LISZT-Magazin No 9 als PDF zum

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LISZT-Magazin No 9 als PDF zum
N°9
Sinfonischer Schulterschluss: Studierende proben mit der Staatskapelle Weimar | Gesten
der Verbundenheit: Israeli und Deutsche gemeinsam auf Tournee | Volles Rohr: Die neue Weimarer
Harmoniemusik | Besondere Energie: Studentin Anna Matz geigte mit den Berliner Philharmonikern
Liebe Leser,
es wäre reizvoll, einmal die Fotos der Immatrikulationsfeiern mit jenen der Zeugnisübergabe ein paar Jahre später zu vergleichen
und dabei eine Lupe in die Hand zu nehmen, um genauer in die
Gesichter hinein zu schauen. Haben sie sich verändert durch das
Studium? Mein Eindruck, rein impressionistisch, ohne statistische
Absicherung: Es ist im Antlitz der Absolventen das gleiche Leuchten, aber auch der gleiche gesammelte Ernst wie an dem Tag, da
sie Angehörige der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar geworden sind. Musiker, so scheint es, sind wegen der jahrelangen
Beschäftigung mit ihrem Metier bis zur Aufnahmeprüfung schon
viel reifer in ihrem Beruf als „normale“ Abiturienten.
Am Tag nach der Abschlussfeier beginnt, so sagt man, der Ernst
des Lebens. Wie der Sprung zu meistern sei, darüber gibt es an
den deutschen Musikhochschulen seit zwei Jahrzehnten eine heftige Diskussion. Sind die Musikberufe, ob solistisch, ob orchestral, ob
pädagogisch, ob wissenschaftlich, eine gute, eine sichere Lebensgrundlage? Und tun die Hochschulen genug, um schon während
des Studiums Kompetenzen für die Berufsrealität zu vermitteln?
Und wie sieht diese aus, heute, wo die Waagschale zwischen Festanstellungen und freien Berufen sich immer mehr zu letzteren neigt.
Die HfM versucht im Spannungsfeld zwischen reiner Kunst und
praktischem Musiker-Leben die Balance zu halten. Das A und O
aller Musik ist das Wort „Exzellenz“. Längst konkurrieren im Musikleben die Talente der ganzen Welt miteinander. Nationale Beschränkung gibt es bestenfalls noch in den Berufen im Schulwesen.
Unsere Studierenden zu musikalischer Exzellenz zu führen, ist also
die allererste Aufgabe der Lehrenden. Darum Individualunterricht,
Spielen in Ensembles aller Größen und Gewinnung von Podiumserfahrungen – das ganze Jahr über. Besondere Aufmerksamkeit gilt
der Vorbereitung der Instrumentalisten auf das Vorspiel bei Orchesterbewerbungen und bei internationalen Wettbewerben.
Unseren Studierenden bietet sich eine ganze Palette von Erfahrungen, welche die künftige Berufsrealität 1:1 spiegeln: im Hochschulorchester und den Chören, bei den Projekten des Operninstituts, im
Thüringer Opernstudio, bei der Mitwirkung als Substitut in den Thüringer Orchestern, bei der engen Zusammenarbeit mit der Jenaer
Philharmonie, bei den großen Orchesterprojekten wie dem Young
Philharmonic Orchestra Jerusalem Weimar, bei den jährlichen internationalen Wettbewerben und Meisterkursen der HfM. Auch selbst
organisierte studentische Projekte sind ausdrücklich erwünscht und
werden gefördert.
Ist das genug? Die Nachrichten, die uns von unseren Absolventen
in den ersten Jahren ihres Berufslebens erreichen, sind überwiegend positiv. Aber gut ist niemals gut genug. Wir halten die Augen
offen, um die Erwartungen unserer Studierenden auf best practice
auch in Zukunft erfüllen zu können.
Ihr
Christoph Stölzl
Präsident der Hochschule
für Musik Franz Liszt Weimar
Dazu musikwissenschaftliche und musiktheoretische Schulung,
Kompetenz in Pädagogik und Vermittlung für alle, nicht nur für
die Studierenden der Musikpädagogik. Und last but not least Einübung von Stressbewältigung und Selbstmanagement. Positiv für
die Berufschancen hat sich die Nachbarschaft von Musikwissenschaft und Kulturmanagement erwiesen.
Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015
3
Inhalt
6
Con fuoco: Lisztiges
Sinfonischer Schulterschluss
Dirigierstudierende proben mit der Staatskapelle Weimar große
Opern und Orchesterwerke
8
Agenten von morgen
Seit 2007 erlernen Kulturmanagement-Studierende im Verein
weim|art e.V. die Kunst der Künstlervermittlung
10
Preise, Stellen, Engagements
14
Die Performance zählt
Spezielles Coaching für Probespiele: Zum fünften Mal bot die
Hochschule ein GetReady-Intensivwochenende an
16
Kurz und bündig
8
weim|art e.V. vermittelt Studierenden seit
acht Jahren erfolgreich Auftritte ...
Con espressione: Weimarisches
18 Wachsende Nische
„Mr. Lied“ und seine Eleven: Beim zweiten hochschulinternen
Liedwettbewerb reüssierten drei Duos
20
Hinter den Kulissen
Der besondere Ort: Das Verwaltungsgebäude der Weimarer
Musikhochschule hat eine kuriose Geschichte
22
Unglaubliche Musik
„Herz und Mund und Tat und Leben“: Helmuth Rilling leitete die
2. Weimarer Bachkantaten-Akademie
24
Auf jeden Fall Chopin
Elfrun-Gabriel-Stipendium: Nadeshda Singer und José Andrés
Navarro Silberstein profitierten von der Förderung
26
Gesten der Verbundenheit
Studierende aus Jerusalem und Weimar bildeten erneut ein großes Orchester und gingen auf Tournee durch Deutschland und
Israel
30
Gegenseitig stärken
Drei Fragen an Daniel Kernchen, den neuen Intendanten der
Jenaer Philharmonie
32
Mittags bei Bach
„Punkrock“ in der Georgenkirche: Landeskapelle Eisenach spielte neue Werke von Weimarer Kompositionsstudenten
34
Kurz und bündig
Con moto: Grenzenloses
36 Antiquarischer Hauch
Musikwissenschaftlerin Michelle Sun absolvierte ein ErasmusSemester an der ehrwürdigen Sorbonne-Universität in Paris
38
Oktett vor dem Ölberg
Gemeinsames Konzert von Hochbegabtenzentrum und Hochschule für Musik in der Erlöserkirche in Jerusalem
Elfrun-Gabriel-Stipendium für Nadesh-
24 da Singer und José Andrés Navarro Silberstein
...
Michelle Sun studierte ein Semester lang an
36 der Sorbonne-Universität in Paris ...
40
Saudade in São Paulo
Kammerchor der Hochschule sang bei Erstaufführung von Arnold
Schönbergs Gurre-Liedern in Brasilien mit
42
Zweite Heimat
Professor Walter Hilgers debütierte als Dirigent bei der George
Enescu Philharmonie in Bukarest
44
Kurz und bündig
Weimarer Harmoniemusik heißt ein
46
neues sinfonisches Blasorchester ...
Con spirito: Wissenswertes
46 Volles Rohr
Wie klingt das? Posaunenprofessor Christian Sprenger über die
Gründung der Weimarer Harmoniemusik
48
Vergessene Schätze
Von der Edition zur Aufführung: Wiederentdeckung der Werke
Johann Melchior Molters
50
Integrale Kunst
Hochkultur als Hauptsache: Interview mit dem Weimarer Musikwissenschaftler Prof. Dr. Albrecht von Massow
52
Hinter der Zielscheibe
Erfolgreiche Erprobung von Lehrevaluation im „Netzwerk
Qualitätssicherung an Thüringer Hochschulen“
54
Alle Hürden genommen
Alt-Rektor Prof. Dr. Diethelm Müller-Nilsson über die Gründung
des Instituts für Musikwissenschaft vor 25 Jahren
56
Kurz und bündig
Ludger Vollmer ist ein erfolgreicher Opern-
58 Komponist und Weimar-Preisträger ...
Con brio: Persönliches
58 Permanenter Puls
Alumni Lisztiani: Der Komponist Ludger Vollmer ist auf der Opernbühne erfolgreich und erhielt 2014 den Weimar-Preis
60
Mein eigenes kleines Musikreich!
Studierende im Steckbrief: Polina Artsis, Valentino Worlitzsch,
Alina Nikitina und Arseni Sadykov
62
Einfach spielerisch
Leidenschaft statt Routine: Die französischen Brüder David und
Alexandre Castro-Balbi spielen sich in die erste Reihe
64
Besondere Energie
Die Weimarer Geigenstudentin Anna Matz spielte zwei Jahre
lang in der Orchester-Akademie der Berliner Philharmoniker
66
Kurz und bündig
68
Zugehört
Neue CDs unserer Studierenden, Lehrenden und Absolventen
71
Aufgelesen
Sieben Buch-Neuerscheinungen werden vorgestellt
73
Fundstück
Die Brüder Castro-Balbi starten in Thü-
62 ringen durch ...
Sinfonischer Schulterschluss
Dirigierstudierende proben mit der Staatskapelle Weimar
große Opern und Orchesterwerke
S
ie gewinnen die großen internationalen Wettbewerbe und
haben häufig schon vor Studienabschluss feste Stellen als
Kapellmeister oder Gastengagements bei renommierten Orchestern in der Tasche. Die bemerkenswerten Erfolge der Dirigierstudierenden an der Hochschule für Musik Franz Liszt
Weimar liegen wesentlich im großen Praxisbezug des Studiums begründet. Teils seit Jahrzehnten bestehen Kooperationen mit großen Orchestern, darunter der Jenaer Philharmonie, der Thüringen Philharmonie Gotha und vier Orchestern
in Tschechien, mit denen die Studierenden des Instituts für
Dirigieren und Opernkorrepetition regelmäßig zusammenarbeiten können. In diesen Kreis neu hinzugekommen ist im
Sommersemester 2014 die Staatskapelle Weimar als einziges
Thüringer A-Orchester. Bei einer Probe beobachtete Liszt-Magazin-Autorin Ina Schwanse, wie enthusiastisch beide Seiten
ans Werk gehen.
„Halte mehr Kontakt zu den Bläsern“, fordert Markus L. Frank, „und
dein Auftakt muss präziser sein.“ Mario Hartmuth nickt und hebt
Arme und Taktstock an, um Franz Liszts Sinfonische Dichtung Les
Préludes zu wiederholen. Jetzt ist es Frank, der nickt. Er ist zufrieden. Mario Hartmuth kann sich bei der Probe ausprobieren, gestalten, seine Ideen umsetzen. Und er hört sogleich das klangliche
Ergebnis dessen, was er mit weitschweifigen Armbewegungen
oder einer nur sanften Handdrehung vorgibt. Denn der Dirigierstudent übt nicht etwa allein im Unterrichtsraum, sondern steht vor
einem Profiorchester. Es ist die inzwischen dritte gemeinsame Probe
von Dirigierstudierenden der Weimarer Musikhochschule mit der
Staatskapelle Weimar in deren Probenraum.
Insgesamt acht Nachwuchsdirigenten stehen an diesem Tag Anfang Mai 2015 je zweimal am Pult, darunter nicht nur jene im
fortgeschrittenen Studium. Auch der junge Belgier Martijn Dendievel, der gerade ein Erasmus-Austauschjahr in Weimar absolviert,
kommt zum Zuge. Der 19-Jährige steht zum ersten Mal vor einem
deutschen Orchester und schwärmt: „Es ist toll, wie begeistert auch
die Musiker sind. Sie sehen, wie wichtig diese Chance für uns ist.“
Die Zusammenarbeit sei von unschätzbarem Wert. „Die Atmosphäre ist immer sehr positiv und angenehm“, erzählt auch Hartmuth,
der bisher bei jeder Probe dabei war und sein Studium inzwischen
erfolgreich abgeschlossen hat. Das Orchester fordere Professionalität, sei aber auch geduldig, selbst wenn bestimmte Stellen beim
dritten Mal immer noch nicht klappten.
Beherzte Ratschläge
Der Nordhäuser GMD Markus L. Frank und der Weimarer 1. Kapellmeister Martin Hoff greifen während der Proben immer wieder
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Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con fuoco: Lisztiges
beherzt mit Ratschlägen und Hinweisen in den Arbeitsprozess ein.
Beide betreuen als Lehrbeauftragte eine eigene Klasse an der „Weimarer Dirigentenschmiede“. Sie kennen also beide Seiten, Lehre
und Praxis. „Die Arbeit mit einem Spitzenorchester bringt mehr als
zehn Stunden reines Partiturstudium“, erklärt Martin Hoff zu Beginn
der Probe. Gemeinsam mit Orchesterdirektor Nils Kretschmer trieb
er die Kooperation auf Seiten der Staatskapelle voran. „Für uns ist
es selbstverständlich und gehört manifestiert, dass die Zusammenarbeit zweier Weimarer Institutionen wirklich gelebt wird“, betont
Kretschmer.
Seit dem Sommersemester 2014 kommt das Orchester daher nun
zweimal jährlich mit den Dirigierstudierenden zusammen. Für Prof.
Nicolás Pasquet ist damit ein lang gehegter Traum in Erfüllung
gegangen. „Die Proben bieten unseren Studierenden eine hervorragende Praxismöglichkeit, nicht zuletzt um Opernrepertoire und
große sinfonische Werke zu erarbeiten.“ Es geht aber auch um
scheinbar einfache Dinge: So lernen die jungen Dirigenten eben
bereits im Studium, ein Orchester zu führen und sich schnell auf
verschiedene Ensembles einzustellen. „Manchmal braucht es nur
einen Blick und nicht die großen Gesten, um die Musiker wissen
zu lassen, was sie spielen müssen“, hat Mario Hartmuth aus seiner
Arbeitsphase mit der Staatskapelle mitgenommen. Dass auch die
Orchestermitglieder hochmotiviert an die Arbeit gehen, weiß Orchesterdirektor Nils Kretschmer: „Es reizt die Musiker, verschiedene
Sichtweisen auf ein Stück kennenzulernen und auf jeden einzelnen
Dirigenten zu reagieren.“
Gute Übung
Kritik und Empfehlungen kommen daher auch direkt aus dem Orchester. In den Pausen werden in persönlichen Gesprächen zum
Beispiel der Blickkontakt oder der Einsatz der linken Hand genauso analysiert wie Tempo und Dynamik. Pauker Ingo Wernsdorf
schreibt jedem Studierenden seine Beobachtungen auf einen Zettel. „Eine sehr ehrliche und aufrechte Form, für die wir sehr dankbar
sind“, sagt Martijn Dendievel.
Für die Staatskapelle bedeuten die Proben immer auch einen
Spagat, denn das Orchester ist ein eingespieltes Team und weiß,
wie bestimmte Stellen zu spielen sind. „Anfangs waren wir sehr
wohlwollend“, erinnert sich Konzertmeister Gernot Süßmuth. „Inzwischen spielen wir jedoch genau das, was uns die Studierenden
tatsächlich zeigen.“ Die Geigen klingen dann schon mal lauter als
eigentlich vom Dirigenten geplant, und die Übergänge hören sich
nicht so weich an wie gewollt. Aber noch dürfen sie ja üben …
Ina Schwanse
Agenten von morgen
Seit 2007 erlernen Kulturmanagement-Studierende im Verein weim|art e.V.
die Kunst der Künstlervermittlung
E
inen nützlichen Einblick in die spätere Berufspraxis erhalten
Kulturmanagement-Studierende in Weimar. Dazu dient der 2007
gegründete Verein weim|art e.V., der nach dem Prinzip „Studierende vermitteln Studierende“ als externe Künstleragentur die
relativ große Nachfrage nach Musikerinnen und Musikern für
geschäftliche und private Anlässe bedient. Die jungen Agentinnen und Agenten vermitteln dabei ihre Musik studierenden Kommilitonen, die seit der Vereinsgründung auf 660 verschiedenen
Veranstaltungen auftraten. Eine Bilanz der bisherigen Arbeit
ziehen im Liszt-Magazin-Gespräch der Vereinsvorsitzende und
Kulturmanagement-Professor Dr. Steffen Höhne sowie weim|artGeschäftsführer Carsten Wernicke.
Höhne: Die Kunden wissen oft gar nicht so genau, was sie eigentlich haben wollen. Dann muss der Agent sie zwischen klassischer
und populärer Musik beraten. Er muss herausfinden, was der Kunde eigentlich möchte. Das Agenturgeschäft ist ja auch ein mögliches, späteres Berufsfeld.
Ist weim|art nach bald zehn Jahren ein Erfolgsmodell?
Höhne: Ja! Es gab zwar Höhen und Tiefen, auch manchmal nicht
so gute Agenten, oder einen Auftragseinbruch zur Fußball-WM.
Insgesamt gab es jedoch über die Jahre hinweg einen stetigen Anstieg bei den Buchungen.
Prof. Dr. Steffen Höhne: Die Idee entstand aus Gesprächen mit den
Studierenden. Die Hochschule erreichten vermehrt Anfragen nach
Musikern für außeruniversitäre Veranstaltungen. Da hatte ich die
Idee, das zu externalisieren, indem man die Kulturmanagement-Studierenden ins Kulturgeschäft lenkt. Daraus entstand die Idee, eine
hochschuleigene Künstleragentur auf Vereinsbasis zu gründen. Es
sollte ja kein kommerzielles Unternehmen werden, sondern im Nonprofit-Bereich agieren und an die Hochschule andocken. Bei einer
GmbH haben sie ganz andere Zielstellungen und rechtliche Hürden. Ein Verein muss zudem keinen Gewinn erzielen.
Wernicke: Zum Beispiel haben wir 2011 ein Gagenvolumen von
rund 20.000 Euro gehabt, das hat sich bis 2013 auf 40.000 Euro
pro Jahr verdoppelt. Das Geld geht in Form von Honoraren komplett an die Musikerinnen und Musiker. Die Provision, die für den
Kunden oben drauf kommt, dient hauptsächlich als Bezahlung für
unsere Agenten. Abgesehen von der Musikhochschule in München
ist weim|art ein Alleinstellungsmerkmal im Bereich der Kulturmanagement-Ausbildung. Und die Münchner Agentur geht auf eine
ehemalige Weimarer Studentin zurück ... Ich kenne sonst keine
Vereinsstruktur, die Musiker vermittelt und zusätzlich studentische
Projekte betreut. In dieser Hinsicht ist es eine Erfolgsgeschichte! Die
Mitarbeiter haben später oft gute Jobs gekriegt, sie sind zum Beispiel Kulturamtsleiter geworden. Entstanden ist zudem das Literaturfestival juLi im juni, das 2015 zum 13. Mal stattfand.
Wer sind Ihre Kunden?
Welchen Nutzen ziehen Studierende konkret daraus?
Carsten Wernicke: Großkunden waren bisher das Deutsche Nationaltheater und die Klassik Stiftung Weimar, z. B. für den Opernball
oder auch Sommerfeste. Wir vermitteln auch Musiker für Firmenfeiern, z. B. aus der Möbelindustrie, oder neulich an eine Produktionsfirma von Sat1/Pro7. Bei den Privatkunden geht es meistens um
Hochzeiten und Geburtstage. Einmal hat jemand für seinen Geburtstag die ganze Wartburg angemietet, unseren Musikern wurde
sogar die Übernachtung bezahlt.
Höhne: Sie erlernen das Agenturgeschäft in kleinem Rahmen: Verträge schließen, Kundengespräche, Künstler-Akquisition, Beratung.
Der Verein weim|art e.V. entlastet auch die Weimarer Musikhochschule von den vielen Anfragen. Er ist zudem ein gutes Dach, um
zum Beispiel Förderanträge für studentische Projekte wie juLi im juni
oder acoustic meets zu stellen, das ist über die Hochschule komplizierter. Damit kann man auch kleine Projekte flexibel umsetzen.
Herr Prof. Höhne, Herr Wernicke, was war der Grund für die
Gründung?
Und was für Musik wird nachgefragt?
Wernicke: Wir vermitteln rund 40 Prozent Jazzmusiker und 60
Prozent klassische Musiker, hauptsächlich an Geschäftskunden. Privatkunden, die z. B. Musik für Hochzeiten bestellen, machen nur
30 Prozent aus! Streichquartette sind häufig gefragt, weniger oft
Klarinetten- oder Gitarrenduos, auch mal ein Akkordeonist. Das
Problem ist oft, dass ein Flügel fehlt. Deshalb können wir Musik mit
Klavier nur selten vermitteln. Ausnahme sind die Jazzer, die oft ihre
eigenen Keyboards mitbringen.
Wernicke: Unser derzeitiger Agent hat gerade eine Anfrage von
einer größeren Agentur für ein Praktikum erhalten … Und dann ist
es auch eine gute Erfahrung für die Musikerinnen und Musiker: Sie
können ihr Studium ein bisschen refinanzieren und lernen, wie man
an Agenturen herantritt und mit ihnen umgeht. Wir bieten da einen
geschützten Raum und rechtliche Absicherung. Die Musiker lernen
auch, was ihr „Marktwert“ ist – was sie auf dem Markt verdienen
können.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Jan Kreyßig.
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Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con fuoco: Lisztiges
Preise und Auszeichnungen
April bis September 2015
Kaspar Reh
Dirigieren | Opernkorrepetition
Gesang
Dominik Beykirch (Klasse Prof. N. Pasquet, Prof. G. Kahlert und M. Hoff): Verleihung des Ernst-von-Schuch-Preises für besonders herausragende Stipendiaten
des Dirigentenforums des Deutschen Musikrats
André Callegaro (Klasse Prof. N. Pasquet und Prof. G. Kahlert): Franz-Liszt-Preis
2015 der Gesellschaft der Freunde und Förderer der Hochschule für Musik
Franz Liszt Weimar e.V.
Tung-Chieh Chuang (Klasse Prof. N. Pasquet und M. L. Frank): 1. Preis beim
Internationalen Malko-Wettbewerb für Junge Dirigenten in Kopenhagen (Dänemark)
Mario Hartmuth (Klasse Prof. N. Pasquet und Prof. G. Kahlert): 3. Preis beim
6. Dirigierwettbewerb der Mitteldeutschen Musikhochschulen mit dem MDR
Sinfonieorchester
Lorenzo Viotti (Klasse Prof. N. Pasquet und Prof. M. L. Frank): Gewinner des
Nestlé and Salzburg Festival Young Conductors Award
Polina Artsis, Mezzosopran (Klasse Prof. Dr. M. Lanskoi): 1. Preis beim 9.
Internationalen Karl-Adler-Musikwettbewerb in Stuttgart, gemeinsam mit Pianistin
Elitsa Desseva (Klasse Prof. B. Szokolay)
Franziska Eberhardt, Sopran (Klasse B. Ebel): 1. Preis beim Gesangswettbewerb im Rahmen des Vokalmusik-Festivals Tampereen Sävel in Tampere
(Finnland) mit ihrem a-cappella-Ensemble Sjaella
Estibaliz Martyn, Sopran (Klasse Prof. S. Gohritz): 2. Preis beim Concurso
Internacional de Canto Un futuro DEARTE in Medinaceli (Italien)
Mikhail Timoshenko, Bass-Bariton (Klasse Prof. Dr. M. Lanskoi): Finalist beim
34. großen Internationalen Gesangswettbewerb Hans Gabor „Belvedere“ in
Amsterdam mit mehr als 1300 Teilnehmern, Spezialpreis der Deutschen Oper
am Rhein Düsseldorf (Gastengagement)
Gitarre
Niklas Johansen (Klasse Prof. R. Gallén): 1. Preis beim 21. Concorso Internazionale di Chitarra in Mottola (Italien) und 2. Preis beim Guitar Festival Rust
Olga Kamornik und Asya Selyutina (Klasse Prof. T. Müller-Pering): Als Koshkin Guitar Duo 1. Preis beim 3. BorGuitar Festival in Borgo Val di Taro (Italien),
1. Preis beim 3. Internationalen Khorev Gitarrenwettbewerb in Sankt-Petersburg
(Russland) sowie 2. Preis beim Gitarrenwettbewerb in Gorizia (Italien)
Danilo Kunze (Klasse Prof. J. Rost): 2. Preis in Alterskategorie II beim Internationalen Anna-Amalia-Gitarren-Wettbewerb in Weimar
Elementare Musikpädagogik | Rhythmik
Prof. Marianne Steffen-Wittek: Verleihung der Ehrennadel des Landesmusikrats
Thüringen e.V. für besondere Verdienste um die Musikkultur in Thüringen
Cheng Xie (Klasse Prof. M. Steffen-Wittek): Publikumspreis für sein Bühnenstück
Taiji beim Internationalen Rhythmik-Festival in der Akademie Remscheid
Fagott
Valeria Curtis (Klasse Prof. F. Forst): Finalistin des Young Artist Competition for
Bassoon der International Double Reed Society (IDRS) in Tokio (Japan)
Kaspar Reh (Klasse Prof. F. Forst): 2. Preis beim Young Artist Competition for
Bassoon der International Double Reed Society (IDRS) in Tokio (Japan)
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Anna Lysenko und Mai Shinada
Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con fuoco: Lisztiges
Klarinette
Julius Valentin Ockert (Klasse Prof. T. Johanns): 2. Preis beim Lions-Musikpreis
2015 für Klarinette (regional) in Zerbst
Preise und Auszeichnungen
April bis September 2015
Denis Yakovlev
Tamara Steinmetz (Klasse Prof. T. Johanns): 3. Preis beim Lions-Musikpreis
2015 für Klarinette (regional) in Zerbst
Konstantin Werner (Klasse Prof. T. Johanns): 1. Preis beim Lions-Musikpreis
2015 für Klarinette (regional) in Zerbst mit Weiterleitung zum DeutschlandWettbewerb in Bamberg
Klavier
Olessya Koberstein und Kang Liu (Klasse Prof. P. Waas): 2. Preis im Klavierduo beim 18. International Music Competition Pietro Argento in Gioia del Colle
(Italien)
Anna Lysenko (Klasse Prof. B. Szokolay): 3. Preis (Kat. G) beim 17th Euterpe
Music Competition in Corato (Bari, Italien) und 1. Preis im Klavierduo Skokoduo
mit Mai Shinada
Mai Shinada (Klasse Prof. B. Szokolay): 2. Preis (Kat. H) beim 17th Euterpe
Music Competition in Corato (Bari, Italien) und 1. Preis im Klavierduo Skokoduo
mit Anna Lysenko
José Navarro Silberstein (Klasse Prof. B. Szokolay): 1. Preis beim 5th International Competition Young Academy Award (Kat. D) in Rom
Olga Zarytovska (Klasse Prof. G. Gruzman): 1. Preis beim Internationalen
Klavierwettbewerb ClaviCologne in Aachen
Kulturmanagement
Liedgestaltung
Polina Artsis, Mezzosopran (Klasse Prof. Dr. M. Lanskoi): 1. Preis beim 9.
Internationalen Karl-Adler Jugend-Musikwettbewerb in Stuttgart, gemeinsam mit
Pianistin Elitsa Desseva (Klasse Prof. B. Szokolay)
Olga Kamornik und Asya Selyutina
Musikwissenschaft
Prof. Dr. em. Detlef Altenburg: Verleihung der Ehrenmitgliedschaft durch die
Gesellschaft für Musikforschung
Prof. Dr. Helen Geyer: Verleihung des Bundesverdienstkreuzes Ende September
2015 in der Staatskanzlei durch den Thüringer Ministerpräsidenten Bodo
Ramelow
Prof. Dr. Christiane Wiesenfeldt: Ordentliches Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig (Philologisch-historische Klasse)
Schlagwerk
Violoncello
Martin Knörzer (Klasse Prof. W. E. Schmidt): 1. Preis mit seinem Quartett beim
Internationalen Beethoven-Kammermusikwettbewerb in Polen
Camille Thomas (Klasse Prof. W. E. Schmidt): Auswahl für die Fernsehshow
Stars von morgen des deutsch-französischen Senders ARTE (Moderation: Rolando Villazón)
Denis Yakovlev (Klasse Prof. M. Leoson): 2. Preis beim Enkor International
Music Competition for Brass and Percussion
Prof. Dr. Steffen Höhne: Wahl in den Vorstand des Collegium Carolinum
(München)
Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con fuoco: Lisztiges
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Stellen und Engagements
April bis September 2015
Joanna Wydorska
Dirigieren | Opernkorrepetition
Gesang
Dominik Beykirch (Klasse Prof. N. Pasquet, Prof. G. Kahlert und M. Hoff): 2.
Kapellmeister der Staatskapelle Weimar sowie Aufnahme in zweite Förderstufe
und in die „Künstlerliste“ des Dirigentenforums des Deutschen Musikrats
Hsin-Chien Chiu (Klasse Prof. J. Puschbeck): Chordirektorin und Kapellmeisterin
am Theater Hof
Ustina Dubitsky (Klasse Prof. G. Kahlert und M. L. Frank): Gewonnenes Probedirigat für die Leitung des Collegium Musicum Weimar in der Nachfolge von
Sergi Roca
Mario Hartmuth (Klasse Prof. N. Pasquet und Prof. G. Kahlert): 2. Kapellmeister der Meininger Hofkapelle am Südthüringischen Staatstheater Meiningen
Niklas Hoffmann (Klasse Prof. G. Kahlert, M. L. Frank und Prof. N. Pasquet):
Chefdirigent der Akademischen Orchestervereinigung der Uni Göttingen
Johannes Köhler (Klasse Prof. J. Puschbeck): Aufnahme in das Dirigentenforum
des Deutschen Musikrats und „Bach vocal“-Förderpreis des Carus-Verlags
Mónica Presno (Klasse Prof. U. Vogel): Solorepetitorin mit Dirigierverpflichtung
am Deutschen Nationaltheater Weimar (Zeitvertrag)
Maria Kalesidis, Sopran (Klasse Prof. Dr. M. Lanskoi): Solo-Vertrag am Theater
Pforzheim, dort Hauptpartien der Poppea (Die Krönung der Poppea von Monteverdi) und Abigaille (Nabucco von Verdi)
Raffaela Lintl (Absolventin Klasse B. Ebel): Mitglied des Opernstudios am
Theater Lübeck
Anika Ram, Mezzosopran (Klasse S. Lahm): Gastvertrag Bühne Solo am
Deutschen Nationaltheater Weimar
Mikhail Timoschenko, Bass-Bariton (Klasse Prof. Dr. M. Lanskoi): Aufnahme in
die Künstlerliste der internationalen Künstleragentur Agency Massis Operá
Eleonora Vacchi, Mezzosopran (Thüringer Opernstudio, Klasse Prof. S.
Gohritz/S. Lahm): Bundesweite Auswahl für das zentrale Nachwuchsvorsingen
durch die ZAV-Künstlervermittlungen als eine der besten zehn SängerInnen
Joanna Wydorska, Koloratursopran (Klasse Prof. Dr. M. Lanskoi): Opernstudio am Staatstheater Kassel; Partie der Blonde in Mozarts Die Entführung aus
dem Serail an der Opéra National de Lyon in der Spielzeit 2015/16
Salomon Zulic del Canto, Bariton (Klasse Prof. J. Beyer): Bundesweite Auswahl für das zentrale Nachwuchsvorsingen durch die ZAV-Künstlervermittlungen
Flöte
Fátima Jiménez Agüero (Klasse Prof. W. Hase): Stipendiatin des IOIA-Projekts
2015 (Internationales Orchesterinstitut Attergau, ein Projekt der Wiener Philharmoniker)
Pia Scheibe (Klasse Prof. U.-D. Schaaff): Solo-Piccolo mit Verpflichtung zur
2./3./4. Flöte in der Jenaer Philharmonie (Zeitvertrag)
Maximilian Wabner (Klasse Prof. W. Hase): Flötist im MDR Sinfonieorchester
Leipzig (Praktikum)
Niklas Hoffmann
Horn
Maria Altmannshofer (Klasse Prof. J. Brückner): Solohornistin im Orchester des
Stadttheaters Bremerhaven (Festanstellung mit Probezeit)
Valentin Eschmann (Klasse Prof. J. Brückner): Gewonnenes Probespiel für
Hohes Horn im Osnabrücker Symphonieorchester
Christina Hambach (Klasse Prof. J. Brückner): Stellvertretende Solohornistin der
Jenaer Philharmonie (Zeitvertrag)
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Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con fuoco: Lisztiges
David Torres Cantón (Klasse Prof. J. Brückner): Mitglied im Orchester der
Tiroler Festspiele Erl
Stellen und Engagements
April bis September 2015
Henriette Mittag
Paul Wolf (Klasse Prof. J. Brückner): Gewonnenes Probespiel für die Junge
Deutsche Philharmonie
Komposition
Alex Vaughan (Klasse Prof. J. Arnecke): Preis des Deutschen Akademischen
Austauschdienstes (DAAD) 2015
Keitaro Shimizu
Seonil Kwak (Klasse Prof. M. Leoson): Substitut der Thüringen Philharmonie Gotha
Pedro Rosenthal (Klasse Prof. M. Leoson): Substitut der Staatskapelle Weimar
und der Thüringen Philharmonie Gotha
Trompete
Peng Pai (Klasse Prof. U. Komischke): 1. Trompeter im Xian Symphony Orchestra
Keitaro Shimizu (Klasse Prof. U. Komischke): Trompeter in der Mitteldeutschen
Kammerphilharmonie (Praktikum) Kontrabass
Christoph Haaß (Klasse Prof. D. Greger): Substitut der Staatskapelle Weimar
sowie Mitglied im European Union Youth Orchestra
Viola
Musikwissenschaft
Prof. Dr. Martin Pfleiderer: Wissenschaftlicher Beirat des rock‘n‘popmuseum
Gronau
Dominik von Roth: Museumspädagoge, Konzertdramaturg und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Heinrich-Schütz-Haus in Weißenfels
Magdalena Brune (Klasse Prof. E. W. Krüger & Prof. D. Leser): Stellv. Solobratschistin an der Oper in Kairo (Festanstellung)
Henriette Mittag (Klasse Prof. E. W. Krüger & Prof. D. Leser): Mitglied in der
Mendelssohn-Orchesterakademie des Gewandhausorchesters Leipzig
Hanna Pakkala (Klasse Prof. E. W. Krüger & Prof. D. Leser): Solo-Bratschistin im
Ostrobothnia Chamber Orchester in Kokkola (Festanstellung)
Ekaterina Subkowa (Klasse Prof. E. W. Krüger & Prof. D. Leser): Mitglied in der
„Joseph Joachim Akademie“ der NDR Radiophilharmonie Hannover
Posaune
Tamas Asztalos (Klasse Prof. C. Sprenger): Gewonnenes Probespiel als Soloposaunist des Pannon Philharmonic Orchestra (Pecs, Ungarn)
Hans-Peter Oberlander (Klasse Prof. C. Sprenger): Orchesterakademie des
Philharmonischen Orchesters Erfurt
Marco Vogel (Klasse Prof. C. Sprenger): Gewonnenes Probespiel als Bassposaunist des Jerusalem Symphony Orchestra
Peter Vörös (Klasse Prof. C. Sprenger): Solobassposaunist der Staatskapelle
Berlin (Zeitvertrag)
Schlagwerk
Marnisch Ebner (Klasse Prof. M. Leoson): Praktikumsstelle bei den Hofer
Symphonikern
Hsiao-Hung Lee (Klasse Prof. M. Leoson): Substitut der Thüringen Philharmonie
Gotha
Violine
Niklas Jensen (Klasse Prof. M.-L. Leihenseder-Ewald): Praktikumsstelle im MDR
Sinfonieorchester Leipzig
Deborah Jungnickel (Klasse Prof. Dr. F. Eichhorn): Gewonnenes Probespiel für
die Position der 1. Violine in der Dresdner Philharmonie (Festanstellung)
Ute Klemm (Klasse Prof. Dr. F. Eichhorn): 2. Violine im WDR Sinfonieorchester
Köln (Festanstellung nach bestandenem Probejahr)
Anna-Katharina Rothe (Hochbegabtenzentrum, Klasse Prof. A. Lehmann):
Mitglied des Bundesjugendorchesters
Annekatrin Tharan (Klasse Prof. A. Lehmann): Substitutin der Staatskapelle
Weimar
Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con fuoco: Lisztiges
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Die Performance zählt
Spezielles Coaching für Probespiele: Zum fünften Mal bot die Hochschule ein
GetReady-Intensivwochenende an
„F
rüh übt sich, was ein Meister werden will“, heißt es in Schillers Wilhelm Tell. Das gilt natürlich uneingeschränkt auch für
das Musizieren – und den eigenen Auftritt bei entscheidenden Konzerten oder Probespielen. Die Hochschule für Musik
Franz Liszt Weimar bot daher bereits zum fünften Mal ein
GetReady-Intensivwochenende an. In zahlreichen Seminaren
und Workshops erhielten rund 30 Studierende Ende April
2015 Tipps für einen möglichst reibungslosen Karrierestart.
Hinter die Kulissen der Kurse blickte Liszt-Magazin-Autorin
Nastasia Tietze.
Fünf entscheidende Minuten. Das Orchesterprobespiel ist eine äußerst spezielle Situation: die Präsenz, die Position auf der Bühne,
das Atmen ... In kürzester Zeit müssen Musiker nicht nur musikalische Perfektion beweisen, sondern auch das „Drumherum“ – die
Performance – muss stimmen. Selbst eine Banalität wie etwa ein
zu hohes Notenpult kann ungeahnte Auswirkungen haben. Tritt der
Musiker beim Spielen beispielsweise nicht mit der Jury in Kontakt,
springt der Funke nicht über: Das Probespiel ist verloren.
Zum Glück kann man diese Situation üben. Und damit die Studierenden der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar die besten Voraussetzungen haben, wurden sie beim GetReady-Intensivseminar
von einem Spezialisten gecoacht: Johannes Backhaus, Leiter des
Orchesterbüros beim Symphonieorchester des Bayrischen Rundfunks, blickt auf 30 Jahre Berufserfahrung als Musiker und Manager zurück. In einem simulierten Probespiel begaben sich mutige
Studierende in die entscheidende Bewerbungssituation – und wurden dabei gefilmt.
Wie im Ernstfall
Gefordert waren neben einem Solokonzert auch Probespielstellen – jene besonders kniffligen Passagen aus dem gängigen
Orchesterrepertoire. Also alles wie im Ernstfall. Am nächsten Tag
folgte dann die Auswertung mit Dozent und Kursteilnehmern. Philip Schunn fiel es wie Schuppen von den Augen, als er sich selbst
zusah: „Mein Verhalten im Video entspricht gar nicht dem Gefühl,
das ich in der Situation hatte.“ Der Tubist wollte sich besonders viel
Zeit nehmen, um sein Spiel vorzubereiten, die Noten aufzustellen
und die Musik vorauszudenken. Die Beweisaufnahme zeigte aber:
Seine Bewegungen waren eher hektisch und unüberlegt.
Genau darauf wollte Dozent Johannes Backhaus hinaus: „Time
Management ist das A und O. Die Jury merkt an minimalen Faktoren, ob ihr gut vorbereitet seid. Daran lesen sie eure Motivation
ab“, sagt er. Auch Geheimtipps hatte Backhaus parat: „Wenn ein
Intonationsfehler passiert, bastelt an eurem Instrument rum. So weiß
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Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con fuoco: Lisztiges
die Jury, dass ihr es bemerkt habt“. Den Studierenden wurde klar,
dass ein Probespiel viel mehr Vorbereitung braucht als ein normales Konzert. Fünf perfekt choreographierte Minuten sind notwendig, um einen überzeugenden Gesamteindruck zu hinterlassen.
Wie man zu einem selbstbewussten Aufritt gelangt, konnte beim
GetReady-Wochenende darüber hinaus im Kurs von Pete Josephs
vertieft werden. Der anerkannte Musikertherapeut brachte den
Studierenden bei, wie Spielsicherheit erworben und Lampenfieber
abgebaut werden können. Seine Strategie: Mentales Training. Und
dennoch: Ein herausragender Musiker zu sein und mit Probespielsituationen umgehen zu können – das sind zwei Paar Schuhe. Auch
angesichts der sinkenden Planstellen in öffentlich finanzierten Orchestern müssen sich Musikerinnen und Musiker heutzutage neue
Berufsfelder erschließen.
Welche alternativen Berufswege es zur Orchesteranstellung gibt,
zeigte daher die Berufsberaterin Elke Siebert. Mit subtil gestellten
Fragen brachte sie die Workshop-Teilnehmer zum Nachdenken.
Überlegungen zu eigenen Stärken und Motiven, aber auch dem
tatsächlichen Bedarf auf dem Arbeitsmarkt sollten dazu führen,
individuelle Berufswege zu konzipieren. Dabei erschienen solche
Gedanken manchen als sehr ungewohnt – fast wie ein Tabu. Denn
für viele war der Orchesterberuf seit der Kindheit das große Ziel.
Reflexionen zum Berufsfeld
Als ein übergreifendes Motiv der Teilnehmerinnen und Teilnehmer
stellte sich der Wunsch nach Selbstverwirklichung heraus. „Meine
Stärken liegen in Ehrgeiz, Sensibilität und Empathie. Neben der
Musik betreibe ich Feldenkrais auf hohem Niveau. Warum nicht
diese beiden Leidenschaften miteinander verbinden?“, überlegte eine Kursteilnehmerin. Die Idee, ein für Musiker spezialisiertes
Feldenkrais-Programm anzubieten, entpuppte sich für sie als reizvolle Alternative. Einem anderen Teilnehmer wurde allerdings klar,
dass Unterrichten oder Management weniger attraktive Berufsfelder für ihn sind. Auch zur Bestärkung des ursprünglichen Ziels „Orchestermusiker“ kann die Reflexion also führen.
Weitere Kurse zum Berufseinstieg für Instrumentalpädagogen sowie zum Thema Vertragsrecht rundeten das GetReady-Intensivwochenende ab. Die Studierenden der Weimarer Musikhochschule
erhielten viele Informationen und Tipps, um sich beim Übergang
vom Studium in das Berufsleben besser zurechtzufinden. Besonders ein Punkt, der im Studienalltag manchmal vergessen wird,
blieb den Teilnehmern der GetReady-Kurse besonders in Erinnerung: dass sie viele Handlungsspielräume haben.
Nastasia Tietze
Con fuoco
Kurz und bündig
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Purer Enthusiasmus
Musikvermittlung mit Leidenschaft ist eine Spezialität von Stephan Mai. Und er tut dies nicht nur verbal, sondern vielmehr
als Primus inter pares von der ersten Geige aus. Der langjährige Konzertmeister der Berliner Akademie für Alte Musik ist auf Beschluss des Senats neuer Honorarprofessor für
„Historische Aufführungspraxis auf modernen Instrumenten“
der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar. Im Rahmen
des Dies Academicus am 143. Geburtstag der Hochschule
am 24. Juni 2015 wurde ihm offiziell seine Ernennungsurkunde überreicht. Saitensprünge heißt die Konzertreihe, die seit
vielen Semestern das klingende Ergebnis der Lehrtätigkeit
Stephan Mais in Weimar darstellt. Immer wieder gelingt es
ihm dabei, motivierte Studierende zu spritzigen Kammerensembles zu formen. „Er ist ein höchst engagierter Musiker, der
institutsübergreifend herausragende Projekte realisiert und
leitet“, sagt der Weimarer Geigenprofessor Dr. Friedemann
Eichhorn. Studierende wie Kollegen wüssten seine motivierende Haltung, seinen hohen Anspruch und seinen Enthusiasmus für die Musik sehr zu schätzen. „Stephan Mai prägt auf
einzigartige Weise die Ausbildung an der Hochschule auch
im Fach Violine“, sekundiert die Dekanin der Fakultät I, Prof.
Anne-Kathrin Lindig.
Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con fuoco: Lisztiges
Neuseeländische Vox coelestis
In der Orgelszene der Vereinigten Staaten hat er sich als
Preisträger dreier renommierter Wettbewerbe bereits einen
Namen gemacht: Nun gewann der neuseeländische Organist Thomas Gaynor (im Bild) zudem noch den 1. Preis des
3. Internationalen BACH | LISZT Orgelwettbewerbs ErfurtWeimar. Der mit 12.000 Euro dotierte Preis wurde von der
Commerzbank-Stiftung gestiftet. Den mit 8.000 Euro dotierten 2. Preis, gestiftet von den Thüringer Bachwochen, erspielte
sich die Organistin Anna-Victoria Baltrusch aus Deutschland.
Der 3. Preis, dotiert mit 5.000 Euro und gestiftet vom Freistaat Thüringen, ging an Chelsea Barton aus den USA. Den
Sonderpreis für die beste Bach-Interpretation in Höhe von
1.000 Euro, gestiftet von der Neuen Liszt Stiftung Weimar, erhielt Martin Rabensteiner aus Italien. Zum 3. Internationalen
BACH | LISZT Orgelwettbewerb waren 18 Organistinnen
und Organisten aus 11 Ländern nach einer Vorauswahl eingeladen worden. Feierlich zu Ende ging der Wettbewerb mit
dem Preisträgerkonzert und der Preisverleihung am 11. Oktober 2015 um 18:00 Uhr im Erfurter Dom. Veranstaltet wurde
der hochkarätige Wettstreit von der Hochschule für Musik
Franz Liszt Weimar in Kooperation mit der Landeshauptstadt
Erfurt und dem Dom zu Erfurt.
Con fuoco
Kurz und bündig
Vielstimmiges Unisono
Wie der Weimarer Liszt-Klavierwettbewerb ist auch er Mitglied der World Federation of International Music Competitions: der Joseph Joachim Kammermusikwettbewerb an der
Weimarer Musikhochschule. Zum siebten Mal wird der internationale Wettstreit nun vom 1. bis zum 8. April 2016 im Festsaal Fürstenhaus ausgerichtet. Ensembles in den Besetzungen
Streichtrio und Streichquartett sowie Klaviertrio und Klavierquartett sind herzlich eingeladen, vor der hochkarätigen Jury
in drei Wertungsrunden die hohe Kunst der Klangverschmelzung unter Beibehaltung individueller Ausdrucksnuancen zu
demonstrieren. Anmeldeschluss ist der 4. Januar 2016. Den
Juryvorsitz hat die Weimarer Violinprofessorin Anne-Kathrin
Lindig inne. Das Repertoire umfasst drei vor 1830 komponierte Werke, drei Werke der Romantik sowie ein nach 1900
komponiertes Werk. Eigens für den Joseph Joachim Kammermusikwettbewerb gab es außerdem unter den mitteldeutschen Musikhochschulen einen kleinen Kompositionswettbewerb. Die preisgekrönten Werke der Kategorie Streichtrio/
Streichquartett werden nun als Pflichtstücke im April 2016 zu
hören sein. Den besten Teilnehmern winken Preise und Sonderpreise im Gesamtwert von mehr als 20.000 Euro. Nähere
Informationen: www.hfm-weimar.de/joachim
Klavieristische Kompetenzen
Improvisation ist für manche Klavierstudierende eine Herausforderung in der Musikausübung: Nicht jeder bewegt sich
außerhalb des Notierten mühelos auf den Tasten. Doch gerade für künftige Musiklehrer sind die Kompetenzen der freien
Improvisation sowie auch des Vom-Blatt- und Partitur-Spiels
ganz wesentlich für eine lebendige Vermittlung des Unterrichtsstoffs. Die Bedeutsamkeit dieser Fähigkeiten unterstreicht
alle zwei Jahre der Bundeswettbewerb Schulpraktisches Klavierspiel, der vom 28. April bis 1. Mai 2016 zum 13. Mal an
der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar ausgetragen
wird. Teilnehmen können Studierende, die zum Zeitpunkt des
Wettbewerbs in der Studienrichtung Lehramt Musik immatrikuliert sind. Anmeldeschluss ist der 1. März 2016. Eine siebenköpfige Jury unter Vorsitz von Prof. Dr. Ortwin Nimczik
(Detmold) wird in den Kategorien Liedspiel, Partitur- und VomBlatt-Spiel sowie Improvisation jeweils einen Preis vergeben
– und möglicherweise auch wieder einen Gesamtsieger mit
1.500 Euro auszeichnen. Veranstalter des Wettbewerbs ist
die Weimarer Musikhochschule in Zusammenarbeit mit dem
Bundesverband Musikunterricht (BMU) und der Braunschweiger Klavierbau-Manufaktur Grotrian–Steinweg. Nähere Informationen: www.schupra-wettbewerb.de
Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con fuoco: Lisztiges
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Wachsende Nische
„Mr. Lied“ und seine Eleven:
Beim zweiten hochschulinternen Liedwettbewerb reüssierten drei Duos
A
ufregung lag in der Luft. Ursprünglich sollte der Wettbewerb
erst eine Stunde später beginnen. Da sich aber überraschend
mehr als zwanzig Ensembles angemeldet hatten, wurde der Beginn kurzerhand vorverlegt. Erfreulicherweise zog das Publikum
mit: Der Festsaal Fürstenhaus im Hauptgebäude der Weimarer
Musikhochschule füllte sich an diesem Dienstag im April 2015
ganz allmählich mit interessierten Besuchern. Gespannte Erwartung lag auch in den Gesichtern der Jury, die den zweiten
hochschulinternen Wettbewerb für Liedduos zu begleiten und zu
bewerten hatten. Liszt-Magazin-Autorin Ute Böhner wohnte dem
Wettstreit in diesem besonders intim wirkenden Genre bei.
Die Hochschule selbst schien in diesem Frühjahr „ganz Lied“ zu
sein. Verschiedene Liederabende hatten unter der Federführung
von Prof. Thomas Steinhöfel bereits auf den Internationalen Liedduowettbewerb für Studierende im niederländischen Enschede
vorbereitet. Unmittelbar im Anschluss hatte Liedgestaltungsprofessor Karl-Peter Kammerlander die 7. Weimarer Liedtage terminiert.
Diese boten vom 12. bis zum 14. April ein ausdrucksvolles und
vielfältiges Programm mit Musik und über Musik. Darin eingebettet
lag der hochschulinterne Liedwettbewerb, dessen erneutes Zustandekommen nach der Erstausgabe 2009 unter anderem dem Kreativfonds der Hochschule zu verdanken war.
Stand das Fernweh in seinen verschiedenen Formen während der
Liedtage im Vordergrund, lag beim Wettbewerb der Fokus eher auf
der Vielseitigkeit der Duos. Prof. Kammerlander fasste den Sinn des
Wettstreits in einem einzigen schönen Satz zusammen: „Gesucht wurden nicht die klangvollste Sängerin und der virtuoseste Pianist, sondern eben ein Duo, bestehend aus zwei ebenbürtigen, versierten Musikern mit starker darstellerischer Energie, die sich in Demut, aber auch
großer Kraft am selbstgegebenem Programm profilieren können.“
Im Schatten der Arie
Die jeweils 20-minütigen Programme entführten die Hörer quer
durch Europa und schufen Landschaften und Szenen, wie sie typischer für diese Gattung nicht sein konnten. Verehrer des Kunstlieds
oder einfach bloß Romantiker kamen hier voll auf ihre Kosten. Romantisch? Das (Kunst-)Lied begann eigentlich schon in der Zeit des
Barock zu wachsen und zu blühen, doch zunächst noch stark im
Schatten der Arie.
Erst als Teile der bürgerlichen Mittelschicht im Europa des 19. Jahrhunderts im Zuge der industriellen Revolution Zeit und Muße fanden, sich dieser speziellen Kunstform intensiv zu widmen, entstanden
Salons, in denen die Liedpflege in Abgrenzung zum Volkslied und
zum Kirchenlied einen größeren Raum einnahm.
Die herrschende Oberschicht mit Adel und Klerus stand dabei mit
ihren repräsentativen und exklusiven Aktivitäten den bürgerlichen
Tugenden, wie etwa dem Interesse an Kultur und Bildung oder der
Geselligkeit und Bescheidenheit, eher entgegen.
Doch nun zurück in die Gegenwart: Ob auf Russisch, Deutsch oder
Französisch gesungen wurde, die Darbietungen beim Wettbewerb
mussten in kürzester Zeit den Charakter der jeweiligen Sprache
einfangen und die Liedtexte dem Zuhörer vermitteln. Vorbildlich
gerieten die aussagekräftigen Programmhefte zur Begleitung.
Es erklangen auch Lieder auf Spanisch und Italienisch sowie ein
paar vereinzelte Überraschungen auf Tschechisch, Englisch oder
Polnisch.
Ungebrochene Kraft
Für die deutsche Sprache gilt bekanntlich Franz Schubert in aller
Welt als „Mr. Lied“. Sein inneres Streben nach Melodien, die dem
Text entsprechen, seine Auseinandersetzung mit den dramatischen
Aspekten der poetischen Stücke, die er in Klang umzusetzen versuchte, haben bis heute nichts von ihrer Kraft verloren. Und das
reizt bis heute immer wieder neu zur Beschäftigung mit diesem
ganz speziellen Liederstil, in dem sich Sprache, Gesang und Begleitung zu einem neuen Ganzen verbinden.
Am Ende des langen und intensiven Wettbewerbstages gewann
schließlich das Duo Polina Artsis (Mezzosopran) und Elitsa Desseva (Klavier). Sie erhielten den mit 1.000 Euro dotierten 1. Preis.
Der 2. Preis in Höhe von 800 Euro ging an das Liedduo Mikhail
Timochenko (Bass-Bariton) und Olga Zarytovska (Klavier). Den mit
700 Euro dotierten 3. Preis gewannen der Sänger Hankyul Lee
und die Pianistin Eun-Jee Ko. Für Ideengeber und Organisator
Karl-Peter Kammerlander bestätigte die große Zahl der Wettbewerbsteilnehmer „eine im Vorfeld kaum vorstellbare Resonanz und
Begeisterung“, die inzwischen an der Hochschule gewachsen sei.
Etwas abseits der „großen“ Angebote für Sänger und Pianisten hat
sich das Lied längst einen Platz geschaffen, der größer als die ihm
gern zugewiesene Nische zu sein scheint. Schon seit vielen Jahren
werden Kurse für französisches, russisches, italienisches und modernes Lied angeboten – und sorgen so für ein Alleinstellungsmerkmal
Weimars in der Musikhochschullandschaft. Von den Verantwortlichen angestrebt wird derzeit ein Weimarer Masterstudium in der
Liedgestaltung. Zwar bleibt die Beschäftigung mit der Kunstgattung
Lied in der Klavier- und Gesangsausbildung auch künftig eine schöne „Nebensache“, bietet aber den Studierenden die Möglichkeit,
beim gemeinsamen Musizieren ihre Sensibilität für den Klang der
Sprache zu verfeinern.
Ute Böhner
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Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con espressione: Weimarisches
Hinter den Kulissen
Der besondere Ort: Das Verwaltungsgebäude
der Weimarer Musikhochschule hat eine kuriose Geschichte
V
or 100 Jahren war das Gebäude im privaten Besitz eines herzoglichen Mundkochs namens Rößler. Heute beherbergt es weite Teile der Verwaltung der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar: das Verwaltungsgebäude als so genanntes Rößlersches
Haus am Platz der Demokratie – vis-à-vis der Herzogin Anna
Amalia Bibliothek. Ursprünglich standen dort einmal drei Wohnund Geschäftsgebäude, die hinter einer Kulissenfassade im Laufe vieler Jahrzehnte zusammenwuchsen. In der Rubrik „Der besondere Ort“ erzählt Liszt-Magazin-Autor Wolfram Huschke die
interessante Geschichte des Rößlerschen Hauses.
Diese bauliche Situation ist schon sehr seltsam: Geht der interessierte Wanderer vom Weimarer Marktplatz zum Platz der Demokratie,
passiert er eine Mauer, an der eine Tafel hängt. Die besagt, dass
irgendwo hier die beiden berühmtesten Söhne Johann Sebastian
Bachs (und seiner Ehefrau, die ein wenig vergessen ist) geboren
sein sollen. Sucht er nach dem Irgendwo, und geht er um die Mauer herum, steht er auf einem großen Parkplatz. Hm! Rechts die Abluftrohre des Hotels Elephant, links ein abgeschnittenes Haus, eine
hohe glatte Mauer. Darauf ein kluger Spruch von Kurt Tucholsky:
„Wegen ungünstiger Witterung fand die deutsche Revolution in der
Musik statt.“
Verlässt der Wanderer den Parkplatz und geht um das abgeschnittene Haus herum, steht er verwundert vor dessen schöner klassizistischer Fassade. Traut er sich nun aus purer Neugier noch in dieses
zu einer Musikhochschule gehörende Gebäude hinein, wird seine
Konfusion komplett: Nix mit Klassizismus, sondern pure moderne
Funktionalität, dabei lichtdurchflutet und luftig gestaltet.
Differenzen zwischen Außen und Innen
Das Verwaltungsgebäude der Hochschule für Musik Franz Liszt
Weimar, direkt gegenüber der Herzogin Anna Amalia Bibliothek,
die seit dem Brand von 2004 jeder kennt, und rechtwinklig zum
Hauptgebäude Fürstenhaus gelegen, verblüfft den wachen Blick
nicht nur durch scharfe stilistische Differenzen zwischen Außen und
Innen. Auch ein Widerspruch zwischen jener vielversprechenden
Fassade und einer so geringen Gebäudetiefe, dass (fast) nur Arbeitsräume zum Platz hin möglich sind, ist offenkundig. Flur und
Lichtschacht werden von der fensterlosen „Tucholsky-Mauer“ begrenzt. Nur der hintere Teil erinnert vom Dach her ein wenig an ein
Haus, hat Fenster auch nach Süden und sogar vier nach Westen.
Erklärlich ist das alles nur aus historischer Entwicklung plus daraus
resultierendem Denkmalschutz. Wagen wir den Versuch einer Kurzfassung.
Ursprünglich standen hier zwei Häuser: nach Norden der Fürstenkeller mit Front zum Markt hin und südlich dahinter sein Hinterhaus. Dazwischen gab es einen schmalen Verbindungsbau, der
als Holzstall fungierte. Als nach dem Brand des Residenzschlosses
Wilhelmsburg 1774 die herzogliche Familie in das eben erbaute
Fürstenhaus einzog, bedurfte der Platz davor – bislang der Garten des Grünen Schlosses (seit 1766 Bibliotheksgebäude) – auch
an seiner dritten, der westlichen Seite, einer würdigen Einfassung.
Nach Norden, zur ebenfalls dreiseitigen Residenzschlossruine hin,
sollte er offen bleiben.
Ein Jahrzehnt lang duldete man die unbefriedigende Lage auf der
westlichen Platzseite. Um 1785 fiel die theatralisch anmutende
Grundentscheidung zu einer Verbesserung: Hatte man hier schon
kein repräsentatives Gebäude, sondern nur ein inadäquates dreiteiliges Konglomerat, musste man eben durch eine vorgeblendete
Kulissenfassade einen ganz anderen Eindruck erwecken. Diese
Entscheidung hatte Bestand, als 100 Jahre später dem Fürstenhaus
Kolonnaden (Säulen) vorgestellt wurden und der Platz damit – einschließlich Großherzog Carl August hoch zu Pferde – sein bleibendes Aussehen erhielt.
Übergabe an die Hochschule
Hinter der Kulissenfassade waren die nun drei Gebäude bei verschiedenartiger Nutzung als Wohn- und Geschäftsgebäude im
Laufe der vielen Jahrzehnte zusammengewachsen. Die Eigentümer
wechselten. 1909 bis1936 befand sich das Drei-in-eins-Haus letztmals in Privatbesitz, in dem der Familie eines ehemaligen herzoglichen Mundkochs namens Rößler. Nach dieser Familie heißt es
bis heute Rößlersches Haus. Als 1936 Reichsstatthalter Sauckel die
untere Hälfte des Fürstenhauses für seine Belange beanspruchte,
wurden die dadurch verdrängten Polizeibehörden in das angekaufte Rößlersche Haus umgesiedelt. 1951 wurde es dann, nach dem
Umzug der Landesbehörden in die nunmehrige Landeshauptstadt
Erfurt, an die Musikhochschule übergeben.
Es blieb Verwaltungsgebäude. Als solches lernten wir Studenten
der 1960er Jahre es kennen, arg verbaut mit leicht unterschiedlichen Geschosshöhen und vielen unansehnlichen Ecken. Im Zuge
der Grundsanierung der zukunftsfähigen Hochschulgebäude in
den 1990er Jahren wurde es dann entscheidend weiterentwickelt.
Dieser überaus aufwändige Prozess dauerte bis zum April 1999.
Und so steht heute hinter einer klassizistischen Fassade ein zwar
schmales, aber funktionstüchtiges modernes Verwaltungsgebäude.
Seine fensterlose Rückseite harrt eines neuen Nachbarn, der anstatt des Parkplatzes hier erstehen könnte ...
Prof. Dr. Wolfram Huschke
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Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con espressione: Weimarisches
Unglaubliche Musik
„Herz und Mund und Tat und Leben“:
Helmuth Rilling leitete die 2. Weimarer Bachkantaten-Akademie
H
elmuth Rilling zeichnete 1985 für die erste Gesamtaufnahme aller Kantaten Johann Sebastian Bachs verantwortlich, im
Jahr 2000 folgte die erste Gesamteinspielung sämtlicher Werke
Bachs. Er ist zudem Gründer und langjähriger Leiter der Gächinger Kantorei und des Bach-Collegiums Stuttgart, der Internationalen Bachakademie Stuttgart und des Oregon Bach Festival
(USA). Im August 2015 leitete Rilling nun zum zweiten Mal eine
Bachkantaten-Akademie in Weimar, als Kooperationsprojekt der
Thüringer Bachwochen mit der Weimarer Musikhochschule. Die
Proben im Festsaal Fürstenhaus mündeten in das grandiose Abschlusskonzert in der bis in die Emporen mit begeistertem Publikum gefüllten Eisenacher Georgenkirche. Bei diesem Konzert
wirkte unter anderem auch die Weimarer Geigenstudentin Sophia Rasche als Konzertmeisterin mit. Liszt-Magazin-Autor Jens
Haentzschel befragte Helmuth Rilling zu seiner Motivation.
Herr Rilling, Weimar, Arnstadt, Mühlhausen, Eisenach, Leipzig:
Sie sind viel während der diesjährigen Akademie unterwegs.
Hat Ihnen Weimar nicht mehr gereicht?
Helmuth Rilling: Weimar ist unverändert ein wunderbarer Ort für
unsere Akademie. Die jungen Menschen genießen es sehr, in so
einer schönen, historisch reichen Stadt zu sein. Dass wir dieses
Jahr auch die anderen Thüringer Bachorte besuchen, hängt mit
den Kantaten zusammen, die wir einstudiert haben: Es geht um die
frühen Werke aus Mühlhausen und Arnstadt, aber auch um jene
Kantaten, die Bach in Thüringen schrieb und in Leipzig noch einmal
überarbeitete. Für diese Kantaten reisen wir an die authentischen
Orte, was für unsere Teilnehmer ein großes Erlebnis ist.
Sie arbeiten seit Jahrzehnten mit Bachs Musik. Entdecken Sie
noch Neues?
Rilling: Durchaus, das hört nie auf. Wir sprechen hier nicht über
Entdeckungen, die die Musikgeschichte auf den Kopf stellen, aber
es passiert mir immer wieder, dass ich bei der Vorbereitung auf ein
Werk ganz erstaunliche Stellen finde. Das versuche ich dann auch
den Studenten zu zeigen, so dass sie Bachs Musik besser kennenlernen. Unsere jungen Musiker in diesem Jahr sind sehr neugierig,
interessiert, hoch talentiert: Ihnen einen tieferen Einblick in Bachs
Musik zu verschaffen, ist für mich auch noch einmal eine Herausforderung.
Die Bachkantaten-Akademie findet nun zum zweiten Mal statt.
Was ist der Reiz an dieser Art des Meisterkurses?
Rilling: Generell ist es immer reizvoll, mit jungen Musikern zu arbeiten. Sie kommen ja aus allen Teilen der Welt und haben ganz
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Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con espressione: Weimarisches
unterschiedliches Wissen, sehr andere Erfahrungen. Wenn sie nun
hier in Bachs Heimat seiner Musik näherkommen, ist es ein intensives Erlebnis, dort Wissen weitergeben zu können. Die Studenten
sind über die Maßen interessiert und nehmen nach den zwei Wochen einen immensen Schatz an Bach-Erfahrung mit. Dass das an
einem historischen Bachort wie Weimar besonders gut funktioniert,
versteht sich von selbst.
Proben, Reisen, Konzerte, Proben. Das Tagespensum ist außerordentlich. Bei den Proben hatte ich aber den Eindruck, dass auch
nach einer Woche die Freude noch spürbar ist …
Rilling: Natürlich ist eine solche Akademie für alle Beteiligten sehr
fordernd. Aber alle sind ja freiwillig hier und kommen mit großen
Erwartungen. Die Studenten wissen, dass es für sie eine Chance
ist, sie lernen nicht nur von erfahrenen Dozenten, sondern können
sich ausprobieren, müssen lernen, gemeinsam das Beste aus der
Musik herauszuholen. Wie schnell aus über 60 Menschen aus 18
Ländern ein Klangkörper wird, das ist für alle ein faszinierender
Prozess.
Sie gelten als Erfinder der „Gesprächskonzerte“. Was ist der
Reiz dieser Konzertform für Sie?
Rilling: Wir alle lieben Bachs Musik und hören sie ja bei verschiedenen Gelegenheiten. Mein Eindruck ist aber, dass sich diese einzigartige Musik erst richtig erschließt, wenn man den Text und die
Musik als Einheit besser versteht. Bach hat ja die Musik als Medium
zur Vermittlung des Textes verstanden, es lohnt also, genau hinzuschauen, was er uns sagen möchte. Wenn wir etwa in Mühlhausen in der Divi Blasii Kirche sind, wo Bach als 21Jähriger diese
unglaubliche Musik geschrieben und uraufgeführt hat, dann sind
wir ihm schon sehr nah: Sich hier noch intensiver mit seinem Werk
auseinanderzusetzen, bringt für die Interpreten und das Publikum
einen großen Gewinn.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Jens Haentzschel.
Der Nachdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung der
Thüringischen Landeszeitung (TLZ).
Auf jeden Fall Chopin
Elfrun-Gabriel-Stipendium: Nadeshda Singer
und José Andrés Navarro Silberstein profitierten von der Förderung
V
or drei Jahren wurde die Stiftung Elfrun Gabriel als Treuhandstiftung am Liebhabertheater Schloss Kochberg gegründet. Die
Stiftung fördert herausragende junge Pianistinnen und Pianisten
der Musikhochschulen in Weimar und Leipzig, an denen die
2010 verstorbene Pianistin Elfrun Gabriel einst selbst studiert
hatte. Neue Jahresstipendien vergab die Jury – bestehend aus
Altmagnifizenz Prof. Rolf-Dieter Arens und Prof. Peter Waas (beide Weimar), Prof. Gerald Fauth (Leipzig) und dem Stiftungsbeauftragten Prof. Dr. Herfried M. Schneider – zuletzt im Oktober
2015 bei einem Auswahlvorspiel im Festsaal Fürstenhaus der
Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar. Liszt-Magazin-Autor
Jan Kreyßig sprach mit dem aktuellen Stipendiaten José Andrés Navarro Silberstein und der früheren Stipendiatin Nadeshda
Singer sowie zwei Juroren über diese wertvolle Unterstützung.
Ein wesentliches Anliegen des Elfrun-Gabriel-Stipendiums sei es,
den Studierenden möglichst viele Auftrittsmöglichkeiten zu bieten.
Neben einer monatlichen Förderung in Höhe von 300 Euro sowie
der Hilfe bei Auslandsaufenthalten und internationalen Wettbewerben sei dies der wichtigste Zweck, erklärt Prof. Dr. Herfried M.
Schneider. Der emeritierte Professor der Wirtschaftswissenschaften
an der TU Ilmenau wirkt als stellvertretender Vorsitzender des Fördervereins Liebhabertheater Schloss Kochberg e.V. und hat das
Stipendium 2012 ins Leben gerufen: „Inzwischen haben wir ein
Netzwerk für Konzertauftritte etabliert, das eigentlich sehr gut funktioniert.“
So hatten die beiden Stipendiaten des Jahres 2015, Robert Bily
von der Hochschule für Musik „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig und José Andrés Navarro Silberstein von der Weimarer Musikhochschule, seit Jahresbeginn bereits gemeinsame Auftritte in Weimar, Kochberg, Ilmenau und Leipzig. José Navarro Silberstein gab
zudem Solo-Rezitals in Schloss Molsdorf bei Erfurt, im SchumannHaus in Zwickau sowie im Palais in Bad Köstritz. „Im SchumannHaus Zwickau habe ich die Humoreske op. 20 von Schumann und
die späten Klavierstücke op. 119 von Brahms gespielt“, erinnert
sich der 20-jährige Pianist, der seit 2014 in der Weimarer Klavierklasse von Prof. Balázs Szokolay ein Bachelorstudium absolviert.
Deutsche Vorfahren
Navarro Silbersteins deutsche Urgroßeltern waren im 2. Weltkrieg
nach Südamerika ausgewandert, und noch heute profitiert der junge Bolivier mit einer doppelten Staatsbürgerschaft von dieser Ahnenreihe. Er plant seinen Bachelor für das Jahr 2017 – genau wie
seine Weimarer Kommilitonin Nadeshda Singer, die im Studienjahr
2013/14 von der Stiftung Elfrun Gabriel gefördert worden war.
Singer, die Hauptfach Klavier bei Prof. Grigory Gruzman studiert,
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Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con espressione: Weimarisches
hat ebenfalls deutsche Vorfahren. „Im 2. Weltkrieg wurde meine
ganze Familie in ein rein deutsches Dorf in Kasachstan deportiert“,
erzählt die 24-Jährige.
Ihr Großvater Friedrich Singer hatte sechs Kinder, allesamt Musikerinnen und Musikern, die gemeinsam im Familienorchester auftraten. Ihre Mutter wurde in Piatigorsk im Süden Russlands geboren
und studierte Klavier in Rostov am Don bei Prof. Rimma Skorochodova. Nadeshda Singer trat bei derselben Professorin in ihre Fußstapfen. Seit dem Sommersemester 2012 lebt und studiert sie nun
in Weimar.
„Für mich war das Elfrun-Gabriel-Stipendium wichtig, weil ich nicht
nur Geld für die Miete und die Krankenversicherung bekam, sondern eben auch gute Konzertmöglichkeiten“, zeigt sich die Klavierstudentin dankbar. Im April 2013 hatte sie zunächst den Rachmaninow-Wettbewerb für Junge Pianisten gewonnen, spielte direkt im
Anschluss dann erfolgreich für das Stipendium vor.
Kreativität und Fantasie
„Es müssen auf jeden Fall ein Werk von Chopin und ein klassisches
Werk dabei sein“, erläutert Juror Prof. Peter Waas die Bedingungen. Damit wird auch die Namensgeberin des Stipendiums, Elfrun
Gabriel, gewürdigt, deren pianistischer Schwerpunkt auf dem romantischen Repertoire lag. „Wir erwarten beim Vorspiel auf jeden
Fall Kreativität und Fantasie in der Gestaltung und musikalische
Ausstrahlung“, so Waas über einige der Auswahlkriterien. Nicht
immer entschieden die Juroren einstimmig, es gebe mitunter auch
„ganz konträre Einzelmeinungen“, doch am Ende würde man sich
immer einigen.
Der Initiator des Stipendiums und Ehemann von Elfrun Gabriel,
Prof. Dr. Herfried M. Schneider, verweist auch auf den wechselseitigen Nutzen: „Ich bekomme ebenso viel zurück wie ich hineingebe.
Die jungen Leute sind dankbar, und es macht mir viel Freude, mich
um sie zu kümmern.“ Es würden sich intensive Gespräche mit den
Studierenden ergeben, man erfahre viel über ihren Werdegang
und die gesamte Szene der heutigen Musikausbildung. Der derzeitige Stipendiat José Andrés Navarro Silberstein erzählt von einer
regelrechten Freundschaft, die ihn inzwischen mit Prof. Schneider
verbindet. Er habe ständig Auftritte und sei hoch motiviert, hierfür
neue und interessante Werke einzustudieren: „Die finanzielle Hilfe
ist zweitrangig, die Konzerte sind wichtiger!“
Jan Kreyßig
Bild rechts: José Andrés Navarro Silberstein und Nadeshda Singer
Gesten der Verbundenheit
Studierende aus Jerusalem und Weimar bildeten erneut ein großes Orchester
und gingen auf Tournee durch Deutschland und Israel
S
ie gehören verschiedenen Kulturkreisen an, pflegen unterschiedliche Musiktraditionen und haben doch eine Vergangenheit, die sie für immer miteinander verbindet. Zum vierten Mal
seit der Projektgründung im Jahr 2011 kamen Studierende der
Musikhochschulen in Weimar und Jerusalem zu gemeinsamen
Proben und Konzerten zusammen. Als Young Philharmonic Orchestra Jerusalem Weimar konzertierten sie unter der Leitung
von Michael Sanderling zunächst im August 2015 in Weimar,
Wolfsburg, Berlin und Chorin. Die Tournee führte die jungen Musikerinnen und Musiker im Oktober 2015 dann zu Auftritten nach
Rishon LeZion, Jerusalem und Tel Aviv. Liszt-Magazin-Autorin Ina
Schwanse begleitete die zweiwöchige Projektphase in Deutschland.
Als der letzte Ton verklungen ist und das Publikum dem Orchester noch immer eifrig applaudiert, fallen sich die Musikerinnen
und Musiker auf der Bühne plötzlich in die Arme. Freude zeichnet
ihre Gesichter. Ein Augenblick des Glücks und der Verbundenheit.
„Das war total spontan. Aber es hat sich in diesem Moment richtig
angefühlt“, erzählt die israelische Flötistin Anat Nazarathy. Dieses Konzert am 2. August in Weimar ist der erste von insgesamt
vier Auftritten in Deutschland. Eine achttägige Probenphase liegt
hinter dem 70-köpfigen Young Philharmonic Orchestra Jerusalem Weimar (YPOJW), das sich je zur Hälfte zusammensetzt aus
Studierenden der Jerusalem Academy of Music and Dance und
der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar. Aus einzelnen Musikerpersönlichkeiten, die zudem geprägt sind von verschiedenen
Spielkulturen, hat Dirigent Michael Sanderling einen Klangkörper
geformt. Über Orchestererfahrung verfügen sie natürlich alle. Und
als Studierende einer Musikhochschule stehen sie tagtäglich im
Austausch mit Kommilitonen aus anderen Ländern und Kulturen.
„Das Musikalische, das Freundschaftliche, das Miteinander steht
im Vordergrund“, fasst Bratschist Lucas Freund seine Eindrücke vom
Projekt zusammen.
Nach dem Auftaktkonzert in Weimar reisen die Ensemblemitglieder zunächst nach Wolfsburg, um anschließend in Berlin das
Young Euro Classic zu eröffnen, eines der wichtigsten Festivals für
Jugendorchester weltweit. Zu Konzertbeginn fragt Moderator Ulrich Deppendorf die Musikerinnen und Musiker, wer aus Jerusalem und wer aus Weimar komme. Nicht ein geschlossener Block,
sondern immer einzelne Personen erheben sich von ihren Stühlen.
Seit das YPOJW im Jahr 2011 gegründet wurde, bilden israelische
und deutsche Mitglieder nicht etwa Instrumentengruppen für sich,
sondern verteilen sich auf das gesamte Ensemble und sitzen sogar
jeweils zusammen an einem Notenpult. „Das Konzert hat in außergewöhnlicher Weise gezeigt, was junge Menschen gemeinsam
bewegen können. Wir haben heute Abend die deutsch-israelische
26
Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con espressione: Weimarisches
Zukunft gehört“, betont Yakov Hadas-Handelsman, Botschafter des
Staates Israel in Deutschland, nach dem ausverkauften Konzert im
Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt.
Sehr emotionale Momente
Ein Ensemble aus jungen Musikerinnen und Musikern aus Jerusalem und Weimar – das ist auch 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges immer noch eine besondere Konstellation. „Ich
denke oft über die Geschichte der Juden nach, lese sehr viel, nicht
nur über die Geschehnisse während des Zweiten Weltkrieges“, so
Pianist Philip Solomonick aus Jerusalem. Sich zu erinnern sei heute
wichtiger denn je. An einem Nachmittag besuchen die Studierenden daher das ehemalige Konzentrationslager Buchenwald auf
dem Ettersberg oberhalb Weimars und diskutieren mit Mitarbeitern
der Gedenkstätte. „In der Schule habe ich die geschichtlichen Fakten gelernt, aber leider kaum etwas über die Menschen, denen das
Unrecht widerfahren ist“, erzählt der israelische Bratschist Yakov
Geller. Buchenwald zu besuchen sei ein sehr emotionaler Moment
gewesen.
Zugleich herrscht eine Stimmung des Aufbruchs im Orchester. Die
Vergangenheit schwebt freilich immer über Projekten wie dem
Young Philharmonic Orchestra Jerusalem Weimar. Doch schwebt
sie in immer größerer Höhe und wird als vergangen akzeptiert. „Es
hängt vor allem von den Menschen ab, mit denen man zusammenarbeitet, und weniger, dass Deutsche und Israeli zusammen spielen“, so Yakov Geller. Die Weimarer Hornistin Vanessa Reußner
ergänzt: „Der Reiz war groß, Israeli kennenzulernen und die Geschichte aus einer anderen Perspektive zu erleben. Besonders finde ich, dass wir durch die Musik das Rollendenken vergessen und
einfach gemeinsam musizieren können.“ Auch wenn die Proben
und die anschließende Konzertreise straff durchgeplant sind, bleibt
bei den gemeinsamen Abendessen in der Weimarer Mensa oder
bei den Führungen durch die Autostadt Wolfsburg und im Schloss
Sanssouci in Potsdam Zeit zum persönlichen Austausch. Vanessa
Reußner lädt an einem Abend einige israelische Studierende zu
sich nach Hause ein, wo sie gemeinsam israelisch kochen. „Ich
habe die israelische Kultur als sehr herzlich und freundlich kennengelernt“, meint Cellist Alexander Letsch aus Weimar.
Das Leben teilen
„Wir versuchen, die jetzige Generation von Israeli und Deutschen
zusammenzubringen in der vielleicht einfachsten Art, nämlich in der
Sprache der Musik“, so Michael Sanderling. Der Chefdirigent der
Dresdner Philharmonie leitet das YPOJW nach 2013 zum zweiten
Mal und ist insbesondere von der „fantastischen Atmosphäre“ begeistert. Auch die Studierenden der beiden beteiligten Musikhoch-
schulen sind mit Herzblut dabei. Giuliana Carfagnini meldete sich
umgehend zum Projekt an, nachdem ihr ihre beiden Mitbewohner,
die 2013 Teil des Orchesters waren, vom Projekt erzählt hatten.
„Was mir wirklich gefällt, ist, dass wir auch unser Leben geteilt haben“, so die Jerusalemer Fagottstudentin.
Andere Orchestermitglieder sind bereits zum zweiten oder sogar
dritten Mal dabei. Posaunist Marco Vogel aus Weimar und Geigerin Anat Pagis aus Jerusalem – beide nahmen an den drei großen
Projektphasen 2011, 2013 und 2015 teil – sind inzwischen ein
Paar; seit September 2015 lebt Marco Vogel in Jerusalem, wo er
eine Stelle als Bassposaunist beim Jerusalem Symphony Orchestra
angetreten hat. Cellist William Weil wiederum wechselte zum Wintersemester 2015/16 für ein Kontaktstudium nach Weimar.
Gemeinsame Sprache
Dass sich die israelischen und deutschen Orchestermitglieder einander in den vergangenen Jahren angenähert haben, davon ist
Yesha‘ayahu Ginzburg überzeugt. Der Geiger und Bratschist von
der Jerusalem Academy of Music and Dance spielt ebenfalls seit
2011 im Young Philharmonic Orchestra Jerusalem Weimar. „Von
Projekt zu Projekt kommen sich beide Parteien immer näher und fühlen sich wohler miteinander. Wir entwickeln inzwischen regelrecht
eine gemeinsame ‚Sprache‘.“
Freundschaft steht indes als Leitgedanke über dem Orchesterprojekt und spiegelt sich auch im Konzertprogramm wider. Eigens für
das deutsch-israelische Projektorchester hat der israelische Komponist Ziv Cojocaru das Stück Links.Metamorphosis geschrieben, das
er als „Geste der Verbindung zwischen Kulturen und Musiktraditionen“ verstanden wissen will. Er habe lange darüber nachgedacht,
wie er menschliche Beziehungen und Verbindungen mit musikalischen Mitteln darstellen könne. „Einige der Übergänge sind sehr
weich, andere wiederum sehr brachial – beides bedingt schließlich
eine Veränderung“, so der 1977 geborene Komponist, Dirigent,
Arrangeur und Pianist.
28
Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con espressione: Weimarisches
Eine Uraufführung spielen zu dürfen schätzen viele Orchestermitglieder als außergewöhnliche Erfahrung. Tief beeindruckt zeigen
sie sich aber auch von Kurt Weills 2. Sinfonie, die der Komponist
jüdischer Abstammung 1934 in seinem Pariser Exil beenden musste. Insbesondere bei der Einstudierung von Dmitri Schostakowitschs
Cellokonzert Nr. 1 können sich die jungen Musikerinnen und Musiker ganz auf Dirigent Michael Sanderling verlassen. Dank der
Freundschaft seines Vaters zu Schostakowitsch vermag er die Chiffren in dessen Musik zu entschlüsseln wie kaum ein anderer.
„Er ist sehr inspirierend und impulsgebend“, erzählt Hornistin Vanessa Reußner. Wenn Sanderling über das Cellokonzert spreche,
sei es, als wäre der Komponist selbst anwesend. Komplettiert wird
das Programm durch Peter I. Tschaikowskys Fantasie-Ouvertüre
Romeo und Julia. „Für Romeo und Julia gibt es kein Happy End,
wie jeder weiß. Aber ich glaube, dass wir, Deutsche und Israeli,
auf dem Weg zu einem Happy End sind“, so Vanessa Reußner.
Darum sei das Young Philharmonic Orchestra Jerusalem Weimar
so wichtig.
Ina Schwanse
Bild rechts: Flötistinnen Anat Nazarathy, Fátima Jiménez und Maria Dragunov
Gegenseitig stärken
Drei Fragen an Daniel Kernchen, den neuen Intendanten der Jenaer Philharmonie
Seit mehr als 50 Jahren besteht eine intensive, vielschichtige Kooperation zwischen der Weimarer Musikhochschule und
der Jenaer Philharmonie – unter anderem bei den alljährlichen Weimarer Meisterkursen und in der Dirigentenausbildung. Nun kommt ein weiterer Anknüpfungspunkt in Person des neuen Intendanten Daniel Kernchen hinzu: Dieser hatte
vor Jahren neben den Rechtswissenschaften in Jena auch Musikwissenschaft und Kulturmanagement in Weimar studiert.
Erfahrungen als Orchestermanager sammelte er später in Rudolstadt und Frankfurt/Oder. In der Rubrik „Drei Fragen“
blickt er zurück auf sein Studium und skizziert seine Pläne für Jena.
1
Herr Kernchen, was ist Ihnen aus Ihren Weimarer Studienjahren am meisten in Erinnerung geblieben?
Daniel Kernchen: Was mich vor allem begeistert hat, war
das breit aufgestellte musikwissenschaftliche Institut. Es ist
dort praktisch möglich, sich mit allen Zeiten, Genres und musikalischen Bereichen intensiv zu beschäftigen, was ich auch
gern und viel getan habe. Besonders gern erinnere ich mich
an den Kongress Schiller und die Musik, den ich als Hiwi unterstützen und begleiten konnte. Hier wurde mir erstmals der
Weg von der scheinbar trockenen wissenschaftlichen Beschäftigung mit Musik zum klingenden Kunstwerk bewusst.
Die Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar hat für mich
einen besonderen Stellenwert, da sie als Alma Mater für
meinen beruflichen Weg sehr prägend war. Der Weg zum
Management einer Kulturinstitution ist sehr vielfältig und bedingt durch die unterschiedlichsten Ausformungen der Tätigkeitsbereiche. Daher ist es meines Erachtens unabdingbar,
viel Wissen und Erfahrungen aus allen Bereichen – seien
es BWL, Jura, Musik- oder Kunstwissenschaft – zu sammeln,
um handlungs- und entscheidungsfähig zu sein.
2
Welche Ideen und Ziele haben Sie für Ihre Intendanz in
Jena?
Kernchen: Ich kenne die Jenaer Philharmonie natürlich seit
meiner Studienzeit und habe sehr viele Konzerte dieses
großartigen Orchesters gehört. Von der Spielfreude, der
Frische und dem vielfältigen Angebot war ich schon immer
sehr begeistert. Als bekannt wurde, dass Bruno Scharnberg
als Intendant in den Ruhestand geht, habe ich die Gelegenheit ergriffen. Die Jenaer Philharmonie ist das größte
reine Konzertorchester Thüringens. Wir sind somit in der
Lage, den allergrößten Teil des Orchesterrepertoires bis hin
zur Romantik aus eigener Kraft zu bestreiten. Dies ist und
bleibt auch das wesentliche Kerngeschäft. Gastkonzerte in
ganz Thüringen, deutschlandweit sowie international haben
ebenfalls einen gewichtigen Anteil. Neben dem Kernge-
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Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con espressione: Weimarisches
schäft engagiert sich die Philharmonie natürlich auch in der
Bildungsarbeit als einer weiteren wesentlichen Säule. Hinzu
kommen Kammermusikkonzerte mit Repertoire vom Barock
bis zu zeitgenössischen Kompositionen. Darüber hinaus halte ich es für außerordentlich wichtig, dass sich das Orchester
auch neuen Herausforderungen stellt, um auch in Zukunft
seine gesellschaftliche Relevanz auszubauen. Music is everywhere!
3
In welcher Form wollen Sie künftig mit der Weimarer Musikhochschule zusammenarbeiten?
Kernchen: Selten haben Orchester das Glück, sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer Musikhochschule zu
befinden – noch dazu einer so gut aufgestellten wie der
Weimarer. Davon können beide Institutionen profitieren
und sich gegenseitig stärken. In Weimar werden die Profis
ausgebildet, die wir brauchen. Im Gegenzug können Studierende bei uns im Rahmen ihres Studiums sehr wichtige
praktische Erfahrungen sammeln, die für den Übergang in
das Berufsleben unerlässlich sind. Unser Orchester profitiert
dabei von ihren frischen Impulsen, Ideen und Gedanken.
Wir sind selbstverständlich sehr daran interessiert, hochtalentierte neue Künstlerpersönlichkeiten zu entdecken und zu
fördern. Die Möglichkeiten der Zusammenarbeit sind vielfältigster Natur und unlängst auch in einer neuen Kooperationsvereinbarung fixiert worden, die bereits dem Land
vorliegt. Über die bereits bestehenden Verbindungen hinaus
könnte ich mir auch eine vertiefte Zusammenarbeit mit den
Fachbereichen Musikwissenschaft und Kulturmanagement
sehr gut vorstellen.
Die Fragen stellte Jan Kreyßig.
17
Mittags bei Bach
„Punkrock“ in der Georgenkirche:
Landeskapelle Eisenach spielte neue Werke von Weimarer Kompositionsstudenten
E
s ist allemal eine Herausforderung, ein Werk für Orchester zu komponieren. Dass dieses Werk dann tatsächlich uraufgeführt wird, erleben Kompositionsstudierende relativ selten. Anders erging es nun
fünf Studenten der Klasse von Prof. Reinhard Wolschina, die in der
Spielzeit 2014/15 mit der Landeskapelle Eisenach zusammenarbeiten durften. In ihren Mittagskonzerten stellte die Landeskapelle unter
Chefdirigent Carlos Domínguez-Nieto die Weimarer Neukompositionen jeweils einem Brandenburgischen Konzert von Johann Sebastian Bach gegenüber. Wie die Werke entstanden und wie sie bei
Orchester und Publikum ankamen, erfuhr Liszt-Magazin-Autorin Ina
Schwanse bei einem Ortsbesuch in der Georgenkirche.
„Das war schön! Das könnte ich gleich noch einmal hören“, wendet sich eine Frau in den vorderen Kirchenbänken an ihren Mann.
Er nickt zustimmend, während der Applaus immer noch anhält.
Was das Ehepaar und rund 450 weitere Besucher Anfang Mai
2015 in der Eisenacher Georgenkirche erleben durften, war die
Uraufführung des Sächsischen Konzerts Nr. 1. Geschrieben hatte
das etwa zehnminütige und rhythmisch anspruchsvolle Stück Maximilian Wutzler, der nun aufgestanden ist, um sich dem Publikum als
Komponist zu erkennen zu geben. In den Mittagskonzerten der vergangenen Monate hatte die Landeskapelle Eisenach bereits neue
Werke von Alex Vaughan, Alireza Khiabani, Eric Domenech und
Giordano Bruno do Nascimento uraufgeführt.
„Ich habe eine Idee!“ Mit diesen Worten war Carlos DomínguezNieto im September 2014 auf den Weimarer Kompositionsprofessor Reinhard Wolschina zugekommen. Dem GMD der Eisenacher
Landeskapelle schwebte ein Konzertformat vor, bei dem Bachs
Brandenburgische Konzerte jeweils mit einem neuen Stück kombiniert werden sollten. „Ich habe mich sehr über dieses Angebot
gefreut, denn studentische Orchesterpartituren aufgeführt zu bekommen, ist nach wie vor ein großes Problem“, berichtet Prof. Wolschina. Für die Nachwuchskomponisten bestand die große Herausforderung darin, in relativ kurzer Zeit eine fertige Partitur zu liefern.
Polyphone Strukturen
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Die Landeskapelle machte lediglich eine feste Vorgabe: Die Instrumentierung sollte genau der Orchesterbesetzung des jeweiligen
Brandenburgischen Konzerts entsprechen. „Das war nicht ganz
leicht“, erzählt Alex Vaughan, dessen Stück To the Church in Laodicea die Konzertreihe am 8. Januar 2015 eröffnete. „Trotz der
kleinen Besetzung wollte ich eine gewisse Kraft erzeugen, damit
die Musik voll und satt klingt.“ Bach einfach nachzuahmen schloss
er von vornherein aus. Auf seine moderne Art sei er ihm dennoch
ganz nah gekommen, urteilt Reinhard Wolschina: „Polyphone
Strukturen sind ja bei Bach ganz wichtig, und so ein polyphones
Gewebe ist Alex auch gelungen.“
Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con espressione: Weimarisches
Maximilian Wutzler wusste sofort, dass die Basis für sein Sächsisches Konzert das 5. Brandenburgische Konzert sein musste. „Mir
gefällt diese Cembalo-Kadenz. Das ist richtiger Punkrock, hochvirtuos und schon zu Bachs Zeiten sehr gewagt.“ Daher habe auch
er dem Cembalo eine besondere Rolle zugedacht, so dass fast ein
Cembalokonzert daraus geworden wäre. Ohnehin hätte der junge
Komponist gern die Instrumentierung geändert. „Während meines
Schaffensprozesses arbeite ich generell sehr viel um. Für mich war
es deshalb ganz heilsam, dass ich mich an etwas Vorgegebenes
halten musste“, so der 27-Jährige.
Die Zusammenarbeit mit der Landeskapelle Eisenach hat Wutzler
sehr genossen. „Ich war positiv überrascht, was das Orchester in
meinem Stück gesehen hat.“ Die Eisenacher seien ein sehr offenes Ensemble. Umgekehrt schwärmt auch dessen Chefdirigent
Domínguez-Nieto: „Uns hat das wirklich Spaß gemacht. Jeder der
Studenten hatte einen ganz eigenen Stil.“ Eine positive Bilanz ziehen so beide Seiten. „Wir konnten ein Stück so spielen, wie sich das
der Komponist tatsächlich vorgestellt hat“, freut sich Domínguez-Nieto. Die Nachwuchskomponisten wiederum erhielten eine wertvolle Rückkoppelung von den Orchestermusikern.
Perpetuum mobile
Dass das Konzertformat ankommt, zeigte sich monatlich aufs
Neue. Sowohl Touristen als auch Eisenacher Bürgerinnen und Bürger strömten zu Hunderten in Bachs Taufkirche. „Als ich am Ende
des Konzerts vorn beim Orchester stand, war ich vom Publikum
total überwältigt“, erzählt Alireza Khiabani. Einige Zuhörer seien
zu ihm gekommen und hätten sich näher über ihn und sein Stück
erkundigt. Der gebürtige Iraner, der seine Inspiration häufig in der
Natur findet, schrieb sein Stück RavAyat – Epik innerhalb weniger
Tage, abgeschieden im iranischen Hochland.
Ihren Abschluss fand die Reihe am 2. Juli mit dem 6. Brandenburgischen Konzert und perpetuum mobile per JSB für 6 Klarinetten
von Prof. Reinhard Wolschina. Neben den beiden Eisenacher Orchesterklarinettisten spielten hier auch vier Weimarer Studierende
aus der Klarinettenklasse von Prof. Thorsten Johanns mit. Dass die
Kooperation und die Konzerte überhaupt stattfinden konnten, ist
zum großen Teil dem Förderverein des Landestheaters Eisenach
zu verdanken. „Jeder Komponist freut sich, wenn seine Werke aufgeführt werden und nicht in der Schublade verschwinden“, erklärt
Vereinsmitglied Dr. Hans-Peter Marsch die Motivation.
Ina Schwanse
Bild rechts: GMD Carlos Domínguez-Nieto, Komponist Maximilian Wutzler und Prof.
Reinhard Wolschina
Con espressione
Kurz und bündig
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Aus Kasachstan und Kolumbien
Exakt dieselbe Anzahl „Neuer“ wie im Vorjahr nahm ihr Studium auf: Die Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar begrüßte im Rahmen der feierlichen Immatrikulation am 1. Oktober 2015 im Festsaal Fürstenhaus ihre neuen Studierenden.
Grußworte sprachen unter anderem der Operndirektor des
Deutschen Nationaltheaters Weimar, Hans-Georg Wegner,
und Hochschulpräsident Prof. Dr. Christoph Stölzl. An der
Hochschule sind im Wintersemester 2015/16 aktuell 887
Studierende eingeschrieben. Insgesamt 238 Studierende
wurden neu immatrikuliert, davon 115 zum allerersten Mal
– die anderen wechselten zum Beispiel vom Bachelor- in ein
Masterstudium. Unter den „Neuen“ befinden sich auch 111
ausländische Studierende aus 37 verschiedenen Ländern.
Viele kommen von weither: aus Australien, Brasilien und China, Israel, Kasachstan und Kolumbien, Mexiko, Taiwan oder
der Türkei, aber auch aus vielen europäischen Ländern. Die
mit zehn Studierenden größte ausländische Gruppe stammt
dieses Mal nicht aus Südkorea, sondern aus Spanien. Jeweils
sieben neue Studierende kommen aus China, Südkorea und
Russland, sechs aus der Ukraine, fünf aus Japan, drei aus Brasilien usw. Im Rahmen der Immatrikulationsfeier wurde auch
der DAAD-Preis 2015 des Deutschen Akademischen Austauschdienstes an den Kompositionsstudenten Alex Vaughan
vergeben.
Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con espressione: Weimarisches
Kulturelle Erfrischung
„Der Sommer folgt. Es wachsen Tag und Hitze“, dichtete
Goethe, und meinte damit sicherlich auch den „Weimarer
Sommer“. Zur kulturellen Erfrischung und Inspiration luden die
56. Weimarer Meisterkurse vom 16. Juli bis 1. August 2015
wieder an die Weimarer Musikhochschule ein. Öffentlicher
Unterricht, hochkarätige Konzerte und eine Serie mit Musikfilmen wurden dem Publikum in einer täglichen Auswahl
angeboten. Mehr als 170 junge Musikerinnen und Musiker
aus 25 verschiedenen Ländern strömten in den letzten zwei
Juliwochen nach Weimar. Sie kamen aus Ländern rund um
den Globus, von Australien bis zu den USA, von Georgien
bis Großbritannien, von Indonesien bis zur Türkei. Neben
ihren Gastprofessorinnen und -professoren waren sie in insgesamt rund 20 Konzerten auch selbst auf der Bühne zu erleben. Eine besondere Klangfarbe boten dabei die Konzerte
des Meisterkurses Jazz Voice & Beyond von Prof. Jeff Cascaro
und Prof. Michael Schiefel. Beim Abschlusskonzert am 1. August kamen diesmal nicht das Orchesterstudio, sondern besonders herausragende solistische und kammermusikalische
Beiträge zum Zuge. Als „die Besten zum Schluss“ präsentieren sich sieben ausgewählte Nachwuchsmusiker im Großen
Saal des Musikgymnasiums Schloss Belvedere ihrem begeisterten Publikum.
Con espressione
Kurz und bündig
Charmante Komödie
Es ist das Märchen vom König und der klugen Bauerstochter,
aber im modernen Gewand und mit vertauschten Rollen erzählt, das Ralph Benatzky in seiner Operette Meine Schwester und ich aufgreift. Regisseur Prof. Elmar Fulda bringt die
charmante Komödie um das Ver- und Entlieben eines ungleichen Paares nun mit den Studierenden der Opernschule und
dem Orchester der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar
auf die Bühne des Studiotheaters Belvedere. Premiere ist am
3. Dezember 2015 um 19:30 Uhr, weitere Vorstellungen gibt
es am 5., 6., 10., 11. und 12. Dezember. In der Operette
verliebt sich eine junge Dame von Adel in einen armen Musikprofessor. Er mag sie auch, traut sich aber nicht – wegen des
großen Standesunterschieds. Um seinen Widerstand zu brechen, erfindet sie eine Schwester im fernen Nancy, der er ein
Päckchen übergeben soll. In Gestalt dieser Schwester, im Kostüm einer einfachen Schuhverkäuferin begegnet er ihr wieder.
Endlich beißt er an. Sie heiraten. Aber natürlich kommt die
Wahrheit schnell heraus. Immer gibt es Streit, schließlich die
Scheidung vor Gericht. Sie erzählen dem Richter, wie alles
begann. Und verlieben sich dabei erneut … Komponist Ralph
Benatzky wurde vor allem durch seine Operettenrevue Das
weiße Rössl bekannt.
Sinfonische Dramatik
Etwas verschoben hat die Musikhochschule ihr großes Sinfoniekonzert im Wintersemester: Wegen der Operettenproduktion von Ralph Benatzky im Dezember greift Prof. Nicolás
Pasquet erst am 4. Februar um 19:30 Uhr in der Weimarhalle
zum Taktstock. Er leitet dann ein Programm des Hochschulorchesters, das an sinfonischer Dramatik nichts zu wünschen
übrig lässt. Auf Mozarts Don Giovanni-Ouvertüre folgt Jean
Sibelius‘ Violinkonzert in d-Moll op. 47. Der Solist ist hier der
Geiger Dragos Mihail Mânza (im Bild) aus der Klasse von
Prof. Friedemann Eichhorn, der mit seinem Auftritt den zweiten Teil seiner Konzertexamensprüfung ablegt. Schon längst
ist Mânza als Konzertmeister der Düsseldorfer Symphoniker
im Berufsleben angekommen. Seinen „Erstkontakt“ mit Weimar hatte er übrigens bereits im Jahr 2001: Damals gewann
er als 13-Jähriger den 3. Preis beim 3. Internationalen Louis
Spohr Wettbewerb für Junge Geiger. „Die starken Eindrücke
blieben nach der Heimreise haften: die wunderbare Musikhochschule, die netten Organisatoren und Gastgeber, die
großartigen, neu geschlossenen Freundschaften“, erinnerte
sich Mânza später. Auf seinen Auftritt in der Weimarhalle
folgt Anfang Februar dann noch Antonin Dvořáks Sinfonie
Nr. 7 in d-Moll op. 70.
Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con espressione: Weimarisches
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Antiquarischer Hauch
Musikwissenschaftlerin Michelle Sun absolvierte ein Erasmus-Semester
an der ehrwürdigen Sorbonne-Universität in Paris
A
ls Erasmus-Studentin verbrachte die Musikwissenschaftlerin Michelle Sun das Wintersemester 2014/15 in Paris. Die 21-Jährige, die im
Nebenfach Interkulturelles Musik- und Veranstaltungsmanagement an
der Weimarer Musikhochschule studiert, belegte ein halbes Jahr lang
Kurse an der renommierten Sorbonne – und hatte damit Gelegenheit, einen Blick hinter die ehrwürdigen Fassaden zu werfen. Gleich im
Anschluss nutzte sie die Gelegenheit und absolvierte noch ein halbes
Praktikumsjahr in einer Pariser Künstleragentur. Inzwischen ist Michelle Sun nach Weimar zurückgekehrt und strebt für das Sommersemester 2016 ihren Bachelorabschluss an. Im Liszt-Magazin wirft sie einen
kritischen Blick auf ihre Pariser Erlebnisse.
Betritt man die ehrwürdigen Gemäuer der „alten“ Sorbonne im
fünften Arrondissement, fühlt man sich gleich wie eine Mitschülerin Harry Potters. Ist die Sorbonne doch eine Universität mit einem
weltweiten Ruf, an der bedeutende Persönlichkeiten wie Simone
de Beauvoir, Michel Foucault oder Claude Lévi-Strauss studiert
haben, dazu ein Schauplatz historisch bedeutender Momente wie
der Studentenrevolutionen 1968. Man hat das Gefühl, als würde
sich der eigene Intelligenzquotient schlagartig verdreifachen; und
den unzähligen Touristen, die zwischen einem Pantheonbesuch
und dem Picknick im Jardin du Luxembourg verzweifelt versuchen,
einen Blick in den imposanten Innenhof der Universität zu werfen,
fühlt man sich weit überlegen.
Doch solche historischen Gemäuer scheinen zugleich zu robust
zu sein, um technischen Neuerungen wie Beamern oder WLANSignalen den Zutritt zu erlauben. So bleibt das universitäre Zentrum weitestgehend technik- und internetlos: ein doch recht schweres
Schicksal für die zahllosen Studierenden, die stundenlang Schlange stehen, um schließlich einen winzigen Arbeitsplatz in der Hauptbibliothek zugewiesen zu bekommen. Außergewöhnlich schön ist
diese Bibliothek natürlich, keine Frage!
Kühle Atmosphäre
Ganz anders sieht die Situation im Universitätszentrum Clignancourt an der nördlichen Grenze der Stadt aus, in das man als Musikwissenschaftler gemeinsam mit Historikern, Hispanologen und
Anglisten „ausgelagert“ ist. Hier gibt es eine geräumige, moderne
Bibliothek – und tatsächlich auch einen Internetzugang. Als eine
dem universitären Mikrokosmos Weimars entflohene Studentin ist
man eine solch riesige Universität mit einer so großen Anzahl an
Studierenden natürlich nicht gewöhnt, und – das muss auch einmal
gesagt werden – durch das Leben in Weimar als einem „Treibhaus
für Kreativität“ ziemlich verwöhnt.
Der Luxus, eine Erasmus-Studentin zu sein, besteht unter anderem
darin, an keine Lehrpläne gebunden zu sein: So konnte ich unter-
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Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con moto: Grenzenloses
schiedliche Kurse aus allen Fakultäten und Semestern – auch denen der Masterstudiengänge – wählen. Doch bis auf wenige Ausnahmen fühlte ich mich in allen Seminaren wie in alte Schulzeiten
zurückversetzt. Der Unterricht ist ausgesprochen frontal, egal ob
es sich um eine Vorlesung oder um eine Art Seminar handelt. Und
es bleibt kein Raum für Fragen oder Anregungen, schon gar nicht
für Diskussionen. Dies führt zu einer für mein Empfinden ausgesprochen unproduktiven und kühlen Atmosphäre.
Hinzu kommt eine hierarchische Strenge, die französischen Kindern
seit dem Kindergarten eingetrichtert wird. Damit einher geht die für
mich unangenehme Eigenschaft der Professoren der Grande Sorbonne, sich für scheinbar unnahbare Götter zu halten. Wäre dies
zumindest durch einen gewissen Anspruch zu rechtfertigen – doch
auch der Inhalt vieler Kurse bleibt fragwürdig. In der Musiktheorie
analysieren wir zum Beispiel die „Aggressivität“ der deutschen im
Vergleich zur französischen Sprache in Schönbergs Pierrot Lunaire,
oder wir zählen die Akzente in Strawinskys Le Sacre du Printemps
... Im Allgemeinen umspielt die Musikwissenschaft hier ein eher
antiquarischer Hauch, der gegen neue Anregungen und Diskurse
immun zu sein scheint.
Vertrautes Chaos
Die Prüfungszeit kündigt sich dann als ungekannt stressig und furchteinflößend an. Doch schlussendlich herrscht vor jedem mehrstündigen Examen zwar eine strenge, bürokratische Disziplin, doch löst
sich diese rasch in einem großem, vertraut wirkenden Chaos auf:
Als ich zum Beispiel als Erasmusstudentin bei einer der Prüfungen
nicht auf der alles regelnden Liste zu finden bin, werde ich mit dem
Argument meiner grundsätzlichen Nichtexistenz beinahe hinausgeworfen. Als dieses Problem eher philosophischer Natur dann
einmal aufgeklärt ist, verläuft die Prüfung recht schmerzlos. Solche
Momente sind typisch für das Studium an der Sorbonne, und in
gewisser Hinsicht auch recht amüsant.
Als finaler Eindruck bleibt für mich also die Ambiguität der Sorbonne: auf der einen Seite ihr bedeutender Ruf und der damit
verbundene Leistungsdruck, auf der anderen Seite meine eigenen
Erlebnisse hinter dieser Fassade. Doch selten habe ich dieses Jahr
in Paris so nüchtern und negativ erlebt, wie es hier erscheinen mag.
Man sieht, schmeckt, riecht und hört ja dennoch sämtliche Facetten
der Stadt und ihrer Kultur, lernt bis dahin Unbekanntes und viel über
sich selbst, trifft außergewöhnliche Menschen – und so manche
Freunde fürs Leben.
Michelle Sun
Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con moto: Grenzenloses
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Oktett vor dem Ölberg
Gemeinsames Konzert von Hochbegabtenzentrum und
Hochschule für Musik in der Erlöserkirche in Jerusalem
D
er 50. Jahrestag der diplomatischen Beziehungen zwischen Israel
und Deutschland wurde dieses Jahr mit großen Jubiläumsfestlichkeiten begangen. Aus diesem Grund lud die Kulturstiftung Leipzig das
Musikgymnasium Schloss Belvedere zu ihrer „Leipziger Woche“ in
die israelische Hauptstadt ein. Und so machten sich Anfang Juni 2015
sechs Schülerinnen und Schüler des Hochbegabtenzentrums sowie
vier Professorinnen und Professoren der Weimarer Musikhochschule
– Altmagnifizenz Prof. Rolf-Dieter Arens (Klavier), Prof. Christian Wilm
Müller (Klavier), Prof. Anne-Kathrin Lindig (Violine) und Prof. Tim Stolzenburg (Violoncello) – auf die Reise nach Jerusalem. Gemeinsam
brachten sie in der Erlöserkirche zwei Werke von Felix Mendelssohn
Bartholdy zur Aufführung, wie Liszt-Magazin-Autorin Katharina Steinbeck berichtet.
Jerusalem erstrahlte. Denn parallel zur „Leipziger Woche“ wurden
die uralten Steinfassaden der Altstadt zu Bühnen und Kunstobjekten von vielfältiger Lichtkunst. In dieses jährlich stattfindende Light
in Jerusalem Festival mischten sich nun die neun Weimarer Musikerinnen und Musiker, waren beeindruckt, ließen sich mitreißen. Und
das nicht nur von den Lichtinstallationen: Die 17-jährige Schülerin
Johanna Müller (Violine) berichtet im Nachhinein mit strahlendem
Augen von Jahrtausende alten Bauwerken, dem großen Tempel
und seiner Klagemauer, der Aussicht aus der kleinen römischkatholischen Kirche Dominus Flevit auf dem Ölberg über ganz
Jerusalem. Sie schwärmt vom wunderschönen Kreuzgang der Erlöserkirche – ihrem Lieblingsort –, den gemischten Gefühlen beim
Passieren der palästinensischen Grenze, den Schwimmversuchen
im Toten Meer und ihrer Begeisterung über die biblische Geschichte zum Anfassen. „Das gibt es wirklich alles. Und es steht dort, seit
100en von Jahren!“
Friedliche Atmosphäre
Das Nebeneinander und das ineinander Verwachsene der verschiedenen Religionen prägte das Stadtbild. „Es war vor allem die
friedliche Atmosphäre, die uns beeindruckt hat“, berichtet Johanna. Und das nicht nur, weil alle 50 Meter Polizei gestanden habe;
zwar sei das zunächst befremdlich gewesen, doch gewöhne man
sich schnell daran. „Wir alle haben eine viel angespanntere und
unsicherere Stimmung erwartet“, sagt die junge Geigerin über die
fünftägige Konzertreise, die die Belvederer das erste Mal nach Israel führte.
Dann überlegt sie. Das arabische Viertel habe sie als eng und
düster wahrgenommen. Das sei merkwürdig gewesen. Auch die
„ultra“-jüdisch-orthodoxen Gegenden seien ihnen aufgefallen. Bewegt erzählt sie dann von der Gedenkstätte Yad Vashem, die an
das Grauen des Holocausts erinnert. Und von ihrer Begegnung mit
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Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con moto: Grenzenloses
dem Sabbat: „An diesem Tag fuhr im jüdischen Viertel kein einziges Auto. Sogar die Ampeln waren alle aus!“ Erstaunt zeigt sie sich
auch darüber, dass die jüdischen Bürger an diesem Tag nicht mehr
als 880 Meter (ca. 1000 Schritte) gehen durften. Und dann habe
es in der Herberge einen eigenen Sabbat-Lift gegeben: „Der hatte
keine Knöpfe und hielt in jedem Geschoss, damit am Sabbat kein
Knopf gedrückt werden muss.“
Solch neugieriges Erleben der fremden Kulturen hatte sich Prof. Lindig sicherlich auch erhofft, als sie die Konzerttour „als Beitrag zum
politisch wie kulturell und menschlich so wichtigen Jubiläum“ federführend organisierte. In den Mittelpunkt der Reise wurde selbstverständlich das Konzert in der Johanniterkapelle im Kreuzgang der
Propstei der Erlöserkirche gerückt. „Die 50-jährige Verbindung zwischen Deutschland und Jerusalem ist Frieden stiftend und versöhnend“, sagt Prof. Lindig. „Dass 17- und 18-jährige Musiker mit dem
Oktett Mendelssohn Bartholdys in Jerusalem auftreten, darf gewiss
als Hoffnung bringende Botschaft verstanden werden.“
Stehende Ovationen
Diese Möglichkeit, die hervorragende Ausbildung der Hochschule
für Musik Franz Liszt Weimar sowie des Musikgymnasiums Schloss
Belvedere als ihrem Hochbegabtenzentrum in Jerusalem zu präsentieren, sei von den Weimarer Professoren und Schülern als Ehre
und große Herausforderung aufgefasst worden, so Anne-Kathrin
Lindig. Seit März 2015 hatten Prof. Lindig und Prof. Stolzenburg
mit den Schülern das Oktett op. 20 einstudiert. Die Professoren bereiteten ihrerseits zudem Mendelssohns 1. Sinfonie in einer Fassung
für Klavier zu vier Händen, Violine und Violoncello vor. Als Proben
für den Auftritt in der Erlöserkirche hatte das Ensemble vorab bereits
viermal in Weimar und Umgebung konzertiert.
Das Konzert in Jerusalem wurde ein voller Erfolg. Die Atmosphäre
sei wunderbar gewesen, das Publikum habe ihnen mit stehenden
Ovationen gedankt, so dass sie sich mit dem letzten Satz des Oktetts als Zugabe aus Jerusalem verabschiedeten. „Die Reise nach
Jerusalem war für alle Beteiligten ein Ereignis außer der Reihe und
in jeder Hinsicht ein Gewinn“, resümiert Prof. Christian Wilm Müller,
künstlerischer Leiter des Hochbegabtenzentrums. Das betreffe nicht
nur das gemeinsame Musizieren an einem außergewöhnlichen
Ort, sondern vor allem das Kennenlernen einer für die Menschheit
seit Jahrtausenden so wesentlichen Stadt, in der die „Explosivität
bei aller Ruhe“ spürbar gewesen sei.
Katharina Steinbeck
Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con moto: Grenzenloses
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Saudade in São Paulo
Kammerchor der Hochschule sang bei Erstaufführung
von Arnold Schönbergs Gurre-Liedern in Brasilien mit
E
s waren überwältigende Augenblicke des Klangs: Zum ersten
Mal überhaupt wurden Mitte September 2015 die spätromantischen Gurre-Lieder von Arnold Schönberg in Brasilien aufgeführt. Bei dieser Erstaufführung stand auch der Kammerchor der
Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar auf der Bühne, der
gemeinsam mit der Staatskapelle und dem Staatschor São Paulo in der imposanten Sala São Paulo dieses opulente Opus zur
Aufführung brachte. Unter der Leitung von Isaac Karabtchevsky
fanden insgesamt drei Konzerte mit Schönbergs monumentalem
Oratorium statt, das außer einem überdimensionalen Orchester
und Chor auch noch fünf Gesangssolisten und einen Sprecher
verlangt. Vermittelt worden war die Kooperation mit der Staatskapelle São Paulo durch den Weimarer Musikwissenschaftler
Tiago de Oliveira Pinto, der im Liszt-Magazin von der Reise berichtet.
„Das Publikum tobte im Konzertsaal nach den Gurre-Liedern wie
in einem Fußballstadion“, berichtete Brasiliens wichtigste Tageszeitung O Estado de São Paulo nach der Konzertpremiere am 17.
September. Alle drei Aufführungen des Oratoriums von Arnold
Schönberg aus dem Jahr 1901 waren schon Wochen im Voraus
ausverkauft gewesen. Sämtliche Konzerte wurden vom Publikum
mit stehen Ovationen gefeiert. „Obra monumental de Schönberg
encanta público (Schönbergs monumentales Werk verzaubert das
Publikum)“, hieß es danach in einer anderen Schlagzeile des Estado de São Paulo.
Der Intendant und auch der Dirigent der Staatskapelle São Paulo
haben mehrfach die besondere Rolle des Weimarer Kammerchors
bei dieser Produktion hervorgehoben: „Nicht nur, dass dies ein erstklassiges Ensemble ist, die Weimarer haben mit ihrer Frische und
Professionalität auch entscheidend zum Erfolg unserer Produktion
beigetragen“, sagte der Generaldirektor des Orchesters, Marcelo
Lopes. Bevor sich die Türen zum Konzertsaal öffneten, sang der
Kammerchor Friede auf Erden, ebenfalls von Arnold Schönberg,
und unterstrich hiermit den Programmschwerpunkt der Woche, der
dem Hauptprotagonisten der Neuen Wiener Schule galt.
Umgebauter Bahnhof
Neben den drei großen Konzerten mit den Gurre-Liedern wurden
in der Sala São Paulo auch weitere Werke von Schönberg aufgeführt, darunter Pierrot Lunaire, das Streichquartett mit Sopran
und Verklärte Nacht. Jedem der Konzerte gingen einführende Vorträge voraus. Es war unglaublich, wieviel Interesse und Offenheit
das Publikum dem Werk Schönbergs entgegen gebracht hat – in
Deutschland kaum vorstellbar. Schließlich sorgte immer wieder
auch der Saal selbst – die Sala São Paulo, eines der berühmtes-
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Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con moto: Grenzenloses
ten Konzerthäuser auf dem amerikanischen Kontinent – für große
Begeisterung. Der umgebaute Bahnhof weist außergewöhnliche
akustische Qualitäten auf. Mit der verstellbaren Decke kann er sich
jeder Formation auf der Bühne klanglich anpassen. „Ein großartiger Konzertsaal mit einer unglaublichen Akustik“, freute sich der
Leiter des Weimarer Kammerchors, Prof. Jürgen Puschbeck.
Neben der Mitwirkung bei den Gurre-Liedern trat der Kammerchor
noch mit seinem eigenen a-cappella-Programm auf, unter anderem
mit Werken von Johann Sebastian Bach, Felix Mendelssohn Bartholdy, Heitor Villa-Lobos – als einer Hommage an das Gastgeberland
– und natürlich auch wieder Schönbergs Friede auf Erden. Diese
Auftritte fanden im Theater Anchieta, in der St.-Franziskus-Kirche im
alten Stadtzentrum von São Paulo sowie auch in der Musikhochschule Universidade Estadual Paulista. Beim Besuch einer Sambaprobe im Vereinshaus der Sambaschule Nene de Vila Matilde trat
der Kammerchor dann noch einmal spontan auf. Das Perkussionsensemble der Sambagruppe begleitete daraufhin den Gesang des
Kammerchors sehr dezent und rhythmisch pointiert. Im Anschluss
gab es großen Jubel unter den Mitgliedern der Vila Matilde.
Pläne für die Zukunft
Die Mitglieder des Weimarer Kammerchors hatten mit der intensiven Arbeit in São Paulo nicht nur die Gelegenheit, ihre eigene
Arbeit vorzustellen, sondern konnten auch an einem hochkarätig
besetzten und überaus professionell durchgeführten künstlerischen
Projekt mitwirken. Diese Erfahrung ist eine wichtige Ergänzung der
Ausbildung in Weimar. Als sich Prof. Jürgen Puschbeck nach dem
letzten Konzert von Maestro Isaac Karabtchevsky in der Künstlergarderobe mit den Worten verabschiedete: „Isaac, das hast Du
großartig gemacht!“, erwiderte der Maestro umgehend: „Dann
lass uns nächstes Jahr wieder zusammenarbeiten. Es war wunderbar mit Dir und mit dem Kammerchor!“
Prof. Puschbeck fiel es nicht schwer, gleich zuzusagen und schlug
umgehend das War Requiem aus der Feder von Benjamin Britten
vor. Zunächst mussten die Sängerinnen und Sänger des Chores jedoch wieder in ihr gewohntes Umfeld zurückfinden. „Als die Abreise aus dem brasilianischen Frühling in ein herbstliches Deutschland
anstand, machte sich bereits eine allgemeine saudade breit – ein
aus dem Portugiesischen schwer übersetzbares Gefühl, das man
wohl am besten zwischen Schwermut, Melancholie und Sehnsucht
verorten könnte“, erinnert sich Choristin Elisabeth Rusteberg. Kaum
eine Woche zuhause, äußerte sich auch Sopranistin Katja Rudloff:
„Ich bin immer noch nicht richtig in Weimar angekommen, und in
Gedanken so manches Mal in São Paulo ...“
Prof. Dr. Tiago de Oliveira Pinto
Zweite Heimat
Professor Walter Hilgers debütierte als Dirigent bei
der George Enescu Philharmonie in Bukarest
I
m Februar und März 2015 gastierte Prof. Walter Hilgers binnen fünf
Wochen bei fünf verschiedenen Orchestern in Rumänien – mit fünf
verschiedenen Programmen und vier Solisten. Dabei gab der Weimarer Professor für Tuba und Bläser-Kammermusik, der sich mehr und
mehr auch als Dirigent einen Namen macht, sein Debüt bei der Staatsphilharmonie Ploieşti, der Moldawischen Staatsphilharmonie Iaşi und
bei der George Enescu Philharmonie in Bukarest. Hilgers, der Rumänien als seine „zweite Heimat“ bezeichnet, berichtet im Liszt-Magazin
von seinen Erfahrungen und Erlebnissen.
Das erste Konzert fand in Arad im Nordwesten von Rumänien statt.
Weitere Konzerte führten mich nach Ploieşti am südlichen Fuß der
Karpaten, ungefähr 60 Kilometer nördlich von Bukarest gelegen,
sowie in die Hauptstadt Bukarest. Außerdem reiste ich nach Iaşi
im Nordosten Rumäniens, 20 Kilometer westlich der Grenze zu
Moldawien, und nach Târgu Mureş (deutsch „Neumarkt am Mieresch“) in Siebenbürgen. Es standen unter anderem drei Solokonzerte auf dem Programm, die ich zum ersten Mal dirigiert habe:
das Klarinettenquintett Carl Maria von Webers in einer Orchesterbearbeitung, das 1. Klavierkonzert von Sergei Prokofjew und das
Klavierkonzert von Clara Schumann – die anderen Werke waren
Bestandteil meines Repertoires.
Besonders in Bukarest war es ein beglückendes Gefühl, die 5. Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch erstmals mit der George Enescu
Philharmonie in dem wunderschönen Athenaeum aufführen zu
dürfen. Ich habe mich sehr gefreut, dass Artistic Director Nicolae
Licaret mir gleich im Anschluss an die beiden Konzerte eine weitere Zusammenarbeit für die Saison 2016/17 zugesagt hat. Denn:
Rumänien ist für mich so etwas wie eine zweite Heimat geworden.
Seit 1999 habe ich dort mit mittlerweile vierzehn Orchestern als
Gastdirigent zusammengearbeitet. Mit einigen von ihnen hat sich
eine regelmäßige und intensive Kooperation über viele Jahre ergeben. Darüber hinaus habe ich im Rahmen des Erasmus-Austauschprogramms wiederholt Meisterkurse an den Musikhochschulen in
Timişoara und Cluj gegeben.
Optimismus trotz schwieriger Lage
Ich schätze die rumänischen Musikerinnen und Musiker sehr und
bewundere ihren Optimismus und ihre Disziplin. Denn das Leben
ist für die Menschen – und besonders auch für die Musiker – aufgrund der wirtschaftlichen Lage in Rumänien nicht gerade leicht.
Das Lohnniveau liegt noch immer am unteren Ende der Bandbreite,
und die Musikergehälter befinden sich im EU-Vergleich im unteren
Drittel. So verdient ein Musiker in Rumänien im Schnitt ca. 500
Euro im Monat, Neueinsteiger im Orchester erhalten noch deutlich
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Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con moto: Grenzenloses
weniger. Ein Vertriebsleiter verdient zum Vergleich etwa 2.000 bis
3.000 Euro und ein Ingenieur 800 bis 1.200 Euro monatlich.
Die Kosten der Lebenshaltung sind bei den Grundnahrungsmitteln
bedeutend niedriger als in Westeuropa, importierte Güter hingegen teurer. Die Mietpreise variieren sehr stark zwischen Stadt und
Land. In der Metropole Bukarest zahlt man für eine Zweizimmerwohnung beispielsweise zwischen 300 und 400 Euro, in anderen
Städten sind die Mieten günstiger. Interessant ist noch, dass Solobläser in Rumänien derzeit noch mit 52 Jahren in Pension gehen
können – eine Regelung, die sich wahrscheinlich auf Dauer nicht
halten lassen wird. In den vergangenen 15 Jahren hat ein starker
Verjüngungsprozess in den rumänischen Orchestern stattgefunden.
Momentan haben die Orchester aber aufgrund von Haushaltssperren und der Tatsache, dass es viele junge Musiker ins Ausland zieht,
Probleme, die vakanten Stellen zu besetzen.
Enge Freundschaft
Mein allererstes Konzert als Gastdirigent in Rumänien hatte mich
zum Jahreswechsel 1999/2000 nach Timişoara in den Westen
des Landes geführt, wo ich mit der Staatlichen Philharmonie „Banatul“ ein Konzert zu den Millenniumsfeierlichkeiten gab. Mit diesem
Orchester verbindet mich seitdem eine enge Freundschaft: 2007
wurde ich zum Ersten Gastdirigenten der Staatsphilharmonie ernannt. In Timişoara war es auch, wo die rumänische Revolution von
1989 gegen die kommunistische Diktatur Nicolae Ceauşescus ihren Ursprung nahm. In der Stadt und ihrer Umgebung kann man
zudem noch die Einflüsse der Donauschwaben bzw. Banater
Schwaben, einer deutschen Bevölkerungsgruppe, spüren.
In Timişoara gibt es sogar noch ein deutschsprachiges Theater,
ebenso in Sibiu (Hermannstadt), wo auch noch ein deutsches Wochenblatt („Der Hermannstädter“) erscheint. Seit diesem ersten
Konzert 1999 bin ich immer wieder nach Rumänien gereist. Zu
Gastdirigaten eingeladen haben mich neben der Staatlichen Philharmonie „Banatul“ Timişoara auch die Staatlichen Philharmonien in Arad, Sibiu, Târgu Mureş, „Transilvania“ Cluj (Klausenburg),
Oradea, Craiova, Ploieşti sowie Iaşi. Hinzu kamen Dirigate des Radio-Kammerorchesters Bukarest, des Radio-Symphonieorchesters
Bukarest, der Philharmonie „Muntenia“ Târgoviste, der Philharmonie „Mihail Jora“ Bacau – sowie 2015 erstmals auch der George
Enescu Philharmonie Bukarest (rechts im Bild).
Prof. Walter Hilgers
Con moto
Kurz und bündig
Gelebte Partnerschaft
Im November 2014 reiste der Kammerchor der Weimarer
Musikhochschule nach Kiew und Lviv, Ende April 2015 kam
es zum Gegenbesuch der beiden ukrainischen Musikakademien: Zum gemeinsamen Chor formiert, trafen 20 Studierende aus Kiew und 15 aus Lviv in Weimar ein. In den Proben
und zwei Konzerten in Weimar und Erfurt gesellte sich auch
der hiesige Kammerchor unter der Leitung von Prof. Jürgen
Puschbeck hinzu. Höhepunkt der deutsch-ukrainischen Projektphase war die Teilnahme des internationalen Ensembles
am Eröffnungskonzert der Reisemesse German Travel Mart
am 26. April im Erfurter Dom. Gesungen wurden dort ein
Pfingsthymnus sowie Chorwerke von Anton Bruckner und Ludwig van Beethoven. Ergänzend kam noch ein Konzert in Weimar hinzu: Am 27. April standen die ukrainischen Choristen
im Festsaal Fürstenhaus auf der Bühne. Es sangen der 2007
gegründete Kiewer Jugendkammerchor Sophia und der
Studierendenchor aus Lviv, es erklangen volkstümliche Programme aus ihrer Heimat. Geboten wurde den ukrainischen
Gästen parallel ein Kulturprogramm mit Besichtigungen der
Städte Erfurt, Weimar und Jena sowie der Wartburg bei Eisenach. Im Gegenzug reiste der Weimarer Kammerchor dann
Ende Oktober 2015 noch einmal zu zwei Konzerten in die
Ukraine.
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Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con moto: Grenzenloses
Musikalisches Erbe
„Südafrika sieht sich in der Verantwortung, das musikalische
Erbe des Kontinents für die Forschung urbar zu machen.“ Mit
diesen Worten wandte man sich aus dem Büro von Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Frühjahr an den Weimarer
Musikhochschulpräsidenten Prof. Dr. Christoph Stölzl. Daraufhin unterstützte das Auswärtige Amt eine Forschungsreise des
Weimarer Musikwissenschaftlers Prof. Dr. Tiago de Oliveira
Pinto an das Kap der guten Hoffnung. Im August 2015 war
der Lehrstuhlinhaber der Transcultural Music Studies in Pretoria, an den Musikinstituten der Universitäten Fort Hare (East
London und Alice), Rhodes (Grahamstown) und am International Library of African Music (Grahamstown). Letzteres ist
das bedeutendste Archiv und Forschungszentrum für Musik
in Afrika. Prof. Pinto hielt Vorträge und erörterte die wissenschaftliche Zusammenarbeit im Bereich der Dokumentation,
Archivierung und Erforschung von traditioneller Musik in
Südafrika. „Die akademischen Musikinstitutionen Südafrikas
stehen einer Zusammenarbeit mit unserer Hochschule sehr offen gegenüber“, resümiert Pinto. „Für uns ergibt sich dort ein
riesiges Potential für die gemeinsame Forschung.“ Im Sommer
2016 ist nun eine erste studentische Exkursion nach Südafrika
geplant.
Con moto
Kurz und bündig
Unbekannte Welt
Zum inzwischen vierten Mal lud die Delegation der Europäischen Union in Venezuela Anfang Mai 2015 acht junge Musikerinnen und Musiker zum Europäischen Solisten Festival
nach Caracas ein. Deutschland wurde dabei von der Violinistin Ute Klemm (im Bild) vertreten, die sich aktuell in der Weimarer Geigenklasse von Prof. Dr. Friedemann Eichhorn auf ihr
Konzertexamen vorbereitet. Die 26-Jährige war zuvor bereits
Mitglied des European Union Chamber Orchestra gewesen
und trat in Venezuela nun mit dem Orquesta Sinfónica Simón
Bolívar unter der Leitung von Diego Guzmán auf. Das Konzert fand im National Center for Social Action through Music
statt, einem modernen Kulturzentrum im Herzen von Caracas.
„Das Orchester hat mich unglaublich warmherzig aufgenommen“, freut sich Ute Klemm. Allseits habe sie gespürt, wie sehr
das Publikum die kostenlosen Konzerte genoss. „Uns Solisten
– die anderen kamen aus Österreich, Spanien, Frankreich,
Italien, den Niederlanden, Polen und Portugal – eröffnete
sich eine uns bisher unbekannte Welt“, schildert Klemm. Das
Europäische Solisten Festival ist ein Großereignis, dem in Venezuela eine große Aufmerksamkeit zuteil wird. „Dieses wunderschöne exotische Land und seine Menschen werden mich
noch lange beschäftigen!“, so die Geigerin.
Glitzernde Augen
Auf die Fährte der Musikwissenschaft in Israel begab sich die
Weimarer Professorin Dr. Helen Geyer. Ende April 2015 reiste sie eine Woche lang nach Jerusalem zu zwei namhaften
Institutionen: der Hebrew University mit ihrem Leiter der Musikwissenschaft, Prof. Dr. Seroussi, und der Hebrew Academy
of Music, hier auf Einladung von Dr. Bella Brover-Lubowsky.
Im Mittelpunkt standen intensive Gespräche zu den verschiedensten Forschungsgebieten: Nicht nur der Diskurs über Theorie und Harmonie- bzw. Satzentwicklung im 18. Jahrhundert
stand im Vordergrund, sondern auch Fragen zu den venezianischen Frauenkonservatorien, zur weiten Verbreitung italienischer Quellen in Mitteldeutschland, zur Bibliotheks- und
Theorieforschung sowie auch zur musikwissenschaftlichen
Ausbildung und der entsprechenden Umsetzung. „Die Studierenden waren erfrischende, neugierige Diskussionspartner mit
teils vorzüglichen Deutschkenntnissen“, berichtet Prof. Geyer:
„Der Wunsch, für einen Studienaufenthalt nach Weimar zu
kommen, glitzerte in den Augen.“ Die beiden Campi selbst
hätten „Oasen der Erholung und der Rekreation“ besessen:
kleine Parks mit Bänken und Wiesen in voller Blütenpracht
inmitten der lastenden Hitze eines lang anhaltenden Wüstensturms.
Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con moto: Grenzenloses
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Volles Rohr
Wie klingt das?
Posaunenprofessor Christian Sprenger über die Gründung der Weimarer Harmoniemusik
M
itte Juni 2015 war es soweit: Die rund 30 Bläserinnen und
Bläser der neuen Weimarer Harmoniemusik gaben ein umjubeltes Gründungskonzert im Jugend- und Kulturzentrum mon ami.
Dieses neuartige sinfonische Blasorchester, das sich erstmals an
der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar formierte, geht auf
Ideen und Initiativen von Prof. Christian Sprenger und seinem
Kollegen Prof. Uwe Komischke zurück. In der Rubrik „Wie klingt
das?“ sprach Liszt-Magazin-Autorin Ute Böhner mit dem künstlerischen Leiter Prof. Christian Sprenger über den Anlass zur Gründung, die erste Probenphase und die Zukunftspläne.
Herr Prof. Sprenger, was verbirgt sich hinter dem Begriff
Harmoniemusik?
Christian Sprenger: Die Weimarer Harmoniemusik ist ein sinfonisches Blasorchester und umfasst alle im Institut für Bläser und
Schlagwerk beheimateten Instrumente. Den Begriff Harmoniemusik
empfand ich persönlich ansprechender als den des sinfonischen
Blasorchesters – obwohl bezüglich der Besetzung kein wirklicher
Unterschied besteht. Zudem habe ich diese Bezeichnung gewählt,
um direkt an die lange Tradition dieser Ensembleform anzuknüpfen
und nicht automatisch auf Polkas und Märsche reduziert zu werden.
Was motivierte Sie zur Gründung?
Sprenger: Für eine moderne Hochschule ist es enorm wichtig, vielfältige Orchester und Ensembleformen unter ihrem Dach zu vereinen
und den Studierenden ein umfassendes Ensemble-Angebot machen
zu können. Als ich vor gut fünf Jahren nach Weimar kam, stand ich
an einem grauen Novembertag vor dem Hochschulzentrum am
Horn und hatte den wohligen Gedanken, alle Studierenden des
Hochschulzentrums einmal gemeinsam in einem Ensemble zum Klingen zu bringen.
Wie kam Ihre Idee im Bläserkollegium und in der Hochschule an?
Sprenger: Die Idee eines sinfonischen Blasorchesters mit den Studierenden des Instituts habe ich vor gut zwei Jahren im Institutsrat
vorgestellt. Die Kollegen begrüßten die Initiative und unterstützten
das Vorhaben mit der Zusage, das Projekt mittragen zu wollen. Vor
allem Uwe Komischke war ab diesem Zeitpunkt ein wichtiger Unterstützer der Weimarer Harmoniemusik. Er wirkte auch als Solist im
Gründungskonzert des Ensembles mit. Richtig in Fahrt kam das Ganze dann durch den positiv beschiedenen Antrag beim Kreativfonds
der Hochschule. Wir konnten Literatur und Instrumente anschaffen
und das Gründungskonzert endlich konkret in Angriff zu nehmen.
Was spricht für eine zukünftige Erfolgsgeschichte?
Sprenger: Die Bläsersinfonik passt einfach sehr gut zu unserer Hochschule und ihrem Profil. Und ich denke, sowohl das Gründungskonzert wie auch der Auftritt im Rahmen des Dies Academicus waren
für die Akzeptanz innerhalb der Hochschule ungemein wichtig und
haben gezeigt, dass die Bläsersinfonik an unserer Hochschule eigentlich bislang gefehlt hat.
Wie haben Sie die Vorbereitungs- und Probenphase erlebt?
Sprenger: ... als sehr intensiv (lacht). Wir haben uns vor dem Projektstart dazu entschlossen, unsere Proben wöchentlich abzuhalten.
Wir wollten damit vermeiden, neben dem Hochschulorchester eine
zweite intensive Orchesterphase im Semester zu etablieren. Ich persönlich empfand diesen wöchentlichen Termin als sehr angenehm.
Vor allem deshalb, weil die Anonymität des Hochschulzentrums für
ein paar Stunden wie aufgehoben wirkte …
Gab es auch problematische Momente?
Sprenger: Naja, aller Anfang ist bekanntlich schwer. Aber die Probleme waren meist eher profaner Natur. So war leider nicht allen
Studenten klar, dass man am besten fünf Minuten vor Probenbeginn
vor Ort ist und seine Noten und Dämpfer am besten auch gleich mit
zur Probe bringt! Zudem werde ich es in Zukunft tunlichst vermeiden,
Künstlerischer Leiter und Notenwart in Personalunion zu sein (lacht).
Wie lief das Gründungskonzert?
Sprenger: Ich habe den ganzen Abend einfach sehr genossen und
mich gefreut, dass so viele Kollegen und Freunde den Weg ins mon
ami gefunden haben. Die Studierenden haben wunderbar gespielt
und die Atmosphäre des Konzerts war förmlich mit den Händen zu
greifen. Die Resonanz von studentischer Seite war sehr positiv. Für
viele war das sicherlich ein Projekt mit ungewissem Ausgang: Jetzt
haben sie eine konkrete Vorstellung. Von vielen Studierenden kam
dann auch die Frage, ob und wie es weitergeht.
Und wie soll es nun weiter gehen? Was ist geplant?
Sprenger: Im Juni 2016 leitet Uwe Komischke das SommersemesterProjekt mit Bearbeitungen des Rosenkavalier von Richard Strauss und
des Lohengrin von Richard Wagner. Zudem schreibe ich gerade an
einem Weihnachtsprogramm für das Wintersemester 2016/17 ...
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Ute Böhner.
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Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con spirito: Wissenswertes
Vergessene Schätze
Von der Edition zur Aufführung:
Wiederentdeckung der Werke Johann Melchior Molters
T
hüringen ist ein kulturell reiches Land: Es bietet einerseits eine
vielschichtige Musikgeschichte, die es immer weiter zu entdecken
gilt, andererseits eine reiche kulturelle Infrastruktur. Wie sich die
Thüringer Institutionen bestens ergänzen, bewies ein großes Editions- und Konzertprojekt rund um den Komponisten Johann Melchior Molter. Es wurde aus Anlass seines 250. Todestages vom
Institut für Musikwissenschaft Weimar-Jena an der Weimarer
Musikhochschule gemeinsam mit der Geraer und Altenburger
Theater&Philharmonie Thüringen ins Leben gerufen. Die Geraer
Dramaturgin und Musikhochschul-Alumna Lorina Mattern berichtet im Liszt-Magazin von dem spannenden Prozess und dem
klingenden Ergebnis.
Festlicher Glanz erstrahlt im Festsaal des Altenburger Schlosses,
nicht nur sichtbar, sondern auch hörbar. Die höfischen Klänge, das
herrlich schwelgerische Andante, die virtuosen Arien und die schmissige Sinfonie scheinen noch im Saal zu schweben … Erst dann, nach
einem Augenblick der Stille, erschallt begeisterter Applaus durch
den Saal. Auf diesen Moment beim 11. Philharmonischen Schlosskonzert am 25. September 2015 in Altenburg haben verschiedene
Musikwissenschaftler und Dramaturgen eineinhalb Jahre lang hingearbeitet. Vier Werke Johann Melchior Molters wurden nach mehr
als 200 Jahren aus ihrem Dornröschenschlaf erweckt.
Der Thüringer Komponist war von unterschiedlichen musikalischen
Einflüssen geprägt. 1696 in Tiefenort geboren, erlangte Molter den
Posten des Hofkapellmeisters zunächst in Karlsruhe, später in Eisenach. In den Jahren 1719 und 1737 – noch zu Vivaldis und Scarlattis Zeiten – wurde er zweimal nach Italien auf lange Bildungsreisen
geschickt. Ab 1742 wirkte er wieder in Karlsruhe und komponierte
bis zu seinem Tode im Jahre 1765 sage und schreibe 170 Sinfonien!
Er zählt zudem zur frühesten Komponistengeneration, die Klarinetten- und auch Cembalokonzerte schuf.
250. Todestag als Anlass
Das umfangreiche und vielseitige Œuvre Molters zeigt, wie er die
verschiedenen Strömungen der Übergangszeit zwischen Barock
und Klassik aufnahm und weiterentwickelte. Trotzdem ist er bislang
weitgehend unbeachtet geblieben – außer seinen Klarinettenkonzerten sind kaum Werke herausgegeben oder gar eingespielt worden. Molters 250. Todestag im Januar 2015 sollte der Anlass sein,
dies zu ändern. Theater&Philharmonie Thüringen, das fusionierte
Theater in Gera und Altenburg, plante bereits seit Ende 2013 ein
Konzert zu seinen Ehren. Nun musste das Notenmaterial beschafft
werden.
Was konnte da Gelegener kommen als ein Institut mit jungen Musikwissenschafts-Studierenden, die sich gerne einmal an einer Musikedition ausprobieren wollen? Vor allem wenn – wie im Falle Molters
– zahlreiche Manuskripte gut sortiert und digitalisiert in der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe verfügbar sind. So entwickelte
sich ein großes Kooperationsprojekt mit der Weimarer Musikhochschule: Im Wintersemester 2014/15 boten Prof. Dr. Helen Geyer
und Michael Pauser ein Projektseminar mit dem Titel „Johann Melchior Molter – Entdeckung des Unbekannten im Jubiläumsjahr“ an.
In diesem Rahmen befassten sich zehn Studierende der Hochschule
mit den Manuskripten Molters und stellten daraus modernes, spielbares Notenmaterial her. Dieser Prozess beinhaltete viele knifflige
Herausforderungen, durch die die Beteiligten tief in die Gepflogenheiten des 18. Jahrhunderts eintauchen mussten.
Konzerte in Altenburg und Gera
Der ursprüngliche Plan, drei Konzerte in Altenburg und Gera mit
dem Reußischen Kammerorchester – eines Kammerensembles des
Philharmonischen Orchesters Altenburg-Gera – zu veranstalten,
wuchs immer weiter an. Er wurde durch ein Kammerkonzert mit
Musik von Molter und seinen Zeitgenossen ergänzt, bei dem die
Musikwissenschafts-Studierenden bei einem Podiumsgespräch ihre
Arbeit vorstellen konnten. Gleichzeitig fungierte dieses Konzert als
Eröffnung der Ausstellung „Molter-Ehrung 2015“ in Kooperation mit
der Evangelisch-Lutherischen Kirchgemeinde Tiefenort, die den Werdegang des Thüringer Künstlers anschaulich machte.
Für das 11. Philharmonische Schlosskonzert am 25. September in
Altenburg und das 2. Philharmonische Konzert in Gera am 21. und
22. Oktober 2015 konnten hervorragende Solisten wie die Sopranistin Julia Sophie Wagner gewonnen werden. Das Dirigat übernahm Werner Ehrhardt, ein Experte für Ausgrabungen aus dieser
Zeit. Die Konzerte wurden von MDR Figaro und Deutschlandradio
Kultur mitgeschnitten. Seine Krönung erfuhr das Projekt dann durch
einen Mitschnitt des CD-Labels cpo, so dass diese Musik erstmals
wieder zugänglich sein wird.
Die Verlagsgruppe Kamprad verlegte nicht nur die benötigten Noten, sondern unterzeichnete mit Prof. Dr. Helen Geyer und Michael
Pauser einen Herausgebervertrag über den Beginn einer Johann
Melchior Molter-Werkausgabe. Wir sind sehr froh, uns auf die unbekannten Spuren Molters begeben zu haben. Die erfolgreiche
Zusammenarbeit von Hochschul- und Theatermitarbeitern, von Studierenden und Profimusikern sowie der große Zuspruch von Seiten
der Medien und des Publikums haben uns in unserem Engagement
für die Thüringer Musikgeschichte bestärkt.
Lorina Mattern
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Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con spirito: Wissenswertes
Integrale Kunst
Hochkultur als Hauptsache: Interview mit dem Weimarer
Musikwissenschaftler Prof. Dr. Albrecht von Massow
E
r malt Bilder, schreibt „Gedankenmusik“ und sitzt als Juror
in Kompositionswettbewerben: Albrecht von Massow, seit April
2000 Musikwissenschaftsprofessor an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar, ist ein vielseitig interessierter und nachdenklicher Mensch. Vor einiger Zeit strahlte der Westdeutsche
Rundfunk ein Interview mit ihm zum Musikleben in der DDR
aus, und die von ihm im Böhlau-Verlag herausgegebene musikwissenschaftliche Buchreihe KlangZeiten umfasst inzwischen
dreizehn Bände. Liszt-Magazin-Autorin Katharina Hofmann
sprach mit dem Professor für die Musik des 20. Jahrhunderts,
Musikästhetik und Systematische Musikwissenschaft über musikalische Bildung, Hochkultur und familiäre Verhältnisse.
Herr Prof. von Massow, woher stammt das große Selbstverständnis, das Sie der musikalischen Hochkultur einräumen?
Albrecht von Masssow: Musik im umfassenden Sinne ist das Anspruchsvollste, was der Mensch machen kann, die große integrale
Kunst. Hier mischen sich seine Fähigkeiten zur Disziplin, zur Autonomie, aber auch zur Fehleranalyse, also seine mathematischen
und rationalen Fähigkeiten mit dem Emotionalen, dem Sinnlichen
und Sensomotorischen. Die Ausbildung in diesem dem Menschen
so eigenen Bereich sollte in unserer Gesellschaft erhalten bleiben
– bei uns im Studium und auch in der Schule. Da dürfen wir nicht
bequem werden!
Ich stimme Norbert Lammert zu, wenn er sagt, dass er sich nicht
um die Blüte, wohl aber um die Wurzel des Musiklebens Sorgen
mache – nämlich im Blick auf den Musikunterricht in Schulen –,
und ich ergänze, dass es eine Blüte bald nicht mehr geben wird,
wenn die Hochkultur in Schulen nicht mehr die Hauptsache ist. Die
Breitenkultur gilt primär dem Sinnlichen, dem Alltäglichen. Das ist
als Musik zwar auch wichtig, aber ihr fehlt das Formkalkül, das
Komplexe, das Mathematische und das Philosophische, welches
übrigens auch interkulturell von großer Bedeutung ist. Erfolge durch
eine auch diese Aspekte umfassende Lehre geben uns Recht: Es
gibt nur äußerst selten arbeitslose Musikwissenschaftler, Musiker
und Musikpädagogen; sie finden immer etwas, und sei es in einem
anderen Beruf. Es sind meistens intrinsisch motivierte Menschen.
Ihr Forschungsansatz geht vom musikalischen Artefakt aus, auch
wenn Sie über die politische Verfügbarkeit von Musik – besonders in der DDR – arbeiten …
von Massow: Die Ideologie fällt mit der Zeit vom Werk ab. Ob Musik politisch belastet ist, das wird dann irrelevant. Indem wir uns der
Musik der DDR und Mittel- und Osteuropas vergewissern, arbeiten
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Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con spirito: Wissenswertes
wir für die Wieder-Verflechtung der Staaten durch kulturelle Verflechtung. Das bleibt immer wichtig, gerade auch in Zeiten des wieder aufgebrochenen Ost-West-Konflikts. Musikalische Hochkultur
als solche bleibt aber immer Selbstzweck. Erst neben dem Artefakt
erscheint die Biographie, die Politik etc. In unserer Schriftenreihe
KlangZeiten im Böhlau-Verlag arbeiten wir an einer Wiedervergegenwärtigung von Musik, welche dies aus ästhetischen Gründen
verdient. Deshalb sind mir auch die manchen Bänden beigegebenen CDs so wichtig. Wir machen unbekannte Musik wieder sichtbar bzw. hörbar. Die Komponisten in der DDR arbeiteten natürlich
in einem politisch schwierigen Kontext. Gleichwohl hervorzuheben
erscheint mir hierbei, wenn sie autonom komponierten, eine gewisse Unbestechlichkeit, die auch heute wichtig bleibt, um gesellschaftlicher Entkultivierung entgegenzuwirken. Die KlangZeiten widerspiegeln viel von dieser Doppelbödigkeit zwischen Autonomie
und Politik.
Sie gelten als Spezialist für Musik in der DDR. Wie kamen Sie als
in Westdeutschland Sozialisierter dazu?
von Massow: Mit meiner „Sozialisierung“ ist das generell so eine
Sache, sagen jedenfalls manche… (lacht). Meine Familie väterlicherseits kommt aus Pommern, meine Familie mütterlicherseits aus
Kehdingen in Norddeutschland. Daher stammt meine Liebe zur
Landwirtschaft. Ich habe schon seit meiner Jugend eigentlich kaum
Urlaub gemacht. Ich halte davon nicht viel und weiß auch nicht,
wie das eigentlich geht. In den Sommermonaten habe ich immer
in der Landwirtschaft gearbeitet; zu Ostern und im Herbst besuchte
ich seit 1976 regelmäßig eine Naumburger Pfarrersfamilie. So fiel
mir das Verständnis für die DDR-Kultur nicht schwer.
Mein Kollege Michael Berg hat mir später – nach 2000 – die nicht
bekannten großen Werke, die hier entstanden sind, nahegebracht:
etwa Paul Dessaus Lukullus, die Solokonzerte von Johann Cilenšek,
die „Landschaften“ von Friedrich Schenker. Mein Horizont wurde
dann mit Werken von Friedrich Goldmann, Georg Katzer, Ruth
Zechlin, Jörg Herchet, Siegfried Thiele, Lothar Voigtländer und anderen – und darüber hinaus im Blick auf Mittel- und Osteuropa –
immer größer. Bei der Beschäftigung mit der deutschen Vergangenheit kommt mir zugute, dass ich keine Scheu vor Antipoden habe:
Ich habe viele Gespräche geführt mit Komponisten, die politisch
und ästhetisch voneinander sehr weit entfernt sind – etwa mit Karlheinz Stockhausen und Luigi Nono.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Katharina Hofmann.
Hinter der Zielscheibe
Erfolgreiche Erprobung von Lehrevaluation im
„Netzwerk Qualitätssicherung an Thüringer Hochschulen“
D
er Unterricht an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar ist individuell, persönlich und gestaltet sich anders als an
großen Universitäten. Deshalb lässt sich hier die Lehre nicht
gänzlich mittels standardisierten Fragebogens evaluieren. Ähnlich geht es Kolleginnen und Kollegen der Universität Erfurt und
der Bauhaus-Universität Weimar, die ebenfalls künstlerische Fächer sowie Einzel- und Kleingruppenunterrichte anbieten. Alle
drei Hochschulen kooperieren im Rahmen des vom Thüringer
Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft initiierten „Netzwerk Qualitätssicherung an Thüringer
Hochschulen“ in einem Teilprojekt zur Erprobung alternativer
Formen der Lehrevaluation. Über dieses im Wintersemester
2014/15 gestartete Projekt berichtet Liszt-Magazin-Autorin
Katrin Ulitzsch, Mitarbeiterin im Bereich Lehre und Qualitätsentwicklung der HfM.
Ein Dienstagabend im Februar, 20:35 Uhr. Das Semester neigt
sich bereits dem Ende zu, als ich gemeinsam mit der studentischen
Hilfskraft Lisa Helbig das Gebäude Am Palais betrete. Gemeinsam
bereiten wir den Unterrichtsraum für die bevorstehende Evaluation
der Schulmusik-Big Band vor. Ein Plakat, das zuvor mit einer großen
Zielscheibe bemalt wurde, pinnen wir an die Stellwand, die Stühle
stellen wir in einem Halbkreis auf. Leere Moderationskarten und
Stifte liegen bereit. Kurz vor Beginn betreten die ersten Studierenden den Raum und sind etwas verwundert über die Anordnung der
Sitzgelegenheiten.
Die Teilnehmer wissen zwar von Big Band-Leiter Prof. Gero SchmidtOberländer, dass heute Abend die Auswertung der gemeinsamen
Arbeit stattfinden soll. Doch was hat die Evaluation mit dieser großen Zielscheibe und einem Stuhlhalbkreis zu tun? In einem Vorgespräch hatte sich Gero Schmidt-Oberländer zuvor gemeinsam mit
uns damit auseinandergesetzt, welche Art von Feedback den Studierenden und ihm selbst besonders von Nutzen sein könnte. Seine
Erwartungen, die Ziele und die Möglichkeiten des Formats wurden
besprochen und in die Konzeption einbezogen.
Maßgeschneidertes Konzept
Als Ergebnis entstand ein individuell auf die Big Band zugeschnittenes Evaluationskonzept. Als eines von mehr als 30 Verfahren stand
hier die Auswertungszielscheibe im Fokus. Sie gibt einen ersten
visuellen Eindruck, wie Studierende verschiedene Indikatoren der
Lehrqualität einschätzen. „Ich fand das sehr hilfreich, weil es auf
einen Blick Tendenzen zu bestimmten Bereichen erkennen lässt, die
Streuung schön zeigt und einen Mittelwert erahnen lässt“, äußerte
sich später Prof. Gero Schmidt-Oberländer. „Außerdem geht das
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Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con spirito: Wissenswertes
Verfahren sehr schnell und ist für alle sofort als Ergebnis visualisiert.“
An der freiwilligen Auswertung beteiligten sich 15 der insgesamt
20 Big Band-Mitglieder. Der Lehrende selbst war währenddessen
nicht anwesend. Nachdem die Studierenden ihre Zufriedenheit
mit einzelnen Aspekten durch das Anbringen von Punkten auf der
Zielscheibe dargestellt hatten, diskutierten und reflektierten sie die
verschiedenen Ansichten gemeinsam mit der qualifizierten studentischen Hilfskraft.
„Dadurch, dass unser Big Band-Leiter nicht anwesend war, konnten
wir ganz offen unsere Kritik und Wünsche äußern. Ich denke, dass
dies der Gesamtatmosphäre gut getan hat und wir dadurch nicht
das Gefühl bekommen haben, etwas Bestimmtes sagen zu müssen“, resümiert die Lehramtsstudentin Franziska Steinau. „Es war
eine konstruktive, lockere Runde, in der einige Ideen für konkrete,
leicht umsetzbare Verbesserungsvorschläge entwickelt worden
sind.“ Für die Studierenden war die Evaluation nach anderthalb
Stunden geschafft. Prof. Gero Schmidt-Oberländer erhielt einen
zusammengefassten, anonymisierten Bericht, den wir ihm in einem
gemeinsamen Gespräch dann noch näher erläuterten.
Optimierung der Probenarbeit
Der Leiter der Big Band entschied sich dafür, diesen Bericht auch
den Studierenden zur Verfügung zu stellen und als Grundlage für
das folgende gemeinsame Auswertungsgespräch mit den Musikerinnen und Musikern zu nutzen. „Es gab viele Details, die meine
Organisation der Probenarbeit und der Semesterplanung optimiert
haben“, freut sich Gero Schmidt-Oberländer über die Evaluation.
„Viel Bestätigung für die bisherige Arbeit war aber auch dabei.
Das motiviert!“
Diese Möglichkeit einer alternativen Lehrevaluation wurde u.a.
auch von Prof. Elmar Fulda für das Operettenprojekt Der Vetter aus
Dingsda, von Prof. Karl-Peter Kammerlander für das Fach Blattspiel,
von Prof. Bettina Bruhn für das Hauptfach Klavier und von Prof.
Jörn Arnecke für die Fächer Gehörbildung und Harmonielehre
genutzt. Die Ergebnisse wurden sowohl von den Dozentinnen und
Dozenten als auch von den Studierenden als willkommene Rückmeldung wahrgenommen. „Bei diesem neuen Format können sich
die Gruppen ausführlicher äußern, eigene Ideen entwickeln und
strukturieren“, lobt Prof. Jörn Arnecke. „Die Evaluation bietet den
Anlass, konkret in eine zielgerichtete Diskussion über den Unterricht
zu gehen.“
Katrin Ulitzsch
Alle Hürden genommen
Alt-Rektor Prof. Dr. Diethelm Müller-Nilsson
über die Gründung des Instituts für Musikwissenschaft vor 25 Jahren
„P
rinzipiell einverstanden“, heißt es in einem Aktenvermerk
des damaligen Weimarer Musikhochschulrektors Prof. Dr. Diethelm Müller-Nilsson (*1929) im April 1990. Seine Zustimmung
leitete einen gewichtigen Schritt in der Geschichte der Hochschule ein: Es ging um nichts weniger als die Gründung eines
musikwissenschaftlichen Instituts mit eigener Magister- und Promotionsordnung. Schnell und unbürokratisch konnte diese Idee
bereits im Juni 1990 Wirklichkeit werden. In diesem Jahr wurde
nun das 25-jährige Jubiläum des Instituts bei einem Sommerfest
am 3. Juli 2015 vor dem Hochschulzentrum am Horn gefeiert.
Im Gespräch mit Liszt-Magazin-Autor Jan Kreyßig erinnert sich
Müller-Nilsson an die turbulente Gründungszeit.
Herr Prof. Müller-Nilsson, wie haben Sie die Gründungsphase
erlebt?
Diethelm Müller-Nilsson: Das hat alles viel Mühe gemacht, und
es mussten durchaus auch Hürden übersprungen werden. Wolfgang Marggraf und Michael Berg waren damals gut geeignet,
um das Institut aufzubauen. Die Gründung war zunächst ein ganz
„schwaches Kind“: Es gab nichts, nicht mal eine Schreibmaschine,
geschweige denn Studenten. Wir haben bei null begonnen! Selbst
an Büchern war nur eine alte Ausgabe der „Musik in Geschichte
und Gegenwart“ vorhanden. Das damalige Institut für Volksmusikforschung hatte viele Sammlungen, doch die hatten keine Substanz
Und das heutige Hochschularchiv|Thüringische Landesmusikarchiv
mit seinen wertvollen Notenschätzen existierte auch noch nicht.
Welche Notwendigkeit bestand damals für ein solches Institut?
Müller-Nilsson: Musikwissenschaft in Weimar war ja keine Neuerfindung. Die gab es schon einmal kurzzeitig in den Nachkriegsjahren, damals auch in der Verbindung von Weimar und Jena. Sonst
hätte ich es gar nicht gemacht. Die Notwendigkeit besteht grundsätzlich aber darin zu begreifen, dass die musikalische Kunst aus
zwei Teilen besteht: aus der Kunst und der Wissenschaft. Und wer
das nicht versteht, der hat das nur zur Hälfte begriffen.
Was meinen Sie ganz konkret damit?
Müller-Nilsson: Ich stelle mir vor, dass es für einen praktischen
Musiker wie zum Beispiel einen Klavierprofessor von großem Nutzen sein kann, wenn er sich bei der Einstudierung von Beethovens
Waldstein-Sonate mit einem Musikwissenschaftler zusammensetzt,
um Grundfragen zum Werk zu erörtern. Das betrifft etwa das gewählte Tempo oder das Oktavenglissando im letzten Satz. Der
heutige Steinway geht so schwer, dass man das kaum hinbekommt.
Müssen wir uns heute eigentlich so abquälen, bloß um original zu
54
Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con spirito: Wissenswertes
bleiben? Das kann der Klavierprofessor nicht ganz allein entscheiden! Das kostet Zeit, da muss man sich gemeinsam hineinwühlen.
Das Institut wurde unter „ungewöhnlichen Umständen“
gegründet …
Müller-Nilsson: Die Wende war kein Jahr, wo jeder machen konnte, was er wollte. Die DDR hatte zeitlich noch lange die Finger im
Spiel. Zwar gab es viele Wechsel bei den Kulturministern, aber eines hatten alle gemeinsam: ihre Unsicherheit. Keiner wusste, wohin
sich das alles entwickelt. Die Zeit der Wende ist kaum zu beschreiben, weil sie kalendarisch nicht exakt festnagelbar ist: Jeder hat
dazu seine Privatmeinung. Doch es war zugleich eine wunderbare
Zeit, um Frechheiten zu riskieren. Die haben mich nicht den Kopf
gekostet. Ob das heute noch so ginge, bezweifle ich.
Das Promotionsrecht für die Musikhochschule war zunächst ein
Problem. Warum?
Müller-Nilsson: Die Entwicklung fand ich sehr drollig. Seit meinem
Amtsantritt 1980 hatte ich mich immer wieder vergeblich darum
bemüht. Es führte aber kein Weg dorthin, weil das Ministerium zu
DDR-Zeiten eine andere Vorstellung hatte. Es ging damals zunächst
um den Dr. päd. für die Schulmusik, also den pädagogischen
Doktor. An den Universitäten war das selbstverständlich möglich,
jedoch an einer Musikhochschule wie in Weimar nicht. In der
Wendezeit befasste sich dann der Berliner Bildungsminister Hans
Joachim Meyer mit der Frage des Promotionsrechts an unserer
Hochschule. Bei der Diskussion kam damals heraus, dass er seinen
ablehnenden Standpunkt gegen die Befürworter nicht halten konnte. Also musste er es auch uns zuerkennen. Letztendlich fuhr ich im
August 1990 nach Berlin, wo mir die Urkunde quasi zwischen Tür
und Angel auf dem Büroflur formlos übergeben worden ist. Der Dr.
phil. kam dann später hinzu, das war dann kein Kunststück mehr.
Wie sehen Sie das musikwissenschaftliche Institut heute?
Müller-Nilsson: Es hat seine Räumlichkeiten in einem tollen Gebäude! Ich hätte es auch nie für möglich gehalten, dass wir jetzt neun
Professuren haben. Es fehlt aber fachlich immer noch etwas, das
meine ich aber nicht als Kritik: die Peking-Oper. Wir haben keinen
Chinesen hier, der Fachmann ist. Auch über den Bereich der Musikkritik sollte man nachdenken, vielleicht gemeinsam mit der Germanistik in Jena. Was ich aber höre über das Institut, ist viel Positives!
Insgesamt muss ich sogar sagen: Donnerwetter!
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Jan Kreyßig
Con spirito
Kurz und bündig
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Werk im Wandel
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert seit Mai
2015 ein dreijähriges Forschungsvorhaben zum Komponisten
und Wahl-Thüringer Max Reger (1873–1916). Unter dem Titel „Werk – Wandel – Identität. Max Regers Mozart- und
Beethoven-Variationen als musikalische Selbstzeugnisse“ wird
unter der Projektleitung von Prof. Dr. Christiane Wiesenfeldt,
Direktorin des Instituts für Musikwissenschaft Weimar-Jena,
und der inhaltlichen Federführung von Projektmitarbeiter Dr.
Fabian Czolbe nach den Kompositionsprozessen Max Regers gefragt. Insbesondere stehen bei dem Forschungsvorhaben an der Weimarer Musikhochschule Regers bedeutende
und erfolgreiche Beethoven-Variationen op. 86 und MozartVariationen op. 132 im Zentrum. Reger bearbeitete diese jeweils nachträglich für Orchester (im Falle von op. 86) bzw.
Klavier (im Falle von op. 132). Diese Fassungen verstand er
nicht als zweitrangig, sondern durchaus als gleichwertig: Sie
galten ihm beide als explizit „werkhaft“. Mit einer textgenetischen Analyse der Quellen – Skizzen, Arbeitsmanuskripte,
Korrekturabzüge usw. – sollen die Strategien dieser Überarbeitung sichtbar werden. Das Projekt verspricht auch im Zusammenhang mit dem „Max Reger Festjahr 2016“ weitergehende Erkenntnisse zum Komponisten und seiner Zeit.
Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con spirito: Wissenswertes
Frühe Messvertonung
Neben ihrer Max-Reger-Forschung konnte die Hochschule für
Musik Franz Liszt Weimar noch ein weiteres neues DFG-Projekt auf den Weg bringen: Ebenfalls seit Mai 2015 finanziert
die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) bis 2018 das
Projekt „Die frühe Messvertonung zwischen liturgischer Funktion und Kunstanspruch“. Dafür wurden zwei Forschungsstellen in Weimar sowie an der Johannes-Gutenberg-Universität
in Mainz für die Doktorandinnen Franziska Meier und Kirstin
Pönnighaus sowie wissenschaftliche Hilfskräfte eingerichtet.
Die Leitung übernehmen Prof. Dr. Klaus Pietschmann (Mainz)
sowie Prof. Dr. Christiane Wiesenfeldt, Direktorin des Instituts
für Musikwissenschaft Weimar-Jena (im Bild). Gegenstand
des Projekts ist die frühe Messvertonung als zentrale musikalische Gattung des 15. und 16. Jahrhunderts, deren wissenschaftliche Erschließung bislang unter einer vorwiegend
philologisch sowie werk- und stilgeschichtlich geprägten Forschungsperspektive betrieben wurde. Das Ziel einer systematischen Neubewertung früher polyphoner Messen soll ausgehend von einer breiten empirischen Basis verfolgt werden. Im
Zentrum stehen eine Monographie zur Thematik sowie zwei
Dissertationen zu Vertonungen des frühen Requiems sowie
zur Tradition der frühen L’homme armé-Messen.
Con spirito
Kurz und bündig
Dritte Drittmittel
Es ist bereits ihr dritter erfolgreicher Antrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) binnen zwei Jahren: Prof. Dr.
Christiane Wiesenfeldt, Direktorin des Instituts für Musikwissenschaft Weimar-Jena, konnte nach den DFG-Anträgen zu
den Projekten „Die frühe Messvertonung“ und „Max Regers
Mozart- und Beethoven-Variationen“ erneut erfolgreich Drittmittel einwerben. Das Forschungsprojekt „Cristóbal de Morales und das frühneuzeitliche Magnificat“ (Förderzeitraum
bis 2018) nahm im Oktober 2015 in Weimar seine Arbeit
auf. Unter Federführung von Prof. Wiesenfeldt und der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Sabine Feinen M.A. soll die
Geschichte des frühneuzeitlichen Magnificat in ihrer Abhängigkeit von den Magnificat-Vertonungen von Cristóbal de
Morales (ca. 1500 bis 1553) beschrieben werden. MoralesVertonungen des Canticums des 16. Jahrhunderts sind die
mit Abstand meistgedruckten. Das Vorhaben folgt der These,
dass der enorme internationale Erfolg des Zyklus in der kompositorischen Faktur zu suchen ist. Es soll nachgewiesen werden, dass die in Zeitdokumenten erwähnte Mustergültigkeit
das Resultat seiner Einbindung einer äußerst umfangreichen
Magnificat-Überlieferung war, auf die Morales vor allem in
Sevilla und Rom zurückgreifen konnte.
Drei Millionen
Die Zahl der Videoaufrufe nähert sich der Drei-MillionenMarke: Seit seinem Start im Februar 2011 verzeichnet der
YouTube-Kanal der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar
ein exponentielles Wachstum. Die Zahl der ständigen Kanalabonnenten beträgt nun annähernd 5.000, rund 80 Videos
wurden inzwischen hochgeladen. Mit diesem erfolgreichen
Kanal verfolgt die Hochschule das Ziel, ihr schönstes und
wichtigstes „Produkt“ – junge Musikerinnen und Musiker in
öffentlichen Konzerten – überall in der Welt zeigen zu können. Das Konzept, ausschließlich hoch professionell produzierte Videos zu veröffentlichen, ging auf. In regelmäßigen
Abständen werden vom Tonstudio der Hochschule neue
Videos von herausragenden Hochschulveranstaltungen produziert und hochgeladen. Dabei wird auf höchste Qualität
geachtet: Drei hochschuleigene HD-Kameras, die je nach Veranstaltungstyp um weitere Kameras ergänzt werden, sorgen
für multiperspektivischen, hochaufgelösten Videogenuss im Internet. Zu erleben sind Mitschnitte von Sinfoniekonzerten, den
internationalen Wettbewerben, Meisterkursen und weiteren
überregional bedeutsamen Veranstaltungen der Hochschule
sowie auch Konzerte ihres Hochbegabtenzentrums. Nähere
Informationen: www.youtube.com/hfmfranzlisztweimar
Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con spirito: Wissenswertes
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Permanenter Puls
Alumni Lisztiani: Der Komponist Ludger Vollmer
ist auf der Opernbühne erfolgreich und erhielt 2014 den Weimar-Preis
A
uch zeitgenössische Musik darf berührend sein, soll alle
Sinne erregen, darf nicht nur intellektuelles Glasperlenspiel
sein.“ Dies habe der Komponist Ludger Vollmer von seinem
Mentor Alfred Schnittke gelernt, sagte Prof. Dr. Christoph
Stölzl in seiner Laudatio auf den Weimar-Preisträger des
Jahres 2014. Vollmer ist Absolvent der Weimarer Musikhochschule, lebt seit 1992 wieder in der Stadt an der Ilm und reüssiert bundesweit auf den Bühnen mit seinen Opern, wie z.B.
Lola rennt und Gegen die Wand. Liszt-Magazin-Autorin Nastasia Tietze besuchte den Komponisten bei der Premiere seiner Oper Lola rennt im Deutschen Nationaltheater Weimar.
Es ist ein kalter Käfig aus Stahl und Licht. Hektisch telefoniert Lola
mit ihrem Freund. Er sitzt in der Klemme: 100 000 Mark in zwanzig
Minuten – oder es ist aus. Lola hat Mut. Lola ist entschlossen. Sie
schreit: „Ich kann dich retten. Weil ich es will!“ und rennt los. Ein
roter Feuerblitz durch Licht und Zeit. In Ludger Vollmers Oper Lola
rennt, die 2013 in Regensburg uraufgeführt wurde und auf dem
gleichnamigen Film von Tom Tykwer basiert, geht es um Widerstand gegen Fremdbestimmung, das Aufbrechen der Zeit und das
Ausbrechen aus dem Hamsterrad einer ruhelosen Gesellschaft.
Der Hektik der Großstadt Berlin, ihrem permanenten Puls verlieh
Vollmer einen nervös tickenden Rhythmus – um dann das Kontinuum effektvoll durch melodische Oasen aufzubrechen.
Es sind die großen Themen, die Ludger Vollmer bewegen. „Ein
Komponist muss etwas zu sagen und einen unverwechselbaren Stil
haben“, meint er. Auch seine bislang erfolgreichste Oper Gegen
die Wand, uraufgeführt 2008 in Bremen, handelt vom mutigen
Kampf um Freiheit und der Rebellion gegen Unterdrückung. Fünfmal wurde die Oper seit 2008 bereits neuinszeniert; die nächste
Inszenierung kommt 2016 in Gießen heraus. Mit außerordentlicher
Leidenschaft lotet Vollmer Konflikte aus, die ihm unter den Nägeln
brennen. Er stellt Fragen und rüttelt auf. Er möchte die Jugend bewegen und sie für Musiktheater, für zeitgenössische Musik begeistern.
Blitzschnelle Cuts
„Man muss sich mit jungen Menschen beschäftigen und versuchen
zu verstehen, wie sie ticken. Der beschleunigte Alltag, der Umgang
mit technischen Geräten, auch die Schnitttechniken des Films – junge Menschen sind heutzutage blitzschnelle Cuts gewöhnt. Auch
in meiner Musik versuche ich solche überraschenden, abrupten
Einschnitte zu komponieren“, sagt Vollmer. Dabei kam er spät zum
Komponieren: Erst nach einer Ausbildung zum Werkzeugmechaniker beschloss der gebürtige Berliner, Musik zu seinem Beruf zu
machen. „Während des Wehrdienstes bei der Nationalen Volksarmee hatte ich ein entscheidendes Erlebnis: Ich spielte in einer Jazz-
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Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con brio: Persönliches
Rockband. Dort entdeckte ich zum ersten Mal, welche Freiräume
Musik bietet und wie Menschen von ihr verändert werden können“,
erinnert sich der heute 54-Jährige.
So ging er Mitte der 1980er Jahre nach Weimar, um an der Hochschule für Musik Franz Liszt Instrumentalpädagogik in den Fächern
Violine und Viola zu studieren. Bis heute ist Vollmer aktiver Bratscher, unterrichtet, spielt im Orchester, hat eine acoustic swing band
und macht Kammermusik. „Die Hochschule hat sich im Vergleich zu
damals stark verändert. Ich hatte damals nur bei anderen Studierenden Unterricht, was für mich problematisch war. Deshalb wechselte ich später nach Leipzig“, so Vollmer. Dort setzte er sein Instrumentalstudium fort und machte erste Ausflüge in die Komposition.
Fast zufällig fügten sich nun die Geschehnisse, die ihn zum Beruf
des Komponisten führten: „Ich hatte eine Motette komponiert und
ging damit unbedarft zum Thomaskantor, um zu fragen, ob er sie
nicht aufführen möge. Wenig später, das war 1995, wurde sie vom
Dresdner Kreuzchor gesungen“, erinnert sich Vollmer. Angespornt
von diesem Erfolg vertiefte er sich in die Ergründung der psychologischen Wirkung von Musik. Er experimentierte, schrieb Taschenopern und Miniaturstücke. Er wollte herausfinden, mit welchen Mitteln er erstaunen, erzählen und berühren kann.
Vorbild Terzakis
In dem unkonventionellen und weltoffenen Komponisten Dimitri
Terzakis fand er ein Vorbild und ging zu ihm in die Leipziger Kompositionsklasse. „Nach einer Weile stellte ich fest: Es sind Melodien, die uns bewegen und mitreißen. Für mich sind sie das Herz der
Musik. Um einen dramatischen und vielfältigen Ausdruck zu finden,
studierte ich darüber hinaus außereuropäische Musikkulturen und
mikrotonale Tonsysteme“, beschreibt er sein Vorgehen. Auch in der
Oper Lola rennt speist sich die Musik aus Tonskalen, die er wie
Charakterbilder aus den Psychogrammen der Figuren entwickelte.
Von Anfang an waren Vollmers Kompositionen ein großer Erfolg.
Losgelöst von der Neuen-Musik-Szene, die tonangebend bei Wettbewerben und Festivals ist, ging er einen individuellen Weg. Die
Aufträge kamen wie von selbst. Im Mittelpunkt seines Schaffens stehen große Opernprojekte, die zum Teil von pädagogischen Vorhaben umrahmt sind. Für die Oper Gegen die Wand erhielt der Weimarer Komponist den Europäischen Toleranzpreis, und auch die
Stuttgarter Neuinszenierung war preisgekrönt. Zurzeit komponiert
Vollmer zwei weitere Opern, die im Frühjahr 2017 uraufgeführt
werden sollen: Tschick nach dem Roman von Wolfgang Herrndorf,
und Crusades, eine Oper über religiösen Fanatismus.
Nastasia Tietze
Steckbriefe
Mein eigenes kleines Musikreich!
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Polina Artsis
Sie war bereits am Opernstudio des Mariinski-Theaters in St.
Petersburg engagiert, als die Zulassung zum Masterstudium
kam. Flugs brach Polina Artsis nach Weimar auf. In der Gesangsklasse von Prof. Dr. Michail Lanskoi schloss die gebürtige Russin inzwischen ihren Master ab und bereitet sich nun
auf ihr Konzertexamen vor. In der Spielzeit 2014/15 war
Polina Artsis am Theater Aachen engagiert, wo sie u.a. in
der deutschen Erstaufführung der Oper Brokeback Mountain zu sehen war.
Er ist Musiker durch und durch. Seine Eltern sind Berufsmusiker, gemeinsam mit ihnen und seinen beiden Geschwistern hat Valentino Worlitzsch sogar ein Quintett gegründet.
Nach seinem Bachelorabschluss in Hamburg studiert er
nun in der Weimarer Celloklasse von Prof. Wolfgang Emanuel Schmidt mit dem Profil Dirigieren. Der 25-Jährige ist
u.a. Gewinner des internationalen Wettbewerbs Pacem in
Terris in Bayreuth und Preisträger des Grand Prix Emanuel
Feuermann in Berlin.
Ihre Leidenschaft?
Seit ich klein war, habe ich davon geträumt, einmal in einem
Musical zu singen. Ich liebe die Harmonien, den Tanz. Meine
erste große Bühnenrolle, die Anita in West Side Story am Theater Aachen, hat mir gezeigt, dass Träume manchmal wahr
werden können.
Ihre bisher größte Herausforderung?
Die Inszenierung von Brokeback Mountain. Die Musik war
modern und hatte keine Harmonien, so dass ich meine Stimme ohne passende Klavier- oder Orchesterbegleitung finden
musste. Das war schon herausfordernd und anstrengend.
Trotzdem möchte ich Erfahrungen wie diese nicht missen, denn
ich erarbeite mir gern etwas, das zunächst unbequem ist.
Warum auch Dirigieren?
Es war mir schon immer wichtig, auch den Blick für das Große
und Ganze zu haben. Ich profitiere in beiden Fächern vom
jeweils anderen. Bis vor drei Jahren habe ich auch Hauptfachunterricht in Klavier erhalten. Dirigieren ist für mich eine
neue und tolle Herausforderung, da man mit einem ganzen
Ensemble arbeiten und es anleiten kann.
Ihre Zukunftswünsche?
In meiner perfekten Welt möchte ich gleichzeitig Oper und
Kammermusik machen können. Eine feste Stelle wäre natürlich
schön. Aber ich mag es auch, verschiedene Dinge auszuprobieren und heute hier und morgen dort zu sein. In Weimar
habe ich schließlich meine Liebe zur Barockmusik entdeckt,
die in Russland so gut wie nicht gepflegt wird. Deshalb möchte
ich auch gern in Deutschland bleiben und mich und mein Repertoire in diesem Bereich weiterentwickeln.
Ihr Liebling?
Schubert ist einer meiner Favoriten. Seinen Werken wohnt
eine immerwährende Melancholie und unglaubliche Tiefe
inne. Wie kein Zweiter kann er den Zuhörer in einen Schwebezustand zwischen vordergründig simpel und heiter und
wahrhaft tragisch und schmerzvoll versetzen. Das bereitet
mir regelmäßig Gänsehaut! Besonders seine Gesangszyklen
und Kammermusik berühren mich sehr.
Ihr Wettbewerbsalltag?
Ich versuche immer, trotz aller Anspannung, fit und entspannt
zu sein. Gerade bei großen Wettbewerben teile ich mir die
Zeit so ein, dass ich mich zwischendurch ausruhen und meine Kräfte möglichst gut konditionieren kann, das ist mir am
Schluss das Wichtigste. Nach den Wettbewerben stelle ich
mein Cello auch gern mal für eine Weile in die Ecke.
Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con brio: Persönliches
Valentino Worlitzsch
Steckbriefe
Mein eigenes kleines Musikreich!
Alina Nikitina
Mit gleich sieben Sonderpreisen wurde sie beim Internationalen Mikael-Tariverdiev-Orgelwettbewerb 2013 in Kaliningrad ausgezeichnet – zusätzlich zum 1. Preis. Dabei
studierte Alina Nikitina Orgel nur als Nebenfach, neben
Klavier und Cembalo. Nach ihrem Masterabschluss am
Staatlichen Konservatorium in St. Petersburg wechselte die
31-Jährige gänzlich ins Orgelfach. Für ihr Konzertexamen
an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar wird sie
seit 2014 von Prof. Michael Kapsner betreut.
Er trifft sich gern mal nachts zu einer Jamsession. Arseni
Sadykov, 1989 im weißrussischen Polotsk geboren, ist ein
Allrounder. Seit 2013 studiert er Klavier bei Prof. Gerlinde Otto, spielt aber auch Gitarre, Schlagzeug, Flöte und
Orgel. Sein Bachelorstudium absolvierte er an den Konservatorien in Minsk und Bozen. Neben dem 3. Preis beim Internationalen Franz Liszt Klavierwettbewerb Weimar–Bayreuth 2015 erspielte er sich viele weitere Preise in Russland,
Frankreich, Italien und Deutschland.
Warum Orgel?
Genau genommen spiele ich erst seit sechs Jahren Orgel, Klavier immerhin schon mehr als 25 Jahre. Ich habe mich sofort
in das Instrument verliebt. Mit der Orgel kann ich mit jeder
Epoche kommunizieren, sie förmlich „anfassen“. Als Pianist
hat man außerdem meist eine recht feste Position. Das Orgelspiel hingegen hat viel mit Bewegung und Tanz zu tun.
Gleichzeitig muss man die Balance halten.
Wie üben Sie?
Früher war ich sehr akribisch. Heute weiß ich, dass man auch
im Kopf üben kann. Manchmal spaziere ich durch den Park
und dann spielen meine Finger automatisch ein Stück. Auch
wenn ich mal zwei Tage nicht am Klavier sitze, erfasse ich die
Stimmung eines Stückes im Kopf, kann es dort vorbereiten.
In der Kammermusik …
… lernst du, nicht nur dich selbst zu hören. Anfangs habe ich
in Ensembles noch sehr solistisch agiert. Aber dein Ohr muss
sich zwischen dir und den anderen teilen. Bei der Auswahl
meiner Kammermusikpartner bin ich sehr diplomatisch, bin
allen Instrumenten gegenüber offen. Selbst mit einem Schlagwerker am Vibraphon habe ich schon gespielt.
Klassik oder Jazz?
Ich versuche, für alle Stile oder Genres offen zu bleiben. In
allen Musikstilen gibt es etwas, das mich fasziniert. Das kann
eine Klangfarbe oder nur ein spezieller Effekt sein. Wenn ich
vieles machen kann, fühle ich, dass ich lebe. Privat höre ich
verschiedenes, von Jazz bis Elektronik.
Interviews: Ina Schwanse
Dass ich nach Weimar gekommen bin, …
… ist wunderbar. Hier kann ich das Verständnis für die Stücke entwickeln, die im europäischen Kontext entstanden sind.
Ich habe gelernt, die Orgel sowohl als Konzert- wie auch als
Kircheninstrument zu begreifen, denn ich spiele in Thüringen
sehr viel vor dem Hintergrund des kirchlichen Kalenderjahres.
Für meine russischen Landsleute ist die Orgel ein exotisches
Instrument.
Ihr Traum?
Ich würde gern ein Festival für Tasteninstrumente gründen.
Und ich hätte gern ein eigenes Studio mit einer Orgel, einem
Klavier und einem Cembalo. Mein eigenes kleines Musikreich!
Arseni Sadykov
Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con brio: Persönliches
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Einfach spielerisch
Leidenschaft statt Routine:
Die französischen Brüder David und Alexandre Castro-Balbi spielen sich in die erste Reihe
S
ie sind erst seit zwei Jahren in Weimar – und wühlen die Thüringische Musiklandschaft schon kräftig auf: Die französischen Brüder David und Alexandre Castro-Balbi sind Ausnahmetalente. In
kurzer Zeit erspielten sie sich wichtige Solopositionen in den Thüringer Orchestern. Zunächst führte Alexandre Castro-Balbi (links
im Bild) die Cellogruppe der Jenaer Philharmonie an. Seit Juni
2015 ist der 24-Jährige nun Solocellist der Staatskapelle Weimar.
David Castro-Balbi, der in der Weimarer Geigenklasse von Prof.
Dr. Friedemann Eichhorn studiert, hat seit einem Jahr die Konzertmeisterposition im Philharmonischen Orchester Altenburg-Gera
inne, mit dem der 21-Jährige auch als Solist auftritt. Liszt-Magazin
Autorin Nastasia Tietze zeichnet die musikalischen Lebenswege
des französischen Geschwisterpaares nach.
Alexandre und David Castro-Balbi waren schon immer unzertrennlich. Sie spielten als Kinder zusammen wie zwei beste Freunde. Als
Alexandre, der Ältere, mit dem Cellospielen begann, wollte David
auch ein Instrument lernen. Geige – damit sie auch die Musik teilen
konnten. 15 Jahre später, im November 2013, gewann David den
7. Internationalen Louis Spohr Wettbewerb für junge Geiger an der
Weimarer Musikhochschule und gastierte seither als Solist in ganz
Europa, Panama, Marokko und den USA. Alexandre, erfolgreich
bei Wettbewerben in Mexiko, Spanien und Österreich, hatte derweil bereits seine erste Solostelle in Jena inne.
Wo die Brüder auch auftreten, sie erobern die Bühne, und das Publikum verfällt ihrem Spiel. Was ist ihr Geheimnis? „Unser Vater ist
unser bester Lehrer gewesen“, sagt Alexandre. „Er hat uns in jungen
Jahren mit Witzen und Geschichten in die Welt der Musik entführt.
Nie haben wir Üben als Arbeit empfunden.“ Die südamerikanischen Eltern wollten ihre begabten Kinder nicht zur Musik zwingen,
doch war sie im musikalischen Haushalt immer präsent: „Erst übten
wir mit Papa, dann gingen wir zusammen Fußballspielen“, erinnert
sich Alexandre.
Bilderreiche Interpretationen
Sieht man Alexandre und David Castro-Balbi auf der Bühne, hat
man den Eindruck, das Spielen von damals ist noch immer in ihnen;
so intensiv und bilderreich sind ihre Interpretationen, ohne je das
„Spielerische“ aus dem Blick zu verlieren. Nach ersten Unterrichtsjahren in der französischen Heimat Besançon gingen Alexandre
und David nacheinander nach Paris, an das renommierte Conservatoire National Supérieur de Musique. Musikalische Impulse sammelte Alexandre auch während Studienaufenthalten an den Musikhochschulen in Berlin und Salzburg. Dann entschloss er sich nach
Weimar zu ziehen – wegen des Celloprofessors und der Liebe.
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Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con brio: Persönliches
„Ich habe angefangen bei Prof. Wolfgang Emanuel Schmidt zu studieren, weil er musikalisch sehr intensiv und tiefsinnig arbeitet. Unser Musikverständnis ist sehr ähnlich“, erzählt Alexandre, der sein
Studium im Sommersemester 2015 beendete. Die erste Zeit ohne
seinen Bruder war jedoch nicht leicht. „Ich habe gemerkt, dass mir
die Nähe zu David wichtig ist – wir machen nicht nur gemeinsam
Musik, sondern teilen auch alles andere: Freunde, Geschichten, das
Leben“, sagt er. Was für eine Glückseligkeit für die Brüder, als es
auch David nach Weimar verschlug.
Nach seinem Grundstudium in Paris und einem Zwischenstopp in
Berlin besucht David Castro-Balbi seit April 2015 die Weimarer Geigenklasse von Prof. Friedemann Eichhorn. „Nach dem Gewinn des
Louis Spohr-Wettbewerbs 2013 hatte ich viele Engagements, doch
nach einer gewissen Zeit ebbt die Nachfrage ab, und man muss
sich bemühen, um als Solist international Beachtung zu finden“, sagt
der 21-Jährige. Für ihn ist es besonders wichtig, dass Prof. Eichhorn
seinen Schwerpunkt auf die musikalische Arbeit legt und weniger
stark die technische Detailarbeit im Mittelpunkt steht. In Weimar lernte David auch seine Duo-Partnerin kennen, die Pianistin Ekaterina
Chernozub, die ebenfalls in der Stadt an der Ilm studierte. Mittlerweile sind sie verheiratet und haben einen Sohn.
Begeisterung überträgt sich
Orchesterspiel ist eigentlich noch Neuland für die französischen Brüder. „Bisher sind wir meist solistisch aufgetreten. Jetzt sammeln wir
erste Orchestererfahrungen, was sehr bereichernd ist. Das Orchesterrepertoire ist faszinierende Musik. Und mit unserer Begeisterung
und wenig routinierten Spielweise überträgt sich die Freude auf das
ganze Orchester“, sagt Alexandre. Mag es ihr lateinamerikanisches
Temperament sein, das die ergreifende Gestaltungskunst der Brüder
beeinflusst, ihre Risikobereitschaft oder einfach die Verbindung von
Spaß und herausragender Schule: Die Presse schreibt euphorisch,
lobt ihre Virtuosität, Energie und den „nobel fließenden, warmen
Gesang“.
Nebenbei pendeln die Brüder seit einem Jahr nach Belgien. Dort
studieren sie an der Chapelle Musicale Reine Elisabeth beim Artemis
Quartett mit ihrem Leib-und-Magen-Ensemble: dem 2009 gegründeten Klaviertrio Suyana. „Hoffnung“ bedeutet der Name. „Unser
Pianist Thibaud Epp ist wie ein zweiter Bruder für uns geworden“,
sagt David. Sie hoffen, sich in den nächsten Jahren mit dem Klaviertrio zu etablieren. Doch was die Zukunft angeht, darüber wollen
Alexandre und David Castro-Balbi eher nicht reden – sie leben im
Augenblick.
Nastasia Tietze
Besondere Energie
Die Weimarer Geigenstudentin Anna Matz
spielte zwei Jahre lang in der Orchester-Akademie der Berliner Philharmoniker
B
esser kann es kaum laufen: Anna Matz hatte ihr Geigendiplom noch längst nicht in der Tasche, da gewann sie im Frühjahr 2013 das Probespiel für die international renommierte
Orchester-Akademie der Berliner Philharmoniker. Zwei spannende Jahre in einem der weltbesten Orchester liegen inzwischen hinter ihr. Parallel beendete sie ihr Diplomstudium in
der Klasse von Prof. Dr. Friedemann Eichhorn und befindet
sich momentan im dritten Master-Semester an der Hochschule
für Musik Franz Liszt Weimar. Liszt-Magazin-Autor Jan Kreyßig traf die 24-jährige Geigerin in der Berliner Philharmonie.
Thielemann, der einen mit seinen Blicken förmlich einfängt und fesselt … Jeder hat irgendetwas, was ihn besonders macht.
Frau Matz, warum haben Sie sich in Berlin für den Akademieplatz beworben?
Gibt es einen besonderen Klang der Berliner Philharmoniker?
Anna Matz: Für mich war klar, dass nach dem Diplom etwas anderes kommen muss als der normale Studienalltag in Weimar. Ich
wollte außerdem unbedingt nach Berlin, weil mich nach vier Jahren Kleinstadt die musikalische Vielfalt sehr gereizt hat. Ich hatte
dann unglaubliches Glück, dass das Probespiel für die Akademie
geklappt hat. Damit hätte ich nie gerechnet! Das Gefühl nach dem
Probespiel war dann eine Mischung aus Ungläubigkeit, riesiger
Freude, Überraschung und Erleichterung.
Welche Projekte zählen zu Ihren persönlichen Höhepunkten aus
zwei Akademiejahren?
Matz: Ich durfte bei wirklich vielen tollen Projekten mitspielen, aber
das größte Highlight war mit Sicherheit die Asientournee im Herbst
2013. Ich war vorher noch nie dort gewesen und sehr interessiert
an der fremden Umgebung und Kultur. Dann allerdings auch noch
im Orchester unter Sir Simon Rattle Bruckners 7. Sinfonie und Strawinskys Sacre du printemps aufführen zu dürfen und zu erleben,
wie die Menschen auf die Musik und vor allem die Musiker reagieren, war wirklich überwältigend.
Welche Dirigenten sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Matz: Ich bin sehr beeindruckt von Sir Simon Rattle. Er ist ein wahnsinnig herzlicher und freundlicher Mensch, der keinen Unterschied
zwischen festen Mitgliedern und Akademisten macht. Da kann es
passieren, dass er in der Probenpause zu den Akademisten geht
und ihnen sagt, dass er sich freut, dass sie im Orchester mitspielen.
Das ist, glaube ich, bei Chefdirigenten nicht selbstverständlich. Ich
durfte aber auch viele andere tolle Dirigenten erleben, die mir immer in Erinnerung bleiben werden. Seien es Zubin Mehta, der noch
diese spezielle Aura eines „Maestro“ hat, oder Herbert Blomstedt,
der mit Ende 80 fitter ist als viele in meinem Alter, oder Christian
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Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con brio: Persönliches
Haben Sie sich im Orchester wohl gefühlt?
Matz: Ja. Was den Umgang mit den Akademisten betrifft, so fand
ich besonders gut, dass ich als Streicher neben vielen verschiedenen Kollegen am Pult sitzen konnte. Jeder hat seine eigene Art zu
spielen, achtet auf andere Dinge, und oft bekommt man ein Feedback nach Proben oder Konzerten. Man kann also ständig Neues
lernen und erhält Anregungen.
Matz: Ich glaube, dass sich das Orchester durch die besondere
Energie auszeichnet, die jeder einzelne Musiker ausstrahlt. Das
hört man auch im Gesamtklang. Ich habe Konzerte mitspielen dürfen, in denen vom ersten bis zum letzten Ton eine Spannung im
Saal war, die man hätte durchschneiden können. Die Kombination
aus dieser Energie und den wirklich beeindruckenden technischen
Fähigkeiten eines jeden Musikers macht vielleicht das aus, was das
Orchester für mich so einzigartig macht.
Was zeichnet den Unterricht Ihres Hauptfachlehrers
Prof. Eichhorn aus?
Matz: Als ich Herrn Eichhorn kennenlernte, war ich gerade 16 Jahre alt und zum ersten Mal bei einem Meisterkurs der Sommerakademie im Mozarteum Salzburg. Der Unterricht bei ihm hat mich
von Anfang an begeistert, denn er vermittelt Spielfreude und Spaß
an der Musik und hat immer das „große Ganze“ im Auge. Das
alles war für mich so motivierend, dass ich in diesem Moment endgültig entschieden habe, dass die Musik mich mein ganzes Leben
lang begleiten soll. Außerdem ist er selbst solistisch sehr erfahren
und gefragt. Dadurch kennt er natürlich viele technische „Tricks“.
Was mögen Sie an Weimar als Studienstadt?
Matz: Ich habe an Weimar immer sehr geschätzt, dass man sich
voll und ganz auf sein Studium konzentrieren kann. Es gibt wenige
Dinge außerhalb der Hochschule, die einen wirklich vom eigentlichen Studium ablenken könnten. Ich denke, das ist eine Typfrage,
aber ich wäre als 18-Jährige kurz nach dem Abitur in einer Stadt
wie Berlin völlig verloren gewesen und habe mich im Weimarer
„Kleinstadtflair“ sehr wohl gefühlt.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Jan Kreyßig.
Con brio
Kurz und bündig
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Baskischer Maestro
Ein Alumnus der „Weimarer Dirigentenschmiede“ war in Japan erfolgreich: Der in Bilbao geborene Baske Diego Martín
Etxebarría gewann im Oktober 2015 den 17th Tokyo International Competition for Conducting in der japanischen Hauptstadt. Der ehemalige Weimarer Dirigierstudent setzte sich
damit gegen 239 Mitbewerber durch. Und, was noch viel außergewöhnlicher erscheint, er errang den 1. Preis in Tokio –
der seit 15 Jahren nicht mehr vergeben worden war. Im Finale
dirigierte Martín Etxebarría die New Japan Philharmonic mit
Johannes Brahms‘ Haydn-Variationen sowie Tschaikowskys
5. Sinfonie. Neben dem 1. Preis wurden ihm auch der Hideo
Saito Award sowie der Asahi Award zugesprochen. Außerdem sicherte sich der 36-jährige Spanier Anschlusskonzerte
mit unter anderem dem Osaka Philharmonic Orchestra, dem
Nagoya Philharmonic Orchestra und dem Yomiuri Philharmonic Orchestra. Diego Martín Etxebarría schloss zunächst
sein Diplom im Fach Dirigieren an der Musikhochschule von
Katalonien (Spanien) ab. Von 2007 bis 2009 absolvierte er
ein Aufbaustudium im Fach Orchesterdirigieren an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar in der Klasse von Prof.
Nicolás Pasquet und Prof. Gunter Kahlert.
Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con brio: Persönliches
Höchste Lorbeeren
Noch zu Beginn des Jahres 2015 war Lorenzo Viotti in der
Dirigierklasse von Prof. Nicolás Pasquet und Markus L. Frank
immatrikuliert, doch schon startet er durch: Als ein weiterer
Absolvent der „Weimarer Dirigentenschmiede“ erntete der
25-Jährige höchste Lorbeeren. Er gewann im August 2015
den mit 15.000 Euro dotierten Nestlé and Salzburg Festival
Young Conductors Award. Im Rahmen der Salzburger Festspiele 2016 wird der gebürtige Schweizer nun am 7. August
2016 das ORF Radio-Symphonieorchester Wien leiten. Vor
fünf Jahren war bereits HfM-Alumnus David Afkham bei diesem renommierten Dirigierwettbewerb erfolgreich gewesen:
Er ist inzwischen Chefdirigent des spanischen Nationalorchesters. Lorenzo Viotti überzeugte die internationale Jury
unter Vorsitz von Dennis Russell Davies in einem Konzert mit
der Camerata Salzburg. „Es ist für mich ein unbeschreibliches
Glück und eine Ehre, mit diesem fantastischen Orchester bei
den Festspielen zu sein“, so der Preisträger. Er habe mit der
Camerata Salzburg vom ersten Moment an eine spezielle
Beziehung erleben können. Der Nestlé and Salzburg Festival
Young Conductors Award wurde zum sechsten Mal verliehen. Insgesamt hatten sich 65 Dirigentinnen und Dirigenten
aus mehr als 30 Ländern beworben.
Con brio
Kurz und bündig
Auf Anna folgt Anna
„Lernen von den Profis“ lautet das Motto der Orchester-Aka- Organische Gestik
demie der Berliner Philharmoniker. Diese 1972 von Herbert
von Karajan gegründete Nachwuchsschmiede ist ein Karriere-Sprungbrett – rund ein Drittel der bisherigen Akademisten
sind heute sogar Mitglied der Berliner Philharmoniker selbst.
Nach der Geigerin Anna Matz, deren Akademiezeit im Sommer 2015 endete, gelang nun mit Anna Mehlin einer weiteren Studentin der Geigenklasse von Prof. Dr. Friedemann
Eichhorn an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar die
Aufnahme in die so genannte „Karajan-Akademie“. Ihre zwei
Akademiejahre begannen mit der Orchestersaison 2015/16.
„Für mich war es eine riesige Überraschung“, freut sich Anna
Mehlin. Sie sei ohne große Erwartung hingefahren und hätte
ohne Druck spielen können. Die 21-jährige Bachelorstudentin konnte sich in einem Bewerberfeld von rund 500 Geigerinnen und Geigern durchsetzen. In der aktuellen Spielzeit
stehen Dirigenten wie u.a. Sir Simon Rattle, Andris Nelsons,
Bernard Haitink, Christian Thielemann und Iván Fischer am
Pult der Berliner Philharmoniker. „Anna Mehlin ist eine hochbegabte Geigerin“, lobt sie ihr Professor Friedemann Eichhorn. Sie habe eine starke musikalische Ausdruckskraft und
einen besonderen Klangsinn.
Mitchell Herrmann heißt der Franz-Liszt-Stipendiat 2015 der
Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar: Beim KompositionsWorkshop im Rahmen der 56. Weimarer Meisterkurse konnte
der aus Ohio (USA) angereiste 22-jährige Komponist die Jury
mit seinen Werken von sich überzeugen. Das mit insgesamt
3000 Euro dotierte Franz-Liszt-Stipendium ermöglicht Mitchell nun im Jahr 2016 eine dreimonatige, ungestörte schöpferische Arbeit in Weimar. Außerdem werden seine Werke
während seines Aufenthalts in Weimar in Konzerte des Studios für elektroakustische Musik (SeaM) eingebunden. Der
Fokus lag in diesem Jahr auf elektroakustischen Werken für
Lautsprecherorchester, so genannte „Akusmatische Musik“.
„Für einen so jungen Komponisten ist sein Herangehen an die
elektroakustische Musik und die damit verbundene Technik
äußerst raffiniert und feinsinnig. Besonders seine musikalische
Gestik und Phrasierung wirkt organisch und sinnlich nuanciert“, begründet der Juryvorsitzende Prof. Robin Minard die
Entscheidung für den jungen US-Amerikaner. Mitchell Herrmann studiert derzeit am Oberlin College & Conservatory
in Ohio die Fächer Komposition und Videokunst. Sein Fokus
liegt auf der akusmatischen Musik, doch bezieht er in seine
Werke auch „analoge“ Musik ein.
Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con brio: Persönliches
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Zugehört
Neue CDs unserer Studierenden, Lehrenden und Absolventen
1919: VIOLA SONATAS
Werke von Clarke, Hindemith und Bloch
Barbara Buntrock – Viola, Daniel Heide – Klavier
2014, CAvi-music
Das Gemeinschaftsprojekt der hochkarätigen Solistin Barbara Buntrock
(Viola) sowie des Weimarer Alumnus und Liedgestalters Daniel Heide
(Klavier) vereint Werke für Viola aus dem Jahr 1919. Sie könnten verschiedener nicht sein: die in ihrer musikalischen Sprache mitunter an George
Gershwin erinnernde Sonate von Clarke, dazu die Suite von Bloch, die
der impressionistischen Ästhetik eines Debussy nahesteht, schließlich die
melodische, gar jazzige Sonate von Hindemith, die nur ansatzweise seine
schweren Kriegserlebnisse durchscheinen lässt. Durch ihr fein aufeinander
abgestimmtes Zusammenspiel sowie ihre einfühlsame und engagierte Interpretation werden Barbara Buntrock und Daniel Heide dem Facettenreichtum der Werke nicht nur gerecht, sondern machen diese Einspielung
zu einem Hörerlebnis.
HUMMEL
Mozarts Sinfonien Nr. 38 „Prag“, Nr. 39 und Nr. 40, arrangiert für
Flöte, Violine, Cello und Klavier von Johann Nepomuk Hummel
Uwe Grodd – Flöte, Friedemann Eichhorn – Violine, Martin Rummel
– Violoncello, Roland Krüger – Klavier
2014, Naxos
Mit dem Arrangement von Mozarts Sinfonien für Flöte, Violine, Cello und
Klavier passt der Weimarer Hofkapellmeister der Jahre 1818 bis 1837,
Johann Nepomuk Hummel, die berühmten orchestralen Werke für den
kammermusikalischen Rahmen an. Dass dabei ein wenig Flair der ursprünglichen Kompositionen verloren geht, liegt in der Natur jeglichen
Arrangements. Hummels feingeistige Adaptionen jedoch sind eng am
Original geblieben, als Zeitzeugen eines veränderten Geschmackideals
verbleiben einzig einige aufführungspraktische Differenzen. Das Ensemble
um den Weimarer Professor Friedemann Eichhorn mit hochkarätigen Musikern aus Deutschland und Neuseeland setzt die kammermusikalischen Bearbeitungen mit Mozartscher Leichtigkeit, Präzision und sicherem Gespür
für die melodische Linie in Musik.
QUINTA VOX
Werke von Palestrina, Willaert, Marenzio, Sandrin u. a.
Miyoko Ito – Viola da Gamba, Martin Erhardt – Blockflöte, Orgel,
Cembalo und Gesang, Anne Schneider, Marijke Meerwijk und Bram
Verheijen – Gesang
2014, Tirando
In einem einzigartigen Projekt bemühen sich Myoko Ito und der Multi-Instrumentalist und Alumnus der Weimarer Hochschule Martin Erhardt darum,
die Improvisationspraxis des 16. Jahrhunderts wieder aufleben zu lassen.
Ausgerechnet am Madrigal, einer der populärsten Vokalgattungen der
Zeit, erproben sie gängige musikalische Praktiken der Spätrenaissance.
Dazu gehören die Intavolierung (instrumentale Adaption eines Vokalstücks), Diminution (Umspielung und Verzierung der Hauptstimme) und
die Königsdisziplin der Improvisation – das Hinzufügen einer Quinta Vox,
einer komplett eigenständigen Gegenstimme zur bestehenden Komposition. Auf höchstem Niveau, mal rein instrumental, mal unterstützt durch den
einfühlsamen Gesang Anne Schneiders, Marijke Meerwijks oder Bram
Verheijens, erarbeiten sich die beiden versierten Musiker ihre eigenen Interpretationen der alten Madrigale.
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Zugehört
Neue CDs unserer Studierenden, Lehrenden und Absolventen
TWO TONE FACE QUARTET: BEGINNING TO THE END
Eigenkompositionen des Two Tone Face Quartet
Ju Young Cheong – Gitarre, Nils Feldmann – Saxophon, Hanearl Lee
– Klavier, Wieland Jubelt – Schlagzeug
2014, Konnex
Das Two Tone Face Quartet, das sich aus Studenten des Weimarer Jazzinstituts zusammensetzt, präsentiert mit Beginning to the End ein Album, das
so bunt und abwechslungsreich wie die zwölf Monate eines Jahres daherkommt: In den experimentellen Jazz, der die klanglichen Möglichkeiten
aller beteiligten Instrumente auslotet, mischen sich Zwischentöne, die an
John Coltranes Konzeptalbum A Love Supreme gemahnen – vom warmen Klang des Saxophons und repetitiven licks bis hin zur Verwendung
von multiphonics. An anderen Ecken groovt es (April), knistert im Kamin
(November) oder ergießt sich in sphärische Gitarrenpassagen, die die
ausgiebigen Improvisationen eines Pat Metheny ins Gedächtnis rufen. Beginning to the End ist ein abgedrehtes und schrilles Album, das vor Spaß
und Experimentierfreude überfließt.
MARIE JAËLL
Complete Works for Piano
Cora Irsen – Klavier
2015, querstand
Nach ihrem letzten Projekt, der Hommage an die jüdische Pianistin Alice
Herz-Sommer, setzt sich die Weimarer Klavier-Absolventin und versierte
Interpretin Cora Irsen nun mit einer Gesamteinspielung des Klavierwerks
von Marie Jaëll ein – und somit für die Anerkennung dieser unabhängigen
und kreativen Komponistin, deren Werke leider bislang kaum angemessen gewürdigt wurden. Auf einer ersten CD versammelt sie romantische
Charakterstücke und Walzer der Künstlerin, die die facettenreiche Persönlichkeit und vielseitige Begabung Marie Jaëlls angemessen widergeben.
Durch ihre gefühlvolle und feingeistige Interpretation erweckt Irsen die
kühnen Kompositionen der Schülerin Faurés und Saint-Saëns’ zu neuem
Leben und zeigt wieder einmal, was damals nur ein Meister wie Franz Liszt
auszusprechen wagte: „Würde ein männlicher Name auf Ihren Werken
stehen, so würde die Musik von allen Pianisten gespielt werden.“
PIERRE RODE
Violinkonzerte Nr. 1, 5 und 9
Friedemann Eichhorn – Violine, Jenaer Philharmonie, Nicolás Pasquet
– Leitung
2015, Naxos
Frucht der intensiven Zusammenarbeit der Weimarer Professoren Friedemann Eichhorn und Nicolás Pasquet ist diese fulminante Ersteinspielung
der Violinkonzerte Nr. 1, 5 und 9 des französischen Geigers Pierre Rode.
Der Virtuose, dem Beethoven seine Violinsonate op. 96 auf den Leib
schrieb, hatte um 1800 den Höhepunkt seiner Karriere erreicht: Er war
nicht nur als Professor an das Pariser Konservatorium berufen worden, sondern wurde zudem erster Geige von Napoleons Privatkapelle, bevor er
als Hofgeiger des Zaren Alexander I. tätig war. Seine lebhaften und virtuosen Violinkonzerte werden von Friedemann Eichhorn und dem Orchester
der Jenaer Philharmonie in intensiver Auseinandersetzung neu mit Geist
erfüllt: Dynamik, Artikulation und Solo-Kadenzen entstanden vollkommen
in Eigenregie und zeugen von der Meisterschaft und dem tiefen musikalischen Verständnis Eichhorns. Eine gelungene und äußerst hörenswerte
Aufnahme für alle Freunde anspruchsvoller Violinenmusik.
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Zugehört
Neue CDs unserer Studierenden, Lehrenden und Absolventen
ORIGINAL
Werke von Herbert Baumann, Derek Bourgeois, Jan Koetsier u.a.
10forBrass
2015, Genuin Classics
Für alle Fans der Blechblasmusik ist das neue Album von 10forBrass ein
Hörgenuss: Die anspruchsvolle Suite William and Mary op. 106 von Derek Bourgeois, die den Verlauf der Glorious Revolution mit musikalischen
Farben wiedergibt, und die beliebte Blechbläser-Symphonie op. 80 von
Jan Koetsier werden gerahmt von Michael Nymans Komposition For John
Cage. Hinzu kommen zwei Ersteinspielungen, darunter eine Auftragskomposition für das 12köpfige Brass-Ensemble, dem auch der Weimarer TubaStudent Alexander Tischendorf angehört. Dabei beeindrucken die Musiker stets mit äußerster Präzision in Tongebung und Zusammenspiel sowie
einer fein nuancierten Gestaltungskraft und meistern selbst anspruchsvollste Kompositionen mit großer Souveränität und Agilität.
KATZE MIT HUND: WUNDERBARERWEISE
Eigenkompositionen von Josephine Paschke
Josephine Paschke – Gesang / Instrumente
2015, www.josephinepaschke.com
„Direkt und ohne Umwege vom Hirn ins Herz und unter die Haut“ singt
die „Katze“ Josephine Paschke auf ihrem Album Wunderbarerweise über
das Leben, die Liebe und das alltägliche Auf und Ab. Es geht um die Vergänglichkeit von Glück und von Schmerz, und sie singt von der Hoffnung,
dass am Ende alles gut wird. Ihre glockenhelle Stimme, die stellenweise so
zart und zerbrechlich wie die Gemütslage der erzählten Episoden in ihren
Texten klingt, bereichert die oft originellen, jazzigen Arrangements aus der
eigenen Feder. Eine CD für eben jene grauen Tage, an denen man sich in
Trostlosigkeit und Herzschmerz geborgen fühlen will.
JOHANN SEBASTIAN BACH
Markus-Passion BWV 247 (1744) in der Rekonstruktion von Alexander Grychtolik
Gudrun Sidonie Otto – Sopran, Terry Wey – Alt, Daniel Johannsen
– Tenor, Stephen MacLeod – Bass, Hanno Müller-Brachmann – Bass
Knabenkantorei Basel, Capriccio Barockorchester, Markus Teutschbein – Leitung
2015, Rondeau Production
Ein interessantes Experiment ist die vom Weimarer Cembalo-Alumnus und
Lehrbeauftragten Alexander Grychtolik vorgenommene Rekonstruktion
der Markus-Passion von Johann Sebastian Bach nach der Fassung aus
dem Jahre 1744 und deren Ersteinspielung mit der Knabenkantorei Basel
und dem Capriccio Barockorchester unter Leitung von Markus Teutschbein. Mit großem Fingerspitzengefühl ergänzt Grychtolik das Fragment
der Markus-Passion in ihren fehlenden Passagen durch aus der Johannes- und Matthäus-Passion Bachs entnommene Rezitative, Arien oder
Turbachöre. Auch wenn die Wiederverwertung ganzer musikalischer
Passagen (Parodie) ein gängiges Verfahren der Bach-Zeit ist, kann das
Endresultat dieser Rekonstruktion nur als interessante Nachkonstruktion begriffen werden. Diese ist jedoch im Ganzen überzeugend und zeugt von
großer Sachkenntnis und musikalischem Geschick. Die Einspielung vereint
ausgezeichnete Solisten mit dem gestalterischen Feingefühl des Capriccio
Barockorchesters.
Marika Henschel
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Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con brio: Persönliches
Aufgelesen
Neue Bücher im Überblick
Der Direktor des Instituts für Musikpädagogik und Kirchenmusik,
Prof. Gero Schmidt-Oberländer, bleibt weiterhin produktiv: Nun
ist der dritte Band seiner erfolgreichen Schulbuchreihe MusiX –
Das Kursbuch Musik im Helbling-Verlag erschienen. Der flotte
Sprachduktus der vorangegangenen Bände wird beibehalten, die
Inhalte sind entsprechend des Alters der Schüler und ihres Wissensfortschritts anspruchsvoller. In kurzen, meist nur zweiseitigen
Lerneinheiten werden Themen wie die Gattungen Oper, Musical,
Oratorium oder Filmmusik gestreift, die Geschichte des Jazz überblicksartig ausgebreitet, zeitgenössisches Komponieren mit einem
Kurzinterview des Komponisten Michael Obst illustriert. Im Kapitel
„Musik anderer Kulturen“ liest man Zitate des Weimarer Professors
für Transcultural Music Studies, Tiago de Oliveira Pinto. Auch Franz
Liszt als Vertreter der Romantik und des Virtuosentums findet eine
zeitgemäße Würdigung. Durch das ganze Schulbuch ziehen sich
zudem Bewegungs-Aufgaben im Klassenverband. Zusätzlich werden den angehenden Musiklehrern Film- und Musik-Sequenzen
und sogar die digitale Ausgabe des Schulbuchs zur abwechslungsreichen Unterrichtsgestaltung an die Hand gegeben.
Der Weimarer Lehrstuhl für Kulturmanagement beteiligt sich seit
diesem Frühjahr an der Herausgabe einer neuen Publikationsreihe
Zeitschrift für Kulturmanagement: Kunst, Politik, Wirtschaft und
Gesellschaft, die den Diskurs im Fach in der Nachfolge des Jahrbuchs für Kulturmanagement intensivieren soll. Die erste Ausgabe
umfasst unter der Thematik „Dispositive der Kulturfinanzierung“
verschiedene Beiträge nicht allein zu gesellschaftlichen Grundlagen und Ausformungen von Kulturfinanzierung. Auch klassische
Themen wie Governance, Crowdfunding, neue Bildungsstandards
oder Festival-Management finden sich in der ersten Hälfte des
handlichen Bandes aus dem Transcript-Verlag. Des Weiteren wird
hier der gründlichen Reflexion der eigenen Disziplin in der Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der jährlichen Jahrestagung
des Fachverbands Kulturmanagement im Deutschen Kulturrat eine
geeignete neue Plattform geboten.
Die wissenschaftliche Ernte des großen Weimarer DFG-Projekts
Stimme und Gesang in der populären Musik der USA (19001960) unter der Federführung von Prof. Dr. Martin Pfleiderer findet
sich nun zwischen zwei Buchdeckeln aus dem Transcript-Verlag
gepresst. Hinter dem Titel Stimme, Kultur, Identität. Vokaler Ausdruck in der populären Musik der USA, 1900-1960 verbirgt sich
eine große Retrospektive der populären Vokalmusik der USA. Die
Beschreibung von Gesangsstilen, Ausdrucksmitteln und Persönlichkeiten von Sängerinnen und Sängern wird flankiert von der Darstellung der kulturellen Prozesse der Zeit. Dieses Kaleidoskop der
Stile und Genres wird sprachlich sehr elegant zusammengehalten,
so dass der Leser sehr schnell den Eindruck einer Aufsatzsammlung
verliert. Jeder Mitarbeiter im Projekt musste den Überblick über alle
Stile und Epochen wahren, um das nur scheinbare Nebenprodukt,
die öffentlich zugängliche Software Vocalmetrics, zu erstellen und
Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con brio: Persönliches
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Aufgelesen
Neue Bücher im Überblick
mit 200 repräsentativen Klangbeispielen zu füttern. Es ist geplant,
diese frei verfügbare Software auch auf andere Musikbereiche
und Forschungsfragen zu übertragen.
In einem weiteren beeindruckenden Forschungsprojekt entstand im
letzten Jahr unter der Ägide von Prof. Dr. Helen Geyer die schöne
Ausstellung „Luigi Cherubini: Eine Herausforderung. Autographe
Bestände“ in der Krakauer Jagiellonischen Bibliothek, die durch
den nun publizierten Ausstellungskatalog dokumentiert wird. Die
sehr kenntnisreichen Aufsätze der Weimarer Musikwissenschaftler zu einzelnen Gattungen in Luigi Cherubinis Schaffen werden
flankiert von einer Fülle von Abbildungen und Beschreibungen
der 30 in Krakau gezeigten Exponate. Eingeleitet wird der Reigen
der Aufsätze durch acht ausgewogene Grußworte der beteiligten
Institutionen auf polnischer wie auf deutscher Seite: der Bibliotheken, Universitäten, Musikhochschulen und der Ausstellungsmacher
selbst. Der Cherubini-Nachlass wurde im 19. Jahrhundert von der
Königlichen Bibliothek zu Berlin aufgekauft und kam im Zweiten
Weltkrieg nach Auslagerung in die berühmte Krakauer Jagiellonische Bibliothek, wo er nun von Weimarer Musikwissenschaftlern
beforscht wird.
Auch die folgenden Qualifikationsarbeiten zeugen vom hohen Niveau der musikwissenschaftlichen Ausbildung in Weimar: Melanie
Kleinschmidt bestreitet mit ihrer Dissertation zu „Der hebräische
Kunstgeschmack“: Lüge und Wahrheit in der deutsch-jüdischen
Musikkultur den zwölften Band der hochwertigen, von Prof. Albrecht von Massow im Böhlau-Verlag herausgegebenen Publikations-Reihe KlangZeiten. Sie beleuchtet kundig den Antisemitismus
in der Musikgeschichte und Musikgeschichtsschreibung des 19.
Jahrhunderts. Einen Schwerpunkt legt sie auf die Einbettung von
Richard Wagners Judenfeindlichkeit in den kulturpolitischen Diskurs
seiner Zeit.
Julia Stadter promovierte über eine inzwischen fast veraltet erscheinende Kommunikationsform, den Brief. Sie stellt unter dem Titel Der
Brief im Spiegel der Künste eine breit gefächerte Kulturgeschichte
des Briefes in den Fokus des neunten Bandes der ebenfalls unter
maßgeblicher Weimarer Beteiligung herausgegebenen Buchreihe
Musik und Theater. Ein Großteil der Arbeit beschäftigt sich dabei
mit dem Brief als Motiv in der Musik quer durch alle Gattungen
und Epochen.
In derselben Reihe des Studio-Verlages erschien auch die Masterarbeit von Musikwissenschaftlerin Hannah Lütkenhöner: Eduard
Lassens Musik zu Goethes Faust. Hier wird das Werk eines in der
Wissenschaft lange unbeachteten Komponisten wieder zur Diskussion gestellt. Der Leser erhält einen stimmigen Einblick in Lassens
Schauspielmusik und ihre Bedeutung im Rahmen der Weimarer
Faust-Inszenierung im Jahr 1876 sowie einen Überblick über ihre
europäische Rezeption bis zum Jahr 1933.
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Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con brio: Persönliches
Katharina Hofmann
Fundstück
Musikalischer Champagner
D
as Componieren ist ein Arbeiten des Geistes in geistfähigem
Material. Wie reichhaltig wir dies musikalische Material befunden
haben, so elastisch und durchdringbar erweist es sich für die künstlerische Phantasie. Diese baut nicht wie der Architekt auf rohem,
schwerfälligem Gestein, sondern auf der Nachwirkung vorher verklungener Töne. Geistigerer, feinerer Natur, als jeder andre Kunststoff nehmen die Töne willig jedwede Idee des Künstlers in sich
auf. Da nun die Tonverbindungen, in deren Verhältnissen das musikalisch Schöne ruht, nicht durch mechanisches Aneinanderreihen,
sondern durch freies Schaffen der Phantasie gewonnen werden, so
prägt sich die geistige Kraft und Eigenthümlichkeit dieser bestimmten Phantasie dem Erzeugniß als Charakter auf.
Schöpfung eines denkenden und fühlenden Geistes hat demnach
eine musikalische Composition in hohem Grade die Fähigkeit,
selbst geist- und gefühlvoll zu sein. Diesen geistigen Gehalt werden
wir in jedem musikalischen Kunstwerk fordern, doch darf er in kein
andres Moment desselben verlegt werden, als in die Tonbildungen
selbst. Unsre Ansicht über den Sitz des besondren Geistes und Gefühls einer Composition verhält sich zu der gewöhnlichen Meinung,
wie die Begriffe Immanenz und Transzendenz. Jede Kunst hat zum
Ziel, eine in der Phantasie des Künstlers lebendig gewordene Idee
zur äußern Erscheinung zu bringen. Dies Ideelle in der Musik ist ein
tonliches; nicht etwa begriffliches, welches erst in Töne zu übersetzen wäre.
nimmermehr dringen wird, erklingt in dem Geist des Componisten
ein Thema, ein Motiv. Hinter die Entstehung dieses ersten Samenkorns können wir nicht zurückgehen, wir müssen es als einfache
Thatsache hinnehmen. Ist es einmal in die Phantasie des Künstlers
gefallen, so beginnt sein Schaffen, welches von diesem Hauptthema ausgehend und sich stets darauf beziehend, das Ziel verfolgt,
es in allen seinen Beziehungen darzustellen.
Das Schöne eines selbstständigen einfachen Thema‘s kündigt sich
in dem ästhetischen Gefühl mit jener Unmittelbarkeit an, welche keine andere Erklärung duldet, als höchstens die innere Zweckmäßigkeit der Erscheinung, die Harmonie ihrer Theile, ohne Beziehung
auf ein außerhalb existirendes Drittes. Es gefällt uns an sich wie die
Arabeske, die Säule, oder wie Produkte des Naturschönen, wie
Blatt und Blume.
Nichts irriger und häufiger, als die Anschauung, welche „schöne
Musik“ mit und ohne geistigen Gehalt unterscheidet. Sie stellt sich
die kunstreich zusammengefügte Form als etwas für sich selbst
Bestehendes, die hineingegossene Seele gleichfalls als etwas
Selbstständiges vor und theilt nun consequent die Compositionen
in gefüllte und leere Champagnerflaschen. Der musikalische Champagner hat aber das Eigenthümliche: er wächst mit der Flasche.
aus: Eduard Hanslick, Vom Musikalisch Schönen. Leipzig, 1854
Nicht der Vorsatz, eine bestimmte Leidenschaft musikalisch zu
schildern, sondern die Erfindung einer bestimmten Melodie ist der
springende Punkt, aus welchem jedes weitere Schaffen des Componisten seinen Ausgang nimmt. Durch jene primitive, geheimnißvolle Macht, in deren Werkstätte das Menschenauge nun und
Liszt - Das Magazin der Hochschule 2015 | Con brio: Persönliches
73
Liszt
Das Magazin der Hochschule
N° 9
November 2015
Herausgeber:
Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar
Der Präsident
Platz der Demokratie 2/3
99423 Weimar
Geigen Br atschen
und Celli
aus
meisterhand
Jea n Sever in · geigenbaumeister
Brehmestraße 26 · 99423 Weimar · Tel: 03643 /45 74 377
www.severin-geigenbau.de
www.hfm-weimar.de
www.youtube.com/hfmfranzlisztweimar
www.facebook.com/hfmweimar
Redaktion:
Jan Kreyßig (Chefredaktion), Ute Böhner, Katharina Hofmann, Ina
Schwanse, Prof. Dr. Christoph Stölzl
Autorinnen und Autoren:
Ute Böhner, Jens Haentzschel, Marika Henschel, Prof. Walter Hilgers, Prof. Dr. Wolfram Huschke, Katharina Hofmann, Jan Kreyßig,
Lorina Mattern, Prof. Dr. Tiago de Oliveira Pinto, Ina Schwanse,
Katharina Steinbeck, Prof. Dr. Christoph Stölzl, Michelle Sun, Nastasia Tietze, Katrin Ulitzsch
Gestaltung:
Dipl.-Des. Susanne Tutein
Erscheinungsweise:
Halbjährlich
Auflage:
2.500 Stück
Redaktionsschluss:
15. September 2015
Anzeigenschluss:
15. September 2015
Kontakt Redaktion und Anzeigen:
Tel. 03643 – 555 159, [email protected]
Fotos | Grafiken:
Cover: Geigenstudentin Anna Mehlin, Foto: Guido Werner
Thomas Abé: S. 27, 28, 29; David Ausserhofer: S. 60 rechts;
Andor Csorvasi: S. 43; Evgeni Evtjukhov: S. 11 rechts; Fotostudio
Louis Held: S. 10 links; Pavlos Iliopoulos: S. 61 links; Jan Kreyßig:
S. 55, 65; Daria Kuznetsova: S. 60 links; Max-Reger-Archiv Meiningen: S. 56 links; Reimond Munschke: S. 11 links, 13 rechts;
Thomas Müller: S. 5 Mitte, 59; Gertrud Ohse: S. 12 rechts; Maik
Schuck: S. 5 oben, 7, 15, 16 links, 17 links, 19, 21, 34, 35 rechts,
44 links, 45 links, 47, 57 links; Ina Schwanse: S. 16 rechts, 23,
33, 67 rechts; Stiftung Ettersberg 2015 | Holger John: S. 4 oben;
Anna Teumer: S. 39; Prof. Dr. Tiago de Oliveira Pinto: S. 41, 44
rechts; Susanne Tutein: S. 3, 4 unten, 35 links, 37, 73; Stephan
Walzl: S. 49; Guido Werner: Titelbild, S. 4 Mitte, 5 unten, 9, 13
links, 17 rechts, 25, 45 rechts, 51, 53, 56 rechts, 57 rechts, 63,
67 links; Privat: S. 10 rechts, 12 links, 31, 61 rechts, 66
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