Eine gut geölte Maschine

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Eine gut geölte Maschine
Eine gut geölte Maschine
Am Frankfurter Flughafen arbeiten Mensch und Maschine Hand in Hand, um größtmögliche Sicherheit zu gewährleisten. Von der Personenkontrolle bis zur Gepäcköffnung stellen sich der terroristischen Gefahr zahlreiche Mechanismen in den Weg
Die Boeing 747-8 „SachsenAnhalt“ der Lufthansa rollt unter
dem stahlblauen, wolkenbefleckten Himmel, der sie gerade
erst losgelassen hat, zielstrebig
ihrem Gate zu. Kaum hat sie ihre
Parkposition erreicht, umschwärmen sie Arbeiter und
Fahrzeuge in routinierter Choreographie: Flugzeugabfertiger
in blauer Arbeitskleidung, neongelber Warnweste und klobigen
Handschuhen sichern die Fahrwerke mit Bremsklötzen; andere
sperren die Triebwerke mit rotweißen Signalhütchen ab. Brückenfahrer steuern die Gangways zu den Türen des
Jumbo-Jets. Die Passagiere sitzen noch in der Kabine, als Ge-
Choreografierte Sicherheit – Die 747-8 „Sachsen-Anhalt“ erreicht nach der Landung ihre Parkposition. Sofort wird sie von allen Seiten umwimmelt.
päckverlader bereits die ersten
Koffer vom Förderband heben.
Die 747-8 ist mit ihren 76 Metern das längste Passagierflugzeug der Welt – bei ihrer Abfertigung zählt jede Minute. Das
verlangt wohlgeplante Abläufe,
denn wichtiger als Zeit ist am
Flughafen wohl nur noch die Sicherheit der Passagiere, Mitarbeiter und Gepäckstücke.
An einem normalen Tag betreten etwa 160.000 Reisende
den Frankfurter Flughafen, das
entspricht 58 Millionen Fluggästen im Jahr 2013. Seinen Rekord erlebte das Drehkreuz im
vergangenen Juli, als 200.100
Passagiere an einem einzigen
Tag den Flughafen ansteuerten.
Zusätzlich sind etwa 78.000
Menschen am Frankfurt Airport
beschäftigt. In seinem Passagieraufkommen, aber auch in
seiner Komplexität und Unübersichtlichkeit ist ein Flughafen ein
Ort, der ganz besondere Sicherheitsbedingungen verlangt.
Erst am Pfingstwochenende
ist es zehn Kämpfern einer Taliban-Splittergruppe gelungen,
ein Terminal am Flughafen der
pakistanischen Stadt Karachi
über Stunden in ihre Gewalt zu
bringen. Sie zündeten drei
Sprengsätze, 28 Menschen
starben. Damit so etwas in
Frankfurt nicht passieren kann,
arbeiten am drittgrößten Flughafen Europas Beamte der Bundespolizei, Mitarbeiter der Betreibergesellschaft Fraport und
ihrer Sicherheitsfirma Frasec
Hand in Hand. Die Passagiere
werden beim Betreten des Sicherheitsbereichs lückenlos
überprüft. Ihr Gepäck durchläuft
die Mehrstufige Reisegepäckkontrollanlage (MRKA). Bevor es
ins Flugzeug verladen wird,
gleicht ein Computer noch einmal ab, dass Passagier und
Koffer gemeinsam abheben.
„Gehen Sie bitte nach links“,
sagt die Frau in der gelben
Weste, auf die in Brusthöhe ein
Fraport-Logo aufgestickt ist. In
der linken Reihe der niedrigen
Containerbaracke sind ein
blaues Röntgengerät und ein
Metalldetektor zum Durchlaufen
aufgestellt. In der rechten Reihe
streichen Fraport-Mitarbeiter
den Vorbeihastenden mit einem
Sprengstoffdetektor
über
Hände, Schuhe und mitgebrachte Gegenstände. Jeder,
der den Sicherheitsbereich betritt, muss diese Kontrolle über
sich ergehen lassen. Jedes Mal.
„Die Kontrollen hier haben genau die gleichen Standards wie
für die Passagiere“, versichert
Julia Buchheit, die für die Fraport AG regelmäßig Besucher
über das Gelände führt.
Was in den Sicherheitsbereich mitgenommen werden
darf, regeln §11 des Luftsicher-
heitsgesetzes und eine EG-Verordnung aus dem Jahr 2002.
Die strengen Regularien wurden
als Reaktion auf die Anschläge
des 11. September 2001 erlassen. So dürfen keine Flaschen
mit mehr als 100 Millilitern Flüssigkeit mitgeführt werden. An
den Kontrollstellen hängen
große Tafeln mit verbotenen Gegenständen wie Feuerzeugen,
Sprühdosen und Messern bis
hin zu scheinbar harmlosen
Stricknadeln.
Zusätzlich muss jeder Passagier, der die Grenzen des
Schengen-Raums überschreitet, seinen Pass vorzeigen. Seit
drei Jahren ist das elektronische
System EasyPass in Betrieb: Inhaber der neuen Personalausweise und Reisepässe können
sich hier vor einer Maschine
ausweisen. An der Sicherheitskontrolle kommt kein Fluggast
vorbei, auch wenn er sich innerhalb des Schengen-Raums bewegt.
„Und wenn ich am Tag zwanzig mal rein und raus gehe, ich
muss jedes Mal durch die Kontrolle“, erzählt Hubert Grünewald. Der Mann mit der randlosen Brille ist Betriebs- und
Verfahrensleiter der Gepäckanlagen am Frankfurter Flughafen.
Nur Bundesbeamte mit Dienstwaffe können die Kontrollen ungehindert passieren. „Die verdienen ja auch mehr als ein
Mitarbeiter der Gepäckabfertigung“, überspielt Grünewald die
Sicherheitslücke. Hier wird
Pflichtbewusstsein nur durch finanzielle Vergütung hergestellt.
Seine Fraport-Schirmmütze
ist innen mit einer schützenden
Anschlusskappe verstärkt: „Sicher ist sicher.“ Denn selbst in
der ausgeklügeltsten Anlage
Organisierte Sicherheit – 78.000 Mitarbeiter sorgen am Frankfurt Airport
dafür, dass alles reibungslos abläuft.
kann es zu Arbeitsunfällen kommen. Hubert Grünewald ist verantwortlich für einen Teil der 81
Kilometer langen Förderstrecke,
die das Bordgepäck der Fluggäste vollautomatisiert vom
bringt. Die Gittertür fällt zurück
ins Magnetschloss, und die
Bänder fahren die Koffer weiter
durch die sogenannte Scannerdusche. Nachdem ein Koffer am
Schalter der Airline sein „Tag“
Vollautomatisierte Sicherheit – Zielstrebig findet jeder Koffer seinen Weg über
die 81 km lange Förderstraße im Keller des Flughafens.
Check-In-Schalter bis kurz vor
das Flugzeug bringt. Während
er noch redet, öffnet Grünewald
beherzt das Gittertor einer Anlage. Hier kreisen einige Gepäckstücke, die vor wenigen Minuten im Passagierbereich
aufgegeben wurden. Reflexartig
bleiben die Förderbänder stehen.
„Das hier hätte so nicht aufgegeben werden dürfen. Der
Fehler? Er rollt“, kommentiert
Grünewald, als er einen in roter
Cellophanfolie eingewickelten
Koffer vom Band nimmt und
zum Nachbearbeitungsplatz
bekommen hat, beginnt hier
seine Reise durch den Untergrund des Flughafens.
Die Koffertags sind vom internationalen Airline-Dachverband IATA entwickelt und weltweit einheitlich: Sie enthalten
alle relevanten Fluginformationen in einem Barcode und für
die Mitarbeiter noch einmal in
Buchstaben- und Zahlenform.
Nachdem einer der zwölf Scanner in der Scannerdusche den
Barcode des Gepäckstücks
ausgelesen hat, wird ihm eine
der 22.000 Gepäckwannen zugewiesen. Ein Kopfrechner, vier
Leitrechner und zahlreiche Arbeitsrechner koordinieren ihre
Route durch das System. Die
Anlage wurde seit ihrer Inbetriebnahme 1974 ständig erweitert und modernisiert; seit kurzem läuft das speziell
entwickelte Steuerprogramm SPS auf dem
quasi virenfreien Betriebssystem Linux.
Kleinere Störungen in
einzelnen Streckenabschnitten umfährt das
Programm eigenständig. „Wir sind in der
Lage, 45 Minuten Umsteigezeit zu garantieren, was uns einen
gewissen
Wettbewerbsvorteil
verschafft“, erklärt Grünewald stolz.
Bevor die Koffer jedoch den
Großteil der Förderstrecke hinter
sich bringen, durchlaufen sie die
Mehrstufige Reisegepäckkontrollanlage (MRKA). Gleich hinter
den Scannerduschen fahren die
Koffer in eines von 33 Röntgengeräten. Kann die Maschine
nicht innerhalb einer vorgegebenen Zeitspanne feststellen,
dass ein Gepäckstück unbedenklich ist, übergibt sie ihre
Röntgenbilder an einen Analysten. Der überprüft mit geschulten Augen etwa jedes zweite
Gepäckstück, fünf Prozent zieht
er zur manuellen Kontrolle aus
dem Verkehr. Die MRKA ist sogar an einen Sprengstoffbunker
angeschlossen, der allerdings
höchst selten gebraucht wird.
Wenn die Frasec-Spezialisten
im Auftrag der Bundespolizei
Koffer in der Kontrollstufe 3 öffnen, müssen sie in 80 Prozent
der Fälle Gefahrgut entfernen.
Meist handelt es sich jedoch um
am Boden ungefährliche Gegenstände wie Haarspray oder
Lithium-Ionen-Akkus.
„Manche Leute kaufen sich
im Urlaub in Deutschland eine
tolle Husqvarna-Kettensäge und
wundern sich später, dass sie
nicht mehr im Koffer ist“, feixt
Grünewald. Nach einem bis drei
Monaten im Zollgutsammellager
werden entnommene Gegenstände entsorgt.
Präzise wie ein Uhrwerk liefert die MRKA alle Gepäckstü-
cke rechtzeitig zu den Flugcontainern und Dollies, die gleich
aufs Flugfeld herausgefahren
werden. Zwei Stockwerke höher
wird beim Boarding derweil eine
endgültige Passagierliste erstellt: Wenn ein Passagier nicht
am Gate erscheint, wird auch
sein Koffer nicht verladen. Umgekehrt wird gegengecheckt,
dass das Gepäck auch tatsächlich ins Flugzeug verladen wird.
Das stellt das „Baggage Reconcilation System“ BRS sicher.
Das System wurde eingeführt,
nachdem Terroristen im Dezember 1988 mit einem herrenlosen
Koffer eine 747 über dem
schottischen Lockerbie sprengten. Die Maschine der Pan Am
war zuvor in Frankfurt zwischen-
Hoch getaktete Sicherheit – Bereits wenige Minuten nach der Landung
ist das Gepäcknetz des Jumbos komplett ausgeladen.
gelandet.Die Flughafensicherheit an den großen Drehkreuzen
der Welt hat sich gerade nach
ihren schwärzesten Tagen weiterentwickelt, damit es zu keinem zweiten Lockerbie oder
9/11 kommen kann. Das sollen
die zahlreichen Systeme sicherstellen.
Der Frankfurter Flughafen
brummt wie eine gut geölte Maschine. Tief unten im Keller unter
dem Terminal 1 jagen bereits die
Koffer über die Gepäckförderbänder, die bald in die 747-8
„Sachsen-Anhalt“ verladen werden sollen. Dann wird sich der
Jumbo einmal mehr in den
blauen Himmel über Frankfurt
schrauben.
Text & Fotos: David Ehl

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