
Interventionsstelle aufbauen. Um
hierfür die nötigen Mittel zu
aquirieren, haben wir bereits einen entsprechenden Antrag an
die Kommission der EU gestellt.
Wenn die Mittel bewilligt werden, können wir im Dezember
diesen Jahres mit der Einrichtung
einer Meldestelle mit zwei MitarbeiterInnen beginnen.
Das Projekt soll in Zusammenar-
beit mit Partnern in anderen europäischen Ländern durchgeführt
werden. Zu Beginn des Projektes
sollen zunächst die Erfahrungen
der Projektpartner in den Niederlanden und England nutzbar gemacht werden, wo die AntiDiskriminierungsarbeit bereits
stärker verankert ist. Gegen Ende
des Projektjahres soll es eine Konferenz der Projektpartner zum
Austausch über die Arbeitskonzepte geben.
Für ein realistisches Bild über Formen und Ausmaß von Rassismus
ist auch eine Dokumentation von
Diskriminierungsfällen notwendig.
Die Diskriminierungsfälle, die uns
gemeldet werden, sollen systematisch erfaßt und dokumentiert
werden. Auch über die Art und
den Erfolg unserer Interventionen
wollen wir Daten sammeln. Alle
relevanten Informationen sollen
dem Beauftragten der Beobachtungsstelle für Rassismus und
Fremdenfeindlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung gestellt werden, um so
zu einem vollständigeren Bild des
tatsächlichen Ausmaßes von Rassismus in der Bundesrepublik
Deutschland beizutragen.
Die systematische Erhebung der
Diskriminierungsfälle erscheint
uns insbesondere wichtig, da sie
erstmals ein realistisches Bild
über das Ausmaß von Rassismus
vermitteln kann, zumal in den offiziellen Statistiken nur gewalttätige Übergriffe oder rechtsextreme Aktivitäten erfaßt werden.
Die Vielzahl von Diskriminierungen im Alltagsleben, auf dem
Wohnungs- und Arbeitsmarkt
oder im Schulwesen werden hingegen nicht systematisch erfaßt
und unserer Einschätzung nach
noch nicht einmal ernst genommen.
Die Bundesrepublik braucht ein
Antidiskriminierungsgesetz!
Neben der Dokumentation von
Diskriminierungsfällen und der
Intervention in Einzelfällen soll
die geplante Meldestelle Öffentlichkeitsarbeit - vor allem zur Einführung einer umfassenden Antidiskriminierungsgesetzgebung leisten. Es gilt hier, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, daß
eine Gleichbehandlung von Menschen verschiedener Herkunft,
Hautfarbe, Religion und/ oder
Kultur nicht nur wünschenswert
ist, sondern daß es auch gesetzlicher Regelungen bedarf, um dieses Prinzip wirklich durchzusetzen. Es gilt darzustellen, daß die
Erfahrungen in anderen Ländern
mit einer solchen Gesetzgebung
tatsächlich meßbare Fortschritte
auf diesem Gebiet belegen.
Wir wollen unsere Antidiskriminierungsarbeit in engem Kontakt
mit der Basis konzeptionieren
und durchführen
Unabhängig von der Entscheidung über den Finanzantrag
wollen wir jedoch bereits jetzt
damit beginnen, mit allen Interessierten in einen Austausch zu
treten, um konzeptionelle Vorüberlegungen für diese Arbeit zu
beginnen. Daher rufen wir hiermit dazu auf, mit Ideen beizutragen. Wer Interesse an einem Arbeitskreis zur Antidiskriminierungsarbeit in Niedersachsen hat,
möge sich bitte in der Geschäftsstelle des Flüchtlingsrates melden. Auch werden wir bereits zu
diesem Zeitpunkt Berichte über
rassistische Diskriminierungen
und über antirassistische Arbeit
sammeln. Wir hoffen, daß es mit
vereinten Kräften gelingen wird,
die Antidiskriminierungsarbeit
voranzutreiben.
57
BÜRGERKRIEG
Ne znam.
Ich weiß nicht, wie es weitergeht.
Heike Mahlke
Liebe Redaktion vom “Flüchtlingsrat”, meine Frau Heike Mahlke, die seit mehr als 4 Jahren hier
im Wendland die Initiative »den
Krieg überleben - Regionalgruppe
Wendland« leitet, ist zZt in Bosnien, um vor Ort zu erfahren, welche Möglichkeiten der Rückkehr
es gibt für die etwa 40 Bosnier,
die hier bei uns sind. Sie hat mir
den folgenden Aufsatz gefaxt
und gebeten, ihn an Euch weiterzuleiten mit der Bitte um Veröffentlichung.
Freundliche Grüße Gottfried
Mahlke
Ne znam.
Ich weiß nicht, wie es weitergeht.
Zwei Jahre sind vergangen, seit
ich in Sanski Most, in Bosnien gewesen bin als Vertreterin der Initiative „Den Krieg überleben, Regionalgruppe Wendland“. Nun
bin ich wieder in der Stadt. Ich
möchte Menschen treffen, die als
Flüchtlinge im Wendland gelebt
haben und von unserer Initiative
betreut worden sind, und ich
möchte mich informieren über
Möglichkeiten für diejenigen, die
in diesem Sommer aus dem
Wendland nach Bosnien zurückkehren müssen. Mich interessieren Begegnungen und Gespräche, um etwas zu erfahren
über die Lebenssituation der
Menschen hier.
1996 hatte uns der Bürgermeister der Stadt gesagt: „Die Familien, die bei Ihnen leben, können
alle nach Sanski Most kommen.“
Zu der Zeit lebten 30.000 Menschen in der Stadt, etwas weniger als halb so viel wie vor dem
Krieg. Heute, zwei Jahre später,
ist die offizielle Zahl bei 65.000
angelangt, die inoffizielle Zahl
liegt bei 70.000 EinwohnerInnen.
Diese Menschen sind zu einem
großen Teil Flüchtlinge. Sie kommen aus 72 Orten der jetzigen
58
Republik Srpska, in die sie noch
nicht zurückzukehren wagen. Die
Stadt ist überfüllt. Es gibt keinen
Wohnraum mehr. In vielen Gesprächen geht es um die Frage:
Was passiert, wenn im Sommer
noch tausende von Flüchtlingen
aus Deutschland nach Sanski
Most kommen werden? Ich frage
meine Gastgeberin: „Was wird
sein, wenn im Sommer Dein Bruder mit Familie zurückkehren
muß?“ - „Ne znam. Ich weiß
nicht.“
Die meisten Familien wohnen
schon so beengt, daß ein Zusammenrücken nicht mehr möglich
ist. Niemand wagt darüber nachzudenken, daß es die eigenen
Verwandten treffen könnte, im
Auffanglager untergebracht zu
werden. In Sanski Most werden
mit Ferienbeginn Schulen für
zurückkehrende Flüchtlinge
geöffnet. Ich frage Ado: „Meinst
Du, daß nach den Ferien für Euch
die Schule weitergeht?“ Er zuckt
die Schultern: „Ne znam.“
Seit ich hier bin, geht mir nicht
der Brief des Niedersächsischen
Innenministers Glogowski aus
dem Sinn, den er im März dieses
Jahres an die bosnischen Flüchtlinge in Niedersachsen geschrieben hat. Er fordert sie darin auf,
in ihr Land freiwillig zurückzukehren, weil die deutsche Bevölkerung es von ihnen erwartet und
auch die eigenen Landsleute, andernfalls droht er die Abschiebung an.
Herr Glogowski irrt. Die Menschen hier fürchten sich davor,
daß sich ihre Situation durch diejeneigen, die zurückkehren, noch
weiter verschlechtern wird. Viele
Menschen, denen ich begegne,
erzählen mit großer Wärme von
ihrer Zeit in Deutschland und den
Menschen, die sie dort aufgenommen haben und gleichzeitig
von der schlimmen Erfahrung,
nun an einem Ort zu sein, der
nicht ihre Heimat ist, ohne genügend Wohnraum, ohne Arbeit,
mit wenig oder gar keinem Einkommen.
Ein Freund führt mich zu Fatima.
Bewegt fallen wir uns in die Arme. Sie kramt die Fotos aus dem
Wendland hervor. Die Menschen
in der Initiative konnten ihr die
schlimmen Kriegserfahrungen
nicht nehmen, aber sie konnten
ihr helfen, den Alltag zu bewältigen. Jetzt lebt Fatima mit ihrem
Sohn in einem Zimmer. Sie ist alt,
herz- und zuckerkrank. Sie hat
Wasser in den Beinen und kann
kaum laufen. Fatima bekommt
kein Geld. Sie kann sich nicht
krankenversichern. Bisher hat sie
von der finanziellen Unterstützung ihrer Kinder in Deutschland
gelebt und Medikamente kaufen
können. Wenn als letzte im Sommer die Tochter zurückkehren
muß, gibt es kein Geld mehr.
Und dann? „Ne znam.“ Fatima
ist kein Einzelfall.
Der größte Teil der Menschen
hier lebt von der Unterstützung
von Verwandten im Ausland.
Die Arbeitslosigkeit liegt zwischen
80 und 90 %. Wenige Fabriken
haben ihren Betrieb wieder aufgenommen. Da es kein Geld gibt,
um Maschinen zu reparieren, arbeiten sie zu 30 %. Die humanitäre Hilfe ist deutlich zurückgegangen. Flüchtlinge, die nach
dem 1. Juli 1997 nach Sanski
Most gekommen sind, erhalten
keine Zuwendungen vom UNHCR
(Hoher Flüchtlingskommissar der
Vereinten Nationen). Emira hat in
den letzten beiden Monaten ihre
Rente von 70,- DM nicht mehr
bekommen und macht sich Sorgen, wie sie die 100,- DM für Insulin jeden Monat aufbringen
soll.
Nasiha hat seit zwei Monaten
keinen Lohn erhalten, obwohl
sie in einer Holzfabrik Schwerstarbeit leistet. So ist in allen Gesprächen neben dem knappen
Wohnraum das fehlende Geld
das beherrschende Thema.
Der stellvertretende Leiter des Sozialamtes, den wir schon 1996
als einen sehr engagierten Mann
kennengelernt haben, hat uns
berichtet, daß das Gesundheitswesen und die sozialen Strukturen noch große Mängel aufweisen. Die Rückkehr von alten Menschen, von kranken und behinderten und von alleinstehenden,
älteren Frauen stellen für die
Stadt ein unüberwindbares Problem da. Es gibt für sie keine Einrichtungen, die sie aufnehmen
könnten. Darüberhinaus gibt es
gerade für diesen Personenkreis
keine Krankenversicherung. Wer
soll Arzt- bzw. Krankenhaus kosten und Medikamente bezahlen? Ein drittes Thema schleicht
sich beinahe in jedes Gespräch
ein. Es ist die Sehnsucht, in die
Heimat zurückkehren zu können.
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
BÜRGERKRIEG
Viele Menschen in Sanski Most
haben ihre Heimatorte im serbisch
besetzten Teil von Bosnien inzwischen besucht und mit denjenigen gesprochen, die in ihren Häusern leben. Oft sind es serbische
Flüchtlinge aus Kroatien oder aus
Gebieten Bosniens, in die sie wiederum nicht zurück können. Die
Erfahrungen sind unterschiedlich:
von freundlichen Gesten bis zu
grober Abweisung.
Entsprechend unterschiedlich sind
auch die Einschätzungen, wann
es möglich sein wird, in die Heimatstadt bzw. das Heimatdorf
und das eigenen Haus zurückkehren zu können.
Die Sehnsucht ist groß und die
Angst sitzt tief. „Was meinst Du,
wann wirst Du nach Dubica
zurückkehren können?“ frage ich
Tajba. „Ne znam“, antwortet sie
traurig und versucht die Tränen zu
verbergen.
Manchmal ertappe ich mich nach
Gesprächen, die von Resignation
und Hoffnungslosigkeit geprägt
sind, daß ich nach Hoffnungszeichen suche.
Für mich ist ein solches Hoffnungszeichen, die engagierte Arbeit des stellvertretenden Leiters
des Sozialamtes. Als ehemaliger
Sonderschullehrer versucht er neben seiner alltäglichen, zermürbenden Arbeit Projekte ins Leben
zu rufen für sprachbehinderte und
verhaltensgestörte Kinder. Hoffnungszeichen sind für mich die 3
Mitarbeiterinnen beim Malteser
Hilfsdienst. Geduldig und freundlich hören sie sich immer wieder
die schlimmen Kriegserfahrungen
von Menschen an, die zu ihnen
kommen und um Rat fragen. Sie
organisieren Gesprächskreise für
Frauen, vermitteln rechtliche Un-
Ziel:
Vor dem Hintergrund auslaufender Duldungen bosnischer Flüchtlinge aus der Republik Srbska so
viel wie möglich Informationen
über dieses Gebiet um den Raum
BANJA LUKA zu erhalten.
Schwerpunkt war die Ermittlung
der Verhältnisse nach dem Umzug der Regierung von Pale nach
Banja Luka.
UNHCR BANJA LUKA,
- Radiojevic Radivoje, stellvertr.
Flüchtlingsminister der Republik
Srbska,
- stellvertr. Bürgermeister der „offenen Gemeinde“ Laktasi,
- moslem. Hilfsorganisation Merhamet, BANJA LUKA,
- Besichtigung eines Projektes zur
Förderung von Frauen (Hillary
Clinton),
- Bürgermeister u. Stellvertreter
der Stadt Doboi-Ost,
- Entwicklungsgesellschaft Tuzla
als Teil der Gesellschaft für Techn.
Zusammenarbeit,
- Transit-Flüchtlingslager SredniJE,
- Arbeitsstab Scheele in SARAJEVO,
- Deutscher Botschafter in Sarajevo, Herr Graf von Bassewitz,
- Deutsches Beratungsbüro für
rückkehrfördernde Maßnahmen
und Hess. Verbindungsbüro SARAJEVO,
- Büro des Hohen Repräsentanten
(OHR) SARAJEVO
- Frau Bärbel Bohley (Verantwortl.
für das Dacherneuerungsprogramm),
- Eduard Hoffmann, Repräsentant
der Deutschen Wirtschaft in Bosnien-Herzegowina,
- Mehmed Alagic, General und
Oberbürgermeister der Stadt
SANSKI MOST..
Teilnehmer:
Vertreter/Innen folgender Organisationen und Institutionen haben
an der Reise teilgenommen: (Teilnehmerliste siehe Anlage)
- Verwaltungen der Länder Hessen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen
- Landtagsabgeordnete aus Hessen und Rheinland-Pfalz
- Malteser Werke
- Caritasverband Mainz
- Diakonisches Werk Hessen und
Nassau
- Flüchtlingsräte
- Hessischer Verwaltungsgerichtshof Kassel
Gesprächsteilnehmer und Anlaufpunkte:
- Bischof (röm. kath.) Dr. Franjo
Komarica, BANJA LUKA,
- Thomas Reuter, Leiter des Malteser Hilfsdienst Bosnien,
- Axel Bisschop, Program Officer
terstützung, weisen Ratsuchenden
Wege, wo sie vielleicht Hilfe bekommen können. Auch die beiden Frauenorganisationen „KRAJISKA SUZA“ und „SRCEM DO MIRA“ sind für mich ein Hoffnungszeichen in ihrem Bemühen, Frauen zu helfen, mit ihren schrecklichen Kriegserfahrungen fertig zu
werden und Schritte des Friedens
aufeinander zu zugehen.
Damit diese Hoffnungszeichen eine Chance haben, ist es nötig,
daß die europäischen Länder, vor
allem die Bundesrepublik Deutschland, in diesem Jahr keine
zwangsweise Rückführung der
Flüchtlinge durchführen und stattdessen die freiwillige Rückkehr der
Flüchtlinge behutsam und gemessen an den realen Lebensbedingungen in Bosnien fördern.
Sanski Most, 14.5.98
Heike Mahlke
FLÜCHTLINGSRAT SCHLESWIG-HOLSTEIN
Oldenburgerstr. 25, 24143 Kiel,
Tel 0431-735000 Fax 0431-736077
Bericht über eine Reise
Nach Bosnien-Herzegowina und
die Republik Serbien
01.03. - 07.03. 98
Reiseroute:
Bihac - Bosanska Krupa - OTOKA
- BOSANSKI NOVI - Prijedor - Kozarac - BANJA LUKA - Laktasi Derventa - Doboi/Klocotnica Tuzla - Srednica - SARAJEVO - Pale - TRAVNIK - DONJ VAKUF - Jajce - Kljuc - Sanski-Most - Bihac.
Die Häuser an der Frontlinie Bosanska-Krupa/Otoka sind teilweise wieder aufgebaut, dennoch
sind immer noch viele Häuser
zerstört oder stehen als Ruinen
völlig offen.
59
BÜRGERKRIEG
Bosanska Krupa:
Zahlreiche Wiederaufbauten und
Renovierungen heben den bei
der letzten Reise entstandenen
Eindruck einer totalen Zerstörung
- besonders im Zentrum - wieder
auf. Die Moschee ist wieder aufgebaut.
PRIJEDOR:
Einwohner 70.000, Flüchtlinge
40.000, überwiegend aus der
Kraina und der Förderation.
Im zentralen Kaufhaus der Stadt
vorwiegend leere Regale, ungeheizt und unbeleuchtet. Die Kinder der Flüchtlinge werden „Tschetniks“ genannt, Stigmatisierung
erfolgt durch Dialekt und den
Flüchtlingsstatus. Die Häuser sind
weitgehend intakt.
KOZARAC: Die Stadt hatte
12.000 Einwohner (90 % Bosniaken), sie ist zu 100 % zerstört.
Ein Vetriebener aus Westslawonien, von Beruf Bauschlosser, sein
Haus dort ist zerstört, alle Verwandten tot, versucht ein Haus
für Serben bewohnbar zu machen. Dies dürfte nur noch bei einigen wenigen Häusern gelingen.
Strecke Prijedor-Banja-Luka - hohe Zerstörung der Gebäude
(überwiegend Kategorie 6 Neuaufbau notwendig).
BANJA LUKA:
Bischof Dr. Komarica: „Haß ohne
Boden nutzt niemandem. Die
Hälfte der Kroaten in BANJA LUKA ist vertrieben. Von 35.000
Kroaten vor dem Kriege sind nur
6.000 geblieben. Von diesen sind
60 % über 70 Jahre alt, sie sind
auf die Hilfe der Caritas angewiesen.“
Er hofft auf Unterstützung durch
Außenminister Kinkel. Der Bischof
plädiert für ein Heimatrecht für
Serben und Kroaten. Die Unentschlossenheit der internationalen
Vertreter behindert den Regulierungsprozeß. Die Deutschen
könnten die „erwünschte“ Ordnung bringen. „Aufbauhilfen
stärken das Regime - ist Serbien
darüber hinaus bereit, Strukturen
zu verändern?“ Unsere Betrachtungsweise und das Umsetzen
demokratischer Strukturen ist
grundsätzlich verkehrt weil „die
Leute das nicht verstehen“. Wir
verlängern dadurch nur die be60
stehende Situation, Entschlossenheit ist notwendig. Wir fördern
die negative Entwicklung, aber
„multikulturelles Leben muß
möglich sein“. „Wir wollen einen
bürgerlichen Staat, die neue Regierung Dodik nicht“.
„Das Eigentumsgesetz ist Hohn Flüchtlinge und Vertriebene wohnen in fremden Häusern und der
Vermieter (Staat) kassiert. „Die
serbischen Führer haben sich an
den eigenen Leuten und den
Nachbarn schuldig gemacht“.
Viele Binnenvertriebene besetzen
die Häuser von Kroaten und Bosniaken.
Serben könnten ohne weiteres in
ihre Heimatorte Sipovo, Bosanski
Petrovac und Mirkonjic Grad
zurückkehren.
„Die Republik Serbien ist kein
Rechtsstaat, warum haben die
Verantwortlichen keine Kompetenzen, angeordnete Maßnahmen durchzuführen? Seit dem
24. Aug. 95 ist ein Pastor entführt worden, wir wissen, daß er
in einem Privatgefängnis gehalten wird. Allen ist dies bekannt keiner unternimmt etwas. Solange nur Pflaster aufgelegt werden,
statt die Wunden zu heilen, legt
dies den Grund für eine neue Katastrophe“.
„Unterstützung ist notwendig
und soll geleistet werden, aber
knallharte Politik mit Forderungen
und Auflagen. Es geht um das
Prinzip unserer Zivilisation!“
„Der Bürgermeister hat sich für
eine offene Stadt erklärt, mit freiem Zugang, Wohnungsinstandsetzungsprogramm usw. Wir erwarten dies für diese Stadt. Es ist
unbedingte Notwendigkeit, erst
Vorbedingungen zu schaffen,
dann Flüchtlinge zurückzuschicken! Die Hilfeleistungen
müssen an klare Vorbedingungen
geknüpft sein. Sie schicken die
Menschen zu ihren Henkern
zurück.“ (Beispiel von Fuchs und
Hühnern).
„Die Schaffung eines Büros für
Rückkehrer hat uns neue Hoffnung gegeben. Vorrang müssen
Menschen haben, die in ihre eigenen Häuser zurückkehren. Es
gibt viele Leute, die eigene Häuser in anderen Gebieten haben
und in fremden Häusern in BANJA LUKA leben.“
Menschen, die in Häusern der
Kategorie 5 und 6 leben, sind
doppelt bestraft. Einerseits stehen sie vor einem völlig zerstörten Haus, andererseits wurde bis
jetzt für die Kategorie 5 und 6
kein housing-program realisiert.
Es besteht dringender Handlungsbedarf. In mehr als 30 Fällen haben Kroaten gerichtlich die
Rückkehr in ihre Häuser erstritten, die Urteile seien aber nicht
vollstreckt.
„Diese Leute müssen zurück in
ihre eigenen Häuser. Rückkehrwilligen soll der Aufbau ihrer eigenen Häuser ermöglicht werden.
Viele Serben haben sich in Kroatien schuldig gemacht, deshalb
wollen sie nicht zurückkehren.
Weil dies so ist, läßt man kaum
Kroaten nach BANJA LUKA
zurück. Es darf keine Quotierung
geben, allen Rückkehrwilligen
muß erlaubt sein, zurückzukehren! Die Politiker wollen keine
Serben nach Kroatien zurückschicken, damit Kroaten nicht
zurückkommen können. Dies verfestigt die ethnische Säuberung.“
„Die Eröffnung eines kroatischen
Generalkonsulates in BANJA LUKA steht bevor. Dort können in
Zukunft rückkehrwillige Serben
für die Kraina Pässe erhalten.
Weil der Druck der BRD und von
anderen nicht stark genug ist,
schickt die BRD in ethnische
Mehrheitsgebiete zurück. Das ist
ethnische Säuberung festgeklopft
mit Hilfe der BRD!“
„Kroaten und Muslime haben in
der Schwerindustrie und in Fabriken gearbeitet (Fa. Salamander).
Es gibt keine Rückkehraufforderung für sie aus BANJA LUKA, die
Arbeiter fehlen. Sie (die Hilfsorganisationen) geben Geld für das
Fernsehen, ohne diese Bevölkerungsgruppen zu berücksichtigen. Ohne Gegenstimme glaubt
die Bevölkerung die Versionen
der Regierung.“ So darf der Präsident der Kraina-Posavina-Serben
ungestraft polemisieren und erklären, daß kein Kroate zurückkehren darf, ohne daß sich eine
Gegenstimme erhebt. Der Bischof
selbst wird „totgeschwiegen“.
Thomas Reuter: „Vorrang hat die
Rückkehr von <internal displaced
persons> - damit muß die Rück-
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
BÜRGERKRIEG
kehr von Flüchtlingen aus dem
Ausland zurückgestellt werden.“
165.000 sollen zurück in die Republik Serbien, davon 130.000
Muslime. UNHCR schätz 800.000
Vertriebene innerhalb Bosniens,
noch 650.000 Flüchtlinge leben
in Drittländern.
Er spricht sich für eine „interne“
Erlaßregelung aus, die die Reihenfolge der Abschiebungen
festlegt. Geographisch/Minderheit/Majorität? Die Rückkehrberatungsstelle in BANJA LUKA bietet
Auskunft und Beratung für Einzelpersonen.
Es gibt Schwierigkeiten bei der
Zusammenarbeit der NGO´s mit
dem Deutschen Beratungsbüro,
keine formelle Zusammenarbeit
mehr, aber sehr wichtiger Ansprechpartner trotz Schwierigkeiten.
Platz für die Rückkehr vertriebener Kroaten und Muslime nach
BANJA LUKA schaffen würden.
Probleme bestehen für Rückkehrer, die ihre Wohnung besetzt
vorfinden.
haben ein (jedoch noch nicht offizielles) Konsulat. Man erwartet
von der neuen Regierung, daß sie
ihre Zusagen wahr macht. Voreiliger Optimismus ist unangebracht.
Die Erklärung zur „offenen Stadt“
bedarf der Verifizierung durch
UNHCR. LAKTASI hat die Verifizierung am Vortage erhalten. Dort
befinden sich innerhalb der Gemeinde 50.000 Vertriebene. 60
% der in den Flüchtlingszentren
lebenden sind über 60 Jahre alt,
scheiden also für das Erwerbsleben aus. Die Regierung will diese
Menschen aus den Sammelunterkünften (collective centers) in
freiwerdenden Wohnungen unterbringen. Der UNHCR plant für
diese Gruppe „geriatric centers“,
also Alten- und Pflegeheime.
Im Kanton UNA SANA gibt es ein
Recht für Vertriebene und Rückkehrer, zeitweilig in fremden
Häusern zu wohnen, bis der
rechtmäßige Eigentümer zurückkommt. Danach ist der Platzmangel ein riesiges Problem, auch für
Mehrheitenrückkehrer. Es gibt eine international police task force
(UN-Polizei), angestrebt sind
20.000 (?) Rückkehrer mit freier
Ortswahl und Niederlassungsrecht.
Axel Bisschop: Sein Verantwortungsbereich deckt 3 Regionen,
Kanton Una-Sana, BANJA LUKA
und einen weiteren Kanton.
Im ganzen Land besteht eine Gesellschafts- und Werteveränderung durch den Krieg. Durch den
Krieg ist die Situation entstanden,
daß 30 % der Familien keine
Kontakte mehr haben. Das Prinzip, Wohnraum freizumachen,
ruft eine Kettenreaktion hervor.
Es entsteht Druck und Einfluß auf
andere Gebiete. „Informationsreisen“ sind ungeheuer wichtig. Der
UNHCR leitet organisierte Besuche mit eigenen Buslinien. Der
neue Flüchtlingsminister der Republik Serbien stimmt den Maßnahmen des UNHCR grundsätzlich zu. Die jetzige Regierung war
nicht in den Krieg involviert, dies
macht Verhandlungen leichter.
Büros des UNHCR gibt es auch
schon in allen kleineren Städten.
Ehemals serbische Gebiete mit
Minoritäten haben Rückkehrer.
Kroatische Gebiete wie DRVA versuchen, kroatische Rückkehrer
und Übersiedler anzusiedeln, um
Rückkehrer anderer Ethnien zu
verhindern. BANJA LUKA hat viele
serbische Vertriebene aus der
Kraina. Es wird versucht, von der
kroatischen Seite Papiere für
Flüchtlinge zu erhalten, um „Informationsreisen“ in die Föderation möglich zu machen.
Die Regionen PRIJEDOR, BANJA
LUKA, DOBOI stellen das Hauptkontingent der ausländischen
Asylsuchenden. Viele sind zurückgezogen, aber nach SANSKI
MOST.
Die Wiederaufbaugruppe (RRTFreturn and reconstruction task
force) hat fünf Gebiete definiert,
um mehr Druck auf kroatische
Behörden auszuüben, Rückkehrer
aufzunehmen (minority returns).
Rückkehr in die Städte, in denen
nach den Kommunalwahlen die
Minderheit nunmehr die politische Mehrheit stellt, hat Priorität.
So ist z. B. für Drvar, Bos. Grahovo und Glamoc die Rückkehr von
ca. 10.000 vertriebenen Serben
aus dem Großraum BANJA LUKA
vorgesehen, die entsprechenden
Probleme in PRIJEDOR und SANSKI MOST entstehen nicht bei den
Rückkehrwilligen, sondern bei der
Gruppe, die eine Rückkehr verhindern will. Die vertriebenen
Kraina-Serben könnten für die
Rückkehr von Bosniaken dort
Platz schaffen. Unterkünfte und
Zustand der Häuser in der Kraina
sollen geprüft werden. Die aus
PRIJEDOR Vertriebenen warten in
SANSKI MOST auf Rückkehrmöglichkeiten.
Die neue Regierung öffnet sich
und die Grenzübergänge nach
Kroatien (Bosanska Gradiska) und
damit zu Europa. Es gibt seit der
letzten Woche eine offizielle
Fluglinie BANJA LUKA- BELGRAD
und damit weiter nach ÖSTERREICH. Das kroatische Konsulat
will ein Büro eröffnen, die USA
Radivojevic Radiovoje: Nach 96
hatte BANJA LUKA 46.000
Flüchtlinge (überwgd. aus Kroatien), in der ganzen Förderation
waren es 416.000. In der Republik Serbien gibt es 62 Zentren in
24 Gemeinden mit ca. 7042 Personen.
7 Sektoren in mehreren Verantwortungsbereichen sind vollkommen offen für Flüchtlinge, die 1.
Phase kann stattfinden. Dies bedeutet, daß Rückkehrer in die leeren Häuser kommen können, die
aber sehr beschädigt sind. Laut
UNHCR sollen 50 % für eigene,
50 % für aus dem Ausland kommende Flüchtlinge zur Verfügung
stehen
Die geplante 2. Phase der Rückkehrer ist geplant in Häuser, wo
sich Kroaten befinden. Dies geht
nur auf Basis der Freiwilligkeit,
sonst muß eine andere Unterkunft gesucht werden. Das neue
Programm umfaßt Wiederherstellung ab obere Decke, dann ein
Wohnungsbauprogramm für die
Eigentümer, die zurückkehren.
Zwischen SANSKI-MOST und PRIJEDOR gilt die Vereinbarung v.
07.02. 97 zur gemeinsamen
Rückkehr. Die Tendenz entwickelt
sich in den Gemeinden zur offenen Stadt. Für den Ort MODRICA
gibt es eine Rückkehrerliste in
Abstimmung mit der Verwaltung,
die sich nur in einem Fall schwierig gestaltete wegen Straftaten.
Es gibt eine große Rückkehrunwilligkeit Ausland-Heimat und
Stadt/Land wegen des unterschiedlich hohen Lebensstandards. Z.b. könnten 123 Rückkehrer in durch eine Schweizer
61
BÜRGERKRIEG
Organisation aufgebaute - Häuser zurück, sie gehen nicht wegen der Entfernung zur Schule
und mangelnder Ausbildungsund Arbeitsmöglichkeiten, die
Entfernung zum nächsten Krankenhaus beträgt 80 km.
Ein neues Amnestiegesetz für die
Republik Serbien und die Föderation wird vorbereitet. Alle Deserteure werden schnell nach diesem Gesetz amnestiert werden.
Zur Todesstrafe macht der Minister keine Aussage, er sei Ingenieur und kein Jurist. Es gibt ein
Gesetz der Förderation ohne Entsprechung in der Republik Srbska, eine genaue Definition wird
noch erwartet.
Es gibt eine Konferenz im März
zur Rückkehr nach BANJA LUKA
analog zur Konferenz zur Rückkehr nach SARAJEVO. Das Thema
ist die Rückkehr von Kroaten und
Moslems.
Vor der Neubesetzung durch
rückkehrende Eigentümer steht
die Situation der im Haus befindlichen Familie. Nach alternativen
Unterbringungsmöglichkeiten
wird gesucht. Die Rückkehr ist
keine politische Frage mehr, sondern eine rein wirtschaftliche.
Man kann niemanden, der ein
Haus in der Föderation hat, zwingen, aus BANJA LUKA wegzugehen. Es gibt keine Liste über diese Gruppe.
Es existiert aber ein Gesetz zum
Bezug des eigenen Hauses.
„Krainaserben werden wir hier
nicht zwingen zur Rückkehr in
die Föderation. Es bestehen noch
keine Bedingungen, die dies
möglich machen. Die Erwartung,
daß Kroaten in die Föderation
zurückkehren, ist unreal. Grund:
Ostslawonien und alle damit zusammenhängenden Probleme.“
LAKTARSI:
(Herr Caygugc) Der Präsident des
Gemeinderates hat die Stadt zur
Offenen Stadt erklärt. 1991 hatte
die Gemeinde 30.000 Einwohner,
jetzt 36.000.
Die Gemeinde hat - auch schon
im sozialistischen System - frühe
Strukturen zur privatwirtschaftlichen Initiative geschaffen. Es gab
ca. 500 kleine Unternehmen mit
50.000 Beschäftigten, nach dem
Krieg nur noch 10.000 Beschäf62
tigte. Dayton soll weiter durchgeführt werden, deshalb am 02.
03. Erklärung zur offenen Stadt,
als 4. Gemeinde der Serbischen
Republik. Eine Zeitlang hatte die
Gemeinde bis zu 15.000 Flüchtlingen, jetzt noch 6.000, davon
ca. 1200 aus SANSKI MOST und
ca. 1000 aus Kroatien. Die indirekten Schäden sind sehr groß.
Ca. 30.000 ehemalige Einwohner
anderer Ethnien haben die Häuser und Wohnungen verlassen,
diese wurden getauscht mit Objekten in Kroatien. Es gibt noch
viele ungelöste Unterkunftsprobleme der Flüchtlinge hier. Es
gibt noch 900 Vertriebene aus
Westslawonien. Wir sind nicht in
der Lage, alles allein zu lösen. Die
einzige Lösung ist die Rückkehr
der Flüchtlinge in ihre Heimatorte. Es gibt eine Liste aller Gruppen, die bei gemeinsamen Interesse einen Austausch zu erreichen. Bisher sind viele Menschen
in den Wochenendhäusern untergebracht.
Rückkehrer gibt es bisher ca. 35
Familien (Bosniaken, die temporär in anderen Häusern untergebracht werden müßten) sowie
200 kroatische Familien. Es gibt
Bedingungen für die organisierte
Rückkehr: Beschäftigungsmöglichkeit, Realisierung der Wohnbedingungen.
Der Haß in dieser Gemeinde war
geringer, es gab auch keine direkten Auseinandersetzungen.
Dies ist eine spezielle Situation,
die Geflohenen hatten/haben
dennoch in der Regel Angst. Wir
haben großes Interesse an der
Rückkehr der Flüchtlinge. Die
Rückkehr kroatischer Flüchtlinge
(nach Kroatien) ist offiziell möglich, praktisch jedoch nicht. Es ist
zusammen mit dem UNHCR ein
Fragebogen nach dem Rückkehrwunsch erstellt worden, 80 %
der Kroaten wollen nicht zurück,
der Grund ist Angst.
Andere Flüchtlinge wollen
zurück, z. B. nach DRVA 80 %,
sogar in Gruppen, weitere 30 40 % nach einem größeren Zeitraum, auch hier ist der Grund
Angst.
Im Moment gibt es ca. 1000 Beschäftigte, der Anteil der Muslime in % ist nicht erfaßt. Der Status „offene Stadt“ wurde angeregt durch internationale Organi-
sationen und durch Präsident Dodik.
Rückkehrer können nicht sofort
in ihr eigenes Haus, vorübergehend bis zum Freiwerden der
Wohnung müssen sie bis zur
Klärung der Wohnfrage in Wohnmöglichkeiten für 40 vorübergehend nutzbare Wohnungen ausweichen. Zuerst wird der Zustand
des Hauses geprüft, dann der augenblickliche Nutzer, dann woher
der Anspruchsteller gekommen
ist. Rückkehrer werden vorübergehend untergebracht, bis der
Flüchtling/Vertriebene aus seinem
Haus gehen kann. Was passiert
mit rückkehrenden Kroaten?
„Vielleicht wären sie lieber an der
Save geblieben!“
Merhamet:
(Ziedim Smajlovic)
Die Unterstützung durch die BRD
während des Krieges war wichtig
und notwendig. Vor dem Krieg
gab es auf dem Gebiet der Gemeinde BANJA LUKA 40.000 Bosniaken heute 4.000, die bis heute
geblieben sind, also etwa 10 %.
„Es war eine schwierige Zeit für
uns, aber wir haben überlebt.
Wir haben den Eindruck, daß wir
vergessen worden sind. Es ist ein
Wunder, daß 4000 übriggeblieben sind. Wir geben allen Hilfe,
¼ sind keine Moslems, die Hilfe
bekommen. WHO und ADRA,
ASB, EU, dän. und holl. Organisationen sind die Unterstützer.
Wir erhalten nur Mehl und Öl,
und das ist nicht ausreichend. Es
gibt 50 % Ältere, wenig Kinder
und damit andere Bedürfnisse.
Das am häufigsten benutzte
Wort ist Rückkehr. Die Leute, die
ihre Häuser verloren haben, können nicht hinein, sie leben daneben. Das erste Zeichen für Normalität wäre, daß Leute aus BANJA LUKA wieder in ihre Häuser in
BANJA LUKA können. So könnten
sie eine Entscheidung treffen,
hier wieder hierher zu kommen.
Wenn die Wohnungen leer sind,
kann wieder neu begonnen werden. Wohnmöglichkeiten, Sachleistungen oder Geld - so eine
Hilfe kann andere dazu bringen,
nach Hause zu kommen.“
„Wir können die Bedürfnisse der
Leute nicht befriedigen von der
Geburt bis zum Tode. Ärzte müssen mit Medikamenten in die
Dörfer, weil diese Leute dort
nicht behandelt werden.
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
BÜRGERKRIEG
Wir betreiben eine Armenküche.
Es gibt kein Fleisch. Die Älteren
haben nur dies zur Versorgung.
In Zusammenarbeit mit der EU
haben wir eine Computerschule
(4 Computer) gegründet. Es gibt
72 Teilnehmer. Wir leisten Hilfe
für Holz (Heizung)“.
„Unsere 40 Mitarbeiter erhalten
kein Geld, sie arbeiten für ein Essenspaket. Wenn möglich, nehmen wir eine monatliche Mitgliedschaftsgebühr. Da Moslems
keine Waffen haben dürfen, halten wir uns serbische Nachtwächter z. B. um die Computerschule
zu bewachen. Dies ist noch immer notwendig.“
„Nach dem Krieg sind sehr wenig
Kinder geboren worden. In der
Schule gibt es keine Diskriminierung, der einzige Unterschied ist,
daß serbische Kinder Religionsunterricht erhalten. Es findet jedoch
keine Vermittlung bosniakischer
Kultur statt.“
„Wir setzen unsere Hoffnung auf
die neue Regierung. 14 % Bosniaken sind im Stadtrat von BANJA
LUKA vertreten. Merhamet ist der
einzige Ansprechpartner für Hilfesuchende.
Früher gab es 16 Moscheen in
der Stadt, heute steht keine einzige mehr. Die Ferhatia Moschee
stand unter dem Schutz der
UNESCO, sie ist dem Erdboden
gleichgemacht. Es gibt einen Initiativkreis zur Errichtung neuer
Moscheen, dies ist ein wichtiger
symbolträchtiger Punkt.
Von 40.000 Menschen aus BANJA LUKA haben nur 1 % eine Beschäftigung. Es gibt nur die humanitäre Hilfe, am besten ist es,
wenn die Rückkehrer kommen
und sehen. Viele entscheiden
sich, trotz der widrigen Verhältnisse, zu bleiben. Viele der von
Merhamet Betreuten leiden Hunger. Soviel uns bekannt ist, liegt
die Armutsgrenze bei 2 Dollar,
DM 1 am Tag wäre schon Reichtum. Informationsreisen sind ein
gutes Mittel. Es gibt 26.000 Vertriebene in Westeuropa und dem
Ausland. (Liste vorhanden, Verein
der Freunde SANSKI MOST/BANJA LUKA: Wir denken, daß sie
zurückkehren werden. Merhamet
leistet Vereinshilfe und Hilfe für
die Mitglieder. 1997 haben
65.000 Krankenhilfe erhalten und
13.000 Personen haben Hilfe be-
kommen, dazu 14.000 Nichtbosniaken, darunter 10 Romafamilien.“
„Besetzer der Muslimhäuser kommen aus der Kraina, Eigentumsansprüche sind trotz Gerichtsverhandlung kaum durchzusetzen. Erfolgreich waren 119
Fälle seit 1996. 270 Familien und
600 Personen warten noch auf
das Ergebnis der Gerichtsverhandlung. Die Chance ist gering,
Verzögerungen sind üblich. Es
gibt wenige unparteiische Richter
und andere, die die Entscheidungen mutwillig verzögern. Menschen, die in der Stadt wohnen,
haben eine Chance durch das
Gesetz über verlassene Vermögen. Frau Plasvic hat Zusagen für
Kroaten aus kleineren Orten,
zurückzukommen.“
„Es gibt kein Sozialamt, es gibt
Hilfe beim zuständigen OrgNGO
vor Ort für Familien, die schon da
sind. Bosniaken erhalten keine
Sozialhilfe, wenn sie bei der Armee waren.“
DOBOI:
Bürgermeistr. trotz vereinbartem
Termin angeblich nicht da. Kein
Empfang durch Stellvertreter. Auf
Nachfragen bei Bürgern der
Stadt: Es gibt keinen muslimischen Teil. Der Weg dahin ist unbekannt. Doboi-Ost existiert
nicht.
Stellvertr. Bürgermstr. (Herr Ramic
Mujkic) u. Bürgermstr. DOBOIOst: (Herr Hasib Subasic) Er ist
vertrieben aus DOBOI und beschäftigt sich mit Flüchtlingsfragen, Gesundheit und Sozialangelegenheiten.
„Die Gemeinde hat nur noch den
10. Teil an Fläche und Einwohnerzahl als früher. Es gibt noch
13.500 Einwohner, die von hier
stammen und 3.500 Vertriebene,
überwiegend Bosniaken. Viele
Mischehen. Eine Rückkehrfamilie
ist in das instandgesetzte Haus
zurückgekehrt, 5 weitere serbische (!) Häuser haben Priorität
bei der Wiederherstellung, sobald
Geld vorhanden ist. Die Gemeinde war von 3 Seiten okkupiert.
Wir wollten einfach nur überleben. In Kriegszeiten kostete 1 ltr.
Öl DM 30.00, aber es war kein
Geld vorhanden. Der Ort gehört
zur Föderation seit Sept. 92 als
eigene Gemeinde. Diese Selbstorganisation ist Überlebensschutz.
(Nähe zu DOBOI). Dayton soll
durchgeführt werden und daß alle Bürger aller Nationalitäten das
gleiche Recht haben. Zur Verhinderung eines Genozids sollen alle
Menschen in ihre Häuser zurückkommen. 450 Häuser sind aufgebaut. Wir denken, daß alle Ethnien den Anspruch haben, zurückzukehren.“
„Ich bin als Mensch und Amtsperson dafür, daß Menschen
zurückkehren können, wenn sie
wollen. Das ist die einzige Chance, zu normalen sozialen Verhältnissen zurückzukommen. Solange
in DOBOI und anderen Stellen
die Kriegsverbrecher herumlaufen, ist eine Rückkehr nicht möglich. Ich hatte eine Wohnung in
DOBOI von 100 m2, und lebe
jetzt auf 10m2. Meine Familie
und ich werden eines Tages nach
DOBOI zurückkehren. Die Kriegsverbrecher in der Behörde in DOBOI möchten nicht, daß wir
zurückkommen. Im Rathaus gibt
es sehr viel Radikale. Der OSC hat
die Wahlen vom September hier
nicht anerkannt. Die Verwaltung
behindert beabsichtigte Verbesserungen, die von der neuen Dodik-Regierung geplant sind. Wir
erwarten, daß alle Kriegsverbrecher nach Haag geschickt werden.“
Er schätzt die neue Dodik-Regierung als hilfreich ein. Er betont,
daß Bürgermeister und Stellvertreter jeweils einer anderen Partei
angehören. (SDA/Sozialisten). Effektivität läßt sich daran messen,
wie viele Leute (außer Serben) in
Zukunft zurückkehren können.
Bürgermeister: „Die neue Regierung sagt wenig über die Rückkehrer. Wir sehen keine Änderung. Vieles wird nach außen nur
wegen des Geldes gemacht, in
den Gemeinden, in denen die Politiker geblieben sind, wird alte
Politik gemacht. Leute mit einem
Haus in DOBOI können nicht
zurück, dies ist objektiv nicht
möglich. Trotzdem ist der Platz
unserer Bürger hier und nicht in
Deutschland, aber zuerst sollten
die Leute aus der Föderation hierherkommen, um mit uns aufzubauen. Dies macht Druck auf die
Regierung. In DOBOI müßten
wohl 2/3 bis ¾ aller Wohnungen
63
BÜRGERKRIEG
zurückgegeben werden, da etwa
35.000 bis 40.000 Bosniaken
und Kroaten vertrieben wurden,
vor dieser Rückgabe ist eine
Rückkehr unmöglich. Österreich
bietet Geld für die Gemeinden
an. In DOBOI hat die SDS die
Mehrheit, die Rückkehrer haben
Angst.“
EG TUZLA
Entwicklungsgesellschaft: (Herr
Neunfinger)
Gegründet 97 von der GRZ und
dem Kanton Tuzla-Pdrinje, Wirtschaftsförderung und Regionalplanung im Kanton.
Rückführungsplanung genügt
nicht, sondern man muß Arbeitsplätze schaffen. Das Management wird durch die BRD gezahlt, Gemeinde und EU sind für
die Projekte verantwortlich.
Strom, Straßenbau, Wasserversorgung, Erarbeitung von Entwicklungsplänen, Förderung von
Kleinunternehmen schafft Arbeitsplätze ((85 neue). Zuschüsse
für die Existenzgründung werden
gewährt. In BIH gibt es jetzt noch
200 NGO´s, im Bereich TUZLA
40 - 60, (keine Abstimmung untereinander).
100.000 Einwohner, 40-50.000
Flüchtlinge. Systemumstellung ist
Bedingung bei der Bekämpfung
der Arbeitslosigkeit. Soldaten und
Vertriebene haben Priorität bei
der Verteilung von Arbeit. Es gibt
eine Technologielücke von ca. 6
Jahren.
Die Tendenz vieler Rückkehrer:
„Wir gehen irgendwie wieder
nach Deutschland zurück.“ (Keine
Arbeit, nur Sozialhilfe, care-Pakte,
fehlende Wohnmöglichkeiten).
Es gibt keine Programme für
Neubau. Für die Sanierung 60 bis
100 % zerstörter Häuser sind
13.000 (?) ECU bereitgestellt. Es
besteht die Befürchtung, daß
durch Neubauprogramme Dayton
unterlaufen werden kann, aber
Ersatzbau ist möglich. Der Zusammenhang Rückkehrer/Vertriebene/Eigentümer muß gesehen
werden, durch Rückkehr wird eine ungeheure Bewegung im Lande in Gang gesetzt. Behinderte,
ehem. Soldaten, Vertriebene,
Flüchtlinge ohne Anbindung, ältere Leute, Roma stehen wegen
mangelnder Wohnmöglichkeiten
auf der Straße. Sie sollten in
frühere Roma-Siedlungen zurück64
kehren, wo sie früher integriert
waren.
TUZLA ist eine offene Stadt. Es
muß jetzt weggegangen werden
von der Soforthilfe zu weiterreichenden Maßnahmen.
Es gibt eine Rückkehrunwilligkeit,
z. B. wollen viele Lehrer nicht
zurück auf die Dörfer, noch immer ist es notwendig, Carepakete
auszugeben, noch immer Häuserbelegungen bei Häusern ohne
Dächer.
SREDNJE:
Transitlager, Aufenthalt soll nicht
länger als 48 Stunden (im Notfall
bis zu 5 Wochen) dauern. Die
Verteilung auf die Flüchtlingslager erfolgt durch die Ministerien.
Das Personal führt nur Anweisungen aus, ist nicht in der Lage, zu
beraten. Es werden Busse zusammengestellt, die in die Heimatoder andere Gemeinden für den
Transport der Flüchtlinge sorgen.
Dieses Transitlager ist für die
ganze Föderation vorgesehen. (Es
gibt weitere 5 im Föderationsgebiet, weitere sind geplant). Papiere erhalten die Flüchtlinge über
die Ministerien, von dort kommt
Personal, um Rückkehrfragen zu
besprechen.
Ein Flüchtling aus DOBOI erklärt,
daß er schon 2 Wochen hier sei,
eine weitere Rückkehrfamilie bereits seit 4 Wochen. Die Aufnahmekapazität beträgt bis zu 100
Personen. Wenn sie nicht zurückkehren können, z. B. in die REPUBLIK SERBIEN; werden sie auf Orte in der Nähe verteilt. Die Gemeinden müssen sich vorher verpflichten, Unterkunftsmöglichkeiten bereitzustellen.
Gruppenverteilung wird nach
Möglichkeit angestrebt.
Flüchtlinge, die wir angetroffen
hatten, kamen aus Deutschland
und Kroatien.
AS SCHLEE:
(Herr OTL Benke) entstand aus
dem Flüchtlingsreferat des BMI,
angegliedert bei der Botschaft,
Außenstelle in BANJA LUKA beabsichtigt. Die Aufgabe: Verbindungsstelle zu UNHCR und EUROP. KOMMISSION, Verbindung
zu SFOR wg. Sicherheit, Arbeitsplatz, Perspektiven für Kinder,
Wohnraum, in dieser Reihenfolge.
Der Arbeitsstab benötigt drin-
gend Zahlen aus den Ländern
über die Zugehörigkeit zur Volksgruppe, Heimatort, gewünschter
Ziel-(Unterbringungs-)ort, Alternativen dazu. Klientel bisher
92.000 Flüchtlinge und 950 Abschiebungen in die Föderation.
Sammeln Projekte: wo und was
ist geplant in welcher Region?
Stellungnahmen werden nach
Überprüfung der Daten erstellt.
Kompabilität muß hergestellt
werden zwischen der Erlaßlage
und der politischen Absicht sowie
der Lage vor Ort.
AS Schlee hat festgestellt, daß
Bedingungen in der SERB: REPUBLIK Abschiebungen unmöglich
machen. Regierung und internationale Organisationen haben
große Angst vor einer massenhaften Rückkehr der Flüchtlinge,
diese würde zu einer Destabilisierung in der ganzen Region
führen, Priorität müssen IDP´s
(intern Vertriebene) haben.
Es wäre wichtig, Rückkehrstufen
zu haben. Die Politik wird auf
dem Rücken der Flüchtlinge ausgetragen.
Die korrekte Durchführung und
Absichten des Lagers SREDNJE
werden bestätigt.
Von 10 Kantonen haben 8 Rückführungspläne erstellt. In der REPUBLIKA SRBSKA funktioniert dies
nicht, aber in der ganzen Förderation. Transit/Zwischenlager für
alle, die keine Unterkunft haben.
Die Aufenthaltsdauer beträgt in
der Regel 48 Stunden bis zu einem Monat. Alle stehen unter
der Kontrolle von UNHCR. Der
Arbeitsstab erstellt monatlich einen Bericht zur Lage der Flüchtlinge, er (der Stab) ist über Internet erreichbar. Dayton Annex 7
Rückführung in den Heimatort ist
Ziel. Das Boot ist nicht voll, es
sollen 98 20.000 Binnenvertriebene in ihre Heimatorte zurückkehren. (SARAJEVO, BANJA LUKA, BRCKO).
Die Unruhe der Flüchtlinge in
Deutschland wird nach BIH transportiert. Der Schlüssel bei der
Verhinderung der Rückführung
von Vertriebenen liegt bei Tudjman. Die eingerichtete property
claim commission arbeitet auf
Grundlage der Eigentumsverhältnisse von 92. Dayton ist gesamtstaatlich konzipiert, soll aber auf
3 Staaten angewandt werden,
darin liegt die Schwierigkeit.
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
BÜRGERKRIEG
BOTSCHAFTER:
Warteschein für Visa in die BRD
mindestens 4 Wochen.
„Die sozialen Strukturen in SARAJEVO haben sich total verändert.
Durch Vertriebene, Flüchtlinge
und Rückkehrer hat die Stadt eine andere Zusammensetzung erhalten.“
„Hintergrund aller Schwierigkeiten ist die Tatsache, daß „keine
Partei den Krieg verloren hat. Wir
sind nur gestoppt worden.“ „ Die
leichten Fälle sind hier, die
schwierigen kommen erst. Die
Länder forcieren die Abschiebung, dies ist hier bekannt und
verursacht Unruhe. Es ist auch eine Sache der Verpackung.“
Der Arbeitsstab Schlee ist sehr
wichtig nach Einschätzung des
Botschafters. Es gibt ein neues
Abkommen mit der Regierung
Dodik, wie ein neutrales Fernsehen durchgeführt werden kann.
Sanktionen sind jetzt vorgesehen.
(Mostar, BANJA LUKA). In der REPUBLIK SERBIEN gibt es keine internationalen Zeitungen, in der
Föderation stehen sie zur Verfügung.
Der OHR hat Durchsetzungsmöglichkeiten, siehe Flagge, Staatsbürgerschaft, Kennzeichen.
Die Regierung Dodik wird an
Dayton gemessen werden.
Es gibt ein Amnestiegesetz, das
auch grundsätzlich umgesetzt
wird. Gegenteiliges ist nicht bekannt. „Es gibt Fälle, in denen die
Registrierung am Heimatort verweigert worden ist, dagegen sind
wir angegangen.“
Deutsches Beratungsbüro für
rückkehrfördernde Maßnahmen:
(Herr Bernd Hausmann, Thomas
Pfeiffer), (Hess. Verbindungsbüro)
(Herr Amir Kurspahic)
Zweigstelle der GEZ Gesellschaft
für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Unterstützung des BMI von 40
deutschen Organisationen, Fond
für Kleinprojekte, Wiederaufbauhilfe, Rückkehrunterstützung,
Reintegration. Angebote: Intensivierung der Zusammenarbeit aller
Hilfsorganisationen, Dokumentation und Beratung, Rückkehrberatung, Förderung von Einzelbe-
ratung in SARAJEVO, MOSTAR;
SANSKI MOST, BOSANSKA KRUPA
und ZENICA:
Datenbank für die Information
von Rückkehrern. Im Gegensatz
zu Dayton steht die Registrierungspraxis, man muß sich im
Heimatort registrieren lassen, obwohl es nach Dayton auch anderweitig möglich sein muß.
Im Herbst sind erneute Wahlen In
der RPSka. Es gibt 600 freie
Wohnplätze aber 250.000 Bosnier, die noch zurückgehen sollen. SARAJEVO hat 80.000 IDP´s.
Minority - Rückkehr ist kontraproduktiv. SARAJEVO hat kaum mehr
Vorkriegsstrukturen, 60 % sind
Zuwanderer.. Einzelberatung für
Rückkehrer und Informationsbeschaffung möglich.
OHR:
(Office of the High Representative) (Frau Bohley, Herr Granaß)
Bärbel Bohley berichtet von einer
Reise durch die Posavina, woher
sie gerade zurückkommt. Zustände schlecht, kaum Wiederaufbau,
keine Koordination der Hilfsorganisationen, keine Auseinandersetzung mit Kriegsursachen. Deutsche Flüchtlinge kommen mit
überzogenen Ansprüchen.
Sie haben jedoch oft Reserven für
die Renovierung der eigenen
Häuser, für Alleinstehende und
Kranke ist die Rückführung in die
Republik Srbska „ein Todesurteil“.
Roma sind nicht als eigene Volksgruppe erfaßt worden. In 192
Gemeinden haben früher Roma
gelebt. Die Regierung Dodik ist
mit Vorsicht zu genießen,
schwierige Lage besonders im
Osten der RPSka.
Kroaten bekommen Druck von
der eigenen Seite, wenn sie
zurückkehren wollen. Auch Serben, wenn sie von der RPSka
wegwollen. Die untere Ebene versucht gutwillig die Regelungen
vorzubereiten. Sobald die obere
Ebene Kenntnis davon erhält,
geht es schief, Regelungen werden behindert. IDP´-Rückkehrpläne (20.000 nach SARAJEVO) sind
nicht bekannt.
OHR kann theoretisch jeden Friedensverhinderer aus dem Amt
entfernen. Es gibt eine neue, die
Rückkehr begleitende Medienkampagne des OHR. Wirtschaftliche Unterstützung fördert die Bereitschaft, die Flüchtlinge aufzu-
nehmen. (Beispiel: serbische Ziegel auf moslemische Dächer).
Schuldzuweisung an die internationale Gemeinschaft.
Anstelle von Gremien können
Entscheidungen des OHR als Interimsentscheidung getroffen werden oder er kann - wenn
zunächst keine Zustimmung oder
Einigung aller Beteiligten zu erreichen ist - Gesetzesinitiativen initiieren, die dann durch 3 Länder
„abgesegnet“ werden müssen.
Die Rückkehr der Flüchtlinge ist
gewünscht, muß aber organisiert
werden. „Mafiose Strukturen“
behindern die Rückkehr, Bei der
Registrierung werden Steuern erhoben, nur Lebensmittel und Medikamente sind zollfrei. Alle arbeiten daran, die Rückkehr nicht
stattfinden zu lassen. Wohnraumbewirtschaftung fehlt, könnte kontraproduktiv zur Rückkehr
an den Heimatort sein. Eine Stufung der Rückkehr ist gewünscht,
Alte und Alleinstehende sollten in
Deutschland bleiben können.
In der Föderation werden Deserteure begnadigt. (siehe auch Lagebericht Auswärtiges Amt).
Hoffmann, Repräsentant der
Deutschen Wirtschaft: (DIHT)
Nach wie vor weisen viele Industriebetriebe kriegsbedingte Schäden auf und arbeiten nur mit einem Teil der früheren Kapazität.
Dies erklärt die überdurchschnittlich hohe Importabhängigkeit des
Landes und das daraus resultierende Ungleichgewicht der
Außenhandelsbilanz.
Die wichtigsten Außenwirtschaftspartner sind, in der Reihenfolge ihrer Bedeutung, Kroatien, Slowenien, Deutschland und
Italien. Die Importe aus diesen
Ländern werden im Durchschnitt
nur durch jeweils 10 % Exporte
gedeckt. Die wirtschaftspolitischen Anstrengungen richten
sich daher vorrangig darauf, die
heimische Produktion und die Exportfähigkeit der Erzeugnisse systematisch zu erhöhen.
Die Investitionsbereitschaft
nimmt zu. Private Kredite werden
selten in Anspruch genommen.
Rückkehrförderung ist noch ein
Loch. Aus ERP Mitteln gibt es
Kredite zu folgenden Bedingungen: Laufzeit 2 Jahre, 10 % Zinsen im ersten JAHR; DIE ersten 6
Monate rückzahlungsfrei. 35
65
BÜRGERKRIEG
Mio. sind bisher eingesetzt worden, 20 Mio. sind bereits zurückgezahlt.
Das Kreditvolumen der Amerikaner beträgt 250 Mio. Dollar, aber
nur für Gebiete, in denen Amerikaner stationiert sind. Erst drei
große Investoren, TASS (VW),
Synthetischer Kabelhersteller,
Gas, Meggle (Molkereiprodukte).
Durch die Privatisierung der
Großbetriebe und deren Zerlegung in kleinere Einheiten wird
der Sektor der kleinen und mittleren Unternehmen zukünftig eine
größere Rolle als bislang spielen.
Schwierigkeiten bereiten alte sozialistische Strukturen, diese behindern den normalen Ablauf einer geordneten wirtschaftlichen
Entwicklung. Deutsche Banken
haben kein Interesse zur Investition, die Saudis und Kuweit haben
20 Mio. Dollar angekündigt, es
gibt Bestrebungen einer neuen
Währung (Konvertibla Marka) im
Verhältnis zur DM 1:1. Die Kapitaldecke aller bosn. Banken (ca.
50) beträgt 200 Mio. DM
An Kriegsteilnehmer hat die Regierung Sparbücher ausgegeben
in Stückelungen zwischen 10 und
40.000 (Währung?), es steht kein
Wert dagegen, Wertschöpfung
ist nicht möglich.
Die bestehenden Häuser haben
zu 90 % Hypotheken in Anspruch
genommen, es ist vor und nach
dem Kriege keine einzige vollstreckt worden. (Soz. System).
JAICE:
Im Gemeindegebiet gilt als Zahlungsmittel nicht die Währung
der Föderation, sondern die kroatische „Kuna“.
„Herzlich willkommen in der
Stadt der Rückkehrer. Ich will
mich noch einmal bei Deutschland bedanken im Namen aller
Rückkehrer. Problem bei den
Rückkehrern macht die ungelöste
politische Situation im Land.
Langsam findet eine Entwicklung
zum besseren statt.“
Bei Elektrobosna (Elektrizitätswerk) arbeiten Kroaten, Bosniaken, Serben. Es gibt 2600 Beschäftigte in der Gemeinde.
Frühere serbische Wohnungen,
die der Gemeinde gehören, sind
66
jetzt durch Kroaten belegt. Über
private Wohnungen haben sie
keine Verfügung. Selbst für weitere eigene Leute,
z. B.. 100 Kroaten, ist kein Platz
mehr vorhanden. Der Vorsitzende
des Gemeinderates ist ein Moslem.
44.000 Einwohner vor dem
Krieg, im Moment ist die Hälfte
hier.(16.000 Kroaten, 6.000 Bosniaken). Ungefähr 20.000 sind
im Ausland. (alle 3 Ethnien).
IDP´s etwa 2-300, die größte
Gruppe Kroaten aus MRKONJICGRAD in der RPSka. Die Gemeinde
möchte, daß rückkehrende Moslems in die benachbarten Ortsteile gehen. Die Hilfe ist nicht gerecht, sie sollte für alle gleich
sein. Der Ort B 200 m vor den Ewerken wurde z. B. für rückkehrende Bosniaken angeboten. Die
kroatische Seite hat die Rückkehr
von Bosniaken in weitere multiethnische Gebiete angeboten, doch
seien 500 in rein bosniakische
Gebiete gekommen. Die Bosniaken wollen kein Zusammenleben,
sie wollen nicht, daß die „kroatische“ Seite Hilfe bekommt. Die
Vorfälle seien von „Zentren“ geplant gewesen, sie (die Kroaten)
hätten sie nicht gewollt und gebraucht.. Das „Unglück“ passierte, als für JAICE große Hilfe ankommen sollte. (Anfang Aug. 97
wurden 500 bosn. Muslime wieder vertrieben, es wurden 14
Häuser niedergebrannt, die gerade wieder hergestellt waren. Verletzte, 1 Toter. Durch Druck der
intern. Gemeinschaft wurde diese
Vertreibung wieder rückgängig
gemacht.). Die Hilfe ist nach dem
„Unglück“ ausgeblieben, dies
verstärke den Haß.
„Die Lage der Kroaten ist jetzt
kriegsfolgebedingt. Ob sich das
demokratisch wandelt, hängt von
den anderen ab. Ungerechte
Hilfsverteilung entwickelt sich und wir gehen wieder in eine unruhige Zukunft.“
Er findet nicht richtig, daß Moslems im voraus Aufbauhilfen erhalten und nicht Kroaten, die
hier schon seit 3 Jahren in
schwierigen Lebensverhältnissen
leben. Er spricht wieder vom
Neid auf arabische Hilfe, diese erhalten nur Bosniaken. Häuser von
Bosniaken werden aufgebaut,
Kroaten haben das Nachsehen.
Europäische Hilfe teilen wir mit
den Bosniaken. Jeder verlangt
von uns, daß wir Bosniaken aufnehmen. !“ Die Kroaten werden,
wenn dies so weitergeht, die Föderation verlassen. Wir sollen
kein Volk mehr sein, sondern nur
noch eine Minderheit.“
„Man soll mir einen Staat in der
Welt zeigen, wo eine Minderheit
so viele Rechte hat wie in JAICE.
Nicht nur Volksgruppen sollen
bei der Hilfe berücksichtigt werden, sondern das Rathaus (die
Gemeinde), IDP´s und Flüchtlinge
zu gleichen Teilen“.
SANSKI MOST:
Vor dem Krieg: 61119, jetzt
62.000. Nach der Befreiung lebten dort nur noch 500 Menschen. Vor dem Krieg Bosniaken
und Serben, eine geringere Zahl
Kroaten und andere.
Jetzt: Bosniaken, Kroaten und
Serben. 50 % der Bürger haben
früher in der RPSbka gelebt. Sie
sind nach SANSKI MOST gekommen. 50 % der Rückkehrer kommen aus Deutschland.
62.000 kommen aus der Föderation und aus RPSpka., dies ist die
demokratischste Rückkehr. Es
sind meistens freiwillige Rückkehrer. Fast aus allen Gemeinden der
RPSka. Leute aus 72 Gemeinden.
Diese Rückkehr ist nicht ökonomisch unterstützt worden.
„Wir haben sehr wenig gesprochen, über die Leute, die schon
zurückgekehrt sind. Ich habe
13.000 Personen auf der Liste,
die schon Sozialhilfeempfänger
sind. Wir haben einen Schlaganfallpatienten bekommen ohne
vorherige Ankündigung. Für behinderte Personen und Personen
mit Handikap muß eine längere
Vorbereitung erfolgen. Wir haben
keine entsprechende Unterkünfte
für solche Personen. Die Transportbegleiter haben sich nicht
vorgestellt.“
„Alle bisher aufgenommenen
Leute haben Unterkunft. Es gibt
keine kollektive Unterbringungsmöglichkeiten. Ich bin ein Gegner
davon: Es wird auch weiterhin
keine kollektive Unterbringung
geben. Die Schülerzahl ist nach
dem Kriege von 186 auf über
5.000 gestiegen. Sie sind aus 57
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
BÜRGERKRIEG
verschiedenen Städten Europas
gekommen. Es gibt 17509 zerstörte private Wohnungen, Zerstörungsgrad leicht bis schwer.“
„Wir haben Stromprobleme in 3
Dörfern, Wasserprobleme keine,
Probleme mit dem Müll, aber das
größte Problem ist die Kanalisation. Ohne Kanalisation besteht
größte Gefahr für die Gesundheit, Seuchen können auftreten,
zum Glück hatten wir bisher keine Epidemie.
Die Gegend war schon früher für
Hepatitisfälle bekannt.“
Er erklärt in Einzelheiten die wirtschaftliche Situation. Holzverarbeitung, Metall, Ziegel, Isoliermaterial, Beton, Tonwaren, Gummi,
2 von 3 Metallfabriken arbeiten
wieder. Fenster und Türenhersteller als Privatunternehmen. Überwiegend Landwirtschaft mit
25.000 ha Landfläche! Es gibt ca.
100 private Unternehmen.
„Wenn alle Betriebe arbeiten,
könnten 25.000 Leute beschäftigt werden.“
Das Parlament besteht aus zwei
Parteien, einmal Bosnier und
auch die Partei der Serben. Sie
versuchen, die Probleme zu lösen.
Sie haben sich zur offenen Gemeinde erklärt. (Durch UNHCR
noch nicht verifiziert).
„Wir sind die einzige Gemeinde,
die einen Plan für die Rückkehr
der Menschen und die wirtschaftliche Entwicklung sowie eine Bedarfsermittlung erstellt hat.
Dieser ist verschickt worden an
den UNHCR, OHR.“ Gespräche
mit Schwarz Schilling (intern.
Schlichter für BIH) und Gespräche
in PRIJEDOR sind vorgesehen, um
Probleme gemeinsam zu lösen.
„Es gibt in der Stadt jeden
Schulzweig und berufsbildende
Schulen, dafür gibt es eine ausreichende Zahl Lehrer. Es fehlen
Grundschul- und Fremdsprachenlehrer. Für Lehrer gilt Schichtarbeit.
Es gibt keine Mittel für Schulbusse, das Transportproblem der
Schüler ist nicht zu lösen.
Das Geld für Monatskarten fehlt.
Wir waren schon vorher offene
Stadt, weil mein Herz offen ist.
Ich habe gute Mitarbeiter.“
„Die Weltgemeinschaft hat dieses
Jahr zum Jahr der Rückkehrer
propagiert. Schwerpunkt sollen
Rückkehrer sein, die aus dem
Ausland kommen, dies ist auch
eine Vision des Planes, den ich
Ihnen gezeigt habe. Die Hälfte
der heutigen Einwohner stammt
aus der Republik Srbska, von
SANSKI MOST sollen jetzt 10.000
nach PRIJEDOR zurückkehren
können. Ich gebe lieber kleinen
Dörfern den Vorzug, um Häuser
reparieren zu können. Die Leute,
die jetzt in der Stadt sind, sollen
lieber in die Dörfer zurückkehren.“
„Ich bin sicher, daß es in diesem
Land keinen Krieg mehr gibt.“
“Ich war Kommandeur von 2
Corps, so wie ich dort aktiv war,
so will ich in der Ruhe arbeiten.
Wenn die Probleme mit Wasser,
Strom und Häusern gelöst sind,
dann kann ich weniger arbeiten.
Ich hoffe auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft und
natürlich der BRD“.
„Privatisierung: Wir hoffen, daß
dieser Prozeß zu einer besseren
Beschäftigung führen wird. Der
Schwerpunkt muß Ausbildung in
Landwirtschaft und Handwerk
sein“.
Teilnehmer wird vorgestellt, um
die Zusammenarbeit zu betonten: Der Vice-premier des executive-Ausschusses aus PRIJEDOR. Es
arbeiten auch schon Leute aus
SANSKI MOST in PRIJEDOR.
„Kleine Schritte der anderen sind
mir zuwenig, ich mache sehr
große Schritte.“
„Für die Landwirtschaft gibt es
keine Geräte und Ersatzteile.
Letztes Jahr haben wir 2,5 ha Getreide anbau. Es besteht Neubaubedarf für 100.000 Einwohner(?),
ca. 6.000 Objekte sind wieder instandgesetzt worden.
„Es besteht die Wahrscheinlichkeit, daß sehr viele Rückwanderer
und Vertriebene hierbleiben werden. Deutsche Rückkehrer haben
hier 2 Häuser gebaut als Eigentümer.“
„Weitere Unterbringungsmöglichkeiten: Mein Boot ist nicht
voll, das gilt für ganz BIH, aus
SANSKI MOST ist noch keine Familie zurückgewiesen worden.
Bei der Rückkehr müssen Sie mei-
ne Probleme lösen und damit löse ich ihre.“
Bewirtschaftungsgesetz: „Ratsbeschlüsse lassen Belegung von leerem Wohnraum vorübergehend
zu, wir haben einen geordneten
Rückkehrprozeß von der Stadt
nach dem Land. Ein Rückkehrstab
und Planer für die Rückkehr entwickeln und planen 24 Stunden
an einem Tag. Es kann nicht passieren, daß jemand abends um
20 Uhr kommt und findet keinen
Ansprechpartner. Es gibt Transportmöglichkeiten für die Sachen
der Flüchtlinge. Mein Arbeitstag
und der meiner Mitarbeiter hat
24, wenn nötig; 26 Stunden.“
Uwe Tschanter
TEILNEHMERLISTE der Bosnienreise vom 01.03. - 07.03.98
Herr Norbert Winterstein
Bosnienbeauftragter der hess. Landesregierung
Frau Elke Groß
hess. Landesregierung, Geschäftsstelle
Herr Joachim Preiß
hess. Innenministerium
Herr Dirk Hummel
Ministerialrat Hessen
Herr Tarek Al-Wazir
MdL Hessen Bündnis 90/DIE GRÜNEN
Herr Stephan Bremann
Oberregierungsrat IM Rheinland-Pfalz
Herr Josef Arldt
MdL Rheinland-Pfalz SPD
Herr Bernd Eckes
Ausländerbehörde Mainz
Herr Behrouz Asadi
Malteser Hilfsdienst Mainz
Frau Suzana Dakic
Caritasverband
Herr Pfarrer Friedrich Vetter
Diakonisches Werk
Herr Thomas Böhme
IM Niedersachsen
Sozialdirektor
Herr Dr. Michael Sänger
Vors. Verwaltungsgerichtshof Kassel
67
BÜRGERKRIEG
Schutz bosnischer Frauen
Presseerklärung
der AWO Osnabrück
In einer bundesweit einzigartigen
Entscheidung verabschiedete der
Rat der Stadt Osnabrück in seiner
Sitzung am 24.3.1998 eine Resolution zum Schutz traumatisierter
bosnischer Flüchtlingsfrauen und
ihrer Kinder. Die Stadt Osnabrück
fordert damit die Landesregierung auf, sich aktiv für eine bundesweite einheitliche Härtefallregelung einzusetzen, in der die Belange traumatisierter bosnischer
Flüchtlingsfrauen berücksichtigt
werden. Die Stadt Osnabrück erkennt an, daß eine Rückkehr für
die bosnischen Flüchtlingsfrauen
in Freiheit und Würde unter den
momentanen Bedingungen unzumutbar ist. Diese Entscheidung
wurde möglich durch ein breites
Bündnis von Frauen aus unterschiedlichen Initiativen und Organisationen, die mit einer entsprechenden Resolution an den Rat
herangetreten waren.
Die Stadt Osnabrück stellt sich
damit der Verantwortung, die sie
im Jahr 1993 - ebenfalls in einer
bundesweit einmaligen Aktion
durch das Engagement der Initiative Frauenflüchtlingshaus - eingegangen war. In dieser Aktion
waren im Herbst 1993 nach
zähem Ringen bosnische Frauen
und ihre Kinder in das neu eingerichtete Frauenflüchtlingshaus in
der Stadt Osnabrück aufgenommen worden. Die Frauen und Kinder, die im Laufe des Jahres 1994
in eigene Wohnungen umziehen
konnten, wurden seit ihrer Ankunft in Osnabrück von einer
Gruppe Osnabrücker Frauen unterstützt.
Nach der Unterzeichnung des
Abkommens von Dayton und der
anschließenden Innenministerkonferenz im Dezember 1995, Januar 1996 sind die Frauen und
die Kinder permanent mit drohender Abschiebung konfrontiert.
Keine Ausbildung
für Sanel Alic
Informationen zur Situation von
Sanel Alic
Sanel Alic wurde am 7.9.1978 in
Srebrenica (ehem. Jugoslawien jetzt Republik Srpska) geboren.
Sein Vater fiel 1992 als Soldat im
Bürgerkrieg.
Seine Mutter Sahza Alic konnte
1993 mit 2 ihrer 3 Kinder (einem
4 jährigen Sohn und einer 12
jährigen Tochter) nach Osnabrück
fliehen, wo bereits einige ihrer
Verwandten Zuflucht gefunden
hatten. Ihren Sohn Sanel konnte
sie nicht mitnehmen.
Über Frau Gonzales (Sozialarbeiterin des Vereins EXIL-Osnabrücker Zentrum für Flüchtlinge)
wurde der Kontakt auch zu anderen Vereinsmitgliedern hergestellt. Es entstand der Wunsch,
eine Familienzusammen-führung
mit dem Sohn zu ermöglichen.
Leider war dies nur möglich
durch die Verpflichtungserklärung einer Privatperson, die
bereit war, die Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Bekleidung zu übernehmen. Diese Verpflichtung konnte abgegeben
werden, nachdem sich ein Kreis
von Vereinsmitgliedern und
Freunden verpflichtete, monatlich
ca. DM 500,- zu spenden. (Diese
Unterstützung wurde bis August
97 durchgehalten.)
Im Februar 1995 konnte die Ausreise Sanels aus seinem Aufenthaltsort Tuzla ermöglicht werden.
Ein schwerer Verkehrsunfall mit
anschließender Operation machte
ihn für den Kriegsdienst untauglich, so daß eine Aus-reisegenehmigung von den bosnischen
Behörden erteilt wurde. Von diesem Unfall hat er sich glücklicherweise sehr gut erholt. Es sind kei-
ne Folgeschäden aufgetreten.
Noch im Sommer 1995 wurde
Sanel nach einem kurzen Sprachkurs in die 9. Klasse der Hauptschule Innen-stadt eingeschult.
Seine schulischen Leistungen
nach Abschluß der 9. Klasse
rechtfertigten die Übernahme in
das 10. Hauptschuljahr. Das Ziel,
den Realschulabschluss zu erhalten, hat Sanel nur knapp verfehlt.
Sanel ist sich sehr bewußt, daß er
nach dem Tod seines Vaters die
Ernährerrolle für seine Familie
übernehmen muß. Sein ganzes
Bestreben richtete sich daher auf
die Aufnahme einer Ausbildung.
Wir führten daraufhin Vorgespräche mit der Ausländerbehörde, um das Risiko einer Abschiebung vor Beendigung der Ausbildung einschätzen zu können.
Diese informellen Gespräche
machten uns Mut, intensiv nach
einem Ausbildungsplatz zu suchen (die Rückführung einer
moslemischen Familie ohne Vater
in ein von Serben besetztes Gebiet erscheint allen Experten derzeit als völlig unzumutbar - auch
eine Abschiebung in sog. befriedete Gebiete Bosniens ist in der
derzeitigen Situation kaum vorstellbar ).
In Herrn Köhne fanden wir einen
Ausbilder, der bereit war, Sanel
die Lehre zum Gas- und Wasserinstallateur zu ermöglichen. Für
diesen Beruf hatte sich Sanel
entschieden, um auch nach einer
möglichen Rückkehr in seine Heimat eine Existenzgrundlage aufbauen zu können. Herr Köhne
stellte Sanel im August 97 ein.
Gleich-zeitig führte er ein Gespräch mit dem Arbeitsamt bezüglich einer Arbeitserlaubnis.
Dort lehnte man ab mit dem Hin-
Die bosnischen Frauen und ihre
Unterstützerinnen hoffen nun,
daß sich die Niedersächsische
Landesregierung für eine bundesweite Härtefallregelung einsetzt.
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FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
BÜRGERKRIEG
- aber Anzeige
wegen illegaler Beschäftigung
weis auf den nicht gesicherten
Aufenthaltsstatus der Familie
Alic. Mit Unterstützung von Alfred Emmerlich (Rechtsanwalt
und ehem. Bundestagsabgeordneter) und Ernst Schwanhold
(Bundestagsabgeord-neter) versuchten wir dem Arbeitsamt
deutlich zu machen, das im konkreten Fall mit einer alsbaldigen
Aus-weisung der Familie nicht zu
rechnen sei und das aus humanitären Gründen eine Ausbildung
unbedingt geboten wäre. In einem Gespräch, das ich selbst im
Januar 98 mit einem Sachbearbeiter im Arbeitsamt führte, wurde mir dann abweichend von der
Auskunft im August 97 erläutert,
der Aufenthaltsstatus von Sanel
sei nicht der Hinderungsgrund
für eine Arbeitserlaubnis, sondern
die gesetzliche Regelung, das
Ausländer wie Sanel nur eine Arbeitserlaubnis erhielten, wenn für
den Arbeits- bzw. Ausbildungsplatz kein Deutscher oder EGAusländer zur Verfügung stünde.
Eine Prüfung müsste im Einzelfall
nach der jeweiligen Lage auf
dem Arbeitsmarkt erfolgen. Man
teilte mir mit, das nach der derzeitigen Lage (Januar 98) kaum
ein geeigneter deutscher Bewerber für den Ausbildungsplatz zu
finden sein würde und daher ein
Antrag auf Arbeitserlaubnis
große Aussicht auf Erfolg hätte.
Sanel stellt daraufhin formell den
Antrag auf Arbeitserlaubnis.
Auch ihm wurde in einem Gespräch mit dem zuständigen Mitarbeiter des Arbeitsamtes Hoffnungen auf einen positiven Bescheid gemacht.
Um so erstaunter waren wir, als
am 10.2.98 eine Ablehnung des
Antrags erfolgte. In dieser Ableh-
nung wurde pauschal behauptet,
für die von Sanel angestrebte
Tätigkeit stünden genügend
„Deutsche und bevorrechtigte
Ausländer“ zur Verfügung. Von
Sanels Arbeitgeber wissen wir,
daß er für den Ausbildungsplatz
keinen anderen geeigneten Bewerber gefunden hatte. Er hatte
sich im Sommer 97 um die Besetzung von 2 Ausbildungsplätzen
bemüht. Außer Sanel stellte er
noch einen weiteren (deutschen)
Auszubildenden ein. Diesem Auszubildenden mußte er wegen offensichtlicher Nichteignung vor
Ablauf der Probezeit kündigen.
Eine erneute Besetzung mit einem anderen geeigneten Bewerber war nicht möglich. Mit Sanel
ist Herr Köhne demgegenüber
sehr zufrieden. Auch Sanels Leistungen in der Berufsschule sind
gut. Seine Leistungen und auch
seine hohe persönliche Motivation lassen erkennen, das er für
diesen Ausbildungsplatz in besonderer Weise geeignet ist.
Ein von Sanel eingelegter Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid wurde zurückgewiesen.
In der Begründungd behauptet,
auch im Januar (also zu Zeitpunkt
der Antragstellung) hätten noch
8 geeignete Bewerber zur Verfügung gestanden. Erstaunlicherweise ist es zu keinen erkennbaren Vermittlungsbemühungen
von Seiten des Arbeitsamtes gekommen. Bei dem Arbeitgeber
Herrn Köhne hat sich kein Bewerber vorgestellt. Nur nach einer
Prüfung des Bewerbers durch
den Arbeitgeber hätte doch letztlich entschieden werden können,
ob dieser für den vorhandenen
Ausbildungsplatz wirklich geeignet ist. Dieser Bewerber hätte zu-
dem deutlich machen müssen,
das er den Lehr- und Unterrichtsstoff ca. eines halben Jahres ohne größere Mühen nachholen
kann. Das Arbeitsamt bleibt in
seinem Ablehnungsbescheid die
Antwort auf die Frage schuldig,
warum es nicht alles getan hat,
einem ausbildungsbereiten Unternehmer zu helfen, einen Ausbildungsplätze mit einem geeigneten deutschen Bewerber zu besetzen. Dies ist um so unverständlicher, da doch in der Öffentlichkeit der Mangel an Ausbildungsplätzen immer wieder
beklagt wird und Politiker nicht
Müde werden, für mehr Ausbildungsbereitschaft zu werben.
Mit der Ablehnung des Widerspruchs ist nun der normale Verwaltungsweg zuende. Was
bleibt, ist der Gang zum Sozialgericht mit der Hoffnung dort eine sachgerechtere Beurteilung
des Falles zu erfahren.
Bleibt noch zu erwähnen, das mit
der Ablehnung des Antrags auf
Arbeitserlaubnis die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen
illegaler Beschäftigung verbunden
war. Sowohl Sanel als auch sein
Arbeitgeber müssen mit der Verhängung eines Bußgeldes rechnen.
Wilfried Buck
49076 Osnabrück
69
KURDENVERFOLGUNG
Mehmet Ali Akbas
und die deutsche
Einzelfalltheorie
verbotenen kurdischen Partei HEP,
Festnahmen und Mißhandlungen
in der Türkei, versuchte Konsulatsbesetzung in Hannover 1993,
namentliche Erwähnung in einer
türkischen Zeitung in Zusammenhang mit Aktivitäten der PKK, um
nur einige Beispiele zu nennen.
schiebepraxis von Kurden haben.
Man beeilte sich, nach Akbas’
Rückkehr schnell die alte Leier
kundzutun: Hier wurde natürlich
kein Präzedenzfall geschaffen.
Nein - es handelt sich beim Fall
Akbas um einen - wenn auch bedauerlichen - absoluten Einzelfall.
Claudia Gayer
Mehmet Ali Akbas wurde all dessen ungeachtet in die Türkei
zurückbefördert.
Irgendwo war das kürzlich doch
schonmal zu hören. Einzelfälle
bei der Bundeswehr, bei den rassistischen Übergriffen auf Ausländer/innen ....
I
m Februar ‘98 erhielt der
Flüchtlingsrat einen Anruf aus
der Türkei. Es meldete sich der im
Januar abgeschobene Flüchtling
Mehmet Ali Akbas, dem Flüchtlingsrat durch die Begleitung in
seinem Asylverfahren bekannt.
Die schlimmsten Befürchtungen
hatten sich bestätigt: Mehmet Ali
Akbas wurde nach seiner Abschiebung am 15.01.98 am Busbahnhof in Istanbul von der Geheimpolizei verschleppt und tagelang unter schwerer Folter intensiv verhört. Wenige Wochen
vorher bescheinigte ihm noch ein
deutsches Gericht, daß ihm in
der Türkei mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit keine Verfolgung drohe. Mit seinen exilpolitischen Aktivitäten zähle Akbas
nicht zu dem Personenkreis, an
dem der türk. Staat ein Verfolgungsinteresse habe, so der zuständige Richter Schmidt-Vogt
vom VG Hannover. Das sollte sich
als schwerwiegende Fehleinschätzung erweisen. Oder sollte man
hier besser von wohlkalkulierter
Ignoranz sprechen? Dem Richter
lagen zum Fall Akbas seitenweise
Unterlagen zur Vorverfolgung in
der Türkei und den exilpolitischen
Aktivitäten in Deutschland vor:
Unterstützung der inzwischen
70
Für Frau Akbas, die sich mit den
Kindern durch Untertauchen der
Abschiebung entzogen hatte, begann in der Illegalität ihr Leidensweg. Sie erwartete damals ihr
fünftes Kind. Die Unsicherheit
und Ungewißheit ihrer rechtlosen
Situation und die Nachrichten,
die sie aus der Türkei von ihrem
Mann erhalten hatte, lösten Mitte Februar starke Blutungen bei
ihr aus. Aus Angst vor den deutschen Behörden wagte sie sich jedoch nicht in ärztliche Behandlung. Sie meldete sich verzweifelt
beim Flüchtlingsrat. Auf ein Telefonat bei der Ausländerstelle Nienburg hin teilte uns der zuständige Sachbearbeiter mit, er sehe
sich nicht in der Lage, von einer
Festnahme absehen zu können.
Sein Chef sei nicht da und er
wolle keinen Fehler machen! Als
sich Frau Akbas auf dringende
Bitte des Flüchtlingsrates doch an
das Nienburger Krankenhaus
wandte, war es zu spät. Frau Akbas hatte eine Fehlgeburt erlitten.
Was ist das Leben eines Menschen wert? Oder besser: das eines Flüchtlings? Das fragte auch
Mehmet Ali Akbas, als er am
12.05.98 nach einer langen
Odyssee wieder mit deutschem
Visum in Frankfurt ankam. Herr
Akbas fühlt sich als Versuchskaninchen mißbraucht - zu recht.
Er mußte zuerst abgeschoben
werden, um den schrecklichen
Beweis für seine politische Verfolgung persönlich zu erbringen.
Die bundesdeutschen Behörden
und Gerichte benötigen offensichtlich das Messer im Rücken
eines Flüchtlings, um von der Gefährdung des Betroffenen überzeugt zu werden.
Und dem nicht genug. Die vom
Innenministerium und Auswärtigen Amt bestätigten Folterungen
an Mehmet Ali Akbas sollen keine Konsequenzen für die Ab-
In der BRD wimmelt es derzeit
nur so von Einzelfällen. Wehe, es
kommt hier jemand auf die Idee,
diese Einzelfälle aufeinander zu
beziehen und grundsätzliche Fragen zu stellen. Der entsetzte Aufschrei ist vorprogrammiert, die
offiziellen Dementierungen folgen prompt. Es gibt keinen organisierten Rechtsextremismus in
der Bundeswehr, der Rassismus in
Deutschland nimmt nicht zu und in der Türkei wird nicht systematisch gefoltert. Schon gar
nicht die abgelehnten Asylbewerber. Daß die vom deutschen
Staat nicht als Flüchtlinge akzeptiert wurden impliziert nämlich,
daß keine politische Verfolgung
vorliegt - ergo werden sie bei ihrer Rückkehr auch nicht gefoltert.
Punkt.
Schließlich hat die Türkei 1995
durch den damaligen Außenminister Nahit Mentese erklären lassen, daß abgeschobene türkische
Staatsangehörige nicht menschenrechtswidrig behandelt werden. Papier ist geduldig - die BRD
auch. Wenn es um die Einhaltung dieses Vertrages geht, legt
sie eine außerordentliche Dickfelligkeit an den Tag.
Die Türkei hat ihre eigenen Methoden, das Abkommen zu unterwandern: Eine zunehmend beliebte Strategie der türk. Verfolgungsbehörden ist es, die Abgeschobenen nach einem Routineverhör zunächst einmal freizulassen. Sie müssen ein Papier unterzeichnen, mit dem sie bestätigen,
daß sie gut behandelt wurden
und nunmehr freigelassen werden. Meist werden sie noch darauf hingewiesen, die besorgten
Verwandten über die Freilassung
zu informieren. Die eigentliche
Festnahme erfolgt dann Stunden,
mitunter Tage später. So bei
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
KURDENVERFOLGUNG
Mehmet Ali Akbas oder bei Abdurrahman Kilic, der erst Tage
nach seiner Rückkehr in Diyarbakir festgenommen wurde. (s.
Flüchtlingsratrundbrief Nr. 50)
Die Freilassungen nach der Ankunft sind also nicht sonderlich
aussagekräftig. Die deutschen
Behörden geben sich damit allerdings zufrieden. Abgeschoben gut angekommen. Alles klar.
Vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
und den Verwaltungsgerichten
heißt es immer wieder, die Anzahl der bekannt gewordenen
Referenzfälle sei viel zu gering,
als daß die Sicherheit der Abgeschobenen grundsätzlich in Frage
gestellt werden müßte. Wie viele
Fälle werden eigentlich benötigt,
um die Sicherheit in Frage stellen
zu können - hundert, oder sollten’s besser ein paar tausend
sein?
Die relativ geringe Anzahl der bekannt gewordenen Folterfälle ist
nicht darauf zurückzuführen, daß
die Abgeschobenen problemlos
aus dem Flugzeug in die Freiheit
spazieren können, sondern darauf, daß es äußerst mühsam ist,
Mißhandlungen und Folter an
abgeschobenen Kurden zu recherchieren. Oft wenden sich die
Betroffenen aus Angst vor weiteren Repressalien nicht an die richtigen Stellen, z.B. den türkischen
Menschenrechtsverein. Sie tauchen mit ihren Familien in die
Anonymität der türkischen Großstädte ab. Oder sie rufen bei den
Rechtsanwälten an, deren Nummern ihnen von den Ausländerstellen bei der Abschiebung vorsorglich in die Hand gedrückt
werden. Dort heißt es dann: Wir
können nicht helfen. Diese
Rechtsanwälte sind in der Türkei
einschlägig bekannt. Sie werden
von den großen türkischen
Rechtsanwaltskammern wegen
ihrer Art der Zusammenarbeit mit
Deutschland seit Jahren heftig
kritisiert.
Die untergetauchten kurdischen
Familien haben keine Stimme, sie
erscheinen in keiner Statistik.
Ebensowenig diejenigen, die erst
Tage oder Wochen nach ihrer Abschiebung von den türkischen
Verfolgungsbehörden einkassiert
werden und in einem der zahlreichen Gefängnisse und Folterkam-
mern verschwinden.
Eine allgemeine Rückkehrgefährdung für kurdische und türkische
Flüchtlinge ergibt sich, sofern
man es mit klarem Menschenverstand betrachtet, aus der derzeitigen Situation in der Türkei. Im
Osten tobt ein erbarmungsloser
Krieg gegen die PKK - ausgetragen auf dem Rücken der kurdischen Zivilbevölkerung. Landesweit werden Oppositionelle
durch Folter, extralegale Morde
und „Verschwindenlassen“ eingeschüchtert und zum Schweigen
gebracht. Massenhaft werden
Prozesse geführt gegen Menschen, die sich für Frieden und
Freiheit in Kurdistan und die Meinungsfreiheit einsetzen. Von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit
kann keine Rede sein.
Alle Gutachten und Einschätzungen, die dem Bundesamt und
den Gerichten diesbezüglich vorgelegt werden, sind aber scheinbar nur dann relevant, wenn aus
ihnen die Gefahrlosigkeit einer
Abschiebung und die Existenz einer inländischen Fluchtalternative
herausgelesen werden kann. Dabei schaffen es viele Richter und
Einzelentscheider, aus seitenlangen Stellungnahmen ein paar
wenige Sätze herauszupicken
und aus dem Zusammenhang zu
reißen, um sie den politisch opportunen Lageeinschätzungen
anzupassen. Alles andere wird als
Gefälligkeitsgutachten oder widersprüchlich abgetan oder
schlichtweg ignoriert.
Manche deutsche Richter haben
auch keine Scheu, die Argumente
des türkischen Staates nahezu
wörtlich zu übernehmen, wie
beispielsweise Richter von Krosigk
vom VG Braunschweig:
„Keine Zweifel hatte das Gericht
auch bezüglich der Angaben des
Klägers, daß er wegen des Verdachtes auf Unterstützung der
PKK festgenommen wurde. Diese
Maßnahmen der türkischen Sicherheitskräfte sind aber nicht als
politische Verfolgung zu werten.
Vielmehr handelte es sich um
zeitlich begrenzte Ermittlungsmaßnahmen im Rahmen der Terrorismusbekämpfung.“
Man kann es auch so machen,
wie Richter Borchert von der 7.
Kammer des VG Hannover im
August letzten Jahres. Er verfügte
die Abschiebung eines politisch
äußerst aktiven Kurden (Gebietsleiter der PKK, Organisation einer
kurdischen Großdemonstration
usw.), um in seinen nachfolgenden Urteilen und Beschlüssen zu
verkünden, diesem besagten Kurden sei ja nichts passiert. Daß
dieser Kurde sich seit Monaten
aus Angst vor erneuter Inhaftierung samt seiner Familie in der
Türkei versteckt hält, fällt nicht
mehr in die Zuständigkeit der
Richters. Ein türkischer Mann hält
eben etwas aus. (Meinte der Vorsitzende der 7. Kammer in einer
öffentlichen Verhandlung zur Folter in der Türkei!)
Bei Mehmet Ali Akbas hat dies
bekanntlich nicht so gut funktioniert. Dummerweise ergab Akbas
sich nicht, wie tausende andere
mißhandelte Kurden, seinem
Schicksal, sondern er wagte es,
sich an Rechtsanwälte, den IHD
und letztlich an die deutsche Botschaft zu wenden und seinen Fall
öffentlich zu machen.
Damit ist er nun wirklich ein Einzelfall - der erste, bei dem die
Verfolgung nach penibel deutschen Maßstäben lückenlos recherchiert und bewiesen werden
konnte.
„Absoluter Einzelfall“ heißt es immer, wenn die Verantwortlichen
nicht gewillt sind, die Verantwortung zu tragen und politische
Konsequenzen daraus zu ziehen.
Den ohnehin angekratzten Beziehungen Deutschlands zur Türkei
würde das auch nicht gut bekommen, gerade jetzt, wo die
beiden Außenminister wieder
vorsichtigen Kontakt zueinander
aufgenommen haben. Die
Freundschaft sei zu wichtig, um
sie „im schwierigen Fahrwasser“
zu lassen, so Kinkel. Die möchte
man sich auch nicht durch die zugegebenerweise lästigen Menschenrechtsverletzungen in
der Türkei allzu madig machen
lassen.
Also werden weiterhin Kurden in
die Türkei abgeschoben und der
„sicheren inländischen Fluchtalternative“ überlassen, derweil
sich „Einzelfall“ an „Einzelfall“
reiht.
71
KURDENVERFOLGUNG
Mehmet Ali Akbas:
Mit deutschem Ticket
in den türkischen
Folterkeller
Von Tomas Avenarius*
Mehmet Ali Akbas ist der erste
Kurde, der als Verfolgter wieder
in die Bundesrepublik zurück
durfte1 - aber nun steht die Abschiebung seines Cousins an
Er schaut immer wieder ins Leere,
redet nur leise, kritzelt zwischen
zwei Zigaretten ziellos auf einem
Blatt Papier herum. Der hagere,
dunkelhaarige Mann, der in einem Cafe in der Innenstadt von
Hannover sitzt, erzählt von der
Folter, von Menschen, die ihn gequält haben, von seiner Angst
und davon, daß er am Ende zusammengebrochen ist und Bekannte, Freunde und Verwandte
belastet hat. Auch solche, die gar
nichts getan haben. Mehmet Ah
Akbas, aus Deutschland in die
Türkei abgeschobener Kurde, berichtet davon, wie es dazu kam,
daß er von deutschen Polizisten
in die Türkei gebracht, dort von
türkischen Polizisten schwer gefoltert wurde und wie er schließlich auf abenteuerlichem Wege und offenbar mit dem Wissen
deutscher Behörden - aus seiner
Heimat floh und zurück nach
Hannover kam.
Der Fall des 32jährigen Akbas
könnte das ohnehin belastete
Verhältnis zwischen Bonn und
Ankara weiter trüben und zugleich jenen Argumente liefern,
die die harte Haltung der Bunder-
* Süddeutsche Zeitung; Hannover, 17 Mai 1998
72
regierung bei der Abschiebung
abgelehnter Asylbewerber unmenschlich nennen. Denn im Fall
von Mehmet Ah Akbas ist erstmals von deutscher Seite amtlich
dokumentiert und anerkannt,
daß ein aus Deutschland abgeschobener kurdischer Asylbewerber in der Türkei gefoltert worden ist. Und das heißt: Ankara
bricht seine mit Bonn getroffenen
Vereinbarungen über den Umgang mit abgeschobenen türkischen Staatsbürgern. Stimmt alles, was Akbas erzählt - und es
gibt keinen Grund, ihm nicht zu
glauben -, dann werden auch
Bundesinnenminister Manfred
Kanther und seinen Länderinnenminister-Kollegen über die angeblich gesicherte rechtsstaatliche Situation in der Türkei neu nachdenken müssen. Und dies gilt
auch für deutsche Verwaltungsrichter und Asylentscheider.
Bei der Einreise festgenommen
Denn das Schicksal von Mehmet
All Akbas ist typisch für das vieler
Kurden in Deutschland. Seine Familie, die in Viransehir nahe der
Stadt Urfa lebt, svmphatisiert offen mit der Kurdenbewegung. Einer seiner Brüder war Mitbegründer der später verbotenen Kurdenpartei HEP und saß dafür 13
Jahre im Gefängnis: er hat heute
Asvl in Deutschland. Ein Cousin
von Akbas ist seinem Bericht zufolge als Guerillakämpfer der
PKK. der Arbeiterpartei Kurdistans. ,,In die Berge” gegangen, eine Tante und ein Onkel ,,wurden
von der Conterguerilla ermordet”. Auch er selbst habe die HEP
unterstützt, sei mehrmals festgenommen und mißhandelt worden. 1993 reiste er schließlich
mit Frau und Kindern aus, beantragte in Deutschland Asyl, nahm
dann an der Besetzung des türkischen Konsulates in Hannover
1993 teil. Sein Asylantrag wurde
1997 abgelehnt, weshalb er am
15. Januar 1998 mehrere Polizisten an seiner Haustüre in Nienburg vorfand, die ihn, begleitet
von zwei Beamten, in ein Flugzeug nach Istanbul setzten. ,,Als
wir gelandet waren, drückten mir
die beiden meine Papiere in die
Hand und sagten ,Tschüß’. Ich
mußte alleine zur Zollkontrolle
und wurde dort sofort abgeführt.”
Am Bahnhof entführt
Mehrere Stunden habe man ihn
verhört, dann habe man gesagt,
er sei “sauber” und könne gehen.
Was folgte, war offensichtlich bis
ins Detail geplant und angelegt,
alle Spuren zu verwischen, “Sie
ließen mich ein Papier unterschreiben, daß ich gut behandelt
worden sei, und schärften mir
ein, an der nächsten Telephonzelle meine Familie in Viransehir anzurufen. Ich sollte sagen, daß ich
auf freiem Fuß bin”, sagt Akbas.
“Als ich zum Busbahnhof ging,
hielt ein Auto neben mir. Drei
Männer zerrten mich hinein, verbanden mir die Augen, schlugen
mich.” Verkehrspolizisten, die am
Busterminal standen, seien trotz
seiner Schreie nicht zu Hilfe gekommen. “Die wußten, wer mich
entführt”, sagt Akbas.
An das, was dann folgte, erinnert
er sich wie an einen Alptraum:
“Wir fuhren etwa 30 Minuten,
dann führten sie mich in ein Gebäude, ich hörte ein Stahltüre ins
Schloß fallen, wurde eine Treppe
hinunter geführt. Einer sagte: Wir
stellen Fragen. Du antwortest. Es
gibt nur Ja oder Nein, kein ,ich
weiß nicht’.” Sie hätten nach den
PKK-Strukturen in Deutschland
gefragt, nach Hintermännern der
Konsulatsbesetzung, nach seinem
Bruder. “Sie schlugen mich am
ganzen Körper. Als ich zusammebrach, traten sie mich.” Irgendwann wurde er bewußtlos. Als er
wieder klar wurde, rissen sie ihm
die Kleider vom Leib, übergossen
ihn mit eiskaltem Wasser - “es
war Januar und ich lag auf dem
Betonboden und fror brutal”.
Schließlich legten sie ihm Elektroden an Ohren und Genitalien,
folterten ihn mit Strom. Zuletzt
spürte Akbas den Lauf einer Pistole an der Schläfe, hörte, wie
der Hahn gespannt wurde.
Was er dann getan hat, beschämt ihn heute tief. “Ich habe
ihnen irgendwelche Namen genannt, möglichst viele, damit sie
nur glauben. In meiner Angst
hätte ich sogar erzählt, daß mein
alter Vater PKK-Kämpfer ist.” Akbas hat wahllos Freunde, Verwandte und Bekannte denunziert
und das “Angebot einer Zusammenarbeit” mit der Polizei
angenommen. Er weiß, daß diese
Menschen, falls sie in die Türkei
fahren sollten oder von den deut-
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
KURDENVERFOLGUNG
schen Behörden dorthin abgeschoben werden, Gefahr laufen,
ebenfalls gefoltert zu werden.
Nach seinem “Geständnis” habe
man ihm Zigaretten und Tee gereicht, ihm Decken und einen
Pullover gegeben. Nach acht Tagen setzten ihn die Polizisten irgendwo in Istanbul an einer
Straße ab. “Vorher hatten sie
noch gedroht, daß meiner Familie etwas passieren würde, wenn
ich nicht zusammenarbeite.”
Bis dahin, das haben der türkische Menschenrechtsverein und
Amnesty International oft genug
nachgewiesen, ist der Fall nicht
einzigartig: Folter ist auf türkischen Polizeirevieren an der Tagesordnung, immer wieder werden ,,von Unbekannten” ermordete Kurden mit Folterspuren
aufgefunden. Nur: Der aus
Deutschland abgeschobene Asylbewerber Mehmet All Akbas
konnte in Istanbul untertauchen,
ließ sich mit Hilfe des niedersächsischen Flüchtlingsrates und der
Grünen-Landtagsabgeordeneten
Silke Stokar von einem Vertrauensarzt des deutschen Generalkonsulates untersuchen. Der bestätigte in seinem Gutachten
“weitgestreckte Prellungsgebiete
(...) von Einwirkungen durch
stumpfe Gegenstände” sowie
weitere Verletzungen, also eindeutige Foltermale.
Damit ist der Foltervorwurf von
deutscher Seite erstmals amtlich
dokumentiert und anerkannt.
Und nur so erklärt es sich auch,
daß der abgelehnte und abgeschobene Asylbewerber Akbas
am 12. Mai wieder nach
Deutschland einreisen durfte.
Weil ihm die Türken die Ausreise
verweigert hatten, war er mit einem Boot über den türkisch-griechischen Grenzfluß Meric geflohen, wurde dann in Zusammenarbeit mit der deutschen Botschaft in Athen nach Hannover
gebracht.
Offenbar ist den Zuständigen im
Auswärtigen Amt längst klar geworden, was von den Absprachen mit Ankara zu halten ist.
Auch wenn man das in Bonn
nicht bestätigen will, arbeitet
man dort angeblich bereits an
der Änderung des Lageberichts
Türkei. Diese Analysen der Situation in den jeweiligen Staaten bilden die Grundlage für den Vollzug von Abschiebungen. Selbst
das Bundesinnenministerium
zweifelt nicht mehr daran, daß
Akbas gefoltert wurde. Es soll gegenüber dem Außenministerium
sogar eingeräumt haben, mit der
Abschiebung einen Fehler begangen zu haben. ,,Daran, daß der
Asylfolgeantrag von Akbas jetzt
rasch bewilligt werden wird, gibt
es gar keinen Zweifel”, sagt Seyit
Gül vom niedersächsischen
Flüchtlingsrat.
Einzelfall oder exemplarisch?
Die alles entscheidende Frage ist
aber, ob Mehmet Ali Akbas
Schicksal in den Augen der deutschen Behörden ein Einzelfall ist
oder exemplarisch steht für den
Umgang der Türken mit politisch
unliebsamen Bürgern. Wie wenig
Sicherheit Abgeschobene in der
Türkei genießen, zeigt sich auch
an der Liste jener türkischen
Rechtsanwälte, die den Abschiebekandidaten von deutscher Seite
mit auf den Weg gegeben werden. “Als ich dort anrief”, sagt
Akbas, “haben sie mir sofort gesagt, sie könnten gar nichts für
mich tun. Das war die ganze Hilfe.”
Und während Menschenrechtsgruppen wie Pro Asyl und der
Flüchtlingsrat bereits Konsequenzen für die deutsche Asylpolitik
fordern, zeigen sich die Verantwortlichen im Bundesinnenministerium noch unbeeindruckt. Es
handele sich bei Akbas um einen
,,offensichtlichen Einzelfall”, argumentiert ein Sprecher. Und
auch im Bundesamt für Flüchtlingsfragen scheint man an der
harten Linie festzuhalten. Seyit
Gül vom Flüchtlingsrat sagt, die
Behörde habe jüngst “innerhalb
von zwei Stunden” entschieden,
einen ebenfalls in Nienburg lebenden Cousin von Akbas abzuschieben - “obwohl wir ihnen das
ganze neue Material über den
Fall von Mehmet Ali Akbas vorgelegt hatten”.
Wenn es schlecht läuft, ist dieser
Cousin, Mirze Akbas, in ein paar
Tagen bereits in den Händen der
türkischen Polizei. Auch er steht
auf der Liste der Hannoveraner
Konsulatsbesetzer, auch er war in
Deutschland politisch für Kurdengruppen aktiv. Mehmet Ali Akbas, der die Namen vieler seiner
Verwandter als angeblich politisch Aktiver unter der Folter ge-
nannt hat, sagt nur: “Was ihn in
der Türkei erwartet, ist doch
ganz klar.”
1) Auch die Ehefrau und die Kinder der
kurdischen Familie Doruk konnten 1995
mit Einverständnis der niedersächsischen Landesregierung und der Bundesregierung nach ihrer spektakulären Abschiebung wieder einreisen.
Beiden Fällen ist gemeinsam, daß die
deutschen Behörden auf legalem Wege
nicht in der Lage gewesen wären, die
Abgeschobenen wieder nach Deutschland zurück zu holen.
73
KURDENVERFOLGUNG
Glogowskis Rücktritt
gefordert
Wie viele menschliche Versuchskaninchen
benötigt der niedersächsische Herr Innenminister
noch, um sich von der Vertragstreue
der türkischen Polizei zu überzeugen?
Dr. Burkhard Hirsch, MdB (F.D.P).*
Zu erneuten Verletzungen des
deutsch-türkischen Verhältnisses
erklärte der F.D.P.-Bundestagsabgeordnete Dr. Burkhard Hirsch,
MdB, heute in Bonn:
Es steht leider fest, daß der aus
Niedersachsen in die Türkei abgeschobene kurdische Asylbewerber
Mehmet Aktas von der türkischen
Polizei in übelster Weise gefoltert
worden ist. Der niedersächsische
Herr Innenminister hat ihm zwar
dankenswerterweise die Rückkehr
nach Deutschland gestattet, hält
aber daran fest, einen Verwandten des Folteropfers demnächst
abzuschieben.
In einer normal funktionierenden
Demokratie würde schon die Folterung eines politischen Flüchtlings ausreichen, den für die Abschiebung verantwortlichen Innenminister zum Rücktritt zu veranlassen. Er kann persönlich
nichts dafür, aber er hat es zu verantworten. Wer sonst?
Wie viele menschliche Versuchskaninchen benötigt der niedersächsische Herr Innenminister noch,
um sich von der Vertragstreue der
türkischen Polizei zu überzeugen?
Er kann sich darauf berufen, daß
der Bundesinnenminister die Vereinbarung abgeschlossen hat. Ist
das alles? Ist jeder der beiden Herren nur das hilflose Werkzeug des
anderen?
* Erklärung von Dr. Burkhard Hirsch, MdB vom 18.05.1998
Man muß erwarten können, daß
die Bundesregierung erklärt, welche Folgerungen sie zu ziehen gedenkt. Keine?
Eine Fernsehsendung berichtet
unwidersprochen von den Aussagen zweier in die Schweiz geflohener Offiziere der türkischen Armee, daß entgegen allen Verpflichtungen mit deutschen Waffen Massaker an Kurden verübt
wurden, so in der kurdischen
Stadt Kars im Kreis Kazman. Die
Panzer seien noch mit der deutschen Bedienungsanleitung ausgestattet gewesen.
Welche Folgerungen zieht die
Bundesregierung daraus? Sagt sie
wenigstens, daß es ihr leid tut?
Wir wollen gute Beziehungen zur
Türkei. Wir würdigen die schwierige innenpolitische Lage ihrer Regierung . Aber unabhängig davon, ob die Bundesregierung der
Türkei den Weg nach Europa öffnen will oder nicht, wird sie das
Gesicht verlieren, in der Türkei
und sonstwo, wenn sie derartige
Vorgänge aus Eigennutz oder
Hilflosigkeit schweigend hinnimmt.
Verantwortung liegt bei Minister Kanther
Minister Gerhard Glogowski*
Sehr geehrter Herr Dr. Hirsch,
mit Fassungslosigkeit und großer
Betroffenheit habe ich Ihre Presseerklärung vom 18. März 1998
zur Kenntnis genommen, in der
Sie auf unfaire Weise und wider
besseres Wissen versuchen, mir
die Verantwortung für die
Mißhandlung eines aus Niedersachsen in die Türkei abgeschobenen Kurden in die Schuhe zu
schieben. Von einem so erfahrenen Abgeordneten wie Sie es
sind, der sich nicht nur regelmäßig zu Fragen der Asyl- und
Ausländerpolitik äußert, sondern
* Presseinformation des Nds. MI vom 9.05.98/Nr. 106/98
74
in den Jahren 1992 und 1993
maßgeblich am Parteienkompromiß zur Änderung des Asylrechts
mitgewirkt hat, hätte ich eigentlich erwartet, daß er über die von
ihm selbst mitgestaltete Aufteilung der Kompetenzen zwischen
den Bundes- und Landesbehörden
in diesem Bereich besser informiert ist. Da dies offenbar nicht
der Fall ist, will ich es noch einmal
erklären:
Zuständig für die Entscheidung
über Asylanträge und das Vorliegen auslandsbezogener Abschiebungshindernisse ist aus wohlerwogenen Gründen ausschließlich
das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge.
Die Dienst- und Fachaufsicht über
diese Behörde führt das Bundesministerium des Innern. Die Aus-
länderbehörden der Länder sind
an die Entscheidungen dieser
Behörde und der Verwaltungsgerichte, die zur Überprüfung eingeschaltet werden können, gebunden. Grundlage für die Entscheidungen dieser Stellen sind u.a. die
Lageberichte des Auswärtigen
Amtes. Für die Ausländerbehörden, für die ich in Niedersachsen
die Verantwortung trage, besteht
keine Möglichkeit, hiervon abweichende Entscheidungen zu treffen; sie müssen die vom Bundesamt getroffene Entscheidung ohne eigene Prüfungskompetenz
vollziehen.
Wenn hier also von deutscher politischer Verantwortung die Rede
ist, so liegt diese für die Entscheidungen des Bundesamtes für die
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KURDENVERFOLGUNG
Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge beim Bundesinnenminister, also ihrem Koalitionspartner Kanther. Dem Bundesaußenminister, bekanntlich ihr Parteifreund Kinkel, hingegen ist es offenbar bis zum heutigen Tage
nicht gelungen, die Türkei zu veranlassen, rechtsstaatliche
Grundsätze einzuhalten und die
Menschenrechtssituation zu verbessern. Auch hat er in seinen Lageberichten die Situation für die
Kurden in der Türkei so dargestellt, daß eine Asylanerkennung
oder die Gewährung von Abschie-
bungsschutz nur im Einzelfall in
Betracht kommen kann und Abschiebungsstopps nicht geboten
sind.
Abschiebung kurdischer Volkszugehörige in die Türkei
geanträge zu stellen.
Anlage: 1
als Anlage erhalten Sie einen Auszug aus dem aktuellen Bericht des
Auswärtigen Amtes zur asyl- und
abschiebungsrelevanten Lage in
der Türkei. Der komplette Lagebericht wird Ihnen in Kürze übersandt. Die im Lagebericht vom
Auswärtigen Amt bestätigten
Mißhandlungsvorwürfe betreffen
einen im Januar d.J. aus Niedersachsen abgeschobenen abgelehnten kurdischen Asylbewerber.
Der ehemalige Asylbewerber ist
inzwischen mit Zustimmung des
Bundesinnenministeriums und Unterstützung des Auswärtigen Amtes über Griechenland legal wieder in die Bundesrepublik
Deutschland eingereist und hält
sich seither wieder in Niedersachsen auf. Er erhält Gelegenheit, die
nach seiner Abschiebung in der
Türkei erlittenen Mißhandlungen
und Bedrohungen in einem Asylfolgeverfahren geltend zu machen. Weitere Familienangehörige
des zurückgekehrten ehemaligen
Asylbewerbers, die in der Bundesrepublik verblieben waren, erhielten ebenfalls Gelegenheit, Asylfol-
Es ist auch unredlich, weil nicht
zutreffend, daß ich daran festhalte, demnächst einen Verwandten
des Folteropfers abzuschieben.
Die Abschiebung dieses Verwandten ist ausgesetzt und ihm die
Möglichkeit gegeben worden im
einem Asylfolgeverfahren die jetzt
neuen Erkenntnisse vorzubringen.
Es wird also eine neue Entscheidung des zuständigen Bundesam-
Die Ereignisse um den zurückgekehrten ehemaligen Asylbewerber
geben keine Veranlassung dazu,
generell von der Durchsetzung
aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegenüber kurdischen Volkszugehörigen aus der Türkei abzusehen.
Soweit zur Ausreise verpflichtete
Kurdinnen und Kurden aus der
Türkei - ggf. unter Berufung auf
die erlittenen Mißhandlungen des
jetzt zurückgekehrten ehemaligen
Asylbewerbers geltend machen,
bei ihrer Rückkehr in die Türkei
bedroht zu sein, sind sie darauf
zu verweisen, daß diese Gefährdung bei Asylbewerberinnen und
Asylbewerbern in individuellen
Verfahren vom Bundesamt für die
Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge zu entscheiden ist.
Sollten auch in diesen (erneuten)
Verfahren Abschiebungshindernisse nicht festgestellt werden, ist
die Ausreiseverpflichtung der kurdischen Volkszugehörigen aus der
Türkei zwangsweise durchzusetzen, wenn sie der Ausreisepflicht
nicht freiwillig nachkommen.
Auf Wunsch ist den ausreisepflichtigen kurdischen Volkszugehörigen die Möglichkeit zu ge-
tes geben. Von dieser Entscheidung hängt das weitere Vorgehen
der Ausländerbehörde ab.
Wenn Sie also meinen, in einer
„normal funktionierenden Demokratie“, für die Sie die Bundesrepublik Deutschland offenbar nicht
halten, müßten die verantwortlichen Minister zurücktreten, dann
darf ich Sie bitten, diese Aufforderung an Ihren Parteifreund Kinkel
bzw. an Ihren Koalitionspartner
Bundesinnenminister Kanther zu
richten, was Mut von Ihnen erfordern würde, aber redlich wäre.“
Nds. Innenministerium:
Keine Konsequenzen
aus dem Fall Akbaz
... sind sie darauf zu verweisen, daß diese Gefährdung
bei Asylbewerberinnen und Asylbewerbern in individuellen
Verfahren vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zu entscheiden ist. *
ben, bereits von Deutschland aus
Kontakt mit Anwälten ihres Vertrauens in der Türkei aufzunehmen, wenn sich dadurch die Ausreise nicht verzögert.
Im Auftrage
Middelbeck
* Schreiben des MI per Fax an die Bezirksregierungen mit der Bitte
um Weiterleitung an die Ausländerbehörden vom 22.05.1998
Az.: 45.31-12230/1-1(§54)1-3
75
KURDENVERFOLGUNG
Gutachten
zur Gefährdung
abgeschobener Kurden
in der Türkei
Serafettin Kaya*
Seit der Gründung der Republik
Türkei hat der türkische Staat
stets Angst davor, daß das kurdische Volk sich für seine nationale
Identität und seine politischen
und kulturellen Rechte erhebt
und daß dessen Frage auf internationaler Ebene behandelt wird.
Er hat sich vor den Aktivitäten der
kurdischen nationalen Opposition
zu jeder Zeit gefürchtet und hat
deswegen jeden Auflehnungsversuch mit äußerster Härte bestraft.
Alle Nachrichtendienste der Republik Türkei haben, auch wenn sie
mit unterschiedlicher Zielsetzung
gegründet wurden und unterschiedliche Aufgabenbereiche abdecken, die kurdische nationale
Opposition und deren Aktivitäten
ebenso wie ihren genuinen Aufgabenbereich verfolgt und tun
dies immer noch.
Der Staat der Republik Türkei verfolgt die gesamte Presse- und
Medienarbeit (in Printmedien,
Rundfunk und Fernsehen)der kurdischen nationalen Opposition
und der türkischen linken Opposition sowohl in der Türkei als auch
* Gutachten vom 20.02.1998
für das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen;
Az.: 2 a K 5300/97.A
76
in Europa. Neben dem nationalen
Nachrichtendienst MIT verfolgen
auch die Nachrichtenabteilung
des Sicherheitsamtes der Generaldirektion der Polizei sowie die
Niederlassungen der Nachrichtenabteilung bei den Polizeidirektionen der Provinzen diese regelmäßig. Bei diesen Behörden gibt
es jeweils Dezernate für besondere Aufgabenbereiche wie z.B.
,,Kurdenabteilung, ,,Kurdendezernat“. Bei diesen Behörden werden
Informationen gesammelt, ausgewertet und entsprechende Maßnahmen eingeleitet.
Die mir bekannten Abgeordneten
in Ankara und Personen aus den
politischen Kreisen von HADEP
und CHP, zu denen ich Kontakt
aufgenommen habe, bestätigten
mir, daß bei dem Sicherheitsamt
der Generaldirektion der Polizei in
Ankara sowie bei den Polizeidirektionen in den großen Städten wie
Izmir und Istanbul besondere,
technisch gut ausgestattete Sonderbüros eingerichtet worden
sind, deren einzige Aufgabe in
der Beobachtung der Sendungen
von MED-TV besteht. Sie sind der
Auffassung, daß den MED-TVSendungen deswegen besondere
Beachtung geschenkt wird, weil
durch visuelle Medien größere
Kreise erreicht werden können,
sie zur Bildung eines Nationalbewußtseins bei den Massen beitragen und in größerem Maße bei
der politischen Aufklärung mitwirken. Anwaltskollegen von der
Anwaltskammer in Diyarbakir haben mir berichtet, daß bei der
Nachrichtenabteilung des Polizeipräsidiums in Diyarbakir eine besondere Abteilung eingerichtet
wurde und diese in mit allen
technischen Möglichkeiten ausgestatteten Räumlichkeiten die Sendungen von MED-TV verfolgt. Die
Nachrichtenabteilung der Gendarmerie bedient sich der Auskunft
zufolge bei der Beobachtung der
Programme von MED-TV der kurdischsprechenden Gendarmen. Im
Notstandsgebiet, insbesondere in
der Provinz Diyarbakir und Umgebung, sind einige Dorfschützer
von den Gendarmeriekommandanturen mit der Beobachtung
von MED-TV beauftragt worden.
(Bezweckt wird damit, in MED-TV
auftretende Personen zu identifizieren. Zu diesem Zweck wurden
ihnen auch Satellitenempfänger
zur Verfügung gestellt.
Nach dem Erlaß des Ministerpräsidentenamtes vom 30.11.1993
und dem im Anschluß daran an
die Gouverneure, die Generaldirektion der Polizei, die Gendarmeriekommandanturen und Auslandsvertretungen gesandte
Rundschreiben vom 30.1.1994
mit der Nummer 03438, in dem
dazu aufgefordert wurde, die
Verbreitung der Publikationen der
kurdischen nationalen und türkischen linken Opposition zu verhindern, wurden MED-TV und die
von der kurdischen nationalen
Opposition noch strenger kontrolliert. Man kann sagen, daß der
Nachrichtendienst der Gendarmerie sowie die Gendarmeriekommandanturen und sogar untergeordnete Einheiten MED-TV beobachten und sich dabei der kurdischsprechenden Gendarmen
oder Personen aus der Bevölkerung oder vorläufiger Dorfschützer bedienen.
In dem betreffenden Rundschreiben heißt es, nachdem über die
legalen Aktivitäten der kurdischen
nationalen Opposition und über
die Presse- und Medienorgane,
die sich mit der kurdischen Frage
befassen, ausführlich berichtet
wurde:
,,Die Aktivitäten der Zeitungen,
Zeitschriften, Radio- und Fernsehsender, die separatistische und
gewalttätige Organisationen unterstützen - insbesondere von Özgür Ülke - haben in letzter Zeit eine Qualität erreicht, die direkt das
Ansehen und den Fortbestand
des Staates angreift. Daher bitte
ich darum, A) diese Presse- und
Medienorgane streng zu beobachten und zu verfolgen, B) die
Gründe dafür festzustellen, warum, obwohl so viele Straftaten
begangen und Strafanzeigen gestellt wurden, von den Verwaltungs- und anderen Organen keine wirkungsvollen rechtlichen
Schritte unternommen worden
sind und wirksame Maßnahmen
dagegen zu ergreifen, C) Methoden zur Bekämpfung solcher Presse- und Medienorgane zu entwickeln, welche Organisationen,
welche sich gegen den Fortbestand des Staates richten und separatistische Propaganda betreiben und Terrororganisationen unterstützen; die entwickelten Methoden müssen rasch umgesetzt
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
KURDENVERFOLGUNG
werden.
Außerdem hat das Innenministerium einen von der damaligen Innenministerin Meral Aksener unterzeichneten Erlaß vom
03.0l.l997 an den Gouverneur für
das Notstandsgebiet und die
Gouverneure aller Provinzen, die
Generalkommandantur der Gendarmerie, der Generaldirektion
der Polizei und das Generalsekretariat des Nationalen Sicherheitsrates gesandt. Der Erlaß mit der
Nummer 073/472, welcher zusätzliche zu den bereits ergriffenen Maßnahmen beinhaltet, um
die legalen politischen Aktivitäten
der PKK unwirksam zu machen,
fordert dazu auf, die Sendungen
von MED-TV zu beobachten sowie zu verhindern, daß dieser
Sender im Land Aufnahmen
macht und ausstrahlt (2. Abschnitt, Punkt 10).
In den Tageszeitungen und in
MED-TV wird auch berichtet, daß
die Sicherheitsbehörden Häuser,
Cafés, Restaurants und ähnliche
Geschäfte überfallen und die Bevölkerung unter Druck setzen,
um die Verbreitung von Zeitungen und Zeitschriften der kurdischen nationalen Opposition sowie den Empfang des MED-TVSenders zu verhindern. Außerdem werden Personen, die in den
Sendungen aufgetreten oder in
Sendungen erkannt worden sind,
verfolgt, um kurdische und türkische Intellektuelle einzuschüchtern, damit diese sich von MEDTV und den Publikationen der
kurdischen nationalen Opposition
distanzieren.
Viele Teilnehmer an Gesprächsrunden in MED-TV oder Personen, die in MED-TV-Sendungen
zu sehen waren, wurden verhört,
und es wurden gegen sie strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Unter anderem wurden
Güven Özata, der stellvertretende
Vorsitzende von HADEP, Akin Birdal, Vorsitzender des Menschenrechtsvereins (IHD), die Rechtsanwältin Eren Keskin, der Rechtsanwalt Mahmut Sakar und die kurdischen Intellektuellen Dr. Tank
Ziya Ekinci, H. Musa Sagnic, Abdullah Varli, die DEP-Abgeordneten Ahmet Türk und Sirri Sakik
und viele andere nach ihrem Auftritt bei MED-TV bei der Einreise
in die Türkei verhört, und es wurde gegen sie gemäß § 169 TStGB
und §§ 7/2 und 8 des Gesetzes
Nr. 3713 (Gesetz zur Bekämpfung des Terrors strafrechtlich ermittelt. Eine mir bekannte Person, die ich hier zu ihrem Schutz
nur als T.K. bezeichnen möchte,
hat während ihres Europaaufenthalts als Zuhörer an einer Diskussionssendung von MED-TV teilgenommen und wurde bei ihrer
Rückkehr eine Woche festgehalten und unter Folter verhört. Sie
fürchtet noch immer, daß deswegen ein Strafverfahren gegen sie
eingeleitet werden könnte.
nisation zu gestehen. Während
des Verhörs habe man ihm eine
Videoaufzeichnung der Fernsehsendung, an der er via Telefon
teilgenommen hatte, gezeigt
Außerdem wurde einer der stellvertretenden Vorsitzenden von
HADEP, Mehmet Satan, wegen
seiner Rede in einer Talkshow in
MED-TV über die kurdische Frage
und die Aktivitäten der kurdischen nationalen Opposition bei
seiner Einreise in die Türkei festgenommen und danach beim
Staatssicherheitsgericht Ankara
ein Verfahren gegen ihn eingeleitet. Am 28.10.1997 wurde er zu
vier Jahren und sechs Monaten
schwerer Freiheitsstrafe verurteilt.
Die Anklageschrift und die Protokolle dieses Verfahrens sowie das
von der Nachrichtenabteilung der
Generaldirektion der Polizei in
Ankara herausgegebene und den
zuständigen Behörden zugeleitete Bulletin über die betreffende
MED-TV Sendung vom 4.4.1997
befinden sich in meinem Archiv.
Es ist allgemein bekannt, daß der
kurdische Staat sich von den Aktivitäten der kurdischen nationalen Opposition bezüglich der Anprangerung der staatlichen Kurdenpolitik vor der demokratischen Weltöffentlichkeit sowie
von ihrem Bemühen um Unterstützung bei der europäischen
Öffentlichkeit für eine politische
Lösung der kurdischen Frage beunruhigt fühlt. Aus diesem Grunde hat er seit den 80er Jahren,
seit die kurdische nationale Opposition sich nach Europa öffnete
- insbesondere seit der Aufnahme
des bewaffneten Kampfes und
seiner Ausbreitung - auch im
Ausland Organisationen geschaffen, um die kurdische nationale
Opposition zu bremsen. Auf der
einen Seite versucht er durch gezielte Propaganda und provokative Aktionen die Parteien und Organisationen der kurdischen nationalen Opposition dort, wo sie
aktiv sind, als ,,verbotene“ Organisationen zu diskreditieren, auf
der anderen Seite bemüht er
sich, die Menschen kurdischer
Abstammung in Europa durch
verschiedene Maßnahmen einzuschüchtern und sie so von der
kurdischen nationalen Opposition
fernzuhalten. Um die kurdische
nationale Opposition besser beobachten und Informationen
über sie sammeln zu können und
um sie durch Provokationen zu
lenken und von ihrem Kurs abzubringen, haben die Nachrichtendienste und Auslandsvertretungen der Republik Türkei seit 1986
neue Wege bei der Organisierung
beschritten, und es wurden bei
den Konsulaten Büros des wieder
ins Leben gerufenen Amtes für
Öffentlichkeitsarbeit eingerichtet
Der ehemalige HADEP-Provinzvorsitzende von Diyarbakir Abdullah
Akin (jetzt Mitglied des Parteipräsidiums) wurde, weil er per Telefonschaltung an einer Diskussionsrunde von MED-TV über den
geplanten Musa-Anter-Friedenszug von Brüssel nach Diyarbakir
teilgenommen hatte, festgenommen, verhört und verhaftet, und
es wurde gegen ihn ein Strafverfahren mit dem Vorwurf der Mitgliedschaft in der PKK eingeleitet.
Bei der Gerichtsverhandlung wurde er freigesprochen und freigelassen, weil die Mitgliedschaft in
der Organisation nicht bewiesen
werden konnte. In der Presse
wurde über diesen Fall berichtet.
Akin hat angegeben, er sei
während seiner Festnahme unter
Folter verhört worden, und man
habe versucht ihn zu zwingen,
seine Mitgliedschaft in der Orga-
Der MIT ist zudem nicht nur im
Inland, sondern auch im Ausland
organisiert und verfolgt mit Hilfe
der Auslandsvertretungen der Republik Türkei die kurdische nationale Opposition, die radikale türkische Linke und die islamischfundamentalistische Opposition
und deren Aktivitäten und Publikationen - das trifft insbesondere
auch auf MED-TV zu.
77
KURDENVERFOLGUNG
und mit technischen Mitteln ausgestattet. Darüber hinaus hat
man sich auch innerhalb der extrem-nationalistischen Föderation
der türkischen Vereine in Europa
und des Amtes für Religiöse Angelegenheiten/Türkisch-Islamische
Union organisiert1)
Zweifellos verfolgt der Nachrichtendienst MIT in den Auslandsvertretungen in Europa regelmäßig die von der kurdischen nationalen Opposition, der linken
Opposition und den radikalen fanatisch-religiösen Strömungen
herausgegebenen Zeitungen und
Zeitschriften und die von ihnen
verteilten Flugblätter. Das ist auch
nicht weiter schwer. Er kann sich
die Publikationen entweder selbst
oder über die Organisationen
und Einrichtungen, mit denen er
zusammenarbeitet oder über seine Agenten besorgen. Über die
Massenaktionen wie Kundgebungen, Demonstrationen, Abendveranstaltungen und Versammlungen, über Hungerstreiks und
ähnliche Protestaktionen sammelt
er neben Informationen auch
Aufnahmen. Auch deren Besorgung ist einfach. Alle Organisationen nehmen die von ihnen
durchgeführten Aktionen ohnehin auf Videokassetten auf,
welche sie vervielfältigen und
zum Kauf anbieten. Sicherlich
wird auch das Programm von
MED-TV täglich beobachtet und
werden wichtige Sendungen aufgezeichnet.
Die Personalien derjenigen, die in
Sendungen von MED-TV auftreten oder gezeigt werden und
derjenigen, die bei Aktionen gefilmt werden, werden oftmals genannt. Auch wenn das nicht der
Fall ist, kann ihre Identität über
die in die Organisationen der kurdischen und türkischen Opposition eingeschleusten Agenten,
über die Türkische Föderation
und die türkischen Moscheen sowie über die Arbeiter und Geschäftsleute, die mit den Auslandsvertretungen in engem Kontakt stehen, festgestellt werden.
Ich kenne viele Personen kurdischer Abstammung - ob Studenten oder Arbeitnehmer - denen
bei der Erledigung ihrer Angelegenheiten in den Konsulaten (bei
der Verlängerung von Pässen, der
Inanspruchnahme notarieller
78
Dienste wie der Beglaubigung
von Vollmachten und bei standesamtlichen Angelegenheiten)
Schwierigkeiten bereitet wurden,
weil sie an Aktionen in ihrem
Wohnort teilgenommen hatten
oder in Sendungen von MED-TV
zu sehen waren. (Weil in der
Presse nicht darüber berichtet
wurde und ich ihre Einwilligung
nicht eingeholt habe, möchte ich
ihre Nahmen an dieser Stelle
nicht nennen.) Vielen wurden
diese Aktivitäten vorgehalten, sie
wurden eingeschüchtert und zu
Agententätigkeiten genötigt.
Aus meinem Umfeld ist mir persönlich ein Arbeiter kurdischer
Abstammung bekannt, der in seinem Wohnort politisch aktiv ist
und zusammen mit seiner Frau
an einer Sendung im MED-TVStudio in Brüssel teilgenommen
hatte (die Sendung hieß „HeviyaGel“ - Hoffnung des Volkes) und
dabei auf dem Bildschirm zu sehen war. Als er zwecks Erteilung
einer Vollmacht das türkische Generalkonsulat in Hamburg aufsuchte, wurde er in ein separates
Zimmer gebracht, wo er verhört
und bedroht wurde.
In den Zeitungen wurde darüber
berichtet und ich habe viele Dokumente zu entsprechenden Fällen, daß vielen Personen bei der
Rückkehr in die Heimat wegen
ihrer Beteiligung an politischen
Aktivitäten während ihres Auslandsaufenthaltes der Prozeß gemacht wurde.
In den Zeitungen wurde darüber
berichtet, und ich habe viele Dokumente zu entsprechenden Fällen, daß vielen Personen bei der
Rückkehr in die Heimat wegen
ihrer Beteiligung an politischen
Aktivitäten während ihres Auslandsaufenthaltes der Prozeß gemacht wurde.
In den Zeitungen wurde darüber
berichtet und ich habe viele Dokumente zu entsprechenden Fällen, daß vielen Personen bei der
Rückkehr in die Heimat wegen
ihrer Beteiligung an politischen
Aktivitäten während ihres Auslandsaufenthaltes der Prozeß gemacht wurde.
Zum Beispiel:
Ein Arbeiter namens Salih Berkil
aus dem Kreis Hacibektas in Nevsehir wurde während seines Urlaubs in der Türkei wegen seiner
politischen Aktivitäten in Nürnberg und der Teilnahme an Protestaktionen vor dem Konsulat
verhaftet, und es wurde gegen
ihn ermittelt. (Der Rechtsanwalt
Murat Erdogan aus Antalya, zu
dem ich Kontakt aufgenommen
habe, hat diesen Vorfall bestätigt.
Der Brief, den der Kollege Erdogan diesbezüglich an Karen
Steinle geschrieben hat und eine
Abschrift des Schreibens des Polizeipräsidiums Ankara vom
15.01.1997 mit der Geschäftsnr.
97/1930 bezüglich der Festnahme von Salih Berkil und seiner
Überführung liegen mir vor.)
Der Rechtsanwalt Murat Erdogan
hat mir berichtet, daß gegen Salih Berkil beim Staatssicherheitsgericht Izmir ein Verfahren eingeleitet wurde und er nach 40 Tagen bei der Gerichtsverhandlung
freigesprochen und aus der Haft
entlassen worden ist. Wie ich erfahren habe, ist Salih Berkil nach
seiner Freilassung nach Deutschland zurückgekehrt und hält sich
wieder in Nürnberg auf.
Abdurahman Kilic aus Bingöl
wurde wegen seiner Aktivitäten
und Geldspenden in Deutschland
verhaftet, und es wurde gegen
ihn beim Staatssicherheitsgericht
in Diyarbakir gemäß 168/2 TStGB
ein Strafverfahren eingeleitet. Er
befindet sich noch in Untersuchungshaft. Die Hauptverhandlung findet am 5. März 1998
statt. Er wird von Rechtsanwalt
Sirac Anik vertreten.
Laut Auskunft von RA Sirac Anik
und RA Firat Anli, der mit dem
Menschenrechtsverein zusammenarbeitet, war Abdurahman
Kilic, als er aus Deutschland kam,
auf dem Istanbuler Flughafen eine Weile festgehalten und dann
wieder freigelassen worden. Als
er in Diyarbakir auf dem Busbahnhof wartete, um seine Familienangehörigen, die aus Bingöl
zu Besuch kamen, wurde er von
den staatlichen Sicherheitskräften
festgenommen. Er wurde acht
Tage lang unter Folter verhört.
Dabei wurden ihm seine Teilnahme an Veranstaltungen und der
Verkauf von Büchern und Zeitschriften in Deutschland und die
Überweisung von Geld an seine
Familie vorgehalten, und ihm
wurde vorgeworfen, er sei PKK-
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
KURDENVERFOLGUNG
Mitglied und als Kurier ins Land
eingereist. Man versuchte ihn zu
einer Aussage zu zwingen, mit
wem er in Deutschland und in
der Türkei Kontakte unterhalte
und wen er im Land besuchen
wolle. Die Anklageschrift und andere Dokumente, in deren Besitz
ich bin, bestätigen diese Darstellung. (Die Anklageschrift der Republikanischen Oberstaatsanwaltschaft beim Staatssicherheitsgericht Diyarbakir vom 31.12.1997
mit der Ermittlungsaktennr.
1997/3425, dem Aktenzeichen
1997/1548 und der Anklageschriftnummer 1997/1495 befindet sich in meinem Archiv.)
Ahmet Karakus aus dem Kreis
Araban/Gaziantep wurde mit der
Behauptung, er habe während
seines Aufenthaltes in Deutschland an von der PKK und ERNK
veranstalteten Demonstrationen
teilgenommen, beschuldigt, eine
bewaffnete Bande unterstützt zu
haben und verhaftet. Vor dem
Staatssicherheitsgericht in Izmir
wurde ihm der Prozeß gemacht,
und er wurde mit dem Urteil vom
6.11.1997 mit dem Aktenzeichen
1997/20 und der Urteilsnummer
1997/294 gemäß § 169 TStGB
und § 5 des Gesetzes Nr. 3713,
Gesetz zur Bekämpfung des Terrors, zu 4 Jahren und 6 Monaten
schwerer Gefängnisstrafe verurteilt. Ich bin im Besitz einer Abschrift dieses Dokumentes, und
über den Vorfall wurde auch in
der Presse berichtet.
Laut Bericht des Rechtsanwaltes
Firat Anli wurde der am 15. Januar 1998 in die Türkei abgeschobene Mehmet Ali Akbas auf dem
Flughafen festgenommen und
erst nach einiger Zeit wieder freigelassen. Ein paar Tage später, als
er zum Busbahnhof ging, um
nach Urfa zu fahren und seine
Verwandten zu besuchen, wurde
er erneut festgenommen und
wegen seiner Teilnahme an der
Besetzung des Generalkonsulats
in Hannover verhört. man versuchte ihn zu zwingen, die Hintergründe dieser Aktion, deren
Organisatoren und die weiteren
Teilnehmer preiszugeben. (Die
Anwaltskollegen haben mir eine
Abschrift des durch den Arzt Dr.
Mustafa Vurgun in der Zentralen
Gesundheitsstation in Viransehir
ausgestellten Attestes gesandt,
demzufolge Mehmet Ali Akbas
gefoltert worden ist. Das Attest
datiert vom 2.2.1998 und trägt
die Nummer 6130.)
Die oben aufgeführten Beispiele
zeigen deutlich, daß die Zeitungen und Zeitschriften der kurdischen nationalen Opposition sowie die Sendungen vom MED-TV
von den Sicherheitsbehörden und
Nachrichtendiensten sowohl im
Inland als auch im Ausland durch
Angehörige der Auslandsvertretungen und der Nachrichtendienste tatsächlich verfolgt und über
die gegen den Staat der Republik
Türkei gerichteten Aktivitäten der
Opposition im Ausland Informationen gesammelt werden.
2.
Die mir übersandte Videokassette
mit in MED-TV und im Offenen
Kanal ausgestrahlten Aufnahmen
des Hungerstreiks in der Dortmunder Petri-Kirche habe ich angeschaut. Darüber hinaus habe
ich auch die in der türkischen
Presse und in den Publikationen
der kurdischen nationalen Opposition darüber erschienenen Berichte geprüft. Die Teilnehmer an
dem Hungerstreik sind einzeln
aufgenommen und ein paar Mal
gezeigt worden, so daß ihre
Identifizierung leicht möglich ist.
Außerdem werden die Namen
der Hungerstreikenden auch in
den Presseberichten genannt. Der
Name des beigeladenen Ismail
Badur sowie die Namen der zur
gleichen Familie gehörenden Yildiz Badur, Cahide Badur und Nafiye Badur werden in dem in der
Ausgabe vom 13.2.1997 erschienenen Bericht der Zeitung Demokrasi genannt. In der Zeitung Hevi sind auch Fotos der Hungerstreikenden veröffentlicht worden. Die Identifizierung des beigeladenen Ismail Badur und der
anderen Angehörigen der Familie, die sich an dem Hungerstreik
beteiligt haben, fällt den türkischen Sicherheitskräften um so
leichter, als der betreffende Hungerstreik in der Kirche lange gedauert hat und sowohl in der
Presse als auch im Fernsehen darüber berichtet wurde. Viele deutsche demokratische Organisationen, politische Parteien und
Gruppen, Kirchen, Abgeordnete,
Politiker, Schriftsteller und Journalisten haben diese Aktion unterstützt. Es ist unwahrscheinlich,
daß eine Aktion, die in einem solchen Maße das Interesse der Öffentlichkeit auf sich gezogen hat,
der Aufmerksamkeit des türkischen Nachrichtendienstes und
der Auslandsvertretungen entgangen ist und daß sie diese
nicht insbesondere beobachtet
und darüber Informationen gesammelt haben.
Vordergründig sind Ismail Badur
und die anderen in den Hungerstreik getreten, um die drohende
Abschiebung der Familien Serin
und Yildirim, deren Asylanträge
abgelehnt worden waren, zu verhindern und richtete sich diese
Aktion gegen den deutschen
Staat. Wie den Presse- und Fernsehberichten zu entnehmen ist,
richtete sich diese Aktion jedoch
in erster Linie gegen die Kurdenpolitik des Staates der Republik
Türkei und zielte darauf ab, auf
die Unterdrückung des kurdischen Volkes aufmerksam zu machen. Die gestellten Forderungen
trugen politischen Charakter und
standen in direkter Beziehung
zum türkischen Staat. Außerdem
hat die Zeitung Postain ihrem Bericht alle Hungerstreikenden als
PKK’ler bezeichnet und hob besonders hervor, daß diese Aktion
von der PKK organisiert worden
sei. Die Berichte in den anderen
türkischen Zeitungen lauteten
ähnlich. Die Hungerstreikenden
haben auf die Fragen der Presseund Fersehjournalisten hin stets
über die Unterdrückung des kurdischen Volkes durch die Sicherheitskräfte des türkischen Staates
und über die Machenschaften
der staatlichen Sicherheitskräfte wie sie die Dörfer niedergebrannt
und die Menschen erschossen
haben - gesprochen. Alle loben
während ihrer Rede auch die kurdische nationale Opposition, insbesondere die PKK. Auch fordern
die gezeigten Transparente zu einer politischen Lösung der Kurdenfrage auf.
Wenn der beigeladene Ismail Badur oder andere Teilnehmer des
Hungerstreiks abgeschoben werden sollten, werden die Konsulate und die Angehörigen des
Nachrichtendienstes davon
Kenntnis haben. Die Sicherheitsbehörden vor Ort werden über
ihre Rückkehr zweifellos informiert werden. Es ist zu erwarten,
79
KURDENVERFOLGUNG
daß sie bei der Einreise festgenommen werden. Man wird sie
unter Anwendung von Gewalt
verhören und versuchen, sie zu einer Aussage darüber zu zwingen,
welche Kontakte sie zur PKK haben, mit wem zusammen sie sich
an welchen Aktivitäten beteiligt
haben und welche finanzielle Unterstützung sie geleistet haben,
und man wird sie zu diesem
Zweck ohne Zweifel auch foltern.
Ob sie verhaftet und ein Strafverfahren gegen sie eröffnet wird,
hängt von ihren Aussagen bei der
Polizei bzw. von dem Ergebnis der
Nachforschungen und den beschafften Beweisen ab. Nicht jeder Mensch ist in der Lage, der
Folter körperlich und seelisch
standzuhalten. Es ist auch möglich, daß gegen sie auf der
Grundlage der existierenden Aufnahmen, Pressegerichte und ihrer
Forderungen gemäß den §§ 7
und 8 des Gesetzes Nr. 3713 ein
Strafverfahren eingeleitet wird mit
dem Vorwurf, sie hätten sich
durch die Teilnahme an der Akti-
on der Unterstützung und Unterschlupfgewährung für die PKK
schuldig gemacht.
Stellungnahme des Kölner Flüchtlingsrates
und von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten
anläßlich der Aufnahme von Kurden in Kirchen
in Köln und Umgebung
richten durchsetzen können. Dort
wird die Diskriminierung von Kurden, ihre Schwierigkeit, sich irgendwo in der Türkei ein menschenwürdiges Leben zu sichern,
als für eine Asylgewährung nicht
schwerwiegend genug angesehen. Und weil dies so ist, wird sie
so behandelt, als existiere sie gar
nicht.
Der folgende Text wurde außer vom Flüchtlingsrat Köln
noch von 27 RAinnen und RAen aus NRW unterschrieben:
Kölner Flüchtlingsrat
Kurden im Kirchenasyl und auf
Schiffen vor der italienischen Küste lenken zunächst die Aufmerksamkeit auf die Frage des allgemeinen Verfolgungsrisikos für
Kurden in der Türkei. Immer wieder sind einzelne Gerichte für
nicht-assimilierte Kurden in der
Türkei von einer allgemeinen Verfolgung ausgegangen, die zum
Asylrecht führt.
Solange aber die vom Bundesverwaltungsgericht für eine Gruppenverfolgung aufgestellten Maßstäbe gelten, wird sich dieser
Schutzgedanke nicht bei den Ge80
Darüber hinaus sind solche Personen in den Augen der staatlichen
Sicherheitskräfte, auch wenn gegen sie kein Strafverfahren eingeleitet werden sollte, Anhänger der
PKK und schuldig. Wie man in der
Praxis sehen kann, werden die
Menschen kurdischer Abstammung, die sich in einer derartigen
Situation befinden -, beobachtet,
wo sie sich auch aufhalten mögen. Nach jedem Vorfall, der sich
in ihrem Gebiet ereignet, werden
ihre Häuser überfallen und durchsucht und sie selbst verhört und
belästigt, weil man sie verdächtigt, an dieser Aktion teilgenommen zu haben oder diejenigen,
die die Aktion durchführten, unterstützt und beherbergt zu haben.
1) Ich habe in meinem Gutachten für
das Verwaltungsgericht Darmstadt vom
30.07.1996 zum Aktenzeichen / E
8304/93 A ausführlich erläutert, wie
sich die türkischen Nachrichtendienste
und Auslandsvertretungen seit 1986 organisiert haben, wie sie die gegen die
Republik Türkei gerichtete Opposition
beobachten und Informationen über sie
sammeln und über welche Möglichkeiten
sie verfügen, um Informationen zu sammeln. Eine Abschrift dieses Gutachtens
füge ich anbei.
Mit freundlichen Grüßen
Unterschrift
- Serafettin Kaya -
Für das Risiko einer körperlichen
Mißhandlung von asylerheblicher
Schwere aber wird die erforderliche Wahrscheinlichkeit oft als
“überwiegende” bezeichnet und
damit als so hoch, daß es danach
seit der Judenverfolgung durch
Nazideutschland keine asylerhebliche Gruppenverfolgung mehr gegeben haben dürfte.
Demgegenüber haben die Bundesländer wiederholt für Kurden
aus den Ostprovinzen der Türkei
von der ihnen gegebenen Möglichkeit eines vorübergehenden
Abschiebungsstopps Gebrauch
gemacht. Dessen Verlängerung
setzt aber die Zustimmung des
Bundesinnenministers voraus, der
diese nur erteilt, wenn fast alle
Bundesländer zustimmen. uch
hier wird also im Zweifel gegen
den Schutz der Menschenrechte
entschieden.
Ebenfalls vor Gefahren, die Personengruppen drohen, soll Artikel 3
des UN-Übereinkommens gegen
Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende
Behandlung oder Strafe schützen.
Er verbietet eine Abschiebung,
wenn “stichhaltige” Gründe für
die Annahme bestehen, daß eine
Person gefoltert wird. Soweit das
UN-Übereinkommen in Art. 3 Absatz 2 fordert, daß bei der Prognose die allgemeine Menschenrechtssituation in dem Land
berücksichtigt wird, in das abgeschoben werden soll, hat die Bundesregierung in einer Denkschrift
(BT-Drucks. 11/5459) erklärt, daß
dieses Indiz keine besondere Bedeutung habe. Bei der Unterzeichnung hat sie eine Erklärung
hinterlegt, wonach die deutsche
Rechtslage bereits dem Abkommen entspreche. Das deutsche
Recht ( 53 AuslG) schützt aber
nur bei der “konkreten” individuellen Gefahr der Folter. Die allgemeine Menschenrechtssituation in
der Türkei erhält dabei im Wider-
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
KURDENVERFOLGUNG
spruch zu Art. 3 des UN-Abkommens kein besonderes Gewicht.
Der Hinweis auf die verbreitete
und systematische Anwendung
der Folter in der Türkei löst daher
bei deutschen Asylentscheidern
nur Widerwillen aus und wird gerade als Beweis angesehen, daß
der Asylbewerber, der hierauf hinweist, kein individuelles Risiko
aufzeigen kann. Zu fordern ist daher die uneingeschränkte Umsetzung der UN-Übereinkommen,
damit wenigstens die internationalen Mindeststandards des Menschenrechtsschutzes in Deutschland gewahrt werden.
Mit der Ablehnung einer auf
Gruppenschicksale bezogenen
Prüfung des asylerheblichen Risikos ist für die deutsche Justiz der
Weg geöffnet zu einer “Einzelfallprüfung”, bei der fast jede Willkürentscheidung hinter angeblichen oder tatsächlichen Besonderheiten des Einzelfalles versteckt werden kann.
Die isolierte Betrachtung einer
einzelnen Person wird aber der
Verfolgungssituation in der Türkei
nicht gerecht. Das subjektive Verhältnis sowohl des Staatsbürgers
als auch des Beamten in der Türkei zum Staat entwickelt sich auf
der Grundlage von familiären,
landsmannschaftlichen und konfessionellen Bindungen. Daß sich
einer der Beteiligten von diesen
Bindungen löst, ist eine (für den
Menschenrechtsschutz unerhebliche) Ausnahme.
Dementsprechend erhöht (oder
senkt) die Herkunft aus einer bestimmten Familie, einem Dorf
oder einer Provinz, der Aufenthalt
in bestimmten Vierteln der Großstädte, der Kontakt zu bestimmten Personengruppen, die Zugehörigkeit zu einer Minderheitskonfession oder -religion die Gefahr der Verfolgung erheblich.
Damit ist das asylerhebliche Verfolgungsrisiko in der Türkei zu einem großen Teil an Gruppenzugehörigkeiten gebunden. Dies betrifft wiederum hauptsächlich das
Risiko der Verfolgung “unterhalb”
bzw. “außerhalb” der gerichtlich
angeordneten Haft. Nur die Verfolgung durch die Justiz in der
Türkei orientiert sich weitgehend
an einem individuellen Verhalten.
Demgegenüber werden die Verfolgungsformen der Bedrohung,
Entführung, Mißhandlung in oder
außerhalb des Polizeigewahrsams,
des Verschwindenlassens usw.
von den türkischen Behörden
aber gerade gewählt, weil Täter
und vor allem der Kreis der Opfer
so schwer faßbar sind, und weil
daher die Kritik aus dem Ausland
zumindest vorübergehend weniger Ansatzpunkte findet. Die Kugel, die in einer irgendwo unter
einer Brücke liegende Leiche
steckt, trägt im Gegensatz zu einer Anklageschrift keine Unterschrift.
Die auf Individuen bezogenen
Entscheidungskriterien des deutschen Asylverfahrens werden daher allenfalls der Verfolgung in
Form eines individuellen Strafverfahrens gerecht. Weder die Tatsache, daß sich eigentlich politische
Gruppierungen und Lager
bekämpfen (wobei eine Seite den
Staat usurpiert hat), noch die
außerjustiziellen Verfolgungsformen werden ausreichend berücksichtigt. Offensichtlich fehlt der
Wille zu einer realistischen und
umfassenden Würdigung des Verfolgungsrisikos.
Wenn man das zu bewertende
Verfolgungsrisiko nun von vornherein so extrem individualisiert,
muß man die Prüfung auch von
Fall zu Fall in die Hand der Einzelentscheider und (i.d.R. Einzel-)
Richter beim Verwaltungsgericht
geben. Das heutige Asylverfahren
legt die Verantwortung normalerweise in die Hand dieser zwei Personen. Die weiteren Rechtsmittel und leider aufgrund der Entscheidungspraxis des Bundesverfassungsgerichts auch die Verfassungsbeschwerde - sind nicht geeignet, deren spezielle Einzelfallprüfung noch einmal zu überprüfen.
Bei der so erforderlichen Einzelfallprüfung kann sich kaum ein
Richter dem Zeitgeist entziehen,
der gegenüber jedem Asylbegehren die Vermutung des Asylmißbrauchs erhebt. Die Widerlegung der Vermutung des Asylmißbrauchs wird immer schwieriger, was letztlich dazu führen
kann, daß die Einzelfallprüfung
jedes Inhalts beraubt wird. (Ne-
ben dem Zeitgeist wirkt beim vom
Gesetz her unabhängigen Einzelentscheider noch die Beeinflussung durch den Dienstherrn, die
hier nicht näher erörtert werden
soll.)
Die Mißbrauchsvermutung beruht
auf der Annahme, daß alle Angehörigen von Nicht-IndustrieStaaten aus wirtschaftlichen, auf
jeden Fall aber nicht verfolgungsbezogenen Erwägungen nach
Deutschland gekommen sind.
Dementsprechend wird keine Sekunde auf den Gedanken verwendet, warum ein Mensch mit nachweislich gesicherter wirtschaftlicher und beruflicher Position die
Türkei verläßt, um hier jahrelang
mit Flüchtlingen aus anderen Herkunftsländern, deren Sprache er
nie lernen wird, in einem abgelegenen Waldstück fern jeglicher
Kultur zu leben.
Auch die Tatsache, daß ein Oppositioneller seine lange unter
großen Schwierigkeiten wahrgenommenen politischen Wirkungsmöglichkeiten in der Türkei aufgibt, kann nur zu seinem Nachteil
Bedeutung erlangen:
Die Tatsache, daß er es so lange
ausgehalten hat, spricht dafür,
daß er es auch weiter aushalten
könnte.
Der Asylbewerber aus der Türkei,
der es nun doch unternimmt, auf
ein aufgrund bestimmter Tatsachen drohendes Verfolgungsrisiko
hinzuweisen wird, sieht sich damit konfrontiert, daß über die
letzten Jahrzehnte ausreichende
Argumentationen entwickelt, wie
für den einzelnen Fall dargelegt
werden kann, daß er anders liegt
als diejenigen, die zur Verfolgung
führten.
Wenn einem ablehnungswilligen
Entscheider oder Richter aber völlig die Argumente fehlen, um einen Antrag detailliert abzulehnen,
dann zieht er sich einfach auf die
nicht näher begründete Behauptung zurück, er könne sich nicht
vorstellen, daß der türkische Staat
gerade den Antragsteller verfolgen wolle.
Im einzelnen wird als Indiz für
das fehlende Verfolgungsinteresse
schon die Tatsache gesehen, daß
dem Asylbewerber die Flucht
81
KURDENVERFOLGUNG
nach Deutschland gelungen ist.
Für diese Argumentation wird
der türkische Staat auf einmal zur
perfekten und lückenlosen Unterdrückungsmaschine, dem kein
“wirklich” Oppositioneller entwischt. (Diese Argumentation
entspricht diametral derjenigen
im Bereich der politischen Tätigkeit in Deutschland, an welcher
der türkische Staat dann überhaupt nicht mehr interessiert sein
soll.)
me, daß er die jetzt drohende
Verfolgung nur behauptet. (Da
oft sowohl echte wie gefälschte
Urkunden von der Verwandtschaft gegen Geldleistung besorgt werden, kann der Asylbewerber die falsche Urkunde nicht
ohne weiteres erkennen. Ist sie
falsch, so ist doppelt betrogen: Er
hat das Geld bezahlt, und sein
ganzer Vortrag gilt allein wegen
der falschen Urkunde als erlogen.)
Auch wiederholte Festnahmen
sollen kein Indiz für eine drohende Verfolgung sein, weil ja jeder
Festnahme auch eine Freilassung
entspricht, die gegen ein Verfolgungsinteresse spricht. Der kölsche Wahlspruch “et hät noch
immer jot jejange” ist im Asylverfahren auf dem Vormarsch.
Wer für seine Verfolgung keine
Urkunden vorweisen kann, muß
sich sein Asylrecht allein mit einer
“glaubwürdigen” Aussage erkämpfen. Eine häufige Form der
als unglaubwürdigen angesehenen Aussage ist dabei diejenige
mit “gesteigertem” Vorbringen.
Die Annahme einer Fortsetzung
oder Wiederholung der Verfolgung wird von einigen Entscheidern und Gerichten auch leichtfertig mit der Begründung abgelehnt, der Asylbewerber habe
sich längere Zeit erfolgreich dem
Zugriff der Behörden entzogen,
oder er könne dies durch Aufenthaltswechsel in der Türkei tun.
Die Annahme der “innerstaatlichen Fluchtalternative” läßt
außer acht, daß in der Türkei
zum Überleben eine soziale
Struktur erforderlich ist. Wer als
irgendwie “staatsfeindliches Element” in der Türkei zum Überleben auf sein soziales Umfeld
zurückgreift, wird auch in einer
(dem Touristen als anonym erscheinenden) Metropole wieder
mit den Behörden in unangenehme Berührung geraten.
Für den ablehnungswilligen Entscheider fallen Urkunden in zwei
Kategorien: Der eine Teil ist gefälscht. Teilweise werden atemberaubende Gründe für die Annahme der Fälschung genannt.
Wenn der Asylbewerber Glück
hat, hat er nach Jahren die Echtheit der Urkunden bewiesen. Der
andere Teil der Urkunden weist
keine direkte Verfolgung nach,
sondern trifft nur ein sogenanntes Randgeschehen. Diese Urkunden weisen vielleicht auf eine politische Betätigung des Asylbewerbers oder frühere Verfolgung
hin, hindern aber Gericht und
Entscheider nicht an der Annah82
Der Oppositionelle aus der Türkei
ist gewohnt, so wenig wie möglich über Details seiner Tätigkeit
zu berichten. Ereignisse, an denen Personen beteiligt sind, die
noch gefährdet sind, wird er
nicht berichten. Sollte er sie berichten, wenn diesen Personen
wegen Tod, Verhaftung oder
Flucht keine Gefahr mehr droht,
so wird er unglaubwürdig.
Sehr verbreitet bei Asylbewerbern
aus der Türkei ist die - nicht abwegige - Auffassung, daß der
Entscheider und Richter, der die
Schilderung des Asylbewerbers
hinterfragt und in Zweifel zieht,
indirekt die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei überhaupt in Zweifel zieht. Er hält es
für ein sowohl unwürdiges wie
aussichtsloses Unterfangen, solche Menschen überzeugen zu
wollen.
Eine vollständige und detaillierte
Aussage gleich zu Beginn des
Verfahrens wird auch von Opfern
massiver, traumatisierender und
ehrverletzender Folterungen und
sexueller Übergriffe erwartet. Die
Folter wirkt hier in das Verfahren
hinein, indem sie die Aussage
und damit die Asylgewährung erheblich erschwert. Damit hat es
gerade der gefolterte Flüchtling
schwerer, Asyl zu erhalten.
Soweit der Flüchtling Details aber
schon bei der ersten Anhörung
berichten wollte, kann es aus den
verschiedensten Gründen gesche-
hen, daß er nicht zu Wort
kommt. Insbesondere kommt es
vor, daß die Anhörung durch Fragen gesteuert wird und hinterher
wichtige Dinge fehlen. Dolmetscher kennen oft entweder den
vom Asylbewerber gesprochenen
Dialekt nicht oder sie beherrschen den “Slang” der jeweiligen
Oppositionskreise nicht. Diese Situation in der Anhörung läßt sich
später kaum noch rekonstruieren.
Weitere Probleme ergeben sich in
der Schilderung zeitlicher Abläufe
und Daten. Hier werden oft unrealistische Anforderungen, insbesondere an Asylbewerber mit
bäuerlichem Hintergrund gestellt.
Es gibt Fälle, in denen sich der
Verfolgungsvortrag von den Abläufen her nachträglich urkundlich bestätigte, ohne erkennbaren
Grund der Asylbewerber aber alles um ein Jahr falsch zuordnete.
Auch sonst werden häufig im
Vortrag und unter den Schilderungen verschiedener Beteiligter
zum gleichen Ereignis Widersprüche gesehen. Interessant ist
hier der Vergleich zwischen dem
verurteilungswilligen Strafrichter
und dem ablehnungswilligen
Asylrichter. Ersterer wird widersprüchliche Angaben von Belastungszeugen soweit wie möglich als im Kerngeschehen identisch ansehen und die Widersprüche als (wahrnehmungspsychologisch normalen) Ausdruck
spontaner und echter Erinnerung
ansehen. Für den ablehnungswilligen Asylrichter sind zwei Schilderungen des gleichen Ereignisses nur widerspruchsfrei, wenn
sie wörtlich identisch (d.h. auswendig gelernt) sind. Wenn also
der Ehemann sagt, er sollte Dorfschützer werden, und die Frau
berichtet, ihnen sei eine Waffe
aufgedrängt worden, so sind dies
danach unterschiedliche Darstellungen.
Der erfahrene ablehnungswillige
Asylrichter fragt so lange, bis er
genügend “Widersprüche” dieser
Qualität zusammen hat. Im Kollegialgericht verständigen sich Vorsitzender und Beisitzer über diesen Zeitpunkt durch Blickkontakt
und Nicken. Dem erfahrenen ablehnungswilligen Asylentscheider
oder -richter wird es daher selten
geschehen, daß er sich für die
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
KURDENVERFOLGUNG
Ablehnung statt auf angebliche
Widersprüche auf “fehlende Plausibilität” berufen muß. Für die
“fehlende Plausibiliät” kann man
die Aussagen in zwei Gruppen
unterteilen: Einerseits gibt es geschilderte Sachverhalte, von denen der Entscheider noch nie
gehört hat, und die daher falsch
sein müssen. Andererseits gibt es
Abläufe, die zahlreiche Asylbewerber schildern. Die Tatsache allein, daß zahlreiche Asylbewerber
ähnliche Sachverhalte schildern
führt bei einigen Entscheidern
ohne weitere Grundlage zur Ablehnung.
Für die Ereignisse, die sich in der
Türkei abgespielt haben, kommt
es fast ausschließlich auf die Bewertung der Angaben von Antragstellern oder Zeugen an. Auf
der Grundlage der Mißbrauchsvermutung wurde ein umfangreiches Instrumentarium entwickelt,
um diese als unzureichend abzuqualifizieren.
Ereignisse in Deutschland führen
bei Asylbewerbern aus der Türkei
nur noch selten zur Anerkennung. Es deutet einiges darauf
hin, daß die türkischen Behörden
es vermeiden, Rückkehrer sofort
bei der Rückkehr und offen wegen ihrer Tätigkeit in Deutschland
zu verfolgen. Über die Dunkelzif-
fer bei sofortiger oder späterer
Verfolgung unter anderen Vorwänden gibt es keine verläßlichen Schätzungen. So kommt es,
daß die Berücksichtigung von öffentlichen politischen Tätigkeiten
in Deutschland weitgehend abgelehnt wird.
Die so kritisierte Entscheidungspraxis hat Opfer, denen schwer
zu helfen ist. Die allgemeine Kritik an den Menschenrechtsverletzungen in der Türkei ist wichtig,
aber nicht ausreichend. Sie muß
ergänzt werden durch die Kritik
an den einzelnen Ablehnungsentscheidungen. Ein wichtiger
Schritt ist es dabei, wenn Einzelpersonen, Gruppen, Kirchengemeinden, Journalisten usw. mit
ihrer Auffassung in die Öffentlichkeit gehen, daß nach ihrer eigenen Prüfung dem abgelehnten
Flüchtling sehr wohl eine Verfolgung droht, die eine Abschiebung verbietet. Es ist zu begrüßen, wenn der allgemeinen
Politik der individualisierten Asylverweigerung durch einen breiten
Protest gegen individuelle Ablehnungen entgegengetreten wird.
Dies ist auch unerläßlich zur Verteidigung des Rechts auf Asyl.
83
KURDENVERFOLGUNG
“Ich bin illegal”*
Zeynep Kandemir kam mit ihrer
Tochter Didem und ihrem Mann
Hasan nach Deutschland. Ihm
wurde vorgeworfen, Mitglied der
kommunistischen Partei MLKP zu
sein. Er war Lehrer in Istanbul, bevor er in ein kurdisches Dorf strafversetzt wurde. Nach einem Massaker des Militärs an der Zivilbevölkerung versuchte er, die EinwohnerInnen von einer Anzeige
gegen das Militär zu überzeugen.
Schließlich wurde ihm vorgeworfen, seine Schule angezündet zu
haben.
Elif und Ali Karakoc ind 60 bzw.
68 Jahre alt. Sie waren Viehzüchter in Pazarcik. 1978 nahm der
Terror der Militärs zu. Alis Bruder
Dogan war damals ein bekannter
Partisan. Ali und die anderen Brüder wurden deshalb immer wieder verhaftet und unter Folter verhört. Nach und nach flohen ihre
beiden Töchter und die drei Söhne nach Deutschland. Alle wurden als Flüchtlinge anerkannt.
Auch Alis Bruder Dogan floh nach
Deutschland. 1987 wurde er unter ungeklärten Umständen in
Köln ermordet. Dennoch wurden
die beiden immer wieder verhört
und wegen der Flucht ihrer Söhne
unter Druck gesetzt. 1990 beschlossen sie, zu ihren Kindern
nach Deutschland zu kommen.
Ihr Asylantrag wurde positiv entschieden, aber vom Oberverwaltungsgericht wieder aufgehoben.
“Am 5.1.1998 wurde uns vom
Ausländeramt mitgeteilt, daß wir
* (aus: morgengrauen
Antirassistische Zeitung Nr. 68 April/Mai 1998)
84
Deutschland verlassen müssen.”
Elif und Salman Tordogan kommen aus Maras, wo 1978 türkisches Militär und “Graue Wölfe”
ein Massaker unter Kurden und
Aleviten anrichtete. Salman Tordogan wurde 1980 - damals war
er 15 Jahre alt - zu fünf Jahren
Gefängnis verurteilt, weil er Flugblätter verteilt, Plakate geklebt
und Guerilleros unterstützt hatte.
Aufgrund seines jugendlichen Alters mußte er “nur” 17 Monate
absitzen. Seit zehn Jahren leben
beide in Deutschland.
Hüseyin Havayitli ist 20 Jahre alt.
1993 wurde er für das Kleben
von Newroz-Plakaten in Gaziantep drei Wochen lang eingesperrt.
Danach durfte er den Ort nicht
verlassen und wurde aufgefordert, seine politischen Aktivitäten
einzustellen. Dennoch nahm er
am 1.Mai an einer Demonstration
teil und verteilte Flugblätter. Da er
damit gegen die Auflagen verstoßen hatte, mußte er mit Verfolgung rechnen. In Deutschland
fand er Arbeit, die er wegen der
Illegalität verlor.
Celal Top kam 1989 nach
Deutschland. In der Türkei war er
ein halbes Jahr lang aus politischen Gründen im Gefängnis. Der
Asylantrag seiner Mutter wurde
anerkannt. Er selbst zog seinen
Asylantrag zurück, als er heiratete
und dadurch aufenthaltsberechtigt wurde. Fünf Jahre lang arbeitete er als Autoschlosser in Köln.
Die Ehe scheiterte, aber eine Erneuerung seines Asylantrages
wurde aus Fristgründen abgelehnt, seine Fluchtgründe nie geprüft. Auch er verlor seinen Arbeitsplatz, als er “illegal” wurde.
Die hier lebende Mutter seines
Kindes kann er als “Illegaler” nicht
heiraten.
Emine Aktas und ihr Sohn Anil
flüchteten 1994 nach Deutschland. Der Vater der Familie erhielt
1988 und 1993 Gefängnisstrafen
wegen seiner Mitgliedschaft in
der kommunistischen Partei MLKP.
Die Familie war immer wieder Repressionen des türkischen Militärs
ausgesetzt. Das Geschäft des Vaters in Istanbul wurde zu einem
Treffpunkt linker AktivistInnen
und deshalb von den Behörden
geschlossen. Seit drei Jahren ist
der Vater verschollen, zwei Ge-
schwister von Anil sind untergetaucht. Der Asylantrag von Emine
Aktas wurde mit der Begründung
abgelehnt, die Verfolgung richte
sich nicht gegen sie, sondern gegen ihren Mann und die untergetauchten Kinder.
“Wir sind illegal”
und fordern Bleiberecht:
Ahmet Acar, Hasan Aksoy, Mehmet
Aksoy, Özkan Aksoy, Zeliha Aksoy,
Anil Aktas, Emine Aktas, Halat Ay,
Hasan Ay, Safiye Ay, Valat Ay, Sadettin Ayhanci, Ali Basilgan,
Mustafa Basilgan, Hatice Berci,
Kiymet Bozkaya, Ali Riza Büyük,
Ipek Büyük, Mehmet Ali Büyük,
Zuheyla Büyük, Hasan Calhan, Hüseyin Calhan, Mehmet Ciro, Behlul
Comak, Gurmus Cuma, Hüsner
Dardere, Fatma Donat, Hatice Donat, Hüseyin Donat, Ali Dönekli,
Gülay Dönekli, Hassan Dönekli,
Hatice Dönekli, Salman Dönekli,
Selver Dönekli, Tacim Dönekli, Tahir Dönekli, Yusuf Dönekli, Yilmaz
Göze, Duygu Gülsen, Hasan Gülsen, Selver Gülsen, Hüseyin Havayitli, Farac Kalay, Kadriye Kalay,
Ramazan Kalay, Tüleay Kalay, Didem Kandemir, Firat Safak Kandemir, Hasan Kandemir, Zeynep Kandemir, Asur Kaplan, Ali Karakoc,
Elif Karakoc, Hasan Kasarca,
Mustafa Kaya, Erkan Kinay, Hasan
Hüseyin Kinay, Saniye Kinay, Serlean Kinay, Süllü Kinay, Isa Kök,
Cem Korkmaz, Cigdem Kus, Cihan
Kus, Dogan Kus, Enver Kus, Fatma
Kus, Masut Kus, Mehmet Can Kus,
Nazli Kus, Selman Kus, Teyfik
Kus, Ahmed Maldur, Hassan Maldur, Hatice Maldur, Mustafa Maldur, Ahmet Menekseli, Salman Midik, Fatma Muratdas, Hasan Muratdas, Ibrahim Muratdas, Mehmet Sagir, Insaf Selvi, Döne Sicakyüz, Duran Sicakyüz, Duygu Sicakyüz, Ibrahim Sicakyüz, Izzet
Simsik, Ali Suvan, Celal Top, Elif
Tordogan, Salman Tordogan, Ali
Üyen, Siho Üyen, Ali Üzrek, Alev
Yadirgi, Erdal Yadirgi, Hatice Yadirgi, Mehmet Yadirgi, Safiye Yadirgi, Sedav Yadirgi, Veli Yadirgi,
Yusuf Yaskiran, Demet Yildiz
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
KURDENVERFOLGUNG
Genau zwei Monate nach Beginn
der Protestaktion kurdischer Familien in Kölner Kirchen starteten
am 21. März dreißig Männer,
Frauen und Kinder zur zweiten
Station des Wander-Kirchenasyl
von Düren nach Aachen. Dort
gab es einen großen Empfang
auf dem Herbert Leuninger die
uneingeschränkte Solidarität von
PRO ASYL mit dem Wanderkirchenasyl erklärte. In Aachen beteiligen sich erstmals katholische
Gemeinden und gewähren den
Flüchtlingen vier Wochen Zuflucht. Sie haben sich mit Organisationen wie dem Regionalen Caritasverband und Einzelpersonen
zum Aachener Netzwerk “kein
mensch ist illegal” zusammengeschlossen und führen gemeinsam
mit den Flüchtlingen eine Reihe
von Aktionen und Veranstaltungen durch zur Information der
Bevölkerung und zum gegenseitigen Kennenlernen.
Im April wird eine weitere Karawane der kurdischen Flüchtlinge
zum 2.Wander-Kirchenasyl nach
Bielefeld aufbrechen. Fast täglich
melden sich Flüchtlingsfamilien
bei uns, sie wollen sich an der
Protestaktion beteiligen, die ihre
letzte Hoffnung ist. Sie wurden
durch die Verschärfung der Asylrechtssprechung in die Illegalität
abgedrängt.
Sie sollen abgeschoben werden,
obwohl sie schon lange Jahre
hier leben und ihre Kinder hier
aufgewachsen sind, obwohl in
Kurdistan Krieg herrscht und ihre
Dörfer zerstört sind, obwohl der
türkische Staat die Menschenrechte mit Füßen tritt.
In Köln hat sich unterdessen die
Stadtverwaltung bereit erklärt,
den hier untergebrachten Kindern der illegalisierten kurdischen
Familien den Schulbesuch zu ermöglichen. Zahlreiche ÄrztInnen
helfen mit, sie behandeln die
Menschen umsonst, die nicht zuletzt aus Angst wegen der drohenden Abschiebung krank werden. In den Kirchengemeinden in
Köln, in denen zur Zeit über 70
Menschen Zuflucht gefunden haben, gibt es kleinere Veranstaltungen mit Information, Gesprächen, Essen und Musik. Zwischen den kurdischen Familien
und einer koreanischen Gemein-
de hat sich z.B. eine besondere
Freundschaft entwickelt; einmal
wöchentlich wird koreanisch gekocht, gemeinsam gegessen und
gefeiert. Auch der “Runde Tisch
für Ausländerfreundlichkeit” (zu
dem u.a. die Kölner Bürgermeisterin Renate Canisius gehört) solidarisiert sich mit der Aktion der
kurdischen Flüchtlinge, die von
mittlerweile 12 evangelischen
und einer ersten katholischen Gemeinde und dem Kölner Netzwerk “kein mensch ist illegal”,
unterstützt wird.
Wir sind unserem Ziel “Bleiberecht - Abschiebestop in die Türkei” zwar ein Stück näher gekommen, die Protestaktion wird
von den Medien beachtet und es
gibt zahlreiche Solidaritätserklärungen von PDS, Jusos, Grauen Panthern, terre des hommes
u.a. Aber dringend notwendig
ist, daß alle PolitikerInnen, die
Unterstützung zugesagt haben
(u.a.Yemal Karsli, flüchtlingspolitischer Sprecher der Grünen Landtagsfraktion; Kerstin Müller, Amke Diethard-Scheuer, Angelika
Beer - alle Bundestagsabgeordnete der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen - Martin Schulz /SPD,
Claudia Roth /Bündnis 90/Die
Grünen - beide Abgeordnete des
Europaparlaments -) ihre zugesagte Unterstützung auch in die
Tat umsetzen.
“Wir tauchen auf! Abschiebestop in die Türkei! Kein Mensch ist illegal!”
Am 17. April sollte eine Düsseldorfer Regierungsdelegation in
die Türkei reisen um die Menschenrechtssituation zu untersuchen. Die Reise wurde von der
türkischen Regierung abgesagt, doch es gibt mehr als genug Delegationsberichte über die Türkei.
Darum fordern die Flüchtlinge,
Kirchengemeinden und Netzwerke “kein mensch ist illegal”,
daß eine öffentliche Anhörung
über die Notwendigkeit des Abschiebestops in die Türkei stattfinden soll; mit MenschenrechtsexpertInnen aus der Türkei und
Deutschland, mit VertreterInnen
des Landesinnenministeriums und
der Landtagsfraktionen. Diese
Anhörung soll im Mai stattfinden.
Wir tauchen auf
Keine Abschiebung in die Türkei - Bleiberecht
und Papiere für für alle!
Kölner Netzwerk „kein mensch ist illegal“
Wir rufen die demokratische Öffentlichkeit, Verbände, Organisationen und Persönlichkeiten auf,
sich stärker als bisher hinter die
Forderung der Flüchtlinge für
Bleiberecht zu stellen und sich
aktiv einzusetzen für die Durchführung dieser Anhörung.
Abschiebungen verhindern Flüchtlinge schützen!
Die Brutalität der deutschen Abschiebemaschinerie
Süleyman Yadirgi, der sich mit
seiner Frau und zwei Kindern an
der Protestaktion gegen Abschiebung beteiligte, ist abgeschoben
worden. Er wurde im Ausländeramt in Bergheim am 10.3. festgenommen, als er seine noch
gültige Duldung verlängern lassen wollte. Er wurde in den Abschiebeknast nach Büren verschleppt und am Montag, 16.3.,
vom Düsseldorfer Flughafen aus
abgeschoben. Proteste im Flugzeug konnten die Abschiebung
nicht verhindern.
Süleyman Yadirgi wurde direkt
nach der Ankunft in Istanbul verhaftet. Er kam zwar auf Druck
des dortigen Menschenrechtsvereins inzwischen frei, lebt aber
seitdem versteckt aus Furcht vor
Verfolgung. Seine Familie,
FreundInnen und wir alle sorgen
uns um sein Leben.
Süleyman Yadirgi muß sofort
zurück in die BRD!
kölner netzwerk c/o Allerweltshaus, Körnerstr. 77-79, 50823
Köln
Fax 0221 / 9521197
Netzwerk Asyl in der Kirche NRW
Tel. 3382-281
85
KURDENVERFOLGUNG
Gummihandschuhe
zur Abschiebung
kurdischer Kinder?
Metin Ograks weiche Landung nach dem Sprung
Von Bettina Markmeyer*
Im niedersächsischen Glandorf
haben die Bürger eine Abneigung
gegen Gummihandschuhe und viel
Übung mit “begrenzter Regelverletzung” entwickelt. Davon profitiert ein junger Kurde, der auf
abenteuerliche Weise seiner Abschiebung entkam und dem Fußballclub erhalten blieb.
Metin hat Mathe. Sein Klassenlehrer wandert zwischen den Tischen herum, die 10b rechnet: 6
hoch 4 mal 25. Metin beugt sich
über den Taschenrechner, stößt
seinen Nachbarn an, flüstert mit
den anderen. Eine normale fünfte
Stunde, aber für ihn bedeutet sie
mehr als Punkt- und Potenzrechnung. Niemand kontrolliert seine
Haarlänge oder den Kragen seiner Schuluniform, er muß nicht
antreten und die türkische Nationalhymne anstimmen. Metin war
sechs, als er die zum letzten Mal
singen mußte. Als gelehriger
Sohn eines kurdischen Vaters hat
er ,,es gehaßt”. Jetzt ist er fünfzehn, geht zur Realschule und
will in Osnabrück das Abitur machen.
Die Abschiebung seiner Eltern,
seiner fünf Brüder und seiner
Schwester Emine hat nicht viel
länger gedauert als eine Mathestunde. Nach neun Jahren und
vier Monaten in Deutschland holten zwölf PolizistInnen und Beamte der Ausländerbehörde die
kurdische Familie Ograk am 23.
Januar mittags aus dem Kirchenasyl. Metin sprang aus dem Fen-
* Aus: taz 28. Mai 1998
86
ster des ersten Stocks auf das
Flachdach des Pfarrbüros, von
dort auf die Straße, schwang sich
über den Jägerzaun und versteckte sich bei Bekannten auf dem
Dachboden.
So entkam er seiner Abschiebung. Und weil ein halbes Dorf
das Kirchenasyl als “begrenzte
Regelverletzung” unterstützt hat,
kann Metin die Regeln für gemischte Rechenaufgaben vorläufig weiter auf deutsch pauken. In
Mathe hat er, wie sein Klassenlehrer meint, ,,etwas nachgelassen, bedingt wohl durch die Ereignisse”. In Sozial-und Erdkunde
hat der Flüchtlingsjunge aus der
Nähe von Sirnak. tief im Südosten der Türkei, eine Eins. Wenn
er mittags von der Schule
kommt. läuft er jetzt nicht mehr
zur alten Dorfschule, wo er mit
seiner Familie gewohnt hat. sondern zum Anwesen neben der
ehemaligen Mühle. Seine neuen
Wahlverwandten heißen Magdalene und Martin Kürten, Markus,
Andrea und Sebastian.
Als die kurdische Familie Ograk
Anfang 1989 für die Dauer ihres
Asylverfahrens der Gemeinde
Glandorf im Landkreis Osnabrück
zugeteilt wurde, hatte sie das typische Schicksal von Vertreibung
und Flucht hinter sich. Metins Vater sympathisierte mit der PKK,
war mehrfach verhaftet und gefoltert worden. Die Ograks mußten ihr Dorf verlassen. “Das ist
so, als wenn Soldaten hier in die
Bauernschaften kämen und sagen würden: Packt eure Sachen
und seht zu, wo ihr unterkommt.
Wenn ihr freiwillig geht, zünden
wir eure Häuser nicht an”, erklärt
Metin im altdeutsch eingerichteten Wohnzimmer der Kürtens.
Obwohl er nur zwei Jahre älter
und einen Kopf kleiner ist als der
dreizehnjährige Markus, wirkt er
neben ihm erwachsen. Als ältester Sohn hat er für seine Eltern
gedolmetscht. Behördengänge,
Termine beim Anwalt und Einkäufe gemacht, mit seinem Vater
PKKTreffen besucht und für seine
Mutter auf die Geschwister aufgepaßt.
“Ich habe den Eindruck, manche
neue Freiheit bei uns genießt Metin auch”, sagt Magdalene Kürten. Selbstgemachte Pizza, Feten
im Dorf, mehr Zeit für Fußball.
Was Metin denn nun sei, ein
Gast, ein Freund, ein Bruder?.
”Vielleicht ein Pflegebruder”,
schlägt der achtjährige Sebastian
ein wenig verlegen vor. Seine
Mutter grinst, für sie ist Metin
,,einfach einer mehr”. Magdalene
Kürten (38) ist Hausfrau, ihr
Mann Martin (42) Schichtführer
in einem Arzneimittelwerk. Die
Arbeitskollegen im Betrieb hatten
ihn ,,für bekloppt” erklärt.
,,Mensch, da kriegste doch nichts
dafür.” Die Kürtens kriegen tatsächlich nichts, sie zahlen Metins
Unterhalt, legen die Spenden für
ihn auf die hohe Kante und verlieren möglichst wenig Worte
darüber. Für die Entscheidung.
Ograks Ältesten aufzunehmen,
“haben wir nicht lange gebraucht”, sagt Martin Kürten. Ein
paar Stunden - bis sie wußten,
daß Metin der Polizei entkommen war und Hilfe brauchen
würde.
Für ihn und seine Frau ist es keine Frage, daß sich ihre Glaubwürdigkeit als Katholiken auch
am Umgang mit den Asylsuchenden im eigenen Dorf mißt. Das
sehen viele so in Glandorf, wenn
auch nicht alle. Die CDU-Mehrheit im Gemeinderat verhinderte
eine überparteiliche Protestnote
gegen die Abschiebung.
Die Kürtens hätten Metin genauso geholfen, seinen Eltern in die
Türkei nachzureisen: ,,Das mußte
er entscheiden.” Metin entschied
sich für Glandorf. Und zog zu
den Kürtens in ein eigenes Zimmer mit Blick auf den Gemüsegarten, in dem sich Magdalene
Kürtens Vater zu schaffen macht.
Der 86jährige schrieb nach der
Abschiebung einen wütenden
Brief an Christian Wulff, den niedersächsischen Vorsitzenden seiner Partei, der CDU, die bei
Wahlen im katholischen Glandorf
70 Prozent der Stimmen erhält.
Dann verkaufte er sein letztes
Mastschwein. Seit Metin da ist,
gibt es Rind. Pute oder Kaninchen.
Seit Metin da ist, hat sich überhaupt einiges verändert. Andrea
soll in der Schule berichten, wie
es seiner Familie in der Türkei ergeht, und kann doch nicht einmal sagen, wo die Ograks jetzt
sind. Sebastian fragt beim
Abendbrot plötzlich, ob das Folter ist, wenn einer einen anderen
mit der Peitsche schlägt. Er hat
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
KURDENVERFOLGUNG
das in einem Winnetou-Film gesehen. Markus hat in Metin einen
weiteren eingefleischten BayernFan gefunden, der mit ihm DartPfeile auf das Mannschaftsfoto
von Borussia Dortmund wirft.
Magdalene Kürten will sich einen
Scanner anschaffen, um die
Glandorfer Zeit der Ograks und
die Abschiebung zu dokumentieren.
Die Asylanträge aller Familienmitglieder waren rechtskräftig abgelehnt. Auch Petitionen an Landund Bundestag mit 1.400 Unterschriften aus dem 6.590 Einwohner zählenden Glandorf hatten
nichts ausrichten können. Also
hatte sich die katholische Gemeinde in Glandorf mit dem
Pfarrer auf die Gewährung von
Kirchenasyl verständigt. Am
Abend des 22. Januar brachte
Magdalene Kürten Metins Familie
kurz entschlossen ins sicher geglaubte Pfarrhaus im Ortsteil
Schwege. Am nächsten Abend
war die kurdische Familie abgeschoben - bis auf Metin.
Die Verbitterung der Glandorfer
über den Einsatz fand ein Symbol: die Gummihandschuhe der
Polizistin Renate Gausmann. mit
denen sie die Ograk-Kinder zu
dem wartenden Bus führte. Der
Glandorfer Pfarrer und sein Kaplan wetterten in ihren Predigten
am folgenden Sonntag so deutlich gegen die “unmenschliche”
Behandlung von Flüchtlingen und
die Beamtin mit ihren Handschuhen im besonderen, daß der
CDU-Bürgermeister zornig das
Hochamt verließ.
Eine Dienstvorschrift über das
Tragen von Handschuhen gibt es
nicht für niedersächsische Polizeibeamte, wohl aber Empfehlungen zur ,.Eigensicherung”. Ein
Einsatz ohne Handschuhe, sagt
Renate Gausmann. die seit 25
Jahren bei der Polizei ist, wäre
,,das gleiche, als wenn ich ohne
Dienstwaffe rausfahren würde”.
Sie hat an über zwanzig Abschiebungen teilgenommen, für den
Einsatz gegen die Ograks hatte
man sie von ihrer Polizeidienststelle in der Nähe von Osnabrück
nur widerwillig eingeteilt, um keine Glandorfer KollegInnen hinschicken zu müssen. ,Meistens”,
sagt Renate Gausmann, “stehen
die Leute ja schon mit gepackten
Koffern da.” Aber die Ograks hatten nichts gepackt. Sie saßen wie
gelähmt auf dem gefliesten
Küchenfußboden im Pfarrhaus,
umgeben von versteinerten Glandorfern und ihren Kindern, die
sich von Mesut, Rasit, Zeyni, Emine, Tekin, Delil und Metin verabschieden wollten. Mit dem Einverständnis der Polizei hatten
Magdalene Kürten und ihre Helferinnen die Lehrer der Kinder,
den Anwalt der Familie und den
Pfarrer benachrichtigt, dann aus
einem Kleidersack so etwas wie
Reisegepäck zusammengestellt.
Die Darstellungen über den Einsatz der Gummihandschuhe gehen auseinander: Renate Gausmann behauptet bis heute, sie
angezogen zu haben, um beim
Einpacken zu helfen. Die Freunde
der Ograks behaupten bis heute,
sie habe sie angezogen, um die
Kinder abzuführen. Für die
42jährige Beamtin war es der
“unangenehmste Einsatz” ihrer
Laufbahn, der “ihr sehr nahe gegangen” sei. Für viele Glandorfer
ist sie die Personifikation eines
Behördenapparates, der Ausländerkinder nur mit Gummischutz
anfaßt. Renate Gausmanns
Dienstherr, der niedersächsische
Innenminister Gerhard Glogowski
(SPD), hatte am 22. Januar persönlich grünes Licht für die Abschiebung gegeben: Ein leerstehendes Pfarrhaus sei kein sakraler
Raum, das Kirchenasyl folglich zu
beenden. Es war die dritte Räumung eines Kirchenasyls in Niedersachsen.
Wenn sich Magdalene Kürten an
die Szenen des 23. Januar erinnert, steigen ihr heute noch die
Tränen hoch. ,,Man kriegt’s nicht
auf”, sagt sie und meint, daß
mancher Kummer zum Runterschlucken zu groß ist. Metin
durchwühlt derweil ohne sichtbare Regung einen Müllsack, zieht
eine Maus aus Papier hervor, die
sein jüngster Bruder Delil bemalt
hat, und stopft sie ratlos wieder
zurück.
Darüber, was er vermißt, redet er
nicht. So verschlossen er in eigener Sache ist, so offen ist sein
Umgang mit der Familie Kürten
und dem Dorfleben überhaupt.
Er trainiert den Nachwuchs im
Fußballverein, kickt mit der Thekenmannschaft des Heimatvereins und lästert über den Bierkonsum danach. Er selbst, witzelt
er, denke da eher an die Nationalelf. Allerdings nicht an die türki-
sche. Die Anspannung verschafft
sich ein Ventil in seinem Bewegungsdrang, selbst wenn er im
Sessel sitzt, scharrt er mit den
Füßen und verfolgt alles und jeden mit hellwachem Blick.
Seit die Kürtens vom Landkreis
Osnabrück die Zusage haben,
daß Metin bis zu seiner Mittleren
Reife nicht abgeschoben wird,
kann er wieder zur Schule gehen.
Für die Legalisierung seines Aufenthalts bis zum Abitur mußte
der Unterstützerkreis nach Hannover fahren, zum Staatssekretär
des Innenministers. “Wir wären
auch bis zu Glogowski gegangen”, sagt Martin Kürten. Den
Platz an einem katholischen
Gymnasium sichert das Bistum
Osnabrück, denn Metins Ausbildung darf keine Steuergelder kosten. Rechtlich haben Metins HeIferlnnen nichts in der Hand, allein der öffentliche Druck zwingt
die Behörden zum Nachgeben.
Gleich körbeweise hat Innenminister Glogowski Protestbriefe erhalten: Sieben Ograk-Sprößlinge,
das macht sechs Schulklassen an
drei Schulen, ein Kindergarten
und diverse Tischtennis- und Fußballmannschaften des Blau-Weiß
Schwege in Glandorf. Da kommt
was zusammen. “Verärgert und
enttäuscht” erklärte der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode,
,,von der Abschiebung der Familie Ograk völlig überrascht worden” zu sein. ,,Einen derartigen
Fall” habe es ,,bislang im Bistum
Osnabrück nicht gegeben”. Woraufhin Glogowski in einem Brief
an den Bischof antwortete, daß
es ,,das Rechtsinstitut des Kirchenasyls nicht gibt”, und den Bischof ,,herzlich” bat, im Hinblick
darauf, ,,daß bei uns im Lande
die Kirchenasylbewegung besonders aktiv ist”, regelmäßig zu
prüfen, ob ,,mit dem Kirchenasyl
sorgfältig” umgegangen werde.
Nach Auskunft der Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche gewähren in Niedersachsen
derzeit vermutlich 17 Gemeinden
Kirchenasyl. Das Land schob im
vergangenen Jahr 3.160 Menschen ab, davon 633 in die Türkei. Vor gut zwei Wochen durfte
der Kurde Mehmet Ali Akbas, der
nach seiner Abschiebung von der
türkischen Polizei verhört und gefoltert worden war, wieder nach
Niedersachsen einreisen. Bis April
87
KURDENVERFOLGUNG
1998 sind weitere 1.296 Flüchtlinge aus diesem Bundesland abgeschoben worden.
1.297 wären es jetzt, hätte die
Polizistin Renate Causmann am
23. Januar im Glandorfer Pfarrhaus nicht Metin Ograk aus den
Augen verloren. Nun wird er hier
in ein paar Jahren Abitur machen. Dann ist er l8 Jahre - so alt
wie Renate Gausmanns Sohn
Achim jetzt. Als der die Berichte
über die Glandorfer Abschiebung
in der Zeitung las, wollte er von
seiner Mutter wissen, “was da
abgelaufen ist. Er hat mich zwar
irgendwie verstanden”, erzählt
Renate Gausmann, “aber er hat
auch diesen großen Jungen verstanden, den Metin”. Am Ende
sagte Metin Gausmann zu seiner
Mutter: “Ich wäre auch abgehauen, Mama.”
Anzeige in Osnabrücker Tageszeitungen:
Das Maß ist voll !
In den letzten Wochen sind viele von uns Zeuge von Ereignissen geworden, von denen wir glaubten, sie würden in Deutschland der
Vergangenheit angehören: Menschen wurden auf gewaltsame Weise aus ihren Wohnungen geholt und außer Landes geschafft.
Unter diesen Menschen waren Kinder, die in Deutschland aufgewachsen sind, hier zur Schule gingen und ihre Freunde hatten, Frauen, denen aufgrund ihres Gesundheitszustandes von Ärzten die Transportunfähigkeit attestiert wurde, Männer, denen in ihrer Heimat Inhaftierung und Folter drohen. Wir waren ohnmächtige Zeugen von Abtransporten aus kirchlichen Zufluchtsräumen. In Verwaltungsgerichtsverfahren wurde Flüchtlingen jegliche Glaubwürdigkeit abgesprochen und Hinweise auf ihr Verfolgungsschicksal
wurden kalt ignoriert.
Wir versuchten Politiker und Behördenvertreter zur Rede zu stellen. Wir wurden verwiesen auf geltendes Recht. Kaum einer war
bereit, persönlich Verantwortung zu übernehmen für die Folgen dieser Abschiebungen. Gesetze werden von Menschen gemacht
und sie werden von konkreten Menschen ausgeführt. Wer sich aktiv daran beteiligt, Menschen ihrem Henker auszuliefern, der wird
mitschuldig an ihrem Schicksal.
Das beispielhaft mutige Handeln Hans Calmeyers einerseits und die Verfolgung und Ermordung Felix Nussbaums andererseits sind uns eine Mahnung, weitere unmenschliche Abschiebungen nicht schweigend hinzunehmen.
Die Region Osnabrück feiert in diesem Jahr die Wiederkehr des Westfälischen Friedens und beruft sich auf ihr Engagement für mehr
Menschlichkeit. Gleichzeitig werden Menschen aus Osnabrück und Umgebung in Kriegs- und Bürgerkriegsgebiete abgeschoben, in
denen die Menschenrechte nachweislich mißachtet werden. Uns fällt das Mitfeiern angesichts dieser Widersprüchlichkeit schwer.
Auch den bei uns bislang geduldeten Flüchtlingen werden zunehmend die Menschenrechte verweigert. Wie anders soll man die
Vorbereitung eines Gesetzes verstehen, das die rechtliche Grundlage dafür schaffen soll, daß demnächst allen diesen Personen die
Hilfe zum Lebensunterhalt ganz verweigert werden kann, weil sie nicht freiwillig die Bundesrepublik Deutschland verlassen? Auch
aus Osnabrück könnten mit Hilfe dieses Gesetzes ca. 850 Flüchtlinge „rausgehungert“ werden.
Wir fordern alle Mitbürgerinnen und Mitbürger auf, für mehr Menschlichkeit zu protestieren und sich zu solidarisieren mit den
Menschen, die durch drohende Abschiebungen in ihrer Existenz bedroht sind.
Wir fordern die Politikerinnen und Politiker der Stadt und des Landkreises Osnabrück auf, alles zu tun, um Abschiebungen von
Flüchtlingen in Gefahrengebiete zu verhindern.
Wir bitten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Polizei und der Ausländerbehörden, Zivilcourage zu zeigen und sich der Umsetzung unmenschlicher Anordnungen zu widersetzen.
Wenn die Grundsätze von Menschlichkeit erst einmal ins Wanken geraten sind,
dann gibt es kaum noch Einhalt!
Ali Abdol Adolf Abke Uwe Afemann Thomas Allien Pastor Karl H. Asbrock Volker Bajus (Grüne Ratsfraktion) Christa Balka Karl Bartels Johannes Bartelt Pastor
Guenter Baum Birgit Behrensen Prof. Martin Bennhold Christiane Priebe-Beumler Ursula Bock Norbert Böckenholt Kirstin Bommersheim Beatrix Brockmeyer Gertrud Nordmann-Bruns Wilfried Buck Annegret Bünte Michael Bünte Anna Büschemann Dr. Thomas Lob Corzilius Christian Deilke Gerta Dieckerhoff Karla Dingfelder Axel Enneking Diethard Einhoff Malte Ewert Anke Fedrowitz Stefan Fehren Heinz Fischer Brigitte Fründ Hans-Christian Fründ Sonja Glasmeyer Michael
Göcking Ingrid Gostischa Prof. Emil Gostischa Susanne Grebe Adelheid Grueneisen Eitel Hamm Lilo Hampel Hans-Jürgen Hartmann Tom Heise Roswitha Henneken Heinrich Henneken Francoise Herbin Frauke Herrmann Maria Heuking Antje Horstmann Michael Horstmann Inge Jahns OStR Harry Jahns Claudia Jansen
Prof. Dr. Andreas Kamlah Angela Kannenberg Wolfgang Kannenberg Hannelore Klingebeil Hans-Jörg Klingebeil Bernd Kruse Prof. Klaus Künkel Christine Dornbusch-Künne Hans-Jürgen Künne Pamela Kuhtz Dorrothee Laarmann Karl Landmeyer Maria Ursula Laudahn Rainer Laudahn Detlef Lehmann Annette Listl Bernd
Lobgesang Uschi Luecken Wolfgang Luecken Gunthild Luther Heike Ammer-Marahrens Frieder Marahrens (Studentenpfarrer) Mossen Massarrat Lioba Meyer Uta
Meyer Hans-Dieter Möller Eva Maria Mohr Prof. Dr. Heinrich Mohr Stefanie Neckermann Annette König-Neuhoff Andreas Neuhoff Syelle Gerken-Neumann Gertrud Neumann Detlef Neumann Meike Niemeyer Barbara Sievert-Niemeyer Dr. Arnulf Nüßlein Renate Ohliger Jochen Ohliger Sophie Osterheider Maria Ostermöller Marja Pals Doris Petersen Wolfgang Pruisken Margret Pues Dr. Silke Reinecke Uwe Reinecke Tanja Remberg Maria Reuter Jean-Patrick Revel Hermann-Josef
Ricke Andreas Rister Antje Ritter Martin Ritter Heike Ritterbusch Margret Rohling-Burke Marina Ruckelshausen Prof. Dr. Arno Ruckelshausen Christian Rüger
0.Th.S. Silli Kroneck-Salis Luis Duran Sanchez Maice Sandmann Hiltrud Schäfer Karl Schäffer Monika Schlonski Elsbeth Schlüter Elisabeth Schlüter Rolf Schlüter
Marianne Wahrheit-Schmidt Ingrid Schürmann Jan Schulz Ruth Gonzales Ewald Serra Prof. Elisabeth Siegel Gabriele Ströher Anna Sydow Heiner Tiesmeyer Gerald Thier Edeltraut Thünemann Ursula Thume Werner Thume Ralph Vorbach Wilhelm Voss Berd Wacker Martina Wagener Ingrid Wagner Renate
Wall Frauke Wassermann Lisabet Weidenbach Monika Wetzel Wolfgang Wissemann Flora von Wnorowski Klemens Wolf Erich-Maria-Remarque-Gesellschaft
Hans-Calmeyer-Initiative Felix-Nussbaum-Gesellschaft Projekt 350 Jahre Frieden - ohne Frauen? Osnabrücker Frauenbündnis Aktionszentrum 3. Welt Kurdistan Kulturzentrum AG terre des hommes OS Pax Christi Regionalstelle OS/HH Ak. Asyl d. Ev.ref. Gemeinde OS Ältestenrat Ev. ref. Friedenskirchen OS Flüchtlingshilfe Martinsgemeinde Paul-Gerhardt-Kirche Ökum. Arbeitskreis Asyl Iburg/Glane VNB OS-Frauenlesben Bildung- Ak. Kirchenasyl Nordhorn Ev.ref. Kirchengem. Gildehau
Deutsche Pfadfinderschaft Kurdischer Kultur- und Bildungsverein Studierende der FH OS Verista - Linke Zeitung Deutsche Pfadfinderschaft St. Georg Diözesanverb.
OS, Frauenkulturverein e.V. Mother Jones Liste für Völkerverständigung EXIL-Osnabrücker Zentrum für Flüchtlinge
88
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
DEPORTATION
Wir möchten auf wichtige Neuigkeiten hinweisen, die die Abschiebung von Ausländerinnen
und Ausländern mit ungeklärter
Staatsangehörigkeit oder Identität betreffen. Seit Herbst letzten
Jahres gibt es hier offensichtlich
intensive Bemühungen, zu weiteren Maßnahmen zu kommen.
Aus dem Kreis der Arbeitsgruppe
„Rückführung“ (AG Rück) sind
uns folgende Maßnahmen bekannt geworden, die entweder
bereits begonnen haben oder
konkret geplant sind:
Seit November 1997 werden die
Botschafter sogenannter Problemstaaten vom Auswärtigen
Amt einbestellt. An den dann
stattfindenden Gesprächen sind
offensichtlich neben dem Auswärtigen Amt die Bundesministerien des Innern und für wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie Vertreterinnen und Vertreter
der Bundesländer beteiligt. Den
Botschaftern der „Problemstaaten“ Ägypten, Sudan, Côte
d´Ivoire, Eritrea, Guinea, Niger,
Pakistan, Sri Lanka, Nigeria,
Angola und Senegal werden Namenslisten mit unbearbeiteten
Paßanträgen übergeben.
Einbestellt werden neben den
Botschaftern künftig auch die Leiter der jeweiligen Einwanderungsbehörden der „Problemstaaten“, weil „diese häufig mehr
Autorität besitzen als die Botschafter.“ Ein Probelauf betreffend Gambia soll in Hamburg bereits positive Ergebnisse gehabt
haben.
Zum Bereich bereits existierender
oder künftig geplanter Rückübernahmeabkommen wurde festgestellt, daß nach der dritten Expertensitzung im Rahmen des
deutsch/jugoslawischen Rücknahmeabkommens die Rückübernahmeverfahren um das vierfache
beschleunigt worden sind. In Planung sind immer noch Verträge
mit Algerien, Marokko, Pakistan,
Sri Lanka und Libanon.
Zu den Forderungen, die die Bundesländer an den Bund herantragen, gehört insbesondere die
Vorstellung, man möge mit den
Botschaften verbindliche Absprachen über die Bedingungen für
die Ausstellung von Heimreisedokumenten treffen, weil die Praxis
eher willkürlich sei. Angeblich mit
Zustimmung des Innenministeri-
ums, des Auswärtigen Amtes und
des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit soll
auf die Verbindung von Entwicklungshilfe und Rückübernahmepflicht gedrungen werden (zu erinnern ist hier an die kürzliche
Kontroverse Kinkel / Spranger).
In den Fällen ungeklärter Staatsangehörigkeit soll mit der frühzeitigen Feststellung der Staatsangehörigkeit schon während
des laufenden Asylverfahrens
durch das Bundesamt mit der Hilfe von „Dialektdolmetschern“ begonnen werden, was auch immer
unter diesem Begriff zu verstehen
sei. Unklar ist hierbei, ob es sich
hier um etwas grundlegend anderes handelt als die im letzten
Jahr begonnene „Sprachanalyse“,
die in diesem Jahr auf weitere
mutmaßliche Herkunftsstaaten
ausgedehnt worden ist.
Auf Ebene der Länder ist geplant:
Einrichtung einer „Clearingstelle
Paßbeschaffung“ auf Fachbeamtenebene, bei der die Wege der
Paßbeantragung und -beschaffung dokumentiert werden.
Diskutiert wird, ob ein Verstoß
gegen Mitwirkungspflichten als
Straftatbestand in das Ausländergesetz aufgenommen werden
kann. Hierzu gibt es offensichtlich keine Einigkeit zu der Frage,
ob die Kriminalisierung der Weigerung, die Staatsangehörigkeit
zu offenbaren, zum gewünschten
Erfolg führt.
In den Abschiebehaftanstalten
sollen künftig die beschlagnahmten persönlichen Gegenstände
der Inhaftierten nicht nur wegen
möglicher Suizidgefahr kontrolliert werden, sondern auch, um
Hinweise auf die Staatsangehörigkeit und Identität zu erhalten.
In den Abschiebehaftanstalten
sollen künftig die Gefangenen
hinsichtlich ihrer Brief- und Telefonkontakte bespitzelt werden.
Zwar ist den Betreibern klar, daß
eine Öffnung der Briefe oder ein
Mithören von Telefongesprächen
rechtswidrige Grundrechtseingriffe und Datenschutzverstöße
wären. Dies soll aber nicht daran
hindern, daß Ausländerbehörden
künftig mitgeteilt wird, von welchen Absendern der Abschiebungshaftgefangene Briefe erhalten hat und mit welchen Telefonpartnern er gesprochen hat. Die
Aktuelle Informationen
zu Abschiebungen
von PRO ASYL
Bernd Mesovic
ISDN-Technik läßt hier viele Möglichkeiten offen. Die Idee: Der
Herkunftsort eines Briefes oder eine Ortsnetzkennzahl könne
schon Aufschluß über die Staatsangehörigkeit bringen.
Ausländerinnen und Ausländer
mit ungeklärter Staatsangehörigkeit sollen künftig in Sammelunterkünften separat untergebracht
werden. Ein Modellprojekt soll in
Niedersachsen bereits laufen: Eine Einrichtung nach dem Modell
der Niederlande. Die Grundidee:
Ausländerinnen und Ausländer,
die bis zu ihrer Einweisung in
diese Unterkunft angeblich ihre
Mitwirkungspflichten verletzt haben, sollen Duldungen mit enger
räumlicher Beschränkung erhalten und Sozialleistungen nur in
diesen Einrichtungen bekommen
können, wo sie offensichtlich
mehr oder minder permanent erreichbar sein sollen. „Die Kontaktaufnahmen und Betreuungsmaßnahmen erfolgen in enger
Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern der Ausländerbehörden,
Sozialarbeitern und Dolmetschern
an einem Ort, so daß mit den
spezifischen Erkenntnissen und
Erfahrungen mehr Einfluß auf
den Ausländer genommen werden kann.“
In einigen Bundesländern beginnen wohl Modellversuche von
„Rückkehrein-richtungen“, die als
Alternative zur Abschiebungshaft
dargestellt werden. In NordrheinWestfalen sollen 100 Plätze für
ausreisepflichtige Ausländer im
Rahmen eines Vertrags mit dem
Deutschen Roten Kreuz Westfalen/Lippe bereitgestellt werden.
Geplant ist eine Kombination von
psychosozialer Betreuung und
ausländerbehördlicher Beratung,
um die Ausländer zur Mitwirkung
zur Paßbeschaffung und letztlich
89
DEPORTATION
zur freiwilligen Ausreise zu bewegen. Versuchskaninchen sind einerseits Abschiebungshäftlinge,
die bereits länger als 3 Monate in
Abschiebungshaft sitzen, weil
Paßersatzpapiere wegen ihrer
fehlenden Mitwirkung nicht beschafft werden können, andererseits sollen auch Ausreisepflichtige in der Einrichtung wohnen
müssen, für die überhaupt noch
kein Antrag auf Abschiebungshaft existiert, deren Reisedokumente allerdings wegen verweigerter Mitwirkung noch nicht
vorliegen. Im rot/grünen Nordrhein-Westfalen läuft dies unter
dem Titel der
„Abschiebungshaftvorbeugung“.
Die großmütige Formulierung
rührt daher, daß messerscharf geschlossen wird, daß die fehlende
Mitwirkung ja ein Indiz für das
Vorliegen eines Haftgrundes sei.
Der Abschiebungshaft wird also
„vorgebeugt“ durch vorbeugende
Unterbringung in dieser neuartigen Sondereinrichtung. Psychosoziale Beratung und Betreuung:
DRK Westfalen/Lippe (Anmerkung: Seit der Schlacht von Solferino haben sich die Tätigkeitsbeschreibungen dieser Organisation
mehrfach verändert. Der Begriff
„psychosozial“ entfaltet inzwischen ein beträchtliches Drohpotential).
Geplant sind weiter verschärfte
Duldungsauflagen, für die demnächst Muster verschickt werden
und ausländerrechtliche Erwerbsverbote für die Personengruppe.
Überlegt wird auch, ob den
nicht-Mitwirkenden bei der Paßbeschaffung ausländerrechtliche
Vorteile entzogen werden können, etwa indem man ihnen
nach 2-jährigem Aufenthalt keine
Aufenthaltsbefugnis erteilt. Unklar ist hier der Neuigkeitswert,
weil § 30 Abs. 4 AuslG diese
Möglichkeit ohnehin zuläßt,
wenn die Ausländerin oder der
Ausländer sich weigert, „zumutbare Anforderungen zur Beseitigung des Abschiebungshindernisses zu erfüllen“.
Geplant ist weiterhin eine Ausweitung der Sammelvorführungen bei den Botschaften der vermuteten Herkunftsstaaten.
Ebenfalls um eine Art Sonderaktion zum selben Thema handelt es
sich möglicherweise bei der pauschalen Überprüfung und ED-Be90
handlung von Schwarzafrikanerinnen und Schwarzafrikanern in
einer Kornwestheimer Sammelunterkunft (s. den Artikel aus der
Kornwestheimer Zeitung vom 12.
Mai 1998 in der Anlage).
der Öffentlichkeit vorgeworfen
worden, bei der Ausstellung von
Paßersatzpapieren recht generös
zu sein und Angaben deutscher
Paßbeschaffungsbehörden zu folgen.
Nachtrag zur oben erwähnten
Einladung hochrangiger Funktionsträger der vermuteten Herkunftsstaaten und dem Beispiel
Gambia. Was gemeint ist, ergibt
sich aus dem Lagebericht des
Auswärtigen Amtes zu Gambia
vom März 1998. Dort heißt es:
„Probleme mit aus Deutschland
nach Gambia abgeschobenen
Personen haben sich in jüngster
Zeit kontinuierlich verschärft. Abgeschobene behaupten zunehmend bei Ankunft in Gambia,
keine gambischen Staatsangehörigen zu sein. Da oft die Namen auf den Reisedokumenten
der Abgeschobenen ohnehin
nicht gambischer Herkunft sind,
besteht die gambische Einreisebehörde in der Regel auf Zurückführung der Abgeschobenen
durch die BGS-Beamten nach
Deutschland. In der Vergangenheit hatte die Botschaft vielfach
die abschiebenden Behörden per
Fernschreiben darauf hingewiesen, daß der Name des Abgeschobenen nicht gambischen Ursprungs war. Trotzdem wurden
die Abschiebungen immer wie
geplant durchgeführt, zumeist
mit negativem Ergebnis, d.h. die
Abgeschobenen mußten wieder
nach Deutschland zurückkehren.
Nach dem Besuch von zwei hohen Beamten der gambischen
Einwanderungsbehörden in Hamburg und Koblenz im November
1997 hat sich die Abschiebungsproblematik wieder etwas entspannt. Die beiden Polizeibeamten waren von der Hansestadt
Hamburg und der Grenzschutzdirektion Koblenz zu einem viertägigen Besuch eingeladen worden
um (vermutlich) gambische, in
Abschiebehaft befindliche Personen zu identifizieren und Gespräche mit deutschen Behörden
zu führen. Der Besuch hat u.a.
dazu geführt, daß seither weniger Abschiebungen von Deutschland nach Gambia gescheitert
sind.“ Leider wird über Rahmenprogramm und Speisefolge dieser
Besuche nichts mitgeteilt. Honorarkonsulaten Gambias war in
der Vergangenheit mehrfach in
Auch ein weiterer Hinweis im Lagebericht klingt diesbezüglich beunruhigend: „Obwohl 1997 insgesamt vermehrt Schwierigkeiten
bei der Feststellung der Identität
bzw. Staatsangehörigkeit aufgetreten sind, ist seit dem Besuch
von gambischen Einwanderungsbeamten bei einigen deutschen
Behörden jedoch eine Verbesserung dieser Situation zu bemerken. Aufgrund der Verteilung der
verschiedenen Ethnien und des
regen Austauschs mit den anderen anglophonen Staaten Westafrikas sind Verwechslungen mit
anderen Afrikanern der Region
nicht völlig auszuschließen.“
Was uns aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen zu deutschen
Planungen in diesem Sektor erreicht hat, findet sein Korrelat auf
der europäischen Ebene. (s. beigefügtes Dokument des Rates der
Europäischen Union zu Rückübernahmeproblemen). Auch in diesem Rahmen ist der mögliche
künftige Druck über die Entwicklungshilfe angedacht.
Eine Vorschau in die nähere Zukunft gewähren auch die zugehörigen Länderberichte zum
Umgang mit dem Thema. Wenn
Dänemarks Rücknahmeabkommen vom 6. Juli 1997 mit Clanchefs in Nordost- und Nordwestsomalia Schule macht und die ersten 28 Betroffenen ausgeflogen
werden, dann werden andere
nachziehen (Nach Angaben aus
dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ist
inzwischen mit den Rückführungen begonnen worden). Wenn
die höchstrichterliche Rechtsprechung in Deutschland inzwischen
davon ausgeht, daß die Europäische Menschenrechtskonvention
keinen Schutz vor nichtstaatlicher
Verfolgung gewährt, die so vom
Recht Geschlagenen aber bislang
ganz überwiegend im Lande blieben, dann liegt es nah, die nichtstaatlichen Autoritäten künftig
auch zu Vertragspartnern aufzuwerten. Wenn in immer mehr
Ländern sich die staatlichen
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
DEPORTATION
Strukturen auflösen, was läge da
näher, als sich an diejenigen zu
halten, die jeweils von sich behaupten, Sicherheit garantieren
zu können: Warlords, Clanchefs,
Söldnerführer, lokale Autoritäten.
Interessant in dem Dokument
weiter, daß insbesondere
Deutschland auf die Kooperation
mit der liberianischen Botschaft
hinweist, die offensichtlich bei
der Identifizierung von Personen
mit ungeklärter Staatsangehörigkeit hilfreich ist.
Interessant auch die Findigkeit
der belgischen Behörden, die offensichtlich planen, mit Nigeria
ein System der „konditionierten
Rückführung“ zu vereinbaren.
Man schöbe in diesen Fällen
zunächst in das vermutete Herkunftsland Nigeria ab und würde
die sofortige Rücknahme nach
Belgien für den Fall zusichern,
daß sich herausstellt, daß die abgeschobene Person keine nigerianische Staatsangehörigkeit besitzt. Hier finden wir also eine
weitere Denkvariante zum Thema
„Abschiebungen in Regionen“,
das von der deutschen Innenministerkonferenz bereits angedacht
wurde.
In der taz vom 12. Mai 1998 findet sich die Behauptung, es liege
nah, daß die „Abschiebungen
nach Afrika“ längst umgesetzt
sei. Seit Jahren gebe es Hinweise
darauf, daß der Verband der Versicherungen an einem unbekannten Ort in einem westafrikanischen Land ein Sammellager für
Abgeschobene „blinde Passagiere“ unterhalte. Drehscheibe für
Abschiebungen in die Region wäre nach dieser Lesart der Senegal.
Das Thema wird offensichtlich
vom BMI auch gezielt in die Medien lanciert. Wie anders wäre es
sonst zu verstehen, daß gerade
jetzt ein internes Papier des BGS
an die Bildzeitung gelangt, in
dem die Staaten aufgelistet werden, die sich angeblich weigern,
die eigenen Bürgerinnen und
Bürger wieder aufzunehmen.
Welche Belege die deutsche Seite
in diesen Fällen beibringt, um die
Behauptung der Staatsangehörigkeit zu untermauern, wird nicht
dargestellt.
Die meisten der genannten Elemente werden auf Länder-, Bundes- und Europaebene vermutlich
zügig weiterentwickelt werden.
Probeläufe für die eine oder andere Maßnahme in einzelnen
Staaten und Bundesländern haben wie geschildert bereits begonnen. Für Informationen zum
Thema sind wir dankbar.
(...)
Die Herkunftsbestimmung durch
Sprachanalyse - wissenschaftlich
mehr als zweifelhaft - beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge geht in
Form eines „erweiterten Testlaufs“ weiter, wie dem Einzelentscheiderbrief des Bundesamtes
2/98 zu entnehmen ist. „Nach
anfänglicher Zurückhaltung zeigen sich Wissenschaftler dem
Vorhaben gegenüber - entgegen
anderslautenden Pressemitteilungen - grundsätzlich aufgeschlossen.“ Welche Schlußlogik und
Qualität solche Gutachten haben
verdeutlicht schon folgender Satz
aus der Erläuterung der Methode: „Mittels Sprachgutachten
wird primär nicht die Staatsangehörigkeit, sondern die Herkunftsregion bestimmt. Erstreckt
sich eine solche über das Gebiet
lediglich eines Landes, ist die Bestimmung der Herkunftsregion
identisch mit der Bestimmung
des Herkunftslandes.“ Wenn man
diese Prämisse einmal übernimmt, wäre in afrikanischen Fällen kaum jemals eine Bestimmung des Herkunftslandes möglich. Das Bundesamt behauptet
aber, in über 90% der untersuchten Fälle sei eine Zuordnung der
Asylbewerberinnen und Asylbewerber zu einem Herkunftsland
möglich gewesen. Hoffähig
macht das Bundesamt die
Sprachanalysen geradezu dadurch, daß die Ablehnung von
Asylanträgen eben nicht allein
auf das Analyseergebnis gestützt
wird „Die Sprachanalyse floß im
Sinne einer Gesamtschau ein“, so
heißt es beim Bundesamt. Man
wird dann in der Folge auch
kaum Verwaltungsgerichtsentscheidungen zu erwarten haben,
die sich mit der Qualität der Methode befassen, wohl aber auf eine Reihe von Richterinnen und
Richtern treffen, die der Suggestion dieses Mumpitz unterliegen.
Hingewiesen sei an dieser Stelle
auf einen Aufsatz von Hubert
Heinhold zum Thema in der Juniausgabe des Informationsbriefes
Ausländerrecht. Der Mainzer Afrikanist Prof. Kastenholz hat bei
der Rechtsberaterkonferenz umfassend über Möglichkeiten und
Grenzen dieser Methode berichtet. Wir hoffen, diesen Vortrag in
einigen Monaten dokumentieren
zu können.
Mit freundlichen Grüßen
Bernd Mesovic
Referent
91
DEPORTATION
Das neue
Abschiebekonzept
in Blankenburg
Nds. Modellprojekt
zur Internierung von Flüchtlingen
Claus Melter*
Wie aus einem internen Papier
des Niedersächsischen Innenministeriums vom 6.2.1998 an die
Bezirksregierungen hervorgeht,
sollte in den folgenden Monaten
ein neues Konzept zur Effektivierung von Abschiebungen umgesetzt werden.
Flüchtlinge, deren Identität und
Nationalität schwer zu ermitteln
sind und die bald abgeschoben
werden sollen, werden zentral in
den ZASten in Braunschweig und
bei Oldenburg untergebracht,
um sie besser zu überwachen, ihre Mitarbeit (z.B. bei der Ermittlung der Staatsangehörigkeit
oder der Beschaffung für die Abschiebung notwendiger Dokumente) zu erwirken, sie leichter
festzunehmen und dann abschieben zu können.
Bei insgesamt 100 Flüchtlingen,
die aus dezentralen Unterbringungen in die jeweilige ZASt geordert werden, soll dies Konzept
ausprobiert werden.
Der Leiter des Sachgebiets „Rückführung“ der Dezernate 301 /
305 in Blankenburg, Herr Heinisch, bestätigte auf Anfrage,
daß dieses „Modellprojekt“, welches auf einem niederländischen
Konzept beruht, Anfang April be-
* Mitarbeiter in der Initiative für offene Grenzen gegen Abschiebung
und Sondergesetze / Oldenburg, den 9.5.1998
92
gonnen wurde. 20 Flüchtlingen
wurde eine „Wohnsitzauflage“
für die ZASt Blankenburg und
den Bereich der Stadt Oldenburg
zugesandt.
Zu wohnen haben diese Personen
in Blankenburg, sie dürfen sich
aber im Bereich der Stadt Oldenburg aufhalten (normalerweise
dürfen sich Asylsuchende in einem Landkreis aufhalten und
nicht nur in dem Gebiet einer
Stadt).
In Oldenburg wolle man es „mit
der menschlichen Art“ versuchen,
dies sei womöglich erfolgreicher.
Die andiskutierte Reduzierung
oder der Entzug von Taschengeld
sei dementsprechend vorläufig
verworfen worden. Eventuelle
Aufenthaltsbeschränkungen und
die Verweigerung finanzieller
Mittel, wie sie in den Niederlandern praktiziert werden, stehen
zur möglichen Nutzung allerdings im Hintergrund.
Die alleinstehenden Männer - vor
allem Schwarzafrikaner - sollen
durch Gespräche mit SozialarbeiterInnen des Sozialdienstes der
ZAST und Anhörungen durch
MitarbeiterInnen der Bezirksregierung zur Mitarbeit und Auskunftserteilung bewegt werden. Den
Flüchtlingen werde nahegelegtso der Leiter des Sachgebiets
„Rückführung“ - daß man ihnen
ja eigentlich helfen wolle, ihr Asylverfahren evtl. neu zu bearbeiten, einen Asylfolgeantrag zu
stellen oder eine Duldung zu beantragen. Bedingung sei, daß sie
ihre Nationalität mitteilen würden.
Praktisch ist dies der schnellste
Weg für die Flüchtlinge, abgeschoben werden zu können.
stimmten „Fällen“ evtl. angefragt
werden.
Das Dezernat 301 / 305, Sachgebiet „Rückführung“, habe die Akten der Flüchtlinge durchgearbeitet: einige Flüchtlinge seien wegen fehlender Kooperation im
Asylverfahren abgelehnt worden.
Über die Gespräche führen die
SozialarbeiterInnen und die MitarbeiterInnen der Bezirksregierung Protokoll. Ende September
müsse ein Erfahrungsberischt
beim Niedersächsischen Innenministerium vorliegen. Danach würde über Änderungen, Weiterbestand oder Beendigung des Projekts entschieden.
Dieses neue Modellprojekt ist eine qualitative Verschärfung der
rassistischen Kontroll- und Internierungspraxis der Abschiebebehörden. Die Flüchtlinge werden zum Aufenthalt in ein Lager
gezwungen (sonst erhalten sie
keine materielle und finanzielle
Unterstützung), sie werden ständig Verhören unterzogen und
Botschaften vorgeführt, fast alle
Bediensteten des Lagers helfen
beim Bespitzeln mit, so daß die
Flüchtlinge massiv unter Druck
gesetzt werden!
Über die Absichten der Behörden
sollten die Flüchtlinge - soweit sie
von FlüchtlingsunterstützerInnen
noch nicht erreicht wurden - baldigst informiert werden!
SozialarbeiterInnen sollten sich
weigern, an der Bespitzelung
mitzumachen!
Ein breiter Widerstand gegen diese neue Internierungs- und Kontrollpraxis ist notwendig!
Am 5. Mai waren 11 der angeschriebenen 20 Flüchtlinge in
Blankenburg, 3 weitere hatten
den Behörden ihre Ausweispapiere offengelegt. Die restlichen 3
seien vermutlich untergetaucht.
Bewußt handele es sich bei diesen Männern nicht um Personen,
bei denen Verstöße gegen das
Betäubungsmittelgesetz vorlägen
oder zu befürchten seien, um keine Unruhe in die ZASt zu bringen. Der Sozialdienst der ZASt arbeite eng mit der Beratungsstelle
des Diakonischen Werkes zusammen, das nicht in das Konzept involviert sei, würde jedoch in be-
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
DEPORTATION
Presseerklärung
Förderverein
Niedersächsischer
Flüchtlingsrat e. V.
Nds. Flüchtlingsrat ( Lessingstr. 1 ( 31135 Hildesheim
24.05.1998
Funktionär der „Aktiven Volkspartei Vietnams“ in Abschiebungshaft
Quang Duong Nguyen droht Freiheits- oder gar Todesstrafe in Vietnam
Flüchtlingsrat fordert sofortige Aussetzung der Abschiebung
Der Niedersächsische Flüchtlingsrat ist besorgt über das Schicksal des vietnamesischen Flüchtlings Quang Duong Nguyen aus Dahlenburg bei Lüneburg. Der Funktionär der Aktiven Volkspartei Vietnams wurde am 20.05.98 auf Beschluß des
Amtsgerichts Lüneburg in Abschiebungshaft genommen. Jetzt droht ihm die Abschiebung.
Auf dem Parteitag der Aktiven Volkspartei Vietnams im März 1998 wurde Herr
Nguyen zum stellvertretenden Parteigruppenleiter II in Norddeutschland gewählt
und ernannt. Die Aktive Volkspartei Vietnam ist eine 1991 in den USA gegründete vietnamesische Partei, die sich für die Überwindung der kommunistischen Herrschaft, für Demokratie und für wirtschaftliche Entwicklung einsetzt und in Kambodscha, Rußland, Frankreich, Thailand sowie in der Bundesrepublik Dependancen unterhält. Diverse Mitglieder der Aktiven Volkspartei sind in Vietnam in Haft,
darunter Personen, die Ende 1996 von der kambodschanischen Regierung nach
Vietnam abgeschoben wurden.
Nach Artikel 73 des vietnamesischen Strafgesetzbuchs wird die Unterstützung einer Organisation, die das Ziel hat, die Volksregierung zu stürzen, mit Freiheitsstrafe von 5 - 15 Jahren bestraft. Organisatoren und Anstifter müssen mit einer
Freiheitsstrafe von 12 bis 20 Jahren, mit lebenslanger Haft oder gar mit der Todesstrafe rechnen.
Über den Parteitag der Aktiven Volkspartei Vietnams am 22.03.1998 berichtete
die überregionale Presse. Die „Wilhelmshavener Zeitung“ vom 27.03.1998 brachte einen Bericht und ein Photo, das Herrn Nguyen in der Schar der Parteifunktionäre zeigt. Im übrigen ist davon auszugehen, daß der Parteitag vom vietnamesischen Geheimdienst beobachtet wurde.
Vor diesem Hintergrund befürchten wir, daß den vietnamesischen Verfolgungsbehörden das Engagement des Herrn Nguyen in Deutschland nicht verborgen geblieben ist. Quang Duong Nguyen muß im Fall seiner Rückkehr nach Vietnam mit
einer langjährigen Haftstrafe, wenn nicht sogar mit der Todesstrafe rechnen. Wir
fordern daher die Verantwortlichen auf, die Abschiebung des Herrn Nguyen sofort zu stoppen und die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens zu ermöglichen.
93
DOKUMENTATION
Nun zu den Problemen bei der Rückführung abgelehnter Asylbewerber ...
Bericht des IMK-Vorsitzenden
vor dem Bundestagsinnenausschuß am 1.4.98
Vorab möchte ich zur Verdeutlichung einige Zahlen nennen:
Zugangsentwicklung im Asylbereich in
den Jahren 1991 bis 1997
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
156.112
438.191
322.599
127.210
127.937
116.367
104.353
Die Zugangsentwicklung im Asylbereich
in den Jahren 1991 bis 1997 stellt sich
wie folgt dar. Die Höchstzahl lag 1992
bei 438.000 und ist seit dem kontinuierlich zurückgegangen. Lag die Zahl 1994
und 1995 bei über 127.000, so kamen
1997 noch 104.000 Asylbewerber nach
Deutschland.
Die Zahl aller Abschiebungen, die 1997
durch die Grenzschutzdirektion durchgeführt wurden, betrug 38.205. 1996 lag
diese Zahl bei 32.100. Im Jahr 1995
wurden 36.455 Personen nach Kenntnissen der Grenzschutzdirektion abgeschoben. Nach Angaben der Grenzschutzdirektion sind diese Zahlen nicht vollständig, da auch Abschiebungen ohne die
Grenzschutzdirektion erfolgen.
Im Jahre 1996 wurden 12.119 ehemalige Asylbewerber abgeschoben. Zudem
fanden 10.832 kontrollierte Ausreisen
statt. Bei 25.524 Personen war der Verbleib nicht zu ermitteln. Diese Personen
können entweder freiwillig ausgereist
sein, ohne dies der Ausländerbehörde
mitzuteilen, oder sie sind untergetaucht.
Die genannten Zahlen sind nicht vollständig, da nicht alle Bundesländer ihre
Zahlen dem Bundesministerium des Innern übermittelt haben. Zahlen für 1997
liegen dem Bundesministerium des Innern noch nicht vor. Ich gehe davon aus,
daß der anwesende Vertreter des Bundesministerium des Innern die notwendigen ergänzenden Angaben machen
kann, falls dies von Ihnen gewünscht
wird.
Die Zahl der abgelehnten Asylbewerber,
die aufgrund eines Abschiebestopps
oder aus rechtlichen Gründen geduldet
werden, ist erheblich zurückgegangen.
Dagegen ist der Anteil der Personen, deren Aufenthalt vorübergehend aufgrund
tatsächlicher Abschiebungshindernisse
weiterhin geduldet wird, stark gestiegen. Genaue Zahlen lassen sich hierfür
nicht ermitteln. Häufige Gründe sind
fehlende Rückreisepapiere (Pässe), unterbrochene Verkehrswege sowie körperliche und psychische Erkrankungen. Besondere Bedeutung nehmen in der letzten Zeit Fälle an, in denen Ausreisepflichtige vorbringen, sie seien wegen
der anstehenden Rückführung suizidge-
94
fährdet.
Eindeutiges Haupthindernis einer raschen und effektiven Durchsetzung der
Ausreisepflicht ist jedoch zweifelsohne
das Problem der fehlenden Rückreisedokumente.
Insbesondere abgelehnte Asylbewerber
verfügen in vielen Fällen nicht über einen gültigen Paß beziehungsweise ein
anderes Rückreisedokument, mit dem
sich eine rechtlich gebotene Abschiebung ins Heimatland organisieren ließe.
Bei der Vielzahl der Fälle muß vermutet
werden, daß zahlreiche Betroffene absichtlich Dokumente entgegen ihren gesetzlichen Mitwirkungspflichten (§§ 4
Satz 1, 70 AuslG; § 15 AsylVfG) zurückhalten beziehungsweise ihre Identität
und Herkunft bewußt verschleiern, um
die gesetzlich erforderlichen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu verzögern
beziehungsweise gänzlich unmöglich zu
machen. Namentlich in den Fällen, in
denen Asylbewerber mit Hilfe sogenannter „Schlepperbanden“ ins Bundesgebiet
eingeschleust werden, sind derartige
Verhaltensweisen der von den Schleppern entsprechend „präparierten“ Ausländer in einer Vielzahl von Fällen zu beobachten.
Lediglich bei wenigen Herkunftsländern,
mit denen die Bundesrepublik Deutschland entsprechende Rückübernahmeabkommen geschlossen hat, genügt die
Glaubhaftmachung deutscher Stellen für
das Vorliegen der Staatsangehörigkeit
beziehungsweise Herkunft aus dem Vertragsstaat, um von den diplomatischen
und konsularischen Vertretungen dieser
Länder rasch und letztlich „unbürokratisch“ die erforderlichen Reisedokumente
beziehungsweise Übernahmeerklärungen zu bekommen.
Entsprechende Abkommen existieren mit
einigen Staaten Osteuropas (Polen,
Tschechien, Bulgarien und Rumänien). In
diese Staaten lassen sich daher derzeit
Abschiebungen ohne größeren bürokratischen Aufwand zeitnah organisieren.
Lediglich in bezug auf Rumänien berichten die Ausländerbehörden von Schwierigkeiten. Rumänische Stellen entlassen
auf Antrag Bürger ihres Landes aus der
rumänischen Staatsangehörigkeit in die
Staatenlosigkeit, mit der Folge, daß
Rumänien eine Rückführung dieser Personen ablehnt. Diese völkerrechtlich
zweifelhafte Praxis wurde trotz Intervention der Bundesregierung bisher nicht
aufgegeben.
Bislang noch unbefriedigend ist die Umsetzung des im Jahre 1995 geschlossenen Rückübernahmeabkommens mit der
Volksrepublik Vietnam. In diesem Abkommen hatte sich die Volksrepublik Vietnam verpflichtet, bis zum Jahre 2000
vertraglich festgesetzte jährliche Kontin-
gente ihrer Staatsangehörigen wieder
aufzunehmen. Die ausgehandelten
Rückführungsmodalitäten zwingen die
deutschen Behörden zu einem zeitraubenden und leider oft auch erfolglosen
Verwaltungsaufwand, da zum einen bei
den ausreisepflichtigen Vietnamesen eine Fülle von biographischen Daten zu
ermitteln sind (wobei sich die Betroffenen in vielen dieser Fälle weigern, diese
den Ausländerbehörden zu offenbaren),
zum anderen vietnamesische Stellen n
der Vergangenheit von den Ausländerbehörden vorbereitete Rücknahmeersuchen zurückgegeben haben, weil diese
angeblich den vertraglich ausgehandelten Rücknahmemodalitäten nicht entsprechen.
Die Bundesregierung hatte die aufgetretenen Probleme hinsichtlich der zu verschiedenen Zeitpunkten genehmigten
Rückführung von vietnamesischen Familien mit der vietnamesischen Seite erörtert. Dabei hat die vietnamesische Seite
ausdrücklich zugesagt, daß sie künftig
Rückübernahmeersuchen für Familien
einheitlich bearbeiten und für die gesamte Familie beantworten wird. Aufgrund dessen ist davon auszugehen,
daß künftig die betroffenen vietnamesischen Familien im Interesse der Wahrung der Familieneinheit gemeinsam
zurückgeführt werden können.
Ähnlich unerfreulich sind die bisherigen
Erfahrungen mit der Umsetzung des Ende 1996 geschlossenen Rückübernahmeabkommens zwischen der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Bundesrepublik Jugoslawien.
So muß festgestellt werden, daß regelmäßig die nach dem Abkommen vereinbarten Fristen zur Rückantwort (abhängig von den Nachweismitteln drei bis
zwanzig Tage) nicht eingehalten werden. Alle Bundesländer machen hier im
wesentlichen gleichartige Erfahrungen.
Allerdings werden in letzter zeit zunehmend mehr Rückübernahmeersuchen
positiv beantwortet. Dennoch ist das
Verfahren nicht zufriedenstellend, da
weiterhin wesentlich mehr jugoslawische
Staatsangehörige zur Beantragung von
Asylgewährung einreisen bzw. eingeschleust werden, als über das Abkommen zurückgeführt werden können.
Soweit Rückübernahmeabkommen nicht
existieren, bestimmen die diplomatischen und konsularischen Vertretungen
der entsprechenden Länder selbst, welche Nachweise und Unterlagen deutsche
Stellen vorzulegen haben beziehungsweise welche weiteren Bedingungen zu
erfüllen sind, um mutmaßlichen Staatsangehörigen dieser Länder Pässe oder
Rückreisedokumente auszustellen beziehungsweise eine Übernahme zuzusagen.
Hier berichten alle Bundesländer von erheblichen zeitlichen Verzögerungen insbesondere dann, wenn - wie in nicht
wenigen Fällen - die ausländischen Vertretungen Nachforschungen im Heimatland zur Identitätsfeststellung für erforderlich halten. Je nach den speziellen
Umständen des betreffenden Landes
(insbesondere der dortigen kommunikativen Infrastruktur) ergeben sich so meist
längerfristige Verzögerungen. Bei diesen
Anforderungen ist es wenig aussichtsreich, zeitnah Rücknahmedokumente zu
erhalten, insbesondere in Fällen, in denen der Ausreisepflichtige selbst die vom
Heimatland für erforderlich gehaltenen
Angaben seiner biographischen Daten
verweigert beziehungsweise eine völlig
andere Identität angibt. Dann bestehen
meist langfristige Abschiebungshindernisse.
Die Möglichkeiten der Innenbehörden,
bei den ausländischen Vertretungen auf
eine rasche Bearbeitung hinzuwirken,
sind begrenzt. Hier berichten die Ausländerbehörden davon, daß in zahlreichen
Fällen auch nach mehrmaligen schriftlichen und telefonischen Nachfragen ein
Fortgang des Verfahrens nicht erreicht
werden kann. Den Ausländerbehörden
muß sich zumindest bei einigen Vertretungen ausländischer Staaten der Verdacht aufdrängen, daß dort keinerlei Interesse besteht, mitzuhelfen, die Illegalität der eigenen Landsleute in Deutschland zu beenden.
Soweit die obersten Landesbehörden
von derartigen Fällen durch die Ausländerbehörden Kenntnis erlangten, haben
sich diese in der Vergangenheit in sehr
vielen Fällen entweder direkt oder über
das Auswärtige Amt an die jeweiligen
Vertretungen gewandt. In vielen Fällen
waren derartige Interventionen - wenn
auch teilweise mit erheblichen Verzögerungen - erfolgreich. Es gibt allerdings
auch nicht wenige Fälle, in denen selbst
eine Intervention auf der Ebene des Auswärtigen Amtes letztlich erfolglos geblieben ist.
Das Auswärtige Amt hat die Repräsentanten einiger Staaten eingestellt, um
zusammen mit Vertretern der Bundesländer den Botschaftsangehörigen die
Problematik bei der Rückführung ihrer
Staatsangehörigen zu verdeutlichen. Das
hat in Einzelfällen schon zu positiven Ergebnissen geführt. Ein endgültiges Ergebnis dieser Gespräche liegt aber noch
nicht vor.
Es muß hierbei allerdings festgehalten
werden, daß Ursache der restriktiven
Haltung einiger Auslandsvertretungen
nicht immer nur Desinteresse oder Kalkül
ist. Viele Asylbewerber (insbesondere
aus dem nord- und westafrikanischen
Raum) geben nämlich im Asylverfahren
als Herkunftsstaat ein Land an, von dem
sie hoffen, daß die aktuelle politische Lage dort eher zur Anerkennung als politisch Verfolgte beziehungsweise zum
Feststellen eines Abschiebungshindernisses führen wird. Die betroffenen Staaten
haben daher sicher auch Anlaß zu überprüfen, ob der Betreffende tatsächlich
die Staatsangehörigkeit besitzt, die er
gegenüber den deutschen Behörden
zunächst angegeben hat.
Insbesondere bei einer Herkunft aus
dem westafrikanischen Raum stehen die
Ausländerbehörden oft vor dem Problem
den Ausreisepflichtigen einen der vielen
Staaten in dieser Region zuordnen zu
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
DOKUMENTATION
müssen. Hierbei kommt es naturgemäß
zu erheblichen Verzögerungen bei der
Aufenthaltsbeendigung, wenn der Ausländer seine genaue Herkunft verschleiert.
Einige weitere Probleme möchte ich an
dieser Stelle nur stichwortartig darstellen:
So werden in Einzelfällen von Botschaften ausgestellte Papiere von den jeweiligen Grenz- oder Innenbehörden nicht
anerkannt. Die Einreise in das Herkunftsland wird dann verweigert, obwohl die
hiesige Botschaft den Betreffenden als
ihren Staatsangehörigen angesehen hatte.
Auch gibt es teilweise Probleme bei der
Beförderung auf dem Luftweg, weil die
Fluggesellschaften Personen trotz gültiger Papiere nicht weiterbefördern, wenn
die Ausländer den Fluggesellschaften
mitteilen, daß sie nicht aus dem Zielstaat kommen oder wenn die Flugkapitäne der Auffassung sind, die Flugsicherheit sei in irgendeiner Weise gefährdet, und sei es auch nur durch verbale
Attacken.
Der Vollständigkeit halber möchte ich
auch einige Probleme bei bestimmten
Herkunftsstaaten darstellen:
a) Kurden aus der Türkei
Die Abschiebung von Kurden gehört zu
den meist diskutierten Fragen der derzeitigen Ausländerpolitik.
Die Innenministerkonferenz hat sich zuletzt auf ihrer Sitzung am 18. Mai 1995
intensiv mit der Abschiebung von Kurden befaßt. Alle Länder haben versucht,
auf eine einheitliche Linie zurückzukehren. Die Innenministerkonferenz hat den
Briefwechsel zwischen Bundesinnenminister Kanther und dem türkischen Innenminister Mentese begrüßt.
Dieser bezieht sich aber nur auf Personen, die sich an Straftaten im Zusammenhang mit der PKK und anderen terroristischen Organisationen in Deutschland beteiligt haben.
Die Innenminister haben weiter ausgeführt:
„Auch über diesen Personenkreis hinaus
sollten in begründeten Einzelfällen Möglichkeiten zu Absprachen mit der Türkei
und zu sonstigen ‘flankierenden Maßnahmen’ genutzt werden. Dazu kann in
geeigneten Fällen z.B. gehören, daß die
Kontaktaufnahme mit türkischen Anwälten bereits vor der Abschiebung angeboten und/oder die Rückkehr heimatlichen Organisationen angekündigt wird.“
Dieser Beschluß der IMK ist in den Ländern unterschiedlich umgesetzt worden. Letztlich hat es aber bei der Vielzahl von Rückführungen türkischer
Staatsangehöriger keine nennenswerten
Probleme gegeben. Es wird jedoch von
Angehörigen in Deutschland oder Unterstützergruppen häufig behauptet, daß
abgeschobenen Kurden bei ihrer Rück-
kehr von Sicherheitskräften festgehalten
und gefoltert worden und einige danach
„verschwunden“ seien. Allerdings konnten nachweise bisher nicht erbracht werden. Die Länder bitten in Einzelfällen die
deutsche Botschaft bzw. das Generalkonsulat um Aufklärung.
b) Entwicklung im Kosovo
Einige Bundesländer hatten Flüge nach
Jugoslawien Anfang März ausgesetzt,
bis vom Auswärtigen Amt eine neue Lagebeurteilung vorlag.
Im Anschluß an ein Gespräch mit Herrn
Schlee am 12. März 1998, das ich gemeinsam mit Vertretern der Länder Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen sowie des Bundesinnenministeriums geführt habe, haben wir angesichts der aktuellen Entwicklung im Kosovo das weitere Vorgehen bei der Rückführung von Kosovo-Albanern erörtert.
Dabei haben die Beteiligten zunächst
den neuesten Bericht des Auswärtigen
Amtes vom 11. März 1998 zur Lage im
Kosovo zur Kenntnis genommen.
Die Beteiligten haben vor dem Hintergrund des Lageberichtes und den ergänzenden Erläuterungen des Vertreters des
Bundesinnenministers festgestellt, daß
ein genereller Abschiebestopp nicht in
Betracht kommt. Die Auseinandersetzungen in der sogenannten Drenica-Region seien am 8. März 1998 beendet
worden. Seitdem würden von dort nur
noch kleinere Schießereien gemeldet.
Die übrigen Landesteile der Kosovo-Region seien von gewaltsamen Zwischenfällen nicht erfaßt worden. Die Gesprächsteilnehmer wiesen darauf hin, daß vor
anstehenden Abschiebungen selbstverständlich mögliche Abschiebehindernisse
im Einzelfall geprüft worden sind. Sie
sind einvernehmlich der Auffassung, daß
an der - in der jeweiligen Länderverantwortung - bisherigen Abschiebepraxis
festgehalten werde.
c) Rückführungen nach Bosnien und Herzegowina
Nach dem Ende der Kriegshandlungen
hat die Innenministerkonferenz am 15.
Dezember 1995 beschlossen, den Abschiebestopp für Personen aus Bosnien
und Herzegowina aufzuheben, die nach
dem 15. Dezember 1995 einreisen.
Daran anschließend wurden am 26. Januar zwei Rückführungsphasen festgeschrieben. Danach sollten ursprünglich
in der ersten Phase Erwachsene ohne
Kinder, in einer zweiten Phase Familien
mit Kindern, Traumatisierte, Deserteure
und Auszubildende zurückgeführt werden.
Mit Blick auf die damalige Situation hatte die Innenministerkonferenz am 19.
September 1996 in Bonn im wesentlichen beschlossen, daß die Rückkehr im
Rahmen des am 26. Januar 1996 beschlossenen Phasenplans erfolgen kann.
nach Einschätzung der Bundesregierung
waren zwangsweise Rückführungen ab
dem 1. Oktober 1996 möglich.
den Innenministern und -senatoren der
Länder bestand aber Einvernehmen, daß
den Ländern im Rahmen der ersten
Rückführungsphase hinsichtlich des Beginns der zwangsweisen Rückführung
eine flexible Handhabung möglich ist.
Ein weiterer IMK-Beschluß ist am 25.
März 1997 im Umlaufverfahren zustande gekommen. Dabei wurden für einige
Personengruppen bundeseinheitlich besondere Regelungen getroffen, so für
Traumatisierte Personen (unabhängig
von einer Einreise im Rahmen der Kontingentaufnahme), die deswegen mindestens seit dem 16. Dezember 1995 in
ständiger (fach)ärztlicher Behandlung
stehen, soweit die Behandlung nicht abgeschlossen ist;
Auszubildende, die ihre Ausbildung vor
dem 26. Januar 1996 begonnen haben,
soweit dies nicht abgeschlossen ist und
soweit die Bereitschaft besteht, die zeit
bis zum Ausbildungsabschluß auch getrennt von der Familie in der Bundesrepublik Deutschland zu verbringen. Durch
die fachliche Qualifikation der Rückkehrer soll der Wiederaufbau in Bosnien
und Herzegowina unterstützt werden.
Von der Rückführung sowohl in der ersten als auch in der zweiten Phase sind
weiterhin ausgenommen:
Personen, die am 15. Dezember 1995
das 65. Lebensjahr vollendet hatten,
wenn sie in Bosnien und Herzegowina
keine Familien mehr haben, aber in der
Bundesrepublik Deutschland Angehörige
mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht leben,
soweit entsprechende Verpflichtungserklärungen vorliegen oder sonst sichergestellt ist, daß für diesen Personenkreis
keine Leistungen der Sozialhilfe in Anspruch genommen werden.
Personen, die als Zeugen vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag im
Rahmen eines Kriegsverbrecherprozesses
geladen werden und bereit sind, dort
auszusagen.
Über die weitere Behandlung dieser Personengruppen wird in der IMK zu einem
späteren Zeitpunkt entschieden.
Die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder hat am
6. Juni 997 zudem festgestellt, daß die
Rückführung der aus der Republik Srpska stammenden Flüchtlinge bosnischer
oder kroatischer Volkszugehörigkeit besondere Sensibilität erfordert. Sie stimmte deshalb darin überein, daß Abschiebungen dieser Personen im Grundsatz
als nachrangig anzusehen sind. Ein differenziertes Vorgehen ist danach ausdrücklich möglich und wird auch von
den zuständigen Ausländerbehörden
praktiziert.
Die Forderung von Dayton, daß jeder in
seinen Heimatort zurückkehren kann,
wird nicht durchgesetzt werden können.
Deshalb muß den Flüchtlingen zugemutet werden, jetzt in einen anderen Ort
nach Bosnien-Herzegowina zurückzukehren, aus dem sie möglicherweise zu
einem späteren Zeitpunkt in ihren früheren Wohnort umziehen können.
Zur Förderung der freiwilligen Rückkehr
bosnisch-herzegowinischer Bürgerkriegsflüchtlinge kann für eine Orientierungsreise bzw. in begründeten Einzelfällen
für eine weitere Orientierungsreise eine
Rückkehrberechtigung (Vignette) für die
Dauer von höchstens zwei Monaten erteilt werden.
Zusätzlich werden, um die Rückkehrbereitschaft zu fördern, den Rückkehrwilligen konkrete Hilfen nach dem
REAG(Reintregation and Emigration Programme für Asylum-Seekers in Germany)- und GARP-Programmen (Government Assisted Repatriation Programme)
angeboten. REAG ist ein Programm der
Regierung der Bundesrepublik Deutschland für die finanzielle Unterstützung
der Beförderung mittelloser Asylbegehrender, Asylbewerber, abgelehnter Asylbewerber, anerkannter Flüchtlinge, Bürgerkriegsflüchtlinge sowie vietnamesische ehemalige Vertragsarbeitnehmer,
die aus eigenem Entschluß freiwillig in
ihre Heimat zurückkehren wollen oder in
einen aufnahmebereiten Drittstaat weiterwandern können. GARP stellt ein Programm der Regierung der Bundesrepublik Deutschland zur Förderung der freiwilligen Rückkehr in ausgewählte Heimatländer dar. In diesen Programmen
beteiligen sich auch in unterschiedlicher
Weise die Länder und Kommunen.
In einigen Bundesländern kann die Ausreise und Wiedereingliederung von Familien mit Kindern gefördert werden, indem bei Ausreise der restlichen Familienmitglieder der weitere Aufenthalt eines
Familienmitgliedes zur Fortsetzung bzw.
Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zu
einem halben Jahr geduldet wird. Voraussetzung ist u.a., daß ein Arbeitsplatz
nachgewiesen ist und die erforderliche
Arbeitserlaubnis vorliegt oder zugesichert ist. Problematisch ist in diesem Zusammenhang, daß die Arbeitsverwaltung nur noch sehr eingeschränkt Arbeitserlaubnisse erteilt.
Zudem muß darauf hingewiesen werden, daß die Länder bisher nur unzureichend über die geplanten und durchgeführten EU-Projekte informiert wurden.
Trotz mehrfacher Nachfrage ist bisher
keine ausreichende Transparenz über die
Auswahlkriterien bei der Vergabe von
Projektmitteln erreicht worden. Eine Verbesserung der bisher unbefriedigenden
Situation bei den von der EU-Kommission geförderten Wiederaufbauprojekten
erhoffen sich die Länder von dem Beauftragten der Bundesregierung für Flüchtlingsrückkehr und rückkehrbegleitenden
Wiederaufbau Herrn Innenminister a.D.
Dietmar Schlee.
Wie in einem Gespräch mit Herrn Schlee
am 12. März in Mainz vereinbart, wurde
die Arbeitsgruppe Rückführung der Innenministerkonferenz gebeten, bis zur
Sitzung der IMK am 7./8. Mai 1998 Vorschläge zu unterbreiten, wie die Ressourcen von Bund, Ländern und Europäischer Union noch zielgerichteter
eingesetzt werden könnten, um den
Wiederaufbau voranzubringen und so
die freiwillige Rückkehr zu fördern.
Zwischen dem Bundesinnenminister und
95
KIRCHENASYL
Kirchenasyl Hannover
Zehn Nigerianern droht
wieder die Abschiebung
Ingrid Lange/ Sprecherin für den Unterstützerkreis
Biodun Adedeji
Johnson Akindele
Sunday Alao
Delly Johnson
Christopher Mitee
Josiphat Nwagwu
Desmond Ogundaye
Otomi L’Otomi
Venatious Umelo
Im Januar 1997 hatten diese
zehn Nigerianer und zwei andere, die inzwischen untergetaucht
sind, in vier hannoverschen Kirchengemeinden Zuflucht gefunden. Diese Nigerianer, alle Mitglieder der Nigerian Association
in Niedersachsen (NAN), waren wie heute wieder - von Abschiebung bedroht. Ab September
konnten sie nach und nach das
Kirchenasyl verlassen, weil sie
aufgrund ihrer Einwanderungsanträge nach Kanada von dieser
Botschaft zu einem Interview eingeladen worden waren. Die Bezirksregierung Hannover sprach
daraufhin befristete Duldungen
aus. Leider wurden alle zehn
Einwanderungsanträge von der
kanadischen Botschaft abgelehnt.
In Kanada laufen seit Wochen
Bemühungen von Kirchengemeinden und Einzelpersonen, die
kanadische Botschaft zu überzeugen, wie gefährdet die Nigerianer
bei Abschiebung wären. So sehen wir immer noch eine Chance
zur Weiterwanderung. Die verantwortlichen Behörden sollen ihnen unbedingt die nötige Zeit
geben, um ihre
Weiterwanderungsbemühungen
fortsetzen zu können.
96
Doch am 13. Mai 1998 hat die
Ausländerstelle Hannover auf Anweisung der Bezirksregierung
Hannover und im Einvernehmen
mit dem niedersächsischen Innenministerium die Duldungen
nicht mehr verlängert und wiederum Abschiebungsmaßnahmen
eingeleitet. Die Nigerianer konnten und wollten aus politischen
Gründen nicht auf die wie schon
1997 gestellte Forderung der Bezirksregierung eingehen, sich
Paßersatzpapiere zu beschaffen.
Auch wir als UnterstützerInnen
sind der Meinung, daß die Nigerianer nicht in die Botschaft des
illegitimen Abacha-Regimes, das
sie seit vielen Jahren bekämpfen,
gehen sollten, um sich freiwillig
“Abschiebe-Papiere” abzuholen.
Paßersatzpapiere gelten nämlich
nur 16 Tage und auch nur für die
Einreise nach Nigeria.
Zusammen mit den Nigerianern
haben wir seit mehr als zwei Jahren immer wieder versucht, die
Behörden zu überzeugen, wie
gefährdet die Nigerianer im Falle
einer Abschiebung sind. Außerdem warnen wichtige Organisationen der nigerianischen
Prodemokratiebewegung und
mehrere ihrer international anerkannten Sprecher nachdrücklich
vor Abschiebung von Flüchtlingen, die im Exil aktiv gegen das
Militärregime von General Abacha kämpfen. Ihnen drohen
Mißhandlung, Gefängnisaufenthalte oder gar der Tod.
Den zuständigen Behörden liegen
neueste Stellungnahmen vor, z.B.
von:
Dr. Kayode Fayemi, United Democratic Front of Nigeria, UDFN,
Koordinator für Europa
(7.4.1998)
Prof. Usman G. Akano, Präsident
der Koalition für Menschenrechte
und Demokratie in Nigeria,
COHDN (23.4.1998)
RA Olisa Agbakoba, Sprecher von
United Action for Democracy,
UAD (28.4.1998)
Prof. Julius Ihonvbere, Vizepräsident UDFN World, Mitglied im
Aktionskomitee von UDFN und
National Democratic Coalition,
NADECO (29.4.1998)
am 1. Mai 1998 durch die nigerianische prodemokratische Opposition hat sich die politische
Lage in Nigeria noch verschärft.
Viele ihrer Anführer und andere
Prodemokraten wurden verhaftet.
Auch Herr Olisa Agbakoba, der
Rechtsanwalt Ken Saro Wiwa’s
und einer der aktivsten Kämpfer
für Menschenrechte, Sprecher
von UAD, befindet sich unter unmenschlichen Bedingungen im
Gefängnis. Im Zusammenhang
damit wurden seine Computer,
alle Aktenbestände und Korrespondenzen beschlagnahmt.
Hieraus ergibt sich für die zehn
NAN-Mitglieder im Falle der Abschiebung eine neue akute Gefahr für Leib und Leben. Tatsache
ist, daß dem SSS (Secret Security
Service) nun auch die aktuellsten
Informationen über die von Agbakoba unterstützten NAN-Miglieder zur Verfügung stehen.
Aufgrund der immer noch bestehenden Aussicht auf Weiterwanderung und der sich verschärfenden Rückkehrgefährdung bei Abschiebung dürfen die Nigerianer
auf keinen Fall nach Nigeria abgeschoben werden.
Der Unterstützerkreis für nigerianische Flüchtlinge in Hannover
appelliert an alle Leser und Leserinnen dieses Berichtes
Helfen Sie uns, die Abschiebung
der zehn Nigerianer zu verhindern !
Wenden Sie sich an:
Innenminister Herrn Glogowski,
Lavesallee 6, 30169 Hannover.
Fax: 0511/120-6580
Bezirksregierung, Frau Haunschild, Postfach 203, 30002
Hannover, Fax: 0511/106-2629
Ordnungsamt, Herr Seidel, Leinstraße 5, 30159 Hannover, Fax :
0511/1684-5352
Nach dem Wahlboykott der Parlamentswahlen am 26. April
1998 und der Protestaktionen
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
LÄNDERBERICHT
Seit der 7. Jahresbericht der “Organisation zur Verteidigung der
Menschenrechte” (AZADHO) erschienen ist, sind die gegen das
Regime in Kinshasa erhobenen
Vorwürfe bekannt. Ende des vergangenen Jahres klagte Human
Rights Watch die kongolesische
Regierung an, tagtäglich die
Menschenrechte zu verletzen,
nachdem Beweise erbracht wurden für die systematische Vernichtung von ruandischen Flüchtlingen durch die Soldaten der
AFDL und ihre Verbündeten. Der
Chilene Roberto Garreton, Intitiator der UNO-Untersuchung von
Massakern an Flüchtlingen, bestätigte, daß die Regierung von
Ex-Zaire die Rechte auf Freiheit
und körperliche Unversehrtheit
abgeschafft hätten. Auch wenn
den Aktionen der kongolesischen
Behörden einige positive Aspekte
zu entnehmen sind, kommt der
Bericht der UNO u.a. dennoch zu
dem Schluß, daß die Kongolesen
weder das Recht auf Demokratie
“genössen”, noch nah daran seien, es zu “genießen”.
Der Vorwurf, der geteilt wird von
Amnesty International in einem
am Vorabend des Treffens der
Freunde Kongos veröffentlichte
Bericht, prangert Mißbrauch und
Verletzungen der Menschenrechte an, die von den Truppen der
AFDL seit Beginn des Krieges im
Oktober 1996 begangen wurden.
Andererseits - und trotz der Unterstützung des AFDL-Regimes
durch die Clinton-Regierung - erkannte das amerikanische State
Department zu Beginn des Jahres
bei der Bilanzierung des KabilaRegimes in bezug auf die Rechte
an, daß es hinsichtlich fundamentaler Freiheiten in der DRK
noch erhebliche Probleme gibt.
Selbst der deutsche Außenminister, der sich unlängst bezüglich
Anschuldigungen gegenüber Mobutu traditionell skeptisch zeigte,
bestätigte ausdrücklich Roberto
Garretons Behauptungen. Der Bericht vom Januar 1998 enthält
u.a. die Erkenntnis, daß selbst
acht Monate nach der Machtübernahme die Regierung, von der
man sich so vieles erwartete, nur
Ernüchterung oder gar Enttäuschung hervorgerufen hat.
Der Gedanke der “Ernüchterung”
und “Enttäuschung” der vom
kongolesischen Volk empfunden
wird nach einer mißratenen Befreiung, ist der gleiche, der sich
als Hauptthema wiederfindet in
dem Bericht der AZADHO, der
den einfachen Titel trägt “Des espoirs déçus à une vague d’inquiétudes, les occasions manquées”
(Enttäuschte Hoffnungen nach einer Welle der Unruhe, die vertanen Gelegenheiten). Als letzter in
einer langen Liste von Jahresberichten erschienen, konnte dieses
Dokument von 60 Seiten vom Februar 1998 im ganzen nur einen
weiteren Bericht darstellen über
den Zustand der Menschenrechte
in der DRK. Aber die Behörden in
Kinshasa, die durch Täuschungsmanöver die Verbreitung verhindern wollen, haben seitdem ein
Nachschlagewerk für die Verteidiger der Menschenrechte daraus
gemacht. Empört über diese
Form des Anschlags auf die Freiheiten unabhängiger Organisationen, hat Human Rights Watch
Präsident Clinton unter Druck gesetzt, gegen das Regime von Laurent-Désiré Kabila Stellung zu beziehen.
Kongo
Schließlich scheinen selbst den
Autoren des letzten AZADHO-Berichts die Risiken bewußt geworden sein, die die Veröffentlichung
eines solchen Dokuments mit sich
bringen könnte. “Von Menschenrechtsverletzungen zu sprechen
in einem Umfeld, in welchem offizielle Debatten geprägt sind von
unzähligen Hinweisen auf die
“Befreiung” könnte als Trotzreaktion angesehen werden,” schreibt
Guillaume NGEFA, der Präsident
der Organisation, in seiner Einführung des Berichts. Die Reaktion der kongolesischen Behörden
- wenn dies die Art ist, Trotz hervorzurufen wie der, den die Organisation zur Verteidigung der
Menschenrechte Trotz ihnen entgegenbringt - enthält unterschwellig ein endgültiges Geständnis der Verwicklung der genannten Behörden bei den
Mißbräuchen, die gegenwärtig in
der Demokratischen Republik
Kongo stattfinden. In der Tat unterstreicht der AZADHO-Bericht:
“Die zivilen ebenso wie die militärischen Behörden waren insofern Mittäter bei den Menschenrechtsverletzungen, da sie in der
Mehrzahl der Fälle auf die eine
oder andere Weise die Verursa-
jean-rené kwaka mbangu
AZADHO trotzt den Behörden in Kinshasa
jean-rené kwaka mbangu
cher dieser Mißbräuche nicht verfolgt haben.” Um seinerseits die
Frage anzusprechen, kümmerte
es Mwnze Kongolo, den Justizminister der DRK, wenig, im nationalen Fernsehen zu erklären:
“Man hat den Ton nicht verschärft” hinsichtlich der Menschenrechte. Dennoch lernen wir
aus den Handlungen der politischen Behörden Kongos.
e.-Mail: [email protected]
http://www.elikya.de
97
DEPORTATION
Abschiebungen ehemaliger Asylbewerber
Stand: 19. März 1998
1987
1988
1989
1990
1991
1992
1993
1994
1995
1996*
1997*
Baden-Württemberg
Bayern
Berlin
Brandenburg
Bremen
Hamburg
Hessen
Mecklenburg-VorpommernNiedersachsen
Nordrhein-Westfalen
Rheinland-Pfalz
Saarland
Sachsen
Sachsen-Anhalt
Schleswig-Holstein
Thüringen
266
170
169
19
619
176
242
467
201
18
70
-
432
252
144
10
536
186
308
605
183
30
107
-
559
404
84
9
491
247
410
711
283
43
86
-
1.445
756
122
36
793
160
506
1.243
511
59
230
-
1.789
1.026
155
15
89
1.025
298
8
735
2.234
525
123
6
199
-
2.557
1.152
223
393
244
1.123
318
95
1.194
1.990
555
113
5
315
302
46
5.586
3.135
1.398
3.167
611
1.957
1.238
1.005
3.888
6.627
2.231
525
178
1.062
969
747
4.674
2.959
1.606
2.987
583
2.199
1.746
1.198
3.215
7.298
1.736
536
2.019
860
773
959
2.169
1.947
809
1.352
310
1.444
1.323
605
2.001
4.851
909
215
2.854
412
491
696
2.081
1.59
1.822 3.112
654
926
1.025 1.025f
223
225
989
848
1.436 1.534
327
453
1.339 1.822
3.250 3.543
785
956
186
202
1.926
758
427
589
351
287
775
714
Zusammen:
2.417
2.793
3.327
5.861
8.232
10.798
36.165
36.183
21.487
16.428
17.745
Quelle: Ländermeldungen
Abschiebungen von Ausländern insgesamt**
Jahr . . . . . . . . . . . . .Anzahl
1990
1991
1992
1993
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.10.850
.13.668
.19.821
.47.070
Jahr . . . . . . . . . . . . .Anzahl
Personen
Personen
Personen
Personen
1994
1995
1996
1997
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.53.043
.36.455
.31.761
.38.205
Personen
Personen
Personen
Personen
Quelle:
Abschiebungen durch den GSD und den mit der grenzpolizeilichen Kontrolle beauftragten Behörden
*bisher von den Bundesländern gemeldete Abschiebungen
von Asylbewerber für 1996 und das lfd. Jahr 1997 gemeldet
(nicht vollständig).
** Daneben werden von einigen Bundesländern Abschiebungen
ohne Beteiligung des BGS vorgenommen.
Diese werden statistisch nicht erfaßt.
98
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
LÄNDERBERICHT
43.000 aufgegriffene Menschen
an den Ostgrenzen Österreichs in
sieben Jahren ... Flüchtlinge, Arbeitsuchende, Verzweifelte. Gejagt wie die Hasen mit Wärmebildkameras, Bodensensoren und
Nachtsichtgeräten, neuerdings
auch vom Hubschrauber aus. Die
Kehrseite der EU-Integration
heißt Ausgrenzung, Demütigung.
Das Stichwort dazu: “Schengen”.
Im Schengener Vertrag aus dem
Jahre 1985 wurden die Grenzen
der Europäischen Union für Menschen dichtgemacht, damit innerhalb EU-Europas freier Reiseverkehr stattfinden kann. Die Opfer
dieser Politik sind hilfesuchende
Menschen aus Osteuropa, Asien
und Afrika. Ob politisch verfolgt,
religiös unter Druck oder wirtschaftlich am Ende, die Biographie des einzelnen Grenzgängers
spielt keine Rolle mehr. In Österreich sind RumänInnen, RussInnen, KurdInnen oder SriLankesInnen nicht erwünscht. Anläßlich
des definitiven Beitritts des Landes zum Schengener Vertrag
erörtern die Autoren das volle
Ausmaß des Rassismus, das hinter der täglich stattfindenden
Menschenverachtung an der
Außengrenze der Europäischen
Union steckt.
Österreichs Exekutivbeamte, seit
einem Jahr speziell geschulte
Menschenjäger, sind nun Teil des
umfassenden Überwachungssystems. Die Maßnahmen zur
Bekämpfung der sogenannten
“illegalen Einwanderung” erweisen sich als äußerst kostspielig
und für Flüchtlinge im Extremfall
tödlich. An den EU-Außengrenzen sind in den vergangenen Jahren 800 Menschen ums Leben
gekommen, entweder in der
Oder ertrunken, in LKWs erfroren
oder erstickt, oder sie haben sich
aus Angst vor der Auslieferung
umgebracht.
Durch die Kriminalisierung der
Hilfesuchenden entsteht ein weites Geschäftsfeld für Visa- und
Paßfälscher, Transportunternehmen und korrupte Beamte, das in
den Sicherheitsberichten als eine
der “gewinnträchtigsten Formen
organisierter Kriminalität” beschrieben wird. “Menschenjagd”
dokumentiert diese im Kern rassistische Politik, ihre Auswirkungen
auf die Militarisierung der Gesellschaft im inneren und die Brutalisierung nach außen. Dabei werden in einzelnen Kapiteln die “Jäger”, die “Helfer”, die “Flucht”,
das “Schubgefängnis” sowie der
gesellschaftliche Nährboden behandelt, auf dem das Phänomen
Abschottung basiert. Vorangestellt sind dem Band eine kurze
Geschichte des Schengener Abkommens, eine Auseinandersetzung mit den historischen Wurzeln des West-Ost-Gegensatzes in
Europa sowie die aktuellen gesetzlichen Grundlagen der Menschenjagd.
Die HerausgeberInnen:
neues Buch:
MENSCHENJAGD
Schengenland in Österreich
Anny Knapp/ Herbert Langthaler (Hg.)*
Anny Knapp und Herbert Langthaler sind langjährige Mitarbeiter
des Vereins” Asylkoordination”,
der seit der Wende die Opfer des
neuen Vorhanges an der Ostgrenze Westeuropas betreut.
Anny Knapp studierte Geschichte
und Germanistik in Wien.
Herbert Langthaler ist Journalist
und Ethnologe.
Beide publizieren regelmäßig in
der Zeitschrift “asylkoordination
aktuell”.
* (Presseinformation des Verlags)
ISBN 3-85371-133-2, 208 Seiten
99
LÄNDERBERICHT
Unanständige Behandlung
von Asylsuchenden
Über das Flughafenverfahren,
das konsultative Modell,
die Abschiebehaft
und das „Pflasterstein-Verfahren
in den Niederlanden
Henri Kho
(Der Artikel ist erstmals erschienen in dem Magazin der niederländischen Organisation „prime“.
Die englische Fassung, die uns
vom Autor zur Verfügung gestellt
wurde, wurde von Gudrun Mane
übersetzt.)
Nach Verlautbarungen der Regierung ist die niederländische Asylpolitik human. Aber immer häufiger schießt die selbe Regierung
Löcher in ihre eigene nicht völlig
wahre Darstellung.
Wenn der Immigration and Naturalization Service (IND)1 im Aufnahmezentrum (AC) auf dem
Schiphol-Flughafen zu der Ansicht gelangt - in einem 24-stündigen Verfahren - , daß der Antrag eines Asylsuchenden offensichtlich unbegründet ist, wird eine negative Entscheidung ausgegeben mit einer sogenannten 18b Verfügung. In der Mehrzahl der
Fälle folgt eine Inhaftierung im
Grenzgefängnis. Es gibt nur eine
Möglichkeit der Anfechtung; ein
endgültiges Verfahren vor einem
Richter. Aber sehr oft wird der
Asylsuchende bereits vor dieser
richterlichen Anhörung abgeschoben.
Wer sind diese Asylsuchenden?
Ist es möglich, sie nach 24 Stunden auszuweisen? Sind sie gebrandmarkt? Werden sie von der
Inanspruchnahme ihrer Grundrechte abgehalten?
Eine Analyse individueller Fälle
kann nicht zu einer klaren Beurteilung führen, denn es mag
deutlich sein, daß ein kolumbani100
scher asylsuchender Drogendealer
ein „unerwünschtes Element“
sein würde, ein verfolgter irakischer Flüchtling sollte hingegen
vollen Schutz genießen.
Aber was soll man über einen
Asylsuchenden denken, der eine
mit Sicherheit unwahre Geschichte erzählt, aber alle physischen
Merkmale lange andauernder Folter trägt? Und was soll man von
einer Flüchtlingsfrau denken, die
nicht bereit ist zu sprechen und
ihre Reise nach Kanada fortsetzen
will, um dort Asyl zu beantragen?
Eil-Verfahren
Diese Asylsuchenden sind angewiesen auf die Angemessenheit
des durchgeführten Eil-Verfahrens. Wenn erst einmal eine negative Entscheidung mit gerichtlicher Verfügung ergangen ist,
sind die Möglichkeiten sehr beschränkt. Was die Rechtssicherheit angeht, sind alle Sicherheitsnetze in den ACs erreichbar;
Rechtsanwälte, Rechtsberatung
und das Vluchtelingen Werk2.
Die Freiwilligen im Vluchtelingen
Werk haben die Möglichkeit, den
Asylsuchenden innerhalb von 15
Minuten (!) über das bevorstehende Verfahren zu informieren.
Es gibt drei Rechtsanwälte für alle (!) Asylsuchenden, die an dem
Tag das AC passieren. Die Rechtsanwälte können einer Person eine
einstündige Vorbereitung auf die
Hauptanhörung bieten. Aber eine
unabhängige Beobachtung dieser
Anhörungen findet nur in 20 Prozent der Fälle statt. In Bezug auf
diese Beobachtung ist der Asylsuchende angewiesen (in der besten Tradition der Armen-Hilfe
des neunzehnten Jahrhunderts)
auf die Freiwilligen vom Vluchtelingen Werk.
Die Pläne des Frühlings-Memorandums der Regierung, das 24Stunden-Verfahren auf 48 Stunden auszudehnen, würde nicht
die unsichere Situation eines müden, mißtrauischen und häufig
verwirrten Flüchtlings beenden.
Und wenn ein Asylgesuch erst
einmal als „wahrscheinlich erfolglos“ eingestuft ist, muß man seine ganze Lebensgeschichte einem nicht (!) speziell ausgebildeten Beamten des IND offenlegen.
Für die anderen Flüchtlingen „mit
Aussicht auf Erfolg“, gibt es
Rechtsschutz, Tage zum Ausruhen und eine Unterbringung in
einem Schutzzentrum (OC), bevor die Hauptanhörung stattfindet. Insbesondere für die erste
Gruppe, die sofort von Abschiebung bedroht ist (und denen
möglicherweise höchste Gefahr
droht), ist das 24-Stunden-Verfahren viel zu kurz, um gewissenhaft zu sein.
Mißbrauch
In diesem Zusammenhang wird
häufig die Diskussion um den
Mißbrauch des Asylrechts aufgebracht. Eigens die jungen westafrikanischen Frauen, die sich
darauf berufen, aus einem
Kriegsgebiet zu kommen, und
tatsächlich (häufig) zum Zweck
der Prostitution in Europa sind.
Die Frage ist: Kann dieser speziellen Gruppe Mißbrauch des Asylverfahrens vorgeworfen werden?
Meistens sind sie sehr jung, häufig Minderjährige, ihre Familien
sind im Heimatland in der einen
oder anderen Weise im Würgegriff. Und die Frauen werden mit
falschen Geschichten nach Europa gelockt. Von Mißbrauch kann
eher im Zusammenhang mit den
kriminellen Organisationen gesprochen werden, die diese Sklaverei organisieren und davon
profitieren. Bemerkenswert ist,
daß die niederländische Regierung keine aktive Untersuchungspolitik bezüglich dieser Probleme
betreibt und daß dies scheinbar
auch nicht als wichtig angesehen
wird. In der Diskussion um Asyl
und Mißbrauch auf diese Gruppe
zu verweisen, ist daher fast schäbig.
Abschiebungen
ohne gerichtliche Verfügung
Sofortige Abschiebungen finden
nach einer negativen Entscheidung des Justizministeriums
statt. Zur Rechtfertigung dieser
Abschiebungen beruft es sich auf
den Vertrag von Chicago. In diesem Fall wird ein Luftfahrt-Abkommen für einen anderen
Zweck benutzt. Aber es gibt noch
andere Fälle, in denen zurückgeschoben wird, da die Betroffenen
aus einem sicheren Herkunftsstaat kommen (Nicht zu verwechseln mit den per Gesetz (!) für si-
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
LÄNDERBERICHT
cher erklärten Drittländern). Hier
vergleicht der Staat individuelle
Fälle mit den allgemeinen Informationen des Auswärtigen Amtes und entscheidet immer in Bevorzugung der Letzteren. Beide
Methoden sind zweifelhaft.
Es erscheint im Zusammenhang
mit Art. 13 des - auch von der
niederländischen Regierung unterzeichneten - Abkommens über
bürgerliche und politische Rechte
eine klare Verletzung von Menschenrechten.
Die im Einwanderungsgesetz erwähnte 18-b Verfügung (Inhaftierung) gibt den Betroffenen
nicht das Recht, in den Niederlanden auf das Ergebnis der Klage zu warten. Die aufschiebende
Wirkung muß gesondert beantragt werden. Die Anwälte können dies (pro forma) innerhalb
der 24 Stunden tun. Aber sobald
der Antrag als „wahrscheinlich
erfolglos“ eingestuft ist, wird der
Antrag schnell - manchmal (!) in
Absprache mit dem Asylsuchenden - zurückgezogen.
Das konsultative Modell
Hier sehen wir ein weiteres Phänomen. Aufgrund eines Gewirrs
von Abkommen zwischen dem
Ministerium, den betroffenen
Dienststellen, Anwälten, der
Rechtsberatung und dem Vluchtelingen Werk und durch das
„Wir sind hier humaner“-Gefühl,
ist der Asylsuchende fast unsichtbar konfrontiert mit einem System, in dem alle miteinander
verbunden sind. Die Unabhängigkeit von einigen Organisationen
in diesem System ist überhaupt
nicht sicher.
Die Rechtsanwälte haben das
Recht eine sogenannte „schwerwiegenden Empfehlung“ abzugeben und sind in einer Weise befugt, dem Offiziellen des Justizministeriums beizusitzen, der
über das Asylgesuch entscheiden
wird. Die Ratschläge werden aber
systematisch ignoriert. Das Prinzip dieses Arbeitsabkommens
zwischen dem IND und den
Rechtsanwälten, einem wichtigen
Element des konsultativen Modells, ist kontrovers.
Inhaftierung
Nach der Inhaftierung im Grenzgefängis - manchmal mit zwei
Gefangenen in einer Zelle (!) sitzt
das Stigma fest. Offensichtlich
gibt es nur Kriminelle im Gefängnis. Wenn ein Flüchtling erst einmal hinter Gittern sitzt, sind die
Chancen für eine Revision der negativen Asyl-Entscheidung stark
eingeschränkt. Der kurze Zeitraum zwischen dem ersten Tag
im Gefängnis und der Anhörung
vor dem Gericht ist nicht
annähern ausreichend, um neue
Beweise zu beschaffen oder Bestätigung für das bereits Gesagte
zu finden. Und wenn der Asylsuchende kein Geld hat, ist es sogar unmöglich, zu telefonieren
oder einen Brief zu schicken. Ein
Vergleich drängt sich auf zu der
„oubliette“, den Zellen der Vergessenen unter Louis dem 13ten.
Die Niederlande (mit den meisten
Gefängniszellen pro Kopf in Europa) verweisen immer noch auf ihre eigene (!) humane Politik. Die
beigeordneten Rechtsanwälte im
Gefängnis sind zumeist dieselben
Anwälte, die im AC bereits eine
„Beurteilung“ des Falles abgegeben haben in der Handhabung
des Antrags auf aufschiebenden
Wirkung und/ oder der „schwerwiegenden Empfehlung“. Dies
kann für den Flüchtling ein sehr
negativer Faktor sein. In den Gefängnisse gibt es einige Rudimente von unabhängiger Rechtshilfe.
Immerhin wird die Haft selten
per Gerichtsbeschluß aufgehoben. Dies geschieht in Fällen, in
denen der Rechtsanwalt es beantragt (!). Betrug noch vor einigen
Jahren die maximale Zeit, die ein
Asylsuchender (nicht ein Illegaler)
im Grenzgefängnis festgesetzt
werden konnte, einen Monat,
sind nun sechs Monate die maximale Zeit, obwohl auch längere
Haftzeiten vorkommen.
Das Pflasterstein-Verfahren
Während der Zeit, in der ein Asylsuchender inhaftiert ist, ist das
Justizministerium verpflichtet, alles für seine Ausweisung zu tun.
Dieser Pflicht wird nachgekommen, indem der (im endgültigen
Klageverfahren abgelehnte) Asylsuchende bei verschiedenen Botschaften vorgestellt wird, unabhängig von der angegebenen Nationalität, in der Hoffnung, daß
eine dieser Botschaften Reisedokumente ausstellt. Dabei werden
häufig die Grenzen zu Deutschland oder Belgien überquert (bewaffnete Wächter mit gefesselten
Häftlingen). Die Gesetzmäßigkeit
ist recht unklar.
Die Ausstellung von Dokumenten
wird von den Botschaften häufig
verweigert und dem Asylsuchenden wird die Schuld daran gegeben. Wenn es nicht möglich ist,
für den Asylsuchenden Reisedokumente zu bekommen, wird er
auf die Straße gesetzt; das sogenannte Pflasterstein-Verfahren,
mit einer schriftlichen Notiz in
der Hand, daß er die Niederlande
innerhalb 24 Stunden verlassen
soll. Da der Asylsuchende überhaupt kein Geld bekommt, um
dies zu bewerkstelligen, wird er
binnen 25 Stunden zum Illegalen. (Dann besteht die Möglichkeit, ihn erneut zu inhaftieren,
diesmal jedoch als Illegalen.) Es
gibt Fälle, in denen Personen tagelang in der Nähe des Gefängnistores herumgeirrt sind. Inzwischen werden sie von Gefängniswärtern in einem Mini-Bus zur
nächsten U-Bahn-Station gebracht - fünfzehn Minuten Fußmarsch vom Grenzgefängis entfernt - und dort freigelassen.
Asylsuchende sind nicht vor willkürlichen Ausweisungen nach
den ersten 24 Stunden geschützt. Es gibt zwar einen minimalen legalen Schutz, aber die
kurze Zeitspanne und die Sorgfalt
stehen zueinander in Konflikt. Die
Einstufung als „wahrscheinlich
erfolglos“ beeinflußt die „schwerwiegende Empfehlung“ und den
Antrag auf Wiederherstellung der
aufschiebenden Wirkung. Die
Haftzeiten sind länger und die
Stigmatisierung spielt eine zunehmende Rolle.
Daß der Staat sich um die
Schwächsten kümmert, ist das
absolut notwendige Minimum,
um Anständigkeit zu gewährleisten. Bei diesem Thema müssen
wir eine extrem unanständige Behandlung feststellen.
1) Der „Einwanderungs- und Einbürgerungs- Dienst“
ist in den Niederlanden die zuständige Stelle für Asylentscheidungen. Er gehört zum Justizministerium.
2) Das Vluchtelingen Werk ist in die größte unabhängige Organistation zur Beratung und Unterstützung von
Flüchtlingen in den Niederlanden. Es erhält finanzielle
Unterstützung vom Justizministerium und ist mit Büros
in vielen Aufnahmezentren und auch am Flughafen und
im Grenzgefängnis vertreten.
101
DOKUMENTATION
Europäische Beobachtungsstelle
für Rassismus und Ausländerfeindlichkeit
siehe Aufruf von Gudrun Mane
Das Zentrum wurde im Juni
1997 geschaffen, Kraft des
Ratsverordnung (EC) No
1035/97. Zur Zeit hat die Beobachtungsstelle noch keinen endgültigen Amtssitz in Wien.
Ziel
Versorgung der Europäischen
Union und Ihrer Mitgliedsstaaten mit objektiven, zuverlässigen und vergleichbaren Daten
auf europäischer Ebene.
keit, Objektivität und Zuverlässigkeit der Daten
Veröffentlichung eines jährlichen Berichtes über die Situation bezüglich Rassismus und
Ausländerfeindlichkeit in der
Gemeinschaft
Einrichtung und Koordination
von Raxen (European Racism
and Xhenophobia Information
Network).
Erleichterung und Unterstützung der Organisation von regelmäßigen Diskussionen und
Treffen am Runden Tisch
Inhalte
Untersuchung des Ausmaßes
und der Entwicklung der Phänomene, Analyse der Ursachen,
Folgen und Auswirkungen, und
Untersuchung guter Praxen im
Umgang mit ihnen.
Sammeln, Speichern und Analysieren von Informationen und
Daten
Aufbau einer Kooperation zwischen den Informationsübermittlern, Entwicklung einer Politik der abgestimmten Nutzung
ihrer Datenbanken, Verbreitung
dieser Informationen (gegebenenfalls auf Ersuchen des Europäischen Parlamentes, der
Kommission oder des Rates)
Durchführung wissenschaftlicher Untersuchungen und Gutachten, Vorbereitungs- und
Durchführbarkeitsstudien (gegebenenfalls auf Ersuchen der Europäischen Gemeinschaft, der
Kommission oder des Rates).
Dabei vermeidet sie Doppelarbeit und garantiert die best
mögliche Nutzung von Ressourcen, unter Berücksichtigung der
bereits durch die Institutionen
der Europäischen Gemeinschaft
durchgeführten Aktivitäten und
die anderer Körperschaften und
kompetenter internationaler Organisationen.
Einrichtung eines der Öffentlichkeit zugänglichen Dokumentationsfonds
Formulierung von Schlußfolgerungen und Gutachten
Entwicklung von Methoden zur
Verbesserung der Vergleichbar102
Zusammenarbeit mit nationalen
und internationalen Organisationen
Das Zentrum soll eine Rechtspersönlichkeit sein. Es soll mit
Organisationen in den Mitgliedsstatten oder internationalen, Regierungs- und Nicht-Regierungs-Organisationen zusammenarbeiten, die für die
Phänomene des Rassismus und
der Ausländerfeindlichkeit zuständig sind.
Das Zentrum soll seine Aktivitäten mit denen des Europäischen
Rats koordinieren. Hierzu ist ein
Abkommen in Arbeit, das vom
Rat der EG (art.228 des Vertrags) im Auftrag des Zentrums
vollendet werden soll, zum
Zweck der Etablierung einer engen Zusammenarbeit.
trums.
das jährliche Arbeitsprogramm
des Zentrums nach Maßgabe
des Haushalts und der verfügbaren Mittel festlegen
den jährlichen Bericht des Zentrums annehmen
den Direktor des Zentrums ernennen
den Entwurf des Haushaltsplans
verabschieden und den endgültigen Jahreshaushaltsplan festlegen
die Abrechnungen genehmigen
und den Direktot entlasten.
Jedes Mitglied (oder in seiner
Abwesenheit sein Stellvertreter)
soll eine Stimme haben. Entscheidungen sollen mit einer
Zwei-Drittel- Mehrheit der abgegebenen Stimmen getroffen
werden. Der Verwaltungsrat soll
seine Geschäftsordnung festlegen. Er soll sich treffen, wenn
er vom Vorsitzenden einberufen
wird, - mindestens zweimal im
Jahr.
Auf ihrem ersten Treffen diskutierten die Mitglieder des Verwaltungsrats:
die Wahl des Vorsitzenden und
Vize-Vorsitzenden des Verwaltungsrats und des Exekutivausschusses
das Jahres-Programm der Aktivitäten für 1998
den Haushaltsplan für 1998
und den Entwurf des Haushaltsplans für 1999
das Verfahren der Auswahl und
Ernennung des Direktors des
Zentrums
Joseph VOYAME
und der Vertreterin der Kommission: Mrs. Odile QUINTIN
Der Direktor
soll der gesetzliche Vertreter der
Beobachtungsstelle sein. Er oder
sie soll durch den Verwaltungsrat auf Vorschlag der Kommission für einen Zeitraum von vier
Jahren (verlängerbar) ernannt
werden. Er/ Sie soll an den Sitzungen des Verwaltungsrates
und des Exekutivausschusse teilnehmen. Er/ Sie soll verantwortlich sein für:
1. die Wahrnehmung der Aufgaben
des Zentrums
2. die Erstellung und Durchführung des Jahresarbeitsprogramms des Zentrums
3. die Erstellung des Jahresberichtes, Schlußfolgerungen und
Stellungsnahmen
4. die Personalangelegenheiten
und die alltägliche Verwaltung
Das Ernennungsverfahren für
den Direktor/ die Direktorin ist
bereits angelaufen. Der Aufruf
zur Bewerbung wurde in der offiziellen Zeitschrift der Europäischen Gemeinschaftnveröffentlicht und eine kurze Anzeige in
einigen nationalen Zeitungen
veröffentlicht. Das ganze Verfahren sollte in ein paar Wochen abgeschlossen sein (möglicherweise Ende Mai)
Der Exekutivausschuß
Der Verwaltungsrat
ist zusammengesetzt aus Personen mit angemessenen Erfahrungen im Bereich der Menschenrechte und der Analyse
von rassistischen, ausländerfeindlichen und antisemitischen
Phänomenen.
Jedes Mitglied soll einen auf
derselben Basis benannten Stellvertreter haben. Die Amtszeit
soll drei Jahre betragen (einmal
verlängerbar).
Der Verwaltungsrat soll die notwendigen Entscheidungen treffen für die Tätigkeit des Zen-
soll die Arbeit des Zentrums
kontrollieren, die Ausarbeitung
und Durchführung der Programme überwachen und Tagungen des Verwaltungsrates
mit Unterstützung des Direktors
des Zentrums vorbereiten.
Er soll sich zusammensetzen
aus:
- dem Vorsitzenden: Mr. Jean
KAHN
- dem Vize-Vorsitzenden: Mr.
Robert PURKISS
- einem vom Verwaltungsrat gewählten Mitglied: Prof. Anton
PELINKA
- einer Person, die vom Europäischen Rat benannt wird: Prof.
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
DOKUMENTATION
Ausländer- und Asylrecht;
Gesetz zur Änderung ausländer- und
asylverfahrensrechtlicher Vorschriften
vom 29.10.1997 (BGBI. S. 2584)
Nds. Innenministerium vom 16.2.98
Zur Anwendung der am
01.11.1997 in Kraft getretenen
gesetzlichen Neuregelungen
gebe ich folgende Hinweise:
Zu § 17 Abs. 2 AusIG
Der Familiennachzug kann zur
Vermeidung besonderer Härten
auch dann zugelassen werden,
wenn der sich bereits in
Deutschland rechtmäßig oder
geduldet aufhaltende „nachziehende“ Familienangehörige
den Lebensunterhalt sichert.
Gleichermaßen kann der Lebensunterhalt durch einen gesetzlich zum Unterhalt verpflichteten Verwandten erbracht werden, wenn diese Unterhaltsverpflichtung im Bundesgebiet
durchsetzbar ist. Dazu kann eine Verpflichtungserklärung
nach § 84 AusIG als Absicherung eingefordert werden.
Eine besondere Härte liegt u.a.
vor, wenn der hier lebende
Ausländer wegen Erkrankung,
Schwangerschaft oder Betreuung von Kleinkindern nicht in
der Lage ist, den Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit zu sichern.
Zu § 19 Abs. 1 AusIG
Ausländischen Ehegatten ist
nach Scheitern ihrer Ehe ein eigenständiges Aufenthaltsrecht
zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte ohne Mindestbestandszeit der ehelichen
Lebensgemeinschaft zu gewähren. Die Legaldefinition in
Abs. 1 Satz 2 macht deutlich,
daß die Rückkehr in das Herkunftsland wegen der Auflösung der Ehe unzumutbar sein
muß. Im Vermittlungsausschuß
bestand bei den Beratungen
über dieses Gesetzesvorhaben
Einvernehmen, daß der außergewöhnlichen Härte besondere
Umstände im In- und Ausland
zugrunde liegen können. Danach können insbesondere Fälle der außergewöhnlichen Härte gegeben sein
wenn der nachgezogene Ehegatte wegen physischer oder
psychischer Mißhandlung
durch den anderen Ehegatten
die eheliche Lebensgemeinschaft aufgehoben hat (z.B.
wegen Körperverletzungen,
strafbarer Handlungen gegen
die sexuelle Selbstbestimmung
oder die persönliche Freiheit,
Zwangsprostitution, Zwangsabtreibung),
wenn der Ehegatte sein eheliches Kind sexuell mißbraucht
oder mißhandelt hat und bei
Verpflichtung des nachgezogenen Ehegatten zur Rückkehr
das Kindeswohl gefährdet wäre,
wenn die Betreuung eines behinderten Kindes, das auf Beibehaltung des spezifischen sozialen Umfeldes existentiell angewiesen ist, ansonsten nicht
sichergestellt werden kann,
wenn davon auszugehen ist,
daß dem nachgezogenen Ehegatten im Heimatland jeglicher
Kontakt zu einem eigenen Kind
willkürlich und zwangsweise
auf Dauer untersagt wird und
das Kindeswohl gefährdet wäre
oder
wenn eine Schwangerschaft
besteht und davon auszugehen
ist, daß im Ausland eine
Zwangsabtreibung droht.
Die Aufzählung ist naturgemäß
nicht abschließend, so daß
auch ähnlich gelagerte Situationen mit vergleichbarem Gewicht als außergewöhnliche
Härte angesehen werden können. Dabei sind gewachsene
Bindungen und eine besondere
Eingliederung in das soziale
und wirtschaftliche Leben der
Bundesrepublik Deutschland
ebenso zu berücksichtigen, wie
erhebliche Nachteile im Ausland aufgrund der Auflösung
der ehelichen Lebensgemeinschaft. Nachteile können z.B.
daraus erwachsen, daß in fremden Rechts- und Kulturkreisen
die Eheauflösung im wesentlichen den Ehemännern vorbehalten und eine geschiedene
Frau schwerwiegenden gesellschaftlichen Diskriminierungen
ausgesetzt ist. Dagegen sind
allgemeine Härten, die jede
Verpflichtung zur Ausreise mit
sich bringt, nicht zu berücksichtigen.
Nach der gesetzlichen Regelung besteht die Möglichkeit,
trotz Vorliegens einer außergewöhnlichen Härte zur Vermeidung von Mißbrauch die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zu versagen. Allein der
Bezug von Sozialhilfe kann jedoch nicht zum Ausschluß von
der Verlängerung führen, da in
diesen Fällen Gründe bestehen,
die eine außergewöhnliche
Härte darstellen. Es müssen somit konkrete Anhaltspunkte
vorliegen, die eine Mißbrauchssituation begründen, um überhaupt von der Ermessensregelung Gebrauch machen zu können. Liegen diese Gründe vor,
muß im Rahmen der Ermessensausübung eine Abwägung
der Gesamtumstände des Einzelfalles erfolgen. Die Versagung kommt danach in Betracht, wenn der Ehegatte sich
nicht ernsthaft auf Arbeitsuche
begibt, auf eine Arbeitsvermittlung nicht reagiert oder zumutbare Arbeit abgelehnt hat. Die
Frage der Zumutbarkeit bei der
Betreuung und Erziehung von
Kindern bestimmt sich insoweit
nach den sozialhilferechtlichen
Vorschriften.
Zu § 23 AusIG
Die Änderung zieht die notwendigen Konsequenzen aus
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der Ausgestaltung des
Rechts des nicht-sorgeberechtigten Elternteils unter Berücksichtigung des Schutzes des
Art. 6 des Grundgesetzes. Der
nicht-sorgeberechtigte Elternteil
kann eine Aufenthaltserlaubnis
erhalten, wenn er das Kind in
häuslicher Gemeinschaft mit
versorgt. Bei der Ermessensausübung ist auch maßgebend,
ob das deutsche Kind in seiner
Entwicklung auf den ausländischen Elternteil angewiesen ist
(z. B. Vorlage einer Stellungnahme des Jugendamtes),
der nicht-sorgeberechtigte Elternteil seit der Geburt des Kindes seinen Unterhaltsverpflichtungen regelmäßig nachgekommen ist oder
das Kindeswohl einen auf Dauer angelegten Aufenthalt des
nicht-sorgeberechtigten Elternteils im Bundesgebiet erfordert.
Zu § 26 AusIG
Diese Änderung soll auch den
Ausländern den Weg in die unbefristete Aufenthaltserlaubnis
eröffnen, die die gesetzlichen
Voraussetzungen bislang nicht
erfüllen konnten. Ein Abweichen von dem Nachweis ausreichender Sprachkenntnisse und
der eigenständigen Sicherung
des Lebensunterhalts ist gerechtfertigt, wenn Krankheit
103
DOKUMENTATION
oder Behinderung des Ausländers es ihm unmöglich machten, diese lntegrationsschritte
selbständig zu erbringen.
Zu § 27 AusIG
Jüngere Ausländer, die sich um
einen Schul oder Ausbildungsabschluß bemühen und deshalb die erforderlichen Beiträge
zur Rentenversicherung bzw.
einer vergleichbaren privaten
Versicherung nicht erbringen
konnten, haben einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung, wenn sie
die übrigen Tatbestandsmerkmale erfüllen.
Zu § 35 AusIG
Auf die Frist von 8 Jahren werden Zeiten einer Duldung
gemäß § 55 Abs. 2 angerechnet. Grundlage der Duldung
muß jedoch § 53 Abs. 1, 2, 4
oder 6 oder eine Abschiebungsstoppregelung gemäß §
54 AusIG sein. Die Zeiten der
Duldung können längstens für
einen Zeitraum angerechnet
werden, der der Dauer der Aufenthaltsbefugnis entspricht.
Zeiten angeordneter Abschiebungsstopps vor dem
01.01.1991 bleiben unberücksichtigt.
Zur Vereinfachung der Anrechnung von Zeiten angeordneter
Abschiebungsstopps für kurdische Volkszugehörige verweise
ich auf die Anlage zu diesem
Erlaß.
Im Zusammenhang mit der Anrechnung von Zeiten der Aufenthaltsbefugnis bei der Erteilung von unbefristeten Aufenthaltserlaubnissen wird auf folgendes aufmerksam gemacht:
Ehegatten von Ausländern, die
nach § 35 Abs. 1 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhalten haben, wird die Dauer
des Besitzes einer Aufenthaltsbefugnis auf die nach § 24 erforderliche Dauer des Besitzes
einer Aufenthaltserlaubnis angerechnet (§ 35 Abs. 2).
Für ausländische Ehegatten von
104
deutschen oder anderen Ausländern, die eine unbefristete
Aufenthaltserlaubnis oder eine
Aufenthaltsberechtigung auf
anderer Rechtsgrundlage erhalten haben, ist eine Anrechnung
dieser Vorzeiten nach dem
Wortlaut des Ausländergesetzes nicht vorgesehen. Die Anrechnung der Zeiten einer Aufenthaltsbefugnis für die Erteilung von unbefristeten Aufenthaltserlaubnissen stellt somit lediglich eine Verbesserung für
Inhaber von Aufenthaltsbefugnissen dar (§ 35 Abs. 2 Satz 2).
Zu § 44 AusIG
Diese Bestimmung soll dagegen
keine Schlechterstellung von
Aufenthaltserlaubnisinhabern
bewirken, die zuvor eine Aufenthaltsbefugnis hatten. Deshalb ist es sachgerecht, bei der
Erteilung von unbefristeten
Aufenthaltserlaubnissen gemäß
§§ 24 bis 26 die Zeit der Aufenthaltsbefugnis in analoger
Anwendung des Rechtsgedankens des § 35 Abs. 2 anzurechnen, soweit die sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen des §
31 Abs. 1 erfüllt sind. Damit
wird eine Schlechterstellung
durch eine im Anschluß an eine
Aufenthaltsbefugnis befristet
erteilte Aufenthaltserlaubnis
vermieden.
Die Unterhaltsverpflichtung
kann auch durch eine im Zeitpunkt der Ausreise vorhandene
Verpflichtungserklärung nach §
84 AusIG nachgewiesen werden, die zwar einen alle Risiken
abdeckenden Krankenversicherungsschutz, nicht jedoch eine
Pflegeversicherung umfassen
muß. Die Ausländerbehörde
hat im Benehmen mit dem Sozialamt zu prüfen, ob der Ausländer unter Einbeziehung der
in § 44 Abs. 1a Satz 1 Nr.1 genannten Leistungen Sozialhilfe
in Anspruch nehmen muß. Die
von der Ausländerbehörde auszustellende gebührenpflichtige
Bescheinigung kann auch noch
nach der Ausreise ausgestellt
werden.
Zu § 41a AusIG
Die neue Regelung findet entsprechende Anwendung auf
Ehegatten von ausländischen
Rentnerinnen und Rentnern. Zu
den eigenen Rentenansprüchen
gehört auch eine Witwenrente.
Für Bürgerkriegsflüchtlinge aus
Bosnien und Herzegowina
kommt diese Regelung nur
noch dann zur Anwendung,
wenn eine Abschiebung erfolgt. Bei der Erteilung einer
Duldung halte ich die Vorschrift
dagegen nicht für anwendbar,
soweit eine bestehende Duldung gemäß § 55 Abs. 2 i. V.
m. § 54 AusIG verlängert wird.
Die erkennungsdienstliche Behandlung kann auch nicht aufgrund von § 41a AusIG erfolgen, wenn die Erteilung der
Aufenthaltsbefugnis nicht auf §
32 oder § 32a AusIG bzw. die
Erteilung der Duldung nicht auf
§ 54 AusIG beruht. In diesen
Fällen kommt nur eine einzelfallbezogene Identitätsfeststellung nach § 41 AusIG in Betracht.
Begünstigt sind nur diejenigen
ausländischen Rentnerinnen
und Rentner, die sich im Zeitpunkt der Einführung der Regelung und danach im Bundesgebiet aufhalten. Bei Personen,
deren Aufenthaltsgenehmigung
erloschen ist, findet § 16 Abs.
5 Anwendung. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer
unbefristeten Aufenthaltserlaubnis müssen bereits im Zeitpunkt der Ausreise erfüllt gewesen sein.
Zu § 47 AuslG
Die zwingenden Ausweisungstatbestände in Abs. 1 sind bei
Verurteilungen wegen einzelner
und mehrfacher Straftaten auf
einheitlich 3 Jahre herabgesetzt
worden. Einbezogen werden
auch Verurteilungen zu schwerem Landfriedensbruch (§ 125a
StGB) und einfachen Landfriedensbruchs in Zusammenhang
mit verbotenen Versammlungen (§ 125 StGB) und zwar unabhängig vom Strafmaß bzw.
bei Verurteilungen zu mindestens 2 Jahren Jugendstrafe.
Auch die Regelausweisungstat-
bestände sind erweitert worden. So führt - wie bereits bisher der Verstoß gegen das
Betäubungsmittelgesetz - jetzt
auch die Beteiligung als Täter
oder Teilnahme an verbotenen
oder aufgelösten Versammlungen, bei denen Gewalttaten
begangen wurden, regelmäßig
zur Ausweisung, ohne daß es
einer strafrechtlichen Verurteilung bedarf. Es müssen aber
die in Abs. 2 Nr. 3 genannten
Tatbestandsmerkmale nachgewiesen werden, wonach der
betroffene Beteiligter an genau
beschriebenen Gewalttaten
oder Teilnehmer an der gewalttätigen Versammlung war.
Zu §§ 48 und 51 AusIG
Bezüglich der Änderungen der
§§ 48 und 51 über den besonderen Ausweisungs- und Abschiebungsschutz weise ich auf
Art. 33 Abs. 2 der Genfer
Flüchtlingskonvention hin. Danach ist eine Abschiebung nur
zulässig, wenn der Flüchtling
aus schwerwiegenden Gründen
als eine Gefahr für die Sicherheit des Landes anzusehen ist
oder eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Staates bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder wegen eines besonders schweren Vergehens
rechtskräftig verurteilt worden
ist. Von einer Verurteilung zu
einer Freiheitsstrafe von mindestens 3 Jahren ist in dieser Vorschrift - anders als im Ausländergesetz - keine Rede.
Auch muß bedacht werden,
daß die Abschiebung eines Asylberechtigten nur in absoluten
Ausnahmefällen in Betracht
kommt und dabei eine Einzelfallprüfung zu erfolgen hat. Bei
Asylberechtigten ist somit eine
Ausweisung aus generalpräventiven Gründen grundsätzlich
unzulässig. Auch bei den übrigen nach § 48 Abs. 1 geschützten Ausländern ist eine
Ausweisung aus generalpräventiven Gründen regelmäßig unzulässig und kann nur in besonders schwerwiegenden Fällen erfolgen.
Zu § 56 Abs. 6 AusIG
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
DOKUMENTATION
Bei der für die Ankündigung
der Abschiebung von bisher 3
auf jetzt 1 Monat verkürzten
Frist handelt es sich um eine
Mindestfrist. Bei langjährigen
Duldungszeiten kann es deshalb geboten sein, die Abschiebung nach wie vor frühzeitiger
anzukündigen. Auch bei Duldungszeiten von weniger als 1
Jahr sind Abschiebungen weiterhin grundsätzlich rechtzeitig
anzukündigen. Nur in gesondert gelagerten Fällen kann
darauf verzichtet werden.
Zu § 57 Abs. 2 AusIG
Die Frist für die kurzzeitige lnhaftnahme zur Sicherung einer
Abschiebung ist auf 2 Wochen
verlängert worden. Von dieser
Ermessensentscheidung ist in
Niedersachsen nach wie vor
nur in besonders gelagerten
Einzelfällen Gebrauch zu machen.
Zu § 63 Abs. 6 AusIG
Es handelt sich um eine Klarstellung der bestehenden Gesetzeslage im Hinblick auf die
Befugnisse der Polizei. Es bleibt
in Niedersachsen bei der Festlegung, daß Abschiebungshaft
grundsätzlich von den Ausländerbehörden zu beantragen ist.
Zu § 70 Abs. 4 AusIG
Es handelt sich um eine neue
Rechtsgrundlage für Botschaftsvorführungen, so daß
die teilweise umstrittenen landesgesetzlichen Regelungen
nicht mehr herangezogen werden müssen.
Zu § 96 Abs. 4 AusIG
Die Regelung ist klarstellend in
das Gesetz aufgenommen worden im Zusammenhang mit der
Einführung der Aufenthaltsgenehmigungs- und Visumpflicht
für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren aus den ehemaligen Hauptanwerbeländern
durch Streichung des § 2 Abs.
2 DVAusIG.
Zu § 99 Abs. 1 AusiG
Die Regelung betrifft die früheren Vertragsarbeitnehmer der
ehemaligen DDR, denen mit
Beschluß der lnnenministerkonferenz vom 14. Mai 1993 unter
bestimmten Voraussetzungen
ein Bleiberecht eingeräumt
worden ist. Es erfolgt nunmehr
eine volle Anrechnung dieser
Aufenthaltszeiten auf die Anrechnung der Achtjahresfrist,
die zur Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis eingehalten werden muß. Dabei
kommt es auf die Geltungsdauer der erteilten Aufenthaltsbefugnis nicht an.
Zu § 14 AsylVfG
Bisher war ein Ausländer aus
der Abschiebungshaft zu entlassen, wenn er einen Asylerstantrag aus der Haft heraus
stellte. Der neue Abs. 4 regelt
nunmehr, daß bei Ausländern,
die aus der Abschiebungshaft
heraus einen Asylantrag stellen,
die Abschiebungshaft nicht
mehr automatisch endet. Die
Gesetzesänderung verfolgt das
Ziel, gerade bei Straftätern der
mißbräuchlichen Stellung offensichtlich aussichtsloser Asylanträge aus der Sicherungshaft
heraus begegnen zu können,
die allein aus taktischen Gründen in der Absicht gestellt werden, die Abschiebung zu verhindern.
Die Neuregelung bewirkt nicht
die lnhaftnahme von potentiellen Asylsuchenden nach der
Einreise und vor der Asylantragstellung, da eine weitere
lnhaftnahme nur erfolgen
kann, wenn sich der Ausländer
länger als einen Monat ohne
Aufenthaltsgenehmigung im
Bundesgebiet aufgehalten hat.
Die Ausländerbehörde hat
durch entsprechende organisatorische Vorkehrungen auf die
Einhaltung der Frist bzw. Beendigung der Abschiebungshaft
zu achten, insbesondere durch
Nachfragen beim Bundesamt
für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge.
Soweit der Asylantrag bei der
Ausländerbehörde eingereicht
wird, hat die Ausländerbehörde
den Antrag nach § 14 Abs. 2
Satz 2 unverzüglich per Telefax
an das Bundesamt weiterzuleiten. Die Frist berechnet sich insoweit ab Eingang des Telefax
beim Bundesamt. In Zweifelsfällen sind entsprechende Auskünfte beim Bundesamt einzuholen.
wenn dieser Personenkreis
straffällig geworden ist oder
nach wie vor eine Integration
nicht stattgefunden hat, insbesondere der Lebensunterhalt in
vollem Umfang durch Inanspruchnahme von Sozialhilfernitteln bestritten wird.
im Auftrage
Mit der Stellung des Asylantrages ist zugleich die Identität
des Betroffenen durch erkennungsdienstliche Maßnahmen
zu sichern (§ 16 Abs. 1 AsylVfG). Dies gilt auch für die von
der Neuregelung betroffenen
Ausländer, die aus der Abschiebungshaft heraus einen Asylerstantrag stellen. Um eine möglichst lückenlose ldentitätssicherung auch dieses Personenkreises sicherzustellen, wird die
Ausländerbehörde aufgrund
der ihr obliegenden (parallelen)
Zuständigkeit gebeten, dafür
Sorge zu tragen, daß die betroffenen Personen auch
tatsächlich erkennungsdienstlich behandelt werden. Im Einzelfall hat die Ausländerbehörde sich mit der jeweils zuständigen Außenstelle des Bundesamtes bzw. der örtlichen Polizeidienststelle Verbindung zu
setzen, um sich zu vergewissern, daß die erkennungsdienstliche Behandlung erfolgt
ist bzw. darauf hinzuwirken,
daß die Sicherung der Identität
unverzüglich nachgeholt wird.
Middelbeck
Dem Ausländer ist nach der
Asylantragstellung aus der Haft
heraus unverzüglich Gelegenheit zu geben, mit einem
Rechtsbeistand seiner Wahl
Verbindung aufzunehmen, es
sei denn, er hat sich selbst bereits vorher anwaltlichen Beistands versichert.
Zu § 2b
Kontingentflüchtlingsgesetz
Der Status nach dem Kontingentflüchtlingsgesetz kann künftig widerrufen werden. Dies
könnte in Niedersachsen insbesondere bei den seinerzeit nach
dem Kontingentflüchtlingsgesetz aufgenommenen albanischen Botschaftsflüchtlingen
zur Anwendung kommen,
105
DOKUMENTATION
Abschiebestoppregelungen
für Kurden aus der Türkei
gemäß § 54 des Ausländergesetzes
(ausgenommen Straftäter - §§ 46, 47 AusLG)
Erlaß MI vom
Zeit
Regelung
Anlaß / Begründung
FS-Erl. Vom 05.02.1991 56.3112230/1-1 (§ 54)
05.02.1991 bis 04.08.91
Abschiebungsstopp gemäß §
54 AuslG für türkische Staatsangehörige deren gewöhnlicher
Aufenthalt in der Türkei östlich
der Linie Adana - Samaun war
Golfkrieg
17.06.1991 56.31-12230/1-1
(§ 32)
bis 30.09.91
Aussetzung der Abschiebung
IMK-Beschluß vom 03.05.91
FS-Erl. Vom 03.04.1992 56.3112230/1-1 (§ 54 - Kurden)
03.04.1992 bis 02.10.1992
Abschiebungsstopp aus humanitären Gründen gemäß § 54
Satz 1 AuslG
Auseinandersetzungen in der
Türkei zwischen der türkischen
Armee und der PKK aus Anlaß
von Feiern im Zusammenhang
mit dem kurdischen Neujahrsfest 1992 (Newroz-Fest)
Ende des Abschiebungsstopp
mit Ablauf des 02.10.92; Hineiß auf besondere Notwendigkeit der Prüfung von Abschiebungshindernissen
Zeitablauf des 6-monatigen
Abschiebungsstopps
29.09.1992 - 56.31
FS-Erl. 02.11.1992- 56.3112230/1-1 (§ 54 - Kurden)
bis auf weiteres (27.07.93)
Vorabregelung und späterer
Abschiebungsstopp gemäß §
54 Satz 1 AuslG zur Wahrung
politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland
Einstimmig gefaßte Resolution
des Bundestags mit Empfehlung an BMI,das Einvernehmen
für einen V gemäß § 54 Satz 2
AuslG zu erklären
FS-Erl. 27.07.1993- 56.3112230/1-1 (§ 54 - Kurden)
sofort
Ende des Abschiebungsstopp;
Hinweis auf Prüfung individueller Abschiebungshindernisse
(soweit dafür nicht das Bundsamt zuständig ist)
Endgültige Verweigerung des
beantragten Einvernehmens
durch BMI
FS-Erl. 20.05.1994-56.3112230/1-1 § 54)1-3
20.05.1994 bis 19.11.1994
Abschiebungsstopp für Kurden
aus den Notstandsprovinzen
Fluchtbewegung in den Irak
aus den Notstandsgebieten
18.01.1995,
21.02.1995,
28.03.1995,
27.04.1995
-45.31-12230/1-1 (§54)1-3
13.12.1994 bis 12.06.1995
Aussetzung der Abschiebung in
Übereinstimmung mit dem BMI
Verurteilung kurdischer Parlamentarier und Verhandlungen
mit der Türkei im Rahmen der
Zollunion
106
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
RECHTSPRECHUNG
Abschiebestoppregelungen
für Kurden aus dem Irak
Mit Femschreiberlaß des Niedersächsischen lnnenministeriums
vom 05.2.1991-56.31-12230/1-1
(§ 54), wurde wegen des Golfkrieges erstmals die Aussetzung
der Abschie-bung für irakische
Staatsangehörige in den Irak
gemäß § 54 S.2 AuslG an-geordnet. Die-ser Abschiebungsstopp
wurde regelmäßig zuletzt bis
zum 31.12.1997 im Einvernehmen mit dem Bundesministerium
des Innern verlängert.
In Niedersachsen hingegen wurde mit RdErlaß vom 13.12.1993 -
VG Braunschweig:
Verfolgung von PKK-Unterstützer
ist „Terrorismusbekämpfung“;
Foltervorwurf „unglaubhaft“
Die 5. Kammer des VG Braunschweig hat am 16. Juni 1997
ohne mündliche Verhandlung
durch den Richter am VG von
Krosigk als Einzelrichter entschieden, daß ein nachgewiesenermaßen mehrfach inhaftierter und
der Unterstützung der PKK bezichtigter Kurde in der Bundesrepublik kein Asyl beanspruchen
darf. Wir zitieren aus der Urteilsbegründung:
„... Allerdings ist dem Kläger abzunehmen, daß er am 31.12.93
festgenommen worden ist und
dann in der Folgezeit in Karakocan, Elazig, Erzurum und Erzincan sich im Gefängnis bzw. auf
der Militärwache aufgehalten
hat. Das Gericht folgt insoweit
der eingeholten Auskunft des
Auswärtigen Amtes vom 9.2.97
..., wonach die vorgelegte Unterlage des Klägers ... für echt gehalten werden. Dies hat auch der
vom Kläger benannte Zeuge ...
hinsichtlich des Aufenthaltes des
Klägers im Gefängnis in Erzurum
bestätigt. Kein Zweifel hatte das
Gericht auch bezüglich der Angaben des Klägers, daß er wegen
des Verdachtes der Unterstüt-
56.31-12231/ 3-4 (Übersendung
des Lageberichts für den Irak)
festgestellt, daß es einer weiteren
An-ord-nung eines Abschiebungsstopps nicht bedarf, da Abschiebungen in den Irak tatsächlich nicht möglich sind. Einige
Bundesländer haben daraufhin
die Aussetzung der Abschiebung
für diesen Personenkreis auch
weiterhin angeordnet. Hinsichtlich der Anrechnung von Duldungszeiten gemäß § 35 Abs. 1
Satz 3 AusIG sind die in Niedersachsen sich aufhaltenden irakischen Staatsangehörigen kurdi-
scher Volks-zugehörigkeit so zu
be-handeln als sei auch in Niedersachsen von der Möglichkeit
der Anordnung eines Ab-schiebungsstopps Gebrauch gemacht
worden
Abschiebungen in den Irak sind
auch jetzt und in absehbarer Zukunft tatsächlich nicht möglich.
Das Einvernehmen für einen Abschiebungsstopp wird vom BMI
seit dem 01.01.1998 nicht mehr
erteilt.
Asyl- und aufenthaltsrechtliche sowie
leistungsrechtliche Entscheidungen
zusammengestellt von Kai Weber
zung der PKK festgenommen
worden sei. Diese Maßnahmen
der türkischen Sicherheitskräfte
sind aber nicht als politische Verfolgung zu werten. Vielmehr
handelt es sich um zeitlich begrenzte strafrechtliche Ermittlungsmaßnahmen im Rahmen
der Terrorismusbekämpfung. .
Der Kläger ... hat in diesem Zusammenhang selbst eingeräumt,
daß er vor seiner Verhaftung die
PKK in der Umgebung seines Heimatortes regelmäßig mit Lebensmitteln, Kleidung und Medikamenten unterstützt habe. Die
vom Kläger insoweit geschilderten Festnahmen, Verhöre und Inhaftierungen waren grundsätzlich
von der türkischen Gesetzgebung
gedeckt. Ander verhält es sich
dagegen, wenn den betroffenen
Kurden während der Freiheitsentziehung ... erhebliche körperliche
Mißhandlungen zugefügt werden
.... Die von dem Kläger ... in diesem Zusammenhang gemachten
Angaben hält das Gericht für unglaubhaft. ...“
So ähnlich hätte die türkische
Staatsanwaltschaft das wohl auch
ausgedrückt ...
VG Kassel: Zweifel an Bestehen
einer inländischen Fluchtalternative bei 1-jähriger Kurdin
Das VG Kassel hat mit Beschluß
vom 12.12.97 - Az. 6 G
2652/97.A (4) - ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6
Satz 1 AuslG für eine einjährige
Kurdin aus der Türkei festgestellt,
die hier allein mit ihrer 17-jährigen Mutter lebt. Der Bescheid
des Bundesamtes („offensichtlich
unbegründet“) wurde vom VG
aufgehoben, da „eine Anerkennung der Antragstellerin als Asylberechtigte ... nicht ohne weitere
Nachprüfung verneint werden“
könne. Die Volksgruppe der Kurden unterliege seit der 2. Jahres107
RECHTSPRECHUNG
hälfte des Jahres 1993 einer
Gruppenverfolgung. Grundsätzlich bestehe zwar eine inländische Fluchtalternative in der Westtürkei. „Das Bestehen dieser inländischen Fluchtalternative muß
indes für jeden Asylbewerber einzeln festgestellt werden.“ Im vorliegenden Fall sei die Existenz der
Antragstellerin im Westen der
Türkei nur dann gewährleistet,
wenn sie dort über Eltern, Verwandte oder aufnahmebereite
Bekannte verfügte. „Dafür gibt es
im jetzigen Verfahrensstadium
aber keine hinreichenden Anhaltspunkte.“
OVG Lüneburg: Gruppenverfolgung von Kurden/innen im Nordirak
Das OVG Lüneburg hat in einer
Entscheidung von 12. März 1997
(Az. 2 L 6436/96; 5 A 326/96)
seine bisherige Auffassung (Urteil
vom 24.8.93, Az. 2 L 659/91) bekräftigt, daß Kurden/innen im
Nordirak einer Gruppenverfolgung ausgesetzt sind. Umstände,
die jetzt eine andere Beurteilung
zuließen, seien nicht ersichtlich.
BVerwG: Keine „Zurückverweisung“ an das Bundesamt im Folgeverfahren
Sind nach Auffassung des im
Asylfolgeverfahren angerufenen
Verwaltungsgerichts die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens erfüllt, darf es
die Sache nicht zur Entscheidung
über das begehrte Asyl an das
Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge
„zurückverweisen“, sondern muß
auch hierüber selbst entscheiden
(„durchentscheiden“). Urteil des
9. Senats vom 10.02.98 - BVerwG 9 C 28.97 VG Darmstadt:
Gruppenverfolgung von Tamilen
nicht mehr auszuschließen
Das VG Darmstadt hat in einer
Entscheidung vom 29.12.1997 Az. 3 G 31488/97.A (3) - die
Durchführung eines weiteren
Asylverfahrens für eine Tamilin
angeordnet. Es sei „nach neuesten Auskünften zumindest wieder fraglich, ob sie heute bei einer Rückkehr in ihren Heimatort
Point Pedro im Norden Sri Lankas
108
dort nicht einer Gruppenverfolgung von Tamilen ausgesetzt wäre.“ Dies werde in den neuesten
Entscheidungen des Hessischen
VGH (Urteil vom 29.7.97, Az. 10
UE 2268/95) nach einer Phase
der Verneinung nun zumindest
wieder offen gelassen. Aus neuen
Auskünften ergäben sich Hinweise darauf, daß in Colombo keine
ausreichend sichere Fluchtalternative mehr zur Verfügung stehe.
Nach Auskunft des Sachverständigen Keller-Kirchhoff vom Südasienbüro erhielten zurückkehrende tamilische Flüchtlinge allenfalls noch eine befristete Aufenthaltserlaubnis für Colombo,
wenn sie nicht bereits vor ihrer
Ausreise in Colombo ansässig
waren. Spätestens nach Ablauf
dieser Aufenthaltserlaubnisse
müßten sie in ihre Heimatregion
zurück. Diese Auskünfte hätten
das VG Kassel zu der Annahme
veranlaßt, daß zur Zeit Tamilen
im Norden einer Gruppenverfolgung ausgesetzt seien, ohne im
Großraum Colombo über eine inländische Fluchtalternative zu verfügen (Beschluß vom 5.11.97,
Az. 1 G 3414/97 (1)).
VG Göttingen: Asylantrag einer
63-jährigen Tamilin nicht „offensichtlich unbegründet“
Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach §53 Abs. 6
wahrscheinlich
Das VG Göttingen hat in einem
Eilverfahren am 15.12.1997 (Az.
2 B 2550/97) entschieden, daß
der Asylantrag einer 63-jährigen
Tamilin nicht als „offensichtlich
unbegründet“ abgelehnt werden
durfte. Zur Begründung führt das
Gericht u.a. an:
„Zwar nimmt das Gericht in jüngster (ständiger) Rechtsprechung
regelmäßig an, daß Angehörige
der tamilischen Minderheit seit
Anfang des Jahres 1994 einer
gruppengerichteten Verfolgung
im Norden Sri Lankas nicht mehr
ausgesetzt sind. Es geht außerdem bei unverfolgt ausgereisten
Tamilen in der Regel davon aus,
daß ihnen bei einer Rückkehr
nach Sri Lanka politische Verfolgung nicht mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit droht. Weiter
ist es der Auffassung, daß vorverfolgt ausgereiste Angehörige der
tamilischen Volksgruppe, die älter
als 35 Jahre sind, regelmäßig vor
erneuter Verfolgung hinreichend
sicher sind. Die genannte Rechtsprechung beruht jedoch auf einer eingehenden Prüfung des jeweiligen Asylschicksals, bei der
im konkreten Einzelfall und unter
Berücksichtigung der neuesten
dem Gericht zugänglichen Erkenntnismittel entschieden wird,
ob der jeweilige Kläger einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter und auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG
hat. ... Die dargelegte Rechtsprechung des Gerichts führt, auch
wenn sie obergerichtlichen Entscheidungen folgt, nicht dazu,
daß Asylanträge von Tamilen von
vornherein als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden
können. ...“
Im konkreten Fall sei, so das Gericht, voraussichtlich ein Anspruch auf die Feststellung von
Abschiebungshindernissen nach
§53 Abs. 6 AuslG gegeben, da
für die alleinstehende Frau aufgrund ihres Geschlechts, ihres Alters und ihres Gesundheitszustandes bei einer Rückkehr nach
Sri Lanka eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben bestände.
VG Oldenburg: „Schutz vor männlichem Verhalten kann das Asylrecht nicht bieten“
Das VG Oldenburg hat am 15.
Januar 1998 - Az. 6 A 4379/96 entschieden, daß eine Iranerin,
die von ihrem Nachbarn, dem
Sohn des Iman, massiv bedrängt
und verfolgt wurde, kein Asyl in
der Bundesrepublik beanspruchen könne.
Dem Vortrag der Iranerin zufolge
wurde ihr angedroht, daß man
ihren Mann beiseite schaffe, falls
sie sich den Wünschen ihres
Nachbarn nicht füge. Später sei
ihr Mann aufgrund falscher Beschuldigungen festgenommen,
ausgepeitscht und für einen Monat inhaftiert worden. Sie selbst
sei unter einem Vorwand festgehalten und ins Gefängnis gesteckt worden, woraufhin sie versucht habe, sich umzubringen.
Noch im Krankenhaus sei sie erneut unter Druck gesetzt worden. Die Familie habe daraufhin
gemeinsam fliehen wollen. Der
bezahlte Fluchthelfer habe aber
zunächst nur die illegale Ausreise
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
RECHTSPRECHUNG
der Frau mit den beiden jüngsten
Kindern ermöglichen können.
Das Bundesamt erkannte die Iranerin zunächst als politisch Verfolgte an. Auf die Klage des Bundesbeauftragten änderte das VG
Oldenburg diese Entscheidung ab
und führte zur Begründung für
die Ablehnung des Asylantrags
u.a. aus:
„Politisch verfolgt i.S. von Art. 16
a Abs. 1 GG wie auch § 51 Abs.
1 AuslG ist derjenige, der wegen
seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder
wegen seiner politischen Überzeugung Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder Beschränkungen seiner
persönlichen Freiheit ausgesetzt
ist oder solche Verfolgungsmaßnahmen begründet befürchtet.
Es ist bereits zweifelhaft, ob eine
asylspezifische Zielrichtung der
gegen die Beigeladenen und ihre
Familie gerichteten Maßnahmen
gegeben ist. Zwar kann kein
Zweifel daran bestehen, daß die
Maßnahmen, Repressalien, Übergriffe und sonstigen Rechtsverletzungen, die die Beigeladenen
vorgetragen haben, von asylerheblichem Gewicht sind. Jedoch
ist die Frage, ob die Verfolgung
„wegen“ eines Asylmerkmals erfolgt, nach der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts
nicht nach der Motivation, sondern nach dem inhaltlichen Charakter der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen.
Danach ist eine Verfolgung bereits dann als politisch anzusehen, wenn sie dem Einzelnen in
Anknüpfung an asylerhebliche
Merkmale gezielt Rechtsgutverletzungen zufügt, die diesen ihrer
Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der
staatlichen Einheit ausgrenzt (vgl.
...).
Jedenfalls kann das Gericht in zusammenfassender Würdigung
des Schicksals der Beigeladenen
nicht feststellen, daß die Beigeladenen und die weiteren Mitglieder der Familie das Ziel von Maßnahmen wegen eines Asylmerkmals geworden sind oder solche
begründet befürchten müssen.
Zwar ist insbesondere die Beigeladene zu 1) von den Maßnahmen betroffen worden, weil sie
eine Frau ist. Damit ist sie aber
nicht betroffen als Mitglied einer
sozialen Gruppe, der Frauen,
dem einzigen näher in Betracht
zu ziehenden Merkmal, sondern
als einzelne Frau, die allein deshalb den Maßnahmen ausgesetzt
ist, weil sie gegenüber dem Drängen ihres Nachbarn an ihrer Ehe
festgehalten hat und diesem
nicht zu Willen gewesen ist.
Schutz vor solchem männlichen
Verhalten kann das Asylrecht
nicht bieten. [...]“
VG Hannover:
Anerkennung als politisch Verfolgte nach Vergewaltigung
Das VG Hannover hat mit Entscheidung vom 18.07.98 - Az.
11 A 2012/94 - eine Kurdin als
politisch Verfolgte anerkannt, die
von türkischen Soldaten vergewaltigt worden war. Die Entscheidung hebt sich wohltuend von
anderen Entscheidungen ab, in
denen Vergewaltigung als „nicht
vom Staat zu verantwortende,
unpolitische Straftat“ bezeichnet
oder als „gesteigertes Vorbringen“ abgelehnt wird. Nachfolgend ein Auszug aus der Begründung:
„... Zwar hat die Klägerin ...
während ihrer persönlichen Anhörung im Vorverfahren nichts
von sexuellen Übergriffen erzählt,
sondern allenfalls Andeutungen
gemacht. Sie hat dies aber glaubhaft damit erklärt, daß der Vorfall
für sie und ihre Familie eine
Schande sei und niemand, auch
nicht ihr Ehemann, etwas habe
erfahren sollen. ...
Die Kammer sieht in der Vergewaltigung der Klägerin ... über
den strafrechtlichen Gehalt hinaus auch einen politisch motivierten und damit asylrechtlich relevanten Übergriff. Ebenso wie die
Folter gegen vermeintliche politische Straftäter und Regimegegner nach den Erkenntnissen der
Kammer im Allgemeinen eingesetzt wird, um - zumindest auch
- die freie persönliche Meinung
zu treffen und die Persönlichkeit
des Betroffenen zu brechen, kann
dies bei Personen weiblichen Geschlechts entsprechend durch die
Androhung oder gar durch den
Vollzug von Vergewaltigungen
geschehen. Denn Sexualstraftaten
können nicht minder als die Folter schwerwiegende psychische
Schäden hervorrufen. Die Kammer sieht daher keinen substantiellen Unterschied zwischen Folter
und Vergewaltigung bei der Verfolgung separatistischer Straftaten. Es steht außer Frage, daß eine Vergewaltigung die Schwelle
der Asylerheblichkeit überschreitet, soweit sie politisch motiviert
ist. ...“
VG Lüneburg: Voraussetzungen
für die Erteilung der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach §
35 Abs. 1 AuslG
Das VG Lüneburg hat sich in einer Entscheidung vom 13. Mai
98 (Az. 1 A 166/97) ausführlich
zu den Voraussetzungen der Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis für eine Flüchtlingsfamilie geäußert, die 1989
ein Bleiberecht nach der nds.
Bleiberechtsregelung erhalten
hatte. Die wichtigsten Aussagen:
1. Der Familienvater hat bei Erfüllung der übrigen Voraussetzungen Anspruch auf die Erteilung
der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, auch wenn die Familienangehörigen (ergänzende) Sozialhilfe beziehen und er selbst Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz erhält. Gedeckt sein
muß der eigene Unterhalt, nicht
auch der unterhaltsberechtigter
Personen. Entgeltersatzleistungen
wie Unterhaltsgeld, Arbeitslosengeld pp. stehen der Erteilung der
unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nicht im Wege, da diese
„dem Grundsatz nach auf eigenen Leistungen der Versichertengemeinschaft und damit auch
auf solchen des zuvor viele Jahre
erwerbstätig gewesenen Klägers
beruhen“.
2. Es kommt bei der Frage der Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nicht darauf an,
ob ein theoretischer Anspruch
auf Sozialhilfe besteht. Entscheidend ist für die Beurteilung des
Vorliegens eines Ausweisungsgrundes nach § 46 Nr. 6 AuslG,
ob die Sozialhilfe tatsächlich bezogen wird.
3. Auch bei tatsächlichem Bezug
von Sozialhilfe ist das Vorliegen
eines Ausweisungsgrundes nicht
automatisch gegeben. „Bei der
Ausweisung wegen Sozialhilfebezugs stellt sich nämlich die Frage
der Erforderlichkeit der Ausweisung in ganz besonderer Weise,
109
RECHTSPRECHUNG
ist mithin eine sorgfältige Abwägung der im Rahmen der Ermessensentscheidung einzubeziehenden Belange und Gesichtspunkte
in besonderem Maße geboten. ...
In entsprechend gelagerten Ausnahmefällen ist eine Ausländerbehörde mithin keineswegs gehindert, Ausländern mit Rücksicht
auf Härtegesichtspunkte und etwaige unverhältnismäßige Folgen
von Sozialhilfebedürftigkeit einen
gesicherten Aufenthalt durch Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen zu ermöglichen.“
VG Osnabrück: Konventionsflüchtlinge haben gemäß dem Europäischen Fürsorgeabkommen in jedem Bundesland Anspruch auf Sozialhilfe; § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG ist auf sie nicht anwendbar
Das VG Osnabrück - 4. Kammer hat mit Entscheidung vom 11.
März 1998 (Az. 4 B 11/98) in einem Verfahren auf Gewährung
vorläufigen Rechtsschutzes entschieden, daß Konventionsflüchtlinge in jedem Bundesland Anspruch auf die Gewährung von
Sozialhilfe haben. § 120 Abs. 5
Satz 2 BSHG sei auf sie nicht anwendbar. Unter Bezugnahme auf
die Entscheidung des Bayerischen
VGH vom 01.07.1997, Az. 12 CE
96.2856, führt das Verwaltungsgericht aus: „Als sog. Konventionsflüchtling ist der Antragsteller
auch Flüchtling im Sinne des Art.
1,2 des Zusatzabkommens zum
Europäischen Fürsorgeabkommen
und muß von der Bundesrepublik
Deutschland ebenso behandelt
werden wie ein Staatsangehöriger eines anderen Vertragsschließenden im Sinne des Art. 1
EFA.“
VG Hannover: Verfassungskonforme Auslegung des § 120 Absatz 5
Satz 2 BSHG erfordert Berücksichtigung von Härtefällen
Das VG Hannover hat mit Entscheidung vom 8.7.98 - Az. 3 A
6716/96 - einer libanesischen Familie mit Aufenthaltsbefugnis, die
aus Nordrhein-Westfalen nach
Hannover gezogen ist, einen Anspruch auf (ergänzende) Sozialhilfeleistungen zugesprochen.
Zwar erstrecke sich die Regelung
des § 120 Abs. 5 BSHG auch auf
die Flüchtlinge nach der Genfer
Konvention, die über eine Auf110
enthaltsbefugnis verfügen. Aufgrund der besonderen Umstände
des Einzelfalls (Familienvater arbeitet) stehe der Familienvater bei
Anwendung des § 120 Abs. 5
Satz 2 BSHG vor der Alternative,
die Arbeitstätigkeit aufzugeben
oder eine unabsehbar lange Trennung von der Familie in Kauf zu
nehmen. Zur Vermeidung eines
Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 1
GG iVm Art. 6 Abs. 1 GG und
dem Sozialstaatsgebot in Art. 20
Abs. 1 GG sei die Regelung des §
120 Abs. 5 Satz 2 verfassungskonform dahingehend auszulegen, daß die Möglichkeit eröffnet
werde, „wenigstens in Härtefällen eine abweichende Entscheidung zu erreichen (vgl. BVerfGE
30, 25)“.
sen Anwalt (ca. 350,— DM) muß
von der heiratswilligen Person
übernommen werden. Darüber
hinaus müßten zwei Paßbilder,
die Namen und Anschriften der
Eltern und Geschwister, die eigenen Anschriften der letzten zehn
Jahre sowie die Anschriften aller
Arbeitgeber in den letzten zehn
Jahren übermittelt werden. Urgroßmütter, Kinder, Enkel oder
Nachbarn bleiben einstweilen von
den Recherchen ausgenommen.
VG Lüneburg: Übernahme des Elternbeitrags für das Kind einer
geduldeten Familie zwecks Besuch des Kinderspielkreises
Von Ursula Knapp; Frankfurter
Rundschau v. 7. April 98
Das VG Lüneburg hat in einem
Eilverfahren mit Beschluß vom
17. März 1998 (Az. 4 B 6/98)
den Landkreis Harburg verpflichtet, für das 4-jährige Kind einer
libanesischen Flüchtlingsfamilie,
die sich seit September 1990 geduldet im Bundesgebiet aufhält,
den Elternbeitrag zum Besuch
des Kinderspielkreises zu übernehmen.
Zur Begründung verweist das Gericht auf § 90 Abs. 3 SGB VIII
(KJHG), wonach Kinder vom vollendeten dritten Lebensjahr an bis
zum Schuleintritt einen Anspruch
auf den Besuch einer Tageseinrichtung haben. Der gewöhnliche
Aufenthalt der Familie sei eindeutig in der Bundesrepublik gegeben. Die Begründung des LK Harburg, daß eine Integration in
Deutschland möglicherweise
nicht erfolgen müsse, entbehre
einer sachlichen Grundlage.
Sonstige Infos:
- Die Deutsche Botschaft in Lagos
teilt mit, daß sie eine Legalisation
von Heiratsurkunden nur noch
dann vornimmt, „wenn die Zuständigkeit der ausländischen
Behörde geklärt und die inhaltliche Richtigkeit festgestellt worden ist“. Hierfür sei die Einschaltung eines Vertrauensanwalts erforderlich. Das Honorar für die-
Karlsruhe stellt Flüchtlinge den
Deutschen gleich
Bremen muß Kurden Sozialhilfe
vorerst auszahlen/Familie aus
Rheinland-Pfalz zugezogen
Das Bundesverfassungsgericht
(BVerfG) in Karlsruhe überprüft
die umstrittene Praxis der Sozialbehörden, Flüchtlinge bei der
Auszahlung der Sozialhilfe anders
zu behandeln als Inländer. Einer
in Bremen lebenden zehnköpfigen kurdischen Familie, die nach
der Genfer Flüchtlingskonvention
anerkannt ist und eine räumlich
unbegrenzte Aufenthaltsbefugnis
besitzt, wird seit Monaten die
Sozialhilfe in Bremen verweigert,
weil die Familie zunächst in
Rheinland-Pfalz ihre Aufenthaltserlaubnis erhalten hatte. Deshalb, so die Auffassung Bremens,
müsse Rheinland-Pfalz für die Sozialhilfe aufkommen. Der Familie
wurde wegen Mietrückstandes
bereits die Wohnung gekündigt.
Eine Kammer des BVerfG verpflichtete Bremen jetzt per einstweiliger Anordnung zur vorläufigen Auszahlung der Sozialhilfe.
Die Verfassungsbeschwerde der
Familie sei nicht offensichtlich
unbegründet, heißt es in der Eilentscheidung. Bis zum Abschluß
des Hauptsacheverfahrens erhalten die Kurden die Sozialhilfe nun
aus Bremen. (AZ: 1 BvR 93/98)
Die juristische Frage ist, ob die
Praxis der deutschen Sozialhilfeträger gegen die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) verstößt,
der die Bundesrepublik wirksam
beigetreten ist. Nach deren Artikel 23 müssen Flüchtlinge, die
sich rechtmäßig in dem betreffenden Staatsgebiet aufhalten, in
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
STELLENAUSSCHREIBUNG
der Sozialhilfe wie Inländer behandelt werden. Nach einer 1991
erfolgten Änderung des Bundessozialhilfegesetzes knüpfen die
Sozialhilfeträger Auszahlungen
für anerkannte Flüchtlinge jedoch
an besondere Bedingungen. Sie
verweisen die Flüchtlinge nämlich
selbst dann an das Bundesland,
in dem sie erstmals ihre Aufenthaltsbefugnis erhielten, wenn das
eigene Bundesland die Aufenthaltsgenehmigung inzwischen
verlängert hat. Die Betroffenen
müssen theoretisch regelmäßig
von ihrem Wohnort zu dem Sozialamt reisen, das zuerst für sie
zuständig war. So auch im Falle
der kurdischen Familie, die von
Rheinland-Pfalz nach Bremen gezogen war. Der UN-Flüchtlingskommissar hatte die deutsche
Behördenpraxis bereits im Februar und August 1996 als Verstoß
gegen die Genfer Flüchtlingskonvention bezeichnet, jedoch ohne
Erfolg. Nun prüft das BVerfG die
Verfassungsmäßigkeit. Mit der
endgültigen Entscheidung des Ersten Senats ist frühestens in einem halben Jahr zu rechnen.
Förderverein
Niedersächsischer
Flüchtlingsrat e. V.
Lessingstraße 1
31135 Hildesheim
Stellenausschreibung
Der Förderverein Nds. Flüchtlingsrat e.V., - Koordinierungs- und Vernetzungsstelle
der Flüchtlingsinitiativen mit Sitz in Hildesheim-, sucht
zum 01.10.98
einen Mitarbeiter/eine Mitarbeiterin in Vollzeit
für die Bereiche Rundbrief und Pressearbeit.
Die Stelle wird aus Mitteln der Arbeitsförderung finanziert, entsprechende Voraussetzungen müssen erfüllt sein.
Dem Arbeitsbereich ist eine Verwaltungsstelle in Teilzeit (50%) zugeordnet.
Der Rundbrief erscheint als 40-60 Seiten starke Mitgliederzeitschrift und Abonnementheft achtmal im Jahr; davon viermal als allgemeines Info-Heft und viermal als Sonderheft. Die Auflagenhöhe liegt bei 700 Exemplaren.
Im Rahmen seiner Öffentlichkeitsarbeit kommentiert der Förderverein darüber
hinaus regelmäßig einzelfallbezogene (Menschen-)rechtsverstöße und politische
Entwicklungen im Flüchtlingsbereich.
Das Tätigkeitsfeld umfaßt vor allem:
* Erstellung und Herausgabe des Rundbriefs mit eigenem redaktionellem Anteil
* Themengestaltung und -absprachen für die Sonderhefte
* Schaffung und Begleitung eines Redaktionsteams
* Verfassen und Veröffentlichen von Presseerklärungen
* Kontaktpflege und -aufbau zu Journalisten und Zeitungen
* Vorbereitung und Durchführung von Pressekonferenzen
Erwartet werden:
* Profunde migrationspolitische Kenntnisse
* Medienwissenschaftliches Studium/Ausbildung zum Journalisten oder entsprechende berufliche Erfahrung
* einschlägige EDV-Kenntnisse u. -erfahrung
* sicheres und sprachgewandtes Auftreten
* Fremdsprachenkenntnisse sind von Vorteil, aber nicht Bedingung.
Der Arbeitsplatz ist nicht unbedingt an den Sitz der Geschäftsstelle gebunden,
sofern Möglichkeiten der Vernetzung vorhanden sind.
Die Bezahlung erfolgt abhängig von der Qualifikation und Befähigung der Bewerberin/des Bewerbers analog BAT.
Interessierte richten ihre aussagekräftige Bewerbung bis zum 30.06.1998 an die
Geschäftsstelle
Dr. Matthias Lange
Vorsitzender
111
NIEDERSACHSEN
Sommer 1998 in Deutschland
Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht! Idee einer Herbst-Tagung zum politischen Widerstand -
Jacqueline Duchat, Anke Egblomassé, Norbert Grehl-Schmitt*
Menschen, denen es gelungen
ist, nach Deutschland zu fliehen,
werden in Verfolgung,Folter und
Mord abgeschoben. Ist dies
nachweisbar und es gelingt den
verfolgten Menschen die Flucht
nach Deutschland zum zweiten
Mal, schieben sich die Innenminister der Länder und des Bundes
die Verantwortung gegenseitig
zu. Oder war nicht doch der Kollege Außenminister derjenige, der
die Menschenrechtsverletzungen
im Herkunftsland politisch nicht
verhindert hat? Bemühen sich
Länder nicht intensiv genug darum, ihren Staatsangehörigen die
Rückkehr zu erleichtern, wäre es
doch logisch die Entwicklungshilfe-Gelder zu kürzen. Der gesellschaftliche Grundkonsens eines
Existenzminimus für jede und jeden soll durch die 2. Änderung
des AsylbewerberLeistungsgesetzes endgültig abgeschafft werden. Man meint, damit die Rückkehr in ein lebensgefährliches
Herkunftsland zu einer Zukunftsperspektive für Menschen machen zu können. Die verdachtsunabhängige Kontrolle von Menschen wird immer weiter ausgedehnt, Platzverweise werden
zahllos verteilt. Menschen wird
nach Aussehen oder politischenProtesten kein öffentlicher
Raum mehr zugestanden.
Kurze Ausschnitte aus der politischen Situation in der Bundesrepublik im Sommer 1998.
Bewegungen
Während in Frankreich die Ar-
* als Arbeitsgruppe des Vorstands
112
beitslosenproteste und die Sans
Papiers zeigen, daß Bewegungen
entstehen können, um politische
Veränderungen einzufordern,
bleibt es in Deutschland ruhig. Es
gibt Arbeitslosen-Aktionstage,
aber es gibt auch - gerade rechtzeitig vor der Bundestagswahl unzählige Trainingsmaßnahmen,
Ernteeinsätze und Existenzgründungszusschüsse für Arbeitslose,
denen sie sich nicht entziehen
können, ohne ihre Existenzgrundlage zu verlieren. Statt dessen
verlieren sie ihre Menschenwürde.
So wird verhindert, daß die Proteste gar nicht erst zu einer Bewegung werden.
Es gibt immer mehr Kirchenasyle
in Deutschland. Viele Menschen
können nur noch geschützt
durch Kirchenasyl ihre rechtlichen
Möglichkeiten ausschöpfen, um
Schutz für Leib und Leben zugesprochen zu bekommen. In
Nordrhein-Westfalen gibt es das
Wanderkirchenasyl, das sich für
einen Abschiebestopp für kurdische Flüchtlinge einsetzt und
endlich die politische Anerkennung des Krieges in der Türkei
fordert. In Niedersachsen dagegen werden Kirchenasyle
geräumt, veranlaßt von Innenminister Glogowski, der im Herbst
diesen Jahres Ministerpräsident
als Nachfolger einesmöglichen
Kanzler Schröder werden soll.
Politische Situation
Die gegenwärtige politische Situation, aber auch die vergangenen Jahre der politischen Arbeit
haben uns auf die Idee gebracht,
daß wirkungsvolle politische Veränderungen nur mit möglichst
vielen politischen BündnispartnerInnen eingefordert werden können. Radikale Veränderungen
sind notwendig. Gesellschaftliche
Grundwerte, wie Solidarität,
Menschenwürde, selbstbestimmte Arbeit sind verloren gegangen.
Die an ihre Stelle getretenen
Werte wie Leistungswillen, innere
Sicherheit, Arbeit unter jeden Bedingungen bestimmen mittlerweile unseren Alltag und auch
unsere politische Arbeit: Statt
grundsätzliche Gesellschaftsperspektiven zu formulieren, reagieren wir kurzfristig auf politische
Initiativen und versuchen, das
Schlimmste zu verhindern.
Die Idee
Wir wollen gern gemeinsam mit
Menschen aus anderen Initiativen, Organisationen und Verbänden eine Herbsttagung vorbereiten, die mit den Einstiegsreferaten "Der aktuelle Diskurs über Innere Sicherheit in der BRD - gesellschaftliche Ursachen und
Funktionen" von Thomas Kunz
und zur Illegalisierung/ Heimliche
Menschen von Margrit Frankenhäuser aus der Schweiz beginnen
könnte.
In Arbeitsgruppen, die verantwortlich vielleicht vom VEN im
Bereich "Globalisierung, Agenda
21, Fluchtursachen, -bewegungen", von der Antifa, der VVN,
Thomas Kunz imB ereich "Polizei,
Demonstrationen, Abbau demokratischer Rechte", von Pax Christi, der BAG Asyl in der Kirche
und der Graswurzel im Bereich
"Ziviler Ungehorsam, Widerstandsformen", vom Flüchtlingsrat und der Selbstorganisation
der MigrantInnen(AMFN) für den
Bereich "Rassismus, Illegalisierung" und von Kobra und Solwodi im Bereich "Frauenhandel,
Menschenhandel" vorbereitet und
durchgeführt werden könnten,
könnten gemeinsame oder auch
kontroverse Forderungen erarbeitet und politische Aktionen überlegt werden.
Am folgenden Tag könnte im Plenum über Möglichkeiten und
Grenzen einer gemeinsamen oder
auch unterschiedlichen weiteren
politischen Arbeit diskutiert werden. Vernetzung und auch die
Entwicklung von Politikstrategien
würden hierzu gehören.
Da wir der Auffassung sind, von
dieser Herbsttagung sollte ein
politisches Signal ausgehen, würden wir einen Appell - oder Resolutionsentwurf in den o.g. Arbeitsgruppen diskutieren wollen,
der dann im Plenum zum Abschluß der Tagung verabschiedet
werden könnte.
Unsere Überlegungen, wie eine
Herbsttagung mit größtmöglicher
Beteiligung von Menschen aus
den unterschiedlichsten politischen Zusammenhängen aussehen kann, würden wir gern auf
einem ersten Treffen mit Initiativen und Organisationen, die die
Durchführung mit uns gemein-
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
NIEDERSACHSEN
sam vorbereiten wollen, vorstellen und diskutieren. Im Rahmen
dieser Arbeitsgruppe würden wir
auch die Erarbeitung des angesprochenen Resolutions- oder
Appellentwurfes sehen.
Ziel unserer Überlegungen ist, die
gemeinsame Vorbereitung und
Durchführung einer politischen
Veranstaltung, die nicht vom
Zuhören und Mi tdiskutieren allein lebt, sondern ihren Erfolg
und ihre Wirkung in der Mitverantwortung politisch Engagierter
findet. Wenn wir uns gemeinsam
über unsere Grenzen und Möglichkeiten einer politischenWiderstandsstrategie gegen die Richtung der derzeitigen Veränderungen der Gesellschaft verständigen
könnten, können wir vielleicht
auch unsere Lähmung überwinden und so gemeinsam, aber
auch als Einzelne wieder stärker
werden und uns in die politischen Umbruchsprozesse wirkungsvoll einmischen.
----------------------------Interessierte Menschen, Initiativen und Organisationen wenden
sich bitte bis Mitte Juli an den
Nds. Flüchtlingsrat, Lessingstr. 1,
31135 Hildesheim, Tel. 0512115605, Fax 05121-31609, email:
[email protected], wenn sie
mit uns gemeinsam diese Tagungsidee verwirklichen wollen
Zwei neue Medienpakete ausleihbar.
Es handelt sich um zwei Projekte, die in Kooperation von Werkstattfilm Oldenburg und dem
VNB in Barnstorf entstanden sind.
1. „Sie kommen hierher zurück“
Ansichten aus Sarajevo
Das Projekt umfaßt eine Ausstellung, eine Broschüre und zwei Videofilme zum Thema. Ausgangspunkt sind zwei Reisen, die Ali Farschid Zahedi von Werkstattfilm Oldenburg im Sommer 1997 nach Sarajevo bzw. Bosnien unternommen hat. Beleuchtet werden die Situation
von Flüchtlingen, die nach Bosnien zurückkehren bzw. abgeschoben worden sind, die Lebensbedingungen in Sarajevo, Zusammenleben nach dem Krieg, die bundesdeutsche Politik
und politische Hintergründe des Krieges bzw. der heutigen Situation.
Die Ausstellung umfaßt 10 Bildtafeln (60x80 cm) zu unterschiedlichen Themenschwerpunkten wie z.B. Menschen in und Stadtbilder aus Sarajevo, Militärpräsenz, Minen oder Aufbauarbeiten und Zukunftsperspektiven. Dabei werden die Fotos zum Teil durch persönliche Aussagen und/oder Sachinformationen ergänzt.
Die Broschüre zur Ausstellung umfaßt 28 Seiten. Sie informiert einerseits über die politische
Entwicklung Jugoslawiens mit Schwerpunkt auf dem Zeitpunkt 1980 bis heute; zum anderen berichten - vor dem Hintergrund bundesdeutscher Flüchtlingspolitik - Menschen aus Sarajevo über ihre diesbezüglichen Erfahrungen und Erlebnisse, aber auch über ihre (Zukunfts)
-wünsche, ihre Hoffnungen oder Hoffnungslosigkeit.
„Deportation from Germany“ Videofilm, 21 min, BRD-BIH (Sarajevo) 1997. Der Film begleitet rückkehrende und abgeschobene Flüchtlinge nach Bosnien und zeigt die Situation bei
der Ankunft in einem Land nach dem Krieg.
2. „der andere Blick“
Das Projekt umfaßt eine Ausstellung, einen Videofilm und eine Broschüre. Es entstand durch
einen Besuch im Blindenzentrum Sarajevo, bei dem die Idee entstand, daß die dort lebenden Jugendlichen ihre Welt selbst photographieren und darstellen. Ergänzt wurde das Projekt in Deutschland durch Zusammenarbeit mit dem Blindenzentrum Hannover und dem
Blinden - und Sehbehindertenverein Landesteil Oldenburg die durch ihre Photographien ihre
„Sicht der Dinge“ präsentieren machen.
Die Photoausstellung beruht auf einer neuen Form der Darbietung, indem die dargestellten
Fotografien auf ein Minimum beschränkt sind. Das Hauptaugenmerk - es geht um die Augen und die Art des Sehens, ist auf die Aufnahmen der Kinder gerichtet. Dadurch wird das
Publikum nicht nur über das Blindenzentrum informiert, sondern es sieht die Welt quasi mit
den Augen derjenigen Jugendlichen, die diese Fotos aufgenommen haben.
Um den unmittelbaren Erfahrungswert zu erhöhen, sollen die BesucherInnen den Ausstellungsraum mit einer speziellen Brille betreten, die das Gesichtsfeld stark einengt und für
kurze Zeit eine Beeinträchtigung des Sehens nachvollziehbar macht, wie es für diese Kinder
alltäglich ist.
Das Leben geht weiter, „der andere Blick“ Videofilm, 31 Min, BRD-BIH (Sarajevo) 1998, Original mit deutschen Untertitel. Informationen über das Blindenzentrum Sarajevo mit Aufnahmen der SchülerInnen und Archivmaterial aus der Kriegszeit.
Katalog mit den von Jugendlichen erstellten Photos
Postkarten mit Motiven aus der Arbeit der Jugendlichen im Blindenzentrum
Kontaktadressen für Ausleihe und Bezug von beiden Medienpaketen:
Werkstattfilm
Kaiserstr. 24
26122 Oldenburg
Tel.Fax.0441/12180
VNB Geschäftsstelle Barnstorf
Bahnhofstr.16
9406 Barnstorf
Tel.05442/991417
Fax. 05442/2241
113
KURDENVERFOLGUNG
Außenposten an der Festung
Türkei richtet Abfanglager ein für “illegale” kurdische Flüchtlinge aus dem Irak
Rat der EU
Rat der Europäischen Union,
21. April 1998
kunftsländer sowie zur Fortsetzung des Kontakts und der Zusammenarbeit auf offizieller Ebene.
Vorschläge in die relevanten Arbeitsgruppen weitergeben.
3. In Ankara versicherten Vertreter des Außen- und des Innenministeriums ihre Bereitschaft, auf
technischer Ebene zusammenzuarbeiten, und brachten ihr Interesse an einem verstärkten Informationsaustausch und technischer Unterstützung bei der
Bekämpfung illegaler Einwanderung zum Ausdruck. Sie waren
sich der Notwendigkeit bewußt,
über die Verwickelung organisierter Kriminalität beim Schleppen
von illegalen Migranten zu reden.
Was das Asyl-Thema angeht, erwähnten die türkischen Autoritäten ihre Pläne, Aufnahmezentren
für illegale Migranten zu etablieren, sträubten sich aber dagegen,
den UNHCR in den Prozeß der
Überprüfung von Asylantragstellern einzubeziehen. Sie waren jedoch bereit, UNHCR-Unterstützung für das Training von Grenzwächtern im Bereich der Prüfungsvwerfahren zu akzeptieren.
(Die weiteren Details der gemeinsamen Pläne zum Aufbau der
Türkei als Vorposten der EU zum
Auf- und Abfangen unerwünschter Flüchtlinge haben wir nicht
mehr übersetzt, da die uns vorliegende Kopie sehr schlecht ist.
Den Tenor kann sich jede/r denken. Weitere Informationen erhaltet Ihr beim Büro von Claudia
Roth (MdEP Bündnis90/Die Grünen, Tel. 0228 - 16 83138 oder
0228 - 16 87939, Fax 0228 - 16
46124)
Details ...
Note
von: der Präsidentschaft
an: das K4 Kommitee
Thema: Einströmen von Migranten aus dem Irak und der Nachbarregion: Bericht über das in Istanbul und Ankara am 9. und 10.
März 1998 abgehaltene Treffen.
In Übereinstimmung mit der
Zurückverweisung von ... am 5.
März 1998 besuchte die Präsidentschaft in Begleitung des Vorsitzenden der Arbeitsgruppe Migration und Vertretern der Kommission und des Generalsekretariats Istanbul und Ankara am 9.
und 10. März 1998. Ein Bericht
über diese Treffen ist zur Information der Mitgliedsstaaten und
insbesondere als Grundlage für
die weitere Arbeit zur Verfügung
gestellt worden. Aktion Punkt 2
und Bereich G des Aktionsplans
betrifft das Einströmen von Migranten aus dem Irak und der
benachbarten Region ... . Dieses
Dokument wurde überarbeitet,
um das Ergebnis des Treffens des
am 26./27. März 1998 abgehaltenen K4-Kommitees mit einzubeziehen.
Zusammenfassung:
2. In Istanbul beschrieben Beamte der Sicherheits- und Fremdenpolizei die Bedeutung Istanbuls
als eines Transitpunktes für die illegale Einwanderung in die EU,
insbesondere von Staatsbürgern
des Iran, Irak, Sri Lankas, aus
Bangladesh, Pakistan und Ägypten. Sie ersuchten die EU um Unterstützung zur Verbesserung die
Zurückschiebung von Personen
aus Drittstaaten, die sich illegal in
der Türkei aufhalten, in ihre Her114
4. Im Licht dieser Kontakte und,
soweit relevant, unter Einbeziehung des UNHCR könnte eine
weitere Zusammenarbeit zwischen der EU und der Türkei in
den folgenden Bereichen nützlich
sein:Prüfung von Wegen zur Sicherstellung einer ordentlichen
Überprüfung von Asylsuchenden
und Unterstützung zu diesem
Zweck; die Überprüfung der Bedingungen der Inhaftierung illegaler Einwanderer vor der
Zurückführung; der Austausch
von praktischer Erfahrung zum
Bewirken der Rückkehr in dritte
Länder, insbesondere Pakistan
und Bangladesh; Unterstützung
für die Entwicklung neuer türkischer Einwanderungsgesetze;
technische Unterstützung zur
Verbesserung der Aufdeckung
falscher Papiere an der Grenze.
Die Präsidentschaft wird diese
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998
Materialien
Reader: „Verfolgte Frauen schüt zen“ Materialien zum Umgang mit
geschlechtsspezifischer Verfolgung
und Flüchtlingsfrauen in der Bundesrepublik Deutschland und anderen Ländern“. Mai 98, DM 16,-/Expl. - Broschüre: „Gefesselte Medizin.
Ärztliches Handeln - abhängig von
Aufenthaltsrechten? Eine Handreichung“ .Hg. Ärztekammer Berlin,
Flüchtlingsrat Berlin und PRO ASYL,
vorauss. Juni 98, DM 13,-/Expl. Gutachten: „Asylrechtskundige Beratung durch Sozialarbeiter und Ehrenamtliche - Ein Verstoß gegen das
Rechtsberatungsgesetz?“ v. RA Hubert Heinhold, Mai 97, DM 7,- - Zu
bestellen: PRO ASYL e.V., PF 16 06
24, 60069 Frankfurt/M.
Reader zur AAA der schweizer „Aktion für abgewiesene Asylbewerber“,
Kontaktadresse: Heidi u. Peter Zuber, Waldheim, 3072 Ostermundigen 1-.
Herrenmenschentum und der ganz
alltägliche Terror von Gewalt.
Rechtsextremismus ist kein gesellschaftliches Randphänomen, sondern entsteht in der Mitte der Gesellschaft. Ausstellung Rechtsextremismus, (Neo-)Faschismus, Alltagsgewalt. Bestellung über: AK-Rechtsextremismus, Edda Rommel, c/o
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finanziellen Möglichkeiten.
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Fluchthilfe sowie deren organisierter
Kriminalisierung. Zu beziehen gegen 6,- DM zzgl. Versandkosten.
Unterschriftenliste + Aufrufsammlung in den Sprachen: Dari/Farsi,
Deutschg, Englisch, Französisch, Italienisch, Polinisch, Portugiesisch,
Spanisch, Russisch, Türkisch, Urdu.
Alles zu beziehen bei: AG 3 F, Antirassistische Gruppe für Freies Fluten,
Tel./Fax: 0 61 81/18 48 92
Erstellung einer Dokumentation/Da tenbank für Sinti- u. Romaverbände,
internat. Organisationen. Infos u.
Fragebögen: Interface, Centre de recherches tsiganes - Gypsy Research
Centre - Université de Paris V 106,
Quai de Clichy, F-92110 - Clichy,
Fax: 33/1 47 31 29 23
Reader „No Borders“ zu den The men: Frauen-Abschiebeknast Neuss,
Situation von Migrantinnen in der
BRD, Debatte um die Verknüpfung
von Rassismus und Sexismus. Zu bestellen über: Infoladen Anschlag,
Stichwort Neuss, Hee per Str. 132,
33 607 Bielefeld. Bezugspreis: DM
5,- zzgl. 1,50 Port in Briefmarken
oder bar.
Handbuch Migration für AIDS-Hil fen, AIDS-Fachkräfte und andere im
AIDS-Bereich Tätige. Das Handbuch
ist kostenfrei erhältlich und kann bei
der Deutschen AIDS-Hilfe, Dieffenbachstr. 33, 10 967 Berlin angefordert werden.
Protokoll der Anhörung zum Asyl bewerberleistungsgesetz vom
29.04.1998, Urteil des BVerwG - 9
Cf 34.96 - v. 4.11.97, Abschiebeschutz Afghanistan gem. § 53 Abs.
6 S. 1
Zu bestellen bei: Nds. Flüchtlingsrat,
Lessingstr. 1, 31135 Hildesheim,
Tel.: 0 51 21/15 605, Fax: .../31 609
Lageberichte des Auswärtigen Am tes: Togo (3/98), Gambia (3/98), BR
Jugoslawien (3/98), BR Jugoslawien
- Ergänzung (3/98), Türkei (3/98),
Bosnien-Herzegowina (3/98), Dem.
Rep. Kongo (1/98), Pakistan (1/98),
Syrien (1/98), Tschad (1/98), Nigeria
(1/98)
Zu beziehen bei ai-Materialversand,
PF 17 02 29, 53 108 Bonn
Menschenrechtssituation in Tunesi en - Zusammenfassender Bericht. Zu
bestellen bei: ai-Tunesien-Koordination, Helga Lindenmaier, Heumadenstr. 16, 74 199 Unterheinriet,
Tel.: 0 71 30/72 83
Infos Kosova- „Übergriffe an aus
Westeuropa nach Kosova abgescho benen Asylsuchenden“ (39 S.) - „Interventionen an albanischsprachigen Schulen Kosovas (44 S) -Zu bestellen beim: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Monbijoustr. 120, PF
81 54, CH-3001 Bern, Tel.:
0 31/370 75 75, Fax: .../370 75 00,
e-mail [email protected]. Abgabe
zum Selbstkostenpreis.
„Diakonie - Verfahrensberatung in
der Zentralen Anlaufstelle für Asyl bewerberInnen (ZAST) Braun schweig - Jahresbericht 1997. Infos:
ZAST Braunschweig, Boeselagerstr.
4, 38 108 Braunschweig.
„Rechtliche Verpflichtungen und
Möglichkeiten, Abschiebungshin dernisse nach § 53 AuslG festzustel len.“ Die vorliegende Dokumentation der Fortbildungstagung in Mainz
am 14.11.97 enthält Referate und
überarbeitete Beiträge zum Thema
Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG, wobei insbesondere die Kompetenzverteilung zwischen Bundesamt
und Ausländerbehörde zur Prüfung
dieser Abschiebungshindernisse behandelt wird. 2. Aufl., Bad krueznach, mai 1998, 63 Seiten, DIN a 4,
DM 10,-. Zu bestellen: Diak. Werk
mainz-Bingen, Fachstelle für Flüchtlinge, Binger Str. 45, 55 218 Ingelheim, Tel.: 0 61 32/7 30 56/57, Fax:
.../7 65 95
Haushaltsmittel der Europäischen
Kommission zur Förderung von Pro jekten: 1. Projekt B7-6008 zur Erleichterung der feiweilligen Rückkehr von Flüchtlingen, vertriebenen
Personen und Asylbewerbern in ihr
Herkunftsland; 2. Projekt B5-803
zur Verbesserung der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber, vertriebenen Personen und Flüchtlingen in den Mitgliedstaaten. Einsendeschluß für die Bewerbungen ist
der 30. Juni 98. Unterlagen können
angefordert werden bei: Europäische Kommission, Rue de la Loi
200, B-1049 Bruxelles, Tel.: (+322)2 95 51 76/5 22 63, Fax:
.../2 96 59 97, Internet: Wenceslas
de [email protected]
07 11/9 25 77 50, Fax:
.../9 25 77 25
Kampagne: „Erlaßjahr 2000 - Ent wicklung braucht Entschuldung“
hat das Ziel, übr einen Schuldenerlaß im Jahr 2000 und über eine Veränderung des internationalen Schuldenrechts gerechtere Finanzbezienungen zwischen den reichen Ländern im Norden und den armen
Ländern im Süden zu erreichen.
Kontaktadresse: Erlaßjahr 2000, c/o
SÜDWIND e.V., Lindenstr. 58-60,
53721 Siegburg, Tel.:
0 22 41/59 12-26, Fax: .../...-27, Email: [email protected].
„Die Brücke - Forum für antirassisti sche Politik und Kultur“. Die Brücke
ist ein interkulturelles Projekt, das
von Menschen unterschiedlicher
Herkunft gestaltet wird. Sie dient
Gruppen und Initiativen, MultiplikatorInnen in Politik und Kultur als Informations- und Kontaktstelle. Erscheinungsweise: zweimonatlich,
Preis des Einzelheftes: DM 14,80,
Jahresabo: DM 66,-, Abonnementund Einzelheftbezug über den
Buchhandel und den Brandes & Apsel Verlag, Elke Daniel, Zeilweg 20,
60 439 Frankfurt/M., Fax:
0 69/95 73 01 87
„Leben in Angst - Eine Kurdenfami lie im Kirchenasyl“. Das Buch erzählt
die Geschichte der kurdischen Familie Yildiz, die seit über zweieinhalb
Jahren im Kirchenasyl im mittelfränkischen Weißenburg lebt. Freunde
und Wegbegleiter der vergangenen
Jahre melden sich zu Wort und tragen Stein für Stein das Mosaik eines
fast hoffnungslosen Falles zusammen. - Das Buch erscheint im Frühsommer, und der Erlös kommt der
Familie Yildiz zugute. Zu bestellen
bei: Verlag W. Keller, Knipferstr. 20,
91 757 Treuchtlingen
kein mensch ist illegal - Aufkleber
von Rasso Rottenfußer. Das Medium Aufkleber ist überall anzubringen und kann auf einfachem Wege
große Verbreitung finden. Durch
klare und sachliche Gestaltung wird
der Inhalt verstärkt und kann ohne
Umstände als das erkannt werden,
was er ist. - Zur weiteren Information und/oder Unterstützung der
Kampagne „KEIN MENSCH IST ILLEGAL“ wenden Sie sich an: Forschungsstelle Flucht und Migration
e.V. (FFM), Gneisenaustr. 2a, 10 961
Berlin, Infos zur Arbeit Aufkleber
bei: Rosso Rottenfußer, Fon + Fax:
0 30/3 22 45 13
Seit April 1998 neue Broschüre
„eingemischt“ des Flüchtlingsrates
Wiesbaden. 116 Seiten, 9,- DM, gegen 12,- DM in Briefmarken zu bestellen bei: Flüchtlingsrat Wiesbaden, Blücherstr. 32, 65 195 Wiesbaden, Tel/Fax: 06 11/49 52 49.
Infoblatt an deutsche Fluggäste
über Fluchtursachen, Abschiebun gen und Methoden, sog. „Schüblin ge“ ruhigzustellen. 2. Aktualisierte
Neuauflage 1995. Zu beziehen
über: Büro für notwendige Einmischungen/Frank Eyssen, Nernstweg
32-34, 22 765 Hamburg.
„Lernen, glücklich zu sein“. Vom
Beginn des Grenzübertritts bis zur
Entscheidung der Behörden begleitet der Regisseur den Weg der Familie des Sudanesen Nabil durch
das Schweizer Asylverfahren. Der
Film wird vom EZEF in einer 70minütigen Kurzfassung auf Video
herausgegeben und wird ca. ab Ende Juli über alle Evangelischen Medienzentralen bundesweit ausleihbar sein und auch zum Verkauf angeboten werden. Infos: Evangelisches Zentrum für entwicklungsbezogene Filmarbeit, Kniebisstr. 29,
70 188 Stuttgart, Tel.:
Grundrecht-Report 1998. Herausgegeben von: Humanistische Union,
Komitee für Grundrechte und Demokratie und seit Mai im RowohltVerlag erschienen. Bei Rückfragen:
Julia Tomyx, Rowohlt Taschenbuch
Verlag, Presseabteilung, Tel.:
0 40/7 27 22-39, Fax: .../-395
Neue Publikation der Projektstelle
Berufliche Qualifizierung von Flücht lingen und MigrantInnen, Barnstorf:
„Handbuch. Weg zum Berufskraftfahrer. Eine Chance für MigrantInnen“. Gegen DM 19,80 zzgl. Versandkosten zu bestellen bei: Projektstelle Q, Klaus Schmelz, Bahnhofstr. 16, 49 406 Barnstorf.
Schriftenreihe der Ausländerbeauf tragten des Landes Niedersachsen
„Sachlich“: Heft 3: „Interkulturelles
Lernen mit Kindern“, Heft 4: „Jugendliche in Niedersachsen“. Bezugspreis DM 5,- zzgl. Port. Zu bestellen bei: Nds. Sozialministerium, Ausländerbeauftragte -, Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz 2, 30 159 Hannover, Tel.: 05 11/1 20-29 02
Kosovo (Serbien-Montenegro) Serbische Truppen gehen militärisch
gegen die albanische Bevölkerung
vor. Bericht (deutsch/engl.) vom
7.3.1998,
1. Expertenanhörung: Rückkehr
nach Bosnien 1998: Reale Chance
oder Illusion? - Dokumentation -Beide Veröffentlichungen sind zu beziehen bei: gesellschaft für bedrohte
Völker - international - President
Tilman Zülch, PO-BOX 2024,
37 010 Göttingen, Tel.:
05 51/4 99 06-24, Fax: .../5 75 29,
e-mail: [email protected], homepage:
http://www.gfbv.de
Als Diskussionshilfe: Abschiebungen
und Menschenrechte - Eine Zustän digkeitsfrage? von Christiane Krombeck. Erschienen in „Der Schlepper“
Nr. 2 des Flüchtlingsrates SchleswigHolsteins
Broschüre: Offen für Europa - offen
für andere - Nationalismus und Ras sismus überwinden!. Zu bestellen
bei: Ökumenischer Vorbereitungsausschuß zur Woche der ausländischen Mitbürger, PF 16 06 46,
60 069 Frankfurt/M. Veröffentlicht
im Mai 1998. Unkostenbeiträge
gestaffelt nach Anzahl der Exemplare und unterteilt in alte und neue
Bundesländer.
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Aufruf für Gleichbehandlung und
gegen Rassismus: u.a.: Die Einführung der Visumspflicht für Kinder aus den ehemaligen Anwerbeländern, das generelle Arbeitsverbot
für neu einreisende Flüchtlinge und
Asylbewerber, die undifferenzierte
Diskussion um die sog. Ausländerkriminalität u. die sofortige Abschiebung von straffällig gewordenen AusländerInnen tragen nicht
dazu bei, eine gegenüber MigrantInnen in Deutschland positives Klima zu schaffen und Akzeptanz zu
wecken. Infos: DGB. Referat Migration, T.: 02 11/4 30-10, Fax: .../-11
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eine neue Art und Weise thematisieren. Gedacht ist an eine Tournee
durch bundesrepublikanische Städte. Bis heute verbirgt sich hinter Kanak Attack politisches Entertainment, das mit viel Tamtam und Glamour eine neue Haltung gegenüber
Rassismus, Nationalismus und dem
Alltag in Almanya befördern soll.
Für Rückfragen bei Interesse: Büro
Kanak Attack, c/o Clubraum, Niddastr. 49, 60 329 Frankfurt, oder: Imran Ayata, Tel.: 0 69/5 60 41 46, email: [email protected]
chen auf! -Demonstration in Düsseldorf am 13. Juni 1998, 12.00
Uhr, Schadowplatz zur Unterstützung der Forderungen der Flüchtlinge in den Kirchen von NRW. Kontakt: Netzwerk Asyl in der Kirche
NRW, Tel.: 02 21/33 82-281, EMail: [email protected]
Seminare/Tagungen/Veranstaltungen
Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik
und ihre tödlichen Folgen: Jan.
1993 bis Jan. 1997. Selbstmorde
von Flüchtlingen/Todesfälle, Verletzungen bei Grenzüberquerungen/
Todesfälle und Verletzungen wähend und nach zwangsweisen Abschiebungen/Berichte über Fluchtversuche/Angriffe und Anschläge
auf Flüchtlingsunterkünfte. c/o Antirassistische Initiative, Yorckstr. 59,
10 965 Berlin, Tel.:0 30/7 85 72 81,
Fax: /7 86 99 84, 60 Seiten, DM 7,zzgl. Porto.
„Tag der offenen Tür“ in der Zentralen Anlaufstelle für AsylbewerbeInnen, Boeselagerstr. 4, 38 108
Braunschweig am 20. Juni von 14
bis 17 Uhr.
„Lebenslaute“ - Aufruf zur Beteiligung an einer Konzertaktion zur
Unterstützung der Kampagne „kein
mensch ist illegal“. Für unser Konzert wählen wir bewußt eine ungewöhnlichen Ort. Eine eventuelle Bestrafung wegen Hausfriedensbruch
nehmen wir dabei in Kauf. „Musik
wird als störend oft empfunden,
wenn sie mit Portest verbunden“.
Aktionstage: 20.-24. August 98,
Ort evtl. Bielefeld, Düsseldorf oder
Dortmund, Anmeldungen bis spätestens 10.08.98 an: Lebenslaute, c/o
Wohngemeinschaft Am Lambach
14, 32 051 Herford
„Kein Mensch ist illegal“ - Wir haben in Zusammenarbeit mit der
LayOuterInnen-Gruppe „Zusammen
gestalten!“ eine Plakatreihe im Rahmen der bundesweiten Kampagne
„Kein Mensch ist illegal“ entworfen.
Die 4 Plakate können einzeln, aber
auch aneinandergereiht aufgehängt
werden. Idee ist, daß die Plakatreihe in Gruppenräuen, Praxen, Kanzleien, Läden, Kneipen, Beratungsstellen, Plakat- und Hauswände - eigentlich überall - hängt. Versand
gegen Portokosten in Höhe von
15,- DM (4x10 Stck.) bzw. 25,- DM
(4x25 Stck.) und Vorkasse in bar
oder Briefmarken. Bestellen bei:
FelS-Antifa-Ag, c/o Buchladen
Schwarze Risse, Gneisenaustr. 2a,
10 961 Berlin.
Materialien für die Arbeit mit Eh renamtlichen in der Flüchtlingsar beit. Broschüre „Flüchtlinge beraten
- ein Orientierungskurs mit Schulungsmaterial im Ausländerrecht Teil I Das Ausländergesetz“. Ziel der
Broschüre ist es, die gesetzlichen
Grundlagen für die Flüchtlingsberatung auf einfache Weise zu vermitteln. Eigens zu diesem Zwecke sind
Arbeitsbögen konzipiert worden,
die es ermöglichen, das „Dickicht“
Gesetzestexte verstehen und anzuwenden zu lernen. Bestellung zum
Selbstkostenpreis von 10,- DM/Stck.
bei: GGUA Projekt Büro, c/o VIS,
Herwarthstr. 2, 48 143 Münster,
Tel.: 02 51/4 82 82 72, Fax:
.../5 10 53 69
Kanak Attack. Kanak Attack ist ein
selbstgewählter Zusammenschluß
verschiedener Leute über die Grenze
zugeschriebener bzw. mit in die
Wiege gelegter „Identitäten“ hinweg. Kanak Attack soll die gesellschaftliche und politische Situation
von MigrantInnen in der BRD auf
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bewußt gewußt - Politikmanage ment Vorort. Aktueller Seminarplan
der Länderbildungswerke der Heinrich-Böll-Stiftung für politisch engagierte Haupt- und Ehrenamtliche.
Infos: Stiftung Leben und Umwelt
Niedersachsen, Hausmannstraße
9/10, 30159 Hannover, Tel.:
05 11/16 40 314, Fax: /13 378
BUKO-Seminar in Kooperation mit
der Heinrich-Böll-Stifung: „Zukunft
der Arbeit“ - Widerstand und Solidarität im Neoliberalismus vom
12.06. bis 14.06.98 im Jugendgästehaus Bonn. Im Zeitalter des Neoliberalismus und der Standortlogik
werden formale und gesicherte Arbeitsverhältnisse immer weiter
zurückgedrängt. Der globale Arbeitsmarkt ist heute weniger von internationaler Solidarität als vom
Empfinden der Konkurrenz und der
Hierarchisierung entlang ethnischer
und geschlechtlicher Kriterien geprägt. Trotzdem - oder gerade deshalb - steht die formale Erwerbsarbeit noch immer im Zentrum vieler
sozialer Kämpfe. Anmeldungen:
BUKO-Geschäftsstelle, Nernstweg
32, 22 765 Hamburg
Vereinsmanagement, Selbstorgani sation und Zeitmanagement - Zivilcourage und Kreativität gegen Gewalt. Aktuelles Programm 1998/2
und mehr Informationen zu den
Veranstaltungen der Akademie
Frankenwarte, Gesellschaft für Politische Bildung e.V., Würzburg zu
beziehen bei: Seminarsekretariat ,
Tel.: 09 31/8 04 64-14, -10, -33, Internet:
http://www.wuerzburg.de/wue/bildung/frankenwarte, E-mail: [email protected]
Protestkundgebung/Demonstration
gegen die Visumspflicht für Kinder
am 26.06.1998 um 16.00 Uhr vor
dem Ordnungsamt Hannover, Leinsstr. 14. Veranstalter: ASKH e.V.,
Nds. Kulturzentrum der türkischen
Sozialdemokraten in Hannover e.V.
Tel.: 05 11/60 30 83 - Handy: 01
77 26 80 870
kein mensch ist illegal - Wir tau-
kein mensch ist illegal - Bilanz nach
einem Jahr und Perspektiven der Initiative. Auswertungs- und Perspektivenseminar der Göttinger Gruppe
der Initiative vom 26.-28.6.98 auf
dem Hohen Hagen.
Freizeitheim Linden: 20 Jahre But jerfest am 6. Juni 98 - 13.30 Uhr:
Festumzug vom Freizeitheim Linden
aus, 15.00 Uhr: Begrüßung und
Eröffnung durch OB H. Schmalstieg, danach: Musik, Tanz, Spiel
und Sport.
Aufruf zum Aktionscamp an der
deutsch-polnisch-tschechischen
Grenze vom 24. Juli bis 2. August
1998. Kontakt: Sommercamp, c/o
Forschungsstelle Flucht und Migration, Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin,
Tel.: 0 30/6 93 56 70, Fax:
.../6 93 83 18, e-mail:
[email protected], http://www.contrast.org/borders
Sommer-Camp im Wendland - ge waltfrei, ökologisch, ungehorsam.
Aktive aus allen Bewegungen treffen im Wendland zusammen, um
gemeinsam Aktionen zu planen,
Strategien zu entwickeln und Erfahrungen auszutauschen. Anmeldung,
Infos: Sommer-Camp im Wendland,
X-tausendmal quer, Bahnhofstr. 9,
29 479 Jameln, Fax: 0 58 83/4 14
Reisen ‘98 - Bildungsreisen der Lan desstiftungen der Heinrich Böll Stif tung. Aktuelles Programm anzufordern bei: Heinrich Böll Stiftung
Hamburg, Max-Brauer-Allee 116,
22765 Hamburg, Tel.:
0 40/3 89 52 70, Fax: 3 80 93 62
Mitarbeiterfortbildung, Fortbil dungsreihe für Multiplikatoren in
der Flüchtlingsarbeit. Tagungsort:
AWO Hannover, Marienstr. 14, Zeit
jeweils 10.00 bis 16.00 Uhr, Anmeldungen bis vier Wochen vor Veranstaltungstermin an: Gudrun Mane,
Geschäftsstelle Flüchtlingsrat in Hildesheim. Erster Termin: 23. Juni 98,
Thema: „Berücksichtigung von frauenspezifischen Verfolgungsgründen
in Asylländern/Frauenspezifische
Fluchtursachen“
Frauen zwischen Utopie und Rea lität. Die kurdische Frau im Spannungsfeld von Unterdrückung und
Befreiungskampf. Zweitägige Frauenkonferenz in Hamburg am 20. u.
21. Juni 98, jeweils von 10.00 bis
20.00 Uhr in der Handwerkskammer, Holstenwall 12, 20 355 Hamburg. Anmeldungen: prison watch
international e.V., Aktionsgruppe
Harburg-Land, c/o Sidik Aktan,
Todtglüsinger Str. 32, 21 255 Tostedt, Tel./Fax: 0 41 82/2 15 14 od.
.../28 90 32
Frieden, der gewählt ist, nicht auf gezwungen. 22. Dreijahreskonferenz vom 19. - 24.09.98. in Porec,
Kroatien. Die War Resisters’ International ist ein weltweites Netzwerk
unabhängiger Organisationen,
Gruppen und Einzelpersonen, die
nicht nur dem Krieg Widerstand leisten, sondern für die Beseitigung
der Kriegsursachen arbeiten. Eine
WRI-Dreijahreskonferenz wird FriedensaktivistInnen aus der Region
mit AktivistInnen aus vielen anderen
Ländern und allen Kontinenten für
einen Austausch über Erfahrungen
und Visionen und für die Erarbeitung neuer Strategien und Kooperationen zusammenbringen. Weitere Informationen:
http:77www.gn.apc.org/warresisters
„Integration und psychosoziale Ge sundheit“. 2. Tagung zur Transkulturellen Psychosomatik vom 20./21.
Juni 1998., Bad Fredeburg, Internistisch-Psychosomatische Fachklinik
Hochsauerland in Zusammenarbeit
mit der Deutsch-Türkischen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosoziale Gesundheit
e.V.
Fortbildungsseminar für Psychotherapie und psychosoziale Berufe. Das
Seminar wendet sich an Psychotherapeuten und Mitglieder psychosozialer Berufe, die sich in verbalen
und non-verbalen Interventionsformen selbst erfahren und fortbilden
wollen.
Anmeldungen beim Sekretariat der
Klinik, Fr. M. Jäger, zu den drei Buchen 2, 57 392 Bad Fredeburg, Tel.:
0 29 74/73 21 94, Fax: .../73 28 00
Universität Hildesheim: Symposium:
„Friedrich Konrad Hornemann
(1772-1801) aus Hildesheim - der
erste deutsche Afrikaforscher.
Beiträge zur Afrikaforschung einst
und heute vom 25.-26.9.98. Anmeldungen an: Uni Hildesheim, Institut für Sozialwissenschaften, Fr.
Burgemeister, Marienburger Platz
22, 31 141 Hildesheim, Tel.:
0 51 21/8 83-105, Fax: .../86 75 58
Seminar „Aktuelle Entwicklung des
Ausländerrechts“ am 20.06.98. Anmeldungen: GefAA, Gesellschaft für
Ausländer- und Asylrecht e.V., Landhausstr. 86 B, 70 190 Stuttgart
FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 53/54, Juni 1998