1 Domprediger Thomas C. Müller Estomihi, 15

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1 Domprediger Thomas C. Müller Estomihi, 15
Oberpfarr - und Domkirche zu Berlin
Domprediger Thomas C. Müller
Estomihi, 15. Februar 2015, 18 Uhr
Predigt über Lukas 10,38-42
Gnade sei mit euch und Frieden von Gott, unserem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus.
Der Predigttext steht im Evangelium nach Lukas 10,38 – 42.
38 Als sie aber weiterzogen, kam er in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf.
39 Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu.
40 Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihm zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht
danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll!
41 Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe.
42 Eins aber ist Not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.
Liebe Gemeinde,
zwei außergewöhnliche Frauen. Die eine: Martha. Sie tut etwas, was sich für eine unverheiratete oder
verwitwete Frau in der damaligen Zeit nicht schickt. Sie lädt einen Mann in ihr Haus ein. Die andere:
ihre Schwester Maria. Sie setzt sich wie ein Rabbinerschüler zu Füßen des Meisters und hört seinen
Ausführungen zu. Aber Rabbinerschülerinnen gab es nicht. Auch das ein Ding der Unmöglichkeit
damals: eine Frau, die selbstständig über ihre Existenz nachdenkt, sich in Glaubensdingen ernst nimmt
und ernst genommen wird.
Beide Frauen tun etwas, was zu ihrer Zeit ungewöhnlich war. Aber in dieser kleinen häuslichen Szene
liegt auch von Anfang an ein starker Kontrast. Martha bewirtet Jesus nach allen Regeln der Kunst. „Sie
machte sich viel zu schaffen“, heißt es. Im griechischen Urtext hört man noch stärker die ganze
Geschäftigkeit heraus, hört man die Schüsseln, Teller und Töpfe klappern und Martha in all dem eilig
hin und her rennen. Was wäre die Welt ohne solche Frauen (und manchmal auch Männer), die die
Kunst der Gastfreundschaft und Bewirtung verstehen. Was wären viele Gemeinden ohne die Frauen
(und manchmal auch Männer), die tun und machen, klappern und klopfen, damit die Kirche
Gastfreundschaft üben kann. Ihr Tellerklappern ist der beautiful noise des Willkommenseins. Fürsorge
hört sich so an. Zu Hause sein. Heimat. Was wäre die Welt ohne Marthas. Und mitten im Gewühl dann
das krasse Gegenbild: Maria, unberührt von und unbeteiligt am Getriebe, setzt sie dort zu Füßen Jesu,
ruhig und aufmerksam, wach und gespannt, aufnahmebereit.
Zwei ungewöhnliche Schwestern, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Immer wieder tauchen
solche Geschwister Paare in den Überlieferungen der Völker auf. Die eine faul, die andere fleißig. Im
Märchen es ist klar wie die Rollen verteilt sind. Die eine geht mit Gold belohnt, die andere wird mit
Pech überschüttet. Goldmarie und Pechmarie. Ihre Botschaft hat sich das kollektive Bewusstsein vieler
Generation eingesenkt. In der Geschichte um Marta und Maria aber werden weder Gold noch Pech
ausgegossen. Weder Martha noch Maria werden verurteilt oder bestraft. Es ist Marta selbst, die ein Fass
aufmacht.
„Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen?“ Unter den scheinbar so
fröhlichen Tellerklappern frisst etwas an Martha. Sie trägt eine Wunde in ihrem Herzen. Sie macht sich
Mühe, sie reibt sich auf, und sie hat das Gefühl, dass es niemand sieht, dass sich niemand dafür
interessiert, dass es den anderen egal ist. Ihr ganzer Einsatz schmilzt zu einem Nichts zusammen, wenn
sie Maria anschaut, die einfach so mit ihrem Gast im Kontakt ist. Und er in Kontakt mit Maria. Wozu
dann der ganze Aufwand? Das darf doch nicht wahr sein!
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Die Wunde der Ungesehenen. Ein Leben lang rackert sich einer ab, um endlich einmal von seinem Vater
gesehen zu werden. Aber was er auch tut, er bleibt ungewürdigt. Da müht sich eine ab, pflegt die alten
Eltern, Tag aus Tag ein, und andere kommen zweimal im Jahr zu Besuch, und bekommen die ganze
Aufmerksamkeit. Es gibt tief in uns Lebensprogramme, die ablaufen, ohne dass wir es bewusst
wahrnehmen, die uns zwingen, Dinge zu tun, die wir eigentlich nicht tun wollen, und die wir dennoch
tun, um endlich einmal den Lohn und die Aufmerksamkeit zu bekommen, die wir uns immer gewünscht
haben. Aber oft bleiben sie aus. Oder sie reichen nicht aus, um die Wunde zu heilen und den Durst zu
stillen. Und nie wird das Glas voll, immer ist es halb leer. Immer ist es nicht genug. Und das, was darin
ist, schmeckt immer bitterer.
„Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie
mir helfen soll!“
Es ist symptomatisch, dass Martha nicht bei sich bleiben kann, bei ihrer Wunde, bei ihrer Sehnsucht.
Wie unter Zwang muss sie den Vergleich ziehen und das Problem bei den anderen finden. Die andere ist
schuld. Menschen, die die Wunde der Ungesehen in sich tragen, können schnell tyrannisch werden.
Ihrer Bitterkeit legt sich als Forderung und Anspruch auf andere. Martha fühlt sich ungesehen und
alleingelassen, aber dass sie ihr Konzept, ihre Vorstellungen zum Maßstab erklärt und andere versucht
da hinein zu zwingen, das kann sie nicht sehen. Fürsorge und Zwang liegen oft gefährlich dicht
beieinander, und schnell wechselt das eine ins andere.
Es ist auch klar, dass der Konflikt nicht direkt unter den Schwestern ausgetragen wird. Martha spricht
Maria nicht direkt an. Wie so oft in Konflikten spricht man nicht miteinander, sondern übereinander.
Die Autorität soll es entscheiden. Und für Martha ist klar, dass sie erwarten kann, dass Jesus sich auf
ihrer Seite stellt.
Manchmal verschiebt sich in meinem Glauben etwas. Die Zusage, dass Gott an meiner Seite steht, wird
zu der Erwartung, dass er mich in meinem Lebenskonzept bestätigt. In meinem Lebensgefühl. Und
wenn die Welt schon böse und ungerecht ist, dann soll wenigstens Gott mir den Lohn geben, den mir
die Welt nicht gibt. Können wir nicht erwarten, dass Gott Verständnis für unsere Position hat? Heißt es
nicht, dass er uns sieht in dem, was wir leiden? Martha geht gleich zum Vorwurf und zur Forderung
über. Damit verhindert sie ihren eigenen Schmerz zu spüren. Denn ihn zu spüren hieße ja, für einen
Augenblick hilflos und nackt zu sein, wie ein kleines Kind, das der Fürsorge bedarf. Das macht Angst.
Das können wir nicht zulassen. Diese Blöße kann sich keiner geben. Das weiß doch jeder. Solch eine
Schwäche wird ausgenutzt. Dann sich lieber mit einem Vorwurf aus der Schusslinie bringen. Aber
darauf lässt sich Jesus nicht ein.
„Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe.“
Jesus lässt sich nicht gegen Maria in Stellung bringen. Aber er überschüttet sie auch nicht mit Pech.
Zweimal ruft er sie mit ihrem Namen an. Und das heißt doch so viel wie: „Ich sehe dich doch. Ich sehe
deine Sorge, sehe wie du dich abmühst. Aber ich sehe auch, was dich antreibt. Siehst du‘s auch? Für
wen tust du das, was du da tust. Wirklich für mich? Oder für dich? Weil du glaubst, dass du mir nur so,
als fleißige und untadelige Gastgeberin, gegenübertreten kannst? Aber dafür ist es nicht nötig. Es
reicht, so zu mir kommst, wie du bist. Du musst nur dich selbst mitbringen. Niemanden anderen. Maria
hat das verstanden, hat verstanden, dass ich ihr etwas schenken will.“
„Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe.
Eins aber ist Not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.“
Man kann gegen Jesus an dieser Stelle einwenden, dass er hier vielleicht trotzdem zu einseitig ist. Man
könnte sich wünschen, dass er – trotz allem – auch ein lobendes Wort für den Einsatz der Martha übrig
hätte. Hatte er nicht unmittelbar vorher das Gleichnis vom barmherzigen Samariter erzählt, dass zum
Einsatz für andere aufforderte? Wird hier nicht Maria auf Kosten der Martha gelobt? Ist denn all der
Einsatz der Martha wirklich gar nichts wert?
Aber dieser Einwand übergeht doch den springenden Punkt. Denn es ist Martha, die Maria ihr So-Sein
verübelt. Maria hat, wenn es nach Martha ginge, kein Recht so in Ihrem Hause zu sein: zu seinen Füßen
sitzend, ruhig und aufmerksam, wach und gespannt, aufnahmebereit, und ohne Hektik.
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Und wenn wir ehrlich sind, duldet auch in uns die Martha die Maria nicht. Oft habe ich im Rückblick
auf einen Menschen gehört: „Sie konnte nicht stillsitzen, sie musste immer etwas zu tun haben.“ Auch
heute noch ist eine solche Aussage ein ausgesprochenes Lob. Ist es das wirklich? Wer gezielt einmal
versucht eine Viertelstunde lang nichts zu tun, (und d.h. wirklich nichts, also auch nicht Massage, auch
nicht Fernsehen, auch nicht entspanntes Musikhören) wird am eigenen Leib erleben, wie die
Antreiberin oder der Antreiber in uns, uns zu Leibe rückt, mit Vorwürfen, mit Druck, mit
Unduldsamkeit, mit Selbstverurteilungen. Bei allem Verständnis für Martha, sie ist es, die der Maria ihr
Existenzrecht abspricht. Jesus verteidigt den Raum, den Maria sich nimmt. Denn in diesen Raum der
Aufmerksamkeit, der offenen gespannten Erwartung, findet eine echte Begegnung statt. Öffnet sich
Maria und wird so für Jesus wirklich erreichbar. Und das ist das eine, was wirklich nötig ist. Erreichbar
zu sein, nicht so wie wir gerne wären und nicht mit dem, was wir alles vorweisen können, sondern so
wie wir sind. Nur so können wir das Gute entgegennehmen. Das ist das eine, das Not tut, in der
Begegnung mit Gott. Oft müssen wir die Stunden, ja sogar die Minuten der Offenheit, des Lauschens
und Verweilens, die uns nottut, erkämpfen und ertrotzen. Und man täusche sich nicht: das was Maria
tut, ist nicht einfach leicht und erholsam. Es kann sehr schmerzhaft und anstrengend sein, mit all dem,
was uns ausmacht, mit all dem, was in uns ist, an Fragen, Befürchtungen, Wunden, an Ohnmacht,
ungestillten Sehnsüchten, sich wirklich zu öffnen für eine Begegnung mit Gott. Für die Richtung, in die
uns sein Wort führt. Und doch ist gerade das heilsam.
Wer versucht als Christ in dieser Welt zu leben, weiß um diesen ewigen Geschwisterzwist zwischen
Martha und Maria. Aber meistens ist die Stimme der Martha stärker. Denn sie hat die Gesellschaft und
ihrer Wertmaßstäbe geschlossen und uneingeschränkt hinter sich.
Dennoch: Martha und Maria bleiben Geschwister. Jesus lässt sich von Martha nicht einspannen, aber er
verurteilt sie auch nicht. Er lädt sie vielmehr dazu ein, auch Geschmack an dem einen, was Not tut zu
gewinnen, an dem guten Teil, das nicht von uns genommen werden kann. Dazu müsste sie begreifen,
dass sie in jedem Augenblick, ohne jede Vorleistung, ohne jedes fromme Gefühl, ohne klar sein zu
müssen, sich zu diesem Jesus setzen kann, weil er sie kennt. Vielleicht würde eine geläuterte Martha
nicht gleich alle Töpfe und Teller liegen lassen, aber sie würde sie vielleicht so in die Hand nehmen, dass
es ihr selber Freude macht. So das sie sich ab und zu sich selbst unterbrechen könnten, um sich auch
dazu zu setzen, und aufmerksam und gespannt auf das zuhören, was Jesus ihr zu sagen hat. Und wer
weiß, vielleicht würde sich dann Maria in diesen Augenblicken mit einem Lächeln wie von selbst
erheben und ihr die Teller aus der Hand nehmen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen in Christus Jesus.
Amen.
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