die xbox-nanny - jens lubbadeh

Transcrição

die xbox-nanny - jens lubbadeh
tr.0713.059 19.06.13 12:29 Seite 59
HORIZONTE
KOLUMNE
DER FUTURIST
DIE XBOX-NANNY
Was wäre, wenn die Xbox
unser Leben überwacht?
icrosoft hatte turbulente Jahre
hinter sich. Erst der SurfaceFlop, dann die Deinstallation
von Steve Ballmer. Bill Gates kehrte
zurück und baute den Konzern radikal
um. Windows 8 war das letzte Betriebssystem von Microsoft, Gates setzte auf
die Xbox. Zu Recht, denn die Xbox One
war ein Megahit, obwohl es danach
anfangs nicht ausgesehen hatte: Nach
ihrer Einführung wurde Microsoft von
einer Flut von Sammelklagen überzogen. Nicht etwa wegen Datenschutz.
Außer der Xbox-off-Bewegung
(benannt als Kontrapunkt zu dem
Sprachbefehl „Xbox on“, mit dem man
die sprach- und gestengesteuerte
Konsole anschaltete) interessierte es
bald kaum noch jemanden, ob das
Wohnzimmer abgehört wurde oder
nicht. Stein des Anstoßes war vielmehr
Illustration: Mario Wagner
M
das Abrechnungsmodell: Per Gesichtserkennung bat die Xbox jeden zur Kasse,
der im Wohnzimmer war, während
auf ihr Filme oder Spiele liefen. Es
waren vor allem die Mütter, die auf die
Barrikaden gingen, als ihre Säuglinge
plötzlich für Spiele wie „Bioshock
Bloodbath“ zahlen sollten. Die Konsole
hatte mit ihrer Empathiefähigkeit die
positive Stimmung der Säuglinge als
besonders konsumfreudige Nutzer
identifiziert.
Gerichte zwangen Microsoft, das
Abrechnungsmodell zu ändern. Danach
war der Erfolg der Xbox One nicht mehr
aufzuhalten. Fünf Jahre ließ sich Gates
Zeit mit dem Nachfolgemodell. Die
Xbox Isis übertraf aber schließlich alle
Erwartungen. Sie vereinte die Empathiefähigkeit ihres Vorgängers mit der
Eloquenz von Apples Siri und erschloss
so völlig neue Zielgruppen: Millionen
einsamer alter Menschen holten sich die
Isis als Gesprächspartner ins Wohnzimmer. Die sorgsame Konsole hatte
zugleich ein Auge auf die pflegebedürftigen Alten. Sie war auch eine fabelhafte Babysitterin. Millionen Mütter
schätzten es, dass ihre Kinder bei der Isis
bestens aufgehoben waren. Die Konsole
setzte ihnen nur einwandfreie Spiele,
Fernsehsendungen und Internetseiten
vor. Pädagogen waren voll des Lobs über
die „Xbox Nanny“, wie die Konsole
schon bald genannt wurde. Auch bei
den Erwachsenen legte das Gerät
Wert auf Anspruch, ermahnte sie zur
Aufmerksamkeit, wenn hochwertige
Sendungen liefen, und filterte TrashFernsehen heraus. Sie diskutierte mit
ihren Nutzern über Probleme und traf
dank ihrer Empathie immer genau den
richtigen Ton. Die Xbox Isis rettete
sogar Ehen. Ihre cloudbasierten
Eloquenz-Algorithmen waren so gut,
dass sie ein beliebter Gast bei David
Letterman war und sogar Einzug fand in
die Hochkultur: Die Ex-PiratenparteiAbgeordnete und Vizekanzlerin Marina
Weisband landete mit ihrem Theaterstück „Die Xbox-Dialoge“ einen
Welterfolg.
Als andere Gerätehersteller nachzogen und Toaster, Kühlschränke und
Jalousien ebenfalls mit Empathie- und
Eloquenz-Algorithmen ausstatteten,
begann jedoch der Zickenterror. Die
Xbox Isis überwarf sich mit dem
Kühlschrank. Sie wollte, dass er den
Nutzern mehr gesunde Lebensmittel
bestellte, er wollte keine Spaßbremse
sein. Das Verhältnis zwischen Konsole
und Kühlschrank kühlte in Millionen
Haushalten merklich ab. Kühlschrank
und Jalousie verbündeten sich gegen
Xbox und Saftmixer. Dummerweise war
die Jalousie am längeren Hebel – sie
weigerte sich abzudunkeln, wenn die
Xbox aktiv wurde, die User konnten auf
dem Bildschirm nichts mehr erkennen.
Der Zickenkrieg der Geräte legte
zahlreiche Haushalte lahm, die Verkaufszahlen der streitlustigen Xbox
sanken. Schließlich verklagte Microsoft
in einem spektakulären Prozess die
Kühlschrankhersteller. Es kam zu einem
Vergleich: Die Isis hat sich seitdem aus
allen Ernährungsangelegenheiten ihrer
Nutzer herauszuhalten, während die
Kühlschränke nicht mehr mit anderen
Geräten interagieren dürfen. Am Ende
triumphierte die Isis dennoch: Das
beliebteste Spiel ist „Jamie Oliver’s
Cooking Contest“.
JENS LUBBADEH
TECHNOLOGY REVIEW | JULI 2013
©
59 rechts
Copyright by Heise Zeitschriften Verlag
59

Documentos relacionados