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Frauen in Naturheilkunde und Komplementärmedizin im 19. und 20. Jahrhundert Annette Kerckhoff Zusammenfassung „Frauen in der Heilkunde“ sind ein Thema, dessen wissenschaftliche Erschließung in den letzten Jahrzehnten durchaus begonnen hat - Gegenstand der medizinhistorischen Forschung sind dabei jedoch vorrangig Medizinerinnen, Wissenschaftlerinnen und Wegbereiterinnen der professionellen Krankenpflege und Geburtshilfe. Literatur findet sich zudem zu heilenden Frauen der früheren Geschichte, so z.B. zu Hildegard von Bingen und anderen Vertreterinnen der Klostermedizin. Frauen aus dem Bereich der Komplementärmedizin sind dagegen ein bislang wenig erforschtes Thema. Der vorliegende Aufsatz, der auf einer Bachelorarbeit basiert, liefert eine Übersicht zu prominenten Vertreterinnen der Komplementärmedizin des 19. und 20. Jahrhunderts. Schlüsselwörter: Frauen, Komplementärmedizin, Medizingeschichte Abstract Research about female healers and female doctors working in the field of CAM (Complementary and Alternative Medicine) is rare, in comparison to research about female doctors in conventional medicine, scientists, nurses or midwives. This paper presents the results of a systematic historical research and offers first information about prominent female representatives of CAM living in the 19th and 20th century. Keywords: Women healers, CAM, medical history Heft 1/2014 Seite 53 Kerckhoff Stand der Forschung Frauen in der Heilkunde werden in den Annalen der Medizingeschichte (die über lange Zeit von männlichen Autoren geschrieben wurden) nur marginal erwähnt. (Porter 2007, Eckart, Jütte 2007, Jankrift 2007) Dank der Arbeiten verschiedener Medizinhistorikerinnen und Journalistinnen ändert sich dieser Zustand seit Mitte der 1980er Jahre. (Alic 1987, Brooke 1997, Stein 1997, Dieterich 2007) Gegenstand der medizinhistorischen Forschung hier sind jedoch vorrangig Medizinerinnen, Wissenschaftlerinnen wie auch die Wegbereiterinnen der professionellen Krankenpflege und Geburtshilfe. (Brinkschulte 1993, Kerner 1999, Wolff 1997/ 2001/ 2004, Spitzer 1999) Die Professionalisierungsgeschichte der Heilberufe wurde von Schücking bearbeitet. (Schücking 1996) Angaben zu Frauen in der Komplementärmedizin, hier zu Ärztinnen und Laienheilerinnen, sind in der medizinhistorischen Literatur selten, finden sich jedoch in einigen Werken zur Geschichte der Naturheilkunde. (Asbeck 1977; Rothschuh 1983, Jütte 1996, Jütte 1996b; Heyll 2006) Problemstellung Die vorliegende Arbeit hat das Ziel, eine erste Übersicht über ausgewählte Frauenfiguren in Bereichen zu liefern, die man heute der Komplementärmedizin zuordnen würde. Frauen in der Medizingeschichte Frauen waren erst ab 1867 zum Medizinstudium zugelassen (zunächst in der Schweiz, später auch in Deutschland). Daher waren zwangsläufig alle vor 1867 heilend oder therapeutisch tätigen Frauen als Laienheilerinnen aktiv, auch wenn sie in Bereichen arbeiten, die typischerweise zu Naturheilkunde und Komplementärmedizin gezählt werden können. Nach 1867 gab es parallel Laienheilerinnen und Ärztinnen, ab 1939 zudem auch noch Seite 54 Heilpraktikerinnen. Gerade die Bereiche der Naturheilkunde grenzen an Fachbereiche an, die nicht originär zur Medizin gehören, sondern eigene Disziplinen darstellen, die in der vorliegenden Arbeit jedoch berücksichtigt wurden. Es finden sich daher nicht nur Ärztinnen, sondern auch Naturwissenschaftlerinnen, Ernährungswissenschaftlerinnen, Vertreterinnen praktischer Berufe wie Gymnastiklehrerinnen oder Krankengymnastinnen, schließlich aber auch zahlreiche Laienheilerinnen. Komplementärmedizin Die Vorstellung der „Alternativ-„ oder „Komplementärmedizin“ als einer Medizin, die sich außerhalb der konventionellen Medizin, der akzeptierten Praktiken und des gängigen Gesundheitssystems befanden, entstand erst mit der Entwicklung der naturwissenschaftlich orientierten Medizin im 19. und 20. Jahrhundert, so dass man in der Zeit davor nicht von einer „Komplementärmedizin“ im engeren Sinne sprechen kann. Zahlreiche Bereiche, die heute der Komplementärmedizin zugeordnet werden – Ernährung, Körpertherapien, Pflanzenheilkunde, spirituelles Heilen – zählten jedoch zuvor zu den elementaren Strategien der Heilkunde. Eine allgemein gültige Definition der Komplementärmedizin (complementum – Ergänzung) gibt es nicht. Vielmehr werden in der Literatur und bei maßgeblichen Institutionen unterschiedliche Definitionen und Beschreibungen verwendet, die sich vielfach durch die Abgrenzung zur konventionellen Medizin auszeichnen. Der Pschyrembel Naturheilkunde und alternative Heilverfahren definiert „Komplementärmedizin“ als Überbegriff für „sowohl naturheilkundliche als auch unkonventionelle diagnostische und therapeutische Verfahren, die außerhalb der konventionellen Medizin stehen … und sich je nach Selbstverständnis ergänzend oder ersetzend zur konven- Zeitschrift für Gesundheit und Sport Frauen in der Komplementärmedizin tionellen Medizin begreifen“.(Pschyrembel, 2006, S. 193) Die WHO verwendet die Begriffe „Komplementärmedizin“ und „Alternativmedizin“ synonym und versteht darunter ein breites Spektrum therapeutischer Praktiken, die nicht Teil der eigentlichen Tradition und nicht in das herrschende Gesundheitssystem integriert sind. (http://www.who.int/medicines/ areas/traditional/definitions/ vom 10. 7. 2011). In ähnlicher Weise beschreiben die „National Institutes of Health“ CAM (Complementary and alternative medicine) in Abgrenzung zur konventionellen Medizin (http://nccam.nih. gov/health/whatiscam/ vom 10.7.2011) Ist schon die Definition des Terminus „Komplementärmedizin“ unscharf, so trifft dies in noch höherem Maße für die Nennung der zugeordneten Verfahren zu. Nach Köntopp lag in Deutschland bis 2004 lediglich eine Loseblattsammlung Naturheilverfahren und unkonventionelle medizinische Richtungen vor, die seit 1992 verschiedene Verfahren listenartig aufführte. ( Bühring, zitiert in Köntopp, 2004, S. 19f.) Aufgeführt werden: Bäder- und Klimaheilkunde, Hydro- und Thermotherapie, Bewegungstherapie, Massage, Elektrotherapie, Ernährungstherapie, Phytotherapie, Körperorientierte Psychotherapie, Umstimmende Therapien, Sauerstoffbehandlungen, „Ausleitende“ Therapien und Therapien mit lokal reizenden und reflektorischen Wirkungen ,Neuraltherapie, Homöopathie und verwandte Verfahren, Akupunktur und andere Verfahren der chinesischen Medizin, anthroposophische Medizin. 2005 wurde in Kooperation zwischen der Universität Hannover und der CarstensStiftung ein Curriculum Naturheilverfahren und Komplementärmedizin erstellt, das neben den maßgeblichen Verfahren der Naturheilkunde die anthroposophische Medizin, TCM und Akupunktur, Ayurveda und Neuraltherapie mit aufnahm. (Steuernagel & StockSchröer, 2005) Aufgeführt werden: Naturheilverfahren, Physikalische Therapie, Ernährungstherapie, Phytotherapie, Homöopathie, Heft 1/2014 aus- und ableitende oder umstimmende Therapiemethoden, Ordnungstherapie, Traditionelle Chinesische Medizin und Akupunktur, anthroposophische Medizin, Ayurvedische Medizin, Neuraltherapie und therapeutische Lokalanästhesie, komplementäre onkologische Therapien. 2007 listete Uehleke unter komplementärer und alternativer Medizin im „NCCA Kategorienschema 2007“ die Kategorien Mind-BodyMedicine, biologisch fundierte Methoden, manipulative körperbezogene Methoden, energetische Methoden und ganze Medizinsysteme auf, wobei er dem letzten Punkt westliche Medizinsysteme wie Naturheilkunde oder Homöopathie sowie östliche Systeme wie TCM oder Ayurveda zuordnete. (Hoefert & Uehleke, 2009, S. 9) Diese verschiedene Auflistungen zeigen: die Zuordnung ist nicht einheitlich. Wiederholt genannt werden jedoch TCM, Ayurveda, Homöopathie, anthroposophische Medizin, Mind-Body-Medizin wie auch diverse Körpertherapien und Regulationstherapien. Methodik Um den Forschungsgegenstand einzugrenzen, wurde nach Frauen im Bereich von Naturheilkunde und Komplementärmedizin recherchiert, die - Therapieverfahren gegründet haben, - Einrichtungen gegründet haben oder - publiziert haben. Als zeitlicher Rahmen wurde die Recherche auf das 19. und 20. Jahrhundert eingegrenzt mit Geburtsjahren von 1800-1940. Räumlich wurde sich auf Frauen in Europa reduziert. Der Bereich der Naturheilkunde und Komplementärmedizin wurde auf Naturheilkunde mit den Säulen Ernährung, Bewegung, Pflanzenheilkunde eingegrenzt, daneben wurde zu Vertreterinnen der Homöopathie und der anthroposophischen Medizin recherchiert. Die Recherche zu den Frauenfiguren in der Komplementärmedizin erfolgte mit drei Suchstrategien: Seite 55 Kerckhoff - Geschichte der Alternativen Medizin: Medizinhistorische Literatur zur Geschichte von Komplementärmedizin und Naturheilkunde wurde im Stichwortverzeichnis nach Frauennamen durchsucht (hier v.a. Jütte 1996). Die genannten Frauennamen wurden im Internet nachrecherchiert, um zu ermitteln, ob es sich um Vertreterinnen der Komplementärmedizin handelte. - Frauenliteratur: In der einschlägigen Literatur zu heilkundig tätigen Frauen wurde gezielt nach historischen Frauenfiguren aus Bereichen gesucht, die heute der Komplementärmedizin zuzuordnen sind. (Brooke 1997, Strohmeier, Windsor 2002, Sichtermann 2012) - Nach Aufstellung eines Verfahrenskataloges zur Komplementärmedizin gemäß der genannten Definitionen wurde die sich daraus ergebene Liste systematisch in einer Internetrecherche auf Namen von Frauen durchsucht. Darüber hinaus wurden in den historischen Kapiteln in der Fachliteratur zu Frauenfiguren recherchiert. Weiterhin wurde zu Publikationen und Biografien der einzelnen Frauen gesucht und diese eingesehen. (Rolf 1993 1989, Zeylman von Emichoven 2004, 2005, Budwig 1999, 2006, Collier 1977, 1981, 1982, 1983, 1996, Ingham 1979, Marquardt 2003, 3005, 2008, 2009 Ergebnisse Die zentralen Ergebnisse der Recherche werden nachfolgend überblicksartig dargestellt (Tab. 1 bis Tab. 6) und erläutert. Hierbei werden die unterschiedlichen Bereiche der Naturheilkunde/Komplementärmedizin jeweils einzeln dargestellt. Naturheilkunde/Komplementärmedizin allgemein Tabelle 1: Bedeutende Vertreterinnen der Naturheilkunde und Komplementärmedizin allgemein Seite 56 Zeitschrift für Gesundheit und Sport Frauen in der Komplementärmedizin Ernährung Tabelle 2: Bedeutende Vertreterinnen und Pionierinnen im Bereich Ernährung Bewegungs- und Körpertherapie Tabelle 3: Bedeutende Vertreterinnen und Pionierinnen im Bereich Bewegungsarbeit und Körpertherapie Heft 1/2014 Seite 57 Kerckhoff Pflanzenheilkunde Tabelle 4: Bedeutende Vertreterinnen und Pionierinnen der Pflanzenheilkunde Homöopathie Tabelle 5: Bedeutende Vertreterinnen und Pionierinnen der Homöopathie Seite 58 Zeitschrift für Gesundheit und Sport Frauen in der Komplementärmedizin Anthroposophische Medizin Tabelle 6: Bedeutende Vertreterinnen und Pionierinnen der anthroposophischen Medizin Die Recherche ergab insgesamt Hinweise auf 85 Frauen. 47 Frauen können im Forschungszeitrum im weitesten Sinne als prominente Vertreterinnen, Wegbereiterinnen, Autorinnen, Therapiebegründerinnen etc. angesehen werden, zu 34 Frauen wurde weitergehend recherchiert, sie finden sich in den Tabellen unten. Unter diesen 34 Frauen befinden sich7 Ärztinnen, 4 Naturwissenschaftlerinnen, 1 Apothekerin, 1 Heilpraktikerin, 10 Angehörige medizinischer Heilberufe und 11 Laienheilerinnen, von denen jedoch 2 im Laufe ihres Lebens einen Ehrendoktortitel und 1 eine Professur erhielten. 18 Frauen waren Therapiegründerinnen, die Heilmittel oder Therapien entwickelten. Mit 10 Vertreterinnen in den Körpertherapien war dieser Bereich ebenso stark vertreten wie die Pflanzenheilkunde, wobei im Bereich Körpertherapien Angehörige medizinischer Berufe und im Bereich Pflanzenheilkunde Laienheilerinnen auffällig stark vertreten waren. Diskussion Das Forschungsprojekt machte deutlich, dass die Recherche zu Frauen im Bereich der Komplementärmedizin schwierig ist und zwangsläufig lückenhaft bleiben muss. Die hier vorgestellte Tabelle versteht sich als ein erster Baustein. Bedacht werden muss, dass hier nur diejenigen Frauen aufgenommen sind, die über eine gewisse Prominenz verfügt haben, weil sie als Pionierinnen tätig waren oder schriftli- Heft 1/2014 che Werke hinterließen. Als weiteres Problem stellten sich gerade die Randbereiche der Komplementärmedizin heraus, bei denen nicht immer klare Grenzen zu ziehen waren. Es ist bekannt, dass der Graubereich unter heilend oder therapeutisch tätigen Laienheilerinnen in der Geschichte besonders groß ist, sie werden jedoch vor allem durch ihre Lebensleistung, durch eigene Publikationen wie auch die Nennung in der historischen Literatur sichtbar. Die Auflistung zeigt, dass keinesfalls nur Laienheilerinnen in den Bereichen, die heute der Komplementärmedizin zugeordnet werden, tätig waren, sondern auch eine ganze Reihe von Ärztinnen. Ein weit gefasster Gesundheitsbegriff, der durchaus Anlass zur Diskussion geben darf, führte zu der Berücksichtigung von Vertreterinnen anderer wissenschaftlicher Disziplinen und medizinnaher praktischer Berufe wie auch der Berücksichtigung von Laienheilerinnen oder Frauen, die ihren Männern als Wegbereitern neuer Therapien zugearbeitet haben. Gerade bei Frauen, für die der Zugang zum Medizinstudium nicht leicht war, muss bedacht werden, dass sie oft in Bereichen tätig waren, die sich aus heutiger Sicht in den Randbereichen der Medizin befinden: Laienheilkunde, Pflege, Gesundheitsförderung, Gesundheitspflege, „Gesundheitstourismus“, Ernährungslehre, Körperarbeit etc. Ganz bewusst wurde daher in dieser Arbeit auf die Eingrenzung auf Ärztinnen verzichtet. Seite 59 Kerckhoff Internetadressen für weitere Recherchen zu beachten: Die Forschung zu Frauen im Bereich der - Biographische Datenbank über Frauen von Komplementärmedizin befindet sich erst am Luise F. Pusch: www.fembio.org Anfang. Neben der historischen Übersicht über www.nlm.nih.gov/changinghtefaceofmedi Frauen wie auch die biographische Forschung cine/index.htm zu einzelnen Persönlichkeiten, haben sich bei National Library of Medicine: der Arbeit noch andere Aspekte als interessant www.nlm.nih.gov/ herausgestellt und die in den Bereich der www.fembio.de Genderforschung fallen. So scheinen Kommuwww.frauen-gedenknikation und Gespräch eine besondere Rolle labyrinth.de/historifrauen.html als Schlüsselsituationen für die Entwicklung www.gendermedjournal.com neuer Therapieformen von Pionierinnen der - www.womenofhistory.com Komplementärmedizin darzustellen. Neben den im Literaturverzeichnis aufgeführten Quellen, empfiehlt es sich auch die folgenden Ausblick Literatur Alic, M. (1987). Hypatias Töchter, Zürich: Unionsverlag. Brinkhoff, Z. (1967). Bericht über einen Workshop 1967. http://www.reflexologyinstitute.com /reflex_ingham.php vom 7.7.2011. Brinkschulte, E. (Hrsg). (1993). Weibliche Ärzte. 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