Ärztliche Leichenschau
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Ärztliche Leichenschau
MEDIZIN Ärztliche Leichenschau Feststellung der Todesursache und Qualifikation der Todesart Punkte cme Burkhard Madea, Markus Rothschild ZUSAMMENFASSUNG Hintergrund: Die Leichenschau ist der letzte Dienst des Arztes am Patienten. Mit ihr sind der Rechtssicherheit und dem öffentlichen Interesse dienende Aufgaben verbunden. Zu ihr gehören die Feststellung des Todes, Angaben zur Todesursache und die Frage, ob der Tod durch eine natürliche oder nichtnatürliche Ursache eingetreten ist (Qualifikation der Todesart). Methoden: Selektive Literaturrecherche und Literaturaufarbeitung von Daten zur Todesursachenstatistik, zu Rechtsgrundlagen und zur Durchführung der ärztlichen Leichenschau mit Schwerpunkt Feststellung der Todesursache und Qualifikation der Todesart. Ergebnisse und Diskussion: Bei dem im Rahmen der Leichenschau zu bewältigenden Aufgabenkanon ist die Kenntnis der Anamnese des Patienten von großer Bedeutung; daher ist im Prinzip der behandelnde Arzt zur Durchführung der Leichenschau am besten geeignet. In der Mehrzahl der Todesfälle – geschätzt etwa 60 bis 70 Prozent – dürfte dem behandelnden Arzt unter Berücksichtigung von Anamnese und Umständen des Todeseintritts eine verlässliche Angabe von Grundleiden und Todesursache möglich sein. Probleme ergeben sich bei unerwarteten Todesfällen, bei denen sich die Leichenschau als Instrument der Todesursachenfeststellung als nicht ausreichend erweist. Wenn sich die Todesursache nicht ermitteln lässt, ist dies entsprechend zu dokumentieren (Qualifikation der Todesart: nicht geklärt). Die Obduktionsquote ist in Deutschland mit unter 5 Prozent aller Toten sehr niedrig. Zitierweise: Dtsch Arztebl Int 2010; 107(33): 575–88 DOI: 10.3238/arztebl.2010.0575 Institut für Rechtsmedizin, Universitätsklinikum Bonn: Prof. Dr. med. Madea Institut für Rechtsmedizin, Universitätsklinikum Köln: Prof. Dr. med. Rothschild 3 rägnant formulierte bereits die Königlich-Bayrische Instruktion für die Leichenbeschauer vom 6. August 1839 die Aufgaben bei der ärztlichen Leichenschau: „Zweck der Leichenschau ist, die Beerdigung Scheintoter, dann die Verheimlichung gewaltsamer Todesarten und medizinischer Pfuschereien zu hindern, sowie zur Ausmittlung kontagiöser und epidemischer Krankheiten, dann zur Herstellung genauer Sterbelisten geeignet mitzuwirken.“ Dieser Aufgabenkanon gilt mit Feststellung des Todes, der Todesursache, der Todeszeit, Qualifikation der Todesart und Angabe, ob übertragbare Erkrankungen gemäß Infektionsschutzgesetz vorliegen, unverändert bis heute (1, 2). Dem Arzt obliegt im Rahmen der Leichenschau die Meldepflicht als zulässige Durchbrechung der ärztlichen Schweigepflicht, etwa bei: ● nichtnatürlicher/nicht geklärter Todesart ● unbekannter Identität ● gemäß Infektionsschutzgesetz. Seit Jahrzehnten ist die Qualität der ärztlichen Leichenschau in der Kritik. Dabei steht unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten die Fehlqualifikation der Todesart (natürlich statt nichtnatürlich beziehungsweise nicht geklärt) im Zentrum der Kritik, die nach Einschätzung der Ermittlungsbehörden eine sichere Feststellung nichtnatürlicher Todesfälle nicht gewährleistet. Es gibt eine Vielzahl struktureller Probleme bei der ärztlichen Leichenschau, zum Beispiel: ● für bestimmte Fallgruppierungen objektive Überforderung des Leichenschauers ohne flexible Lösungsmöglichkeiten ● fehlende Vorbildung in der Handhabung von Problemfällen ● fehlende Verwaltungssektionen bei durch die Leichenschau nicht zu klärender Todesursache ● Verquickung ärztlicher mit kriminalistischen Aufgaben ● mögliche Interessenkonflikte – gerade bei niedergelassenen Ärzten, die zugleich behandelnde Ärzte der Familienangehörigen sind P Teilnahme nur im Internet möglich: aerzteblatt.de/cme Entbindung der Schweigepflicht bei der ärztlichen Leichenschau bei: • nichtnatürlicher/nicht geklärter Todesart • unbekannter Identität • gemäß Infektionsschutzgesetz Deutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 33 | 20. August 2010 575 MEDIZIN KASTEN 1 Diskrepanzen zwischen klinisch und autoptisch festgestellter Todesursache*1 ● Hauptfehler 1 („major mistake, class 1“) – klinisch nicht erkannte Diagnose, die sich während der Obduktion als Grundleiden und/oder ein Hauptgrund für den Tod des Patienten erweist. Wäre also die Diagnose rechtzeitig erkannt worden, so hätte das Leben des Patienten zumindest zeitweilig verlängert werden können. ● Hauptfehler 2 („major mistake, class 2“) – klinisch nicht erkannte Diagnose, die, wäre sie ante-mortem gestellt worden, keine Auswirkungen auf die Behandlung und den Verlauf gehabt hätte. ● Nebenfehler („minor mistake“) – während der Obduktion erkannte Krankheiten beziehungsweise medizinische Sachverhalte, die zum Verlauf der Grunderkrankung beziehungsweise zu der Todesursache keine direkte kausale Verbindung haben. *1 modifiziert nach (20) ● ● Fokussierung meldepflichtiger Todesfälle auf diejenigen, bei denen ein Fremdverschulden in Betracht kommt Systemfehler des Todesursachenermittlungssystems mit fehlender Zwischeninstanz zwischen Arzt und Ermittlungsbehörden analog dem Coroner-System in England und Wales (Überprüfung von Todesfällen unabhängig von einer Verdachtslage auf Fremdverschulden) (2–5). Lernziele Dieser Beitrag soll: ● basierend auf grundlegenden Daten zu Sterbefällen in Deutschland die im Zentrum der Leichenschau stehenden Aufgaben der Feststellung der Todesursache und Qualifikation der Todesart verdeutlichen ● Hinweise für die Aufdeckung nichtnatürlicher Todesursachen geben ● einen Überblick über die rechtlichen Aufgaben und Verpflichtungen des Arztes bei der Durchführung der ärztlichen Leichenschau vermitteln. 576 zu den Sterbeorten fehlen bundeseinheitliche Daten, mehr als 50 Prozent der Sterbefälle ereignen sich allerdings heute in Krankenhäusern (nach eigenen Daten) circa 25 Prozent zu Hause und etwa 15 Prozent im Pflegeheim. Die übrigen 10 Prozent vereilen sich auf Verkehrsunfälle, Arbeitsunfälle etc. Im Jahr 2007 entfielen bei 17 178 573 stationären Aufnahmen 6 092 198 auf das Fachgebiet Innere Medizin. Die zweithäufigsten stationären Aufnahmen waren in der Chirurgie mit 3 592 386 Patienten zu verzeichnen. Innerhalb der Inneren Medizin entfallen wiederum die meisten Sterbefälle auf die Kardiologie, gefolgt von Gastroenterologie, Hämatologie und Geriatrie (eTabelle, eGrafik). Bei insgesamt 818 271 Sterbefällen im Jahr 2007 entfallen 258 684 auf Krankheiten des Kreislaufsystems, wobei die ischämischen Herzerkrankungen mit 148 641 Todesfällen die häufigste Ursache ist. Zweithäufigste Todesursachengruppe sind die bösartigen Neubildungen mit 211 765 Todesfällen. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Sterbefälle nach Krankheitsgruppen für die verschiedenen Altersgruppen erheblich variieren. Bis etwa zum 40. Lebensjahr stehen hinsichtlich der Häufigkeit nichtnatürliche Todesfälle vor Todesfällen aus innerer krankhafter Ursache, erst jenseits des 40. Lebensjahres treten hinsichtlich der Häufigkeit bösartige Neubildungen und Krankheiten des Kreislaufsystems zahlenmäßig hervor. Diese Daten des Statistischen Bundesamtes beruhen auf einer Verschlüsselung der Angaben zu Grundleiden und Todesursache im Leichenschauschein, wobei nur das Grundleiden in die Todesursachenstatistik einfließt. Bei den statistischen Landesämtern werden hingegen die Eintragungen zum Grundleiden nicht blind für die Todesursachenstatistik übernommen, sondern Kodierer überprüfen die einzelnen Angaben, ermitteln das Grundleiden und verschlüsseln dieses Grundleiden unter Beachtung des Regelwerkes der ICD. Vor dem Hintergrund zunehmend multifaktorieller Sterbeprozesse entspricht allerdings die monokausale Darstellung der Sterbefälle nur noch bedingt den Anforderungen an eine Todesursachenstatistik und den daraus ableitbaren Daten zu Gesundheitsindikatoren (6, 7). Todesursachen laut Todesursachenstatistik Übereinstimmung zwischen Leichenschaudiagnose zur Todesursache und Obduktion Im Jahr 2007 waren in Deutschland 818 271 Todesfälle zu verzeichnen, laut Statistischem Bundesamt lagen in 784 962 Fällen natürliche Todesursachen vor. Bereits Es liegen zahlreiche Untersuchungen zur Validität der klinischen Todesursachendiagnostik im Vergleich zum pathologisch-anatomischen Befund vor. Die Görlitzer Todesursachenstatistik 50 Prozent der Sterbefälle ereignen sich in Krankenhäusern, circa 25 Prozent zu Hause und etwa 15 Prozent im Pflegeheim. Die übrigen 10 Prozent vereilen sich auf Verkehrsunfälle, Arbeitsunfälle etc. Häufigkeit von Todesursachen Bis zum 40. Lebensjahr stehen nichtnatürliche Todesfälle vor Todesfällen aus innerer krankhafter Ursache, erst jenseits des 40. Lebensjahres treten bösartige Neubildungen und Krankheiten des Kreislaufsystems zahlenmäßig hervor. Deutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 33 | 20. August 2010 MEDIZIN KASTEN 2 Definition menschliche Leiche und beim Tod eines Menschen zu beachtende Fristen ● Eine menschliche Leiche ist – der Körper eines Verstorbenen, solange der gewebliche Zusammenhang infolge Fäulnis noch nicht aufgehoben ist – der Körper eines verstorbenen Neugeborenen (unabhängig vom Körpergewicht), soweit es vollständig den Mutterleib verlassen hat und soweit es nach dem Verlassen eines der drei Lebenszeichen (Herzschlag, Pulsation der Nabelschnur, Atmung) zeigte – eine Totgeburt (Totgeborenes mit einem Körpergewicht von ≥ 500 g) – der Kopf oder Rumpf als abgetrennte Teile des Körpers, die nicht zusammengeführt werden können ● Keine Leichen sind – Skelette oder Skelettteile – Fehlgeburten (Totgeburten mit einem Geburtsgewicht < 500 g; keine Anzeigepflicht) ● Maßnahmen und Fristen – Die Durchführung der Leichenschau sollte unverzüglich nach Erhalt der Anzeige über den Todesfall erfolgen. – Die Überführung in eine Leichenhalle muss spätestens nach 36 Stunden, jedoch nicht vor Durchführung der Leichenschau und Ausstellung der Todesbescheinigung erfolgen. – Die Anzeige beim Standesamt muss spätestens am ersten Werktag nach Todeseintritt geschehen. – Die Bestattungsfristen sind: frühestens nach 48 Stunden, spätestens nach acht Tagen. Studie (1986/1987) mit einer nahezu 100-prozentigen Obduktionsquote (1 060 Verstorbene, von denen 1 023 obduziert werden konnten) ergab insgesamt in 45 Prozent der Männer und 48,8 Prozent der Frauen keine Übereinstimmung zwischen Leichenschau- und Obduktionsdiagnose. Bei in der Klinik Verstorbenen fand sich hinsichtlich des Grundleidens bei 42,9 Prozent der Männer und 44 Prozent der Frauen keine Übereinstimmung, bei im Heim Verstorbenen in 63,2 Prozent der Männer und 57,8 Prozent der Frauen, bei andernorts (zu Hause, in der Öffentlichkeit etc.) Verstorbenen in 41,3 Prozent der Männer und 50,7 Prozent der Frauen (8, 1). Bei iatrogenen Todesfällen findet sich gar in 72 Prozent der Fälle keine Übereinstimmung zwischen klinisch angenommenem und autoptisch festgestelltem Grundleiden, hinsichtlich der unmittelbaren Todesursache in 45,8 Prozent keine Übereinstimmung (5). Zahlreiche Untersuchungen haben die Diskrepanzen zwischen klinisch und autoptisch festgestellter Todesursache differenziert und operationalisiert (Hauptfehler 1, Hauptfehler 2, Nebenfehler) (Kasten 1). Nach verschiedenen Statistiken zeigen sich dabei Hauptfehler 1 mit Folgen für Therapie und Überleben des Patienten in 11 bis 25 Prozent der Todesfälle, Hauptfehler 2 ohne Konsequenzen für Therapie und Überleben in 17 bis 40 Prozent der Todesfälle (9). Nach einer Metaanalyse von Shojania et al. haben die Hauptfehler 1 zwar in den letzten vier Jahrzehnten abgenommen, sie finden sich aber immer noch bei etwa 8 bis 10 Prozent der Todesfälle (10, 11). Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Rate der Übereinstimmung beziehungsweise Nichtübereinstimmung zwischen klinisch und autoptisch festgestellter Todesursache von zahlreichen Variablen abhängig ist, etwa: ● der Definition der Todesursache ● der ausgewerteten Krankheitsklasse ● dem Lebensalter ● dem untersuchten Patientengut (ambulant, stationär, spezialisiertes Krankenhaus) ● der Dauer des Klinikaufenthaltes ● der Vorhersehbarkeit des Ablebens (erwarteter, nicht erwarteter Todesfall) ● der Obduktionsrate (1, 3, 9, 12, 13). Ein Vergleich zwischen klinisch und autoptisch festgestellter Todesursache, der diese Variablen differenziert erfasst, liegt bislang nicht vor und ist bei den rechtlichen Rahmenbedingungen zur Durchführung Eine menschliche Leiche ist/sind • Körper eines Verstorbenen, (Knochen und Gewebe) Keine Leichen sind • Skelette oder Skelettteile • Körper eines verstorbenen Neugeborenen, das nach Verlassen des Mutterleibs ein Lebenszeichen zeigte; eine Totgeburt (≥ 500 g) • Fehlgeburten (Totgeburten mit einem Geburtsgewicht < 500 g; keine Anzeigepflicht) • Kopf oder Rumpf als abgetrennte Teile des Körpers Deutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 33 | 20. August 2010 577 MEDIZIN KASTEN 3 Allgemeine Grundlagen und Pflichten bei der ärztlichen Leichenschau*1 ● Rechtsgrundlagen der Leichenschau: – Bestattungsgesetze und Leichenschauverordnungen der Bundesländer ● Wer darf? – Arzt/Ärztin ● Wer darf nicht? ● ● ● ● ● ● ● ● ● – Arzt/Ärztin als Angehörige einer gestorbenen Person (Erlass des Bundesministerium für Gesundheit, Arbeit und Soziales vom 8. Juni 2009) Wer muss? – jeder niedergelassene Arzt im Bereich der Niederlassung – Krankenhausärzte im Krankenhaus In welcher Zeit? – unverzüglich Durchführung – sorgfältig am entkleideten Leichnam Sanktionen – Ordnungswidrigkeit bei unsorgfältiger Leichenschau; gegebenenfalls werden auch Straftatbestände verwirklicht, wenn durch unsorgfältige Leichenschau Lebende zu Schaden kommen (zum Beispiel Übersehen einer COIntoxikation mit Schädigung weiterer Personen) Vorläufige Todesbescheinigung – für Notärzte Todesart und assoziierte Feststellungen – (Anhaltspunkte für) nichtnatürlichen Tod, nicht geklärte Todesart Verständigung der Polizei – bei nichtnatürlichem Tod, nicht geklärter Todesart, Leiche eines Unbekannten Verständigung des Gesundheitsamtes – Meldepflichten gemäß Infektionsschutzgesetz Auskunftspflicht vorbehandelnder Ärzte – ja *1 modifiziert nach (1) von klinischen Sektionen für die Bundesrepublik Deutschland nicht zu erwarten. Dies gilt insbesondere für ambulante Todesfälle, die kaum jemals einer außergerichtlichen Obduktion zugeführt werden. Dem Hauptfehler 1 würde der Begriff Fehldiagnose entsprechen, von dem auszugehen ist, wenn aufgrund abgeschlossener diagnostischer Entscheidungsprozesse eine Erkrankung bei einem Patienten definitiv angenommen wird, die sich später als unrichtig erweist und Zeitpunkt der Leichenschau Eine Leichenschau ist immer bei Auffindung eines menschlichen Leichnams und unverzüglich nach Erhalt der Anzeige über den Todesfall durchzuführen. 578 wenn eine Behandlung eingeleitet wurde, die dem später erkannten Krankheitsbild nicht gerecht wird und sich durch das Nichterkennen der tatsächlich vorliegenden Erkrankung die Prognose des betreffenden Patienten verschlechtert (1, 3, 12). Praktisches Vorgehen Eine Leichenschau ist immer bei Auffindung eines menschlichen Leichnams (Kasten 2) und unverzüglich nach Erhalt der Anzeige über den Todesfall durchzuführen. Allgemeine Pflichten bei der ärztlichen Leichenschau sind in Kasten 3 zusammengefasst. Den sicheren Tod festzustellen, ist nicht problematisch. Mit Hilfe der folgenden Faktoren, lässt sich der Ausfall der Vitalfunktionen sicher diagnostizieren: ● das Vorliegen sicherer Todeszeichen (Livores, Rigor, fortgeschrittene Leichenerscheinungen) beziehungsweise ● vergebliche Reanimation von circa 30 Minuten Dauer, gesichert durch ein etwa 30-minütiges Null-Linien-EKG trotz adäquater Maßnahmen bei Ausschluss einer allgemeinen Unterkühlung beziehungsweise Intoxikation mit zentral dämpfenden Medikamenten ● Hirntod (nur unter klinischen Bedingungen bei assistierter Beatmung feststellbar) ● mit dem Leben nicht zu vereinbarende Körperzerstörungen. Bei den Angaben zur Todeszeit ist je nach Fallkonstellation zu verfahren (Kasten 4). Feststellung der Todesursache Im vertraulichen Teil der Leichenschauformulare ist unter der Rubrik „Todesursache“ der Krankheitsverlauf in einer Kausalkette zu dokumentieren (Abbildung). Dabei sind in der Zeile Ia die unmittelbare Todesursache anzugeben und in den Zeilen Ib und Ic die vorangegangenen Ursachen – Krankheiten, die die unmittelbare Todesursache unter Ia herbeigeführt haben, mit der ursprünglichen Ursache (Grundleiden) an letzter Stelle. Schließlich sind in Zeile II andere wesentliche, mit zum Tode führende Krankheiten ohne Zusammenhang mit dem Grundleiden aufzuführen. Das Grundleiden ist vor allem von statistischer Bedeutung: Wie viele Menschen sterben an einer bestimmten Erkrankung; dem gegenüber gibt die letztendliche Todesursache Auskunft darüber, woran Menschen, die an einer bestimmten Krankheit leiden, sterben (7, 14–16). Todesfeststellung Die Feststellung des Todes erfolgt, in dem man die Irreversibilität des Ausfalls der Vitalfunktionen diagnostiziert. Deutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 33 | 20. August 2010 MEDIZIN Auch nach Empfehlungen des Statistischen Bundesamtes ist – sollte nichts Genaues bekannt sein – die Angabe „Todesursache unbekannt“ einer vagen Spekulation vorzuziehen. Keinesfalls sollen in die Todesursachenkaskade vom Grundleiden zur letztendlichen Todesursache funktionelle Endzustände, die konstitutiver Bestandteil jedes Sterbeprozesses sind, eingetragen werden wie Herzstillstand, Atemstillstand, elektromechanische Entkopplung. Weiterhin ist in der rechten Spalte jeweils anzugeben der Zeitraum der Erkrankung, wobei Ausgangspunkt der geschätzte Krankheitsbeginn und nicht der Zeitpunkt der Feststellung ist. Die Angaben zu den Zeiträumen dienen auch der Plausibilitätskontrolle der Todesursachenkaskade. Wenn die Todesursache unter Ia keine Folge weiterer Komplikationen oder anamnestisch bekannter Grundleiden ist, bedarf es keiner weiteren Eintragungen, zum Beispiel: Ia: Schädel-Hirn-Durchschuss Letzte mittelbare Todesursachen können differenziert werden in organgebundene und nicht organgebundene (17) (Tabelle 1). Bei den vorstrukturierten Eintragungen zu Grundleiden und Todesursache im Leichenschauschein, entsprechend den Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation, sollte sich der Arzt die gesamte Krankheitsgeschichte seines Patienten nochmals vor Augen halten. Insbesondere sollte er sich auch fragen, ob eine finale Morbidität vorlag, die das Ableben des Patienten zum gegebenen Zeitpunkt und unter den gegebenen Umständen erwarten ließ. Dabei sind harte von weichen Todesursachen zu unterscheiden: Harte Todesursachen liegen vor, wenn Grundleiden und unmittelbare Todesursache eng miteinander verbunden sind, sie in kurzer zeitlicher Aufeinanderfolge eintreten und ein enger Kausalzusammenhang besteht, etwa bei einem klinisch diagnostizierten Myokardinfarkt, der über eine Herzruptur zur Herzbeuteltamponade führt. Hier liegen Grundleiden und Todesursache in einem Organsystem vor (linearer Sterbenstyp). Weiche Diagnosen liegen schließlich vor, wenn der Patient an mehreren Grunderkrankungen leidet, von denen sich keine a priori als Todesursache anbietet, die Todesursache letztlich multifaktoriell bleibt. Bei der Bewertung von Krankheitszuständen hinsichtlich ihrer todesursächlichen Dignität ist eine Orientierung an einer Befundeinteilung hilfreich, wie sie in der Rechtsmedizin seit mehr als 90 Jahren üblich ist. Todesursache unbekannt Die Angabe „Todesursache unbekannt“ ist einer vagen Spekulation vorzuziehen. Deutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 33 | 20. August 2010 KASTEN 4 Feststellung der Todeszeit ● bei Tod unter ärztlicher Überwachung ● ● ● – Protokollierung des Zeitpunktes des beobachteten Herz- oder Kreislaufstillstandes bei Totauffindungen – Eingrenzung des Todeszeitintervalls durch folgende Angaben: – zuletzt lebend gesehen am… – tot aufgefunden am…beziehungsweise – Schätzung der Liegezeit aus dem Fortschreitungsgrad von Leichenerscheinungen bei durch Zeugen beobachtetem Todeseintritt mit kurzer Agonie – Todeszeitpunkt nach Angaben von Angehörigen, Zeugen etc. Vorsicht bei quasi gleichzeitigem Tod naher Angehöriger (etwa kinderloses Ehepaar) – gute Dokumentation wegen möglicher erbrechtlicher Konsequenzen ● Gruppe 1: Befunde, die aufgrund ihres Schweregrades und ihrer Lokalisation für sich allein und ohne Einschränkung den Tod eines Menschen erklären, zum Beispiel rupturiertes Hirnbasisaneurysma mit tödlicher Subarachnoidalblutung ● Gruppe 2: Organveränderungen, die den Tod erklären, aber nicht die Akuität des Todeseintritts. Ein Beispiel wäre die akute Koronarinsuffizienz. Ihr morphologisches Substrat, die schwere Aterosklerose, bestand zweifellos auch bereits am Tag davor, eine äußere Belastung wie körperliche Arbeit bei schwülem Wetter ist jedoch das hinzutretende äußere Ereignis für den Todeseintritt zum gegebenen Zeitpunkt. ● Gruppe 3: Todesfälle, bei denen trotz sorgsamster Untersuchung keine Todesursache aufzufinden ist. Weiterhin sollte man sich an Sterbenstypen orientieren, die als thanatologische Brücke zwischen Grundleiden und Todesursache bezeichnet werden (18, 19) (Grafik 1) ● linearer Sterbenstyp: Grundleiden und Todesursache liegen in einem Organsystem ● divergierender Sterbenstyp: organspezifisches Grundleiden, jedoch organunspezifische Todesursache ● konvergierender Sterbenstyp: in verschiedenen Organsystemen gelegene Grundleiden führen Eintragung zur Todesursache Der Arzt sollte sich bei der Eintragung zur Todesursache die gesamte Krankheitsgeschichte seines Patienten vor Augen halten und sich fragen, ob eine Morbidität vorlag, die zum Tod führte. 579 MEDIZIN Abbildung: Internationales Formblatt der Ärztlichen Todesbescheinigung 580 über eine gemeinsame pathogenetische Endstrecke zum Tod ● komplexer Sterbenstyp: in verschiedenen Organsystemen gelegene Grundleiden mit mehreren organunspezifischen Todesursachen Bleibt bei völlig unerwarteten Todesfällen organgesunder Personen die Todesursache durch die Leichenschau unklar, sollte dies im Leichenschauschein auch so vermerkt werden. Empfehlungen des Statistischen Bundesamtes zur Angabe der Todesursache und wichtige Begriffe finden sich in Tabelle 2 (20). Besondere Probleme ergeben sich schließlich bei Todesfällen im Alter sowie im Zusammenhang mit ärztlichen Maßnahmen. „Altersschwäche“ ist keine Todesursache. Retrospektive Untersuchungen von Todesfällen über 85-Jähriger beziehungsweise über 100-Jähriger ergaben, dass jeweils morphologisch fassbare Grundleiden und Todesursachen vorlagen (6). Gegebenenfalls sind die diagnostizierten und zum Todeseintritt beitragenden Krankheiten im Sinne eines multifaktoriellen, konvergierenden Sterbenstypus deskriptiv aufzulisten, um „Verlegenheitsdiagnosen“ zu vermeiden. Hinsichtlich der auf medizinische Maßnahmen zurückzuführenden Todesfälle fällt zunächst die erhebliche Diskrepanz zwischen den in der Bundesstatistik erfassten Sterbefällen durch Komplikationen bei der medizinischen und chirurgischen Behandlung und der aus der epidemiologischen Forschung abgeleiteten Todesfällen durch Behandlungsfehler auf. In der epidemiologischen Forschung werden für Deutschland 17 500 Todesfälle pro Jahr in Folge von Behandlungsfehlern vermutet (21) – diese Daten stehen im Einklang mit der internationalen Datenlage – während das Statistische Bundesamt für 2007 lediglich 399 Todesfälle als Komplikationen der medizinischen und chirurgischen Behandlung angibt (4, 22). Hier besteht offensichtlich ein erhebliche Dunkelziffer. Das wirft die Frage auf, ob in entsprechend gelagerten Fällen der behandelnde Arzt auch die Leichenschau vornehmen Weiche Diagnosen Weiche Diagnosen liegen vor, wenn der Patient an mehreren Grunderkrankungen leidet, von denen sich keine a priori als Todesursache anbietet. Orientierung bei weichen Diagnosen Hier kann die Berücksichtigung des Sterbetypus hilfreich sein. Sterbenstypen werden als die thanatologische Brücke zwischen Grundleiden und Todesursache bezeichnet. Deutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 33 | 20. August 2010 MEDIZIN oder unabhängig von einer Verdachtslage eine behördliche Überprüfung derartiger Fälle erfolgen sollte. Todesart Laut Todesursachenstatistik handelt es sich bei etwa 4 Prozent aller Todesfälle um nichtnatürliche Todesursachen (Grafik 2) (20). Dabei entfallen jährlich etwa 10 000 Fälle auf Suizide, 6 000 Todesfälle auf häusliche Unfälle, knapp 6 000 Todesfälle auf Verkehrsunfälle, 526 Todesfälle auf tätliche Angriffe. Nach retrospektiven Analysen von Leichenschauscheinen mit autoptischer Kontrolle der Angaben zu Todesart und Todesursache ist davon auszugehen, dass der nichtnatürliche Tod um 33 bis 50 Prozent häufiger auftritt als die Bundesstatistik widerspiegelt und mit etwa 81 000 nichtnatürlichen Todesfällen pro Jahr zu rechnen ist (1, 23, e2). Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten besonders gravierend ist die Dunkelziffer der durch die ärztliche Leichenschau nicht entdeckten Tötungsdelikte; nach einer multizentrischen Studie ist davon auszugehen, dass circa 1 200 Tötungsdelikte pro Jahr in der Bundesrepublik Deutschland durch die Leichenschau nicht erkannt werden (23). Diese hohe Dunkelziffer findet immer wieder ihre Bestätigung durch Zufallsentdeckungen von Tötungsdelikten beziehungsweise sogar Serientötungen (auch in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern). 6 Prozent der Klinikärzte attestieren regelmäßig ausschließlich einen natürlichen Tod; 30 Prozent kreuzen auch bei Gewalteinwirkung, Vergiftung, Suizid oder ärztlichem Eingriff einen natürlichen Tod an (e3). Mit der Qualifikation der Todesart entscheidet der leichenschauende Arzt darüber, ob ein Todesfall überhaupt den Ermittlungsbehörden zur Kenntnis gelangt. Die Qualifikation der Todesart ist also eine außerordentlich verantwortungsvolle Aufgabe nicht nur hinsichtlich strafrechtlicher Aspekte (Aufdeckung von Tötungsdelikten), sondern auch im Hinblick auf Interessen der Hinterbliebenen (etwa Versorgungsanspruch nach einem tödlichen Unfall). „Natürlich“ ist ein Tod aus innerer, krankhafter Ursache, bei dem der Verstorbene an einer bestimmt zu bezeichnenden Erkrankung gelitten hat und mit dem Ableben zu rechnen war; der Tod trat völlig unabhängig von rechtlich bedeutsamen äußeren Faktoren ein. Voraussetzung für die Attestierung eines natürlichen Todes ist daher das Vorliegen eines anamnestisch bekannten todesursächlichen Grundleidens mit „quoad vitam“ schlechter Prognose. Problemfall „Tod im Alter“ „Altersschwäche“ ist keine Todesursache. Es liegen jeweils morphologisch fassbare Grundleiden und Todesursachen vor. Deutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 33 | 20. August 2010 TABELLE 1 Letzte mittelbare Todesursachen*1 organgebundene Todesursachen vonseiten der Atmungsorgane Pneumonie, Lungengangrän, Pleuritis, Pleuraempyem, Pneumothorax, Pyopneumothorax, Infarkt vonseiten der Kreislauforgane Koronarthrombose, Herzbeuteltamponade, Koronarinsuffizienz, Myokarditis, Myokardinfarkt bei organischen Erkrankungen des Herzens: z. B. Endokarditis, Hypertonikerherz, Herzhypertrophie bei Mesaortitis, Cor pulmonale, Concretio cordis, Herzinsuffizienz vonseiten des Zentralnervensystems: zerebraler Tod Hirnblutung, Hirnerweichung, Hirnerschütterung, Hirnquetschung, Hirnschwellung, Hirnödem, Enzephalitis, Status epilepticus, Leptomeningitis, Pachymeningitis, subdurales Hämatom, epidurales Hämatom vonseiten des Gastrointestinaltraktes Ileus, Peritonitis. Bei Kindern: Gastroenteritis, Enterokolitis, Intoxikation, Dyspepsie, Dystrophie, Atrophie vonseiten der Leber Coma hepaticum vonseiten der Bauchspeicheldrüse Coma diabeticum, hypoglykämisches Koma, hämorrhagische Pankreasnekrose vonseiten der Nieren Urämie, Urosepsis nicht organgebundene Todesursachen tödliche Embolien Thrombembolien, insbesondere Pulmonalembolie, Fettembolie, Luftembolie Verblutung, innere und äußere, z. B. Hämoptoe, Melaena, Hämothorax, Hämaskos (Blutung in das Peritoneum) Sepsis infolge Phlegmone und dergleichen, Pyämie, allgemeine Miliartuberkulose, Urosepsis, siehe auch Urämie Tumoren Tumorkachexie, Tumoranämie besondere letzte mittelbare Todesursachen mit dem Leben unvereinbare Missbildungen z. B. Aplasie des Gehirns, Anenzephalus besondere Todesursachen der Frucht und intrauterine Asphyxie mit/ohne Aspiration des Neugeborenen von Fruchtwasser, Chorioamnionitis, dystrophes Frühgeborenes *1 modifiziert nach (17) Nichtnatürliche Todesfälle Etwa 4 Prozent aller Todesfälle haben eine nichtnatürliche Ursache. 581 MEDIZIN ● ● ● ● GRAFIK 1 Sterbenstypen nach Leis (9). Beispiel für a) linearen Sterbenstypus (75 Jahre alter Mann bei Kreislauferkrankung und kardialer Todesursache), b) divergierenden Sterbenstypus (45 Jahre alte Frau bei metastasierendem Geschwulstleiden und organunspezifischer Todesursache), c) konvergierenden Sterbenstypus (79 Jahre alter Mann bei Kreislauf-, Magen- und Lungenerkrankung und kardialer Todesursache) und d) komplexen Sterbenstypus (63 Jahre alter Mann bei Kreislauf- und Lungenerkrankung sowie zerebraler und pulmonaler Todesursache. „Nichtnatürlich“ ist demgegenüber ein Todesfall, der auf ein von außen verursachtes, ausgelöstes oder beeinflusstes Geschehen zurückzuführen ist, unabhängig davon, ob dieses selbst- oder fremdverschuldet ist. Nichtnatürliche Todesfälle sind daher: ● Gewalteinwirkungen ● Unfälle (unabhängig davon ob selbst- oder fremdverschuldet) ● Tötungsdelikte Hohe Dunkelziffer Nach einer multizentrischen Studie ist davon auszugehen, dass etwa 1 200 Tötungsdelikte pro Jahr in der Bundesrepublik Deutschland durch die Leichenschau nicht erkannt werden. 582 Vergiftungen Suizide Behandlungsfehler tödlich verlaufende Folgezustände der ersten vier genannten Punkte. Das Intervall zwischen einem am Anfang der zum Tode führenden Kausalkette stehenden äußeren Ereignis und dem Todeseintritt kann dabei beliebig lang (unter Umständen Jahre betragen) sein. Kann die Todesursache durch die Leichenschau nicht geklärt werden, bleibt dementsprechend auch die Todesart unklar. Verschiedene Leichenschauverordnungen der Bundesländer sowie ein Musterentwurf für eine bundeseinheitliche Leichenschau der Bundesärztekammer sehen explizit vor, dass die Attestierung eines natürlichen Todes die Untersuchung des unbekleideten Leichnams voraussetzt (e4). So heißt es beispielhaft in § 3 der Bayerischen Bestattungsverordnung: „[…] die Feststellung eines natürlichen Todes setzt in jedem Fall die Durchführung der Leichenschau an der vollständig entkleideten Leiche voraus. Die Leichenschau an der vollständig entkleideten Leiche erfolgt unter Einbeziehung aller Körperregionen einschließlich aller Körperöffnungen, des Rückens und der behaarten Kopfhaut.“ So sinnvoll diese Forderung ist, unterliegt es einerseits keinem Zweifel, dass sie nahezu regelhaft nicht beachtet wird. Unterschreitet der Arzt allerdings den geforderten Sorgfaltsmaßstab, begeht er bereits eine Ordnungswidrigkeit. Andererseits kann nicht verkannt werden, dass die vollständige Entkleidung des Leichnams bei erwarteten Todesfällen im Krankenhaus keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn bringt beziehungsweise den Leichenschauer vor objektive Probleme stellen kann (zum Beispiel bei voll eingetretener Totenstarre, wenn kein Hilfspersonal vorhanden ist). Weiterhin wird bei dieser Forderung nicht zwischen erwarteten und nicht erwarteten Todesfällen unterschieden. Die Todesart ist nicht geklärt, wenn die Todesursache durch die Leichenschau auch unter Berücksichtigung der Anamnese nicht erkennbar ist. Die Attestierung eines natürlichen Todes setzt immer die Benennung einer klaren Todesursache voraus. Bedenklich ist in diesem Zusammenhang, dass etwa 50 bis 70 Prozent der Ärzte bei Todesfällen nach Oberschenkelhalsfraktur, 20 Prozent bei Tod unter Injektion und 30 bis 40 Prozent bei Tod während einer Operation, „Mors in tabula“ einen natürlichen Tod bescheinigen (24). Definition „natürliche Todesursache“ Tod aus innerer, krankhafter Ursache, bei dem der Verstorbene an einer Erkrankung gelitten hat und mit dem Ableben zu rechnen war; der Tod trat völlig unabhängig von rechtlich bedeutsamen äußeren Faktoren ein. Deutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 33 | 20. August 2010 MEDIZIN Sind auf der einen Seite nichtnatürliche Todesfälle in der amtlichen Statistik deutlich unterrepräsentiert, wird andererseits sowohl von niedergelassenen als auch Notärzten von Beeinflussungsversuchen der Polizei auf Attestierung eines natürlichen Todes berichtet, obwohl keine Todesursache erkennbar ist und damit die Todesart zumindest als nicht geklärt qualifiziert werden müsste. So berichten bei einer anonymen Befragung zufällig ausgewählter Ärzte aus dem Bereich der Ärztekammer Westfalen-Lippe 41 Prozent der niedergelassenen Ärzte und 47 Prozent der Notärzte von derartigen Beeinflussungsversuchen (24). Hintergrund dieser Beeinflussungsversuche ist, dass Ermittlungsbehörden den Begriff des nichtnatürlichen Todes teleologisch verengt auffassen als Tod, bei dem das Vorliegen eines Fremdverschuldens infrage kommt. Bei Attestierung eines natürlichen Todes entfällt der Ermittlungsbedarf. Indizien mit Hinweischarakter auf einen nichtnatürlichen Tod können sich aus Anamnese und Befunden ergeben: zum Beispiel plötzlicher Tod ohne bekannte Vorerkrankung, auf den ersten Blick „prima facie“ erkennbare Unfälle und Suizide, Abschiedsbrief etc. Befunde mit Hinweischarakter auf einen nichtnatürlichen Tod sind Stauungsblutungen, auffällige Farbe der Totenflecke, Tablettenreste im Mundbereich, Verletzungszeichen. Untaugliche Kriterien für Hinweise auf einen natürlichen Tod sind das Alter, insbesondere wenn keine lebensbedrohlichen Vorerkrankungen bekannt sind, und fehlende sichtbare Traumen. Bei Todesfällen im Krankenhaus, insbesondere wenn der Patient hinreichend lange in ärztlicher Behandlung stand, sollte die Fehlerquote ebenfalls relativ gering sein; Problembereiche sind hier verkannte Kausalzusammenhänge zu am Anfang der zum Tode führenden Kausalkette stehenden Traumen und Todesfälle im Zusammenhang mit ärztlichen Maßnahmen. Aus dem stationären Bereich werden zudem gelegentlichprimär nicht erkannte Tötungsserien durch Ärzte oder Pflegepersonal berichtet. Die Gefahr von Fehlern und Täuschungsmöglichkeiten sind sicher am größten bei Durchführung der Leichenschau durch niedergelassene Ärzte in der Wohnung; typische Fehler in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit sind: ● Unerfahrenheit ● Sorglosigkeit ● unsorgfältige Durchführung der Leichenschau ● Rücksichtnahme auf Angehörige. Todesart nicht geklärt Die Todesart ist nicht geklärt, wenn die Todesursache durch die Leichenschau auch unter Berücksichtigung der Anamnese nicht erkennbar ist. Deutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 33 | 20. August 2010 GRAFIK 2 Anteil der nichtnatürlichen Todesursachen an den Sterbefällen 2007 in Deutschland (Quelle: Statistisches Bundesamt [20]) Hinzu kommen gegebenenfalls jedoch auch ungünstige äußere Bedingungen, schlechte Beleuchtung sowie schlichte Überforderung, ohne dass flexible Lösungsmöglichkeiten mit Herbeiziehung eines qualifizierten Leichenschauers gegeben wären. Gerade niedergelassene Ärzte können sich hier in einer Interessenkollision befinden, da sie als behandelnde Ärzte auch der Angehörigen des Verstorbenen bei Attestierung eines nichtgeklärten Todes Ermittlungen auslösen mit der Gefahr, die Angehörigen als Patienten zu verlieren. Gegenüber dem niedergelassenen Arzt befindet sich der Kliniker in einer geschützten Position (Tod im ärztlich dominierten Umfeld des Krankenhauses statt im privaten Umfeld). Problemfelder In der Klinik immer wieder auftretende Problemfelder sind: ● Todesfälle im Zusammenhang mit ärztlichen Maßnahmen sowie ● Todesfälle nach Sturzverletzungen oder sonstigen Gewalteinwirkungen, bei denen der Kausalzusammenhang zu einer äußeren Gewalteinwirkung Hinweise auf einen nichtnatürlichen Tod geben • Stauungsblutungen • Farbe der Totenflecke • Tablettenreste im Mundbereich • Verletzungszeichen 583 MEDIZIN TABELLE 2 Todesursachen – Beispiele und wichtige Aspekte*1 Pneumonie ― primär, hypostatisch, Aspiration, zugrundeliegende Ursache ― Erreger ― sofern Folge von Immobilität oder Debilität, die Ursache für die Immobilität oder Debilität Infektion ― primär oder sekundär, Erreger ― sofern primär: bakteriell oder viral ― sofern sekundär: nähere Angaben zum primären Infekt Harnwegsinfekt ― Lokalisation im Harntrakt, Erreger, zugrundeliegende Ursache ― sofern Folge von Immobilität oder Debilität: die Ursache für die Immobilität oder Debilität Nierenversagen ― akut, chronisch oder terminal, zugrundeliegende Ursache, z. B. Hypertonie, Arteriosklerose, Herzerkrankung ― sofern Folge von Immobilität oder Debilität: die Ursache für die Immobilität oder Debilität Hepatitis ― akut oder chronisch, alkoholbedingt ― sofern viral: Typ (A, B, C, D oder E) Infarkt ― arteriosklerotisch, durch Thrombose oder Embolie Thrombose ― arteriell oder venös – mit Gefäßbezeichnung ― intrakranieller Sinus – eitrig, nicht eitrig, venös (welche Vene) ― postoperativ oder bei Immobilisierung – Krankheit, die Anlass für die OP oder die Immobilisierung war Lungenembolie ― sofern jünger als 75 Jahre: Ursache ― postoperativ: Krankheit, die Anlass für die OP oder die Immobilisierung war Leukämie ― akut/subakut/chronisch, ― lymphatisch/myeloisch/monozytär Alkohol/Arzneimittel/Betäubungsmittel ― längerer Abusus oder einfach Gebrauch ― Abhängigkeit Komplikation eines operativen Eingriffs ― Krankheit, die Anlass für die Operation war Demenz ― Ursache (z. B. senil, Alzheimer, Multiinfarkt) Unfalltod ― nähere Umstände (z. B. Radfahrer von Auto erfasst) ― Unfall, suizidal, tätlicher Angriff oder Umstände unbestimmt ― Unfallort (z. B. Straße, Wohnhaus …) und ggf. Tätigkeit zum Zeitpunkt des Todes (Golf, Kinobesuch, Berufsausübung …) Tumor ― benigne, maligne, Lokalisation, Metastasen *1 modifiziert nach (25); Empfehlungen des Statistischen Bundesamtes zur Angabe der Todesursache 584 beziehungsweise einem äußeren Ereignis nicht erkannt und fälschlicherweise natürlicher Tod bescheinigt wird. Bei unerwarteten Todesfällen im Zusammenhang mit ärztlichen Maßnahmen sollte die Todesart immer als nicht geklärt qualifiziert werden, um durch ein behördliches Todesursachenermittlungsverfahren Grundleiden und Todesursache objektiv abzuklären. Erst auf dieser Basis kann zur Frage eines Behandlungsfehlers Stellung genommen werden. Die Qualifizierung der Todesart als nicht geklärt beziehungsweise nichtnatürlich bedeutet nicht das Eingeständnis eines Behandlungsfehlers. Für niedergelassene Ärzte ergeben sich Probleme vor allen Dingen bei Totauffindung, Wohnungsleichen, Patienten, die unerwartet sterben, sowie bei Todesfällen alter Menschen. Wenn sich die Todesursache weder aus Leichenschau noch Befragung vorbehandelnder Ärzte ergibt, ist dies entsprechend zu dokumentieren mit Qualifika- Interessenskollision Der behandelnde Arzt, der auch die Angehörigen des Verstorbenen behandelt, kann bei Attestierung eines nichtgeklärten Todes Ermittlungen auslösen mit der Gefahr, die Angehörigen als Patienten zu verlieren. Auftretende Problemfelder in der Klinik • Todesfälle im Zusammenhang mit ärztlichen Maßnahmen sowie • Todesfälle nach Sturzverletzungen oder sonstigen Gewalteinwirkungen Deutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 33 | 20. August 2010 MEDIZIN tion der Todesart als nicht geklärt. Bei alten Menschen ist immer zu fragen, ob Anamnese, Schweregrad der diagnostizierten Erkrankung, das Hier und Jetzt des Todeseintritts erklären. Fehler und Gefahren bei der ärztlichen Leichenschau sind in Kasten 5 zusammengefasst. Kann die Todesursache durch die Leichenschau nicht geklärt werden, sollte sich eine Obduktion anschließen, wie es heute noch in vielen europäischen Nachbarländern üblich ist. Die Obduktionsquote liegt jedoch heute in Deutschland bei unter 5 Prozent aller Toten, wobei insbesondere die klinischen Obduktionen in den letzten Jahren stark rückläufig sind, während die gerichtlichen Obduktionen mit 2 Prozent der Toten relativ stabil bleiben (im Vergleich Obduktionsquoten von 20 bis 30 Prozent in England und Wales, Schweden und Finnland) (25, e5). Diese im Interesse einer validen Todesursachenstatistik und eines geplanten Nationalen Mortalitätsregisters notwendigen Obduktionen müssten allerdings adäquat und kostendeckend vergütet werden, dies ist derzeit leider nicht der Fall. Eine umfangreiche Checkliste zur Durchführung der Leichenschau findet sich unter: www.aerzteblatt.de/v4/ archiv/artikel.asp?src=suche&p=%C4rztliche+Leichen schau&id=39572 sowie (e6) Interessenkonflikt Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht. KASTEN 5 Fehler und Gefahren bei der ärztlichen Leichenschau*1 Cave ● keine Todesfeststellung ohne sichere Todeszeichen ● sorgfältige Untersuchung des unbekleideten Leichnams ● Krankheitsgeschichte des Patienten rekapitulieren ● ● ● ● – welche Diagnose lag vor? – wie war die Abfolge der zum Tode führenden Ereignisse? – lassen sich Art und Umstände des Todeseintritts mit den gesicherten Diagnosen erklären? – wie sicher sind Diagnosen zu Grundleiden und Todesursache? Stand am Anfang der zum Tode führenden Kausalkette ein äußeres Ereignis? Dann nichtnatürlicher Tod! bei Todesfällen im Zusammenhang mit ärztlichen Maßnahmen – Todesart ungeklärt beziehungsweise nichtnatürlich ist die Todesursache auch durch Befragung vorbehandelnder Ärzte nicht zu ermitteln, bleibt sie unklar; gleichzeitig Todesart ungeklärt keinen Beeinflussungsversuchen nachgeben Fehler ● funktionelle Endzustände als Todesursache angegeben, ohne sie auf ein Grundleiden zurückzuführen ● falsche Sequenz von der letztendlichen Todesursache zum Grundleiden ● Zeitintervalle fehlen ● Kausalzusammenhang zu einem am Anfang der zum Tode führenden Kausalkette stehenden äußeren Ereignis (zum Beispiel Trauma) übersehen Manuskriptdaten eingereicht: 25. 3. 2010, revidierte Fassung angenommen: 1. 6. 2010 LITERATUR 1. Madea B: Die ärztliche Leichenschau. Rechtsgrundlagen – Praktische nd Durchführung – Problemlösungen. 2 edition. Berlin Heidelberg New York: Springer 2006. 2. Madea B, Dettmeyer R: Ärztliche Leichenschau und Todesbescheinigung. Dtsch Arztebl 2003; 100(48): A 3161–79. 3. Gross R, Löffler M: Prinzipien der Medizin. Eine Übersicht ihrer Grundlagen und Methoden. Berlin Heidelberg New York: Springer 1998. 4. Madea B: Strukturelle Probleme bei der Leichenschau. Rechtsmedizin 2009; 19: 399–406. 5. Madea B, Dammeyer Wiehe de Gomez B, Dettmeyer R: Zur Reliabilität von Leichenschaudiagnosen bei fraglich iatrogenen Todesfällen. Kriminalistik 2007; 12: 767–73. 6. Berzlanovic A, Keil W, Waldhoer T, Sim E, Fasching P, Fazeny-Dörner B: Do centenarians die healthy? An autopsy study. J Gerontol 2005; 60: 862–5. 7. Schelhase T, Weber S: Die Todesursachenstatistik in Deutschland. Probleme und Perspektiven. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2007; 50: 969–76. Tod in Zusammenhang mit ärztlichen Maßnahmen Bei diesen Todesfällen sollte die Todesart immer als nicht geklärt qualifiziert werden, um durch ein behördliches Todesursachenermittlungsverfahren Grundleiden und Todesursache objektiv abzuklären. Deutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 33 | 20. August 2010 *1 modifiziert nach (1) 8. Modelmog D, Goertchen R: Der Stellenwert von Obduktionsergebnissen. Dtsch Arztebl 1992; 89(42): A 3434. 9. Bundesärztekammer: Stellungnahme zur Autopsie. Langfassung 2005. 10. Shojania KG, Burton EC, McDonald KM, Goldman L: Changes in rates of autopsy. Detected diagnostic errors over time. A systematic review. JAMA 2003; 289: 2849–56. 11. Shojania K, Burton E, McDonald K, et al.: The autopsy as an outcome and performance measure. Evidence report/technology assessment number 58 (prepared by the University of California at San FranciscoStandford, Evidence-based practice centre under contract no. 290–97–0013) AHRQ Publication for health care research and quality, October 2002. 12. Kirch W: Fehldiagnosen und Diagnosefehler in der Inneren Medizin. In: Madea B, Schwonzen M, Winter UJ, Radermacher D (eds.): Innere Medizin und Recht. Konfrontation – Kommunikation – Kooperation. Berlin, Wien: Blackwell 1996; 65–71. Totenschein bei alten Menschen Bei alten Menschen ist immer zu fragen, ob Anamnese und der Schweregrad der diagnostizierten Erkrankung das Hier und Jetzt des Todeseintritts erklären. 585 MEDIZIN 13. Schwarze EW, Pawlitschko J: Autopsie in Deutschland: Derzeitiger Stand, Gründe für den Rückgang der Obduktionszahlen und deren Folgen. Dtsch Arztebl 2003; 100(43): A 2802–8. 14. Magrane BP, Gilliland GF, King DA: Certification of death by family physicians. American Family Physician 1997; 56: 1433–8. 15. Maudsley G, Williams EN: Inaccuarcy in death certification—where are we now? Journal of Public Health Medicine 1996; 18: 59–66. 16. Myers K, Farquhar DRE: Improving the accuracy of death certification. CMAJ 1998; 158: 1317–23. 17. Feyrter F: Über den ärztlichen Begriff der Todesursache (mit besonderer Berücksichtigung der Todesursache im Sektionsprotokoll des pathologischen Anatomen). Wiener Zeitschrift Innere Medizin und Grenzgebiete 1946; 27: 438–56. 18. Leis J: Die Todesursache unter individual-pathologischen Gesichtspunkten. Deutsche Medizinische Wochenschrift 1982; 107: 1069–72. 19. Thieke Ch, Nitze H: Sterbenstypen: Thanatologische Brücke zwischen Grundleiden und Todesursache. Pathologe 1988; 9: 240–4. 20. Statistisches Bundesamt: Empfehlungen zur Angabe der Todesursache. www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/ Content/Statistiken/Gesundheit/Todesursachen/Aktuell,templateId= renderPrint.psmle 21. Schrappe M, Lessing C, Conen D, et al.: Agenda Patientensicherheit 2008, www.aktionsbuendnis-patientensicherheit.de/apsside/Agen da_2008.pdf. 22. Madea B: Autoptisch bestätigte Behandlungsfehler. Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung, Qualität im Gesundheitswesen (ZEFQ) 2008; 102: 535–41. 23. Brinkmann B: Fehlleistungen bei der Leichenschau in der Bundesrepublik Deutschland. Ergebnisse einer multizentrischen Studie (I) und (II), Arch Kriminol 1997; 199: 2–12, 65–74. 24. Vennemann B, Du Chesne A, Brinkmann B: Die Praxis der ärztlichen Leichenschau. DMW 2001; 126: 712–716 25. Brinkmann B, Du Chesne A, Vennemann B: Aktuelle Daten zur Obduktionsfrequenz in Deutschland DMW 2002; 127: 791–5. Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. med. Burkhard Madea Institut für Rechtsmedizin Universitätsklinikum Bonn Stiftsplatz 12, 53111 Bonn SUMMARY The Post Mortem Examination—Determination of the Cause and Manner of Death Background: The post mortem examination is the final service that a physician can render to a patient. Its purpose is not just to establish medical diagnoses, but to provide facts in the service of the judicial process and the public interest. Its main tasks are the definitive ascertainment of death, determination of the cause of death and assessment of the manner of death. Methods: Selective search and review of relevant literature on cause-ofdeath statistics, judicial principles, and the performance of the post mortem examination, with emphasis on determination of the cause and manner of death. Results and discussion: An important duty of the physician performing the post mortem examination is to know the patient’s history. Thus, in principle, the treating physician is the most suitable person to perform the post mortem examination. In most cases of death (perhaps 60% to 70%), the treating physician will be able to give reliable information on the patient’s underlying illnesses and the cause of death, based on the patient’s history and circumstances at the time of death. Problems arise when death is unexpected and the post mortem examination alone does not suffice to establish the cause of death. If the cause of death cannot be determined, this fact should be documented, and the manner of death should likewise be documented as undetermined. The autopsy rate in Germany is less than 5% of all deaths, which is very low. Zitierweise: Dtsch Arztebl Int 2010; 107(33): 575–88 DOI: 10.3238/arztebl.2010.0575 @ Mit „e“ gekennzeichnete Literatur: www.aerzteblatt.de/lit3310 The English version of this article is available online: www.aerzteblatt-international.de eTabelle, Grafik und Kasuistik unter: www.aerzteblatt.de/10m0575 Weitere Informationen zu cme Dieser Beitrag wurde von der Nordrheinischen Akademie für ärztliche Fort- und Weiterbildung zertifiziert. Die erworbenen Fortbildungspunkte können mit Hilfe der Einheitlichen Fortbildungsnummer (EFN) verwaltet werden. Unter cme.aerzteblatt.de muss hierfür in der Rubrik „Meine Daten“ oder bei der Registrierung die EFN in das entsprechende Feld eingegeben werden und durch Bestätigen der Einverständniserklärung aktiviert werden. Die 15-stellige EFN steht auf dem Fortbildungsausweis. Wichtiger Hinweis Die Teilnahme an der zertifizierten Fortbildung ist ausschließlich über das Internet möglich: cme.aerzteblatt.de Einsendeschluss ist der 1. 10. 2010. Einsendungen, die per Brief oder Fax erfolgen, können nicht berücksichtigt werden. Die Lösungen zu dieser cme-Einheit werden in Heft 41/2010 an dieser Stelle veröffentlicht. Die cme-Einheit „Therapie der HIV-Infektion“ (Heft 28—29/2010) kann noch bis zum 30. 8. 2010 bearbeitet werden. Für Heft 37/2010 ist das Thema „Arzneimitteltherapie bei Patienten mit chronischen Nierenversagen“ vorgesehen. Lösungen zur cme-Einheit in Heft 25/2010: Halis G, et al.: Diagnose und Therapie der tief-infiltrierenden Endometriose. Lösungen: 1d, 2e, 3c, 4a, 5d, 6c, 7b, 8d, 9b, 10a 586 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 33 | 20. August 2010 MEDIZIN Bitte beantworten Sie folgende Fragen für die Teilnahme an der zertifizierten Fortbildung. Pro Frage ist nur eine Antwort möglich. Bitte entscheiden Sie sich für die am ehesten zutreffende Antwort. Frage Nr. 1 Eine Leichenschau ist immer beim Auffinden einer menschlichen Leiche durchzuführen. Was ist in diesem Zusammenhang eine menschliche Leiche? a) ein vollständiges Bein b) ein Skelett (mindestens Rumpf und Schädel) c) ein Kopf mit nur geringen Fäulniszeichen d) eine Totgeburt von 250 g Geburtsgewicht e) eine verweste Leiche auch ohne geweblichen Zusammenhang vativer Frakturversorgung auf eine Innere Abteilung verlegt. Er stirbt vier Wochen später auf der internistischen Intensivstation unter den Zeichen des Leberausfallkomas. Welches ist die richtige Kausalkette, die auf der Todesbescheinigung anzugeben ist 1) = unmittelbare Todesursache, 2) = als Folge von, 3) = Grundleiden? a) 1) Coma hepaticum, 2) Tibifraktur 3) Leberzirrhose b) 1) Coma hepaticum, 2) Leberzirrhose, 3) Alkoholkrankheit c) 1) Stoffwechselentgleisung, 2) Coma hepaticum, 3) Tibiafraktur d) 1) Stoffwechselentgleisung,2) Tibiafraktur, 3) Alkoholkrankheit e) 1) Stoffwechselentgleisung, 2) Alkoholkrankheit, 3) Leberzirrhose Frage Nr. 2 Was ist ein sicheres Todeszeichen, bei dem auch Wiederbelebungsmaßnahmen nicht mehr indiziert sind? a) Rigor mortis b) Atemstillstand c) Asystolie d) Areflexie e) Hypothermie Frage Nr. 3 Was zählt zu den sogenannten harten Todesursachen? a) Herzversagen bei Enterokolitis mit Elektrolytverschiebungen b) zentrales Regulationsversagen bei chronischem Lungenemphysem c) Urämie bei Kardiomyopathie und Diabetes mellitus Typ 1 d) intrazerebrale Blutung bei rupturiertem Hirnbasisarterienaneurysma e) Kreislaufversagen bei Bakteriämie und sakral gelegenem Dekubitus Grad III Frage Nr. 4 Ein bettlägeriger 54-jähriger Patient mit spastischen Lähmungen und Schluckstörungen infolge eines schweren Schädel-Hirn-Traumas, das er sieben Jahre zuvor bei einem Raubüberfall erlitten hatte, stirbt infolge einer Aspirationspneumonie. Wie lang darf ein Intervall zwischen einem am Anfang der zum Tode führenden Kausalkette stehenden äußeren Ereignis (hier SHT) und dem letztendlichen Todeseintritt (hier Aspirationspneumonie) sein, damit eine nichtnatürliche Todesart noch attestiert werden kann? a) 1 Monat b) 1 Jahr c) 5 Jahre d) 10 Jahre e) beliebig lang Frage Nr. 5 Ein 42-jähriger alkoholisierter Mann wird als Fußgänger von einem Pkw angefahren. Im Krankenhaus werden eine unfallbedingte Tibiafraktur sowie multiple Schürfungen diagnostiziert. Aufgrund einer Leberzirrhose, einer Pankreasfibrose und seines erheblich reduzierten Allgemeinzustandes bei bekannter Alkoholkrankheit sowie bestehendem Ikterus und diabetischer Stoffwechsellage wird er nach konserDeutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 33 | 20. August 2010 Frage Nr. 6 Ein 58-jähriger Mann wird mit typischen Symptomen eines Myokardinfarkts akut in ein Krankenhaus eingeliefert. Mittels EKG sowie Laboruntersuchungen wird der Myokardinfarkt bestätigt. Auf dem Weg zum Herzkatheterraum wird der Patient plötzlich bewusstlos. Die anschließenden Untersuchungen ergeben den Verdacht auf eine Herzbeuteltamponade. Der Patient wird innerhalb weniger Minuten asystol, und im Rahmen der Reanimationsmaßnahmen wird reichlich Blut aus dem Herzbeutel aspiriert. Trotz Reanimationsmaßnahmen verstirbt der Patient. Anamnestisch sind bei dem im Krankenhaus bekannten Patienten ein Nikotinabusus, ein arterieller Hypertonus, eine stenosierende Koronarsklerose mit Z. n. zweifacher Stentimplantation (zuletzt 2 Jahre zuvor), eine Herzhypertrophie sowie eine Leberverfettung bekannt. Welches ist die richtige Kausalkette, die auf der Todesbescheinigung anzugeben ist ( 1) = unmittelbare Todesursache, 2) = als Folge von, 3) = Grundleiden? a) 1) Herzbeuteltamponade, 2) Koronare Herzerkrankung, 3) Myokardinfarkt b) 1) Herzbeuteltamponade, 2) Myokardinfarkt, 3) Koronare Herzerkrankung c) 1) Herzversagen, 2) Myokardinfarkt, 3) Koronare Herzerkrankung d) 1) Herzversagen, 2) Herzbeuteltamponade, 3) Myokardinfarkt e) 1) Herzversagen, 2) Myokardinfarkt, 3) Nikotinabusus, art. Hypertonus Frage Nr. 7 Sie werden als Notarzt zu einem 5 Monate alten Säugling in eine Wohnung alarmiert, der nach Angaben des Vaters beim Füttern plötzlich kollabiert sei. Bei Ihrem Eintreffen ist das Kind asystol, schlaff und Sie beginnen mit Reanimationsmaßnahmen, die bis zur Krankenhauseinlieferung fortgeführt werden. Nach Klinikaufnahme: Zeichen des Hirntodes, keine äußeren Verletzungen. Im CCT findet sich ein dünner Blutfilm im Subduralspalt. Was geben Sie als unmittelbare Todesursache (TU) an und welche Todesart (TA) attestieren Sie? a) TU: Zentrales Reagulationsversagen, TA: natürlicher Tod b) TU: Zentrales Regulationsversagen, TA: nichtnatürlicher Tod c) TU: Zentrales Regulationsversagen, TA: ungeklärt d) TU: subdurales Hämatom, TA: natürlicher Tod e) TU: subdurales Hämatom, TA: nichtnatürlicher Tod 587 MEDIZIN Frage Nr. 8 60-jähriger Patient, stationäre Aufnahme wegen schwerer pektanginöser Symptomatik. Drei Tage später kommt es zum kardiogenen Schock und Todeseintritt. Laborchemisch und elektrokardiographisch finden sich Zeichen des frischen Myokardinfarktes. Anamnestisch ist bekannt, dass der Patient vor rund einem Jahr bei einem Verkehrsunfall als Pkw-Insasse eine Thoraxprellung mit mehreren Rippenfrakturen erlitten hatte, aber nach wenigen Tagen in unauffälligem Zustand aus dem Krankenhaus entlassen werden konnte. Bis zur jetzigen Aufnahme sei er in der Zwischenzeit nach Angabe der Angehörigen beschwerdefrei gewesen. Was geben Sie als unmittelbare Todesursache (TU) an und welche Todesart (TA) attestieren Sie? a) TU: Myokardinfarkt, TA: natürlicher Tod b) TU: Myokardinfarkt, TA: nichtnatürlicher Tod c) TU: Koronarstenose, TA: natürlicher Tod d) TU: Koronarstenose, TA: nichtnatürlicher Tod e) TU: Herzversagen, TA: ungeklärt Frage Nr. 9 Eine 68-jährige Frau wird tot im Bett ihrer Wohnung von den Angehörigen aufgefunden. Diese berichten Ihnen, als diensthabender Bereitschaftsarzt, der die Verstorbene zu Lebzeiten nicht kannte, von einem in den letzten zwei Wochen sich erheblich verschlechternden Allgemeinzustand wegen einer schweren Pneumonie. Eine Krankenhauseinweisung habe sie vehement abgelehnt. Sie rufen von der Wohnung aus den behandelnden Hausarzt an, der Ihnen gegenüber die Angaben der Angehörigen bestätigt und angibt, die Patientin zwei Tage zuvor zuletzt zu Hause aufgesucht und weiterhin hochfieberhaft angetroffen 588 zu haben, weshalb er das Antibiotikum gewechselt habe. Er legt dar, dass er von einer todesursächlichen Pneumonie aus innerer Ursache ausgehe. Ihre Untersuchung der Leiche: abgesehen von kleineren unterschiedlich alten Hämatomen an beiden Unterschenkelvorderseiten keine Auffälligkeiten. Was geben Sie als unmittelbare Todesursache (TU) an und welche Todesart (TA) attestieren Sie? a) TU: Atemversagen, TA: natürlicher Tod b) TU: Atemversagen, TA: ungeklärt c) TU: Sepsis, TA: nichtnatürlicher Tod d) TU: Pneumonie, TA: natürlicher Tod e) TU: Pneumonie, TA: nichtnatürlicher Tod Frage Nr. 10 Sie werden als Notarzt zur Leiche eines vier Monate alt gewordenen männlichen Säuglings in eine Wohnung gerufen. Die Eltern geben an, dass er seit drei Tagen erkältet gewesen sei, weshalb man am Tage vor dem Tod beim Pädiater gewesen sei. Nach dortiger Einschätzung habe aber kein besorgniserregender Zustand bestanden. Am Morgen hätte der Säugling dann tot im Bett gelegen. Ihre Leichenschau: Regelrecht entwickelter Säugling, keine äußerlich erkennbaren Verletzungen oder Hinweise auf Vernachlässigung. Was geben Sie als unmittelbare Todesursache (TU) an und welche Todesart (TA) attestieren Sie? a) TU: Plötzlicher Säuglingstod (SIDS), TA: natürlicher Tod b) TU: Respiratorisches Versagen, TA: natürlicher Tod c) TU: unklar, TA: ungeklärt d) TU: Hirnblutung, TA: ungeklärt e) TU: Hirnblutung, TA: nichtnatürlicher Tod Deutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 33 | 20. August 2010 MEDIZIN Ärztliche Leichenschau Feststellung der Todesursache und Qualifikation der Todesart Burkhard Madea, Markus Rothschild eLITERATUR e1. Modelmog D: (1993) Todesursachen sowie Häufigkeit pathologisch-anatomischer Befundkomplexe und Diagnosen in einer mittelgroßen Stadt bei fast 100%iger Obduktionsquote. Deutsche Hochschulschriften 491. Engelsbach: Hänsel-Hohenhausen 1993. e2. Eckstein P, Schyma C, Madea B: Rechtsmedizinische Erfahrungen bei der Kremationsleichenschau – eine retorspektive Analyse der letzten 11 Jahre. Arch Kriminol 2010 – in press e3. Berg S, Ditt J: Probleme der Ärztlichen Leichenschau im Krankenhausbereich. Niedersächsisches Ärztebl 1984; 8: 332–6. e4. Bundesärztekammer 2002, Entwurf einer Gesetzgebung zur ärztlichen Leichenschau und Todesbescheinigung. In: Madea B (2006) Die Ärztliche Leichenschau. Rechtsgrundlagen, Praktische Durchführung, Problemlösung. 2nd edition. Berlin Heidelberg New York: Springer 2006; 213–6. e5. Doberentz E, Madea B, Böhm U, Lessig R: Zur Relialibität von Leichenschaudiagnosen von nichtnatürlichen Todesfällen – vor und nach der Wende. Archiv für Kriminologie 2009; 225: 1–17. e6. AWMF-Leitlinien Register Nr. 054/002 Regeln zur Durchführung der Ärztlichen Leichenschau Deutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 33 | 20. August 2010 3 Punkte cme Teilnahme nur im Internet möglich: aerzteblatt.de/cme 15 MEDIZIN 3 Ärztliche Leichenschau Feststellung der Todesursache und Qualifikation der Todesart Punkte cme Burkhard Madea, Markus Rothschild Teilnahme nur im Internet möglich: aerzteblatt.de/cme Die Kasuistik TABELLE Kasuistik mit Fehlertypen zur Angabe der Todesursachen – Falldarstellung nach (16) Ein 75 Jahre alt gewordener Mann, Raucher, mit einem seit fünf Jahren bestehenden Lungenemphysem wird aufgrund einer Exazerbation seiner Lungenerkrankung in das Krankenhaus eingewiesen. Dort wird die Diagnose HaemophilusInfluenza-Pneumonie gestellt. Unabhängig hiervon besteht seit zehn Jahren eine koronare Herzerkrankung. Während des stationären Aufenthaltes verschlechtert sich der Zustand, der Mann möchte allerdings nicht intubiert und künstlich beatmet werden. Eine Woche nach Krankenhausaufnahme wird er tot im Bett aufgefunden. Es sind vier verschiedene Alternativen zur Angabe der Todesursache im Leichenschauschein (A – D) mit Fehlertypen abgebildet. In diesem Fall ist lediglich die Alternative D richtig. Fehlertypen zur Angabe der Todesursache Zum Tode füh- Befund rende Krankheit Ungefähre Zeitspanne zwischen Beginn der Krankheit und Tod Fehlertyp – – A Teil 1 – (a) Atemstillstand (b) – – – (c) – – – Teil 2 koronare Herzerkrankung – – Teil 1 – – – (a) Emphysem – falsche Reihenfolge zwischen Grundleiden und Todesursache, fehlende Zeitintervalle (b) Pneumonie – – (c) – – – Teil 2 koronare Herzerkrankung – – Teil 1 – – – (a) Emphysem 5 Jahre kausal miteinander nicht verknüpfte konkurrierende Todesursachen (b) koronare Herzerkrankung 10 Jahre – Teil 2 – – – Teil 1 – – – (a) Haemophilus-Influenza-Pneumonie 1 Woche – (b) Emphysem – 5 Jahre – (c) – – – – Teil 2 koronare Herzerkrankung 10 Jahre – funktioneller Endzustand angegeben, Zeitspanne zwischen Beginn der Krankheit und Tod fehlt B C D 16 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 33 | 20. August 2010 MEDIZIN Ärztliche Leichenschau Feststellung der Todesursache und Qualifikation der Todesart Burkhard Madea, Markus Rothschild eGRAFIK 3 Punkte cme Teilnahme nur im Internet möglich: aerzteblatt.de/cme Sterbefälle in den großen Krankheitsgruppen in Abhängigkeit vom Sterbealter laut Todesursachenstatistik 2007 (Quelle: Statistisches Bundesamt). Weitere Gruppen, die insgesamt 111 448 Sterbefälle betreffen, sind in dieser Grafik nicht aufgeführt. Deutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 33 | 20. August 2010 17 MEDIZIN Ärztliche Leichenschau Feststellung der Todesursache und Qualifikation der Todesart Burkhard Madea, Markus Rothschild 3 Punkte cme Teilnahme nur im Internet möglich: aerzteblatt.de/cme eTABELLE Patientenbewegungen in Krankenhäusern 2007*1 Fachgebiet Aufnahmen Sterbefälle Chirurgie 3 592 386 59 062 Frauenheilkunde und Geburtshilfe 1 730 055 4 013 Innere Medizin 6 092 198 276 890 Endokrinologie 37 304 1 105 Gastroenterologie 503 033 21 618 Hämatologie 242 069 16 959 Kardiologie 987 266 31 419 Lungen-und Bronchialheilkunde 246 351 8 571 Nephrologie 109 841 5 829 Rheumatologie 57 066 197 Geriatrie 164 192 12 686 Neurologie 666 859 13 911 *1 nach Angaben des statistischen Bundesamtes 18 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 33 | 20. August 2010