Multiple Sklerose-Behandlung nach § 116 b Abs. 2 SGB V
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Multiple Sklerose-Behandlung nach § 116 b Abs. 2 SGB V
26 Wirtschaft und Abrechnung KV-Blatt 04.2011 Multiple Sklerose-Behandlung nach § 116 b Abs. 2 SGB V Jetzt klagen auch niedergelassene Neurologen gegen den rot-roten Senat Der Krach um die Behandlungsgenehmigungen für Krankenhäuser nach § 116 b Abs. 2 SGB V durch den Berliner Senat geht weiter. Nach den ambulant tätigen Onkologen haben inzwischen auch Neurologen aus Berlin Klage beim Sozialgericht Berlin eingereicht. Sie wollen erreichen, dass die Genehmigungen für mehrere Krankenhäuser zur ambulanten Diagnostik und Behandlung von Multiple-Sklerose (MS)-Patienten zurückgenommen werden. Ihre Argumentation: Die MS-Behandlung durch niedergelassene Neurologen ist in Berlin qualitativ vorbildlich und das Angebot quantitativ ausreichend. Die Konkurrenz durch Krankenhäuser könnte hingegen für freiberufliche Neurologen das wirtschaftliche Aus bedeuten. Bislang haben fünf Neurologen Klage eingereicht. Ihr Schritt war absehbar, nachdem sich aus Sicht des Arbeitskreises Multiple Sklerose Berlin e. V. die betreffenden Krankenhäuser mit der ambulanten MS-Diagnostik und Behandlung „in eine direkte Konkurrenz zu den etablierten freiberuflichen Versorgungsstrukturen begeben“ haben. Krankenhäuser als Konkurrenten? Anzeige Nach Informationen des KV-Blatts haben die Charité (Campus Mitte, Benjamin Franklin) im Februar 2010 und das Vivantes-Klinikum Neukölln im Mai 2010 sowie das St.-Josef-Krankenhaus in Weissensee jeweils umfassende Genehmigungen für die ambulante MSDiagnostik und -Therapie nach § 116 b Abs. 2 SGB V erhalten. Zuständig für diese Genehmigungen ist die Senatsgesundheitsverwaltung unter Leitung von Senatorin Katrin Lompscher (Die Linke). Zwar ist bei solchen Genehmigungen eine „einvernehmliche Regelung“ mit den Kostenträgern anzustreben, aber in ihren Bescheiden an die beiden Charité-Standorte räumt die Senatsbehörde selbst ein, ihre Genehmigung gegen den Willen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin und der Berliner Krankenkassen erteilt zu haben. Die Krankenkassen hatten demnach – wie generell auch die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin – auf die ausreichende ambulante Versorgung durch niedergelassene Neurologen hingewiesen, die durch eine Genehmigung für die Krankenhäuser in Gefahr geraten könnte. Die Behörde erwartet nach eigenen Angaben hingegen nur geringe Auswirkungen auf die MS-Versorgung. Allerdings finden sich entsprechende Behauptungen auch in allen anderen dem KV-Blatt vorliegenden Genehmigungsbescheiden, unabhängig vom genehmigten Behandlungsgebiet. Überdies bezweifeln die Kassen in allen vier KORTE 31),(.4135( $3,$0$/23(&+5 1045$0:((33 RECHTSANWÄLTE %4$*('63&+1&+4&+6.(1'(3#! .$*(0,((,0(056',(02.$5:(,0 ",3+$%(04(,5:$+.3(,&+($0'$5(,/(3(,&+1&+4&+6.3(&+5 (3)1.*3(,&+%(53(65 04(3($0:.(,.,(*5',3(-5$0'(36/%1.'5 0,7(34,5;531)3,(.4135(.(+354(.%45$0(,0(3(3.,0(31&+4&+6.( 05)(3060*42,(.5-(,0(1..(8,38(3'(0%60'(48(,5)<3,(5;5,* 05(3'(0,0'(0 (3.,0,55( ",&+(35453$44( 5 (3.,03(0:.(3* 560'(015.,0( 888456',(02.$5:-.$*(0&1/ 888$08$.5,0)1 $9 -$0:.(,$08$.5,0)1 Genehmigungsfällen für die MS-Versorgung, dass die dafür vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) vorgegebenen Qualitätsanforderungen ausreichend nachgewiesen wurden. Tut nichts, die Genehmigung wird erteilt Die Aufsichtsbehörde hat diese Einwände der Kostenträger jedoch kurz und knapp vom Tisch gewischt: „Die vorgebrachten Einwände stehen der Bestimmung (gemeint ist die Genehmigung, d. A.) des Krankenhauses jedoch nicht entgegen, da die Auffassung der Krankenkassen (...) nicht geteilt wird.“ Warum die Bedenken der Krankenkassen „nicht geteilt“ werden, bleibt offen. Dass sie überhaupt im Detail Kenntnis von den Bewilligungsbescheiden erhielten, verdanken die klagenden Neurologen offenbar ihrer Rechtsanwaltskanzlei. In einer der Klageschriften an das Sozialgericht Berlin heißt es, die Kläger seien „im Bestimmungsverfahren (Genehmigungsverfahren, d. A.) weder angehört worden, noch wurde ihnen der Bestimmungsbescheid (...) zur Kenntnis gegeben. Erst mit E-Mail vom 07.02.2011 hat der Beklagte den Prozessbevollmächtigten der Kläger den Bestimmungsbescheid zur Verfügung gestellt.“ Die Kanzlei hat inzwischen Akteneinsicht beantragt. Vielleicht lässt sich dadurch auch ein Umstand erhellen, über den sich die klagenden Neurologen sehr verwundert zeigen. Wird ein Einverständnis des MS-Arbeitskreises nur suggeriert? So teilt die Genehmigungsbehörde in einem ihrer Bescheide mit, den Vorsitzenden des Arbeitskreises Multiple Sklerose Berlin e. V. angehört zu haben. Dieser soll die in Rede stehende „ambulante Leistungserbringung durch Universitätseinrichtungen in diesem Bereich (…) nicht infrage gestellt (haben)“. Nach seiner Ansicht sollte eine Kooperation zwischen geeigneten Krankenhäusern und dem vertragsärztlichen Bereich angestrebt werden. Eine schwammige Wirtschaft und Abrechnung KV-Blatt 04.2011 Formulierung? Die Anwaltskanzlei hält in ihrer Klagebegründung dagegen. Sie glaubt, dass damit ein Einverständnis für die ambulante MS-Behandlung nach § 116 b Abs. 2 SGB V „suggeriert“ werden soll und behauptet: „Dies ist unzutreffend. Die Behauptung der Beklagten (Genehmigungsbehörde, d. A.) entspricht nicht den Tatsachen.“ Der Arbeitskreis habe sich gerade deshalb an die Senatsverwaltung gewandt, weil kein Einverständnis bestehe. Vielmehr sei auf die Bedrohung der ambulanten Praxen und auf den Vorbehalt der rechtlichen Überprüfung hingewiesen worden, falls die Senatsbehörde dennoch genehmigen würde. Für die Anwaltskanzlei der klagenden Ärzte steht fest: „Die Beklagte (Geneh- migungsbehörde, d. A.) hat die vertragsärztliche Versorgungssituation nicht berücksichtigt.“ Die Genehmigung bedrohe die Existenz der klagenden Ärzte, die ihre Praxen in denselben Einzugsgebieten wie die Krankenhäuser hätten, die nun ambulante MS-Diagnostik und -Therapie nach § 116 b Abs. 2 SGB V erbringen dürfen. Patienten mit Multipler Sklerose weg, womit aufgrund der Tatsache, dass die angefochtene Bestimmung eine beliebige Ausweitung der Leistungen bei unbudgetierter Vergütung durch die Krankenhäuser zulässt, zu rechnen ist, ist die wirtschaftliche Existenz der Kläger bedroht“, schreibt die Anwaltskanzlei. Unter anderem wollen die klagenden Neurologen auch durch Vorlage ihrer KV-Abrechnungen nachweisen, dass die MS-Diagnostik und -Behandlung ein mit dem der betreffenden Krankhäuser identisches Leistungsspektrum darstellen und einen erheblichen Teil ihrer Behandlungszeit als auch ihres Praxisumsatzes ausmachen. „Brechen den Klägern die Patientinnen und Kaltschnäuzigkeit Der Zehlendorfer Neurologe Bernd Brockmeier vom Arbeitskreis Multiple Sklerose e. V.: „Wir sind enttäuscht, dass es überhaupt erst zu einer Klage kommen muss. Die Genehmigungspraxis des Berliner Senats ist ein Schlag ins Gesicht der vielen engagierten Neurologen, die in unserer Stadt seit nun- § 116 b SGB V: So argumentieren die Neurologen Klageziel: Die Genehmigungsbescheide für die Krankenhäuser Charité (Mitte, Benjamin Franklin), Vivantes (Neukölln) und St. Josef in Weissensee nach § 116 b Abs. 2 SGB V für die ambulante MSBehandlung sollen aufgehoben werden. Exzellenter Erstzugriff: Krankenhäuser haben durch Einweisung und Selbsteinweisung von MS-Patienten einen exzellenten Erstzugriff auf MS-Patienten. Sie binden Patienten in einem frühen Diagnosestadium an sich, sodass MS-Patienten dem niedergelassenen Nervenarzt gar nicht mehr vorgestellt werden. Beliebige Leistungsausweitung: Die Genehmigung für § 116 b Abs. 2 SGB V lässt bei MS-Patienten (analog auch in anderen Behandlungsfeldern) de facto eine beliebige Leistungsausweitung bei unbudgetierter Vergütung zu, womit die qualifizierte vertragsärztliche Versorgung von MS-Patienten durch neurologische Schwerpunktpraxen zerstört werden kann. Existenz steht auf dem Spiel: Brechen niedergelassenen Neurologen die MS-Patienten weg, droht ihnen das wirtschaftliche Aus. Wie es bisher war: Nach dem stationären Aufenthalt erfolgte die Weiterbehandlung von MS-Patienten in der vertragsärztlichen Versorgung. Flächendeckende Versorgung: 95 % aller rund 5.000 in Berlin lebenden MSPatienten werden durch niedergelassene Neurologinnen und Neurologen betreut. Keine medizinische Notwendigkeit: Für eine Übernahme der Regelversorgung von MS-Patienten durch Krankenhäuser gibt es keine medizinische Notwendigkeit. Vernetzte ambulante Praxen: Rund 80 % der MS-Patienten werden von 35 Fachärzten in 28 Praxen versorgt, die im Arbeitskreis Multiple Sklerose Berlin e. V. vernetzt sind. Die Bedeutung dieser Praxen ist inzwischen so groß, dass wissenschaftliche Studien zur Medikamentenversorgung überwiegend in den vernetzten Praxen stattfinden. Krankenhausaufenthalt vermeiden: Krankenhausaufenthalte können und sollen auf ein Minimum reduziert werden. In seltenen Fällen einer stationären oder teilstationären Versorgung erfolgt die Kooperation bei „seltenen, komplizierten Fragestellungen oder ebenfalls seltenen obligat stationären Therapieverfahren“ zwischen niedergelassenen Fachärzten und dem betreffenden Krankenhaus. Wer hat Genehmigungen erhalten? Eine Liste der Krankenhäuser mit §-116-b-Genehmigungen des Senats von Berlin finden Sie unter: www.berlin.de/ sen/gesundheit/krankenhauswesen/ berlin/index.html#ambulante (Quellen: Klageschrift vom 31.01.2011, Vogt & Kollegen, Rechtsanwälte, Zweigstelle Landshut; KV-Blatt) 27 28 Wirtschaft und Abrechnung KV-Blatt 04.2011 Wichtig für Ihre Abrechnung Fortsetzung von Seite 27 mehr zehn Jahren eine bundesweit beispielhafte und vernetzte Versorgung von MS-Patienten durchführen, ein Engagement, das selbst von den Krankenkassen anerkannt wird.“ Er selbst sei erschrocken über die „Kaltschnäuzigkeit, mit der hier noch so gute Argumente und Qualitätsgesichtspunkte einfach vom Tisch gewischt werden“. Man habe lange gezögert, den Klageschritt zu gehen, und immer gehofft, mit Gesprächen doch noch zu einer tragfähigen Lösung zu kommen. Brockmeier weiter: „Inzwischen werden wir aber durch immer mehr Kollegen ermutigt, nicht klein beizugeben.“ Er kündigte an, dass es bei dem jetzt anstehenden Streit unter Juristen nicht bleiben könne. Der Arbeitskreis überlege geeignete Schritte, die schleichende Zerstörung der ambulanten Versorgungsstrukturen auch öffentlich zu thematisieren. Bernd Brockmeier: „Dabei legen wir großen Wert darauf, nicht gegen die Bedürfnisse unserer Patienten zu agieren. Jedoch werden wir den Vorzug und die anerkannte Qualität der ambulanten neurologischen Versorgung mit geeigneten Mitteln deutlich machen. Die Landespolitik muss gezwungen werden, sich für oder gegen den Erhalt und den Vorrang der bewährten ambulanten medizinischen Versorgung zu positionieren.“ Erinnerung: Wegepauschalen im ÄBD ansetzen Seit dem 1. Januar 2011 müssen die am Ärztlichen Bereitschaftsdienst (ÄBD) teilnehmenden Ärzte für alle Versicherten die Wegepauschalen mit den jeweiligen SNR ansetzen. Die Pauschalen müssen entsprechend Entfernung und Uhrzeit abgerechnet werden. Das KV-Blatt hatte bereits in der Februar- und in der März-Ausgabe darüber berichtet. Bitte denken Sie an die neue Regelung! Detailinformationen entnehmen Sie bitte dem Rundschreiben, das ebenfalls zu diesem Thema herausgegeben wurde. GOP 01740: Nur einmal im Leben In der Krebsfrüherkennungs-Richtlinie ist geregelt, dass die Gebührenordnungsposition 01740 (Beratung zur Früherkennung des kolorektalen Karzinoms) nur einmal im Leben eines Patienten abgerechnet werden kann. Bitte beachten Sie dies künftig bei Ihrer Abrechnung. GOP 80230 ersetzt GOP 99012 Für die Telefoneinheit zur Beschaffung eines Krankenhausbettes wurde die GOP 99012 mit Wirkung vom 1. Juli 2010 durch die neue GOP 80230 ersetzt. Bitte achten Sie bei Ihrer Abrechnung unbedingt darauf. Anerkannte Psychotherapie Bei anerkannter Psychotherapie ist das Feld 4234 anzukreuzen und das Datum des Anerkennungsbescheides im Feld 4235 einzutragen. Ab sofort sind die nachfolgenden Felder stets auszufüllen: FK 4244: Bewilligte Leistungen gemäß PTV 7b bei anerkannter Psychotherapie FK 4245: Anzahl bewilligter Leistungen FK 4246: Anzahl abgerechneter Leistungen Mehrere Sozialgerichte haben §-116-b-Genehmigungen ausgesetzt Mehrere Sozialgerichte, in Sachsen sogar das Landessozialgericht, hatten anderen niedergelassenen Fachärzten, die ebenfalls gegen ihrer Meinung nach unberechtigte Krankenhaus-Konkurrenz nach § 116 b Abs. 2 SGB V klagen, eine Aussetzung bereits erteilter Bescheide zugestanden. Dort können bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache erst einmal nur bereits begonnene Behandlungen fortgesetzt werden. Das KV-Blatt berichtete ausführlich in seiner Ausgabe 11/2010, S. 10, 29 –30). Reinhold Schlitt Abschied von Gelb und Grün Ärzte und Psychologische Psychotherapeuten haben letztmalig in ihren Abrechnungsinformationen für die Quartalsabrechnung 1/2011 die sogenannten „gelben“ und „grünen“ Informationsblätter vorgefunden. Darauf hatten wir an gleicher Stelle bereits ausführlich in der März-Ausgabe hingewiesen. Seit März 2011 werden aktuelle Hinweise zur Abrechnung bzw. zum Gebrauch der Gebührenordnung in ständigen und damit leicht wiedererkennbaren Rubriken im Internet, im Praxisinformationsdienst sowie hier im KV-Blatt veröffentlicht. Der Vorteil: Die Informationen sind schnell auffindbar und können öfter als im gewohnten Vierteljahres-Rhythmus der früheren gelben und grünen Informationsblätter bekannt gegeben werden. red