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DIPLOMARBEIT
Titel der Diplomarbeit
„Literarische Inszenierung von Frauenstimmen bei Ilse
Losa“
Verfasserin
Julia Holzschuh
angestrebter akademischer Grad
Magistra der Philosophie (Mag.phil.)
Wien, 2013
Studienkennzahl lt. Studienblatt:
A 236 357
Studienrichtung lt. Studienblatt:
Romanistik / Portugiesisch
Betreuerin:
Univ.-Prof. Dr. Kathrin Sartingen
Danksagung
Zuallererst möchte ich mich bei meiner Betreuerin Kathrin Sartingen, die meiner
Themenwahl von Anfang an interessiert gegenübergestanden ist und sich immer die Zeit
für persönliche Gespräche genommen hat, bedanken. Diese Gespräche und ihre
konstruktive Kritik haben mich immer wieder motiviert und mir neue Perspektiven
eröffnet.
Genauso viel Dank gebührt meinen Freunden und meiner Familie – sie haben mich in allen
Lebenslagen unterstützt, mir durch Gespräche, Ratschläge, Zuhören oder einfach nur
Verständnis bei vielen Hürden geholfen und immer wieder für willkommene Abwechslung
gesorgt.
Roland danke ich für seine unerschütterliche Geduld, seine Unterstützung in wirklich
allem, sowie für sein aufrichtiges Interesse, die vielen themenbezogenen Diskussionen und
Anregungen für diese Arbeit.
Inhaltsverzeichnis
1.
Einleitung ...................................................................................................................... 1
2.
Forschungsstand ............................................................................................................ 5
3.
Biografischer Hintergrund ............................................................................................. 7
4.
5.
6.
3.1.
Ilse Losas Leben .................................................................................................... 8
3.2.
Losas Werk .......................................................................................................... 10
Historischer Hintergrund ............................................................................................. 14
4.1.
Von der Monarchie zum Estado Novo ................................................................ 14
4.2.
Frauen im Estado Novo ....................................................................................... 16
Theoretische Ansätze................................................................................................... 21
5.1.
Feministische Literaturtheorie und weibliches Schreiben – Ein Überblick ........ 21
5.2.
Erzähltheorie – Die Fokalisierung nach Gérard Genette ..................................... 25
Literarische Inszenierung von Frauen in Sob Céus Estranhos .................................... 28
6.1.
Portugiesinnen ..................................................................................................... 29
6.1.1.
Senhor Ribeiro Pintos Ehefrau Helena ....................................................................... 29
6.1.2.
Sousas Frauen ............................................................................................................. 32
6.1.3.
Dona Branca ............................................................................................................... 40
6.1.4.
Teresa, Josés Ehefrau ................................................................................................. 49
6.1.5.
Maria .......................................................................................................................... 58
6.1.6.
Dona Ambrosina und Dona Alice .............................................................................. 62
6.1.7.
Nazaré ......................................................................................................................... 67
6.1.8.
Gils Mutter ................................................................................................................. 71
6.1.9.
Gils Schwester Carolina ............................................................................................. 73
6.1.10. Luís' Ehefrau............................................................................................................... 74
6.1.11. Ehefrau des Sekretärs vom amerikanischen Konsulat ................................................ 75
6.1.12. Dona Beatriz ............................................................................................................... 76
6.1.13. Dona Maria do Céu .................................................................................................... 77
6.1.14. Zusammenfassung ...................................................................................................... 78
6.2.
Nicht-Portugiesinnen ........................................................................................... 80
6.2.1.
Waltraut, Josés Mutter ................................................................................................ 80
6.2.2.
Liesel .......................................................................................................................... 87
6.2.3.
Die Lindomontes ........................................................................................................ 89
6.2.4.
Die Mündels ............................................................................................................... 91
6.2.5.
Rosemarie Grünbaum ................................................................................................. 97
6.2.6.
Senhora/Witwe Teich ................................................................................................. 99
6.2.7.
Die Österreicherin .................................................................................................... 100
6.2.8.
Elfe ........................................................................................................................... 102
6.2.9.
Zusammenfassung .................................................................................................... 103
7.
Schlussbetrachtungen ................................................................................................ 106
8.
Literaturverzeichnis ................................................................................................... 109
8.1.
Primärliteratur.................................................................................................... 109
8.2.
Sekundärliteratur ............................................................................................... 109
8.3.
Zeitungsartikel ................................................................................................... 112
8.4.
Internetquellen ................................................................................................... 112
8.5.
Andere Medien .................................................................................................. 113
9.
Abstracts .................................................................................................................... 114
9.1.
Resumo em português ....................................................................................... 114
9.2.
Deutsche Zusammenfassung ............................................................................. 123
10.
Lebenslauf ............................................................................................................. 124
1. Einleitung
Die portugiesisch-deutsche Autorin Ilse Losa, 1913 in Deutschland geboren, musste 1934 ihr
Heimatland verlassen. Sie kam aus einer jüdischen Familie, zudem war ein Brief an eine
befreundete Pazifistin abgefangen worden, indem sie Hitler als Verbrecher bezeichnete.
Nachdem Losa über mehrere Stunden hinweg verhört worden war, wurde sie vorerst
entlassen. Sie nutzte diese Chance und floh aus Deutschland. Ihr Ziel war Portugal, wo bereits
ein Bruder und Onkel Fuß gefasst hatten. Im Exil angekommen, war die Rückständigkeit des
Landes ein enormer Kulturschock für die junge Frau, die ihr letztes Jahr das pulsierende
Leben in Berlin erlebt hatte. Losa versuchte sich zu integrieren, lernt Portugiesisch und
heiratet 1935 einen Portugiesen mit dem sie eine eigene Familie gründet. Im Exil beginnt sie
auch wieder zu schreiben, wird in ihrer neuen Heimat eine erfolgreiche Autorin und erlangt
mit der Übersetzung zweier Romane in ihrer alten Heimat späten Ruhm. Als Losa 2006 stirbt,
hinterlässt sie ein umfangreiches und vielschichtiges Werk: drei Romane, zahllose
Erzählungen und Anthologien, Kinderbücher, Prosagedichte und Übersetzungen sowohl
deutscher als auch portugiesischer Autoren. 1
Mit der Autorin Ilse Losa kam ich 2009 in einem Seminar zum Thema Vozes femininas
lusófonas in Berührung. Als Thema meiner Seminararbeit wählte ich damals den Roman Sob
Céus Estranhos (1962; Unter fremden Himmeln, 1991) und untersuchte ihn hinsichtlich der
Frage ob im Roman eine weibliche, lusofone Stimme zu finden ist. Auf der Suche nach einem
geeigneten Diplomarbeitsthema kam ich schließlich zu dem Entschluss, dass das Thema mit
einer Seminararbeit noch lange nicht ausgeschöpft ist und zudem einen von der
Forschungsliteratur noch unbehandelten Aspekt von Losas Werk darstellt.
Sob Céus Estranhos ist der einzige Roman Losas, der mit José Montanha/Josef Berger über
einen männlichen, als Erzähler fungierenden, Protagonisten verfügt. Das mag nicht
ungewöhnlich erscheinen, gewinnt aber an Relevanz, wenn man die Umstände betrachtet
unter denen der Roman entstanden ist. Losa war in ein Land gekommen, wo die Frauen am
Rand der Gesellschaft ihr Dasein fristeten und mit vielen Verboten leben mussten. Es ist also
anzunehmen, dass eine weibliche Autorin wie Ilse Losa selbst von diesen Normen betroffen
1
Vgl. Holzschuh, Julia: Selbstübersetzung bei Ilse Losa. Diplomarbeit. Universität Wien 2012, S. 8-17.
1
war und dies auch in ihren Texten thematisiert. Frauen- oder Einzelschicksale werden laut
Engelmayer sogar zu den thematischen Hauptkonstanten in Losas Werk gezählt. 2
Gerade deshalb ist dieser Roman in Hinblick auf die Art der Inszenierung von Frauenstimmen
interessant. Denn es stellt sich die Frage ob der Roman trotz männlicher Erzählstimme auch
die weibliche Sicht der Dinge darstellt, wie sich weitere Frauenstimmen in diesem Roman
manifestieren und ob diese überhaupt vorhanden sind. Die portugiesische Gesellschaft lag
zum damaligen Zeitpunkt weit hinter vielen anderen europäischen Ländern zurück was
Emanzipation und Gleichberechtigung anbelangte. Neben portugiesischen Figuren kommen
allerdings auch viele nicht-portugiesische, weibliche Charaktere im Text vor. Das lässt die
Hypothese zu, dass in der Inszenierungsart von Portugiesinnen und Nicht-Portugiesinnen
möglicherweise ein Unterschied zu erkennen ist. Um also die Inszenierungsarten der
Frauenstimmen und einen möglichen Inszenierungsunterschied betreffend ihrer Nationalität
nachweisen zu können, wird eine eingehende Figurenanalyse am Text vorgenommen.
Nach der Einleitung wird in einem Kapitel zum Forschungsstand vor allem auf die
Forschungsliteratur zu Losa eingegangen, da es sich dabei noch um eine relativ junge handelt.
Es soll des Weiteren auch auf andere Texte, die als Sekundärtexte für das Erkenntnisinteresse
dieser Arbeit sehr hilfreich waren, hingewiesen werden.
Das darauf folgende dritte Kapitel gibt einen Überblick über Losas Biografie und Werk.
Losas Leben wurde durch die patriarchalen Strukturen des Estado Novo stark beeinflusst
beziehungsweise eingeschränkt. Da sich diese Einschränkungen auch in Losas Werk
niederschlagen müssten, scheint es sinnvoll, durch Angaben zu ihrer Biografie und ihrem
Werk ein differenziertes Werkverständnis zu vermitteln. In Bezug auf die Werke möchte ich
ihr Gesamtwerk aufweisen und mögliche erkennbare Hauptthematiken nennen.
Im nächsten Kapitel soll auf ein weiteres wichtiges Thema, sowohl für Losas Werk als auch
für die Analyse, eingegangen werden – den historischen Hintergrund vor dem der Roman
spielt. Das Kapitel ist dazu in zwei Teile gegliedert. Der erste Teil befasst sich dabei mit
einem Überblick über die Geschichte Portugals und umreißt wichtige Daten und
2
Vgl. Engelmayer, Elfriede: Vom Anderssein. Zu drei Erzählungen von Ilse Losa. In: Tranvía. Revue der
Iberischen Halbinsel. Nr. 26, September 1992, S. 64-65.
2
Informationen zum Ende der Monarchie, der schwierigen Zeit der Ersten Republik und des
Estado Novo. Der zweite Teil des Kapitels befasst sich mit der Rolle und Position, die Frauen
während der Diktatur in der portugiesischen Gesellschaft innehatten. Dabei bezieht sich das
Kapitel auf Rechte, Pflichten, etc.
Das fünfte und letzte Theoriekapitel der Arbeit beschäftigt sich mit literaturtheoretischen
Ansätzen, die bei der Auseinandersetzung mit dem Text und der Analyse des Romans von
Belang sein könnten. Auch dieses Kapitel ist in zwei Unterkapitel unterteilt. Das erste
beschäftigt sich mit der feministischen Literaturtheorie und dem weiblichen Schreiben, das
zweite zeigt Ansätze aus der Erzähltheorie auf. Da das Hauptaugenmerk dieser Arbeit jedoch
auf der Analyse und somit auf der praktischen Arbeit am Text liegt, möchte ich nur einen
Überblick geben. Bei der feministischen Literaturtheorie werden vor allem Theorien aus
Judith Butlers Gender Trouble und Simone de Beauvoirs Le Deuxième Sexe ausgegriffen, bei
der Erzähltheorie gehe ich hauptsächlich auf den Begriff der Fokalisierung nach Gérard
Genette ein.
Das sechste Kapitel beschäftigt sich schließlich mit dem Hauptteil der Arbeit, der Analyse des
Romans Sob Céus Estranhos in Hinblick auf literarische Inszenierungsformen von
Frauenstimmen. Zur besseren Übersicht und auch um Unterschiede besser aufzeigen zu
können, ist dieser Teil der Arbeit ebenfalls in zwei Unterkapitel geteilt. Der erste Teil des
Kapitels beschäftigt sich mit der Inszenierung portugiesischer Frauenfiguren, der zweite Teil
mit der Inszenierung der nicht-portugiesischen Frauenfiguren. Der Begriff NichtPortugiesinnen wird dabei absichtlich verwendet, da es sich nicht bei allen ausländischen
Frauenfiguren des Romans um Emigrantinnen handeln, sondern manche Charaktere Teil von
Josés Vergangenheit in Deutschland sind. Es wird daher bei den Charakteren zwischen
portugiesisch
und
nicht-portugiesisch
Inszenierungsunterschied
durch
die
unterschieden,
unterschiedliche
um
Herkunft
einen
und
möglichen
Erziehung
der
nachzuweisen.
Die Vorgehensweise ist dabei folgende: Jede einzelne Frauenfigur wird einer eingehenden
Analyse unterzogen. Das heißt sie wird anhand von Zitaten – direkten und indirekten
Aussagen im Text – möglichst detailliert beschrieben und charakterisiert. Danach soll für jede
Figur einzeln festgestellt werden, wie sie im Roman dargestellt wird und ob es sich bei ihr um
3
eine indirekte oder direkte Inszenierung handelt. Am Ende der beiden Kapitel wird dann eine
Zusammenfassung gegeben, in der die Ergebnisse bei den Inszenierungsarten der
portugiesischen und der nicht-portugiesischen Frauen aufgezeigt werden. Mögliche
Auffälligkeiten, Gemeinsamkeiten, etc. sollen dort ebenfalls besprochen werden.
Das letzte Kapitel fasst die Ergebnisse dann noch einmal zusammen und stellt sie gegenüber,
um einen Gesamtüberblick über die literarische Inszenierung der Frauenstimme bei Ilse Losa
zu geben.
4
2. Forschungsstand
Die Forschungsgeschichte zu Ilse Losa ist eine relative junge, sie setzt in Portugal mit etwa
Anfang der neunziger Jahre ein. Zuvor erschienen bereits Kritiken und Rezensionen über
Losas Romane und andere Werke, eine wissenschaftliche Auseinandersetzung ließ aber noch
auf sich warten. In Deutschland scheint sie mit der Veröffentlichung der übersetzten Romane
Die Welt in der ich lebte (1990; O Mundo em que Vivi, 1949) und Unter fremden Himmeln
(1991; Sob Céus Estranhos, 1962) in den neunziger Jahren und der erst verspätet einsetzenden
Auseinandersetzung mit der Exilliteratur, vor allem der des „weiblichen Exil“, zusammen zu
hängen. 3
Diese beginnende Auseinandersetzung mit der Autorin zeichnet sich anfangs in Artikeln in
Sammelbänden ab, vor allem auf diverse Aspekte der drei Romane bezogen. Beispielgebend
hierfür sind unter anderem die Artikel von Offenhäußer über Losas Roman Unter fremden
Himmeln (1993), von Becker zum Thema Akkulturation und Enkulturation bei Ilse Losa und
Jenny Aloni (1995), von Hammer über die Biografie und das Schreiben der Losa (1997) oder
zu Stereotypen und Clichés im Roman Sob Céus Estranhos (2000) von Mühlschlegel. Mit
Ende der neunziger Jahre befasst man sich immer öfter in Monografien mit Ilse Losa, auch
das Themenspektrum erweitert sich auf ihre Erzählungen, Kinderliteratur und die die von ihr
vorgenommenen Übersetzungen. Monografische Arbeiten, die diesbezüglich erwähnenswert
sind, sind unter anderem: Ilse Losa – Schriftstellerin zwischen zwei Welten (1999) von Nunes,
die Diplomarbeit Das Exil als Schreiberfahrung und literarisches Thema im Werk von Ilse
Losa, Stella Rotenberg und Ruth Tassoni (1998) von Gruber, die Masterarbeit (Paisagens da
Memória. Identidade e alteridade na escrita de Ilse Losa, 2001) und Dissertation (As
traduções de Ilse Losa no período do Estado Novo: Mediação cultural e projecção
identitária, 2009) von Marques, sowie die ebenfalls von mir verfasste Diplomarbeit
Selbstübersetzung bei Ilse Losa (2012).
3
Vgl. Gruber, Doris: Das Exil als Schreiberfahrung und literarisches Thema im Werk von Ilse Losa, Stella
Rotenberg und Ruth Tassoni. Diplomarbeit. Universität Wien 1998, S. 5-7.
5
Des Weiteren wurde in den achtziger Jahren unter dem Titel Wo haben Sie Ihre blonden
Haare gestohlen? ein Film über Losa gedreht. 4 1989 kam Ilse Losa auch in der Ö1Radioreihe Menschenbilder. Die Sendung vom geglückten Leben des Österreichischen
Rundfunks zu Wort. 5 Außerdem sei auf die zahlreichen, über die Jahre hinweg geführten
Interviews (unter anderem von Elfriede Engelmayer 6, Rolf Eigenwald 7, Angela Gutzeit 8, Ana
Isabel Rosa Marques 9 und Adriana Nunes 10) und Briefkontakte (Doris Gruber 11, Arnim
Borski 12) hingewiesen, die Einblicke in das Leben und Werk von Losa geben.
Trotz der mittlerweile relativ vielseitigen und umfassenden Beschäftigung mit Losas Werk,
vor allem den Romanen O Mundo em que Vivi und Sob Céus Estranhos, sind noch lange nicht
alle Aspekte ihres Schaffens aufgearbeitet. So ist auch eine Analyse in Hinblick auf die Frage
ob Losas Literatur als feministische Literatur/Frauenliteratur 13 gesehen werden kann oder
welche Arten von literarischer Inszenierung von Frauenstimmen in ihren Texten erfolgen,
noch nicht vorgenommen worden.
In Bezug auf die literaturtheoretischen Kapitel ist anzumerken, dass sowohl zur
feministischen Literaturtheorie, als auch zur Erzähltheorie bereits eine Vielzahl an Texten
vorliegt. Die hier genannten Vorschläge haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und
sollen nur jene Texte nennen, die mir bei der Beschäftigung mit dem Thema und der Arbeit
selbst, hilfreich waren.
4
Vgl. Eigenwald, Rolf: Gespräch mit der Schriftstellerin Ilse Losa. Der Wunsch nach sprachlicher Integration.
In: Neue Gesellschaft. Frankfurter Hefte. Nr. 9, 1997, S. 828. Auf: http://library.fes.de/cgibin/ng_mktiff.pl?year=1997&pdfs=1997_0824x1997_0825x1997_0826x1997_0827x1997_0828
[Letzter
Zugriff am 18.10.2012]
5
Vgl. Berchthold, Elisabeth (Gestaltung): Unter fremden Himmeln – Die Schriftstellerin und Übersetzerin Ilse
Losa. Radioreihe „Menschenbilder. Die Sendung vom geglückten Leben“, ORF 29.10.1989.
6
Vgl. Engelmayer, Elfriede: „Denn Sprache ist ja Heimat, dieses furchtbare Wort“. Ein Gespräch mit Ilse Losa.
Porto/Januar 89. In: Tranvía. Revue der Iberischen Halbinsel. Nr. 51, Dezember 1998, S.62-64.
7
Vgl. Eigenwald: Gespräch mit der Schriftstellerin Ilse Losa, S. 824-828. Auf: http://library.fes.de/cgibin/ng_mktiff.pl?year=1997&pdfs=1997_0824x1997_0825x1997_0826x1997_0827x1997_0828
[Letzter
Zugriff am 18.10.2012]
8
Vgl. Gutzeit, Angela: „Die Welt, in der ich lebte.“ – Begegnungen mit einer Emigrantin. In: Anschläge.
Magazin für Kunst und Kultur. Nr. 19, November/Dezember 1988, S. 12-14.
9
Vgl. Marques, Ana Isabel: Paisagens da Memória. Identidade e alteridade na escrita de Ilse Losa. Coimbra:
Edições MinervaCoimbra 2001, S. 209-213.
10
Vgl. Nunes, Adriana: Ilse Losa, Schriftstellerin zwischen zwei Welten. Berlin: edition tranvía, Verlag Walter
Frey 1999, Kommentare aus Interview mit Ilse Losa vom Juni 1994.
11
Vgl. Gruber: Das Exil als Schreiberfahrung, S. 67-68 u. S. 72-73, Zitate aus Brief Losas vom 29.12. 1996.
12
Lehr, Michael (Hg.): Briefe aus dem Exil. 30 Antworten von Exilanten auf Fragen von Arnim Borski. Mit
einem Vorwort von Günter Kunert und einem Nachwort von Arnim Borski. Katalog 100. Berlin: Antiquariat
Michael Lehr 2011.
13
Anm. Einen ersten Vorstoß in diese Richtung stellt Dieter Offenhäußers Beitrag im von Elfriede Engelmayer
und Renate Heß herausgegebenen Band Die Schwestern der Mariana Alcoforado (1993) dar.
6
In meiner ersten Herangehensweise und einer ersten Gliederung der Arbeit orientierte ich
mich an Haslingers Frauenstimmen von der Grenze – Bilder von Weiblichkeit bei
mexikanischen und Chicana-Autorinnen (2012). Die beiden Einführungen in die feministische
Literatur von Lindhoff (2003) und Sexl (2004), aber auch Krolls Gender Studies in den
romanischen Literaturen (1999), halfen dann einen Überblick über diverse Strömungen,
Richtungen und Ansätze zu bekommen und die für die Analyse relevanten Thesen
herauszufiltern. Infolgedessen habe ich mich vor allem mit Butlers Gender Trouble (1990)
und Performative Akte und Geschlechterkonstitution (2002) auseinandergesetzt, da beide
Texte für diese Analyse und die Bestimmung der Inszenierung von Frauenstimmen essentiell
sind. Sadliers The Question of How (1989) war sehr hilfreich, um Informationen über den
portugiesischen Feminismus und damit verbunden auch über die Rolle der portugiesischen
Frau im Wandel der Zeit zu erfahren. Texte, wie beispielsweise Weigels Die Stimme der
Medusa (1987), Scherrers Schreiben Frauen anders? (1998), Klügers Was Frauen schreiben
(2010) und Magalhães’ O Sexo dos Textos e Outras Leituras (1995) ermöglichten eine
Annäherung an das Thema der Frauenliteratur und des weiblichen Schreibens.
In Bezug auf die Erzähltheorie habe ich mich vor allem mit dem Text Die Erzählung (32010)
von Gérard Genette und des darin definierten Begriffs der Fokalisierung auseinandergesetzt,
mir aber auch durch Texte wie Fluderniks Erzähltheorie. Eine Einführung (32010) oder
Toolans Narrative, A critical linguistic introduction (1992) einen Überblick über das Thema
verschafft. Auch Stanzels Typische Formen des Romans (1967) und Theorie des Erzählens
(21982) waren mir bei der Analyse und der Bestimmung der Perspektive und Erzählstruktur
eine große Hilfe.
3. Biografischer Hintergrund
Wenn man sich mit Losas Werk auseinandersetzt, muss man sich zwangsläufig auch mit ihrer
Biografie auseinandersetzen. Es wäre zwar vermessen ihre drei Romane und unzähligen
anderen Texte als rein autobiografisch zu betrachten, jedoch stellen Losas Eindrücke und
Erlebnisse, vor allem als Flüchtling und Emigrantin, eine wesentliche Thematik ihres Werkes
dar. Daher erscheint es sinnvoll, das Leben der Autorin von Sob Céus Estranhos zu
7
umreißen. 14 Zudem soll hier ein Überblick über Losas Werk gegeben werden, um die
verschiedenen Themenkomplexe aufzuzeigen und so auch den Roman Sob Céus Estranhos
einer ersten Einordnung unterziehen zu können.
3.1.
Ilse Losas Leben
Ilse Losa, geboren als Ilse Lieblich am 20. März 1913 in Buer, gestorben am 6. Jänner 2006
in Porto, wird als ältestes von drei Kindern in einer jüdische Familie geboren. Sie hat zwei
jüngere Brüder, Ernst und Fritz. Mit Ausbruch des ersten Weltkriegs ziehen die Eltern ins
nahe gelegene Melle um. Losa bleibt in Buer bei den Großeltern. Sie hängt vor allem am
Großvater. Zu ihm entwickelt sie ein inniges Verhältnis und erlebt eine glückliche Kindheit,
die als Inspirationsquelle für ihren ersten Roman O Mundo em que Vivi dienen wird. Bereits
im Dorf beginnt ihr Leben zwischen den Kulturen 15, wie sie es später nennen wird. Losas
Freundeskreis besteht damals zwar noch aus Kindern unterschiedlicher Glaubensrichtungen,
trotzdem sind sie und ihre Familie im Dorf aufgrund der Religion bereits Außenseiter oder
zumindest anders.
Mit der Einschulung wird sie zu ihren Eltern in die Kleinstadt Melle geschickt, was einen
Bruch in ihrem Leben darstellt. 1930 verstirbt ihr Vater und Losa muss aus finanziellen
Gründen die Schule beenden. Während die Mutter eine Pension betreibt, besucht Losa einen
Handelsschulkurs. Danach geht sie nach England. Da für einen Sprachkurs zu wenig Geld
vorhanden ist, arbeitet sie als Au-pair. Ihr späteres Interesse für Kinder, Kindererziehung und
Kinderliteratur stammt aus dieser Zeit. Außerdem beginnt sie mit dem Schreiben, zuerst nur
tägliche Erlebnisse und Beobachtungen 16, später auch kurze Geschichten. Zu einer
Veröffentlichung kommt es damals jedoch noch nicht, die Texte gehen durch Losas Flucht
verloren.
Losa kehrt nach Deutschland zurück und arbeitet von 1932 bis 1933 in einem Hannoveraner
Krankenhaus. Als Hitler an die Macht kommt, ändert sich ihr Leben schlagartig, so verliert
sie beispielsweise ihre Arbeit. Über das jüdische Arbeitsamt wird sie als Büroangestellte nach
14
Anm. Für eine ausführlichere Auseinandersetzung mit Losas Biografie empfiehlt sich das Buch Paisagens da
Memória. Identidade e alteridade na escrita de Ilse Losa von Marques (2009) oder die ebenfalls von mir
verfasste Diplomarbeit zum Thema Selbstübersetzung bei Ilse Losa (2012), siehe Literaturverzeichnis.
15
Vgl. Berchthold: Unter fremden Himmeln – Die Schriftstellerin und Übersetzerin Ilse Losa, Track 3, ab 00:00.
16
Vgl. Gruber: Das Exil als Schreiberfahrung, S. 64.
8
Berlin vermittelt. 17 1934 wird schließlich ein Brief Losas, den sie an eine Freundin schickt,
abgefangen. Losa wird von der Gestapo vorgeladen. Nach einem mehrstündigen Verhör lässt
man sie gehen. Der Gestapobeamte gibt ihr aber zu verstehen, dass man sie in sechs Tagen
über eine mögliche Deportation benachrichtigen würde. Sie selbst schreibt später in einem
Brief an Arnim Borski folgendes: „Diesen Glücksfall verdankte ich ausschließlich meinem
„arischen“ Aussehen (blondes Haar, helle Augen) und meiner Jugend.“ 18 Losa nutzt ihre
Chance und flieht nach Portugal, wo sie im März 1934 ankommt und „das Gefühl [hat], in
einer anderen Welt gelandet zu sein.“ 19 „Portugal erscheint [ihr] als ein Land des Elends und
der Enge, der Vorurteile und der rechtlosen Frauen.“ 20
Sie erlebt einen regelrechten Kulturschock, als sie mit den Zuständen und Lebensumständen
in Portugal konfrontiert wird. Doch Losa hält sich nicht an die in Portugal herrschenden
Konventionen und sagte diesbezüglich in einem Interview mit Engelmayer: „[…] ich machte,
was ich wollte." 21
In der ersten Zeit verdient sie ihren Lebensunterhalt als Kindermädchen und durch
Deutschstunden. Ihr Bruder Ernst, der ebenfalls nach Porto geflohen war, hatte sich bereits
einen studentischen Freundeskreis aufgebaut, dem auch Losa bald angehört. Unter ihnen
befindet sich der angehende Architekt Arménio Taveira Losa, den sie 1935 heiratet. 1938 und
1943 werden die beiden Töchter Alexandra und Margarida geboren 22. „Als die Kinder kamen,
wuchsen mir auch schuechterne [sic!] Wurzeln.“ 23, schrieb Losa in einem ihrer Briefe an
Borski.
Durch die Heirat erhält Losa eine Arbeitserlaubnis und die portugiesische Staatsbürgerschaft.
Sie wird somit zumindest formal zur Portugiesin. Trotzdem blieb sie durch Freundeskreis und
Familie mit den Schicksalen der vielen Emigranten verbunden. In den folgenden Jahren geht
sie zahlreichen beruflichen Tätigkeiten nach: von 1937 bis 1939 unterrichtet Losa an der
Escola Superior de Educação de Porto Kinderliteratur, in den sechziger Jahren liest Losa für
17
Vgl. Hammer, Gerd: Fluß ohne Brücke. Das Schreiben der Ilse Losa. In: Thorau, Henry (Hg.) unter Mitarbeit
von Marina Spinu: Portugiesische Literatur. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1997, S. 429.
18
Lehr: Briefe aus dem Exil, S. 24.
19
Vgl. Engelmayer: „Denn Sprache ist ja Heimat“, S. 63.
20
Offenhäußer: Ilse Losa: Unter fremden Himmeln, S. 172.
21
Engelmayer: „Denn Sprache ist ja Heimat“, S. 64.
22
Vgl. Marques: Paisagens da Memória, S. 45-46.
23
Lehr: Briefe aus dem Exil, S. 26.
9
die Verlage S. Fischer und Livros do Brasil und übersetzt sowohl portugiesische als auch
deutsche Autoren. 24
Neben diesen Tätigkeiten beginnt Losa wieder zu schreiben. Anfangs diente das Schreiben
jedoch nicht dem Zweck Geld zu verdienen oder Ruhm zu erlangen, sondern war eine
ärztliche Verordnung – schreiben auf Rezept sozusagen. 25 Um sich voll und ganz als
Portugiesin fühlen zu können, aber auch auf das Zureden anderer, wählt sie Portugiesisch als
ihre Arbeitssprache. Ihr erster Roman O Mundo em que Vivi entsteht aus diesen
Schreibübungen und ihren Kindheitserinnerungen, er wird 1949 veröffentlicht. Dieser Roman
der Autorin wurde in Portugal ein großer Erfolg, was die Neuauflage von 1987 und die
Tatsache, dass das Buch seit 1992 in Portugal zur Pflichtlektüre an Schulen zählt, belegen.
1949 veröffentlicht Losa ihr erstes Kinderbuch und schreibt nebenher immer wieder
Erzählungen für portugiesische Zeitschriften. Diese ersten Arbeiten legen den Grundstein zu
dem umfangreichen Spektrum ihres Schaffens: Romane, Erzählungen, Kurzgeschichten,
Anthologien, Kinderbücher, Dramen und Prosagedichte.
1951 kehrt sie nach ihrer Flucht zum ersten Mal nach Deutschland zurück. Die Heimat ist ihr
mittlerweile jedoch fremd geworden. Auch ein paar Amerikareisen folgen. Ihr werden vor
allem ab den achtziger Jahren zahlreiche Preise verliehen, meistens für ihre Kinderliteratur
oder Erzählungen. 26 1988 stirbt ihr Mann, 1999 die Tochter Margarida.
Erst spät erntet sie auch in Deutschland Ruhm für ihr literarisches Werk. 1990 erscheint ihr
erster Roman unter dem Titel Die Welt in der ich lebte in einer Übersetzung von Maralde
Meyer-Minnemann in Zusammenarbeit mit Losa in Deutschland. 1991 erscheint der dritte
Roman Losas unter dem Titel Unter fremden Himmeln, den sie diesmal selbst übersetzt.
3.2.
Losas Werk
Ilse Losa beginnt bereits als Jugendliche zu schreiben. Diese ersten Texte und
Aufzeichnungen gingen durch ihre eigene Flucht aus Deutschland und schließlich durch die
24
Vgl. Hammer: Fluß ohne Brücke, S. 433.
Hammer: Fluß ohne Brücke, S. 432.
26
Vgl. Marques, Ana Isabel: As traduções de Ilse Losa no período do Estado Novo: Mediação cultural e
projecção identitária. Tese de Doutoramento (Dissertation). Universidade de Coimbra 2009, S. 63. Auf:
https://estudogeral.sib.uc.pt/bitstream/10316/12615/3/Tese%20Ana%20Isabel%20Marques.pdf [Letzter Zugriff
30.10.2012].
25
10
Zerstreuung ihrer Familie verloren. 27 Im Exil angekommen, schreibt sie aufgrund von
Depressionen ihre Kindheits- und Jugenderlebnisse nieder. Der Arzt, Freunde und ihr Mann
ermutigen sie, den Schritt einer Veröffentlichung auf Portugiesisch zu wagen. 28 Und so
veröffentlicht sie bis auf wenige Ausnahmen ihr gesamtes Werk in der für sie neuen
Sprache. 29
Ihr Erstlingswerk ist der Roman O Mundo em que Vivi, der 1949 erscheint und der in
Grundzügen Losas Kindheit und Jugend bis zum Gestapoverhör vor ihrer Flucht wiedergibt.
1952 folgt der Roman Rio Sem Ponte, der sich auch um die Entscheidung ins Exil zu gehen,
dreht. 1962 wird Losas dritter Roman Sob Céus Estranhos, der in dieser Arbeit behandelt
wird und der vom Leben und den Erlebnissen des Flüchtlings José im Exil erzählt,
veröffentlicht. Während die ersten beiden Romane noch in Deutschland angesiedelt sind,
spielt der dritte bereits in Portugal. Der dritte Roman war gleichzeitig auch der letzte Roman
Losas. Die Tatsache, dass die Protagonisten der drei Romane dieselben Erlebnisse haben wie
Losa (O Mundo em que Vivi – Kindheit und Jugend im Dorf; Rio Sem Ponte – erste Liebe und
Au-pair-Aufenthalt in England; Sob Céus Estranhos – Flucht und Leben im portugiesischen
Exil), lässt die Rezeption und Kritik oft von einer Trilogie sprechen. 30
Es lässt sich nicht leugnen, dass Losa in ihren drei Romanen auch Aspekte ihrer eigenen
Biografie bearbeitet hat. Losa meinte dazu zwar, dass ihre „Romane und Erzählungen […]
unbedingt durch eigene Ereignisse geprägt“ 31 sind, weigert sich aber zeitlebens, O Mundo em
que Vivi als „totale Autobiografie“ 32 und die anderen Romane als Fortsetzungen zu sehen.
Vor allem Sob Céus Estranhos könne man laut Losa nicht als autobiografischen Bericht
deuten, da die Lebenswirklichkeit des Protagonisten José Berger nicht ihrer eigenen
27
Vgl. Engelmayer: „Denn Sprache ist ja Heimat“, S. 62.
Vgl. Gruber: Das Exil als Schreiberfahrung, S. 64.
29
Anm. Als ihre Romane Jahrzehnte später in Deutschland auf Deutsch erscheinen, wird die Konfliktsituation,
den Losas Sprachwahl darstellte, erneut aufbrechen. In ihren späteren Interviews bezeichnet sie diese
Entscheidung als einen Fehler und meinte, dass sie von Anfang an auf Deutsch hätte schreiben sollen. Siehe
dazu: Holzschuh: Selbstübersetzung bei Ilse Losa.
30
Siehe u.a. Marques: As traduções de Ilse Losa no período do Estado Novo, S. 75. Auf:
https://estudogeral.sib.uc.pt/bitstream/10316/12615/3/Tese%20Ana%20Isabel%20Marques.pdf [Letzter Zugriff
30.10.2012].
31
Eigenwald: Gespräch mit der Schriftstellerin Ilse Losa, S. 826. Auf: http://library.fes.de/cgibin/ng_mktiff.pl?year=1997&pdfs=1997_0824x1997_0825x1997_0826x1997_0827x1997_0828
[Letzter
Zugriff am 18.10.2012].
32
Eigenwald: Gespräch mit der Schriftstellerin Ilse Losa, S. 826. Auf: http://library.fes.de/cgibin/ng_mktiff.pl?year=1997&pdfs=1997_0824x1997_0825x1997_0826x1997_0827x1997_0828
[Letzter
Zugriff am 18.10.2012].
28
11
entsprochen habe. Sie betont diesbezüglich auch immer wieder, dass sie immer Erlebtes mit
Fiktivem verwoben habe. 33 Das Losa sich nach drei Romanen anderen Textarten zuwandte,
begründete sie damit, dass ihr für weitere Romane eine tiefere Einsicht und Kenntnis der
portugiesischen Lebenswelt fehlte und sie nicht mehr genug aus ihrer eigenen Erfahrungswelt
schöpfen konnte. 34 „Deutschland ist ihr nur noch eine Erinnerung, keine Erfahrung mehr.“ 35
Wäre sie in Deutschland geblieben, so meinte sie selbst „waere [sic!] ich mehr geworden als
Schriftstellerin.“ 36 Die Arbeit an einem Roman sei zudem eine andere, sie würde mehr Zeit in
Anspruch nehmen und sie auch sonst mehr beanspruchen, als beispielsweise Erzählungen
oder Geschichten für Kinder. 37
1951 erscheint mit Grades Brancas ein Band mit Prosagedichten. Später wird sie sich
vehement gegen eine Neuauflage ihrer Gedichte aussprechen. Mögliche Motive dafür sind,
dass Losas Lyrik noch intimere Gefühle als die Prosatexte preisgibt und ihr die Sprachwahl
des Portugiesischen später für Gedichte unpassend erscheint. 38
Durch die intensive Auseinandersetzung mit Kindern, die sie als Au-pair erfahren hatte,
beginnt Losa sich auch mit Erziehungsfragen und Kinderliteratur zu beschäftigen. 39 Durch
dieses Interesse und den eher schwierigen Stand dieser Literaturform 40 in Portugal inspiriert,
erscheint 1949 das erste Kinderbuch Losas unter dem Titel Faísca Conta a Sua História.
Doch abgesehen davon, dass Ilse Losa selbst Kinder- und Jugendbücher verfasste, machte sie
sich auch allgemein für die Kinderliteratur stark. „Ilse Losa desenvolveu um importante
trabalho editorial, tendo, na qualidade de leitora da Porto Editora, promovido a divulgação de
obras, nacionais e estrangeiras, na colecção “Asa Juvenil”, nas décadas de 70 e 80.” 41 Aber
33
Eigenwald: Gespräch mit der Schriftstellerin Ilse Losa, S. 826-827. Auf: http://library.fes.de/cgibin/ng_mktiff.pl?year=1997&pdfs=1997_0824x1997_0825x1997_0826x1997_0827x1997_0828
[Letzter
Zugriff am 18.10.2012].
34
Vgl. Offenhäußer, Dieter: Ilse Losa: Unter fremden Himmeln. »… als zöge die Landschaft und wir ständen
fest.« In: Engelmayer, Elfriede und Renate Heß (Hg.): Die Schwestern der Marian Alcoforado. Portugiesische
Schriftstellerinnen der Gegenwart. Berlin: edition tranvía 1993, S. 182.
35
Offenhäußer: Ilse Losa: Unter fremden Himmeln, S. 182.
36
Lehr: Briefe aus dem Exil, S. 26.
37
Vgl. Marques: Paisagens da Memória, S. 209.
38
Vgl. Köffers, Susanne: “Sonhar é partir.“ Innere und äußere Reisen im Werk von Ilse Losa. In: Lange, WolfDieter und Andrea-Eva Smolka (Hg.): 25 Jahre nachrevolutionäre Literatur in Portugal. Nationale Mythen und
kulturelle Identitätssuche. Bd. 26. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2001, S. 264.
39
Anm. Für eine eingehende Beschäftigung mit Losas Kinder- und Jugendliteratur empfiehlt sich die 2006
eingereichte Dissertation Figurações da Infância na Obra de Ilsa Losa von Maria Goreti da Silva Torres.
40
Hammer: Fluß ohne Brücke, S. 435.
41
Marques: As traduções de Ilse Losa no período do Estado Novo, S. 70. Auf:
https://estudogeral.sib.uc.pt/bitstream/10316/12615/3/Tese%20Ana%20Isabel%20Marques.pdf [Letzter Zugriff
30.10.2012].
12
nicht nur in der Kinderliteratur war Losa tätig, sie verfasste 1954 auch einen Ratgeber: Nós e
a Criança: um Livro para os Pais. In Portugal machte sich Ilse Losa vor allem durch ihre
Kinder- und Jugendliteratur – über zwanzig Erzählungen, Kurzgeschichten und Theaterstücke
– aber auch durch ihr Engagement, den Kindern Werke ausländischer Autoren zugänglich zu
machen, einen Namen. So gilt sie bis heute als eine jener Schriftstellerinnen, die maßgeblich
an der Entstehung oder Formgebung der heutigen portugiesischen Kinderliteratur beteiligt
waren.
Losas Erzählungen, die zahlreich in Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht wurden –
unter anderem À Flor do Tempo, Ida e Volta – À Procura de Babbitt oder Tagträume und
Erzählungen der Nacht – machen wohl den Großteil ihres Gesamtwerks aus. In ihrem Werk
gibt es zwei Ausnahmen, die einen Exkurs in die deutsche Sprache darstellen. 1958 wurde die
Erzählung Retta in der Zeitschrift Neue Deutsche Literatur des Ostberliner Verlags Aufbau
abgedruckt. 1967 erschien eine Sammlung von Erzählungen mit dem Titel Das versunkene
Schiff im ebenfalls ostdeutschen Verlag der Nation, die erst 1979 unter dem Titel O Barco
Afundado ins Portugiesische übersetzt wurde. 42
Die Themenwahl in Losas Texten ist sehr vielfältig. Die Geschichten bewegen sich vor allem
vor zwei Hintergründen: zum einen im Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
und zum anderen im Portugal des Estado Novo. 43 Losa beschäftigt sich hauptsächlich mit
Thematiken wie dem Exil, dem Allein- und Ausgegrenzt-Sein, Identitätsverlust,
Alltagsprobleme, Kindheit mit all ihren Sorgen, Freuden und Gedanken. Ein Thema das für
Losa sehr wichtig war, in ihren Erzähltexten jedoch fast gänzlich unerwähnt blieb, ist die
Sprache. Bei Nunes findet sich diesbezüglich die Aussage, dass es bei Losa „Kurioserweise
[…] keine direkte Anspielung auf die Problematik der Aneignung einer neuen Sprache.“ 44
gibt. Laut Engelmayer lassen sich Losas Erzähltexte unter anderem in folgende drei
„thematische Konstanten“ 45 unterteilen: das Exil, die Welt des Kindes, sowie Geschichten die
sich oft mit Frauen- und Einzelschicksalen beschäftigen und in der portugiesischen Realität
42
Vgl. Marques: As traduções de Ilse Losa no período do Estado Novo, S. 67. Auf:
https://estudogeral.sib.uc.pt/bitstream/10316/12615/3/Tese%20Ana%20Isabel%20Marques.pdf [Letzter Zugriff
30.10.2012].
43
Vgl. Marques: As traduções de Ilse Losa no período do Estado Novo, S. 70. Auf:
https://estudogeral.sib.uc.pt/bitstream/10316/12615/3/Tese%20Ana%20Isabel%20Marques.pdf [Letzter Zugriff
30.10.2012].
44
Nunes: Ilse Losa, Schriftstellerin zwischen zwei Welten, S. 102.
45
Engelmayer: Vom Anderssein, S. 64.
13
angesiedelt sind. 46 Dem in dieser Arbeit behandelten Roman Sob Céus Estranhos lässt sich
auf den ersten Blick vor allem die Thematik des Exils in all seinen Facetten zuschreiben. Ob
bei dem Roman auch die Thematik der Einzel- und Frauenschicksale belegt werden kann wird
die später folgende Analyse zeigen.
4. Historischer Hintergrund
Der Roman Sob Céus Estranhos wurde 1962 während der Zeit des Estado Novo
veröffentlicht. Deshalb ist es für ein besseres Verständnis des Werks wichtig auch den
historischen Hintergrund zu kennen vor dem die Erzählung sich bewegt. In diesem Kapitel
sollen, in Hinblick auf die spätere Analyse der literarischen Inszenierung von Frauenstimmen,
kurz die wichtigsten Momente auf dem Weg zur Diktatur und während des Estado Novo
umrissen, aber auch die Rolle und das Leben der Frauen unter Salazar aufgezeigt werden.
Dadurch können bei der späteren Analyse traditionelle und atypische Charaktere
herausgearbeitet werden.
4.1.
Von der Monarchie zum Estado Novo
Bereits seit dem 12. Jahrhundert war Portugal ein Königreich, das von 1250 bis heute immer
in etwa in denselben Grenzen bestehen blieb. Herrschergeschlecht war zuerst das Haus
Burgund, danach das von Avis, auf welches das sechzigjährige Interregnum der spanischen
Habsburger folgte. Nach Ende der spanischen Herrschaft kam die Adelsfamilie Bragança an
die Krone, die im Jahr 1853 in direkter Linie ausstarb. Der König wurde daraufhin bis zum
Ende der Monarchie 1910 vom portugiesischen Zweig der Familie Sachsen-Coburg und
Gotha gestellt. Diese letzten Jahre der Monarchie waren unter anderem von folgenden
Missständen geprägt: sehr hohe Armut und Analphabetismus, wirtschaftliche Probleme und
republikanische Aufstände. 1908 gipfelten diese Probleme in einem Attentat König und den
Thronfolger. Der Zweitgeborene überlebte das Attentat und bestieg als König Emmanuel II.
den Thron. Er konnte die Monarchie jedoch nicht mehr retten. Bereits zwei Jahre nach dem
Attentat brach eine Revolution aus und die Erste Republik, die bis 1926 dauern sollte, wurde
46
Vgl. Engelmayer: Vom Anderssein, S. 64-65.
14
ausgerufen. Doch auch die neue Staatsform war kein Garant für Stabilität. In den sechzehn
Jahren der Republik wurden über vierzig neue Regierungen gebildet, das Parlament und der
Staatspräsident in etwa alle zwei Jahre neu gewählt. Auch Gewalt, Streiks und Aufstände
waren an der Tagesordnung. 47 Das Bevölkerungswachstum ging zwischen 1901 und 1921
stark zurück, Probleme mit der Nahrungsversorgung aus eigener Landwirtschaft kamen
hinzu. 48 Über die Jahre sammelten sich viele Probleme an: der Analphabetismus war immer
noch enorm hoch, das Gesundheits- und Bildungssystem kränkelte, das Land war sehr
rückständig und die Bevölkerung verarmte immer mehr. Auch im Ersten Weltkrieg fehlte
Portugal die Stabilität. Offiziell war das Land neutral, hatte aber gleichzeitig dem alten
Bündnispartner Großbritannien Unterstützung zugesagt. 1916 wurde Portugal von
Deutschland der Krieg erklärt, woraufhin die Portugiesen auf Seiten der Triple Entente in den
Krieg eintraten. Dies schädigte das Ansehen der Demokratischen Partei erneut. 49 Die politisch
instabile Situation, die gravierenden Probleme und die vielen Rückschläge führten 1926
schließlich zu einer Revolte von General Gomes da Costa. 50 Nachdem der erste
Staatspräsident schon nach kurzer Zeit von Costa gestürzt wurde und man diesen ins Exil
zwang, übernahm General Óscar António de Fragoso Carmona das Amt. 51
Bereits 1926 wurde unter Carmona eine Militärdiktatur ausgerufen. Ab 1928 war Salazar
Finanzminister, der die katastrophale finanzielle Situation Portugals lösen sollte. Er war mit
seiner Sparpolitik anfangs durchaus erfolgreich, denn 1939 waren die Staatsschulden zur
Gänze getilgt. 52 1932 wurde Salazar Ministerpräsident, weshalb dieses Jahr oft als
Anfangsjahr des Estado Novo genannt wird. Das Parteiensystem wurde abgeschafft, 1933
folgte eine neue Verfassung. Nicht alle in der Bevölkerung waren mit dem neuen Weg, den
Portugal einschlug, einverstanden. Immer wieder kam es in den folgenden Jahrzehnten zu
Revolten und Putschversuchen, die alle niedergeschlagen wurden. Salazars strikter Sparkurs
und das Herunterschrauben sämtlicher Ausgaben fror Portugal in seinem damaligen Zustand
ein. Einsparungen wurden vor allem auf Kosten der unteren Gesellschaftsschichten
vorgenommen, die bis in die fünfziger und sechziger Jahre stark vernachlässigt wurden. Erst
47
Vgl. Bernecker, Walther L. und Horst Pietschmann: Geschichte Portugals. Vom Spätmittelalter bis zur
Gegenwart. München: C.H. Beck 22008, S. 100.
48
Vgl. Marques, António Henrique de Oliveira: Geschichte Portugals und des portugiesischen Weltreichs. Aus
dem Portugiesischen von Michael von Killisch-Horn. Stuttgart: Alfred Körner Verlag 2001, S. 526-527.
49
Vgl. Bernecker, Pietschmann: Geschichte Portugals, S. 101.
50
Vgl. Marques: Geschichte Portugals, S. 511.
51
Vgl. Marques: Geschichte Portugals, S. 554.
52
Vgl. Mühlen: Fluchtweg Spanien-Portugal, S. 118.
15
danach begann sich die Lage langsam zu bessern. Salazar setzte zudem auf strikte
Überwachung seines Volks, zum einen durch moralische und politische Zensur und zum
anderen durch die Gründung der Polícia de Vigilância e Defesa do Estado (PVDE), die sich
an der deutschen Gestapo orientierte. 1946 wurde sie in die gefürchtete Polícia Internacional
e de Defesa do Estado (PIDE) umgewandelt und ihr Zuständigkeitsbereich erweitert. Auch
ein KZ-ähnliches Gefängnis auf den Kap Verden richtete man 1936 ein, in das vor allem
politische Gegner gesperrt wurden. Mit kurzen Unterbrechungen blieb es bis 1974 in
Betrieb. 53 Im Zweiten Weltkrieg blieb Portugal neutral, was Salazar jedoch nicht davon
hinderte, sowohl mit den Achsenmächten als auch den Alliierten zu Handeln und Kontakt zu
pflegen. 1943 erlaubte Portugal schließlich den Briten und Amerikanern ihre Truppen auf den
Azoren zu stationieren. 54
Zu den Problemen, die in Kontinentalportugal unter Salazar herrschten (Analphabetismus,
Armut, politische und soziale Ungerechtigkeit, etc.), kamen schließlich auch jene der
Kolonien, vor allem was ihre Unabhängigkeit betraf. Diese Konflikte führten in den sechziger
Jahren zum Beginn der Kolonialkriege, die bis zum Ende des Estado Novo andauern sollten.
Salazar konnte sich bis 1968, als er einen Schlaganfall erlitt, im Amt des Ministerpräsidenten
halten. Danach kam Marcelo Caetano an die Macht. Caetano startete zwar einen Versuch den
an allen Ecken und Enden krankenden Estado Novo zu retten, es war jedoch zu spät. Am 25.
April 1974 kam es zu einem Putsch, der Nelkenrevolution, die dem Estado Novo ein Ende
setzte und Portugal zu einem demokratischen System führte.
4.2.
Frauen im Estado Novo
Die Rolle der Frau war im Portugal des 19. Jahrhunderts wie in vielen anderen europäischen
Staaten auf die Familie, den Haushalt, die Kinder und die Pflege kranker Bekannten oder
Verwandten beschränkt. Mit dem Ende der Monarchie und der Ausrufung der República
Democrática Portuguesa im Jahr 1910 erhoffte man sich auch eine Reform der Frauenrechte.
53
Schäfer, Jürgen: „Ihr seid gekommen, um hier zu sterben“. Nahezu unbekannt: Das portugiesische
Konzentrationslager Tarrafal von 1936 bis 1954 auf den Kapverden. In: Die Tageszeitung Junge Welt,
19.10.2005, S. 15. Auf: https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/2005/10-19/012.php?sstr=Tarrafal
[Letzter Zugriff am 22.3.2012]
54
Vgl. Bernecker, Pietschmann: Geschichte Portugals, S. 116.
16
In dieser politisch instabilen Zeit, die bis 1926 andauerte, wurden einige Gesetze
verabschiedet, welche die Situation der Frauen ein wenig verbesserten.
Das Leben der Frau war während der Zeit des Estado Novo relativ lange durch einen in den
Grundzügen gleichbleibenden Gesetzestext geregelt. 1867 trat der Código de Seabra in Kraft,
der nur wenige Änderungen erfuhr und erst hundert Jahre später durch ein neues
Zivilgesetzbuch abgelöst wurde. Dieser besagte, dass verheiratete Frauen bei ihrem Ehemann
wohnen und ihn überall hin begleiten mussten, dass der Ehemann alleinige Entscheidungsund Verfügungsgewalt über die Güter und das Geld seiner Frau und Kinder hatte. Die Frau
musste ihrem Mann Gehorsam leisten und durfte ohne seine Erlaubnis weder arbeiten, noch
irgendwelche Geschäfte führen oder selbst Geschriebenes veröffentlichen. 55 Die Frauen
erlebten durch diese Gesetze jedoch bereits eine Verbesserung zu ihrer vorherigen Situation:
so erhielten verwitwete Frauen beispielsweise endlich das Sorgerecht für Kinder, die zuvor
nach dem Tod des Vaters bereits als Waisen gegolten hatten. 56 Wirklich gleichberechtigt
waren sie dadurch aber noch lange nicht.
Auch die erste Republik brachte einige Neuerungen, unter anderem ein neues
Scheidungsgesetz im Jahr 1910 das Mann und Frau relativ gleichgestellt behandelte. Doch
mit dem Beginn der Diktatur verschlechtere sich die Situation der Frauen wieder, denn viele
der Zugeständnisse wurden durch den neuen Código de Processo Civil von 1939 wieder
zurückgenommen. 57 In den vollen Besitz ihrer Bürgerrechte kamen Frauen erst nach dem
Ende des Estado Novo 1974.
Die 1910 eingeführte Zivilehe wurde in den vierziger Jahren wieder abgeschafft, danach
konnte nur noch katholisch geheiratet werden. Doch war eine Scheidung der kirchlich
geschlossenen Ehe nicht möglich. Da man sich nicht mehr trennen oder scheiden lassen
konnte, lebten viele ihre Liebesbeziehungen oder Lebensgemeinschaften illegal aus 58, was zu
einem extremen Anstieg bei den unehelich geborenen Kindern führte. Erst ab 1945 ist
langsam wieder ein Rückgang zu erkennen. 59
55
Vgl. Pimentel, Irene Flunser: História das Organizações Femininas do Estado Novo. Lissabon: Temas e
Debates 2001, S. 33.
56
Vgl. Sadlier, Darlene J.: The Question of How. Women Writers and new portuguese Literature. Contributions
in Women’s Studies, n°109. New York, Westport, London: Greenwood Press 1989, S. 113-114.
57
Vgl. Pimentel: História das Organizações Femininas do Estado Novo, S. 34.
58
Vgl. Sadlier: The Question of How. Women Writers and new portuguese Literature, S. 122.
59
Vgl. Pimentel: História das Organizações Femininas do Estado Novo, S. 59-60.
17
Auch was das Frauenwahlrecht anbelangte, blieb Portugal hinter allen anderen europäischen
Staaten zurück. 1911 nützte Dr. Carolina Beatriz Ângelo den unklar formulierten Gesetzestext
bezüglich des Wahlrechts aus um sich für die Wahl registrieren zu lassen. Dieser besagte,
dass man nur wählen durfte, wenn folgendes zutraf: der Wähler musste das
Familienoberhaupt sein, das Alter von einundzwanzig Jahren erreicht haben, sowie die
Sekundarstufe einer Schule oder eine höhere Ausbildung abgeschlossen haben. Im Fall von
Carolina Beatriz Ângelo, die das Alter von einundzwanzig Jahren erreicht hatte, verwitwet
war – was sie zum Familienoberhaupt machte – und zudem noch studiert hatte, trafen alle
Punkte zu. Sie wurde somit die erste Portugiesin die zu einer Wahl zugelassen wurde. Kurze
Zeit später wurde dem Gesetz jedoch hinzugefügt, dass nur ein männlicher Familienvorstand
wählen durfte. 60 Ab 1931 wurden Frauen wieder zur Wahl zugelassen, wenn sie als Witwe
das Familienoberhaupt waren oder sich der Ehepartner zur Zeit der Wahl im Ausland oder in
den Kolonien aufhielt. Trotzdem blieb auch ein weiterer Punkt zu erfüllen, der, angesichts des
niedrigen Bildungsniveaus und des hohen Analphabetismus, den Großteil der Frauen von
einer
Wahl
ausschloss,
nämlich
der
Abschluss
der
Sekundarstufe
oder
eines
Universitätskurses. 61 Bis zum Ende der Diktatur wurde ein allgemeines Frauenwahlrecht
verhindert.
Wie in den meisten Diktaturen wurde die Rolle der Frau über ihre Funktion der Ehefrau,
Hausfrau und Mutter definiert. Nach der im Gegensatz dazu etwas liberaleren Zeit der
Demokratie Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Frau während des Estado Novo wieder in
den Haushalt zurückgeschickt. Salazar betonte diesbezüglich:
[...] que era necessário distinguir entre a mulher solteira, que vivia sem família ou com família a seu
cargo, à qual devia ser pragmaticamente facilitado o emprego, e a mulher casada, cuja missão na
família era tão importante como a do homem [...] 62
Wie man auch unter Hitler sehen konnte, war die ideologische und ideale Rolle der Frau die
der Hausfrau und Mutter. In der Realität sah dieses Bild dann oft ganz anders aus, da die
Frauen beispielsweise in Deutschland in den Rüstungsbetrieben gebraucht wurden. Vor allem
die Zahl der in Fabriken arbeitenden Portugiesinnen stieg über die Jahre rapide an. Aufgrund
60
Vgl. Sadlier: The Question of How. Women Writers and new portuguese Literature, S. 117-118.
Vgl. Guimarães, Elina: Mulheres Portuguesas ontem e hoje. Cadernos condição feminina n.° 24. Lissabon:
Comissão da Condição Feminina 31989, S. 25.
62
Pimentel: História das Organizações Femininas do Estado Novo, S. 27.
61
18
der allgemeinen, hohen Arbeitslosigkeit wurden nach und nach jedoch Restriktionen für die
von Frauen auszuübenden Berufe eingeführt. So durften Frauen dem Gesetz nach ohne
Erlaubnis des Ehemannes beispielsweise nichts veröffentlichen. Der Beruf der Schriftstellerin
war während des Estado Novo jedoch nicht der einzige, der Frauen schwer zugänglich
gemacht wurde. Tätigkeiten die mit jeglicher Art von toxischen oder chemischen Substanzen
zu tun hatten – in der Chemiebranche ebenso wie in Färbereien, Gerbereien, etc. – wurden als
erstes verboten, da man die Gesundheit der Frauen in Hinblick auf eine spätere Mutterschaft
nicht gefährden wollte. Ab 1934 durften Frauen beispielsweise nur zwischen 7 und 20 Uhr in
Fabriken arbeiten, zwischen 9 und 18 Uhr war die Arbeit in Büros gestattet. Auch die Arbeit
in anderen Branchen, etwa in Hutfabriken, wurde für Frauen verboten. 63 Frauen war also nur
ein stark eingeschränktes Berufsleben gestattet. Bis das neue Zivilgesetzbuch 1967 in Kraft
trat, musste bei verheirateten Frauen der Ehemann ohnehin seine Zustimmung zu einer
Berufstätigkeit geben. Unverheiratete Frauen einiger Berufsgruppen, unter anderem
Krankenschwestern und Volksschullehrerinnen, mussten ihrerseits beim Staat um eine
Erlaubnis ansuchen wenn sie heiraten wollten. 64
Aber auch das private und soziale Leben war von strengen Richtlinien des patriarchalen
Systems durchzogen. Ilse Losa berichtete immer wieder eindringlich vom Kulturschock, den
sie in Portugal erlebte. Als einundzwanzigjähre, junge Frau hatte sie während ihres letzten
Jahres in Deutschland in Berlin gelebt, wo man ausgehen oder tanzen gehen konnte, sich mit
Freunden im Kino oder Kaffeehaus traf. Nun war sie in die Beengtheit Portugals gekommen
wo das alles nicht erlaubt war. 65 Losa beschreibt das Leben als Frau in Portugal in einem
Interview mit Rolf Eigenwald wie folgt:
Eine sogenannte menina educada ging nicht in ein Café. Cafés waren für Männer, Frauen besuchten
höchstens eine Confeitaria, eine Konditorei, besonders in kleineren Städten. Mädchen »aus gutem
Haus« trugen auf der Straße eine Hut und gingen niemals ohne Strümpfe. Die Frauen aus dem Volk
dagegen trugen ein Tuch oder einen Schal auf dem Kopf oder um die Schultern und konnten, wenn sie
wollten, ohne Strümpfe und sogar barfuß gehen. 66
63
Vgl. Pimentel: História das Organizações Femininas do Estado Novo, S. 39-44.
Vgl. Guimarães: Mulheres Portuguesas ontem e hoje, S. 27.
65
Vgl. Pollack, Ilse: Ilse Losa oder Emigration nach Portugal. Materialien für ein Porträt. In: Mit der
Ziehharmonika 10, 1993. H.2., S. 24.
66
Eigenwald: Gespräch mit der Schriftstellerin Ilse Losa, S. 824-825. Auf: http://library.fes.de/cgibin/ng_mktiff.pl?year=1997&pdfs=1997_0824x1997_0825x1997_0826x1997_0827x1997_0828
[Letzter
Zugriff am 18.10.2012]
64
19
Frauen, die sich in Kaffeehäusern oder abends noch auf der Straße aufhielten, hatten schnell
den Ruf ein leichtes Mädchen zu sein. 67 Traf man sich alleine mit einem Mann galt dasselbe,
denn junge Männer und Frauen durften nur in Begleitung einer älteren Verwandten, die als
Anstandsdame fungierte, gemeinsam spazieren gehen. Und die wenigen Frauen, die sich
gegen dieses unausgesprochene Verbot widersetzten, hatten danach wenigstens einen
zweifelhaften Ruf. Losa schildert außerdem eine Szene, in der sie das Haus ohne Strümpfe
verließ. Auf der Straße wurde ihr sofort von einem Passanten angeboten, ihr Strümpfe zu
kaufen. Es war nämlich bei portugiesischen Frauen selbst im Sommer verpönt und galt als
unschicklich, das Haus mit nackten Beinen zu verlassen, was Ilse Losa im Sommer und in
Sandalen aber oft tat. 68
Erst mit den Flüchtlingswellen, die durch den Zweiten Weltkrieg bedingt waren, lockerten
sich die Traditionen etwas: junge Frauen ahmten den Kleidungs- und Frisurenstil der
Refugiées nach, rauchten, diskutierten auch mit Männern und wagten sich sogar alleine in
Konditoreien oder ins Kino. 69
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Frauen während des Estado Novo sowohl
rechtlich als auch politisch und sozial in eine Randposition gedrängt wurden, die sich erst
nach
der
Nelkenrevolution
1974
auflockerte.
Dabei
machten
auch
etablierte
Schriftstellerinnen wie Losa keine Ausnahme, die trotz allem vom Ehemann eine
Veröffentlichungserlaubnis brauchten und zudem noch den strengen Vorgaben der politischen
und moralischen Zensur gerecht werden mussten. Es ist durchaus vorstellbar, dass diese
soziale Randposition und das „Zurückgedrängt-Sein“ Auswirkungen auf die Inszenierung von
Frauen in Sob Céus Estranhos haben und möglicherweise eine gewisse Sprachlosigkeit bei
den Charakteren hervorruft.
67
Vgl. Pollack: Ilse Losa oder Emigration nach Portugal, S. 24.
Vgl. Engelmayer: „Denn Sprache ist ja Heimat“, S. 64.
69
Vgl. Losa, Ilse: Sob Céus Estranhos. Porto: Edições Afrontamento 42000, S.62.
68
20
5. Theoretische Ansätze
In diesem Kapitel soll die theoretische Grundlage für die spätere Analyse gelegt werden.
Die Tatsache, dass Losa als weibliche Autorin mit Sob Céus Estranhos einen offenbar
„männlichen“ Roman (der Protagonist und viele Hauptfiguren sind männlich) verfasst hat,
kann natürlich sofort in Richtung feministischer Literaturtheorie führen.
Da in der Analyse hauptsächlich auf „Frauenstimmen“ eingegangen werden soll und darauf
wie und durch wen Frauen zu Wort kommen, ist auch ein Exkurs in die Erzähltheorie
notwendig. Daher werden in einem ersten Unterkapitel unterschiedliche Konzepte der
feministischen Literaturtheorie und des Begriffs „weibliches Schreiben“ aufgezeigt, ein
zweiter Punkt beschäftigt sich mit dem Begriff der Fokalisierung aus der Erzähltheorie. Dabei
soll ein Überblick über bestehende Theorien gegeben und auch festgestellt werden, welche
Theorien für den Roman Sob Céus Estranhos anwendbar sind.
5.1.
Feministische
Literaturtheorie
und
weibliches
Schreiben – Ein Überblick
Dem Begriff feministische Literaturtheorie liegt […] ein breites und heterogenes Spektrum an
Forschungsansätzen zugrunde, deren gemeinsamer Fokus die Kritik an einer androzentrischen
Perspektive auf die Literatur ist. 70
Die Anfänge der feministischen Literaturtheorie sind, laut Babka, in der Politik verankert.
Bereits Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts hatte es frauenrechtliche Bewegungen
gegeben, den so genannten First Wave Feminism. Als Übergang dieser Bewegung zum
späteren Second Wave Feminism Ende der sechziger Jahre, kann Simone de Beauvoirs Studie
Le Deuxième Sexe
gesehen werden kann. 71 „Beauvoir entwickelte Grundbegriffe zur
Bestimmung der Geschlechterdifferenz, mit denen die feministische Theorie bis heute
operiert.“ 72 Der Second Wave Feminism fußt vor allem auf zwei politische Bewegungen: zum
einen auf den amerikanischen Bewegungen, die Women’s Rights Movement und Women’s
70
Babka, Anna: Feministische Literaturtheorien, in: Sexl, Martin (Hg.): Einführung in die Literaturtheorie.
Wien: WUV 2004, S. 193.
71
Vgl. Babka: Feministische Literaturtheorien, S. 190.
72
Lindhoff, Lena: Einführung in die feministische Literaturtheorie. Stuttgart, Weimar: Verlag J.B. Metzler
2
2003, S. 1.
21
Liberation Movement genannt wurden; zum anderen auch auf einer englischen Bewegung, die
gegen Patriarchat und Sexismus gerichtet war. Aus diesen Bewegungen entstand schließlich
die sogenannte Second Wave of Feminist Literary Criticism. Zentren für die feministische
Literaturtheorie bildeten sich dabei vor allem in Amerika und Frankreich heraus. Es
entwickelten sich bald länderspezifische Strömungen und Schwerpunkte, die Tori Moi
beispielsweise mit den Begriffen theory (der „theorielastige“ Feminismus in Frankreich) und
criticism (Feminist Critique in den USA) unterscheidet. 73
Die Einteilung oder Kategorisierung dieser vielen Ansätze und Strömungen ist durchaus
kompliziert, da es keine einheitliche feministische Theorie gibt. An dieser Stelle soll daher
nur der Versuch stehen, einen Überblick zu geben, sowie relevante Ansätze und Gedanken für
diese Arbeit herauszufiltern.
Die Theoretikerinnen des französischen Feminismus beschäftigen sich vor allem mit dem
ecriture féminine (Hélène Cixous) oder parler femme (Luce Irigaray), dem weiblichen
Schreiben und erfuhren in der feministischen Kritik weltweit große Rezeption. 74 Frauen
sollten ihrer Meinung nach nicht einfach mehr nur in „männlichen Begriffen“ denken und
schreiben, sondern eigene Vorstellungen von Weiblichkeit entwickeln. 75
Der französische Differenzfeminisus [formierte sich] in kritischer Anlehnung an die dekonstruktive
[…] und psychoanalytische […] Theoriebildung der 1960er Jahrer als Theorie der sexuellen Differenz,
die davon ausging, dass jegliche Form von Identität […] durch Sprache, durch Diskurse vermittelt und
produziert wird. 76
Werke von Jacques Derrida und Jacques Lacan, aber auch Sigmund Freud bildeten für diese
Auffassung den Ausgangspunkt. 77
Was in der Theorie leicht anwendbar scheinen mag, zeigt Schwierigkeiten sobald man sich
der Frage nähert was spezifisch weibliches Schreiben sei. 78 Gerade die Frage nach einer
73
Vgl. Babka: Feministische Literaturtheorien, S. 193.
Vgl. Haslinger: Frauenstimmen von der Grenze, S. 10.
75
Vgl. Kroll, Renate: Was können Gender Studies heute leisten? Zu Versionen der Subversionen und
(weiblicher) Subjektkonstituierung. In: Kroll, Renate und Margarete Zimmermann (Hg.): Gender Studies in den
romanischen Literaturen: Revisionen, Subversionen. Bd.1. Frankfurt am Main: dipa-Verlag 1999 , S. 16-17.
76
Babka: Feministische Literaturtheorien, S. 198.
77
Vgl. Babka: Feministische Literaturtheorien, S. 198.
78
Vgl. Haslinger, Elisabeth: Frauenstimmen von der Grenze – Bilder von Weiblichkeit bei mexikanischen und
Chicana-Autorinnen. Diplomarbeit. Universität Wien 2012, S. 7.
74
22
eigenen „weibliche Ästhetik“ oder einem speziellen „weiblichen Schreiben“ konnte trotz
zahlreicher Ansätze bis heute nicht nachgewiesen werden. 79
Der in den USA etablierte Differenzfeminismus beschäftigte sich im Gegensatz dazu vor
allem mit einer erneuten Lektüre des vorgeschlagenen Kanons in Hinblick auf
Weiblichkeitsbilder. Über diesen literaturwissenschaftlichen Fokus konnten sich in den
sechziger Jahren die sogenannten Women’s Studies, die „dezidiert politisch und
emanzipatorisch“ 80 ausgerichtet waren, entwickeln. 81 Doch mit den Women’s Studies ergibt
sich plötzlich ein neues Problem: man beharrte einerseits auf eine Gleichberechtigung von
Frau und Mann, andererseits auf der Existenz einer eigenen Frauenkultur. Daraus
entwickelten sich Mitte der siebziger Jahre die Gender Studies, als „Wortführerin […] gilt
heute
Judith
Butler“ 82,
Dekonstruktivismus.
Vertreterin
Laut
Kroll
des
sind
Postfeminismus
und
„Frauenforschung
des
feministischen
und
feministische
Literaturwissenschaft […] von den Gender Studies nicht mehr kategorial zu trennen.“ 83
Wie bereits Simone de Beauvoir anmerkte wird man nicht als Frau geboren, sondern dazu
gemacht – durch die Gesellschaft, durch Handlungen und Aussagen. Judith Butler bezieht
sich auf Beauvoirs These und unterscheidet hierfür die Begriffe sex, das biologische
Geschlecht,
und
gender,
als
„kulturell
konstruierte[…],
variable[…]
Geschlechtszuschreibung[…]“ 84. Für Butler heißt „Frau werden“, den Körper einer
historischen Idee des Begriffes Frau anzupassen. 85 Egal welches biologische Geschlecht ein
Individuum hat, es muss nicht mit seinem gender übereinstimmen. Im Gegensatz zu
Beauvoirs These geht Butler jedoch davon aus, dass nicht nur der Begriff gender ein
diskursives Konstrukt ist, sondern auch der Begriff sex. Denn auch das biologische
Geschlecht wäre schließlich von der Gesellschaft/Kultur konstruiert. 86 Im Zusammenhang
damit führt sie auch den Begriff des Performativen ein. Das heißt, dass die Begriffe gender
79
Vgl. Scherrer, Doris Schafer: Schreiben Frauen anders? Klischees auf dem Prüfstand. Freiburg:
Universitätsverlag Freiburg Schweiz 1998, S. 9-12.
80
Babka: Feministische Literaturtheorien, S. 195.
81
Vgl. Babka: Feministische Literaturtheorien, S. 195.
82
Kroll: Was können Gender Studies heute leisten?, S. 14.
83
Kroll: Was können Gender Studies heute leisten?, S. 13.
84
Vgl. Babka: Feministische Literaturtheorien, S. 215.
85
Vgl. Butler, Judith: Performative Akte und Geschlechterkonstitution. Phänomenologie und feministische
Theorie. In: Wirth, Uwe (Hg.): Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt
am Main: Suhrkamp, 2002, S. 305.
86
Vgl. Butler, Judith: Gender Trouble. Feminism and the subversion of identity. New York, London: Routledge
1990, S. 6-8.
23
und sex bereits durch performative Akte – beispielsweise die Aussage „Es ist ein Junge/Es ist
ein Mädchen!“ – konstruiert werden. 87
Beeinflusst wurde Butler bei ihren Arbeiten dabei unter anderem von den Theorien von
Michel Foucault, Jacques Lacan, Julia Kristeva, Monique Wittig und Jacques Derrida. 88
Wie man bereits in den beiden Kapiteln zum biografischen und historischen Hintergrund
lesen konnte, nahm die portugiesische Frau in Zeiten der Diktatur eine eher marginale
Stellung ein. Deshalb sind vor allem Judith Butlers Gender Trouble und Simone de Beauvoirs
Le Deuxième Sexe für diese Arbeit von Relevanz, da sie sich mit der Begrifflichkeit des
Weiblichen auseinandersetzen und es auf einen kulturellen Kontext beziehen. Babka meint
diesbezüglich:
Obwohl Butler nicht dezidiert literaturwissenschaftlich arbeitet, werden ihre Thesen zu
soziokulturellen und sprachlichen Konstruktionsprozessen des Geschlechts innerhalb der
Literaturwissenschaft rezipiert. 89
Im Hinblick auf die später folgende Romananalyse werden genau diese Thesen von Interesse
sein. Denn die Geschichte wird hauptsächlich von José, einem männlichen Erzähler, erinnert
und viele männliche Nebenfiguren kommen in direkter oder erzählter Rede zu Wort. Durch
diese vorrangig männlichen „Erzähler“ stellt sich die Frage wie mit Weiblichkeit und den
weiblichen Figuren umgegangen wird.
Ausgehend von Beauvoirs Aussage, dass Frauen zu dem gemacht würden was sie sind, und
Butlers Meinung, dass sowohl sex als auch gender konstruierte von außen projizierte Begriffe
sind, wird ein wichtiger Punkt der Analyse sich damit beschäftigen wie die vorkommenden
Frauenstimmen in diesem männlich wirkenden Umfeld inszeniert werden. Dabei stellt sich
die Frage, ob die Frauen im Roman die Möglichkeit haben sich selbst zu definieren und über
sich selbst zu sprechen oder ob sie von der Gesellschaft – den Männern – in ihre Rollen
gepresst werden und der Leser nur über diese männliche Perspektive etwas über die
Frauenstimmen und ihre Welt erfährt.
87
Vgl. Butler: Gender Trouble, S. 134-141.
Vgl. Babka: Feministische Literaturtheorien, S. 214.
89
Babka: Feministische Literaturtheorien, S. 217.
88
24
5.2.
Erzähltheorie – Die Fokalisierung nach Gérard Genette
Der Begriff Fokalisierung wurde von Gérard Genette eingeführt um die Begriffe Perspektive
und point of view noch präziser bestimmen zu können.
Genette geht es darum bestimmen zu können „Wer sieht?“, wobei sich „Aspekte der visuellen
Darstellung […] mit der Frage nach dem Zugang zum Bewusstsein von Figuren“ 90
vermischen. Die Fokalisierung ist allerdings nicht von der im Text verwendeten
Erzählperspektive abhängig. Genettes Fokalisierungsmodell wurde später weiterentwickelt,
beispielsweise von Mieke Bal bei der zusätzlich zwischen Fokalisierungsinstanz und
Fokalisierungsobjekt unterschieden wird. 91
Genette unterscheidet drei Fälle der Fokalisierung: die Nullfokalisierung / unfokalisierte
Erzählung, die interne Fokalisierung oder die externe Fokalisierung. 92
Die Nullfokalisierung tritt dann auf, wenn die Erzählfigur eines Textes „allwissend“ ist, also
die Gedanken und Emotionen einer jeden Figur im Roman kennt. Kritisiert kann hierbei
allerdings werden, dass ein Erzähler nie vollkommen objektiv ist, sprich immer auch etwas
von anderen zu berichten weiß, und immer über einen gewissen Wissenshorizont verfügt.
Die interne Fokalisierung ist an den Blickwinkel einer einzigen Figur geknüpft. Sie erzählt,
das was sie weiß, Gedanken anderer Figuren werden nicht wiedergegeben. Da die
Fokalisierung jedoch nicht mit den herkömmlichen Erzählperspektiven zusammenhängt, kann
dieser Text auch in der ersten Person erzählt sein, muss aber nicht. „Restlos verwirklicht wird
die interne Fokalisierung nur im „inneren Monolog […]“ 93. Innerhalb der internen
Fokalisierung unterscheidet Genette zudem zwischen drei weiteren Typen:
•
Der festen Fokalisierung, die beschreibt, dass eine einzige Erzählperspektive
beibehalten und niemals verlassen wird.
•
Der variablen Fokalisierung, bei der die Erzählfigur durchaus wechseln kann, sprich
die Person, durch die fokalisiert wird, geändert werden kann.
90
Fludernik, Monika: Erzähltheorie. Eine Einführung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 32010, S.
172.
91
Vgl. Fludernik: Erzähltheorie. Eine Einführung, S. 172.
92
Vgl. Genette, Gérard: Die Erzählung. Paderborn: Wilhelm Fink 32010, S. 121.
93
Genette: Die Erzählung, S. 123.
25
•
Der multiplen Fokalisierung, bei der ein einziges Ereignis / eine einzige Begebenheit
aus der Sicht verschiedener Figuren erzählt wird.
Die externe Fokalisierung bezeichnet im Gegensatz zur internen Fokalisierung, dass nicht
einmal Einblicke in das Innenleben einer einzelnen Figur gewährt werden, sondern rein die
Handlung
wiedergegeben
wird,
ohne
jegliche
Gefühlsregungen,
Gedanken,
etc.
einzubeziehen.
Es muss an dieser Stelle jedoch auch erwähnt werden, dass Genette nicht davon ausging, dass
in einem literarischen Werk immer eindeutig ist, welche der drei Typen angewandt wird.
Manchmal erstreckt sich eine Fokalisierung auch nicht über ein ganzes Werk, sondern nur
über ein „narratives Segment“ 94. 95
In Bezug auf den Roman Sob Céus Estranhos lässt sich diesbezüglich feststellen, dass eine
interne, variable Fokalisierung vorliegt. Die Kapitel 1 und 30 sowie das Nachwort sind in
einer personalen Erzählperspektive verfasst. Die dadurch entstehende Objektivierung ist
gleichzusetzen mit einer Dramatisierung und baut im Fall von Sob Céus Estranhos die
Spannung für die eigentliche Geschichte auf. 96 Die Kapitel 2 bis 29 sind jedoch einem
Perspektivenwechsel unterzogen, hier wird monologisch aus der ersten Person erzählt. Eine
interne, variable Fokalisierung liegt meines Erachtens aus folgenden Gründen vor:
Zu Beginn der Geschichte erzählt ein personaler Erzähler, aber nicht José selbst. Die
Geschichte von José, führt den Erzähler durch Lissabon und lässt ihn über Josés Erlebnisse
berichten, aber auch über seine Gefühle. Der Erzähler sieht die Welt aus Josés Augen und
kann die Gedanken anderer nicht lesen. Der Leser erfährt hier in Grundzügen alles, was José
später selbst erzählen wird, denn mit dem 2. Kapitel wird José zum Focalizer. Nun berichtet
er aus seiner Sicht, wendet sich aber nie direkt an den Leser, sondern erzählt monologisch und
in der Ich-Form, von den Geschehnissen der letzten Jahre. Dadurch erscheinen die Kapitel 2
bis 29 wie eine Art Selbstreflexion oder Erinnerung, eine Art Tagebuch, an dem der Leser
Teil hat. Durch Josés Fokus erfährt man etwas über andere. Diese Informationen, die
Gedanken, Meinungen und Wünsche anderer Charaktere ausdrücken, hat José von den
Personen selbst in Gesprächen oder in einem Brief erfahren. Er kann nicht in sie hineinsehen.
Bezüglich des Ich-Erzählers lässt sich noch festhalten, dass sie
94
Genette: Die Erzählung, S. 122.
Vgl. Genette: Die Erzählung, S. 121-124.
96
Vgl. Stanzel, Franz K.: Typische Formen des Romans. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 31967, S. 39-55.
95
26
[…] prinzipiell suspekt [sind], da sie für ihren Erzählakt Gründe haben, die mit der wahrheitsgemäßen
Darstellung der Ereignisse in Konflikt geraten können, z.B. weil sie sich rechtfertigen wollen. […]
Manche Ich-Erzähler sind nicht nur subjektiv, naiv oder emotionsgeladen, sie können auch als
unzuverlässig interpretiert werden – ihre Darstellung ist offensichtlich befangen, exzessiv, ideologisch
oder moralisch verzerrt oder verblendet. 97
Die erzählten Reden und die Briefe, die José wiedergibt, müssen deshalb mit Vorsicht
betrachtet werden. Denn die Person, die all das wiedergibt, ist immer noch José. Man weiß
nie so genau, inwiefern die getroffenen Aussagen anderer Leute durch José beeinflusst und
wie wahrheitsgetreu sie wiedergegeben werden.
97
Fludernik: Erzähltheorie. Eine Einführung, S. 174.
27
6. Literarische Inszenierung von Frauen in Sob Céus
Estranhos
Como era costume em cafés assim, não se viam elementos femininos, à excepção de duas dessas
mulheres de quem Dostoiewski dizia que se sacrificavam para que as boas meninas burguesas
pudessem entrar intactas no casamento. 98
Wie an diesem Ausspruch Josés in Sob Céus Estranhos zu sehen ist und wie man bereits im
Kapitel zum historischen Hintergrund lesen konnte, waren Frauen im Estado Novo an den
Rand der Gesellschaft gedrängt und in vielen Situationen des alltäglichen Lebens unsichtbar.
Laut Magalhães waren die Frauen, ihre Sprache und Texte „[…] deixados mudos pela cultura
(masculina) dominante“ 99. Auch Losa hatte mit der patriarchalen Gesellschaft und ihren
Normen Probleme, was sich mit Sicherheit auch in ihren Geschichten niederschlägt.
Die Geschichten in Losas ersten zwei Romanen, O Mundo em que Vivi und Rio Sem Ponte,
waren jeweils im Deutschland der Zwischenkriegszeit angesiedelt und wurden von einer
weiblichen Hauptfigur erzählt. Auch viele Erzählungen Losas beschäftigen sich mit
Frauenschicksalen. In dieser Hinsicht ist Sob Céus Estranhos anders. Die Rahmenhandlung
wird von einem personalen Erzähler wiedergegeben, den Rest der Geschichte lässt der
männliche Protagonist José Berger Revue passieren. Er kann deshalb als zweiter Erzähler und
Focalizer betrachtet werden. Durch ihn erfährt der Leser also eine „männliche“ Sicht der
Dinge und Situationen in einer patriarchalen Umgebung.
Kommen Frauen also überhaupt zu Wort? Drücken sie sich selbst aus oder spricht jemand
anderer für sie? Oder bleiben sie in so einem männlichen Umfeld komplett stumm? Da die
Portugiesinnen in die Lebensumstände Portugals hineingewachsen und durch das patriarchale
System des Estado Novo geprägt waren, stellt sich außerdem die Frage, ob sich ein
Unterschied zwischen der Inszenierung von Portugiesinnen und Nicht-Portugiesinnen
erkennen lässt.
98
99
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 29.
Magalhães, Isabel Allegro de: O Sexo dos Textos e Outras Leituras. Lisboa: Editorial Caminho 1995, S.10-11.
28
6.1.
Portugiesinnen
José ist in seiner Anfangszeit in Portugal von sehr vielen Emigrantinnen umgeben und
erinnert sich zudem an Bekanntschaften, Freunde, Verwandte, von daheim. Doch langsam
wird er in die portugiesische Gesellschaft integriert und beginnt, vor allem nach Ende des
Zweiten Weltkrieges, sich zunehmend mit Portugiesen zu umgeben. Dieses Unterkapitel geht
daher auf die portugiesischen Frauenfiguren des Romans ein und analysiert ihre
Inszenierungsart.
6.1.1.
Senhor Ribeiro Pintos Ehefrau Helena
Senhor Aurélio Ribeiro Pinto ist ein ältlicher Kolonialwarenhändler, dem José im Roman drei
Mal begegnet. José trifft zum ersten Mal auf ihn, als er sich im Nachtzug von Lissabon nach
Porto ein Abteil mit Senhor Ribeiro Pinto und seinem späteren Freund Gil Roseira teilt. Man
lernt Senhor Pinto hier als jemanden kennen, der nach dem Motto „Poupar em tudo menos a
comida.“ 100 lebt und auch so aussieht. Bei dieser ersten Zugfahrt erfährt der Leser noch nichts
von Pintos Ehefrau. Erst nachdem sich die drei voneinander verabschiedet haben und Gil mit
José alleine ist, meint dieser Senhor Ribeiro Pinto habe: „por certo […] uma mulher com
cheiro a lixívia.“ 101 Gil schließt vom typisch bürgerlich-portugiesischen Auftreten Senhor
Pintos darauf, dass dessen Frau bestimmt nach Seifenlauge riechen müsse, was indirekt als
Anspielung auf das Hausfrauendasein gesehen werden kann.
José begegnet Senhor Ribeiro Pinto wieder, als dieser Deutschstunden nehmen möchte und
durch eine Zeitungsannonce zufällig bei ihm landet. Senhor Ribeiro Pinto kommt zwei Mal
die Woche zum Deutschunterricht und jedes Mal, wenn er die extravaganten, wie
Paradiesvögel anmutende Hüte von Maria Paula sieht, spottet er darüber und versichert José,
dass seine Frau nie im Leben so einen Hut aufsetzen würde – nicht einmal wenn sie ihn
geschenkt bekäme. 102 Er bezieht sich damit darauf, dass seine Frau viel zu bodenständig,
bescheiden und anständig wäre, um jemals solche auffälligen, ausgefallenen Hüte zu tragen.
100
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 29.
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 29.
102
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 70.
101
29
Die dritte Begegnung zwischen José und Senhor Ribeiro Pinto findet im ersten Kapitel, in der
Rahmenhandlung, statt. José hat gerade das Krankenhaus verlassen in dem Teresa in den
Wehen liegt und spaziert nun durch die Stadt. Er lässt sich in einem Kaffeehaus nieder und
trifft dort zum ersten Mal nach Jahren auf den deutlich gealterten Ribeiro Pinto. José fragt
Ribeiro Pinto höflichkeitshalber nach dessen Frau und erfährt von ihm, dass die Arme bereits
vor zwei Jahren gestorben sei. 103 Dann erzählt Ribeiro Pinto zum ersten Mal länger über seine
Frau:
Era uma boa mulher, pode crer. Uma jóia. Trazia-me sempre num mimo. Nunca me lembro de me ter
faltado um botão que fosse. E olhe que era competente no governo da casa, sabia impor-se com o
pessoal. Só queria que visse. Não havia criada que a intrujasse, ou tinha de haver-se com ela. 104
Senhor Ribeiro Pinto äußert sich hier zum ersten Mal darüber, dass seine Frau ein Juwel
gewesen wäre. Er bezieht sich dabei auf Eigenschaften, die in der damaligen portugiesischen
Gesellschaft als erstrebenswert galten, nicht auf persönliche, individuelle Wünsche oder
Charakterzüge: Sie verhätschelt ihren Mann und kümmert sich um ihn, sie war eine gute
Hausfrau, konnte sich gegenüber dem Dienstpersonal gut durchsetzen, keine Angestellte hätte
auch nur gewagt sich mit ihr anzulegen. Eine weitere Beschreibung von Ribeiro Pintos
Ehefrau taucht auf, als sich dieser mit José über den früheren Deutschunterricht unterhält:
Lembro-me como se fosse hoje. Estávamos, eu e a minha mulher, sentados na cama a tomar o
pequeno almoço. Helena, disse eu, e se eu aprendesse alemão, que te parece? Estás doido, homem,
disse ela, mas por que carga de água alemão, Aurélio? A loja não te dá consumições que cheguem?
Mas, Helena, expliquei-lhe — que a gente tem de ter paciência com as mulheres — mas, Helena, é
justamente por causa da loja que quero aprender alemão. Supõe tu que entram fregueses alemães e eu
lhes falo na língua deles. Não achas que ficavam bem impressionados? Mas quando entram fregueses
alemães na tua loja, Aurélio? Foi o que ela disse. Helena, tu não fazes ideia de coisa nenhuma. Então
não sabes que de dia para dia estão a chegar mais alemães? Fogem aos milhares da terra deles. Já se
vê, ela não sabia nada de política e coisas assim. Nem lia os cabeçalhos dos jornais, só os anúncios do
cinema e os das criadas. São assim as mulheres, que se lhes há-de fazer? O José já tem experiência do
assunto, não é verdade? 105
An dieser Stelle erfährt der Leser, dass Senhor Ribeiro Pintos Ehefrau Helena heißt und dass
er die Überlegung Deutschstunden zu nehmen zumindest mit ihr besprochen hat. Es wirkt
nicht so als hätte er sich wirklich für ihre Meinung interessiert. Nachdem der Leser in den
vorherigen Zitaten bereits erfahren hat, dass Helena offenbar das war was man die perfekte
103
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 11.
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 12.
105
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 13.
104
30
Hausfrau nennt, wird das von Ribeiro Pinto verwendete sehr stereotype Bild der
portugiesischen Frau hier weiter konkretisiert. Er stellt beispielsweise fest, dass man Geduld
mit den Frauen haben müsse, weil sie offenbar nicht immer alles gleich erfassen oder
verstehen können. Zudem sei Helena, genau wie alle Frauen, nicht an Politik interessiert
gewesen und habe bei Zeitungen noch nicht einmal die Schlagzeilen gelesen. Was sie
interessiert seien nur die Anzeigenseiten, dort nur die Neuigkeiten das Kino betreffend und
die Stellenanzeigen. Senhor Ribeiro bezieht diese Aussage nicht nur auf seine Frau, wie man
an folgender Aussage sieht: „São assim as mulheres, que se lhes há-de fazer?“ Auch José und
dessen Ehefrau bezieht er mit als er die rhetorische Frage stellt: „O José já tem experiência do
assunto, não é verdade?”.
Auffallend für Senhor Ribeiro Pintos Ehefrau Helena ist, dass in den von ihrem Ehemann
wiedergegebenen erzählten Reden zwar selbst zu Wort kommt gleichzeitig aber nie ihre
eigene Meinung in einem Aussagesatz kund tut. Sie stellt ihrem Ehemann immer nur Fragen.
An einer Stelle 106 wird sie von ihrem Ehemann beschrieben, einmal gibt José die Aussage
Ribeiro Pintos wider, dass seine Frau niemals solche Hüte tragen würde 107 und an einer
dritten Stelle mutmaßt Gil, dass Ribeiro Pintos Ehefrau bestimmt so eine „normale“ Hausfrau
sei, die nach Seifenlauge riechen würde. 108 Da man in den erzählten Reden nicht wirklich
etwas von ihrer Meinung, ihren Gefühlen oder ihren Vorstellungen erfährt, kann man im Fall
von Helena von einer indirekte Inszenierung sprechen. Diese wird nur über Aussagen von
Männern getätigt. Inwiefern Helena sich mit der ihr gegebenen Rolle als Hausfrau identifiziert
und im Umgang mit den Dienstboten zurechtfindet, ob sie wirklich keine Ahnung von Politik
hat, was sie in der Zeitung wirklich gerne liest und ob sie nicht eigentlich doch heimlich gerne
die extravaganten Hüte Maria Paulas tragen würde, erfährt der Leser nicht. Helena wird durch
die Aussagen ihres Mannes und auch durch die Mutmaßung von Gil als eine typische, brave
portugiesische Hausfrau inszeniert.
106
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 11-13.
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 70.
108
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 29.
107
31
6.1.2.
Sousas Frauen
Als José in Portugal ankommt, zieht er als Untermieter bei der portugiesischen Familie Sousa
ein. Die erste Begegnung mit den Sousas hat der Leser, als José Gil kennenlernt und sie
herausfinden, dass José bei derselben Familie wohnt, bei der auch schon Gil wohnte. Gil war
jener Untermieter, der als Kunstmaler den schönen, polierten Esstisch mit seinen
Farbklecksen ruiniert hatte und den Sousaschen Frauen so in Erinnerung geblieben ist. 109
Die Familie Sousa besteht aus dem Hausherrn Felisberto Sousa, seiner Ehefrau Dona Maria
da Liberdade, der Schwiegermutter Dona Maria da Piedade, seiner etwa zwölfjährigen
Tochter Luísa, seiner Schwägerin Maria Paula und dem Dienstmädchen Elvira. Trotz dieser
geballten Weiblichkeit im Haus und der Tatsache, dass jede der Frauen ihren Teil zum
Einkommen beisteuert, ist Sousa der Patriarch der Familie und hat das alleinige Sagen: „A
sogra, a cunhada e a mulher tratavam-no respeitosamente por Sousa. O seu primeiro nome,
Felisberto, nunca lhes ouvi pronunciá-lo.” 110 Gil bezeichnet die Sousas sogar als “Enfadonhas
criaturas.” 111 Man könnte die Familie Sousa als Abbild der portugiesischen Gesellschaft
bezeichnen. Die Frauen werden zwar auch einzeln beschrieben, meistens aber als eine Einheit
mit Bezeichnungen wie „mulheres da casa“ oder „donas de casa“ erwähnt. An folgenden
Stellen kann man diese Vereinheitlichung deutlich sehen:
•
„Mediante intervenção dela [Luísa] as mulhers obtinham autorização para uma ida ao
cinema ou ao teatro [...]“ 112
•
„[...] as três mulheres sacrificavam-se e vestiam mal.” 113
•
„Mas como o Sousa ganhava um ordenado miseravelmente baixo, as mulheres da casa
contribuiam, cada uma conforme as suas capacidades, para o sustento da família.” 114
•
„As senhoras olhavam-me, nos primeiros dias, com certo receio. Poderiam fiar-se num
estrangeiro?” 115
•
„E no dia seguinte, provido dos bons desejos das boas senhoras do Sousa, pus-me a
caminho.“ 116
109
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 30.
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 47-48.
111
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 119.
112
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 48.
113
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 48.
114
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 49.
115
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 49.
110
32
•
„As senhoras em casa do Sousa interessavam-se muito pouco pelo decurso da guerra
que, graças a Deus, se passava lá longe, e quando muito se fazia sentir pelo
racionamento dos víveres e pelo florescimento dum mercado negro tão descarado que
coisas corriqueiras como o azeite e o açúcar começaram a ficar raras em sua casa.” 117
•
„Fui pagar às mulheres a minha velha dívida.” 118
Diese Aussagen veranschaulichen wie sehr Maria da Liberdade, Maria da Piedade und Maria
Paula als Kollektiv beschrieben werden. Es sind nicht die Gefühle der Einzelnen die von
Bedeutung sind, die Gruppe wird in den Vordergrund gestellt. Die zitierten Passagen kann
man
allerdings
auch
als
Ausdruck
des
eindeutig
vorhandenen,
starken
Zusammengehörigkeitsgefühls der drei Frauen sehen.
Die erste Textstelle an der Dona Maria da Liberdade, die Ehefrau Sousas, erwähnt wird, lässt
den Leser folgende Informationen wissen:
Dona Maria da Liberdade, a volumosa mulher do Sousa, com os seus esbugalhados olhos escuros,
fazia pensar num animal espantado ou, no dizer de Gil, alguém que via fantasmas. Servia as refeições
ao marido e ficava de pé atrás da sua cadeira enquanto ele comia faustosamente e fazia reparos
críticos [...] E só depois de ele se ter levantado da mesa, palitando os dentes, e saído aos saltinhos pela
escada abaixo, Dona Maria da Liberdade se sentava e chamava:
— Elvira! A sopa! 119
Man erfährt hier von José, dass es sich bei Maria da Liberdade um eine dicke Frau mit
dunklen Kulleraugen handelt, die an ein verschrecktes Tier erinnert oder, wie Gil sagt, an
jemanden der Gespenster sieht. Sie ist ihrem Mann bedingungslos ergeben, wie man an der
bereits zitierten Szene bei Tisch sehen kann: sie serviert ihm persönlich das Essen, lässt dabei
seine Kritik über sich ergehen und bleibt hinter seinem Sessel stehen, bis er mit dem Essen
fertig ist. Erst dann setzt sie sich selbst zu Tisch und lässt sich von dem Dienstmädchen Elvira
die Suppe servieren. Zudem erfährt man, dass über dem Ehebett der Sousas ein kitschiges
Bild vom Heiligsten Herz Jesu hängt 120, das nach Sousas Tod ins Wohnzimmer gehängt
wird 121. „Dona Maria da Liberdade […] encarregada do governo da casa, ocorrera em certa
altura a ideia de sublugar a alcova.” 122 Dona Maria da Liberdade ist demzufolge Hausfrau, in
116
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 59.
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 73.
118
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 119.
119
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 48.
120
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 30. und S. 50.
121
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 119.
122
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 49.
117
33
toten Stunden häkelt sie außerdem Decken. 123 Um auch etwas zum Lebensunterhalt der
Familie beisteuern zu können, entschließt sie sich den kleinen Alkoven der Wohnung
unterzuvermieten. Von Gil erfährt man, dass Sousa später nach Angola geht und dort stirbt,
weshalb sie einen zweiten Untermieter aufnimmt, der im ehemaligen Schlafzimmer des
Ehepaars Sousa wohnt. Gil, der in der Zeit nach Sousas Tod die Sousaschen Frauen besucht,
um seine immer noch ausstehenden Mietschulden zu begleichen, meint über Maria da
Liberdade, dass sie ihre hässlichen Augen während des Gesprächs auf das Jesusbild heftete
und seufzte, dass Sousas Seele in Frieden ruhen möge. 124
Die Tochter Luísa ist elf oder zwölf Jahre alt und die Einzige, die von Sousa bekommt was sie
will. Sie ist außerdem die Einzige, die ihn nicht mit Sousa anspricht sondern mit dem
Kosenamen „paizinho“. Wie José erzählt, war es nur ihrem Eingreifen zu verdanken, dass die
Frauen des Hauses ab und zu ins Kino oder ins Theater gehen durften. Dorthin wurden sie
aber – ganz der portugiesischen Gepflogenheit „sozinhas só à missa“ 125 entsprechend –
selbstverständlich von Sousa begleitet. Damit die kleine Luisinha möglichst adrett und
sorgfältig gekleidet werden kann, wenden die drei Frauen alles Geld für sie auf und
vernachlässigen sich und ihre Kleider dafür. 126 Des Weiteren erfährt der Leser von Gil, dass
Luísa später die Kunstschule besucht und dort dessen Schülerin ist. 127
Dona Maria da Piedade ist Sousas Schwiegermutter und somit die Mutter von Dona Maria da
Liberdade und Maria Paula. Die erste Beschreibung, die im Roman über sie zu finden ist,
lautet wie folgt:
A velha Dona Maria da Piedade tricotava camisolas e queixava-se com amargura da fábrica de malhas
no primeiro andar que, em seu entender, se comprazia em tirar o pão a senhoras respeitosas e
honestas. 128
Der Leser erfährt an dieser Stelle nur sehr wenig über Dona Maria da Piedade. Im Roman
wird jedoch immer wieder erwähnt, dass sie „velha“ 129, also alt ist. Einmal erwähnt José, dass
sie eine langsame Stimme hat 130. Ihren Beitrag zum Lebensunterhalt der Familie leistet sie
123
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 86.
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 119.
125
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 48.
126
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 48.
127
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 119.
128
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 49.
129
Vgl. u.a. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 49, S.53, S. 86, S. 119.
130
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 86.
124
34
indem sie für andere Leute Pullover strickt. Den im selben Haus ansässigen
Strickwarenhandel empfindet sie als starke Konkurrenz. Ihrer Meinung nach würde dieses
Geschäft aufrichtigen und ehrbaren Damen das wenige Geld, das sie verdienen könnten, auch
noch wegnehmen. 131 Als Dona Maria da Piedade eines Tages sieht, dass José sich von seinem
Geld jeden Tag nur noch ein Brötchen, eine Dose Sardinen und eine Zwiebel als Mahlzeit
leisten kann, schlägt sie die Hände über dem Kopf zusammen und ruft: „Por amor de
Deus!“ 132 Dies ist die einzige Aussage, die von Maria da Piedade selbst getätigt wird. Es ist
wohl auch ihr zu verdanken, dass ihre Tochter Maria da Liberdade José anbietet für einen
kleinen Beitrag mit der Familie bei Tisch essen zu können. 133 Maria da Piedade ist zudem
anwesend, als Sousa entdeckt, dass Maria Paula die Nacht mit Nils verbracht hat und
daraufhin José aus der Wohnung wirft. „A velha D. Maria da Piedade parecia ainda mais
velha no seu roupão escuro e com os rolos de papel no cabelo.” 134 Sie ist bei der ganzen
Szene nur Zuschauerin, bringt dann aber ihre Enkelin Luísa außer Hörweite, damit sie
möglichst wenig von diesem unmoralischen Vorfall mitbekommt. 135 Als Gil seine Schulden
bezahlt, wird er später zu José sagen: „A velhota está paralítica, passa a vida à janela a olhar
não sei para onde. [...] A velhota, essa era toda azedume.” 136 Sie ist nach Sousas Tod voller
Bitterkeit, gelähmt und verbringt den ganzen Tag am Fenster sitzend.
Sousas Schwägerin Maria Paula ist die Schwester von Maria da Liberdade und zweifelsohne
die interessanteste der drei Frauen. Die erste Erwähnung Maria Paulas findet sich gleich nach
Josés Erzählung, dass Sousa immer die Erlaubnis für Kino- oder Theaterbesuche geben
musste und die Frauen nur in seiner Begleitung gehen durften. Diesbezüglich meint José:
„[...] tudo isso embora a cunhada Maria Paula pagasse os bilhetes para os espectáculos.” 137 Es
ist also nicht Sousa, der für die Freizeitgestaltung aufkommt, sondern seine Schwägerin Maria
Paula. Ihr Geld verdient Maria Paula als Modistin und fertigt extravagante Hüte an, die mit
ihren bunten Federn, Blumen und Anstecknadeln vor allem im Dunkel der Nacht wie
Paradiesvögel aussehen. Ihre Kunden empfängt Maria im Wohnzimmer der Sousas, das sie
als Atelier nützt und das José deshalb nur benützen darf, wenn gerade keine Kunden da sind.
131
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 49.
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 53.
133
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 53.
134
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 86.
135
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 86-87.
136
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 119.
137
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 48.
132
35
Interessant ist diesbezüglich auch, dass von José erwähnt wird, dass Maria Paula mit dem
Verkauf ihrer Hüte den größten Anteil zum Familieneinkommen beisteuern konnte. 138 Maria
Paula ist allein deshalb erwähnenswert, weil sie alleinstehend und berufstätig ist. Außerdem
ist hat sie als Modistin einen richtigen Beruf gelernt und dürfte mit den hübschen Hüten recht
erfolgreich sein. Die Kombination alleinstehend und berufstätig kommt bei keiner anderen
Portugiesin im Roman vor, abgesehen von Elvira und auch Maria, die aber eine starke,
revolutionäre Persönlichkeit ist. Alleinstehende, portugiesische Frauen stellen im Roman also
eindeutig eine Minderheit dar. Alle anderen Frauenfiguren im Text sind entweder mittlerweile
verwitwet, alleinstehend und vermieten Zimmer/stricken/prostituieren sich oder sie sind
verheiratet und haben offenbar keinen Beruf erlernt.
Als José Nils in einer Bar kennen lernt, sie sich betrinken und schließlich gemeinsam zu den
Sousas gehen, da José nicht weiß wo Nils wohnt, zeigt sich dem Leser eine bis dahin
verborgene Facette Maria Paulas. Durch den Lärm geweckt, den vor allem der betrunkene
Nils macht, öffnet ihnen Maria Paula die Tür und führt die beiden ins Wohnzimmer. Dort
singt Nils das Lied Parlez-moi d’amour, setzt sich einen der Hüte auf und tanzt durchs
Zimmer. 139
Energicamente Maria Paula tirou-lhe o chapéu, conduziu-o ao sofá sobre o qual ele se deixou cair com
todo o seu peso, de modo a afundar-se até ao chão. Ela cobriu-o com uma manta às riscas, de crochet,
feita pela irmã em horas mortas, e ele olhou-a com olhos turvos. Depois ela ajoelhou-se para lhe tirar
os sapatos e colocou-lhe também uma almofada debaixo da cabeça. 140
Maria Paula geht hier mit dem fremden Nils sehr verständnis-, ja sogar liebevoll um: sie deckt
ihn zu, zieht ihm die Schuhe aus und legt ihm einen Polster unter den Kopf. Gleichzeitig tritt
sie in dieser Situation bestimmend und energisch: sie nimmt Nils den Hut ab, bringt ihm zum
Sofa, zieht ihm die Schuhe aus, legt ihm den Polster unter den Kopf und deckt ihn zu.
José geht daraufhin schlafen, wird jedoch am nächsten Morgen von Sousas Geschrei geweckt.
Das Sofa ist leer, die Häkeldecke liegt am Boden, aus dem Zimmer von Maria Paula hört man
lautes Schluchzen. Sousa, der herumschreit das dies ein anständiges Haus und kein Bordell
sei, beschimpft zuerst Nils, dann auch José als Boche und springt wie wild umher. Schließlich
verweist er beide des Hauses. José versteht anfangs nicht was passiert ist. Er beginnt erst
138
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 48-50.
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 83-85.
140
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 85-86.
139
36
langsam zu begreifen, was eigentlich los ist, als Nils beim Verlassen der Sousaschen
Wohnung zu ihm sagt 141: „Mas digo-te: uma mulheraça de corpo“ 142.
Eu nunca tinha dado atenção especial a Maria Paula. Via nela a cunhada solteirona e já avelhada do
Sousa, modista de chapéus, que contribuia generosamente para o sustento da família e pagava os
bilhetes de cinema.
— O homenzinho não contava com um rival como eu, não te parece?
Desconcertado olhei para Nils. O Sousa? Mas era possível? De passo elástico, Nils caminhava ao meu
lado. Não lhe inspirava o menor espanto a situação familiar em casa dos Sousas. 143
José gibt hier zu, dass er nie besonders auf Maria Paula geachtet hatte. Für ihn ist sie immer
nur die ältliche Schwägerin Sousas gewesen, die mit ihren Hüten den Hauptteil des
Einkommens verdient und immer die Kinokarten bezahlt. Dieses Bild passt zu den
Beschreibungen Pimentels, dass Salazar der Meinung war man müsse auf jeden Fall zwischen
der alleinstehenden, ohne oder mit der Familie lebenden Frau und der verheiratet Frau
unterscheiden. Der alleinstehenden Frau solle die Möglichkeit zu arbeiten erleichtert werden,
während die verheiratete Frau in der Familie eine ebenso wichtige Rolle spielen solle wie ihr
Mann. 144 Andererseits zeigt dieses Zitat auch, dass Maria Paula so unscheinbar ist – oder
zumindest von José so wahrgenommen wird – dass José gar nicht auf die Idee kommt sie als
Frau mit all ihren Bedürfnissen zu betrachten. Erst durch diesen Vorfall werden ihm die
wahren Verhältnisse im Hause Sousa klar: Sousa ist mit Maria da Liberdade verheiratet und
unterhält offenbar mit ihrer ledigen Schwester Maria Paula ein Verhältnis. Durch dieses
Wissen bekommt die Bezeichnung „as mulheres do Sousa“ für den Leser einen ironischen
Beigeschmack. Gil, der die Frauen Sousas zum letzten Mal sieht, weiß folgendes über Maria
Paula zu berichten: „Está um cangalho, com olhos esbugalhados de rã. Foi a única que teve
lágrimas nos olhos quando se falou do Sousa: «Ai, o Sousa! A sorte não lhe coube a ele.»” 145
Maria Paula ist tatsächlich die einzige der drei Frauen, die Sousa nachweint. Sie wird zu
diesem Zeitpunkt von Gils bereits als sehr verlebt und mit immer stärker hervortretenden
Froschaugen beschrieben
Elvira, das Dienstmädchen der Sousas, ist etwa so alt wie Luísa. Über ihr Aussehen erfährt
der Leser, dass Elvira dürr und blass, mit am Oberkopf zu einem strengen Haarknoten
141
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 86-87.
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 87.
143
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 87.
144
Vgl. Pimentel: História das Organizações Femininas do Estado Novo, S. 27.
145
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 119.
142
37
zusammengefassten Haaren, tiefen Augenringen unter den durch die Umstände zu früh
gealterten Augen, ist. José findet, dass Elvira aufgrund ihres Aussehens aus einer Erzählung
von Tschechow entsprungen sein könnte. Eigentlich ist Elvira im Haus der Sousas angestellt
um von Maria Paula das Handwerk der Modistin zu erlernen. Diese ist allerdings der
Meinung, dass man im Beruf an der untersten Stelle anfangen müsse um ihn auch gut erlernen
zu können. Deshalb soll Elvira, bevor sie den Beruf der Modistin erlernt, gewöhnliche
Hausarbeiten und Botengänge verrichten. Der Tagesablauf von Elvira beginnt bereits früh
morgens: sie bringt dem Ehepaar Sousa den Kaffee ans Bett, bringt Dona Maria da Piedade
einen Krug mit heißem Wasser für das Bidet, anschließend eine Schale mit Seifenschaum zu
Sousa, damit er seine tägliche Rasur vornehmen kann. Danach muss Elvira die Einkäufe der
Familie erledigen. José beschreibt Elviras Tagesablauf folgendermaßen: „«Elvira! Elvira»,
chamavam de manhã até à noite. Creio que se vingavam em Elvira da monótona vida que
levavam devido ao despotismo do Sousa.” 146 José ist der Meinung, dass die Frauen in Elvira
nicht nur ein Dienstmädchen sehen, sondern eine willkommene Abwechslung in ihrem tristen
Leben beziehungsweise eine Möglichkeit wie sie ihren Frust an jemandem auslassen
können. 147 Betrachtet man die Demut und Ergebenheit mit der Dona Maria da Liberdade
ihrem Mann das Essen serviert, nur um sich danach auf einen Sessel fallen und von Elvira
bedienen zu lassen, ist diese Annahme durchaus gerechtfertigt. Der Leser liest ein letztes Mal
von Elvira, als José aus dem Haus geworfen wird:
Ao sairmos para a rua esbarramos com a pequena Elvira que vinha a entrar para começar o seu dia.
Avisei-a de que havia de mandar-lhe a minha nova direcção, pois queria que me levasse para lá os
meus livros. Meti-lhe uma moeda na mão, e ela levantou a saia para a guardar no bolso, cosido sobre a
combinação de flanela.
— Que a Nossa Senhora o proteja, senhor José — disse. 148
Als José das Haus verlässt ist es sieben Uhr. Man sieht also wie früh Elvira zu arbeiten
beginnt und kann sich durch vorhergegangene Beschreibungen vorstellen, dass sie bis spät in
die Nacht hinein arbeitet. Das deckt sich auch mit der Aussage Losas, dass die
Dienstmädchen in Portugal jeden Tag um sieben Uhr mit der Arbeit beginnen und meist so
lange arbeiten mussten wie sie eben im Haus gebraucht wurden. Das konnte oft auch bis
Mitternacht sein. Arbeitszeiten und Pausen waren den portugiesischen Dienstgebern egal,
146
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 48.
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 48-49.
148
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 87.
147
38
weshalb ausländische Dienstgeber beliebter waren. 149 Der Leser erfährt von José, dass er
Elvira danach nie mehr gesehen hat. Er sagt diesbezüglich aber auch, dass er zumindest jene
Elvira aus dem Haus der Sousas nie mehr gesehen hätte, „pois outras Elviras formigavam pela
cidade, de caras pálidas, olheiras escuras e carrapitos apertados no alto das cabeças que
carregavam, em serviço das patroas, caixas, cestos e sacos.“ 150 Die Figur der Elvira steht also
in gewisser Weise für alle portugiesischen Dienstmädchen.
Betrachtet man das Familienleben im Hause Sousa, so kann man Felisberto Sousa als „den
Mann im Haus“ bezeichnen. Unbewusst wird Sousa eigentlich von den Frauen des Hauses
getragen. Dona Maria da Liberdade, Dona Maria da Piedade und Maria Paula kümmern sich
um den Haushalt und jede einzelne steuert einen Teil zum Familieneinkommen bei. Luisa ist
diejenige, die ihrem Vater immer milde stimmen und ihm die Erlaubnis ins Kino oder Theater
zu gehen entlocken kann. Trotz dieser gewissen Unabhängigkeit ihm gegenüber werden sie
alle von ihm dominiert und lassen das auch zu. Diese Dominanz lassen die Frauen wiederum
das Dienstmädchen Elvira spüren. Die ganze Beschreibung der Frauen aus dem Hause
Sousas, die Vereinheitlichung mit „as mulheres da casa“ oder „as donas da casa“, sowie die
Aussage „sozinhas só à missa“ 151 zeigt einen untergeordneten, stillen, traditionellen
Frauentypus. José scheint ihr Dasein jedoch nicht zu verurteilen, wie man an den folgenden
zwei Zitaten sehen kann. Als der Krieg ausbricht, sitzen Sousa und José vor dem Radio und
verfolgen die Ereignisse. Die Frauen hingegen sitzen in ihrer Ecke und interessieren sich nicht
für die Politik, sondern nur für die Rationierungen der Lebensmittel. José meint an dieser
Stelle: „E, de súbito, senti inveja daquelas mulheres ao canto da sala, que se exaltavam a
discutir se o óleo de amendoim tinha de facto qualidade para substituir o azeite.” 152 Er
beneidet sie für ihren in dieser Hinsicht beschränkten Horizont, für ihre Ignoranz gegenüber
Dingen die sich außerhalb ihres Wirkungskreises befinden und einer damit einhergehenden,
gewissen Sorglosigkeit. Auch gegenüber Gils abschätziger Bemerkung „Enfadonhas
criaturas.“ 153, verteidigt José die Frauen Sousas: „Não se lhes pode tomar a mal, vivem num
149
Vgl. Berchthold: Unter fremden Himmeln – Die Schriftstellerin und Übersetzerin Ilse Losa, Track 3, ab
13:30.
150
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 48-49.
151
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 48.
152
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 73.
153
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 119.
39
mundo acanhado e mesquinho.“ 154 Die Entschuldigung, man könne ihnen ihre Unwissenheit
und eingeschränkte Sichtweise nicht übel nehmen, weil sie nun einmal in einem beengten
kleinlichen Milieu leben, kann fast als Erklärung für alle indirekt inszenierten Frauenstimmen
oder –figuren des Romans gesehen werden. Bis auf zwei Ausnahmen, den Ausruf von Dona
Maria da Piedade („Por amor de Deus!” 155) und Elviras Segen als José auszieht („Que a
Nossa Senhora o proteja, senhor José — disse.” 156), bleiben die Sousaschen Frauen komplett
stumm. Details erfährt der Leser nur durch Erzählungen Josés oder Gils. Dona Maria da
Liberdade, Dona Maria da Piedade, Maria Paula, Luísa und Elvira zählen somit zu den
passivsten Figuren des Romans. Sousas Frauen(stimmen) sind alle indirekt inszeniert.
6.1.3.
Dona Branca
Dona Branca ist Josés Schwiegermutter, Teresas Mutter und die Lebensgefährtin von
Severino, der sie später heiraten wird. Sie führt die Pension Modelo, in der José eine Zeit lang
als Untermieter lebt und ist somit eine relativ selbstständige Frau. Der Leser lernt sie bereits
im ersten Kapitel kennen als Teresa im Krankenhaus in den Wehen liegt und José auf die
Geburt des ersten Kindes wartet.
Depois respirou fundo e bateu: logo a cara gorda e exageradamente pintada da D. Branca apareceu na
abertura. «Nem numa ocasião como esta deixa de ser palhaço», pensou José.
— Ah, é você! Pode entrar — disse ela com aquela voz aguda que lembrava amarelo-esverdeado
e que sempre o irritava. Nunca o tratava por tu, apesar de ele ser seu genro. 157
An dieser Stelle wird Dona Branca noch durch den personalen Erzähler beschrieben. Im
Grunde fasst diese Beschreibung bereits Dona Brancas Wesen zusammen: sie ist immer
übertrieben und grell geschminkt, dick mit einem Doppelkinn, José findet sie aufdringlich und
ihre Stimme, die ihn an gelbgrün 158 oder zitronengelb 159 erinnert, unangenehm. Dona Branca
entspricht sicher dem was man sich unter dem Klischee der bösen Schwiegermutter vorstellt.
Sie mischt sich gerne in die Angelegenheiten anderer ein und gibt immerzu ungefragt
154
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 120.
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 53.
156
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 87.
157
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 8.
158
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 8. u. S. 25.
159
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 135.
155
40
Ratschläge, wie man etwas besser machen könnte 160. José kritisiert außerdem, dass Dona
Branca ihm und Teresa immer kleine, geschmacklose Geschenke macht und das ganze
Bücherregal schon voll von diesem Tand ist. 161 Zudem ist Dona Branca mit José zum
Zeitpunkt der Geburt seines ersten Kindes immer noch per Sie. Das ist im damaligen Portugal
nicht unüblich, trotzdem lässt das eine gewisse Fremdheit zwischen den Beiden entstehen die
José das Gefühl vermittelt nicht ganz zur Familie zu gehören. Die Abneigung oder zumindest
das Unverständnis Josés Dona Branca gegenüber manifestiert sich beispielsweise auch in
folgender Überlegung: „[…] mas com quem deixar o menino?, com a D. Branca e o Severino,
nem que me paguem…“ 162.
Als José Dona Branca zum ersten Mal begegnet, ist er gerade auf der Suche nach einem
Pensionszimmer. Schon als er anläutet, hört er ihre „gelbgrüne“ Stimme. Seine spätere
Ehefrau Teresa öffnet ihm und er muss kurz auf die Pensionswirtin warten.
Neste momento entrou D. Branca, a cheirar a lilases. Isso irritou-me, porque tenho um grande fraco
pelos lilases e por isso não concebo que mulheres como D. Branca se façam notar por um cheiro que
me é querido. Cumprimentou-me agitando o corpo roliço e abrindo a cara num sorriso de solicitude
comercial. 163
Dona Branca ist begeistert davon einen Deutschen als Untermieter zu haben. Denn sie ist der
Meinung, dass die Deutschen in allem was sie tun perfekt seien und ihnen niemand das
Wasser reichen könne. Deshalb fragt sie angeblich in Geschäften auch immer nach deutschen
Waren. 164 Trotz der Beeinflussung durch solche Vorurteile ist sie durch und durch
Geschäftsfrau, wie folgendes Zitat zeigt: „A boa conta em que ela tinha os alemães não a
impediu, porém, de me mostrar o mais fraco dos dois quartos vagos. Era a sua táctica: se esse
não «pegasse» mostraria o outro.” 165 José tut bereits beim ersten, dem schlechteren Zimmer
so, als würde es ihm sehr gut gefallen. In Wahrheit hat ihn aber Teresa begeistert, weshalb er
unbedingt in die Pension Modelo ziehen will. Er nimmt also das kleinere Zimmer. Später
erzählt Teresa José, dass ihre Mutter sich zweimal bekreuzigte, als José ging um seine Sachen
zu holen und sagte:
160
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 10.
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 21.
162
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 179.
163
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 137.
164
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 137-138.
165
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 137.
161
41
Se Deus atender ao meu pedido, [...] manda-me mais um estrangeiro. É que no seu entender os
estrangeiros são menos exigentes do que os portugueses e mais educados, com excepção dos
espanhóis que tem na conta de ladrões e labregos [...]. 166
Doch ihr Gebet wird nicht erfüllt, denn der nächste Interessent ist der portugiesische Dichter
Simão Vicente. Dona Branca ist zuerst schockiert, dass ein Dichter sich bei ihr einmieten will.
Ihrer Meinung nach würden Poeten ihre Rechnungen nicht pünktlich bezahlen, wären
verwahrlost und vom rechten Weg abgekommen. Als Simão Vicente jedoch erzählt, dass er
auch noch einen „richtigen“ Beruf habe und er ihr sogar eine Monatsmiete im Voraus bezahlt,
ist Dona Branca beruhigt und vergisst ihre Vorurteile über Dichter schlagartig. 167
Allerdings erklärt José kurze Zeit später, woher Dona Brancas Vorurteile kommen. Diese
habe sie von ihrem Vater, der Wirtschaftswissenschaften studierte und sich der Herstellung
von Sardinenkonserven widmete. Er war reich, durch ganz Europa gereist und hatte nichts auf
Literatur, Autoren und Dichter gegeben. Da die Familie Dona Brancas wohlhabend war, hielt
er mehr von der Gesellschaft gleichgestellter Leute. Als seine Tochter Branca sechzehn war,
führte er sie am „Baile de Janeiro“ in die Gesellschaft ein und verheiratete sie kurze Zeit
später an ihren steinreichen Cousin, der laut Dona Branca abscheulich, herrschsüchtig und
noch dazu zwanzig Jahre älter war. Die Ehe war furchtbar, denn der Ehemann ließ Dona
Branca nicht einmal für kleine Besorgungen allein auf die Straße gehen. Teresa wurde
geboren, aber die Beziehung der Eheleute blieb weiterhin schlecht. Ihr Vater ging weiterhin
jeden Abend aus und ließ Frau und Kind allein in einem riesengroßen, angsteinflößenden
Haus zurück. Irgendwann hielt Dona Branca es nicht mehr aus und verließ ihren Mann.
Teresa ließ sie bei ihm zurück, da ihr eine Rückkehr ins Elternhaus verboten worden war und
sie ihre Tochter keiner ungewissen Zukunft aussetzen wollte. Ihr Ehemann ließ ihr das Kind
aber mit der Nachricht überbringen, dass sie es selbst großziehen solle da es sicher nach der
missratenen Mutter geraten würde. Kurze Zeit später starb der hartherzige Ehemann, was
Dona Branca für eine gerechte Strafe hält. Diese Geschichte wird zwar von José erzählt, er
erwähnt aber am Ende seiner Erzählung, dass hier Dona Brancas Bericht endet. 168
Den nächsten Teil von Dona Brancas Lebensgeschichte gibt ihre Tochter Teresa in einer
erzählten Rede wieder. Dem Leser wird hierbei sehr schnell klar, wie Dona Branca ihr
weiteres Leben verbringen musste. Teresa erzählt, dass sie sich in ihrer Kindheit an
166
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 140.
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 141.
168
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 141-142.
167
42
verschiedene Männer und Häuser erinnern kann: an einen dicken Mann, mit sehr niedriger
Stirn, bei dem Dona Branca sich ihr Frühstück auf silbernem Geschirr ins Bett, das mit einem
mit rosafarbener Seide gepolstertem Betthaupt versehen war, servieren ließ,; an ein Häuschen
an der Küste mit einem Garten und einem grüngestrichenen Zaun und damit verbunden an
einen starken Mann mit feuerrotem Haar, der immer in einem Auto zu ihnen kam; an eine
Etagenwohnung und einen kleinen Mann mit Zwicker, der sich immer wie eine verfolgte
Ratte in die Wohnung schlich. Ihre Mutter blieb bis mittags im Bett, am Nachmittag ging sie
spazieren und einkaufen. Ihre Männer zeigten sich nie mit ihr auf der Straße und grüßten sie
auch nicht, wenn sie in Begleitung waren. So sei ihr Leben viele Jahre verlaufen und als
Teresa eines Tages begriff was ihre Mutter tatsächlich machte, weinte sie vor Scham. So sehr
Mutter und Tochter es auch versuchten, sie selbst kamen sich aber nie wirklich nahe. Mit der
Zeit wurde Dona Branca dick und bekam ein Doppelkinn, dem nicht beizukommen war. Ihr
letzter „Beschützer“, wie Teresa die Freier ihrer Mutter nennt, war Senhor Pires Proença, der
irgendwann auch ausblieb. Kurze Zeit später lernte Dona Branca Severino kennen, der mit
Lederwaren handelt und sie sehr gern hat. Heiraten wollte Severino sie jedoch nicht, denn er
war der Meinung eine solche Frau könne man nicht mehr heiraten. Trotzdem geht er mit ihr
an Sonntagnachmittagen Arm in Arm spazieren, was Dona Brancas Ruf etwas verbessert.
Severino ist nicht reicht genug um ihren bisherigen Lebenswandel aufrecht zu erhalten und
kommt deshalb auf die Idee, dass Dona Branca eine Pension eröffnen sollte. Teresa ist sich
sicher, dass ihre Mutter ihn mit dieser Idee ausgelacht hätte, wenn sie nicht schon so dick und
Severino nicht ihre wahrscheinlich letzte Chance gewesen wäre. Teresa lässt man daraufhin
eine Ausbildung zur Grundschullehrerin absolvieren, da diese nur kurz dauert und relativ bald
ein Einkommen verspricht, mit dem sie ihre Mutter zusätzlich unterstützen kann. Außerdem
verhängte Severino ein Verbot: Dona Branca durfte gewisse, zweifelhafte Damen, mit denen
sie sich früher getroffen hatte, nicht mehr einladen. Das alles macht aus ihr eine in der
Gesellschaft wieder einigermaßen respektable Dame. 169 An dieser Stelle lässt sich anmerken,
dass Dona Branca eine Zweckehe mit ihrem Cousin eingehen musste, darin aber keine
Erfüllung fand. Der Ehemann liebte sie nicht, war aber gleichzeitig auch herrschsüchtig. So
war es ihr beispielsweise wie Dona Beatriz, auf die ich später noch zu sprechen komme,
untersagt das Haus zu verlassen. Auch mit der Geburt einer Tochter änderte sich nichts. Dona
Branca „chorava, rogava pragas, batia com a cabeça nas paredes e acabou por fugir ao seu
169
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 142-143.
43
tirano.“ 170 Schließlich läuft sie ihrem Mann davon und erhält für dieses in den Augen der
Gesellschaft ungebührliche Verhalten keinerlei Unterstützung von ihren Eltern. So in
Ungnade gefallen bleibt ihr nichts anderes übrig, als ihren Lebensunterhalt von nun an alleine
zu bestreiten. Sie wird die Geliebte einiger Männer und lebt auf deren Kosten, was aber nur
solange sie hübsch und jung ist gut geht. Man könnte sie sicher als Edelprostituierte
bezeichnen. Ihr letzter Lebensgefährte Severino hilft ihr dann auf ehrbare Weise ihr Geld zu
verdienen. Dona Branca kann als Opfer der Gesellschaft, deren Moral und Normen gesehen
werden. Dennoch schämt sie sich nicht für ihr Leben und ihre Entscheidungen, sie erzählt
diese Geschichte offenbar José und spricht sich eines Tages auch mit Nazaré aus, die ein
ähnliches Schicksal wie Dona Branca teilt. 171 Teresa erwähnt auch, dass ihre Mutter sich
einerseits tapfer fühlen würde, da sie trotz aller Konsequenzen ihren tyrannischen Ehemann
verlassen hatte. Andererseits würde sie immer noch mit ihrer Vergangenheit als Mädchen aus
gutem Hause liebäugeln. 172
Diese Vergangenheit als einigermaßen gebildetes Mädchen aus gutem Hause ist in diversen
Situationen ersichtlich, beispielsweise in einer Diskussion mit dem Dichter Simão Vicente
über den Maler El Greco. Simão meint, dass El Greco ein Genie von einem Spanier sei. Dona
Branca weiß aber, dass El Greco nicht in Spanien geboren wurde. „[Dona Branca] conservava
tais saberes do seu tempo de menina «bem», aborrecendo com isso Severino que não
apreciava mulheres eruditas.” 173 Der Leser erfährt an dieser Stelle also, dass Severino
gebildete Frauen nicht mochte. Diese Gesinnung Severinos entspricht ganz der Vorstellung
der ungebildeten, dem Mann unterlegenen und auf ihn angewiesenen Hausfrau und Mutter.
Obwohl Dona Branca ein bewegtes Leben hinter sich hat und selbst eine gefallene Frau war,
hat sie strikte Moralvorstellungen und ist nicht frei von Vorurteilen, die bereits an den oben
angeführten Textstelle bezüglich der Ordentlichkeit der Deutschen und der Nachlässigkeit der
Dichter aufgezeigt wurden. Vorurteile hat sie aber auch den Emigrantinnen gegenüber, die
sich vor und während des Zweiten Weltkriegs in Portugal aufhielten.
Teresa não só se lembrava de os ter visto no Café Superba [...] mas também de várias observações de
D. Branca acerca deles, como por exemplo: «Fala-se tanto da desgraça desses refugiados, mas no fim
de contas gozam a vida nos cafés a dar à língua», ou: «Se nos acontecesse a nós termos de sair da
nossa terra, passávamos o tempo a chorar e não divertidos como essa gente». Também se lembrava de
170
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 142.
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 146.
172
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 143.
173
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 145.
171
44
ter ouvido a mãe falar de uma refugiada polaca que se atirava descaradamente ao homem com quem
D. Branca nessa altura vivia, e que ele logo caíra na ratoeira — assim dizia — porque «os homens
derretem-se por aquelas valdevinas». D. Branca chegara mesmo a passar com Teresa pelo Café
Superba e a apontar-lhe a rapariga polaca, sentada à mesa com outros estrangeiros, e Teresa
recordava-se bem do seu aspecto de camponesa nórdica. 174
Dona Branca kann nicht verstehen, warum man mit den Flüchtlingen Mitleid haben soll,
wenn sie den ganzen Tag im Kaffeehaus sitzen, dort das Leben genießen und miteinander
plaudern. Ihrer Meinung nach würden Portugiesen, die in einer misslichen Situation ihr Land
verlassen müssten, die ganze Zeit über weinen und nicht frohen Mutes in Cafés sitzen.
Interessanterweise steht sie vor allem den Emigrantinnen und Flüchtlingsfrauen skeptisch
gegenüber, da diese in ihren Augen nur Tagediebinnen sind. Sie spricht dabei vor allem über
eine Polin, die sich unverfroren an Männer anbiedert und ihr sogar einen Mann ausgespannt
haben soll. Dona Branca sieht hier nicht, dass die Polin eigentlich dasselbe tut wie sie auch:
Dona Branca verführt Männer um sich dadurch ihr Leben zu finanzieren. Im Fall der Polin
geht es vielleicht um eine Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung oder darum nicht
ausgewiesen zu werden, Dinge die für die Emigranten von existenzieller Bedeutung waren.
Hohe Moralvorstellungen gelten auch für ihre Tochter Teresa. So erzählt José beispielsweise
davon, dass Dona Branca ihn und Teresa immer im Auge behalten hatte bevor sie verheiratet
waren. Diesbezüglich meint José an einer Stelle im Roman: „Como adorava todas essas ruas
escabrosas e miseráveis quando nelas caminhava de braço dado com Teresa, fugindo do
centro e dos olhos vigilantes de D. Branca!” 175 Teresa findet es zum Beispiel auch undenkbar
mit José gemeinsam in eine Bar zu gehen und dort einen Cocktail zu trinken. José merkt
diesbezüglich an: „Basta dizer que D. Branca, com todo o seu passado duvidoso, nunca
chegou a pôr os pés num bar daqueles.” 176 Obwohl Dona Branca einen zweifelhaften Ruf hat,
hat sie noch nie einen Fuß in eine Bar gesetzt. Diese Tatsache betont den skandalösen
Charakter den ein Barbesuch für eine portugiesische Frau damals offenbar hatte. José stört,
dass er gegen solche tief verwurzelten Vorurteile oder Vorstellungen nicht ankommt. Was
wäre schon dabei mit seiner eigenen Ehefrau in eine Bar zu gehen und etwas zu trinken?
Gleichzeitig ist zumindest Gil der Ansicht, dass das moralisierende Verhalten Dona Brancas
in Hinblick auf ihre Tochter und deren Beziehung zu José nur eine Strategie war, um Teresa
möglichst rasch zu verheiraten:
174
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 55.
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 19.
176
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 83.
175
45
Esforçava-me por ignorar até que ponto D. Branca nos [José e Teresa] espiava e procurava fomentar o
nosso afecto. Por isso, quando ela certo dia me perguntou se não achava útil que Teresa, por essa
altura estagiária da Escola Normal, acrescentasse aos seus conhecimentos de francês alguns da língua
alemã, não só lhe respondi que achava útil mas até me ofereci para lhe dar lições gratuitas. Essas
lições tinham lugar na sala de jantar, de porta largamente aberta, pois apesar da sua vida desordenada
D. Branca guardava para a filha todas as regras daquilo que considerava decoro e de tal forma que até
nos queria impôr a sua presença nos nossos passeios. Julgo que pretendia, por meio do
«comportamento impécavel» da filha, reparar perante Deus e a gente sua conhecida os seus múltiplos
pecados. Mas fiz-lhe ver, ironicamente, que vivíamos no século vinte e que ela decerto não se prestava
ao ridículo papel de pau-de-cabeleira. Deixou-nos em paz, não sem profundos suspiros, o que na
opinião de Gil fazia parte dos estratagemas para casar a filha. 177
José äußert in diesem Textbeispiel die Vermutung, Dona Branca wolle mit dem tadellosen
Ruf ihrer Tochter ihr eigenes skandalöses Leben und ihre Sünden bei Gott gut machen.
Interessanterweise setzt Dona Branca in Gils Augen zwar alles darauf an ihre Tochter Teresa
mit José zu verheiraten, als es dann aber soweit ist, ist ihr Misstrauen gegenüber Ausländern
und somit gegen José stärker. Dona Branca ist von der Mitteilung, dass José und Teresa
heiraten wollen, alles andere als begeistert:
— Como hóspedes aprecio os estrangeiros […] Mas para marido da minha filha sempre preferia um
homem cá dos nossos. Como explicar? Enfim, um estrangeiro é um estrangeiro, sente as coisas de
outra maneira. Sabe-se lá se não se lhe mete na cabeça abalar dum momento para o outro! Não estão
ligados a isto, como a gente. Bem os tenho visto a desaparecerem da cidade sem dizer água-vai. 178
Man kann an diesem Ausspruch Dona Brancas gut erkennen, dass sie im Grunde keine
weltgewandte Frau ist, wie sie viele glauben macht. Auch sie ist den kleinkarierten
Vorstellungen des Bürgertums verhaftet. Ausländer sind ihr zwar als Pensionsgäste nur recht,
da sie ihrer Meinung nach anspruchsloser, genügsamer als Portugiesen sind und nicht an
allem etwas auszusetzen haben. 179 Als Ehemann für ihre Tochter würde sie sich trotz dieser
angeblichen Vorzüge einen Portugiesen wünschen. Man wisse ja nicht ob einem Ausländer
nicht von heute auf morgen einfallen würde das Land wieder zu verlassen. An dieser Stelle
sieht man deutlich die Vorurteile, die Dona Branca gegenüber den Ausländern hat. Man kann
an dieser Aussage außerdem ablesen, dass Dona Branca nichts vom wirklichen
Flüchtlingsalltag wusste, denn in ihren Augen verschwanden die Exilanten einfach so von
177
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 152.
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 158-159.
179
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 158.
178
46
heute auf morgen und ohne einen triftigen Grund zu haben. In Wahrheit hing das
Verschwinden oft mit Gefängnisaufenthalten oder der Ausweisung zusammen.
Noch mehr Probleme in Hinblick auf eine Hochzeit von Teresa und José macht ihr seine
Religion. Als ihr nämlich eröffnet wird, dass man nur standesamtlich heiraten wolle, ruft sie
aus: „A minha filha não casar na Irgeja? A minha única filha?“ 180 Obwohl Dona Branca selbst
selten zur Kirche geht und ihr eigenes Leben bei weitem nicht den Moralvorstellungen der
portugiesischen Gesellschaft entspricht, besteht sie auf eine kirchliche Hochzeit. Als José
dann von seinem jüdischen Vater und der protestantischen Mutter erzählt, ist Dona Brancas
Reaktion folgende: „Ai!, protestante! Cada vez pior!“ 181 Laut José sind Protestanten für seine
Schwiegermutter noch schlimmer als Juden oder Spanier. Sie hält sie für den Abschaum der
Menschheit. Severino schlägt daraufhin eine Taufe vor, was José aber nicht möchte. Dafür
zeigen weder Dona Branca noch Severino Verständnis, denn ist jemand der einer anderen
Religion als der ihren angehört religionslos. Schließlich akzeptiert Dona Branca Josés
Wunsch aber doch, was vor allem durch die fortschreitende Planung der Hochzeit und die
Vorbereitung von Teresas Aussteuer bewirkt wird. 182 Die Hochzeit wird zudem als großes
Fest geplant, denn sowohl Severino als auch Dona Branca sind der Meinung: „[…] em
ocasiões destas era indispensável fazer-se boa figura“ 183 Diese Aussage weist erneut darauf
hin, dass Dona Branca trotz ihrer unehrenhaften Vergangenheit immer noch bürgerlichen
Idealen verhaftet ist und den schönen Schein, zumindest nach außen hin, wahren will.
Die Verlobung von Teresa und José, sowie die Vorbereitung des Hochzeitsfestes bewirken
noch eine andere Veränderung in Dona Brancas Leben. Die Mühe, die sie sich als zukünftige
Schwiegermutter mit den Hochzeitsvorbereitungen gibt, erweicht Severinos Herz:
Nessa altura, sempre que Severino aparecia nos fins-de-semana, encontrava a sua Branca e a Nazaré
do capitão a costurarem e a bordarem lençóis, toalhas, guardanapos, panos e paninhos, numa
atmosfera de cooperação pacífica. O seu coração viril enternecia-se perante tanta actividade feminina.
A sua Branca seria promovida a sogra, depois a avó. Severino sorria, comovido. A D. Branca não
escapava o estado de alma dele. E não é difícil imaginar como ela, certa noite, muito aconchegada ao
seu corpo atarracado e balofo, conseguiu arrancar-lhe a promessa da legitimação do concubinato em
que viviam. Possivelmente disse-lhe mais ou menos isto: «Eu sogra, tu sogro. Eu avó, tu avô. E vês,
querido, podíamos convidar pessoas decentes para o casamento da nossa filha...». Mas seja o que for o
que ela lhe tenha dito, a verdade é que obteve o que desejava e se tornou de novo a senhora respeitada
e respeitável [...] 184
180
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 159.
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 159.
182
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 159.
183
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 161.
184
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 161.
181
47
Auffällig an diesem Zitat ist, dass Severinos betont „männliches“ Herz sich von so vielen
angeblich „weiblichen“ Tätigkeiten erweichen lässt. Erst durch das Hochzeitsplanung und
Teresas Aussteuer scheint er die von ihm gewünschten weiblichen, häuslichen Attribute in
Dona Branca zu finden. Dona Branca ihrerseits erreicht nur durch die Ehe mit Severino
wieder den Status einer angesehenen, ehrbaren Frau. Der wieder erworbene gute Ruf Dona
Brancas steht schließlich auch in Konflikt mit Nazarés Lebensstil. Nazaré lebt zwar in der
Pension Modelo und ist Dona Branca durch ein ähnliches Schicksal sehr verbunden.
Gleichzeitig lebt sie aber mit Capitão Bigman Peixoto in einer wilden Ehe. Es stellt sich für
Dona Branca und Severino die Frage ob man Nazaré überhaupt zur Hochzeit einladen solle,
denn eine solch unehrenhafte Beziehung könnte auch auf Teresa und José ein schlechtes Licht
werfen. Nur durch Josés Intervention werden Nazaré und Bigman Peixoto schließlich
eingeladen. 185
Als Teresa in den Wehen liegt ist es schließlich Dona Branca, die bei ihr bleibt, während José
nach Hause gehen soll. Dies entspricht zwar den damaligen Gepflogenheiten, verstärkt aber
das Gefühl, dass Dona Branca sich wirklich in alle Lebensbereiche einmischt und
allgegenwärtig ist. 186
Dona Branca ist ein sehr facettenreicher Charakter des Romans. Sie ist ein Beispiel dafür,
dass man auch als wohlhabende, gut behütete junge Frau gesellschaftlich absteigen und sich
selbst wieder retten kann. Dona Branca hält die lieblose Beziehung zu ihrem reichen
Ehemann nicht aus und flieht aus ihr, wodurch sie zu einer verstoßenen, unehrenhaften Frau
wird. Sie bringt ihre Tochter als Edelprostituierte oder Geliebte von reichen Männern durch,
schafft aber schließlich den sozialen Aufstieg als ihr letzter Lebenspartner ihr zuerst hilft eine
Pension zu eröffnen und sie schließlich doch noch heiratet. Allerdings zeigt ihre Figur auch
sehr gut, dass sie ohne Severinos Hilfe – nämlich durch seine Einwilligung in eine Heirat – in
der portugiesischen Gesellschaft nicht mehr als respektable Frau hätte gelten können. Sie ist,
wie viele andere, auf das Wohlwollen eines Mannes angewiesen und kann sich nicht
vollkommen allein aus ihrer misslichen Lage retten. Dona Branca kommt in erzählten Reden
185
186
48
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 162.
Vgl. u.a. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 8-9, S. 180.
relativ oft selbst zu Wort 187, vor allem in Diskussionen mit ihren Pensionsgästen, José oder
Severino. Sie spricht dabei meistens nicht über ihre eigenen Gefühle oder Gedanken, sondern
gibt Kommentare zu diversen Aussagen, beispielsweise im Gespräch mit Simão Vicente über
spanische Künstler, die Angewohnheit moderner portugiesischer Dichter ohne Interpunktion
zu schreiben, etc. Ihre Lebensgeschichte wird einerseits von José wiedergegeben, von dem
man erfährt, dass Dona Branca ihm die Geschichte genau so erzählt habe. 188 Andererseits ist
es Teresa, die zumindest von den späteren Jahre Dona Brancas, ihren verschiedenen Geliebten
und anderen Geschehnissen berichtet. 189 Dona Branca zählt neben Maria und Teresa zu jenen
Figuren, die relativ gut beschrieben sind und deren Vorgeschichte dem Leser sehr detailliert
dargelegt wird.
Die meisten Kommentare, sowie auch die erzählten Reden von Dona Branca und Teresa,
werden natürlich auch bei dieser Figur von José oder dem personalen Erzähler
wiedergegeben. Dona Branca kommt zwar nur in den erzählten Reden selbst zu Wort und gibt
dort wenig über ihre Gedanken und Ideale preis, aber immerhin kommt sie zu Wort. Sie
beteiligt sich an den Gesprächen der Männer, stellt die Richtigkeit ihrer Informationen in
Frage und hat José ihre traurige Vergangenheit erzählt. Dona Brancas sprachliche Offenheit
und direkte Art kann zudem in Zusammenhang mit den schwierigen Lebensumständen und
dem verlorenen Ruf gesehen werden. Die Figur der Dona Branca entspricht nicht dem
häuslichen, femininen Frauenbild und wird nicht nur von José/dem personalen Erzähler
beschrieben. Sie ist als Mischform zu sehen, da sie kein eindeutiger Typ von indirekter
Inszenierung ist und leichte Tendenzen zur direkten Inszenierung aufweist.
6.1.4.
Teresa, Josés Ehefrau
Teresa ist Dona Brancas Tochter und Josés Ehefrau. Dementsprechend kann sie als eine der
Hauptfiguren des Romans betrachtet werden. Die Rahmenhandlung der Geschichte umfasst
die Zeit, in der José auf die Geburt des ersten gemeinsamen Kindes wartet, weshalb der Leser
bereits im ersten Kapitel mit der Figur Teresas konfrontiert wird. An dieser Stelle wird sie
noch vom personalen Erzähler beschrieben, später von José.
187
Vgl. u.a. Sob Céus Estranhos, S. 136-138, S. 140-142, S. 149, S. 158-159.
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 141-142.
189
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 142-143.
188
49
Teresa hat dunkle, funkelnde, mandelförmige Augen und dickes, sehr schwarzes, langes Haar.
Ihre Haut beschreibt José als „dourada“ 190, an anderer Stelle als „morena“ 191. Ihre Lippen sind
fleischig, beim Lächeln hebt sich der linke Mundwinkel immer etwas mehr als der rechte und
formt ein Grübchen. Sie hat einen schlanken, langen Hals, ein schmales, eckiges Gesicht und
eine etwas zu lange Nase. 192 José vergleicht Teresa mit Maria und kommt zu dem Schluss,
Teresa sei „mais graciosa e mais bonita do que ela” 193. Gleichzeitig wird Teresa auch als
„meiga e doce“ 194 beschrieben. Das Aussehen, aber auch der Charakter Teresas steht vor
allem im starken Kontrast zu Josés früherer Liebe Hannah. 195
Teresa, estável, prática paciente, não se preocupava com o que existe para além do palpável. Dizia:
«Cismas!», e quando dizia «cismas» levantava uma barreira entre si e ele, pois abandonava a reflexão
por ele sugerida para passar a outro assunto, mais terra a terra. 196
Der Erzähler macht hier klar, dass sich José von Teresa oft unverstanden fühlt. Durch die
Flucht und die Schwierigkeiten seines Lebens im Exil hadert er oft mit dem Schicksal, fühlt
sich in Porto nicht zu Hause und grübelt oft darüber nach ob man überhaupt irgendwann
ankommen könnte. Es wird auch erwähnt, dass Gil dieses Unverständnis gegenüber José von
Seiten Teresas bemerkt hat und seinen Freund deshalb von einer Hochzeit mit Teresa
abbringen wollte. 197 Ein weiteres Beispiel für Teresas Unverständnis zeigt José auf, als er ihr
von seiner ehemaligen Freundin oder Verlobten Liesel erzählt. Diese hatte ihm ewige Treue
geschworen, wollte ihn aber nicht ins Ausland begleiten und wendet sich schließlich von ihm
ab weil er Jude ist und dadurch nicht mehr in ihre Welt passt. Teresas Kommentar zu Liesel
ist: „Que parva!“ 198. Doch trotz ihrer Empörung erfasst sie nicht die tiefere, gesellschaftliche
Bedeutung dieser Ereignisse, sondern empört sich nur über das individuelle Verhalten von
Liesel. Ein weiterer Kontrast zu Hannah ist Teresas Vorliebe für echten, wertvollen Schmuck
worin sie Josés Mutter Waltraut ähnelt. José, der den Verlobungsring seiner Mutter versetzt
hat, meint dazu: „Mas a minha mãe era como a Teresa, jóias só as autênticas, e nunca enfeites
190
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 19.
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 136.
192
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 136.
193
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 123.
194
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 25.
195
Siehe Kapitel „Die Mündels”.
196
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 23.
197
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 23-24.
198
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 34.
191
50
de fantasia.“ 199 Teresa, die sich dieser Unterschiede und Josés tiefer Gefühle für Hannah
bewusst ist, ist bereits eifersüchtig wenn auch nur deren Name fällt.
Wie bereits erwähnt, findet José Teresa einerseits anmutiger und hübscher als Maria, bemerkt
aber andererseits an, dass Teresa gegenüber Männern und Fremden noch vor kurzem eine
gewisse Gehemmtheit an den Tag legte. 200 Betrachtet man die in Portugal gelebte Trennung
von weiblichem und männlichem Lebensbereich kann diese Scheu durchaus als anerzogen
betrachtet werden. In diesem Zusammenhang kann auch das folgende Zitat gesehen werden.
«Eu não teria coragem para fazer o que ela [Maria] faz», disse Teresa nesse dia em que a tinha
encontrado. Teresa, apesar de ser dotada de extraordinário bom senso e de rejeitar tudo o que não é
exacto e concreto, não seria capaz de romper com a vida dum quotidiano regular, ou talvez antes:
justamente por ser assim é que não seria capaz. 201
Teresa hat zwar einen stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, braucht aber ein bürgerliches,
geregeltes Leben. Gerade deswegen wäre sie nicht im Stande ein Leben im Untergrund zu
führen, wie Maria es für ihre Ideale tut. Teresa kommt an dieser Stelle sogar selbst zu Wort
und gibt zu, dass sie keinen Mut hätte ein Leben wie Maria zu führen. Eine Eigenschaft
Teresas, die von José außerdem hervorgehoben wird, ist ihre fast schon zu große
Kompromissbereitschaft:
Teresa submete-se facilmente as minhas vontades, por vezes até ao ponto de eu a achar demasiado
transigente. Condena-me assim ao papel do egoísta enquanto reserva para si o simpático papel de
vítima. Bem sei: da sua parte isso não é manobra, mas apenas a manifestação da sua índole
complacente. 202
Ein weiterer Aspekt, der im Roman immer wieder betont wird, ist der erstaunlich große
Unterschied zwischen Teresa und ihrer Mutter Dona Branca. Deren schrille Stimme erinnert
José an grelles, unangenehmes Gelbgrün, während Teresas Stimme, „suave e harmoniosa“ 203,
ihn an Blau erinnert. Während Dona Branca für José der Inbegriff des Künstlichen und der
Zurschaustellung ist, ist Teresa für ihn die Natürlichkeit und Zurückhaltung in Person. 204
Einmal fragt sich José „como era possível Teresa ser filha daquela mulher balofa e
199
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 52.
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 123.
201
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 124.
202
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 141.
203
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 25.
204
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 25.
200
51
irritante.“ 205 Es scheint so als würde Teresa allerlei Nippes sammeln oder zumindest von ihrer
Mutter geschenkt bekommen. Diese Angewohnheit Teresas kann José nicht nachvollziehen.
Er will solchen Tand in der gemeinsamen Wohnung weder am Bücherregal noch sonst
irgendwo stehen haben. Nicht nur solche Dinge, sondern auch die vielen Häkeldeckchen,
„que as mulheres faziam para matar o tempo“ 206, will José nicht im Haus haben. Ein Beispiel
dafür ist ein Wandteppich in Kreuzstich an dem Teresa ein ganzes Jahr lang gearbeitet hat und
der Jesus und die zwölf Apostel darstellt. José findet ihn furchtbar, sagt Teresa das aber erst,
als sie ihn nach der Hochzeit in der gemeinsamen Wohnung aufhängen will. Daraus resultiert
auch der erste Streit der Eheleute. 207
[Teresa] Chorou. Não compreendia. A tapeçaria não era uma cópia fiel dum quadro célebre? E as
cores e os gestos de Jesus não eram bonitos? Não se reconheciam tão nitidamente as pregas nas
roupagens? 208
Teresa versteht nicht warum der Wandteppich José und auch dem Dichter Simão Vicente, der
ebenfalls in der Pension von Dona Branca lebt, nicht gefällt. Sie ist vor allem schockiert, da
„Nunca ninguém até àquela data se tinha pronunciado desfavoravelmente, pelo contrário, toda
a gente louvava o seu minucioso trabalho.” 209 Teresa versteht nicht was an ihrer Handarbeit,
an der sie so fleißig gearbeitet hat, hässlich sein soll. Sie hat sich allerdings vor José noch nie
mit Kunst auseinandergesetzt und hat deshalb anfangs auch kein Verständnis für moderne
Malerei wie sie in Gils Bildern zu finden ist. Auch hier kann man den Einfluss einer
Gesellschaft erkennen, die grundsätzlich gegen alles Neue, Moderne ist und vor allem in der
modernen Kunst etwas Unmoralisches vermutet. So haben beispielsweise auch die Sousas
kein Verständnis für Josés Kunstdrucke von Bildern der Moderne und haben selbst nur ein
kitschiges Heiligenbild in ihrer Wohnung hängen. 210 Im Gegensatz dazu zählen
Häkeldeckchen und gestickte Wandbilder zur tugendhaften Freizeitbeschäftigung der Damen.
Vom personalen Erzähler erfährt der Leser außerdem, wie José und Teresa zu ihrem Hund
Tasso gekommen sind. Eines Tages bringt José einen kleinen, schmutzigen Welpen mit nach
205
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 148.
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 21.
207
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 140.
208
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 140.
209
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 140.
210
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 50.
206
52
Hause, von dem Teresa zuerst gar nicht begeistert ist: „Está carregado de pulgas“ 211.
Nachdem sie ihn jedoch in die Badewanne gesteckt und gewaschen hat, darf er bleiben und
sie geben ihm den Namen Tasso. Mittlerweile ist Teresa sogar stolz darauf, dass der schlaue
Hund geschlossene Türen öffnen kann. 212
Teresa begegnet José zum ersten Mal, als er auf Wohnungssuche ist und an der Tür der
Pension Modelo läutet. „Abriu-me a porta uma rapariga de cabelo preto, puxado para cima, à
«refugiada», o que valorizava o seu pescoço alto e delagado” 213, sagt José über diese erste
Begegnung. Teresa fragt ihn wie sie ihm helfen könne und José erklärt, dass er ein Zimmer
sucht. Sie führt ihn daraufhin ins Wohnzimmer, wo die Beiden eine belanglose Diskussion
beginnen. Schließlich betritt Dona Branca den Raum und zeigt José das zu vermietende
Zimmer. Doch José hat seine Entscheidung eigentlich schon getroffen als er Teresa gesehen
hat.
Die bisherige Lebensgeschichte von Teresa wird teilweise von José, teilweise von ihr selbst
erzählt. Die Informationen über Teresas Geburt und erste Lebensjahre hat José von Teresas
Mutter Dona Branca erfahren, als sie ihm von ihrem Leben erzählte. Dona Branca ist bei ihrer
Hochzeit etwas älter als sechzehn Jahre und in ihrer Ehe unglücklich. Teresas Vater ist
zwanzig Jahre älter als Dona Branca und wird von ihr als hinterwäldlerischer, despotischer
Mann dargestellt. Die Ehe mit ihrem ersten Mann beschreibt sie als „inferno“ 214. Auch als
Teresa geboren wird, verbessern sich die Verhältnisse nicht. Dona Branca verlässt ihren Mann
irgendwann und lässt Teresa bei ihm, damit es ihrer Tochter an nichts fehlt. Der herzlose
Ehemann ist jedoch der Meinung, dass das Kind bestimmt nach der Mutter kommen würde
und will sie deshalb nicht haben. An dieser Stelle beginnt Teresa selbst von ihrem Leben zu
erzählen. Sie erinnert sich an die verschiedenen Wohnungen und verschiedenen Männer, die
den Beiden ihr Leben finanzierten. Eines Tages begreift Teresa jedoch was dieses Leben und
die vielen wechselnden Männer eigentlich bedeuten. 215
Era assim que corria a nossa vida, e quando certo dia me apercebi do seu verdadeiro significado, tive
vergonha e chorei amargamente. [...] Os seus [Dona Brancas] sucessivos protectores nunca se
211
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 20.
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 18-21.
213
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 136.
214
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 142.
215
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 142.
212
53
mostravam com ela na rua e também não a cumprimentavam quando passavam por ela e iam
acompanhados. Isso devia magoá-la, e também a mim me magoava. 216
Trotz oder gerade wegen ihrer eigenen Vergangenheit achtet Dona Branca bei ihrer Tochter
peinlich genau darauf, sie entsprechend aller Traditionen und Gepflogenheiten zu erziehen. So
sitzt sie beispielsweise beim Deutschunterricht ihrer Tochter immer im selben Zimmer, bis
José ihr erklärt man lebe im 20. Jahrhundert und sie müsse sich nicht als Anstandsdame
aufspielen. 217 Als sich José und Teresa verloben, besteht sie darauf, dass José aus der Pension
auszieht. Es sei einfach unschicklich, wenn das Brautpaar schon vor der Hochzeit im selben
Haus wohnen würde. 218 Da Dona Branca selbst nie auch nur einen Fuß in eine Bar gesetzt hat
und ihrer Tochter so etwas sicher verboten hat, ist Teresa schockiert als José ihr vorschlägt
doch einen Cocktail in Nils Bar zu trinken. 219
Von Teresa erfährt man auch, wie Dona Brancas späterer zweiter Ehemann Severino in ihr
Leben getreten ist. Severino, der sich den bisherigen Lebensstil von Dona Branca und Teresa
nicht leisten kann und Dona Branca dazu bringt die Pension Modelo zu eröffnen, entscheidet
schließlich auch über Teresas Berufswahl. 220 „Teresa foi tirar o curso do Magistério, no
entender de Severino o curso mais rápido e mais barato para poder ajudar a mãe quanto
antes.” 221 Dieser von Severino gefasste Entschluss zeigt zum einen, dass die
Berufsmöglichkeiten für Frauen im Estado Novo sehr eingeschränkt waren. Zum anderen
sieht man auch, dass es in erster Linie um einen möglichst schnellen Zuverdienst zu den
Einnahmen der Mutter zu haben und nicht darum was Teresa eigentlich will. Sie wird
Volksschullehrerin. Von José erfährt man genaueres über die Lehrstelle:
[Teresa] dá aulas na escola primária duma zona pobre, num edifício velho, quase a cair, onde largas
frinchas por debaixo das portas e das janelas provocam constantes correntes de ar. Se ao princípio
manifestara entusiasmo pelo curso, [...] pouco a pouco foi ficando desiludida. 222
Die junge Frau ist mit ihrer Anstellung als Volksschullehrerin in einem der Vororte nicht
glücklich. Vor allem die Situation der armen Kinder belasten sie. Diese sind nämlich so
hungrig, verlaust und liebesbedürftig, dass sie nicht einmal Teresas Erklärungen folgen
216
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 142-143.
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 152.
218
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 159.
219
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 83.
220
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 143.
221
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 143.
222
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 166.
217
54
können. Auch mir den veralteten Unterrichtsmethoden, die ihre Kolleginnen anwenden, ist
Teresa nicht einverstanden. 223 Teresa und José träumen deshalb oft von der Verwirklichung
eines gemeinsamen Traumens, der Eröffnung eines Verlages mit angeschlossener
Buchhandlung. 224 Dann könne Teresa auch die unliebsame Stelle als Volksschullehrerin
aufgeben 225 und im Geschäft eine eigene Buchabteilung für Kinderliteratur organisieren 226.
Teresa kommt außerdem auf die Idee ein Buch der Woche herauszugeben 227 und einen
Ausstellungsraum für Kunst in ihrem Geschäft einzurichten. 228
Nachdem José in die Pension Modelo eingezogen ist, kommt es zu einer langsamen
Annäherung zwischen den beiden. Der Dichter Simão Vicente, der ebenfalls in der Pension
Modelo wohnt, veröffentlicht seinen ersten Gedichtband Pássaros à Meia-Luz. Capitão
Bigman Peixoto liest den Frauen eines Tages aus dem Buch vor und macht sich über die den
Dichter und seine Gedichte lustig. Die Damen brechen in Gelächter aus und José, dem Simão
Vicentes Gedichte gefallen, verlässt erzürnt das Zimmer. Daraufhin schämt sich Teresa und
bittet Peixoto mit dem lesen aufzuhören. Die Gedichte wären nicht dazu da sich darüber lustig
zu machen, sondern um von jemandem gelesen zu werden, der sie auch verstehen würde.
Dieses Ereignis macht José und Teresa zu Verbündeten und schafft eine engere Bindung. 229
Außerdem ist der Dialog zwischen Teresa und Peixoto in erzählter Rede wiedergegeben, was
bedeutet, dass sie hier selbst zu Wort kommt und für ihre Verhältnisse relativenergisch
auftritt. Teresa begeistert José vor allem, weil sie „tão jovem, tão feminina e ao mesmo tempo
tão compreensiva“ 230 ist. Diese Verbundenheit wird dadurch gestärkt, dass Dona Branca ihre
Tochter bei José Deutschstunden nehmen lässt. So kann das junge Paar mehr Zeit miteinander
verbringen. Teresa ist kein Sprachtalent und erst als sie mit José verheiratet ist und sie einen
Besuch in seiner alten Heimat planen, beginnt sie ernsthaft Deutsch zu lernen und sich auch
dafür zu interessieren. 231
Was Teresas Verhältnis zu Josés Freunden aus Gils Gruppe betrifft, erzählt José folgendes:
223
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 166.
Vgl. u.a. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 22, S. 167, S. 179 u. S. 181.
225
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 22.
226
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 167.
227
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 179.
228
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 181.
229
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 149-151.
230
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 154.
231
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 152-153.
224
55
O mundo do grupo de Gil era um mundo inédito para Teresa. Calada, ouvia as longas discussões sobre
pintura, livos e política. Sobretudo Maria intimidava-a, com os sólidos conhecimentos dos problemas
sociais, a segurança e a lógica com que argumentava. 232
Teresa ist nicht so aufgeschlossen, wie beispielsweise Maria, viele Gedanken und
Diskussionen der Gruppe sind ihr völlig fremd. Wie bereits in Bezug auf Gils Bilder erwähnt
wurde, kann sich Teresa erst nach und nach für Neues öffnen und einen Blick über den
Tellerrand wagen.
Als Teresa und José heiraten wollen, gestaltet sich auch das vorerst als Problem. José mag
große Hochzeiten nicht und da Dona Branca nicht begeistert davon ist, ihre Tochter mit einem
Ausländer zu verheiraten, möchte er einfach durchbrennen und Teresas Mutter vor vollendete
Tatsachen stellen. Doch Teresa ist anderer Meinung. 233
Ficou excitada, até chorou. «Sempre vivi na sombra» — dizia — «quase como que clandestinamente.
O meu pai não me quis consigo. A minha mãe arrastou-me como um fardo. Faz por compreender,
José, quero que toda a gente saiba que nos vamos casar, quero ter uma festa a valer.» 234
Man einigt sich schließlich auf eine große, standesamtliche Hochzeit, da José halb jüdisch,
halb protestantisch ist und sich nicht taufen lassen möchte. Dona Branca und Severino
schöpfen all ihre Möglichkeiten aus, damit es ein herrliches Fest wird. Alle Freunde sind
geladen und es wird genau die Hochzeit, die Teresa sich gewünscht hat. 235
Den ersten größeren Betrag, den das junge Ehepaar gemeinsam gespart hat, verwendet es für
einen Besuch in Josés alter Heimat Deutschland. Teresa versteht, dass ihr Mann gerne nach
Hause fahren möchte, ihr selbst gefällt es in Deutschland aber nicht. Sie mag die Bettdecken
nicht, die man nicht wie in Portugal unter dem Fußende der Matratze einschlagen und
feststecken kann. Der Wald ist ihr zu dicht und raubt ihr die Luft zum Atmen, weshalb José
beschließt allein zum alten Fennegut zu fahren – ein Ort, der ihm in seiner Jugend sehr viel
bedeutet hat und den er so nicht mit Teresa teilen kann. Die Landschaft gefällt Teresa auch
nicht, es ist ihr alles viel zu grün. Auf der Heimfahrt nach Portugal erzählt Teresa José von
ihrer Schwangerschaft. 236
232
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 153-154.
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 158.
234
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 158.
235
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 159-163.
236
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 181.
233
56
Der Leser erfährt von José, dass Teresa durch die Schwangerschaft gewissen Dingen
gegenüber gleichgültig wird, die vorher wichtig für sie waren. Sie vernachlässigt erst Tassos
Fell, das sie vorher regelmäßig gebürstet hat, und schließlich auch sich selbst. Ihre Haare, die
sie vorher immer gepflegt und ordentlich frisiert getragen hat, sind meist fettig und fallen ihr
in einer dicken Strähne vor die Augen. Zuletzt hat Teresa an einem gelben Jäckchen gestrickt.
Sie ist der Meinung, dass die Farbe Gelb neutral wäre und man Gewand in der Farbe sowohl
für ein Mädchen, als auch einen Jungen verwenden könnte. Als die Wehen einsetzen fröstelt
Teresa, José legt ihr eine Decke um die Füße und macht ihr einen Melissentee. 237 Während
der Geburt stehen Dona Branca und die Hebamme Marcelina Teresa bei. Ihr erstes Kind, ein
Sohn, wird vor Sonnenaufgang geboren.
Teresa kann als die weibliche Hauptfigur des Romans gesehen werden. Nicht nur weil die
Geburt ihres ersten Kindes erst die Rahmenhandlung der Geschichte ermöglicht, sondern auch
weil sie die Figur ist, die am öftesten in erzählten Reden ihre Meinung kund tut. Sie ist
anfangs trotz allem eher ein traditionell erzogener Frauentyp. Sie ordnet sich José gerne unter
und entspricht damit auch dem portugiesischen Idealbild einer Frau. Durch die Beziehung zu
José wird sie allerdings merklich offener und legt zumindest einen Teil ihre Vorurteile ab.
Dementsprechend sind ihre Kommentare oft nicht besonders revolutionär, meistens aber
impulsiv und ehrlich. Wie die meisten Charaktere des Romans wird Teresa am häufigsten von
José und dem personalen Erzähler der ersten Kapitel beschrieben. Danach kommt sie
eigentlich relativ oft selbst zu Wort: entweder im (erzählten) Dialog mit José, in kurzen
Aussagen über andere Charaktere des Buches oder aber auch über sich selbst, beispielsweise
als sie von ihrem Leben erzählt 238, sich über die Unterrichtsmethoden in der Schule
beschwert 239 oder zugibt das sie nicht so mutig wie Maria wäre 240. Da aber auch bei Teresa
die Berichte von José überwiegen, kann man bei ihrer Inszenierung von einer indirektdirekten Mischform sprechen.
237
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 19-20.
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 142-143.
239
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 166-167.
240
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 124.
238
57
6.1.5.
Maria
Maria ist eine junge Frau aus dem Freundeskreis um Gil. Dort lernen sie und José sich auch
kennen. Der Leser kommt mit ihr bereits im ersten Kapitel in Berührung, wo sie vorerst nur
als „Maria que desapareceu“ 241 erwähnt wird. Innerhalb von Gils Gruppe kann sie als
revolutionärste, radikalste, aufgeschlossenste und vielleicht auch mutigste Figur betrachtet
werden, wie folgende Aussage Marias zeigt: “A única conclusão a que se chega e de que
precisamos é esta: romper radicalmente com os velhos preconceitos para consegurimos
objectivos novos” 242. Sie ist zudem einer der bemerkenswertesten und am detailliertesten
beschriebenen Frauencharaktere des Romans. Als José Gils Gruppe beschreibt, sagt er über
Maria:
Maria embirrava com Luís, porque, apesar de ele defender uma reviravolta da situação e dos
costumes, nunca trazia a mulher consigo nem a fazia participar nos seus interesses. Maria, agora
sentada no único banquinho do cubículo, escrevia short-stories, sistematicamente recusadas pelas
editoras e pelos jornais diários, razão por que as publicava, de graça, em periódicos de província que
pedinchavam colaboração. 243
Maria lebt für ihre Ideale und versteht nicht warum Luís seine Ehefrau nie zu den Treffen
mitnimmt, obgleich er sich an den Diskussionen über soziale Ungerechtigkeit und
Gleichberechtigung immer beteiligt und ebenfalls liberale Ansichten an den Tag legt. Ihrer
Meinung nach darf man nicht nur Ideale haben, sondern man muss auch voll und ganz danach
leben. Und diesen Grundsatz lebt Maria auch. Sie schreibt Kurzgeschichten, die von den
systemtreuen Zeitschriften abgewiesen werden. Außerdem zeigt sie, wie die erzählten Reden
beweisen, keine Scheu davor auch in Gegenwart von Männern ihre Meinung zu sagen, laut
oder energisch zu werden, oder ihnen sogar zu widersprechen. 244 Als sie José mit den anderen
aus Gils Gruppe in seinem Zimmer bei Dona Ambrosina besucht, wird ihre Stimme als
ungezwungen und fest beschrieben. Es wird auch erwähnt, dass sie mit „fervor e
tenacidade“ 245 über die Themen spricht, die ihr am Herzen liegen. 246 Dass Maria anders ist,
241
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 18.
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 126.
243
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 122.
244
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 121-129.
245
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 135.
246
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 135.
242
58
als die meisten portugiesischen Frauen, merkt nicht nur der Leser. Auch José spricht es
explizit an:
Maria distinguia-se da maioria das raparigas pelo à-vontade com que se movia, falava, gesticulava.
Teresa, apesar de ser mais graciosa e mais bonita do que ela, só há pouco tempo se libertou dum certo
constrangimento em presença de homens ou de estranhos. Fernando afirmava ser Maria a única
rapariga emancipada entre as suas conhecidas. Uma trança castanha-escura emoldurava-lhe a cara de
olhos claros, redondos. Fernando nunca se cansava de lhe fazer retratos na tampa da mesa do café. 247
Maria wird als nicht so hübsch wie Teresa beschrieben, aber als freier in ihren Gedanken,
Gesten, Bewegungen und ihrer Sprache, etwas das den meisten portugiesischen Frauen im
Umgang mit Männern schwer gefallen sein könnte. Zurückhaltung galt sicher als eine
rühmliche, weibliche Eigenschaft. Maria wird von Fernando als einzige emanzipierte Frau
bezeichnet, ihr Äußeres mit dunkelbraunen Haaren und hellen Augen beschrieben.
Eine noch detailreichere Beschreibung gibt Renato, der Maria am längsten kennt. In gewisser
Weise erklärt er auch ihre Art und macht dem Leser begreiflich, wie Maria zu dem Mensch
werden konnte der sie ist:
«Maria perdeu a mãe muito cedo», contou-me Renato nos primeiros dias do nosso convívio. «Se ela
leva uma vida menos espartilhada do que a maior parte das nossas raparigas e mulheres, deve-o ao
pai. Não porque seja um homem de ideias largas, pobre dele. Dedica-se nas horas vagas da sua
actividade de procurador à literatura sobre o espiritismo e às suas mais diversas práticas. Dizer que a
Maria lhe é indiferente, talvez seja exagero, mas não lhe sobra tempo para se ocupar dela, de modo
que a sua tolerância é mais fruto de distracção do que de largueza de ideias». 248
Diese Textpassage veranschaulicht, dass Maria ihre Mutter früh verloren hat. Laut Renato
liegt vielleicht gerade in diesem Verlust die Erklärung, warum sie sich vom Großteil der
portugiesischen Mädchen und Frauen so sehr unterscheidet. Ihr Vater hatte zu wenig Zeit um
sich mit ihr zu beschäftigen. Ihre Toleranz und Offenheit ist also weniger eine Folge einer
durch den Vater vorgelebten Offenheit und Meinungsfreiheit ist, sondern ist eher aus
Nachlässigkeit zustande gekommen. Aber nicht nur das habe ihre Ideale geprägt.
Era ela [Maria] quem o [Renato] conhecia desde a sua infância, pois moravam no mesmo prédio.
Renato, bastante mais velho do que ela, compreendeu a sua solidão e resolvera encarregar-se daquela
menina de olhos curiosos e perspicazes, ajudando-a nos deveres escolares e fazendo-a encarar a vido
do mesmo modo que ele a encarava. Foi também ele que a introduziu, mais tarde, no grupo de Gil. 249
247
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 123.
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 123.
249
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 125-126.
248
59
Es mögen also sowohl die Unachtsamkeit oder Unbedarftheit ihres Vaters, als auch die
verbrachte Zeit mit Renato zu Marias Lebenseinstellung und –weg beigetragen haben. Schon
bevor Maria untertauchen muss, sieht man wie stark sie ihren Idealen verbunden ist. „Maria,
aberta e sem reservas em todos os outros assuntos, fechava-se-nos quanto aos seus problemas
íntimos.” 250 Sie verschließt sich sogar Renato gegenüber, der eigentlich ihr bester Freund ist.
Trotzdem bemerken die Freunde, dass sie und Fernando, ein anderer junger Mann aus Gils
Freundeskreis, sich zu einander hingezogen fühlen. José meint diesbezüglich:
Renato e eu tínhamos pena de Maria e de Fernando, porque sabiamos que se amavam, mas que nem
um nem outro o queria confessar. Maria porque isso se afigurava traição aos seus ideais, Fernando por
um absurdo orgulho pessoal. No dizer de Renato, Fernando estava mais próximo de Maria do que se
supunha, mas a falta de maleabilidade, evidente característia dela, embaraçava-o e tornava-o
agressivo. 251
Auch wenn Maria Interesse an Fernando hat, kann sie nicht aus ihrer Haut heraus. Würde sie
sich Fernando offenbaren und vielleicht mit ihm eine Beziehung eingehen, hätte sie das
Gefühl ihre Ideale von Freiheit, Gleichheit und Gleichberechtigung der Frau zu verraten.
Auf Josés und Teresas Hochzeit sehen sie Maria zum letzten Mal. Einige Tage später taucht
sie unter und verlässt die Stadt. Von José erfährt der Leser folgendes über diese letzte
Begegnung mit Maria:
Estava bonita, com um vestido verde-mar e um raminho de botões-de-rosa espetado no ombro. Simão
não a largava e acabou por lhe oferecer os Pássaros à Meia-Luz. Fernando, nessa tarde, falou pouco,
esteve a maior parte do tempo encostado a uma parede a beber, mas vi que a certa altura se aproximou
de Maria e de Simão, agarrou o braço de Maria por um curto momento, disse-lhe alguma coisa que
não ouvi, ela olhou para ele, primeiro duma maneira grave, para depois lhe sorrir e lhe afastar a mão
com um gesto maternal; ele deu uma gargalhada e retirou-se de novo. 252
José beschreibt sie als hübsch, mit einem meergrünen Kleid, mit einem Sträußchen
Rosenknospen an die Schulter gesteckt. Der Dichter Simão Vicente scheint von ihr begeistert
zu sein, lässt sie nicht aus den Augen und schenkt ihr sogar seinen ersten veröffentlichten
Gedichtband Pássaros à Meia-Luz. Es ist außerdem das erste Mal, dass José beobachten kann
wie Fernando auf Maria zugeht. Vielleicht ist er eifersüchtig, denn er sagt etwas zu ihr, sie
weist ihn daraufhin aber ab.
250
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 126.
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 125.
252
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 162.
251
60
Nachdem Maria untergetaucht ist, erfährt man noch einmal etwas von ihr. Teresa erzählt José,
Maria getroffen zu haben:
«Calcula tu quem encontrei! A Maria!» — exclamou outro dia a Teresa ao voltar da rua. — «Quase
não a conhecia, de tão mudada que está. Costumava andar sempre tão apuradinha e agora trazia um
casaco preto, muito mal talhado, óculos de armação antiquada, e cortou as lindas tranças. [...]
Mostrou-se embaraçada quando lhe falei. Conheceste-me logo?, perguntou. Disse-lhe que não, que até
tivera dúvidas se era de facto ela. E era verdade. Propus-lhe tomar um café comigo, mas não aceitou.
Carregava com uma saca descomunal. Manda-te cumprimentos e disse que estava fixe como de
costume, mas que, por grande favor, não falássemos a ninguém do meu encontro com ela.» É assim a
Maria, destemida e consequente. 253
Maria bleibt ihren Idealen also soweit treu, „consequente“ wie José sagt, dass sie als
Opportunistin sogar untertauchen muss. Sie taucht aber nicht einfach so unter, sondern wird
von Luís, dem sie immer schon misstraut hat 254, bei der PIDE verraten. Wie José betont,
versorgte Luís die PIDE schon seit geraumer Zeit mit Informationen über Maria und verlässt
kurz nachdem sie untergetaucht ist Gils Gruppe. 255 Wie Teresa erzählt, scheint das Leben im
Untergrund Maria zuzusetzen, denn sie ist verändert: die schönen Zöpfe hat sie abgeschnitten,
sie trägt eine Brille mit altmodischen Gestell und ist im Gegensatz zu früher, nicht mehr gut
oder sorgfältig gekleidet. Sie möchte außerdem nicht, dass Teresa und José jemandem von
ihrer Begegnung erzählen und schleppt eine große Tasche mit sich.
Wie bereits am Anfang erwähnt, ist Maria eine der stärksten weiblichen Charaktere in Sob
Céus Estranhos. Sie ist der Meinung man müsse radikal mit alten Vorurteilen brechen um
endlich eine neue Gesellschaft bilden zu können. Auch wenn es dazu führt, dass sie in der
Gesellschaft bestimmt eine Außenseiterin ist und schließlich sogar die Stadt verlassen muss,
vertritt Maria konsequent ihre Einstellung und ihre Ideale. Von Fernando wird sie sogar als
die einzig emanzipierte Frau in seinem Bekanntenkreis bezeichnet. 256 Sie ist das, was man als
Freigeist bezeichnen könnte und wird in Gils Gruppe als gleichwertiges Mitglied angesehen,
von Josés Vermieterin Dona Ambrosina wegen ihrer offenen, direkten Art sogar bewundert.
Maria kommt relativ oft selbst zu Wort 257, meist in Bezug auf ihre Weltanschauung und im
Diskurs mit Luís, Fernando, Renato und José. Sie selbst gibt wenig über ihr Innerstes, ihre
253
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 123.
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 126.
255
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 127.
256
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 123.
257
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 121-128.
254
61
Gefühle preis. José begründet diese fehlenden Informationen damit, dass sie ihnen allen
gegenüber ihre intimsten Gefühle verheimlichte. Durch ihre Aussagen, ihr Widersprechen,
ihre Diskussionen und das sich-Luft-machen über verschiedenste Themen kann man aber
auch etwas über ihre Persönlichkeit erfahren. Trotzdem sind die meisten Beschreibungen, die
ihr Aussehen, ihre Biografie und ihren Charakter betreffen, indirekt und werden von José oder
in erzählten Reden von Renato, Teresa und Fernando vorgenommen. Marias Inszenierung
gehört trotz ihrer Stärke zu den indirekt-direkten Mischformen des Romans.
6.1.6.
Dona Ambrosina und Dona Alice
Bei Dona Ambrosina und Dona Alice handelt es sich um zwei ältere Damen, die Schwestern
sind und sich sehr in ihrem Wesen und ihren Ansichten unterscheiden. José trifft auf die
Beiden, als er bei den Sousas hinausgeworfen wird und als Untermieter bei Dona Ambrosina
einzieht.
Dona Ambrosina ist die „víuva de um professor de instrução primária, na Rua de Santo
Ildefonso“ 258. Nachdem ihr Mann verstorben und ihr Sohn nach Mosambik gegangen war,
hatte sie sich entschieden ein Zimmer zu vermieten. Nicht weil sie das Geld brauchte, sondern
um eine Tätigkeit zu haben und wie José Dona Ambrosina zitiert „por não querer
embrutecer“ 259, also um nicht abzustumpfen. 260 Folgendes erzählt José seinem Freund Gil
über die Dona Ambrosinas Wohnung:
A casa de D. Ambrosina afigurava-se-me um disparate com a sua tralha velha sem beleza, da qual a
boa velhota não se atrevia a desfazer-se porque receava a desaprovação do marido, lá do alto do céu. É
que a sucata já fora da família dele: os candeeiros, as colecções, sem valor, de leques e caixas de rapé,
os bonequinhos delouça, os quadros adquiridos na rua, e não sei o que mais. E esse medonho cheiro,
próprio das casas velhas, que me evocava a morte e se me fixava nas narinas de modo que o sentia em
todas as coisas e em todas as pessoas. 261
Dona Ambrosina wagt es nicht die alten Sachen ihres Mannes wegzugeben, weil sie fürchtete
sich dadurch seine Missbilligung aus dem Himmel zuzuziehen. Trotz dieser Angst und dem
Leben zwischen alten, verstaubten Erinnerungsstücken, scheint Dona Ambrosina eine patente,
agile und auch recht moderne Frau zu sein. Laut José sagt sie selbst, dass sie nicht abstumpfen
258
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 91-92.
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 110.
260
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 110.
261
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 109.
259
62
möchte und deshalb eines ihrer Zimmer vermietet. Dona Ambrosina unterscheidet sich
entscheidend von Josés anderen Vermieterinnen, den Sousas und Dona Branca: sie ist
neugierig und interessiert daran, die Welt und das Leben ihrer Untermieter zu erkunden und
ist mit ihrem Leben zufrieden wie es ist. Josés Meinung nach könne man sie sich auch gut in
einer verantwortungsvollen Stelle vorstellen, etwa als Leiterin eines Sekretariats, einer
Bibliothek oder sogar einer Schule. 262
Mexia-se com desembaraço, apesar dos seus setenta anos, encarregava-se de recados, ajudava-me a
pôr os livros em ordem, por autores e por assuntos, e resolutamente dispôs-se a aprender a esrever na
minha máquina. Renato dizia que ela se parecia com um capitão sem barco, o que me fazia lembrar o
velho Sperber, pois tal como ele D. Ambrosina interessava-se vivamente pelo seu semelhante. Tal
como ele, também se interessava por vezes em excesso: sempre que me entregava cartas com selos
americanos perguntava infaliavelmente: «Do mano?». Tony contava para ela como factor máximo da
minha vida. Falava nele às pessoas que me procuravam: «O mano do Sr. José vive em Nova Iorque,
num desses prédios altos, chamam-lhes arranha-céus, num vigésimo quinto andar, só pensar nisso já
me dá tonturas...». Dizia coisas assim com um entusiasmo como se partilhasse da minha vida. Por
tudo isso, pelo seu desembaraço, pela sua natural curiosidade de tudo que lhe era novo, desconhecido,
eu estranhava ela não saber desfazer-se das tralhas inúteis e sem valor. Mas — quem sabe — isso
talvez tivesse a sua origem no modo de alguma catástrofe e ela procurasse amparo naqueles objetcos
do passado. 263
Dona Ambrosina wird als neugierige, interessierte Frau beschrieben, die Anteil am Schicksal
ihrer Mitmenschen nimmt und neuen Dingen gegenüber durchaus aufgeschlossen ist.
Immerhin lernt sie auf ihren eigenen Wunsch hin in ihrem Alter noch das
Maschinenschreiben. Gerade deshalb wundert es José aber, dass sie sich von den ganzen alten
Sachen in ihrer Wohnung nicht trennen kann. Sie wird an dieser Stelle von José beschrieben
und von Renato, der sie einen Kapitän ohne Schiff nennt. In erzählten Reden kommt sie
jedoch auch selbst zu Wort, beispielsweise wenn sie nach Josés Bruder Tony fragt, anderen
erzählt, dass sie nie in einem fünfundzwanzigsten Stock wohnen könnte, oder erklärt das sie
nicht abstumpfen möchte. Außerdem wird sie als mütterlich beschrieben, vor allem in
Zusammenhang mit Gil:
Ela simpatizava com Gil. A sua figura delicada e o seu ar débil despertavam-lhe sentimentos
maternais. Oferecia-lhe fatias de bolo e bolachas. O sorriso com que ele lhe agradecia enternecia-a.
Precisa de engordar, Sr. Gil», dizia, ou «não deve trabalhar tanto». Todavia achava que o quadro da
menina nua, também na sua opinião um pouco indecente, não dizia bem com ele e que a Escola das
Belas-Artes não era recomendável para se mandar lá a gente nova estudar; por toda a parte o constava,
262
263
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 110.
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 110.
63
e o cunhado contara-lhe que até obrigavam as alunas a retratarem homens nus. Evidentemente que não
culpava o Sr. Gil, pois se os próprios professores lhe tinham ensinado tais poucas vergonhas... 264
Interessanter Weise ist sie eine der wenigen Frauen im Buch, die nichts gegen die
Emigrantinnen. Ganz im Gegenteil: „D. Ambrosina sentia-se atraída pelo ar de independência
dessas mulheres que revelavam um alento a que ela, inconfessadamente, aderia.” 265 Sie
verteidigt sie sogar gegen gehässige Aussagen ihrer Schwester, die vom Lebenswandel und
der Offenheit der Emigrantinnen schockiert ist. 266 Besonders beeindruckt scheint Dona
Ambrosina von Maria zu sein, die eines Nachmittags mit Gils Gruppe zu José auf Besuch
kommt. José beschreibt zwar auch, dass Dona Ambrosina Maria mit einer Mischung „de
repulsa e de admiração“ 267 ansah, trotzdem verweigert sie ihr nicht den Zutritt zu Josés
Zimmer und sagt sogar „Muito prazer“ 268, als sie ihr vorgestellt wird. Nach einer Weile
unterbricht Dona Ambrosina allerdings die lebhafte Diskussion und bittet José nach draußen,
wo sie ihn fragt ob es sich bei Maria um die Schwester einer seiner Freunde handeln würde,
doch da ist es bereits zu spät. Dona Ambrosinas Schwester Alice läutet an der Tür und sofort
als sie eine weibliche Stimme in Josés Zimmer hört, stürzt sie in dasselbe und verweist Maria
des Hauses. Daraufhin wird Dona Ambrosina gezwungen José als Untermieter zu kündigen.
Als Dona Alice und ihr Mann sie auch noch dazu überreden wollen, dass sie das Vermieten
von Zimmern ganz aufgeben und sich lieber auf das Andenken ihres Mannes konzentrieren
soll, weigert sie sich. Über Nacht verschwindet Dona Ambrosina und eröffnet in Coimbra
eine Pension für Studenten. Die Schwester findet nur die leere Wohnung vor und erhält einen
Brief in dem steht „Sou maior e revacinada“ 269, eine Redewendung dafür, dass sie bereits
volljährig sei und selbst über ihr Leben entscheiden könne. 270 Dona Ambrosinas Figur
gewinnt besonders dann an Stärke, wenn man sie im Kontrast zu ihrer Schwester Dona Alice
sieht.
Dona Alice ist verheiratet, wirkt verbittert und hat eine sehr enge, starre Sichtweise der
Dinge:
264
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 134.
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 111.
266
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 111.
267
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 134.
268
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 134.
269
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 135.
270
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 134-135.
265
64
[...] mantinha opiniões tacanhas sobre todas as coisas do mundo e para quem Portugal estava dum lado
e todo o resto do globo e os que lá habitavam do outro. «Cá faz-se assim», que queria dizer na dela:
«Assim esta certo». Os estrangeiros eram gente «de fora», diferentes da gente de cá, e portanto cheios
de defeitos deploráveis. As mulheres «lá de fora» eram «umas desavergonhadas», frequentavam os
cafés como se fossem homens. 271
Dona Alice ist wie besessen von der Idee, dass Portugal auf der einen, guten Seite stünde und
alle anderen Länder und damit auch deren Bewohner von der anderen, schlechten Seite
kämen. In ihren Augen ist einzig die Art und Weise wie man Sachen in Portugal macht
richtig. Zudem findet sie für die schamlosen Emigrantinnen nur schlechte Worte, ja Dona
Alice bekreuzigt sich sogar 272, wenn sie diese Frauen auch nur in den Kaffeehäusern sitzen
sieht. Dona Alice ist außerdem dagegen, dass ihre alleinstehende Schwester ein Zimmer
vermietet, denn man sollte sich keine Fremden ins Haus holen. José betont aber auch, dass sie
gegen ihn nicht wirklich etwas hatte, denn ihrer Meinung nach würden Männer ihre
Schamlosigkeiten und Unanständigkeiten außerhalb des Hauses ausleben, während Frauen
dies in ihren vier Wänden täten. Umso entsetzter ist sie, als sie hört, dass ihre Schwester
Ambrosina ein weiteres Zimmer an eine Emigrantin vermieten will. Natürlich kommt sie
sofort unangemeldet zu Besuch, um die neue Untermieterin zu begutachten. Als diese sich
aber als alte, bescheidene Senhora Grünbaum entpuppt, ist Dona Alice erleichtert. 273 Ein für
Dona Alice schockierendes Erlebnis trägt sich zu, als sie eines Sonntags ihre Schwester
besucht und, da José außer Haus ist, misstrauisch sein Zimmer inspiziert. José hat von Gil ein
Bild geschenkt bekommen auf ein sich im Sand rekelndes, nacktes Mädchen zu sehen ist.
Dona Alice sieht es und ist schockiert. Sie bekreuzigt sich drei Mal und sagt, dass sie das
Gemälde anstößig findet und dass ihre Schwester solch eine Liederlichkeit in ihrer Wohnung
nicht dulden könne. Daraufhin antwortet Dona Ambrosina schlicht, solange der junge Herr
sein Zimmer pünktlich bezahle wäre das Zimmer sein und er könne darin aufhängen was er
wolle. 274 Josés Ehefrau Teresa äußert sich über diese Reaktion Dona Alices wie folgt: „Não
compreendo como a estúpida da irmã de D. Ambrosina pôde ver algum mal numa coisa tão
perfeita.” 275 Nachdem José durch das Bild des nackten Mädchens an Ansehen bei Dona Alice
verloren hat, eskaliert die Situation, als sie ihrer Schwester wieder einmal einen spontanen
271
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 110-111.
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 111.
273
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 111.
274
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 134.
275
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 132.
272
65
Besuch abstattet und sieht, dass sich in Josés Zimmer nicht nur Männer aufhalten, sondern
auch eine junge Frau – Maria. Dieser Vorfall, sagt José, „deu origem à mudança na vida de D.
Ambrosina e também na minha” 276. Dona Alice schafft es schließlich mit Hilfe ihres
Ehemannes Dona Ambrosina dazu zu bringen José hinauszuwerfen. Doch als sie ihrer
Schwester auch noch verbieten will weiterhin Zimmer zu vermieten, da sich das nicht für eine
Witwe gehöre, geht sie zu weit. Das nächste Mal, als Dona Alice ihre Schwester Ambrosina
besuchen will, findet sie ein leeres Haus vor und bekommt wenig später einen Brief in dem
Dona Ambrosina ihr schreibt, sie sei volljährig und lasse sich nicht mehr bevormunden. 277
Dona Ambrosina kann als eine der starken, relativ emanzipierten portugiesischen
Frauencharaktere des Romans gesehen werden. Sie ist zwar verwitwet und lebt in einer mit
Andenken und Sammelstücken ihres Ehemannes vollgestopften Wohnung, sie steht Neuem
aber aufgeschlossen gegenüber und interessiert sich für das Leben und die Erlebnisse der
Anderen. So lernt sie von José beispielsweise mit siebzig Jahren noch Maschinenschreiben,
bewundert die jungen, aufgeschlossenen Emigrantenfrauen, die sich ihren Lebensbereich in
den starren Strukturen Portugals erobern, und hat kein Schubladendenken was Unmoral und
Moral betrifft. Auch als man ihr vorschreiben will, wie eine anständige Witwe zu leben habe,
lässt sie sich nicht beirren und eröffnet in Coimbra eine Pension. Sie ist zwar durch ihr Alter,
ihr Leben und ihre Schwester den gutbürgerlichen Verhältnissen und Verhaltensweisen
verhaftet, empfindet den frischen Wind, den die Emigranten nach Portugal bringen, aber als
etwas Wohltuendes, Aufregendes. Interessanterweise ist sie auch einer der Charaktere, über
den sich nicht nur José äußert, sondern auch Renato, Gil und Teresa. Sie selbst kommt durch
erzählte Reden ebenfalls zu Wort. Ihre Aussage „nem todos temos o mesmo modo de ver“ 278
charakterisiert und zeichnet sie am meisten aus. Dona Ambrosinas Figur kann als indirekte
Inszenierung gesehen werden, die leichte Spuren direkter Inszenierung aufzeigt.
Dona Alice ist das genaue Gegenteil ihrer Schwester. Sie lebt verheiratet in Porto und hat
nichts Besseres zu tun, als sich neugierig in das Leben aller, vor allem aber das ihrer
verwitweten Schwester Ambrosina, einzumischen. Die nach ihrem Empfinden „schamlosen“
Emigrantinnen beäugt sie mit großer Skepsis. Auch den Wunsch ihrer Schwester, Zimmer zu
vermieten, kann sie nicht verstehen. Für eine Witwe sei diese Art Geld zu verdienen keine
276
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 135.
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 135.
278
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 134.
277
66
angemessene Tätigkeit. In ihren Augen ist alles was portugiesisch ist, was aus Portugal
kommt und wie etwas in Portugal gemacht wird, das einzig Richtige. Sie kann
Andersdenkende nicht akzeptieren und ist in ihrem Denken durch die Traditionen des
patriarchalen Staates geprägt. Sie wird Großteils von José beschrieben, aber auch Teresa und
ihre Schwester Dona Ambrosina äußern sich über sie. Sie selbst äußert sich in ein oder zwei
erzählten Reden, wird also stärker indirekt inszeniert als ihre Schwester. Ich würde sie daher
unter die Kategorie der indirekten Inszenierung einordnen, mit einer leichten Tendenz zu
einer direkten Beschreibung.
6.1.7.
Nazaré
Nazaré ist neben Dona Branca die zweite Frau im Roman, die in den Augen der
portugiesischen Gesellschaft einen zweifelhaften Ruf besitzt und die eigentlich nur durch
unglückliche Umstände und die Gesellschaft selbst zur Prostituierten wird. Der Leser lernt die
junge Nazaré kennen als José in die Pension Modelo zieht und über die Gäste berichtet.
Darunter befindet sich auch „o capitão Bigman Peixoto de Almeida com a sua Nazaré” 279.
Auf den ersten Blick würde man hier nichts Ungewöhnliches vermuten, es könnte sich
immerhin auch um ein Ehepaar handeln. Der Leser erfährt an dieser Stelle von José, dass
Nazaré den Dichter Simão Vicente immer bewundernd und überrascht ansieht. José ist sich
allerdings nicht sicher ob diese Bewunderung daher rührt, dass Nazaré die philosophischen
Worte von Simão nicht versteht oder weil ihr der junge, gutaussehende Simão besser gefällt
als Capitão Bigman Peixoto Almeida, der schon in seinen Fünfzigern ist. 280
Die nächste Stelle, die sich mit Nazaré beschäftigt, gibt eine relativ ausführliche
Beschreibung ihres Charakters und ihrer Art wieder:
Nazaré, de vinte e cinco anos de idade, que com ele [Capitão Bigman Peixoto Almeida] partilhava o
quarto e a cama, pertencia ao tipo físico de mulher corrente em Portugal, baixa, roliça e com um rosto
de beleza calma. Quem a visse a tricotar, sentada na cama de casal, no quarto impecavelmente
arrumado, ou quem observasse como cuidava, protegendo o vestido com um avental, das suas plantas,
tomá-la-ia por uma rapariga de origem castiçamente burguesa. 281
279
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 144.
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 145-146.
281
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 146.
280
67
Nazaré wird hier als junge, fünfundzwanzigjährige Frau beschrieben. Der Leser erfährt
zudem, dass sie ihr Zimmer und auch das Bett mit Capitão Bigman Peixoto Almeida teilt, also
auch eine sexuelle Beziehung zu ihm unterhält. Nazaré wird als klein, mollig und mit einem
Gesicht stiller Schönheit beschrieben. Dieses Aussehen wird von José als „typisch
portugiesisch“ oder „für portugiesische Frauen üblich“ bezeichnet. An anderer Stelle wird
erwähnt, dass sie roten Lippenstift trägt. 282 Um ihr Wesen zu beschreiben, wird auf diverse
hausfrauliche
Qualitäten
zurückgegriffen:
stricken,
Sauberkeit
des
Zimmers,
die
gewissenhafte Pflege ihrer Topfpflanzen, das Verwenden einer Schürze bei der Arbeit um ihr
Kleid zu schonen. Von José wird angemerkt, dass jeder der sie so gesehen hätte für ein
anständiges, bürgerliches Mädchen gehalten hätte. Wie im Fall von Dona Branca gelingt es
Nazaré durch diese löblichen Eigenschaften den Schein einer anständigen, vorbildlichen
jungen Frau zumindest auf den ersten Blick zu wahren. Gleichzeitig wird aber die
Oberflächlichkeit dieser Stereotype sichtbar. Eine Frau, wird automatisch für eine
Prostituierte gehalten, wenn sie einem Mann zulächelt oder nach Anbruch der Dunkelheit
außer Haus geht. Nazaré hingegen, die eine Prostituierte ist und nun mit einem verheirateten
Mann in wilder Ehe lebt, kann allein durch ihr Auftreten als anständige, bürgerliche Frau
durchgehen. Dies kommt auch an einer anderen Stelle zum Tragen, als beschrieben wird wie
Nazaré und Dona Branca beisammen sitzen und in guter Hausfrauen-Manier die Aussteuer für
Teresa vorbereiten. Es ist mitunter dieses häusliche Idyll, das Severino, den Lebensgefährten
von Dona Branca, sogar dazu veranlasst sie doch noch zu heiraten und die Verbindung damit
zu legitimieren. 283 Nazaré schafft diesen Schritt, zumindest Rahmen des Romans, nicht.
José erzählt schließlich auch von Nazarés Leben. Eines Tages schütten sich Dona Branca und
Nazaré ihr Herz aus. Nazaré ist danach sehr erstaunt darüber, dass zwei Menschen
unterschiedlicher Herkunft sein können und am Ende trotzdem das Gleiche Leben führen. 284
Im Gegensatz zu Dona Branca stammt Nazaré aus einer sehr armen Familie.
Nazaré nascera num dos bairros de lata de Lisboa, num barracão de paredes esburacadas, em que o
cheiro a mofo e a miséria, de tão persistente e intenso, alastra aos próprios corpos humanos que lá
vegetam. Apenas quatro dos numerosos irmãos de Nazaré resistiram à morte, visita frequente do
bairro. Na altura em que o pai resolveu abandonar a família, Nazaré ia nos catorze anos e já deitava
corpo, pelo que a mãe aceitou a primeira proposta de um homem que a cobiçou. O caminho de Nazaré
foi descendo até ao dia em que o capitão se enamorou dela durante a visita a um lupanar e a tirou de
282
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 145.
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 161.
284
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 146.
283
68
lá. «É muito meu amigo», nunca Nazaré cansava de nos informar para manifestar a gratidão pelo que
considerava a «sorte que lhe coubera». Que houvesse em qualquer parte do Sul do país uma mulher
com cinco filhos pertencentes ao capitão, isso não a impressionava. «Têm eles razão de queixa? Faltalhes alguma coisa? Não, nunca lhes tem faltado nada, e há propriedades na família. Mas eu bem
mereço um pouco de bem-estar», dizia. E quem podia condená-la por isso? 285
Der Leser erfährt durch diese Schilderung detailliert von Nazarés Leben. Sie kommt
ursprünglich aus einem der Lissabonner Elendsviertel und stammt aus einer armen, großen
Familie von deren zahlreichen Kindern nur Nazaré und vier Brüder überlebten. Nachdem der
Vater die Familie verlassen hat und es offensichtlich finanziell kein Auskommen mehr gibt,
beschließt Nazarés Mutter ihre damals vierzehnjährige Tochter an den erstbesten
Interessenten praktisch zu verkaufen. Die nächsten Jahre bedeuten für Nazaré einen immer
tieferen gesellschaftlichen Abstieg, der schließlich in einem Bordell endet. Dort trifft Capitão
Bigman Peixoto auf sie, der sich in Nazaré verliebt, sie aus dem Bordell holt und sie mit nach
Porto nimmt. Dem von Dona Branca gezeichneten Bild der selbstbewussten, unmoralischen
Flüchtlingsfrauen, entspricht Nazaré keineswegs. Sie ist paradoxerweise von ihrer eigenen
Mutter in dieses Leben gedrängt worden. Ironischer Weise ist es gerade ein gut situierter
Hauptmann in den Fünfzigern, verheiratet und Vater von fünf Kindern, der Nazaré zu seiner
Geliebten macht. Er ermöglicht ihr so ein einigermaßen bürgerliches und vor allem
sorgenfreies Leben. Prostitution war auch in Portugal oft die letzte Möglichkeit ein bisschen
Geld zu verdienen und war, trotz der öffentlich hochgehaltenen Moralvorstellungen, lange
Zeit nicht verboten. „A prostituição, inicialmente regulada [...] por via administrativa e não
por lei, não era proibida e o proxenetismo só constituía crime quando exercido relativamente
a menores.” 286 Laut Pimentel wurde die Prostitution tatsächlich erst 1962 verboten. 287
Eine weitere Szene, die dem Leser Auskunft über Nazaré gibt, spielt sich ebenfalls in der
Pension Modelo ab. Capitão Bigman Peixoto macht gerade seiner Verachtung gegenüber
modernen Autoren wie Fernando Pessoa Luft, da er der Meinung ist nur durch ihre
„Orthographiefehler“ – also moderne Stilmittel wie Kleinschreibung, fehlende Interpunktion,
etc. – würde das portugiesische Volk die Kunst zu Schreiben und zu Lesen verlernen und
praktisch verdummen. Dona Branca wirft an dieser Stelle ein was es da noch zu verdummen
gäbe, immerhin würde ohnehin niemand auch nur einen einzigen Buchstaben in der Größe
285
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 146-147.
Pimentel: História das Organizações Femininas do Estado Novo, S. 37.
287
Vgl. Pimentel: História das Organizações Femininas do Estado Novo, S. 37-38.
286
69
eines Hauses erkennen. 288 Nazaré wohnt der Diskussion bei und „enrubesceu ao ouvir D.
Branca troçar daquele jeito, porque ela também não conhecia uma letra do tamanho de uma
casa.” 289 Nazaré steht mit diesem Problem nicht allein da. Die Bildungspolitik während des
Estado Novo war katastrophal und betraf vor allem die ärmeren Gesellschaftsschichten. Die
Schulpflicht betrug lange Zeit nur drei, später vier Jahre. Erst 1967 wurde sie schließlich auf
sechs Jahre erhöht. Der Analphabetismus ging aufgrund dessen nur sehr langsam zurück, in
den fünfziger Jahren waren beispielsweise noch immer 40,3 % der siebenjährigen Kinder
Analphabeten. 290
Als José von seiner Hochzeitsfeier erzählt, äußert er sich auch über Nazaré:
Nazaré trazia um vestido de seda brilhante e um colar de não sei quantas voltas. Nem ela nem o
capitão suspeitavam de que D. Branca e Severino tinham posto seriamente em dúvida se a Nazaré
devia ou não estar presente na feste e que só a minha intervenção enérgica os levara a deixar de pensar
em excluí-la. 291
Obwohl Dona Branca genau wie Nazaré in wilder Ehe gelebt hat, ihre Lebensgeschichte
relativ ähnlich ist und Dona Branca kein Problem damit hat Nazaré als zahlenden
Pensionsgast bei sich zu haben, zögern sie und Severino ob Nazaré zur Hochzeitsgesellschaft
eingeladen werden soll oder nicht. Hier kommen wieder gesellschaftliche Moralvorstellungen
zum Tragen: was könnten die Leute von Teresa und José denken, wenn man zu ihrer Hochzeit
eine Frau einlädt, die mit einem verheirateten Mann in wilder Ehe lebt? Nazaré wird hier im
Gegensatz zum vorherigen Bild der jungen Hausfrau in Schürze als mondäne Frau dargestellt.
Sie trägt ein Seidenkleid und eine so lange Halskette, dass sie einige Male um den Hals
geschlungen werden muss. Man sieht bei der Beschreibung der Hochzeit allerdings auch gut,
dass niemand in Nazaré eine „gefallene Frau“ vermutet hätte. Ein Beispiel dafür ist, dass der
gutbürgerliche und moralischen Werten entsprechende Renato beginnt sich mit Nazaré zu
unterhalten. Die Art und Weise wie er Nazaré die Geschichten erzählt und weil er sie zum
Lachen bringt, kann als flirten ausgelegt werden. Der Capitão wird dadurch nämlich auf die
beiden aufmerksam und lotst Nazaré zu einer Gruppe von Frauen, die Severino eingeladen hat
– die wahrscheinlich moralisch einwandfrei sind. 292
288
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 149-150.
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 149.
290
Vgl. Marques: Geschichte Portugals und des portugiesischen Weltreichs, S. 600-601.
291
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 162.
292
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 162.
289
70
Für Nazaré lässt sich feststellen, dass sie zwar zwei, drei Mal selbst zu Wort kommt,
beispielsweise als sie erklärt, dass der Capitão „muito meu amigo“ 293 sei und als sie darauf
eingeht ob dessen Ehefrau und Kinder ein Recht hätten sich zu beschweren: es fehle ihnen an
nichts und sie selbst würde auch ein bisschen Glück im Leben verdienen. 294 Das sind die
einzigen Male, an denen man Nazarés Stimme „hört“ und erfährt, wie sie selbst mit ihrer
Situation umgeht. Das zeigt einerseits, dass sie dem Capitão dankbar ist und ihn als ihre
Chance für ein glückliches Leben betrachtet. Andererseits merkt man auch deutlich, dass
Nazaré ihn nicht als ihre große Liebe sieht, sondern eher gelernt hat sich mit dieser
Zweckgemeinschaft abzufinden. Alle anderen Stellen, an denen über Nazaré berichtet wird,
werden vom männlichen Ich-Erzähler José wiedergegeben. Seine Sicht der Dinge kann zwar
als relativ objektiv bezeichnet werden, trotz allem weiß man nicht inwiefern er Dinge
ausspart. Man erfährt also nur direkt, dass Nazaré der Meinung ist auch sie habe ein Anrecht
auf ein bisschen Glück und das sie meint es im Capitão gefunden zu haben. Was es für sie
bedeutet nur die Geliebte zu sein und in der Gesellschaft auf Ablehnung zu stoßen oder in
einer Pension leben zu müssen, die von einer ehemaligen Edelprostituierten geführt wird,
erfährt der Leser nicht. Es handelt sich also auch hier um eine weitestgehend indirekte
Inszenierung.
6.1.8.
Gils Mutter
Eine der auffälligeren Nebenfiguren ist Gils bereits verstorbene Mutter. In einem Gespräch
über die Liebe gibt Gil zu, dass er vielleicht nur eine einzige Frau jemals wirklich geliebt
habe: seine Mutter. Trotzd dieser Liebe zu ihr gibt er zu: „Ela enervava-me com o seu espírito
de abnegação, a sua bondade excessiva, com essa ingenuidade e esse conformismo que roçam
por vezes a estupidez. Mas era uma mulher extraordinária.” 295 Den aufgeschlossenen,
modernen Gil ärgert gerade die Aufopferung seiner Mutter für Andere, die Gutmütigkeit, aber
auch ihre Naivität und ihre ewige Unterwürfigkeit. Diese Charakteristika stilisieren Gils
Mutter eigentlich zur idealen, portugiesischen Frau. Wie der Leser schon früher im Buch
erfahren hat, ist Gil in gewisser Weise am Tod seiner Mutter mitschuldig:
293
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 146.
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 146-147.
295
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 118.
294
71
Curioso como a mãe do Gil, sem saber ler nem escrever, compreendera que Gil tinha de pintar,
absolutamente de pintar, nem que para isso ela tivesse de se sacrificar, de se estafar, de morrer.
Intuição e grandeza nascem com as pessoas, do mesmo modo que o talento. 296
Sie wusste, dass ihr Sohn das Talent zum Kunstmaler hatte und diese Chance einfach
ergreifen musste. Gils Vater hatte jedoch an jedem einzelnen Tag seinen gesamten Lohn in
den Tavernen vertrunken, weshalb kein Geld zum Leben und für die Ausbildung ihres Sohnes
übrig blieb. So putzte und bohnerte sie in anderen Häusern die Fußböden und ging schließlich
an der harten Arbeit zu Grunde. 297 Gil weiß auch, dass sie sich nur seinetwegen so
abgerackert habe, wie er José zu verstehen gibt. Seine Mutter hätte zudem weder schreiben
noch lesen gekonnt. 298 Gil versucht die Beziehung zwischen ihm und seiner Mutter mit
folgenden Worten zu fassen:
Só conheci a minha mãe sulcada de rugas. Custava-me a crer que tivesse sido tão bonito como diziam.
O meu amor por ela talvez fosse produto da minha solidão, e com ela sucedia o mesmo quanto ao seu
amor por mim. Éramos, por assim dizer, cúmplices na solidão. Depois de ela morrer fiquei sem
ninguém. 299
Man kann Gils Mutter als eine an der Gesellschaft gescheiterte Frau betrachten. Sie soll
früher sehr hübsch gewesen sein, Gil kann sich aber nur an ein von Falten zerfurchtes Gesicht
erinnern. Im Roman erzählt José Teresa, dass Gils Vater einmal einen Alteisenhandel
betrieben hatte, der aber bald in die Hände seiner Gläubiger fiel. Danach habe dieser nur noch
Gelegenheitsjobs angenommen und das Geld, das er verdiente, gleich wieder in Tavernen
ausgegeben. Seine Frau war daraufhin gezwungen sich Tag und Nacht abzurackern um den
Ehemann, die Kinder und auch sich selbst durchbringen zu können. 300 Gils Mutter scheint ein
gutes Beispiel für das Ideal der aufopferungsvollen, unterwürfigen Ehefrau und Mutter zu
sein. Bei genauer Betrachtung sieht man aber, dass die so hochgehaltenen Weiblichkeitsideale
wie Aufopferung, Anpassung, Güte, Gehorsamkeit, etc., ihr nicht geholfen sondern sogar
geschadet haben. Das patriarchale System will die Frau einerseits an den Haushalt binden,
schafft aber andererseits durch die Unauflösbarkeit der Ehe für Gils Mutter das Problem von
ihrem trinkenden Mann nicht versorgt zu werden, gleichzeitig aber auch nicht loszukommen,
296
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 23.
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 118.
298
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 118.
299
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 118.
300
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 129.
297
72
da eine Trennung soziale Ächtung bedeutete. Sie ist dazu gezwungen ihren Lebensunterhalt
selbst zu verdienen und ihren Ehemann hinzunehmen.
Gils Mutter kann als Beispiel indirekter Inszenierung gesehen werden. Sie wird hauptsächlich
von Gil und José beschrieben. Da sie kein einziges Mal selbst zu Wort kommt, weiß man
nicht, wie sie ihr eigenes Leben beschreiben würde und ob Eigenschaften wie Naivität,
Anpassung und Gutmütigkeit nicht Resultat ihres desillusionierenden Lebens waren.
6.1.9.
Gils Schwester Carolina
Auch Gils Schwester soll analysiert werden, da sie wie auch ihre Mutter als typisch
portugiesische Frau gesehen werden kann. José hat von Gil einiges über dessen Familie
erfahren und erzählt es seiner Frau:
Carolina, a irmã do Gil, raras vezes contraria alguém, fala pouco, sai pouco e parece não exigir nada
da vida. Encarrega-se da lida da casa, mas só do indispensável. Não se esmera nas limpezas nem nas
refeições, e tanto uma coisa como a outra condizem com o seu rosto anémico e o seu cabelo oleoso.
Tantas vezes lhe foi dito que a mãe tinha Gil como talento excepcional, e por isso se esfolava por ele,
que acabou por manifestar certo respeito pelo irmão, apesar de nunca se ter apercebido em que
consistia esse talento excepcional. 301
Carolina wird als durch und durch mittelmäßig beschrieben. Sie ist ruhig, geht nicht oft aus
und tut sowohl beim Kochen als auch beim Führen des Haushalts nur das Nötigste. Ebenso
farblos wie ihr Leben wird sie auch von José beschrieben, der sie als anämisch, blass und mit
fettigem Haar beschreibt. José gibt außerdem an, dass Carolina ihrem Bruder einen gewissen
Respekt entgegenbrachte. Sie hatte schließlich so oft gehört, dass ihre Mutter Gil für ein
außergewöhnliches Talent gehalten hatte. Mit seiner Kunst kann Carolina allerdings nichts
anfangen. Gil erzählt, dass „A minha irmã olhava-os de esguelha, como se estivessem no
índex da Igreja, e não dizia coisa nenhuma.” 302 Wie in den anderen Lebensbereichen ist
Carolina in der Kunst an nichts Neuem, Modernem interessiert. Sogar Gils Bilder sind ihr
suspekt, sie kann sein Talent nicht erkennen. Das letzte Mal begegnet der Leser Carolina bei
Gils Beerdigung, wo sie schluchzend am Grab steht. 303
301
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 129-130.
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 130.
303
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 167.
302
73
Gil und José erzählen zwar von Carolina, sie selbst kommt jedoch gar nicht zu Wort. Dieses
Mal wird diese Tatsache sogar noch durch Josés Aussage „fala pouco“ unterstrichen. Carolina
gehört somit zu den indirekt inszenierten Figuren des Romans.
6.1.10.
Luís' Ehefrau
Als José und Gil sich nach Kriegsende wiedertreffen, wird José in Gils Gruppe, bestehend aus
fünf oder sechs Personen, aufgenommen. Einer von ihnen ist Luís, der gerne neo-realistische
Filme drehen würde, sie wegen des totalitären Regimes aber nicht verwirklichen kann.
Außerdem muss er seine Frau und seine zwei Kinder ernähren, weshalb er als Vertreter von
Arzneimitteln sein Geld verdient. 304 Luís und seine Frau können als typisch, portugiesisches
Ehepaar gesehen werden: er ist relativ engagiert und anfangs sogar liberal eingestellt,
trotzdem achtet er auf eine traditionelle Rollenverteilung und tut nichts dafür, dass seine Frau
sich weiterbildet oder das Haus verlässt. Das stellt José auch gleich klar: „Maria embirrava
com Luís, porque, apesar de ele defender uma reviravolta da situação e dos costumes, nunca
trazia a mulher consigo nem a fazia participar nos seus interesses.” 305 Luís kann als sehr
ambivalenter Charakter gesehen werden. Einerseits gehört er zum Freundeskreis von Gil, in
dem alle relativ liberale Meinungen und Ansichten haben, andererseits schließt er trotz seiner
modernen Ansichten seine Frau von diesen Treffen aus und scheint sie auch sonst nicht an
seinen Interessen teilhaben zu lassen. Wie Maria selbst formuliert: „Se fosses coerente não
deixavas a tua mulher embrutecer em casa.“ 306 Zu diesem Zeitpunkt verteidigt sich Luís noch
damit, dass man in einer Gesellschaft leben würde in der gewisse Einstellungen noch
missverstanden würden und nicht akzeptiert würden. Und wer würde seine Frau schon
freiwillig vor die Raubtiere werfen? 307
— Então achas que eu [Maria] estou atirada às feras?
— Não exageras, Maria. Acho perfeitamente bem que convivas connosco, que andas por toda a
parte, que vás onde te apeteça e te metas em questões complicadas. Ainda és livre.
Maria deu uma gargalhada:
304
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 122.
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 122.
306
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 124.
307
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 129-130.
305
74
— Já sei: achas tudo bem, logo que não se trate da tua própria mulher. Diz-me o que devo fazer,
mas não olhes ao que faço. Pois eu cá não acredito em gente com tais princípios. É na maneira como
um homem trata a sua mulher e os seus inferiores que ele se define.
— Luís está preso à sua educação — tentou apaziguar Renato. 308
Obwohl in dieser Passage nur Maria, Luís und später Renato sprechen und wenig über Luís‘
Ehefrau gesagt wird, kann sich der Leser trotzdem ein Bild machen. Maria kritisiert Luís vor
allem deshalb, weil er Leute wie Maria unterstützt, seine Frau aber wie alle anderen klein hält.
Er lässt sie geistig untätig im Haushalt zurück, anstatt sie zu den Diskussionen mitzubringen.
Luís gibt zwar an diesem Punkt noch zu, dass auch er selbst Probleme haben würde, die alten
Ideale, Traditionen und Vorurteile über Bord zu werfen 309, er wird Maria aber später an die
PIDE verraten und somit klare Stellung gegen oppositionelle, neue Ideen beziehen. Ob dieses
preisgeben von Informationen sogar mit seiner neuen Anstellung in einer Federação das
Caixas de Previdência, einer Krankenkassa, zu tun hat, wird nicht näher erklärt. 310 Persönlich
lernt José die Ehefrau von Luís überhaupt erst auf seiner eigenen Hochzeit kennen. Dort
plaudert sie, wie es sich gehört, die ganze Zeit über mit einer der Frauen, die Severino
eingeladen hat. José beschreibt Luís‘ als schüchtern und still. 311
Auch bei Luís Ehefrau kann man von einer rein indirekten Inszenierung sprechen. Sie kommt
selbst kein einziges Mal zu Wort. Durch Erzählungen Josés oder die Reden von Luís und
Maria erfährt man ebenfalls nur wenige Details über ihr Aussehen oder ihre Persönlichkeit.
Die einzigen Informationen, die man erfährt, sind, dass sie zwei Kinder hat, still und
schüchtern ist.
6.1.11.
Ehefrau des Sekretärs vom amerikanischen Konsulat
Eine weitere Nebenfigur im Roman ist die Ehefrau des Sekretärs am amerikanischen
Konsulat. Sie kommt zwar kein einziges Mal selbst zu Wort, wird aber von ihrem Ehemann
beschrieben. Der Sekretär beschwert sich über die furchtbaren Zustände in Amerika. Im Zuge
dessen kommt er auch auf die amerikanischen Frauen und seine eigene Ehefrau zu sprechen:
308
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 124.
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 127.
310
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 122.
311
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 162.
309
75
E depois as mulheres! Isso é o pior de tudo. As indecências que lá vi, olhe que teria vergonha de as
contar à minha mulher. Fazem dos homens gato-sapato, são elas que mandam em tudo, julgam-se
mais do que eles. Deus me livra, a mim não me levavam elas, nisso não ponha dúvidas. Uma mulher
tem de se pôr no seu lugar, e o seu lugar é em casa. 312
Der Sekretär meint, dass die amerikanischen Frauen das Allerschlimmste seien. Er mokiert
sich unter anderem über die Schamlosigkeit, die man überall vorfindet, und das amerikanische
die Männer unterdrücken würden und sich benehmen würden, als wären sie selbst mehr als
das männliche Geschlecht. Er habe seiner Frau nichts von den in Amerika herrschenden
Zuständen erzählt, weil er sich dann ja schämen müsste. Er betrachtet seine Ehefrau offenbar
als tugendhaft und dem portugiesischem Ideal entsprechend. Er selbst wolle keine solche Frau
haben, denn eine Frau müsse wissen wo ihr Platz sei und sich um ihren eigenen
Aufgabenbereich kümmern. Und der sei nun einmal das Haus und der Haushalt. Man sieht
hier wieder, dass der Sekretär das Verhalten und die Lebensweise der amerikanischen Frauen
aburteilt, gleichzeitig aber dasselbe mit seiner Frau macht. Er beklagt, dass amerikanische
Frauen so täten als seien sie das bessere Geschlecht, diskriminiert seine eigene Frau aber auch
indem er sagt, sie sei nur für einen Platz zu gebrauchen und das sei der Haushalt. Seine Frau
muss sich ihm wahrscheinlich unterordnen und wird nur als „gute Frau“ bezeichnet, wenn sie
sich um ihren Arbeitsbereich, den Haushalt, kümmert.
Ob seine Frau mit ihrem Mann und Leben zufrieden ist oder ob sie sich heimlich ein Leben
wie die Amerikanerinnen wünscht, erfährt der Leser nicht. Auch die Informationen, die über
die Ehefrau des Sekretärs berichten, stammen alle aus zweiter Hand. Nie kommt sie selbst zu
Wort, sie selbst und ihre Rolle als Ehefrau wird rein indirekt inszeniert.
6.1.12.
Dona Beatriz
Nils erwähnt in einem Gespräch mit Hannah eine seiner Kundinnen, eine gewisse Dona
Beatriz. Sie wird im Roman zwar nur an dieser einen Stelle erwähnt, ist aber ein weiteres
anschauliches Beispiel für eine indirekte Beschreibung einer am Rande der Gesellschaft
lebenden Frau. Dona Beatriz, die laut Nils so schön wie Dornröschen sei 313, wird wie folgt
charakterisiert:
312
313
76
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 44.
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 97.
Trato, por exemplo, uma tal D. Beatriz, criatura encantadora. É propriedade dum comerciante podre
de rico que, ainda por cima, pesa os seus cem quilos. Ela conseguiu que eu tenha entrada em casa, não
sei que manhas para isso usou. E a criada não sai do quarto enquanto eu lá estiver. Imagine, Hannah,
essa mulher é obrigada pelo marido a usar óculos quando vai à rua, óculos de lentes grossas, metidas
numa armação à antiga. Tendo ela olhos de lince! 314
Nils, der sich mit Schönheitsbehandlungen über Wasser hält, lernt durch seine Arbeit diese
schöne, reiche und doch sehr einsame Frau kennen. Der steinreiche, sehr dicke Ehemann
verbannt seine schöne Frau ins Haus und lässt sie absichtlich hässliche, altmodische Brillen
tragen, wenn sie auf die Straße geht. Sicher sind diese Maßnahmen auch ein Zeichen seiner
Eifersucht oder der Versuch sie vor ihrer Schönheit zu schützen, sprich andere Männer
abzuwehren. Gleichzeitig kann dieses Wegsperren aber auch als Folge der patriarchalen
Gesellschaft gesehen werden, in der eine Frau allein wegen eines Blickes eine schlechte
Nachrede haben konnte. Besonders durch Nils Aussage „É propriedade dum comerciante“ 315
wird dieses Bild verstärkt. Dona Beatriz wird von Nils nicht als gleichwertiger Ehepartner
eines Kaufmannes bezeichnet, sondern als dessen Besitz, was von der damaligen, rechtlichen
Situation einer Ehefrau in Portugal nicht weit entfernt war.
Auch Dona Beatriz wird nur durch Nils und somit indirekt inszeniert. Sie selbst kommt nie zu
Wort und kann sich nicht über ihre Lebenssituation und die Beziehung zu ihrem Ehemann
äußern.
6.1.13.
Dona Maria do Céu
Auch Dona Maria do Céu, die in einem Haus gegenüber von Hannahs Wohnung lebt,
entspricht dem damaligen portugiesischen Rollenbild. José gibt eine Begebenheit wieder, die
Hannah ihm erzählt hat. Nils ist bei Hannah zu Besuch, um ihr Unterricht in Schönheitspflege
zu geben. Hannah soll nämlich seine Kundinnen übernehmen, wenn er weiterzieht. Sie sitzen
im Wohnzimmer und sehen durchs Fenster Dona Maria do Céu.
Da janela da casa fronteira à nossa debruçava-se a D. Maria do Céu, de roupão e cabelo desgrenhado,
mulher desgraçada com sete filhos e um marido que a deixa todas as noites sozinha. Estava a gritar
314
315
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 96-97.
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 96.
77
qualquer coisa para a rua. [...] Nils riu se alto e, nesse momento, não sei porque é que ambos
reparamos naquilo, a D. Maria do Céu bateu irritada com a janela. 316
Auch die Beschreibung von Dona Maria do Céu passt zu der Vorstellung, eine Frau müsse ihr
Leben im Haus verbringen. Sie verbringt ihre Tage mit strähnigem, ungekämmtem Haar und
im Morgenrock am Fenster und sieht dem Leben, das sich vor ihrer Haustür abspielt, zu. Das
Leben am Fenster zu verbringen verdeutlicht die Passivität, die diesen Frauen zugewiesen
wird. Wie Gils Mutter ist auch Dona Maria do Céu auf sich allein gestellt: ihr Mann lässt sie
alleine, geht vielleicht auch in die Tavernen um dort sein Geld auszugeben. Sie ist den ganzen
Tag mit den sieben gemeinsamen Kindern daheim. Als Nils sich über das Verhalten der Frau
lustig macht und fragt warum sie so wütend sein könne, wenn doch der Regen aufgehört habe,
erklärt ihm Hannah, dass sie eine arme Frau mit einer Menge Kinder und einem egoistischen
Mann sei. 317 Auch wenn der Regen vorüber ist, wird das Leben von Dona Maria do Céu
weiterhin eher düster aussehen. Sie ist eine jener Frauen, die aus der Öffentlichkeit verbannt
sind, worüber José sich an einer anderen Stelle im Roman beschwert. 318
Die Figur der Dona Maria do Céu wird einzig und allein durch José beschrieben, der sich
wiederum an eine Erzählung Hannahs erinnert. Man kann also auch am Beispiel dieser Frau
von einer rein indirekten Inszenierung sprechen.
6.1.14.
Zusammenfassung
Bei den Portugiesinnen lässt sich grundsätzlich sagen, dass es sich in fünfzehn der achtzehn
aufgezeigten Fälle um eine indirekte Inszenierung handelt. Das heißt, dass diese Charaktere
teilweise tatsächlich kein einziges Mal selbst zu Wort kommen oder nur Aussagen treffen, die
nichts vom Gefühlsleben, der Persönlichkeit oder dem Alltag der Figur verraten. Sie sind nur
stumme Zeugen des Geschehens. Die restlichen drei Fälle (Dona Branca, Teresa, Maria)
weisen eine indirekt-direkte Mischform auf, die sich tendenziell in Richtung direkte
Inszenierung bewegt. Beispielgebend für diese direkten Einsprengsel sind etwa Dona Brancas
Vorurteile und ihre energischen Diskussionen mit Capitão Bigman Peixoto, Teresas offene
316
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 96.
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 96.
318
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 165.
317
78
Diskussionen mit José sowie Marias starkes Auftreten gegenüber den anderen aus Gils
Gruppe. Trotzdem kann man bei diesen drei Figuren noch nicht von einer rein direkten
Inszenierung sprechen, da sie dem Leser dafür immer noch zu wenig von sich selbst mitteilen.
José ist in allen drei Fällen der Focalizer und derjenige, der die meisten Beschreibungen
wiedergibt.
Zwar lässt sich feststellen, dass Hauptcharaktere wie Dona Branca und Teresa deutlich öfter
selbst zu Wort kommen als beispielsweise Gils Schwester, die nur am Rande erwähnt wird,
dies kann aber nicht als Besonderheit dieses Romans betrachtet werden. Eine seltene oder
häufige Erwähnung im Text kann gleichzeitig nicht als Kriterium für eine indirekte oder
direkte Inszenierung herangezogen werden. So weist beispielsweise die Darstellung Marias
eher Tendenzen zu einer direkten Inszenierung auf, als die Frauen der Familie Sousa, die in
etwa gleich oft im Text vorkommen. Einzig Teresa nimmt durch ihre Stellung als Hauptfigur
und Frau Josés einen Sonderstatus ein. Sie kommt deutlich öfter zu Wort als alle anderen.
Bei den Portugiesinnen kann vor allem eins als Grund für die häufig indirekte Inszenierung
gesehen werden, nämlich gesellschaftliche Normen und Traditionen. Auffallend ist dabei,
dass gerade Frauen, die wie Dona Branca, Maria, Teresa und Dona Ambrosina nicht den
portugiesischen Normen entsprechen, Tendenzen zu direkten Inszenierungen aufweisen. Dem
gegenübergestellt sind „typisch-portugiesische“ Frauen wie Senhor Ribeiro Pintos Ehefrau
Helena, die Frau des Sekretärs und die Sousas fast vollkommen stumm. Es lässt sich an den
weiblichen, portugiesischen Figuren des Romans also das festmachen, was Judith Butler in
Gender Trouble auf den Punkt bringt. Die Frauen werden in den meisten Fällen nicht durch
sich selbst definiert, sondern durch ihre Ehemänner/den männlichen, personalen
Erzähler/José. Erst durch die Männer werden sie zu dem gemacht was sie sind. Sie erfüllen
ihre Rolle und schweigen deshalb. Nur diejenigen Frauen, die ohnehin nicht in das von der
Gesellschaft festgelegte und festgefahrene Frauenbild zu passen scheinen – etwa Dona Branca
für ihr unmoralisches Leben als Prostituierte, Maria als Verfechterin der Frauen- und
Menschenrechte, Dona Ambrosina für ihre Toleranz und ihr Interesse allem Fremden/Neuen
gegenüber – haben auch den Mut etwas zu sagen und aus der Stille herauszutreten.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass gerade jene Portugiesinnen, die ihre von der
Gesellschaft gegebene Rolle annehmen ohne das System zu hinterfragen oder etwas dagegen
zu tun, im Schweigen versinken. Die anderen, die mit dem System brechen oder sich
zumindest gegen ihre vorgegebene Rolle wehren, kommen auch selbst zu Wort.
79
6.2.
Nicht-Portugiesinnen
Der Titel dieses Kapitels erscheint vielleicht etwas merkwürdig, lässt sich aber eingängig
begründen. José ist in der ersten Zeit in Portugal von vielen Flüchtlingen und damit
verbunden von vielen Emigrantinnen umgeben. Viele sind wie er in Deutschland
aufgewachsen und mussten aus den unterschiedlichsten Gründen vor den Nazis fliehen. Die
meisten warten wie er auf ein Visum und sehen Portugal als eine Art Wartesaal für die
Weiterreise an. Andere Charaktere wie etwa Waltraut und Liesel gehören jedoch Josés
Vergangenheit in Deutschland an, spielen für ihn aber immer noch eine große Rolle. Da es
schwierig war einen Überbegriff für diese verschiedenen Figuren zu finden, habe ich mich für
den Titel Nicht-Portugiesinnen entschieden. Hier werden also all jene in die Analyse
einbezogen, die keine Portugiesinnen sind, und auf ihre Inszenierungsarten geprüft.
6.2.1.
Waltraut, Josés Mutter
Waltraut Berger, geborene Waldefricke, ist Josés Mutter. Obwohl sie kurz nach Josés Flucht
in Deutschland stirbt, ist sie eine der ständig wiederkehrenden Figuren und lebt in der
Erinnerung ihres Sohnes immer wieder auf.
Zum ersten Mal kommt der Leser mit ihr in Kontakt, als vom personalen Erzähler im ersten
Kapitel ein typisches Weihnachten aus Josés Kindheit in Deutschland beschreibt. Er berichtet,
dass Josés Vater Jude und die Mutter Protestantin war. Beide aus ihrem Glauben die
schönsten und kindlichsten Bräuche behalten hätten. So feierte die Familie beispielsweise
Weihnachten und Ostern in christlicher, das Fest Sukkot und Pessach in jüdischer
Tradition. 319
Im selben Kapitel erfährt der Leser außerdem, dass nicht José die Idee gehabt hatte Medizin
zu studieren, sondern seine Mutter. Er beschreibt sie durchwegs als „mulher ambiciosa“ 320,
die immer darauf bedacht war aus ihren Söhnen wichtige Männer zu machen. José vergleicht
seine Mutter diesbezüglich auch mit Gils Mutter, die unterschiedlicher nicht hätten sein
können: auf der einen Seite Gils Mutter, die wusste, dass ihr Sohn malen musste und sogar ihr
319
320
80
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 16.
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 22.
Leben dafür gab um ihm seine Bestimmung ermöglichen zu können; auf der anderen Seite
Josés Mutter, die in ihren Söhnen die Dinge verwirklicht sehen wollte, die sie selbst nicht
geschafft hatte oder einfach nicht machen konnte. 321 Deshalb missbilligt es Waltraut anfangs
auch, dass Josés Bruder Tony nicht studieren will. Dieser interessierte sich jedoch schon seit
frühester Kindheit eher für den Beruf des Geschäftsmannes als für ein Studium, weshalb er
Amerika als Emigrationsziel gewählt hatte. Die Mutter war schließlich damit einverstanden
gewesen, denn sie war zu der Erkenntnis gekommen, dass „Na América os homens têm
muitas ocasiões e largo espaço para avançarem na vida“ 322. Deshalb sagte sie auch immer
wieder, dass es „Para um rapaz que não quer estudar há só uma única terra onde consegue
vencer, a América.” 323 Amerika ist in ihren Augen das Land, in dem man ohne Studium am
weitesten kommen kann und die besten Möglichkeiten hat um beruflich aufzusteigen. Es stört
sie nicht einmal, dass Tony nicht sofort vom Tellerwäscher zum Millionär avanciert, sondern
erst einmal in einem Nachtclub arbeiten muss. 324
Ein weiteres Beispiel für die Ambitionen von Waltraut findet sich, als José zum ersten Mal
das Fennegut beschreibt und erklärt
Era ali que eu vinha desde pequeno e me sentava, debaixo do majestoso choupo, para devorar os
romances que a minha mãe não me deixava ler por considerar prejudicial que se perdesse tempo com
leituras de romances enquanto se andava a estudar. 325
Das Fennegut bietet José Zuflucht, seit er sich dort vor seiner Mutter versteckt hatte um in
Ruhe Romane lesen zu können. Denn die ambitionierte Waltraut findet es eher schädlich oder
unnötig, dass Kinder Romane lesen wenn sie doch noch ganz andere, wichtigere Sachen zu
lernen hätten.
Nachdem José auf der Straße brutal zusammengeschlagen worden ist, sprechen seine Eltern
ihn zum ersten Mal auf eine etwaige Ausreise oder Auswanderung an. An dieser Stelle wird
erneut auf Waltrauts Religion hingewiesen. Josés Vater ist der Meinung, dass eine Ausreise
das Beste für José wäre. Wegen seiner dunklen Haare und dunklen Augen könne ihm nun
nicht einmal mehr seine Mutter, die Protestantin ist, helfen. 326 Diese Aussage verdeutlicht,
321
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 22-23.
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 23.
323
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 23.
324
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 36.
325
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 34.
326
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 33.
322
81
dass José nun bereits aufgrund der Haar- und Augenfarbe zum Juden stigmatisiert und
verfolgt wird, ungeachtet der Religion seiner Mutter.
Als die Sprache auf Josés Emigrationsziel kommt, ist erneut die positive Meinung von
Waltraut über Amerika erkennbar. Ganz dem Klischee entsprechend, bezeichnet Waltraut
Amerika als Land der unbegrenzten Möglichkeiten. 327 Während des Gesprächs mit José
erfährt man auch, dass die Mutter krank ist oder es ihr zumindest nicht gut geht. Er erinnert
sich folgendermaßen an diese Szene:
A mãe estava de cama e as suas mãos esquelécticas e amarelas jaziam como duas folhas murchas
sobre o edredão. Pouco restava da mulher enérgica e desembaraçada que, muito melhor do que Good
Old Man, soubera impor-se, na loja, a um freguês devedor ou a um caixeiro-viajante importuno. 328
Waltraut liegt bei dieser Diskussion im Bett, die skelettartigen, gelben Hände hat sie wie
welke Blätter über die Bettdecke gebreitet. Sie soll zu diesem Zeitpunkt nur noch ein Schatten
ihrer selbst gewesen sein, sie, die früher viel energischer und geschickter im Umgang mit
Kunden, die ihnen etwas schuldig waren, oder Handelsvertretern umgehen konnte als ihr
Mann. Auch durch diese Aussage wird das Bild der energischen, ambitionierten Mutter Josés
unterstützt. Die schwere Krankheit der Mutter ist zudem einer der Gründe weshalb José nicht
ausreisen möchte. Zum einen, weil er hier lebt und Liesel hier ist, zum anderen fragt er
natürlich auch nach, was denn dann aus seinen Eltern werden würde. Josés Vater beruhigt
seinen Sohn jedoch damit, dass er sich keine Sorgen um sie machen solle. Sie würden nach
New York nachkommen, sobald es der Mutter wieder gut gehe. 329
Nachdem Liesel José verlässt 330, entscheidet er sich doch nach Amerika auszuwandern. Sie
Mutter zeigt sich darüber sehr erleichtert. 331 Mittlerweile gestaltet sich die Beschaffung eines
Visums für Amerika jedoch schwieriger als noch bei Tony. Denn die für José hinterlegte
Bürgschaft reicht bei weitem nicht mehr aus. Als Josés Vater schließlich vom Rabbiner Reh
hört, dass Portugal eine gute Alternative darstellen würde und er das seiner Frau mitteilt, ist
ihre erste Frage „Portugal? […] Não fica na Espanha?“ 332 Good Old Man zeigt sich über diese
Aussage entrüstet und liest einige Daten und Informationen zu Portugal aus einem Lexikon
327
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 33.
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 33.
329
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 33.
330
Siehe Kapitel “Liesel”.
331
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 35.
332
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 37.
328
82
vor. Josés Mutter ist von dieser Wahl nicht besonders begeistert. Zum einen, weil das Lexikon
aus dem Jahr 1909 ist und dadurch nicht genau feststellbar ist, wie die momentanen Zustände
in Portugal sind und sich so etwas ihrer Meinung nach schnell ändern könne, wie man es am
Beispiel von Deutschland gesehen hatte. Zum anderen ist sie nicht begeistert, weil sie
Portugal als kleines Land mit ebensolchen Möglichkeiten empfindet, dessen Grenzen nicht
nur geographisch eng bemessen sind. 333 Während also der Vater sich klar für eine Ausreise
Josés nach Portugal ausspricht, ist die Mutter eigentlich dagegen, da man dort nichts aus sich
machen könne und in seinem Leben bestimmt eingeschränkt sei. Sie wird mit dieser
Vermutung Recht behalten.
Die nächste Passage, die von Waltraut erzählt, beschäftigt sich mit dem alten Verlobungsring
der Mutter, den er als einzigen Wertgegenstand unbemerkt mit nach Portugal hatte nehmen
können 334. Juden war damals gestattet eine geringe Geldmenge mitzunehmen, nicht aber
höhere Beträge oder Wertgegenstände. José erzählt, dass er den Ring schon bald nach seiner
Ankunft verpfändet und natürlich vergessen hat, ihn wieder auszulösen. Bei dem Ring seiner
Mutter handelte es sich um einen Ring mit zwei Brillanten. José meint auch, dass seine Frau
Teresa ihm deswegen oft in den Ohren liegen würde, da sie den Ring gerne getragen hätte.
Der Leser erfährt auch die besondere Geschichte dazu: Good Old Man hatte sich von einem
Freund Geld borgen müssen, um den Ring für Waltraut überhaupt bezahlen zu können. Dieser
Freund, der selbst nicht genug Geld gehabt hatte, war wiederum zu einem anderen Bekannten
gegangen und hatte sich dort das Geld ausgeliehen. José erzählt auch, dass Good Old Man
immer wieder betonte, wie weit er es mit Hilfe seiner energischen Frau gebracht hatte und wie
viel er ihr verdanken würde.
«Muito do que sou devo-o à vossa mãe», dizia com frequência. As palavras «a vossa mãe»
pronunciava-as sempre com ênfase e não com a naturalidade com que dizia «a Waltraut» ou «a minha
mulher». E quando dizia: «Muito do que sou devo-o à vossa mãe», ela tocava automaticamente no
anel do noivado, na mão esquerda. 335
José unterstreicht hier die Bedeutung des Ringes für seine Eltern und auch für seine Mutter.
Außerdem wird ein weiteres Mal erwähnt, wie energisch Waltraut war und dass der berufliche
Erfolg ihres Mannes teilweise auch ihrem Engagement und ihren Bemühungen zu verdanken
333
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 37-38.
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 41.
335
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 52.
334
83
war. Diese Passage veranschaulicht außerdem die gute, relativ gleichberechtigte Beziehung
der Eltern.
José macht bezüglich des Verlobungsringes seiner Mutter klar, dass sie sich nur aus zwei
Gründen von diesem geliebten Schmuckstück getrennt habe: weil sie ihrem Sohn eine kleine
Unterstützung im Ausland zusichern wollte und weil sie wusste, dass sie kurz nach seiner
Abreise sterben würde.
336
José weist schließlich noch darauf hin, dass ihm selbst nichts an
solch wertvollen Ringen liegen würde und er bis heute den feinen Silberring mit einem
Amethyst, den Hannah getragen hatte, als den allerschönsten Ring empfindet. Er zieht
schließlich einen Vergleich zwischen seiner Mutter und seiner Ehefrau: „a minha mãe era
como a Teresa, jóias só as autênticas, e nunca enfeites de fantasia.“ 337 Dieser Vergleich
zwischen dem wertvollen Ring und dem Modeschmuckstück stellt Teresa und Waltraut als
rationale, nüchterne Frauen der irrationalen, emotionalen Hannah gegenüber. Da José selbst
mehr Gefallen an Modeschmuck findet, kann auch er seiner Mutter und Teresa
gegenübergestellt werden.
José hat, als er gerade erst nach Portugal gekommen ist, große Probleme eine Arbeit zu
finden. Der alte Sperber, ein Leidensgenosse, bringt ihn schließlich auf die Idee doch selbst
gemachte Marmelade zu verkaufen. Die portugiesische Ware sei seiner Meinung nach von
schlechter Qualität, man müsse also ganz gut mit dieser Marktlücke verdienen können. Als
die Marmelade fertig ist, muss José sie in Geschäften zum Verkauf anpreisen und denkt dabei
wieder an seine Mutter: 338
Andando pelas ruas fora, lembrei-me de que eu fora destinado pela minha mãe a ser o homem
formado da família o indispensável doutor que se exibia aos parentes e amigos. Que um dia tivesse de
fazer compota de laranja num velho fogão de lenha, não podia ter ocorrido à minha mãe, mulher
ambiciosa que, além do mais, julgava os fogões de lenha pertencentes à pré-história. 339
Auch diese Stelle ist eng mit Waltrauts Bild als „mulher ambiciosa“ verknüpft, die ihren Sohn
José als denjenigen in der Familie betrachtete, der sich akademisch hätte bilden sollen. Er
fragt sich auch, was sie gesagt hätte, hätte sie ihn Marmelade einkochen sehen. Noch dazu auf
einem Holzofen, den sie als etwas der Vergangenheit angehörendes, antiquiertes, betrachtete
hätte.
336
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 52-53.
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 52.
338
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 57-61.
339
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 59.
337
84
Einen weiteren Einblick in die Persönlichkeit Waltrauts erhält der Leser, als José in der von
Dona Branca geführten Pension ein Zimmer besichtigt. Da er von Dona Brancas Tochter
Teresa angetan ist, beschließt er bei ihr zu mieten. Als Grund für seine Entscheidung gibt er
den abat-jour, den Lampenschirm an, denn in den anderen Pensionen hätte es keine
gegeben. 340 Dieser Lampenschirm ist die Überleitung zu einer Erinnerung Josés an seine
Mutter:
O abat-jour por causa do qual me instalei na Pensão «Modelo» era de cartão amarelo com flores
estampadas. A minha mãe tinha um fraco por abat-jours, especialmente pelos grandes de seda fina.
Era ela própria quem os armava, e as amigas admiravam-na por isso. Good Old Man teria preferido
vê-la aplicar as suas habilidades em objectos de menos evidência. Ainda não me esqueci do abat-jour
de crepe de China verde-mar que deu motivo a uma discussão entre os dois. «É delicado e está na
moda», dizia a mãe. «É kitsch», dizia Good Old Man, que preferia um candeeiro de vidro fosco
branco, em forma de prato, como os que expunha nos quartos de casal da sua loja de móveis. 341
Man erfährt hier das erste Mal, dass Waltraut nicht nur eine ambitionierte Frau mit stark
ausgeprägtem Geschäftssinn ist, sondern dass sie auch eine Schwäche für Lampenschirme
hat. Im Gegensatz zu ihrem Mann, dem einfache, dezente Lampenschirme aus Glas lieber
sind, bevorzugt Waltraut auffällige aus Seide gearbeitete. Aus dieser Schwäche entwickelt sie
auch ihr Hobby, die Herstellung von Lampenschirmen, für das sie von ihren Freundinnen
bewundert wird. Dieses Hobby und die Vorliebe für echten Schmuck zeichnen sie als
extravagante Frau aus. Die Diskussion mit ihrem Ehemann über den meergrünen
Lampenschirm zeigt, wie auch schon die Diskussion über Portugal als Ziel von Josés
Auswanderung, dass Waltraut mit ihrem Mann gleichwertige Diskussionen führt und auch
versucht ihre Meinung durchzusetzen.
Der Leser erfährt allerdings nicht unter welcher Krankheit Josés Mutter leidet. Man erfährt
nur vom Tod Waltrauts, da José einmal erwähnt sie habe ihm ihren Verlobungsring deshalb
gegeben, weil sie ahnte bald sterben zu müssen. Außerdem reist Good Old Man alleine über
Lissabon nach New York und sagt während eines Stadtrundgangs „Rapaz, se à tua mãe fosse
ainda dado ver isto…“ 342. Good Old Man überlebt seine Waltraut jedoch nicht lange, denn
nur einige Monate nachdem er in Amerika angekommen ist, verstirbt er. José schildert dies
wie folgt:
340
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 136-138.
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 138-139.
342
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 27.
341
85
«Good Old Man passed away peacefully» telegrafou Tony a José, e depois ainda mandou dizer por
carta que as últimas palavras do pai tinham sido para a mãe, a sua Kati, que sempre o tinha ajudado
tão incansavelmente na loja, mas que não tivera a alegria de ver realizado o seu sonho de infância:
passar os mares num transatlântico com camarotes aconchegados, sala de baile e música. 343
Auch an diesem Beispiel lässt sich die gute Beziehung zwischen Waltraut und ihrem
Ehemann erahnen und ein weiteres Mal werden ihr Engagement und ihre Ambitionen
beschrieben. Interessant ist, dass Waltraut an dieser Stelle ein einziges Mal Kati genannt wird.
In der Übersetzung wurde der Name Kati jedoch wieder durch Waltraut ersetzt. Es ist nicht
genau ersichtlich, wieso Losa hier gerade im Original den Namen Kati verwendet oder wie
dieser Fehler zu Stande kam, vor allem weil der Buchstabe K erst wieder 1990 ins
portugiesische Alphabet aufgenommen wurde und daher nur in Lehnwörtern vorkommt. 344
Als José Jahre später mit seiner Frau Teresa seine Heimatstadt besucht, geht er auf den
Friedhof und zeigt ihr die Gräber seiner Familie. Sie sehen das Grab seiner Großeltern und
gehen zu einem zweiten, „tombada, mas com as letras mais frescas: «Waltraut Berger, em
solteira Waldefricke». A mãe cristã no cemitério dos judeus.“ 345 Hier wird erneut darauf
angespielt, dass Waltraut zwar Protestantin war, durch ihre Ehe mit einem Juden jedoch von
den Nationalsozialisten nicht als solche gesehen wurde und ebenfalls deren Schikanen
ausgesetzt war.
Am öftesten wird Waltraut von ihrem Sohn José in Erinnerungen beschrieben. Diese hängen
meistens mit seiner Unzufriedenheit über den schlechten Job, den niedrigen Lebensstandard,
etc. zusammen. Dann beginnt er zu sinnieren, ob die Lebenssituation in der er sich befindet
Waltrauts hohen Ansprüchen genügen würde oder nicht. Am häufigsten wird sie von ihm
deshalb auch als ambitionierte 346, starke, vielleicht auch erfolgsorientierte Frau beschrieben.
José erkennt, dass sein Vater ohne sie mit dem Möbelgeschäft nie so weit gekommen wäre.
Gleichzeitig können ihre Ambitionen auch als negativ bewertet werden. Sie hatte ihre beiden
Söhne Tony und José für etwas Großes vorgesehen, José Medizin studieren lassen und auch
sonst offenbar klare Vorstellungen für die Zukunft der Beiden gehabt, ohne sie jemals nach
ihrer eigenen Meinung gefragt zu haben. José vergleicht sie mit Teresa, seiner Ehefrau, die
343
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 26.
Vgl. Holzschuh: Selbstübersetzung bei Ilse Losa, S. 78.
345
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 173.
346
Vgl. u.a. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 22, S. 59.
344
86
ebenfalls so realistisch veranlagt ist und wie seine Mutter echten Schmuck bevorzugt, was sie
in gewisser Weise auch materialistisch erscheinen lässt. 347
Interessant ist auch die Figur Good Old Man. Im Gegensatz zu den portugiesischen
Ehemännern des Romans, beispielsweise Senhor Ribeiro Pinto oder der Sekretär im
amerikanischen Konsulat, legt Good Old Man seiner Waltraut nie seine Meinung in den
Mund. „Meine Frau würde so etwas nie tun.“ – das ist eine Aussage, die sich nicht in seinen
Reden findet. Waltrauts Bild wird deshalb vielleicht nicht so sehr durch ihren Ehemann
geprägt, wie durch José. Good Old Man scheint seine Frau einfach mit dem Blick des
liebenden Ehemannes zu sehen, er ist beispielsweise sehr dankbar für die Hilfe seiner Frau im
Berufsleben und äußert sich immer positiv über sie. 348 Waltraut selbst spricht nicht wirklich
über sich und ihre Gefühle, tut aber zumindest ihre Meinung kund – beispielsweise als es um
das Auswanderungsziel Josés geht 349, die Diskussion über den Lampenschirm 350. Es scheint
außerdem so, als würden ihre Krankheit, ihr früher Tod und die damit verbundenen
Abwesenheit in Josés Leben eine eher indirekte Inszenierung begünstigen. Indirekt wird sie
vor allem als starke, ambitionierte Frau dargestellt. Aber auch ihre eigenen, direkten
Aussagen charakterisieren als eine relativ emanzipierte, engagierte und willensstarke Frau.
Waltraut kann dadurch definitiv zu den starken, weiblichen Figuren und Stimmen des
Romans gezählt werden. Sie kann als indirekt-direkt Mischform gesehen werden, die
indirekte Inszenierung überwiegt meines Erachtens aber.
6.2.2.
Liesel
Wie Waltraut ist auch Liesel, Josés Freundin oder Verlobte, eine Frau, die ihn stark
beeinflusst und geprägt hat. Seine Entscheidung das Land zu verlassen fällt mit ihrer
Weigerung ihn zu begleiten zusammen.
Der Leser erfährt zum ersten Mal etwas über Liesel, als José auf der Straße brutal
zusammengeschlagen wird und sein Vater ihm daraufhin sagt, es gäbe keinen anderen Weg
als das Land zu verlassen. José will nicht gehen und besinnt sich darauf, was ihn zurückhält.
Es folgt eine detaillierte Beschreibung von Liesel:
347
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 52
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 52.
349
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 37-38.
350
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 138-139.
348
87
Sair do país? Para sempre? E Liesel? A minha Liesel? Liesel, de cabelo cor de cobre e olhos verdeclaros. Quando caminhávamos pelas veredas da floresta beijávamo-nos e jurávamos nunca nos
separarmos. Dei-lhe um anel de prata com o nome de «Jo» gravado. É que ela chamava-me Jo. Não
gostava de Josef, achava que os meus pais tinham tido mau gosto ao dar-me um nome do Velho
Testamento. «Josef do Egipto», troçava, «que horror». Jo soava-lhe a moderno, à americana. Ao rir —
e ria-se muito — descobria os dentes certinhos, muito brancos. Quando, numa das nossas tardes, me
mordeu na mão e viu correr o sangue, chupou-o e disse: «Engoli sangue teu, Jo. Agora estamos unidos
para sempre.» 351
Der Leser erfährt, dass Liesel kupferfarbenes Haar, hellgrüne Augen, gerade und sehr weiße
Zähne hat und José den Spitznamen Jo gegeben hat, weil sie den Namen Josef nicht mag.
Man erfährt, dass José ihr einen Silberring gekauft hat und sie einmal, als er blutet, das Blut
aufsaugt und dadurch ihrer Meinung nach für immer verbunden sind. Dieses Idyll von der
ewigen, großen Liebe wird jedoch zerstört, als Josés Eltern seine Ausreise planen. José sucht
das Gespräch mit Liesel.
Procurei Liesel. Fitou os bicos dos seus sapatos ao escutar-me, levantou para mim os olhos e disse
sem grande emoção:
— A verdade é que te agrediram, Jo. Talvez os teus pais tenham razão.
— Vais comigo, Liesel?
Encarou-me com surpresa e julgo mesmo ter-lhe visto nos olhos um nadinha de ironia:
— Para o estrangeiro? Eu? Que disparate! 352
Liesel findet es absurd, dass sie gemeinsam mit José ins Ausland gehen soll, obwohl sie ihm
noch vor einiger Zeit ewige Treue geschworen hat. Einige Tage später wird José aber noch
mehr von Liesel enttäuscht. Er geht ins Café Viena, trinkt dort ein Bier und sieht plötzlich
Liesel mit einem ihm unbekannten Mädchen eintreten. Während Liesel ihn sieht und stehen
bleibt, geht das andere Mädchen weiter und setzt sich an einen Tisch mit einigen jungen
Männern in brauner Uniform. Liesel sieht José und errötet, ehe sie ihn begrüßt. Auf Josés
Frage, ob sie sich nicht setzten wolle, antwortet sie mit nein, denn sie könne die anderen
schließlich nicht warten lassen. José bezahlt und geht zum Fennegut, wohin er sich immer
zurückgezogen hat um nachzudenken. Als er am Abend nach Hause kommt teilt er seinen
Eltern den Entschluss mit, nach Amerika zu gehen. 353 Liesels Treuebruch hat zu dieser
Entscheidung beigetragen.
351
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 33.
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 33.
353
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 33-35.
352
88
Liesel wird zwar von José beschrieben, was beispielsweise das Aussehen anbelangt, doch sie
kommt auch selbst zu Wort. Gerade vier wichtige Aussagen, die bezeichnend für Liesel sind,
trifft sie selbst: als José erklärt, warum Liesel ihn Jo nennt, zitiert er sie: «Josef do Egipto […]
que horror» 354; als sie Josés Blut trinkt und meint, sie wären nun für immer verbunden und
nichts könne sie mehr trennen 355; als sie sagt, es wäre absurd wenn sie mit ihm ins Ausland
kommen würde 356; als sie sagt, sie könne die anderen nicht warten lassen. 357 Ihre Aussprüche
beschreiben zwar nicht direkt ihre Gefühlswelt und ihren Charakter, sagen aber sehr viel über
Liesel aus und können als ihre direkt wiedergegebene Meinung gesehen werden. Alle vier
Situationen werden in erzählten Reden wiedergegeben, weshalb natürlich fraglich ist
inwieweit sie von José richtig erinnert werden. Es handelt sich bei jenen vier Aussagen aber
gleichzeitig auch um diejenigen, die ihm am besten in Erinnerung geblieben sein sollten. Bei
Liesel werden Äußerlichkeiten von José beschrieben, Gefühle oder Meinungen erfährt der
Leser durch erzählte Reden, also direkt. Liesel kann somit als Beispiel für direkte
Inszenierung gelten.
6.2.3.
Die Lindomontes
Die Familie Lindomonte ist eine deutsch-jüdische Familie, die bald nach der Machtergreifung
Hitlers nach Portugal ausgewandert ist, weil ihre Vorfahren aus Portugal gekommen waren
und sich nach den dort herrschenden Judenvertreibungen des 16. und 17. Jahrhunderts in
Hamburg niedergelassen hatten. Durch die damaligen Vertreibungen gab es in Portugal keine
große, jüdische Bevölkerungsgruppe mehr und damit verbunden auch keinen weit
verbreiteten Antisemitismus in Portugal. 358 Die Lindomontes erhofften sich durch diese
„familiäre Verbindung“ ein kleines Stückchen Heimat in Portugal wiederzufinden, sind aber
von den begrenzten Möglichkeiten des Landes enttäuscht. Die Familie besteht aus drei
Personen: Senhor Lindomonte, seiner Frau Vera und deren fünfzehn- oder sechzehnjähriger
Tochter. 359
354
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 32.
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 32-33.
356
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 33.
357
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 34.
358
Vgl. Mühlen, Patrick von zur (Hg.): Fluchtweg Spanien-Portugal. Die deutsche Emigration und der Exodus
aus Europa 1933-1945. Bonn: Dietz 1992, S. 128.
359
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 40.
355
89
Die Familie Lindomonte steht in gewisser Weise im Gegensatz zu den portugiesischen
Familien des Romans. Senhor Lindomonte wirkt eher ruhig, besonnen und relativ
ausgeglichen, wird aber von seiner Ehefrau Vera dominiert. Als er beispielsweise José am
Ende seines Besuches ein paar Scheine Geld zusteckt, scheint es fast so, als hätte er Angst
seine Frau könne etwas bemerken. 360 Vera Lindomonte wird als „mulher loira, alta, e com
certeza muito mais nova do que o marido“ 361 beschrieben. Im Gegensatz zu ihrem Mann
kritisiert sie alles an Portugal: die Sprache, die eingeschränkten Möglichkeiten, die Rolle der
Frau und das unmögliche Essen, bei dem die Portugiesen ihrer Meinung nach nur auf
Quantität und nicht auf Qualität achten würden. 362 Auch den Plan Senhor Lindomontes nach
Brasilien weiterzuwandern, missbilligt sie, da sie für ihren Mann und ihre Familie Amerika
als geeigneteres Umfeld empfindet und sie in Brasilien zudem wieder mit der portugiesischen
Sprache, einer „língua impossível“ 363, konfrontiert wäre. Als ihr Ehemann ihrer Meinung
nach schon zu lange mit José spricht, ruft sie einfach das Dienstmädchen und bestellt den
Kaffee, um die Unterhaltung zu beenden.
Die Tochter der Lindomontes sitzt auf dem aus Deutschland mitgebrachten Schreibtisch ihres
Vaters und trommelt lautstark mit den Füßen gegen das Holz. Das im liberalen Deutschland
aufgewachsene Mädchen ist durch die Auswanderung in ein vollkommen anderes Umfeld
gekommen. Sie beschwert sich vor allem darüber, dass ein Mädchen oder eine Frau nach dem
Abendessen nicht mehr auf die Straße gehen könne, ohne für eine Prostituierte gehalten zu
werden. In der deutschen, von Ilse Losa angefertigten Übersetzung des Romans, bemängelt
die Tochter zudem die „scheußlichen Cafés“ 364, in denen nur Männer sitzen und die
altmodischen Unterrichtsmethoden im portugiesischen Lyzeum, wo „man alles auswendig
herunterleiern und immerzu Prüfungen machen“ 365 müsse. 366 Außerdem macht sie sich auch
darüber lustig, dass José nur bei Portugiesen zur Untermiete wohne und spottet auch darüber,
dass er in einer portugiesischen Familie bestimmt immer „sopa de azeite“ 367 essen müsse.
360
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 42.
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 40.
362
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 40.
363
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 42.
364
Losa, Ilse: Unter fremden Himmeln. Roman. Von der Autorin aus dem Portugiesischen übersetzt und
überarbeitet. Freiburg: Beck & Glückler 1991, S. 54.
365
Losa: Unter fremden Himmeln, S. 54.
366
Vgl. Losa: Unter fremden Himmeln, S. 54.
367
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 41.
361
90
Die zwei Frauen der Familie Lindomonte sind relativ stark ausgeprägte Charaktere, da sie
über sich selbst sprechen und zudem sagen, was sie wollen und wann sie es wollen. Zwar
werden äußerliche Beschreibungen wie etwa das Alter der Tochter oder das Aussehen von
Vera Lindomonte durch José, also indirekt, vorgenommen, ihre Abneigungen und Meinungen
zu den verschiedensten Themen bringen sie aber selbst, also direkt, zum Ausdruck. Sie zählen
somit zu den wenigen direkten Inszenierungen von Frauenstimmen im Roman.
6.2.4.
Die Mündels
Die Familie Mündel besteht aus dem Rechtsanwalt Theodor, seiner Ehefrau Hannah und
seiner Mutter Irma. Der Leser begegnet der Familie Mündel zum ersten Mal, als der Dichter
Frank in ihrer Wohnung eine Lesung veranstaltet. Im Gegensatz zu den meisten anderen
Flüchtlingen leben sie in einer schön möblierten Etagenwohnung. „Os Mündels tinham fugido
a tempo, bem se via. Até o lustre e as peças de cristal tinhasm posto a salvo.“ 368
Über Irma Mündel erfährt man bei dieser ersten Erwähnung im Roman von José nur, dass sie
Theodors Mutter ist. Die zweite Begegnung versorgt den Leser dann schon mit mehr Details.
José, der als Untermieter in dieselbe Straße gezogen ist, wie die Mündels, wird von Theodor
eingeladen und darf auch seinen neuen Freund Nils mitbringen. Als die Beiden bei den
Mündels ankommen, sitzen diese noch bei Tisch und essen die Nachspeise – einen
Stärkepudding mit Himbeersoße. Als Nils merkt an, dass die Mündels offenbar noch sehr an
der Heimat hängen müssten, wenn sie den heimatlichen Pudding mit Himbeersoße auch in der
Fremde essen. Irma Mündel erwidert, dass es nicht einfach sei, Gewohnheiten von heute auf
morgen zu ändern. Sie steht auf und holt für ihre Gäste Teller, die sie ebenfalls mit Pudding
und Himbeersoße füllt. 369 José beschreibt die Gastgeberin wie folgt: „Mulher vistosa, morena,
contrastava com o filho, loiro, de pele cor de leite.“ 370 Irma Mündels wird von José als
gutaussehende, brünette Frau, etwas dunklerer Typs beschrieben. Man isst den Pudding und
plaudert. Schließlich erzählt Irmas Schwiegertochter Hannah von einer Begebenheit, bei der
sie ohne Strümpfe auf die Straße gegangen war und sofort von einer Schar von Jungen
368
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 67.
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 93.
370
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 93.
369
91
verfolgt und ausgelacht wurde. Eine Erfahrung, die Ilse Losa ja auch selbst gemacht hatte. 371
Daraufhin ergreift auch Irma Mündel selbst das Wort.
— Estupidez — disse a sogra. — A mim, um dia, não me largaram por levar um cobertor embrulhado
debaixo do braço. Não percebi o que diziam, mas via-se bem que troçavam de mim por eu andar tão
carregada. 372
Diese Aussage zeigt deutlich, wie schwer eine Anpassung oder Eingewöhnung für nichtportugiesische Frauen in Portugal gewesen ist. Irma Mündel, die eine eingerollte Decke unter
ihrem Arm trägt, wird von ein paar portugiesischen Jungen verspottet. Sie sagt selbst, dass sie
nicht verstanden habe was die Jungen sagten, aber sehr wohl begriffen habe, dass man sie
ausspottete, weil sie so schwer zu tragen hatte. In der deutschen Übersetzung des Romans
wird die Situation noch deutlicher dargestellt, denn dort sagt Irma Mündel: „Mich pöbelten
sie an, weil ich eigenhändig ein Postpaket trug und es mir nicht von einem Dienstmädchen
nachtragen ließ.“ 373 Irma Mündel wird ausgelacht, weil sie selbst etwas Schweres trägt und
sich das nicht einfach von ihrem Dienstmädchen holen oder zumindest tragen lässt. Personal
war in Portugal relativ billig, weshalb sich viele Familien ein Dienstmädchen leisten
konnten. 374 Trug jemand sein Paket selbst so war das Grund genug ihn für arm zu halten.
Doch trotz dieser ungewohnten gesellschaftlichen Normen ist Irma Mündel der Meinung, dass
es wichtig sei, dass sie sich alle an die neue Umgebung gewöhnten. Das letzte Mal, dass Irma
Mündel im Roman erwähnt wird, ist, als sie José nach dem Abendessen fragt, warum sich der
arme Dichter Frank denn umgebracht habe. 375
Hannah Mündel ist, nicht nur von ihrem Aussehen her, das genaue Gegenteil der
Schwiegermutter: sie hat braune Augen 376 – Nils sagt „olhos da cor das joaninhas“ 377 – und
goldenes Haar 378, dass sie anfangs kurz trägt 379 und für Nils wachsen lässt 380. Ihr Alter wird
371
Vgl. u.a. Engelmayer: „Denn Sprache ist ja Heimat“, S. 64.
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 93.
373
Losa: Unter fremden Himmeln, S. 83.
374
Vgl. Berchthold: Unter fremden Himmeln – Die Schriftstellerin und Übersetzerin Ilse Losa, Track 3, ab
13:30.
375
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 93.
376
Vgl. u.a. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 67, S. 68 u. S. 100.
377
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 94.
378
Vgl. u.a. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 68, S. 94 u. S. 101.
379
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 95.
380
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 100.
372
92
nicht direkt erwähnt, man erfährt aber, dass sie acht Jahre älter ist als José. 381 Außerdem
raucht sie. 382 José, der Stimmen für gewöhnlich immer mit Farben assoziiert, erinnert die
Stimme Hannahs an die Kirchenglocken in seinem Heimatort. José hatte immer das Gefühl,
dass jeder Schlag der Glocken die Stadt verschönern oder die Leute fröhlicher stimmen
würde. Deshalb hatte er das Läuten immer mit einer harmonischen Vollkommenheit in
Verbindung gebracht. 383 Und Hannah war für ihn genauso vollkommen wie das
Glockenläuten:
Hannah, ela própria, personificava a plenitude. Havia nela essa serenidade que torna fácil a
comunicação. Com ela conseguira falar sem rodeios, a ela conseguira escutar sem que alguma vez isso
lhe fosse penoso. Admiravelmente jovem, não só na aparência e nos movimentos mas também na
frescura de espírito e, tal como Maria, cheia de coragem para desafiar uma sociedade de deixar atrás
de si uma vida de tranquilidade. 384
In Josés Erzählungen wird zudem immer wieder Bezug auf ihre schlanken, weißen Hände und
einen am Mittelfinger getragenen Silberring mit Amethyst genommen. 385 Über diesen Ring
vergleicht José zudem seine Mutter Waltraut und seine Ehefrau Teresa mit Hannah. Beide
Frauen würden Wert auf echten, wertvollen Schmuck legen beispielsweise den
Verlobungsring seiner Mutter mit den zwei eingefassten Brillanten. Für ihn sei jedoch der
schönste Ring der einfache und wesentlich billigere Ring Hannahs gewesen. 386 Der Gegensatz
zwischen Teresa und Hannah in ihrer Vorliebe für Schmuck spiegelt schlussendlich auch die
Gegensätze in ihrem Aussehen, ihrem Wesen und der Liebe Josés für sie wieder.
José lernt Hannah kennen, als er im Haus der Mündels einer Lesung des Dichters Frank
beiwohnt. Hannah öffnet ihnen die Tür und man kann sagen, dass José sich augenblicklich in
sie verliebt. Während der Lesung des Dichters Frank hat er nur Augen für sie:
[…] e eu […] distraía-me a olhar para Hannah Mündel, aninhada no canto do divã, encostada a uma
almofada de camurcine verde-musgo e segurando no colo a cabecinha da menina vinda com a
professora de línguas. Parecia-me nunca antes ter visto mulher tão bonita. A luz clara daquela tarde,
levemente quebrada pelas cortinas de étamine, derramava-se sobre o seu cabelo louro-dourado.
Admirável a delicadeza do rosto a tez de madrepérola, o nariz um pouco arrebitdado, as maçãs-derosto salientes, os olhos dum castanho quente e aveludado. 387
381
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 18.
Vgl. u.a. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 58 u. S. 94.
383
Vgl. u.a. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 25-26 u. S. 58.
384
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 26.
385
Vgl. u.a. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 18, S. 52 u. S. 163
386
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 52.
387
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 67-68.
382
93
Diese Beschreibung Josés fällt fast schon kitschig aus. Seine Gefühle für Hannah werden
jedoch nicht erwidert. Sie sieht in José eher einen guten Freund oder Bruder 388, dem sie all
ihre Gedanken anvertrauen kann. Bedingt durch diese enge Freundschaft, erfährt man die
meisten Details über Hannahs Leben. In ihren Gesprächen erzählt Hannah, dass sie in einem
Haus in München nahe der Isar mit einem strengen Vater und einer lustigen, Mutter von
kleiner Statur aufgewachsen ist. Die Mutter konnte Zither spielen, woraufhin Hannah José
detailliert erklärt, wie man dieses Instrument spielt. Dazu summt sie außerdem immer die
Melodie oder singt die Begleitung dazu. 389
Wie auch ihrer Schwiegermutter Irma, fällt Hannah die Anpassung an die gesellschaftlichen
Normen Portugals schwer. So beschwert sie sich eines Abend darüber, dass alle Leute sie so
komisch ansehen würden, sie teilweise sogar ausgelacht und von einer Schar Jungen verfolgt
wurde, die unentwegt auf ihre nackten Beine zeigten. Sie trägt im Sommer keine Strümpfe,
was für portugiesische Frauen damals undenkbar gewesen ist, und fällt dadurch erst recht
wieder auf. 390 Auch Losa berichtet, wie bereits erwähnt, von einem ähnlichen Vorfall. 391
Hannah erklärt José außerdem ausführlich ihre Beziehung zu ihrem Ehemann Theodor.
«Casei-me com Theodor — contar-me-ia Hannah [...] — quando ele era um jovem advogado com
êxito, em Wiesbaden. Confundi entusiasmo juvenil com amor. A plena consciência de que não tinha
nada de comum com ele só a tomei depois de termos chegado aqui, empobrecidos e instalados no
andar impessoal da Rua de Santo Ildefonso. Então comecei a irritar-me com a sua vaidade, a constante
necessidade de se afirmar, a saudade lamurienta do bairro de Wiesbaden onde habitávamos. Pouco a
pouco fui perdendo a cordialidade que lhe manifestava e isso talvez tenha sido injusto da minha parte,
porque ele gosta e gostou sempre de mim. Mas eu não lhe perdoava o não o poder amar.» 392
Hannah gesteht sich ein, dass sie zum Zeitpunkt ihrer Hochzeit mit Theodor jugendliche
Schwärmerei für Theodor mit Liebe verwechselt hätte. Ihr sei erst klar geworden wie wenig
sie eigentlich gemeinsam gehabt hätten, als sie zur Flucht nach Portugal gezwungen und
verarmt waren. Sie gibt auch zu, dass sie Theodor nicht verzeihen kann, dass sie unfähig ist
ihn zu lieben. José meint diesbezüglich, dass der essentielle Teil von Hannahs Persönlichkeit
darin bestand sich immer voll und ganz hingeben zu wollen ganz gleich ob in Freundschaft
388
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 100.
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 58.
390
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 93.
391
Vgl. Engelmayer: „Denn Sprache ist ja Heimat“, S. 64.
392
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 92.
389
94
oder in Liebe. 393 An der Beziehung Hannahs und Theodors sieht man wie es vielen Paaren
gegangen sein muss, die vollkommen aus ihrem alten Leben gerissen wurden und plötzlich
mit einer neuen Lebenssituation umgehen mussten. Was sich schon für den Einzelnen als
schwierige Situation erweist – Hannah hat Probleme mit den portugiesischen „Regeln“ für
Frauen zurechtzukommen, Theodor kann nicht als Anwalt arbeiten und ist deshalb in seinem
Stolz gekränkt –, wird für die Beiden als Paar noch schwieriger. Bei Gruber wird darauf
hingewiesen, dass Frauen und Männern eine unterschiedlich starke Anpassungsfähigkeit an
die verschiedenen Situationen des Exils nachgesagt wird. 394 Hannahs und Theodors Ehe hält
dieser Zerreißprobe nicht stand. José bringt Nils eines Abends mit zu den Mündels und muss
erkennen, dass sich die Beiden langsam ineinander verlieben. In Porto verdient Nils sein Geld
mit Schönheitsbehandlungen verdient. Er bietet Hannah Unterricht darin an, damit sie seine
Kundinnen übernehmen könne, wenn er die Stadt wieder verlässt. Bei einer dieser
Unterrichtsstunden schein Hannah sich dann ihrer Gefühle sicher zu sein. Sie schreibt Nils
einen Brief, den José später finden und für den Leser wiedergeben wird:
«…quando estávamos frente a frente, naquela manhã — dizia na carta — e os nossos olhos se
econtraram e tu, sempre tão seguro de ti e tão desembaraçado, tiraste do bolso o livro para me dar, eu
compreendi de repente que não era possível fugirmos um ao outro. Compreendi também que aquilo a
que se dá o simples nome de amor é mais vasto e mais forte do que eu até ali tinha sonhado. Senti
despertar em mim impulsos novos, era como se crescesse para além de mim própria, ao teu encontro.
Já tinhas abertos os braços para me receber. Naquele momento só tu importavas para mim, tu e o
encanto em que me envolvias, e não posso continuar nesta casa nem a viver na mentira que se tornou
insuportável e é o mais baixo pecado. Não te rias de mim por te escrever. Podia ter-to dito, mas quero
que saibas como em todos os momentos te sinto presente...» 395
Diese Stelle ist deshalb interessant, weil es sich dabei um den einzigen von José
wiedergegebenen Brief im Roman handelt. Er kann im Grunde wie eine erzählte Rede
gewertet werden, da Hannah in ihm zu Wort kommt und ihre Gefühle ausbreitet. Sie erkennt
an diesem Tag, dass sie Nils liebt und dass sie es nicht mehr in „diesem“ Haus aushält, indem
sie mit einer Lüge leben muss.
[Hannah] Deixara Theodor Mündel e trabalhava, até à tardinha, em casa duma família dos arredores,
cuidando duma criança de pernas paralíticas pela poliomielite e dormia numa pensão barata. As
famílias particulares, que alugavam quartos, tinham-se recusado a aceitá-la por ser sozinho e nova e,
ainda por cima, estrangeira. 396
393
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 92.
Vgl. Gruber: Das Exil als Schreiberfahrung, S. 26.
395
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 97.
396
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 99.
394
95
Sie verlässt Theodor und somit auch das relativ sichere Heim. Aber sie hat, wie auch Maria,
hat keine Angst davor einen Neuanfang zu wagen. Auch wenn sie diesen Neubeginn vorerst
als unproblematisch empfindet, bekommt diese Aufbruchsstimmung durch die festgefahrenen
Normen der portugiesischen Gesellschaft schnell einen Dämpfer. Hannah muss nun selbst
arbeiten gehen und gerade als Ausländer ist es sehr schwierig eine Arbeitserlaubnis zu
bekommen, wie Ilse Losa aus eigener Erfahrung zu berichten weiß. 397 Noch schwieriger ist es
ein Zimmer zu bekommen, denn den anständigen Familien die vermieten ist Hannah suspekt:
sie ist jung, alleinstehend und zu allem Überfluss auch noch Ausländerin. Sie muss in eine
billige Pension ziehen und kümmert sich untertags um das an Kinderlähmung erkrankte Kind
einer portugiesischen Familie. Bedrückend ist bald auch die Beziehung zu Nils, denn er ist ein
Kosmopolit, eine Lebemann, der sich nicht ernsthaft binden will. Sein ständiges Weiterreisen
ist im Grunde eine Flucht vor sich selbst. Er möchte nicht mit Hannah zusammenziehen und
so muss sie immer, wenn sie ihn sehen will, in sein Hotelzimmer kommen. Im Hotel hat sie
ebenfalls mit den starren Moralvorstellungen der Portugiesen zu kämpfen, denn der Portier
hat sich schnell eine Meinung über sie gebildet: „Mulheres que visitavam hóspedes no quarto
tinha-as como levianas.“ 398 Schließlich zieht es Nils weiter, er geht nach Südamerika und lässt
Portugal und Hannah hinter sich. 399 Hannah, die nun nichts mehr in Portugal hält, will nach
Australien auswandern. José geht noch ein letztes Mal mit ihr am Strand spazieren, wo sie
ihm für seine Freundschaft dankt. Er ist am Boden zerstört, dass seine geliebte Hannah nun
auch das Land verlässt und beginnt zu weinen. Hannah tröstet ihn, sie verbringen die Nacht
am Strand und schlafen dort miteinander 400 – aus Großzügigkeit von Seiten Hannahs, wie
José sagt. 401
Só mais uma vez lhe vi depois o rosto branco e tão delicado como a rosa que se segurava na mão e
que eu lhe oferecera para a despedida. [...] O comboio pôs-se em andamento. Ela acenou-me com a
rosa branca. Vi-lhe ainda o sorriso triste, tão triste! 402
397
Vgl. Berchthold: Unter fremden Himmeln – Die Schriftstellerin und Übersetzerin Ilse Losa, Track 1, ab
10:00.
398
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 99.
399
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 99-101.
400
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 106-108.
401
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 19.
402
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 108.
96
Sie fährt mit dem Zug ab, wahrscheinlich nach Lissabon um dort ihr Schiff nach Australien zu
erreichen. José wird sie nie mehr wieder sehen und auch keine Nachricht mehr von ihr
erhalten.
Irma und Hannah Mündel sind Frauen, die im Leben stehen und auch ihre eigene Meinung
sagen. Sie werden von José beschrieben, kommen in erzählten Reden aber auch immer wieder
selbst zu Wort. Hannah spricht auch über ihre Gefühle und Empfindungen, etwa in dem Brief
der an Nils gerichtet ist. Irma und Hannah sind zudem auch die einzigen Frauen im Roman,
die sich offen über die für sie eigenartigen Gebräuche in Portugal und deren Auswirkungen
auf ihr Leben beschweren. Hannah kann trotz der relativ wenigen Textpassagen in denen sie
vorkommt, als eine der Hauptfiguren des Romans gesehen werden, da sie immer wieder im
Vergleich mit Josés Ehefrau Teresa steht und für José eine wichtige Rolle spielt. Erst durch
sie hat er sich in Porto heimisch gefühlt. Als sie geht, verschwindet dieses Gefühl für eine
Zeit lang wieder. Irma wird teilweise durch José inszeniert, kommt aber auch selbst zu Wort.
Meines Erachtens ist ihre Figur als indirekt-direkte Mischform einzuordnen. Die Inszenierung
Hannahs erfolgt ebenfalls stark über Josés Erzählungen. Sie kommt aber außerdem in
erzählten Reden und auch in dem wiedergegebenen Brief zu Wort und gibt dem Leser Details
aus ihrem Leben sowie ihre Gefühle preis. Deshalb wäre Hannah eher als direkte
Inszenierung zu sehen.
6.2.5.
Rosemarie Grünbaum
Als José zur Untermiete bei Dona Ambrosina wohnt, zieht kurze Zeit später auch eine
Deutsche ein. Senhora Grünbaum bezieht das Nähzimmer und wird als ältliche, sorgfältig
frisierte und schwarz gekleidete Dame beschrieben. Das einzig Merkwürdige an ihr ist eine
große Kiste, die sie mit sich führt. Dona Ambrosina wüsste gerne was sich in der Kiste
befindet und fragt Senhora Grünbaum deshalb ob etwas Zerbrechliches in der Kiste sei. Dann
würde sie beim Zusammenräumen nämlich besonders vorsichtig damit umgehen. Senhora
Grünbaum scheint sich zu freuen, auf ihre Kiste angesprochen zu werden. Mit dem bisschen
Spanisch, dass sie kann, erklärt sie Dona Ambrosina, dass sich in der Kiste Bilder befinden.
José wird herbeigeholt um die Kiste zu öffnen, denn Senhora Grünbaum möchte ihnen die
97
Bilder gerne zeigen. 403 Und damit beginnend erfährt man mehr über die Lebensgeschichte
Senhora Grünbaums:
[O caixote] acompanhara-a na sua fuga da Alemanha para a Holanda, da Holanda para a França,
depois para Espanha e Portugal. Havia de levá-lo até à Venezuela, onde se refugiara uma prima sua,
faltava-lhe apenas o visto para seguir. 404
Senhora Grünbaum lehnt die Bilder daraufhin an die Wand, damit José und Dona Ambrosina
sie besser betrachten können. Sie gibt bei jedem Bild ihre Erklärungen ab: wann es begonnen
und beendet wurde, den Ort oder die Person, die es darstellt und auch, welche Intentionen
ihren Mann dazu bewogen hatten, gerade dieses Motiv auszusuchen. 405 José und Dona
Ambrosina wirken nicht besonders begeistert, aber José gibt die Lebensgeschichte von
Rosemarie 406, so heißt Senhora Grünbaum, trotzdem wieder.
«És tontinha, Rosemarie», dizia o pai dela, dono dum talho, quando lhe ouvia falar de arte e de
artistas. Por isso Rosemarie sonhava com um outro pai, de cabelos brancos nas fontes, que escrevesse
romances, ou de juba desgrenhada, que compusesse melodias. Retinha à força as lágrimas quando os
seus mastigando ruidosamente e de queixos besuntados de gordura, troçavam dos «mandriões das
artes sem pão». «Os mandriões sem pão serão o orgulho das nações», explicava-lhes ela de voz
trémula, «mas vocês hão-de desaparecer no vácuo sem deixarem vestígios». Lia romances até altas
horas da noite e coleccionava reproduções de calendários e postais coloridos. Quando conheceu
Bertold Grünbaum e ele lhe disse que era pintor, os olhos iluminaram-se-lhe, embora Grünbaum fosse
baixo e pouco vistoso. Nunca ele se arrependeu de ter casado com a filha do carniceiro, pois mulher
mais dedicada não poderia ter desejado. Amava-a cada vez mais e chamava-lhe a sua musa. Quando
os «uniformizados» o foram buscar, Rosemarie encontrava-se na Holanda. Fora lá para pôr a salvo o
caixote dos melhores quadros dele e para sondar as possibilidades de se estabelecerem naquele país.
«Até breve», dissera-lhe na despedida, sem adivinhar que nunca mais o veria. 407
Senhora Grünbaums Leben wird in dieser Textpassage extrem detailliert beschrieben. Der
Leser erfährt, dass sie immer schon eine Schwäche für die Künste hatte, dass sie mit ihrer
Fleischhauer-Familie nichts anzufangen wusste und dass sie sich genau wegen diesem Faible
sofort in den Künstler Bertold Grünbaum verliebte. Allerdings ist es auch hier wieder José,
der alle Informationen wiedergibt. Die einzige erzählte Rede Senhora Grünbaums, ist der
Abschiedsgruß „Até breve“ an ihren Mann. Nach dieser ausführlichen Beschreibung hört der
Leser nur noch einmal von Senhora Grünbaum. José erzählt von einem Gemälde, das ihm Gil
geschenkt hat. Darauf ist ein nacktes, im Sand liegendes Mädchen zu sehen. Als Dona
403
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 111.
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 111.
405
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 111-112.
406
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 112.
407
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 112-113.
404
98
Ambrosina das Bild sieht, fragt sie José, was wohl Senhora Grünbaum dazu sagen würde.
José erklärt dem Leser daraufhin, dass sie nichts mehr von ihr gehört hatten, seit sie mit ihrer
Kiste nach Caldas da Rainha, wo neuerdings die Flüchtlinge versammelt wurden, hatte fahren
müssen. Denn die Gefängnisse waren alle voll besetzt. 408
Obwohl Senhora Grünbaum nicht zu den Hauptfiguren des Romans gehört, ist es meines
Erachtens sinnvoll sie einzeln zu analysieren. Denn auf den ersten Blick scheint es, als würde
man viele der Informationen aus erster Hand – also direkt von Senhora Grünbaum – erhalten.
Tatsächlich erzählt José aber nur, dass Senhora Grünbaum ihnen ihre Lebensgeschichte
erzählt hat. Es kommen zwar zwei sehr kurze erzählte Reden vor 409, man erfährt in ihnen aber
nur, dass ihrer Meinung nach nur Künstler oder Kunst Spuren in der Welt hinterlassen und
alles andere verblasst. Der eigentliche Erzähler von Grünbaums Lebensgeschichte ist wieder
einmal José, wodurch man den Wahrheitsgehalt des Erzählten nicht genau abschätzen kann.
Durch Josés Erzählung, in der die Biografie von Senhora Grünbaum nicht in erzählter Rede,
sondern in seinen eigenen Worten wiedergegeben wird, kann man diesen Charakter als
indirekt inszeniert bezeichnen.
6.2.6.
Senhora/Witwe Teich
Eine der Nebenfiguren ist die Senhora, in der Übersetzung Witwe, Teich. José erklärt, dass
der Dichter Frank immer in einem gewissen elterlichen Ton, einer gewissen Überlegenheit, zu
ihnen sprach. Diese Überlegenheit legt Frank vor allem in Gegenwart bestimmter Personen an
den Tag, von denen eine die Witwe Teich war. José beschreibt sie wie folgt:
[...] viúva de um banqueiro a quem tinham confiscado todos os bens e destruído a vivenda para, em
seguida, o matar na prisão. A Sra. Teich procurava compensar o destino desditoso falando, a cada
passo e a propósito de tudo, das comodidades e do prestígio perdidos, das suas pratas e jóias, da
mobília de estilo, da biblioteca, do pessoal doméstico. 410
Der Leser bekommt hier ein relativ negatives Bild von José geschildert, das die Witwe Teich
als verwitwet, verbittert und, angesichts des angeblich ständigen Geredes über ihren
408
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 133.
Anm. «Os mandriões sem pão serão o orgulho das nações [...] mas vocês hão-de desaparecer no vácuo sem
deixarem vestígios» und «Até breve», Vgl. Sob Céus Estranhos, S. 112-113.
410
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 65.
409
99
verlorenen Besitz, auch als materialistisch darstellt. Der Dichter Frank sagt eines Tages sogar
zu ihr: „Os nossos bens espirituais […] não nos podem roubar nem destruir.“ 411 Die Witwe
Teich errötet daraufhin, wie José berichtet, und „classificou Frank, depois de ele ter saído, de
presunçoso e de comunista.“ 412, also als aufgeblasen und als Kommunisten. Das ist die
einzige Aussage, die der Leser indirekt von ihr erfährt. Dieser Kommentar ist jedoch nicht
wirklich repräsentativ, da dieser Ausspruch auch als Trotzreaktion gesehen werden kann.
Gerade am Beispiel der Witwe Teich sieht man, wie solche Aussagen unsere Wahrnehmung
und damit auch den Eindruck von einer Person beeinflussen können. Der Leser bekommt
automatisch ein negatives Bild von der Witwe Teich vermittelt, obwohl sie selbst gar nicht zu
Wort gekommen ist.
Da sie nur durch andere beschrieben wird und auch nur nacherzählt wird, was sie angeblich
über den Dichter Frank gesagt hat, ist die Witwe Teich als indirekte Inszenierung
einzuordnen.
6.2.7.
Die Österreicherin
Eine weitere Nebenfigur und Emigrantin des Romans ist die Österreicherin. Sie taucht zum
ersten Mal auf, als der Dichter Frank im Café Superba darüber referiert, dass sich immer,
wenn man einen geliebten Menschen verliert, einen beruflichen Misserfolg erfährt oder an
einer Krankheit leidet, jemand findet, der einen trösten kann und einen ähnlich schlimmen
Schicksalsschlag erlitten hat. Einzig den in die Flucht Getriebenen, wie sie es ja alle sind,
hätte niemand Trost zu spenden da niemand etwas Ähnliches erlebt habe und die Augen vor
dieser Tatsache verschließen würden. Die Österreicherin wirft an dieser Stelle ein: „Talvez
por não querer admitir a possibilidade de que lhe possa acontecer o mesmo“ 413. Danach wird
sie von José wie folgt beschrieben:
[...] a velha senhora austríaca, todas as tardes presente no café e sempre de lenço de renda preta na
cabeça como se estivesse pronta para ir à missa ou de regresso de lá, e que não se cansava de falar
numa festa em Viena onde lhe fora apresentado o poeta Hoffmannsthal e outras celebridades.
Conseguira salvar uma notável parte dos livros da biblioteca da família, que emprestava, a troco de
411
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 65.
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 65.
413
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 63.
412
100
dinheiro, aos outros refugiados. Também lhes apanhava as malhas das meias e lhes envernizava as
unhas. 414
Die Österreicherin wird von José relativ neutral beschrieben. Wie die Witwe Teich scheint
auch die Österreicherin aus einer wohlhabenden Familie zu stammen. Sie ist allerdings
eindeutig positiver belegt, da sie nicht über das ihr und ihrer Familie gestohlene Hab und Gut
lamentiert, sondern die Bücher, die sie retten konnte, an andere verleiht. Damit verdient sie
ihr Geld. Um dieses schmale Gehalt aufzubessern lackiert sie anderen Emigrantinnen die
Nägel und flickt gerissene Damenstrümpfe. Als der Dichter Frank sie daraufhin für ihre
Aussage lobt, errötet die Österreicherin. 415
Das nächste Mal trifft der Leser auf die Österreicherin, als José mit seinem Freund Nils das
Casino in Estoril besucht:
Vi a velha senhora austríaca: o lenço de rendas pretas tinha-lhe escorregado para as costas. Usara
todas as manhas para conseguir por várias vezes autorização de permanência. De faces ardentes, o
puxinho cinzento a soltar-se-lhe, escrevia febrilmente uma série de algarismos num papelinho. Sentiu
o meu olhar e levantou a cabeça:
— Olá, também por cá? Felicidades.
E voltou a debruçar-se sobre os seus cálculos de probabilidades. 416
José berichtet an dieser Stelle, dass die alte Österreicherin mit jeden Trick versuchen würde
ihre Aufenthaltserlaubnis noch einmal verlängert zu bekommen. José beschreibt ihr Gesicht
als glühend, der graue Haarknoten beginnt sich aufzulösen, während sie fieberhaft
Zahlenreihen auf ein Zettelchen kritzelt. Das schwarze Spitzentuch ist ihr auf die Schultern
gerutscht, normalerweise trägt sie es immer auf dem Kopf. Diese Beschreibung steht im
Gegensatz zur vorigen, bei der sie eher als zurückhaltende, ältliche Frau beschrieben ist, nicht
aber als glühende Spielerin. Die Dringlichkeit, Geld zu gewinnen um möglicherweise
jemanden für eine Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung bestechen zu können, wird
durch das gegensätzliche Bild noch verdeutlicht. Schließlich sieht die Österreicherin José und
spricht hier ein zweites Mal selbst – sie wünscht José viel Glück. Die Begebenheit im Casino
ist zudem wieder einmal bezeichnend für die vorherrschenden Sitten, denn im Saal halten sich
mehr Männer als Frauen auf und die anwesenden Frauen sind entweder Ausländerinnen oder
414
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 63.
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 63.
416
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 103-104.
415
101
Prostituierte. 417 Zum dritten und letzten Mal erfährt man etwas von der Österreicherin, als
José am Britischen Institut den Siegesfeiern zu Kriegsende beiwohnt.
[José] Estava de taça na mão a conversar com a velha refugiada austríaca do Superba que, nessa noite,
não trazia o lenço de rendas pretas mas ostentava um penteado festivo para o acontecimento, estava eu
a ouvir dizer-lhe que graças a Deus voltaria à sua querida Viena, a única cidade no mundo onde a vida
valia a pena ser vivida [...] 418
Auch diese Beschreibung steht im Gegensatz zur ersten, da die Österreicherin das schwarze
Spitzentuch wieder nicht trägt, sondern sich für diesen Anlass eine festliche Frisur gemacht
hat. José erzählt außerdem, dass die Österreicherin sich freuen würde endlich in ihr geliebtes
Wien heimkehren zu können, denn nur dort sei das Leben wirklich lebenswert.
Die Österreicherin kann ebenfalls als indirekt inszenierte Frauenstimme betrachtet werden, da
sie selbst zwar in erzählten Reden zu Wort kommt, aber nie wirklich etwa über sich preisgibt.
Es ist José, der dem Leser die wenigen von ihr bekannten Details vermittelt.
6.2.8.
Elfe
Elfe ist keine der zahlreichen Flüchtlinge, sondern eine Bekannte aus Josés Zeit als
Medizinstudent. Im Roman kommt sie zwar nur einmal vor, ist aber dennoch interessant für
die Inszenierung der Frauenstimme. José erinnert sich an sie, als er mit Nils in einer Bar sitzt
und dieser Whisky bestellt. Denn eines Nachts, als José noch Medizinstudent war, bestellte
auch Elfe Whisky.
Elfe wird als eine Frau mit eigenwilligem Profil und einer glitzernden Haarspange im
kupferfarbenen Haar beschrieben. Als José sie auffordert weniger zu trinken meint sie nur „O
que importa, Josef?“ 419 Elfe ist es egal wie betrunken sie ist. Sie ist nicht mehr die jüngste,
mit einem achtzigjährigen Man verheiratet, fährt einen Mercedes und gibt das Geld ihres
Mannes mit beiden Händen aus. José sagt über Elfe: „corria de ilusão em ilusão. Um jovem
estudante de Medicina, do primeiro ano, era uma ilusão assim.” 420 Als José und Nils in der
417
Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 103.
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 114.
419
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 83.
420
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 83.
418
102
Bar auch noch von zwei jungen, aber verlebten Prostituierten angesprochen werden, erinnert
er sich erneut an Elfe:
[As duas prostitutas] Não eram Elfes. Antes fossem! Mas as Elfes desta cidade não frequentam os
bares. Fazem tudo pela calada, em esconderijos, leva tempo a conhecer-se-lhes as manhas. Elfe era
espirituosa, era cidade grande, excitação. Um homem pode lembrar-se dela. «Queridinho», segredava
num modo suave passando-me a mão pelo cabelo. E «oxalá o mundo te queira bem», dizia. Evocava
aventuras, embora já não fosse nova, mas estas duas eram velhas e gastas apesar de serem novas.
Traziam na cara e nos vestidos o carimbo da tragédia nojenta e portavam-se como retalhistas que
tentavam impingir mercadoria inferior numa loja suja. 421
Es geht nicht klar hervor ob Elfe eine Prostituierte, die Geliebte Josés oder eine Lebedame ist.
Vielleicht ist sie auch nur eine gelangweilte Ehefrau. José vergleicht sie jedenfalls mit den
beiden portugiesischen Prostituierten. Elfe scheint ihren Beruf oder ihr Leben aus Langeweile
gewählt zu haben oder weil sie an den Bars, dem Alkohol und diversen Lieb- oder
Freundschaften Gefallen findet. Sie hat durch ihren Ehemann die finanziellen Mittel und
treibt sich nicht in den Bars herum um ihre Existenz zu sichern. Obwohl sie nicht mehr jung
ist, vermittelt sie dem jungen José Abenteuer, Großstadtleben, ist geistreich und aufregend.
Die beiden Prostituierten in der Bar sind jung, aber verlebt, und agieren übertrieben. Sie
verdienen auf diese Art und Weise ihr Geld und preisen sich an wie eine „minderwertige“
Ware. José gibt dabei zu bedenken, dass es in Porto sicher auch Frauen des Typs „Elfe“ gibt,
diese aber alles im Versteckten und Geheimen tun müssten. Er weist damit einmal mehr auf
die eingeschränkten Möglichkeiten der portugiesischen Frauen hin.
Auch Elfe kann zu den indirekten Inszenierungen gezählt werden, da José den Leser mit allen
Details versorgt, die er hat. Elfe selbst, gibt nichts über sich preis. Sie gibt nur zu bedenken,
dass es egal ist ob sie viel Whisky trinkt oder nicht.
6.2.9.
Zusammenfassung
Innerhalb der zehn analysierten, nicht-portugiesischen Figuren kann man vier indirekte und
vier direkte Inszenierungsformen feststellen. In zwei Fällen ist ein relativ ausgewogenes
Verhältnis von indirekten und direkten Inszenierungen zu finden, weshalb man in diesen
Fällen von einer Mischform sprechen kann. Insgesamt lässt sich jedoch eine deutlich stärkere
421
Losa: Sob Céus Estranhos, S. 84.
103
Tendenz zur direkten Inszenierung erkennen, als bei den Portugiesinnen. Unterschiede
zeichnen sich bereits in der Anzahl der Sprechakte ab, denn bei den Nicht-Portugiesinnen
kommen wirklich alle Charaktere mindestens einmal selbst zu Wort.
Es hat sich gezeigt, dass eine direkte Inszenierung bei starken Hauptfiguren wie Liesel oder
Hannah mir größerer Wahrscheinlichkeit zutrifft, als Nebenfiguren. Gleichzeitig sieht man
auch, dass eine indirekte/direkte Inszenierung nicht zwingend mit der Häufigkeit mit der eine
Figur im Text vorkommt zu tun haben muss. Während beispielsweise Liesel nur in einem
Kapitel des Romans ausführlich behandelt wird und als direkte Inszenierung angesehen
werden kann, ist die an drei Stellen im Roman vorkommende Österreicherin indirekt
inszeniert. Es lässt sich allerdings erkennen, dass die nicht-portugiesischen Charaktere oft
willensstärker auftreten. Beispielsweise widerspricht Waltraut ihrem Ehemann und drückt
auch ihre eigene Meinung klar aus, Liesel lehnt sofort ab mit José ins Ausland zu gehen und
die zwei Frauen der Familie Lindomonte kritisieren alles was ihnen an Portugal nicht zusagt.
Auffallend ist auch, dass diese Frauen seltener von ihren Ehemännern charakterisiert oder
beschrieben werden, sondern sich teilweise selbst über das Wesen und das Leben ihrer
Ehemänner äußern. Diese Tatsache hängt allerdings oft mit der schwierigen Situation des
Exils zusammen (Hannah, Senhora Grünbaum).
Diese Ergebnisse lassen die These zu, dass die nicht-portugiesischen Figuren seltener indirekt
inszeniert sind, weil sie in einem anderen Land aufgewachsen sind und einen anderen Grad an
Emanzipation
erreicht
haben.
Sie
alle
sind
in
moderneren,
liberaleren
Staaten
aufgewachsenen, haben dort bereits ihren Platz im Leben gefunden und mussten sich bisher
nie über die in Portugal für Frauen vorgesehene Rolle definieren. Deshalb können sie, wie
auch die Autorin Ilse Losa, die Normen und Gebräuche ihrer alten Heimat mit denen
Portugals vergleichen. Sicher sind auch sie nicht komplett gleichberechtigt und frei in ihren
Entscheidungen aufgewachsen, es ist aber auffällig, dass Waltraut José vor der Beschränktheit
Portugals warnt, die Lindomontes sich über das rückständige Land beschweren, Irma und
Hannah Mündel Schwierigkeiten mit den für sie ungewöhnlichen Gebräuchen haben.
Mindestens in fünf Fällen sprechen die Figuren die Missstände also offen an. Auch auf sie
passt Judith Butlers sex/gender-Modell, denn die Nicht-Portugiesinnen werden in der fremden
Kultur mit den dort vorherrschenden Traditionen und Rollenbildern konfrontiert. Jene Frauen,
die sich integrieren und einleben wollen, müssen sie sich der portugiesischen Definition von
Frau – gute Hausfrau sein, immer Strümpfe und Hut tragen, nicht mit Männern sprechen,
104
nicht alleine ausgehen, etc. – unterwerfen, egal wie sie sich vorher selbst definiert haben.
Erschwerend kommt bei ihnen hinzu, dass sie durch ihre Fremdheit und Andersartigkeit
bereits eine Randposition in der Gesellschaft einnehmen.
Zusammenfassend lässt sich für die Nicht-Portugiesinnen daher sagen, dass sie in ihrer
Heimat vielleicht auch in ein Rollenbild gedrängt wurden, dieses aber weitaus weniger
restriktiv war, als das in Portugal herrschende. Teilweise kommen sie mit ihrem neuen Leben
und ihren neuen Rollen noch nicht zurecht. Sie sind allerdings definitiv emanzipierter, was
sich auch in ihren Aussagen, Gesprächen und Anmerkungen niederschlägt. Sie rauchen
(Hannah), trinken (Elfe), arbeiten (Hannah, Waltraut, Österreicherin) und gehen aus (Hannah,
Österreicherin, Liesel), was bei den Portugiesinnen außer bei der Beschreibung zweier
Prostituierter nie der Fall ist.
105
7. Schlussbetrachtungen
Am Anfang dieser Diplomarbeit stand die Frage, wie Frauenstimmen im Roman Sob Céus
Estranhos literarisch inszeniert werden, ob sie in Anbetracht der Umstände (männlicher
Protagonist, männlicher Erzähler, patriarchale Gesellschaft Portugals) überhaupt vorhanden
sind und ob sich Unterschiede in den Inszenierungsarten der portugiesischen und nichtportugiesischen Figuren manifestieren.
Bei der ersten Lektüre des Romans war ich der Meinung, dass wahrscheinlich ein Großteil,
wenn nicht sogar alle der weiblichen Figuren, indirekt inszeniert sein müssten. Die darauf
folgende Arbeit am Text zeigte jedoch, dass es schwieriger als gedacht war, die Aussagen der
einzelnen Frauenfiguren von denen des Erzählers zu trennen. Durch die monologischen
Reflexionen Josés, der als Erzähler und Focalizer wirkt, ergab sich die Frage inwiefern
erzählte Reden von ihm beeinflusst, verändert oder falsch geschildert wurden. Dadurch, dass
José jedoch relativ objektiv und glaubwürdig erscheint, habe ich bei der Analyse
folgendermaßen unterschieden: direkte Zitate von José, erzählte Reden, die José wiedergibt
und Erzählungen, die von José stammen. Einen Unterschied zwischen der vorletzten und
letzten Kategorie ergibt sich meist daraus, dass die erzählten Reden oft wie direkte Reden mit
Anführungszeichen versehen sind.
Bei einer genauen Auseinandersetzung mit dem Text, zeigten sich dann erste Ergebnisse: von
achtundzwanzig analysierten Charakteren konnte man neunzehn einer indirekten Inszenierung
zuordnen.
Hierbei zeigten sich zwischen den Portugiesinnen und den Nicht-Portugiesinnen vor allem
darin Unterschiede, dass bei den Nicht-Portugiesinnen auch alle indirekt inszenierten Figuren
in erzählten Reden – wenn auch manchmal mit belanglosen Aussagen – zu Wort kommen,
was bei den Portugiesinnen seltener der Fall war. Die Portugiesinnen nehmen bei den
indirekten Inszenierungen eine noch stillere, teilweise sogar vollkommen stumme Rolle ein.
Das kann mit den gesellschaftlichen Normen in Portugal zu tun haben und stimmt mit auf
Judith Butlers These überein, dass Frauen von der Gesellschaft zu dem gemacht werden was
sie sind. Stille, sanfte Frauen, die nicht widersprechen oder ihrem Ärger Luft machen, wurden
zum idealen Bild der Frau ernannt und verwiesen somit alle in ein Leben der Zurückhaltung
106
und des Schweigens. Die meisten der portugiesischen Frauenfiguren werden zudem von ihren
Ehemännern und somit von der Gesellschaft beschrieben und zu dem gemacht was sie sind.
Keiner fragt nach ihrer Meinung und ihren Bedürfnissen. Interessant ist diesbezüglich auch,
dass es bei den Nicht-Portugiesinnen eine Ausnahme bildet, wenn Frauenfiguren über ihre
Ehemänner definiert und beschrieben werden. Es ist sogar eine gewisse Umkehrung zu
erkennen, denn teilweise übernehmen die Nicht-Portugiesinnen die Funktion über die
Geschichte oder das Wesen ihrer Ehemänner zu erzählen (Hannah, Senhora Grünbaum).
Diese Rolle wird den Frauenfiguren vor allem durch die Umstände im Exil zuteil. Außerdem
beschweren sich die Nicht-Portugiesinnen, denen Missstände natürlich stärker auffallen
müssen als den Portugiesinnen, öfter über die patriarchalen, veralteten Strukturen im Land.
(Hannah, Irma Mündel, Vera Lindomonte und ihre Tochter).
Bei fünf der analysierten Figuren liegt eine Mischform aus indirekter und direkter
Inszenierung vor, das heißt sie wurden entweder gleich oft direkt und indirekt beschrieben
oder sie kamen in wenigen, aber die indirekte Beschreibung Josés ausgleichenden, Aussagen
zu Wort. Es ist allerdings in allen Fällen eine Tendenz zur direkten Inszenierung erkennbar.
Die Mischformen sind bei den Portugiesinnen hauptsächlich bei Frauen zu finden, die nicht
den Gesellschaftsnormen entsprechen (Dona Branca, Maria) oder sich durch ihre Neugier und
den Umgang mit Leuten wie José langsam emanzipieren, ihre Vorurteile und die von der
Gesellschaft vorgegebene Verhaltensweisen ablegen (Dona Ambrosina, Teresa). Bei den
Nicht-Portugiesinnen sind die Mischformen interessanterweise eher bei der älteren
Generation (Waltraut, Irma Mündel) vertreten.
Vier der analysierten Figuren, allesamt Nicht-Portugiesinnen (die beiden Lindomontes,
Hannah Mündel, Liesel), können als rein direkte Inszenierungsform gesehen werden. Ihre
eigenen Aussagen überwiegen gegenüber den indirekten Beschreibungen Josés oder enthalten
mehr persönliche Information als dessen Aussagen. Auch dieses Ergebnis zeigt, dass die
Nicht-Portugiesinnen durch ihre Erziehung, das Leben und ihr ehemaliges Umfeld in
fortschrittlicheren,
liberaleren
europäischen
Ländern
bereits
emanzipierter
und
aufgeschlossener waren, als die Portugiesinnen, und sich nicht über das portugiesische Ideal
der leisen, sittsamen und zu Hause bleibenden Frau definierten.
107
Im Interview mit Losa spricht Engelmayer die vielen positiven, bestimmenden Männerbilder
in ihren Romanen an. 422 Tatsächlich gibt es aber zumindest in Losas Roman Sob Céus
Estranhos, der als ein sehr maskuliner Text erscheint, unterschiedlich inszenierte
Frauenfiguren, die teilweise als starke Persönlichkeiten bezeichnet werden können. Erst durch
die Analyse des Romans sieht man, dass Losas Frauenrollen gar nicht so schwach sind, wie
sie vielleicht auf den ersten Blick scheinen mögen. Zwar sind viele der Charaktere tatsächlich
leidend und unterdrückt (die Frauen Sousas, Senhor Ribeiro Pintos Ehefrau, etc.), doch es gibt
auch starke, von der Gesellschaft gemiedene oder ausgegrenzte Figuren (Dona Branca,
Teresa, Maria, etc.).
Um ihren Lesern und Leserinnen sowie deren Erwartungshorizont ein realistisches Bild der
portugiesischen Lebensumstände zu vermitteln, musste Losa allerdings auf einen männlichen
Protagonisten zurückgreifen. Eine weibliche Protagonistin, die Kaffeehäuser besucht und sich
nach Einbruch der Dunkelheit noch auf der Straße aufhält, wäre für die portugiesischen
Rezipienten nicht vorstellbar und im damaligen Portugal sicher ein Skandal gewesen.
Abgesehen davon wäre eine solche Beschreibung möglicherweise als fantastische Erzählung
abgetan worden, entsprach es doch nicht der herrschenden Sozialform. Man muss Losa also
zugestehen, dass sie nur durch einen männlichen Focalizer alle Bereiche des portugiesischen
Lebens und dem der Emigranten beschreiben kann. Dieser Kunstgriff der indirekten
Inszenierung von Frauenstimmen schafft ein detailliertes, realistisches Bild des damaligen
Portugals, seiner Bewohner und Sitten, aber auch seiner Frauen.
422
Vgl. Engelmayer: „Denn Sprache ist ja Heimat“, S. 63.
108
8. Literaturverzeichnis
8.1.
Primärliteratur
Losa, Ilse: Sob Céus Estranhos. Porto: Edições Afrontamento 42000.
Losa, Ilse: Unter fremden Himmeln. Roman. Von der Autorin aus dem Portugiesischen
übersetzt und überarbeitet. Freiburg: Beck & Glückler 1991.
8.2.
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Stella Rotenberg und Ruth Tassoni. Diplomarbeit. Universität Wien 1998.
109
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Lissabon: Comissão da Condição Feminina 31989.
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Lange, Wolf-Dieter und Andrea-Eva Smolka (Hg.): 25 Jahre nachrevolutionäre Literatur in
Portugal. Nationale Mythen und kulturelle Identitätssuche. Bd. 26. Baden-Baden: Nomos
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Klüger, Ruth: Was Frauen schreiben. Wien: Paul Zsolnay Verlag 2010.
Kroll, Renate: Was können Gender Studies heute leisten? Zu Versionen der Subversionen und
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Gender Studies in den romanischen Literaturen: Revisionen, Subversionen. Bd.1. Frankfurt
am Main: dipa-Verlag 1999, S. 13-28.
Lehr, Michael (Hg.): Briefe aus dem Exil. 30 Antworten von Exilanten auf Fragen von Arnim
Borski. Mit einem Vorwort von Günter Kunert und einem Nachwort von Arnim Borski.
Katalog 100. Berlin: Antiquariat Michael Lehr 2011.
Lindhoff, Lena: Einführung in die feministische Literaturtheorie. Stuttgart, Weimar: Verlag
J.B. Metzler 22003.
110
Magalhães, Isabel Allegro de: O Sexo dos Textos e Outras Leituras. Lisboa: Editorial
Caminho 1995.
Marques, Ana Isabel: Paisagens da Memória. Identidade e alteridade na escrita de Ilse Losa.
Coimbra: Edições MinervaCoimbra 2001.
Marques, António Henrique de Oliveira: Geschichte Portugals und des portugiesischen
Weltreichs. Aus dem Portugiesischen von Michael von Killisch-Horn. Stuttgart: Alfred
Körner Verlag 2001.
Mühlen, Patrick von zur (Hg.): Fluchtweg Spanien-Portugal. Die deutsche Emigration und der
Exodus aus Europa 1933-1945. Bonn: Dietz 1992.
Nunes, Adriana: Ilse Losa, Schriftstellerin zwischen zwei Welten. Berlin: edition tranvía,
Verlag Walter Frey 1999.
Offenhäußer, Dieter: Ilse Losa: Unter fremden Himmeln. »… als zöge die Landschaft und wir
ständen fest.« In: Engelmayer, Elfriede und Renate Heß (Hg.): Die Schwestern der Marian
Alcoforado. Portugiesische Schriftstellerinnen der Gegenwart. Berlin: edition tranvía 1993, S.
170-184.
Pimentel, Irene Flunser: História das Organizações Femininas do Estado Novo. Lissabon:
Temas e Debates 2001.
Sadlier, Darlene J.: The Question of How. Women Writers and new portuguese Literature.
Contributions in Women’s Studies, n°109. New York, Westport, London: Greenwood Press
1989.
Scherrer, Doris Schafer: Schreiben Frauen anders? Klischees auf dem Prüfstand. Freiburg:
Universitätsverlag Freiburg Schweiz 1998.
Stanzel, Franz K.: Typische Formen des Romans. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
3
1967.
111
8.3.
Zeitungsartikel
Engelmayer, Elfriede: Vom Anderssein. Zu drei Erzählungen von Ilse Losa. In: Tranvía.
Revue der Iberischen Halbinsel. Nr. 26, September 1992, S. 62-65.
Engelmayer, Elfriede: „Denn Sprache ist ja Heimat, dieses furchtbare Wort“. Ein Gespräch
mit Ilse Losa. Porto/Januar 89. In: Tranvía. Revue der Iberischen Halbinsel. Nr. 51, Dezember
1998, S.62-64.
Pollack, Ilse: Ilse Losa oder Emigration nach Portugal. Materialien für ein Porträt. In: Mit der
Ziehharmonika 10, 1993. H.2.
8.4.
Internetquellen
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http://library.fes.de/cgibin/ng_mktiff.pl?year=1997&pdfs=1997_0824x1997_0825x1997_0826x1997_0827x1997_0
828 [Letzter Zugriff am 18.10.2012]
Marques, Ana Isabel: As traduções de Ilse Losa no período do Estado Novo: Mediação
cultural e projecção identitária. Tese de Doutoramento (Dissertation). Universidade de
Coimbra
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19.10.2005,
S.
15.
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Zugriff am 22.3.2012]
112
Auf:
[Letzter
8.5.
Andere Medien
Berchthold, Elisabeth (Gestaltung): Unter fremden Himmeln – Die Schriftstellerin und
Übersetzerin Ilse Losa. Radioreihe „Menschenbilder. Die Sendung vom geglückten Leben“,
ORF 29.10.1989.
113
9. Abstracts
9.1.
Resumo em português
Introdução
Ilse Losa (1913-2006) nasceu na Alemanha. Menina de família judaica, ela fugiu do regime
nazista para Portugal. Lá, ela instalou-se no Porto, casou-se, teve filhos. Viveu as décadas do
Salazarismo e a opressão da mulher, um impacto enorme na na sua vida. É possível que tanto
esse período, como a situação diferente da mulher entre Alemanha e Portugal manifestem-se
na obra de Losa. Com respeito a esses factos, um romance tão masculino como no caso de
Sob Céus Estranhos torna-se ainda mais interessante para uma análise de aspectos femininos.
Perguntas que surgem são, por exemplo: Há, em primeiro lugar, vozes femininas no romance?
Como é que essas vozes são apresentadas? Há, neste texto, também um olhar feminino às
coisas apesar de o narrador ser masculino?
A sociedade portuguesa daquela época era menos emancipada do que outras sociedades
europeias, por isso há também a hipótese de que há uma diferença entre o modo de encenação
das Portuguesas e das Não-Portuguesas. Para diferenciar entre os vários modos de encenação,
uma análise das figuras femininas, tanto de origem portuguesa quanto de origem estrangeira,
será feita. O objectivo do relatório apresentado será, portanto, uma análise em vista dos
modos de encenação literária das vozes femininas do romance.
A primeira parte do trabalho é composta por quatro capítulos de teoria. Esses são o estado da
questão, em que os textos utilizados são apresentados e descritos. Em seguida, há dois
capítulos sobre a biografia de Ilse Losa, primeiro sobre a sua vida e, em segundo lugar, sobre
a sua obra e as suas temáticas. O terceiro capítulo é um excurso na área da história de
Portugal. Lá encontra-se um resumo dos eventos que lideram a revolução de 1910, dos anos
da Primeira República, do início da ditadura militar e do período do Estado Novo até a
Revolução dos Cravos em 1974. Uma segunda parte trata do papel da mulher nos anos da
114
ditadura para entender melhor qual foi o impacto dessa opressão na autora Losa e nos seus
textos.
Estado da Questão
No capítulo sobre o estado da questão há um estudo das fontes secundárias sobre os aspectos
seguintes: em primeiro lugar, as fontes sobre Ilse Losa serão apresentadas, porque a pesquisa
nessa área tem início só no fim dos anos 80 e especialmente nos últimos anos monografias
interessantes foram escritas.
Os dois outros aspectos dos quais há uma listagem das fontes são as obras sobre a teoria da
literatura feminista e da narratologia, úteis para a pesquisa e o estudo da temática; são
alegados, particularmente, os textos Gender trouble de Judith Butler, Le Deuxième Sexe de
Simone de Beauvoir e Nouveau discours du récit de Gérard Genette.
Informações biográficas
Biografia de Ilse Losa
Ilse Losa, nascida Ilse Lieblich, nasceu em 1913 em Buer/Alemanha e morreu em 2006 no
Porto/Portugal. Teve mais dois irmãos. A família mudou-se para Melle mas Ilse ficou com os
avós. Em 1919, Losa voltou a viver junto com os seus pais. Isso marcou uma primeira ruptura
na vida da menina. O pai morreu em 1930 e Losa teve de deixar a escola. A mãe abriu uma
pensão e Losa foi a uma escola comercial. Em seguida foi para a Inglaterra onde tirou um
curso de inglês e trabalhou como au pair. O trabalho com as crianças motivou o interesse de
Losa, não só em puericultura, mas também em literatura juvenil e infantil. Nesse tempo
começou a escrever: inicialmente foram apontamentos sobre as suas experiências e
observações do dia-a-dia; logo redigiu curtas histórias.
De volta à Alemanha, Losa encontrou trabalho num hospital em Hanôver. Já em 1933, com a
tomada do poder por Hitler, perdeu o seu posto de trabalho. Conseguiu arranjar um emprego
em Berlim e só um ano depois teve de deixar a Alemanha. A razão pela fuga foi uma carta
escrita por Losa, em que ela chamou Hitler de criminoso, foi interceptada. Depois de um
115
inquérito de várias horas foi deixada livre e decidiu fugir para Portugal onde um irmão e um
tio já viviam. Não se adaptou a todas as convenções, mas integrou-se relativamente bem. No
princípio trabalhava como criada para as crianças e dava aulas de alemão. Em 1935 casou-se
com o arquitecto Arménio Taveira Losa e tiveram duas filhas: Alexandra, em 1938, e
Margarida, em 1943. Ao fim da Segunda Guerra Mundial Losa ficou em Portugal. Nos anos
seguintes trabalhou em vários postos de trabalho, entre outras como tradutora, professora e
como leitora na Editora Livros do Brasil.
E, primeiro para curar uma depressão, começou a escrever outra vez. Esforçada pelo marido e
amigos publicou o primeiro romance O Mundo em que Vivi em 1949 escrito em português.
Foi um grande êxito e animou Losa a escrever mais dois romances, várias narrativas para
adultos e crianças, mas também poemas, short stories, et cetera. Na Alemanha tornou-se
conhecida só nos anos 90 quando os dois romances O Mundo em que Vivi e Sob Céus
Estranhos foram traduzidos.
Obra de Ilse Losa
A obra de Ilse Losa tem várias temáticas que são, segundo Engelmayer e especialmente nos
textos narrativos 423, o universo dos exilados/emigrantes e todas as suas experiências e
aspectos (Integração, Solidão, etc.), o mundo dos jovens e das crianças e histórias em que
muitas vezes se trata de destinos individuais ou femininos vividos no contexto da realidade
portuguesa.
Em vista do romance Sob Céus Estranhos nota-se que o tema principal é o exílio. Ao analisar
o texto, será outrossim controlado se a temática do destino feminino também é usada.
Informações históricas
Da Monarquia ao Estado Novo
O Salazarismo e o Estado Novo formam o núcleo histórico do romance Sob Céus Estranhos.
Para analisar o texto é importante entender o tempo em que a narrativa tem lugar. Durante o
423
Vgl. Engelmayer: Vom Anderssein, S. 64.
116
período do Estado Novo, Portugal foi um país atrasado e o papel da mulher foi, por décadas,
pouco emancipado.
Já nos tempos da Monarquia, que acabou com uma revolta em 1910, havia grandes problemas
como o analfabetismo e a pobreza. Mas os políticos da Primeira República (1910-1926) não
conseguiram melhorar a situação nem criar uma certa estabilidade. Durante os 16 anos da
República houve 44 governos, sete eleições para parlamento e oito presidentes do Estado.
Também os outros problemas seguiram na mesma, a taxa de analfabetismo, por exemplo, era
extremamente alta, os sistemas de saúde e educação não foram patrocinados, o povo vivia em
miséria. Todos esses aspectos, também a Primeira Guerra Mundial, ajudaram a enfraquecer o
sistema político e o poder do Partido Democrático. Em 1926 houve outra revolução, que
resultou numa ditadura militar sob Óscar António de Fragoso Carmona. Salazar, que se
tornou Primeiro Ministro em 1932, começou como Ministro das Finanças e conseguiu
liquidar todas as dívidas do país até 1939. Essa austeridade causou também o desprezo do
país, especialmente da classe baixa. Como meios de opressão, o Estado Novo utilizou entre
outros um campo de concentração nas ilhas de Cabo Verde, aberto entre 1936 e 1974, e a
Polícia de Vigilância e Defesa do Estado (PVDE), mais tarde Polícia Internacional e de
Defesa do Estado (PIDE), que se orientou na Gestapo da Alemanha.
Quando teve um acidente vascular cerebral em 1968, Salazar foi sucedido por Caetano.
Caetano tentou salvar o ruinoso sistema político mas no dia 25 de Abril de 1974 aconteceu a
conhecida Revolução dos Cravos que deu início ao futuro de Portugal como país democrático.
O papel da mulher no Estado Novo
Como toda a política do Estado Novo, também o mundo e o papel da mulher foram muito
atrasados e restritos. Já no século XIX., o papel da mulher foi restrito a casa, a família e a
enfermagem.
De 1867 a 1967 havia praticamente o mesmo Código Civil – o Código de Seabra – que
significava pelas mulhers não ter muitos directos. Por exemplo: mulheres tinham de viver
com o marido, não deviam votar, não tinham guarda de filhos quando o pai morreu, etc. A
Primeira República reformou algumas partes do Código Civil, intruduziu por exemplo um
novo directo de divórcio em 1910. Mas com o Estado Novo e o Código de Processo Civil do
ano 1939 todas essas renovações foram desavisadas, como o casamento civil. De 1931 a 1974
117
só mulheres que frequentavam a escola secundária ou um curso universitário tinham a
autorização para votar. O papel da mulher no Estado Novo também foi concentrado ao lar e a
família, mas mulheres solteiras podiam trabalhar. Por causa do alto desemprego, as profissões
também foram limitadas, como por exemplo os trabalhos ligados às substâncias tóxicas. Além
disso as mulheres precisavam uma autorização do marido se quisessem trabalhar. Mulheres
Solteiras precisavam, em contrapartida, uma autorização do estado se quisessem casar.
Assim a vida privada e social das mulheres ficou por muito tempo restrita: cafés só pelos
homens, cinema ou confeitaria só em companhia de membros de família, ficar em casa depois
do jantar, à rua só com lençol ou chapéu e meias. Uma situação que só melhorou quando os
emigrantes da Segunda Guerra Mundial vieram para Portugal e com eles uma certa
modernidade.
Talvez essas restrições, essa vida restritiva cale as figuras femininas no romance Sob Céus
Estranhos porque são tão marginalizadas.
Abordagem teórica
Para uma compreensão extensiva do tema é obvio que só a análise do romance não basta. Por
uma aproximação ao tema e um melhor entendimento apliquei teorias especialmente da
literatura feminista e da narratologia. No caso das teorias feministas, dou um resumo das mais
importantes correntes e focaliza nas teses de Judith Butler e Simone de Beauvoir. A área da
narratologia concentra-se à focalização de Gérard Genette.
Teoria literária feminista
Esta parte engloba os desenvolvimentos das teorias feministas e os mais importantes e
conhecidas correntes da teoria literária feminista – como por exemplo a ecriture féminine de
Hélène Cixous ou parler femme de Luce Irigaray. Mas, concentra-se em particular com as
teses de Judith Butler no texto Gender Trouble que diz respeito à obra Le Deuxième Sexe de
Simone de Beauvoir.
Em contrapartida a Beauvoir, Butler faz a diferença entre os termos sex e gender. Sex é
utilizado como termo para o sexo biológico, o termo gender denomina um sexo construído
118
pela cultura. Quer dizer, que uma mulher é definida por uma cultura quase sempre masculina.
Segundo Butler ser mulher significa o processo de adaptar-se a uma ideia histórica do termo
mulher. Em vista do romance relativamente masculino de Losa essa tese vai ajudar à
diferenciar entre os modos de encenação. Põe em questão se as mulheres vão falar de si
próprias ou se só são descritos/falam por meio dos homens.
Narratologia
A parte sobre a teoria da narratologia concentra-se no termo focalização de Gérard Genette
que foi introduzido para concretizar a perspectiva dum texto. Textos podem ter diferentes
tipos de focalização:
• A focalização zero tem lugar num texto em que há um narrador omnisciente que sabe
os pensamentos e emoções de todas as personagens.
• A focalização interna é ligada a uma figura que conta o que sabe. Os pensamtos das
outras personagens não são incluídos. No caso da focalização interna há, seguindo
Genette, mais três modos:
o A focalização variável designa um texto em que o narrador muda e uma outra
pessoa torna-se narrador.
o A focalização múltipla é o caso quando um certo evento é contado da
perspectiva de várias figuras.
o A focalização fixa descreve que a perspectiva narrativa é, em todo o texto, a
mesma e não muda.
•
A focalização externa é ligado a uma narrativa em que só o enredo do texto é contado.
Não existem emoções ou pensamentos das personagens, nem do narrador.
Em termos do romance Sob Céus Estranhos trata-se de uma focalização interna variável
porque o narrador pessoal dos capítulos 1 e 30 e também no epílogo é variado com o
monólogo do protagonista José Montanha. As emoções e pensamentos do protagonista José
sempre são mencionados enquanto não há uma introspeção das outras personagens. Em vista
disso, José/o narrador só contam coisas que foram contados por eles.
119
Encenação literária das mulheres no romance Sob Céus Estranhos
A análise do romance é composta por duas partes. Na primeira parte as figuras femininas
portuguesas são analisadas, na segunda parte as da origem estrangeira, na maioria da
Alemanha e Áustria. Foi difícil encontrar uma categoria para englobar tanto as mulheres do
passado de José na Alemanha, que ainda são importantes ou lembranças caras dele, quanto as
refugiadas em Portugal. Por isso os termos de Portuguesas e Não-Portuguesas são aplicados
aos dois grupos.
Portuguesas
Figuras portuguesas analisadas neste capítulo são: a mulher do Senhor Ribeiro Pinto, as
mulheres de Sousa (Dona Maria da Piedade, Dona Maria da Liberdade, Maria Paula,
Luísinha, Elvira), Dona Branca, Teresa, Maria, Dona Ambrosina e Dona Alice, Nazaré, a mãe
de Gil, a irmã de Gil, a mulher de Luís, a mulher do secretário do consulado americano, Dona
Beatriz e Dona Maria do Céu.
O resultado em vista das figuras portuguesas é que em quinze de dezoito casos foi utilizado
uma encenação indirecta. Parcialmente, estas mulheres nem dizem uma única palavra (Dona
Beatriz, a mulher de Luís, a mulher do Senhor Ribeiro Pinto) e quando falam não dizem nada
sobre as suas emoções ou opiniões.
Os outros três personagens (p.e. Dona Branca, Teresa, Maria) mostram uma certa mistura
entre encenação directa e indirecta, com tendência a directa. Mas também nestes casos as
mulheres são descritas por José ou o narrador pessoal.
A razão pela maioria das encenações indirectas é associada com as tradições e normas da
sociedade portuguesa. Marcante é o facto que mulheres que rompem com as tradições e não
actuam conforme à norma (Dona Branca, Teresa, Maria, Dona Ambrosina) são encenadas
mais directas que as “mulheres típicas portuguesas” (mulher de Senhor Ribeiro Pino, as
Sousas).
Concretiza-se a teoria de Judith Butler: na maioria das figuras não são as mulheres que se
definem, mas sim os homens/maridos/o narrador pessoal/José. As mulheres muitas vezes são
120
descritas ou “feitas” por meio das afirmações deles. Em resumo as Portuguesas parecem
caladas, mudas e não muito aberto.
Não-Portuguesas
Figuras portuguesas analisadas neste capítulo: Waltraut, Liesel, as Lindomontes (Vera
Lindomonte e sua filha), as Mündels (Irma e Hannah), Rosemarie Grünbaum, a Senhora
Teich, a Austríaca e Elfe.
O resultado da análise das dez figuras não-portuguesas mostra quatro encenações directas e
quatro indirectas, assim como dois casos em que há outra vez uma mistura das encenações
indirecta-directas. Em geral, nota-se uma tendência mais forte pela encenação directa do que
nas figuras portuguesas. Também há diferenças entre Não-Portuguesas e Portuguesas quanto
ao número de actos de fala. Todas as figuras femininas, tanto as encenadas com um modo
indirecto como directo, dizem pelo menos uma vez qualquer coisa. As mulheres têm força de
vontade e contradizem muitas vezes nas conversas com outras pessoas. Marcante é também
que, no caso das mulheres não-portuguesas, há algumas que falam sobre a situação dos
maridos e que os descrevem (Hannah, Senhora Grünbaum) – uma situação que não se passa
com as mulheres portuguesas que são descritas pelos homens.
Estes resultados sustentam a teoria que a encenação indirecta é menos utilizada na descrição
das mulheres não-portuguesas. Uma razão pode ser o tempo passado em países diferentes,
mais liberais e modernos do que em Portugal. Elas já experimentavam outras tradições e
normas e não se podiam definir sobre o papel português da mulher. Se calhar essas mulheres
ilustram bem a situação de Ilse Losa. Outra coisa é que essas figuras vêem o inconveniente da
política e do quotidiano português e abordam-nos. Também nelas concretiza-se a teoria de
Judith Butler porque elas só são integradas quando aceitam as tradições e normas portuguesas
e o papel da mulher tão diferente.
Em resumo, as Não-Portuguesas parecem mais emancipadas do que as figuras portuguesas, o
que se vê nas conversas e actos: fumam (Hannah), bebem (Elfe), sortem (Hannah,
Österreicherin, Liesel) e trabalham (Hannah, Waltraut, Österreicherin).
121
Conclusão
No meu trabalho cheguei à conclusão que há nem só umas fortes vozes/figuras femininas mas
também uma diferença entre as figuras portuguesas e não-portuguesas.
19 de 28 personagens analisadas podem-se relacionar com uma encenação indirecta. Todas as
Não-Portuguesas encenadas indirectas fazem pelo menos uma vez o uso da palavra: elas
falam, conversam e discutem. Em contrapartida, não todas das Portuguesas com encenação
indirecta falam. Na verdade muitas delas estão caladas. Cinco figuras portuguesas rompem
com este sistema e mostram uma tendência à encenação directa. É interessante que essas
mulheres são ou excluídas pela sociedade (prostitiução, oposição política) ou interessadas em
coisas modernas, novas e estrangeiras. Esse facto está de acordo com as teorias sobre os
termos sex e gender de Judith Butler. Quatro das figuras femininas, todas Não-Portuguesas,
mostram uma encenação directa. Também este resultado mostra a forte influência da cultura e
sociedade em que elas foram criadas. Esse facto está de acordo com as teorias sobre os termos
sex e gender de Judith Butler. Quatro das figuras femininas, todas Não-Portuguesas, mostram
uma encenação directa. Também este resultado mostra a forte influência da cultura e
sociedade em que elas foram criadas. Já são personalidades que não se podem ou querem
definir sobre o ideal antiquado da mulher portuguesa.
Ao termos esses resultados, podemos dizer que um Focalizer masculino como José foi um
artifício necessário para possibilitar um romance mais próximo possível à realidade
portuguesa deste tempo.
122
9.2.
Deutsche Zusammenfassung
Die hier vorgelegte Diplomarbeit behandelt die literarische Inszenierung von Frauenstimmen
im Roman Sob Céus Estranhos (1962) der deutsch-portugiesischen Autorin Ilse Losa. Da die
Autorin als Jüdin vor dem Nazi-Regime nach Portugal fliehen musste und dort mit dem
patriarchalen System des Estado Novo (1932-1974) konfrontiert wurde, hat sie sich in ihrem
teilweise autobiografischen Werk oft mit dem Schicksal der Exilierten, aber auch dem der
Frauen beschäftigt. In dieser Kombination bietet sich der Roman Sob Céus Estranhos
besonders für eine Analyse an, da er durch den männlichen Erzähler/Protagonisten zu einem
sehr maskulinen Text wird, dem man auf dem ersten Blick nichts Feminines ansieht. Es stellt
sich daher die Frage, ob in dem Roman Frauenstimmen vorkommen, wie sie sich
manifestieren oder ob der Texte möglicherweise eine rein männliche Sicht der Dinge
wiedergibt. Es wird die Geschichte von Josef Bergers/José Montanhas Leben im Exil erzählt.
Er trifft dort sowohl auf Frauen aus Portugal als auch anderen europäischen Ländern. Die
Bekanntschaften mit so unterschiedlichen Frauenfiguren lässt zudem die Hypothese zu, dass
in der Inszenierungsart von Portugiesinnen und Nicht-Portugiesinnen ein Unterschied
feststellbar sein könnte. Im Zentrum der Arbeit steht dabei eine eingehende Figurenanalyse in
Hinblick auf das Auftreten von direkten und indirekten Inszenierungsformen.
Bevor jedoch die Analyse am Text möglich ist, beschäftigt sich die Arbeit mit Ilse Losas
Leben und Werk, da gerade die Erlebnisse der Flucht und des Exils für die Autorin und ihr
literarisches Schaffen prägend waren. Darauf folgend wird ein Überblick über den
historischen Hintergrund gegeben, der sowohl für das Verständnis der Autorin als auch des
Romans essentiell ist. Dabei sollen die Ereignisse die zum Estado Novo führten und daraufhin
auch auf die Rolle, die der portugiesischen Frau während der Diktatur zuteilwurde, aufgezeigt
werden. Das letzte Theoriekapitel bietet eine Übersicht der für die Arbeit wichtigen Ansätze
der feministischen Literaturtheorie und der Erzähltheorie, besonders in Hinblick auf Butlers
Gender Trouble und Beauvoirs Le Deuxième Sexe sowie dem Begriff der Fokalisierung von
Gerard Genette.
Den Hauptteil der Arbeit stellt die eingehende Analyse der Frauenstimmen/Frauenfiguren in
Sob Céus Estranhos. Es wird untersucht, inwiefern die Frauenstimmen direkt oder indirekt
inszeniert werden, wie und was der Rezipient über die Figuren erfährt.
123
10.
Lebenslauf
ANGABEN ZUR PERSON
Name:
Staatszugehörigkeit:
Julia Holzschuh
Österreich
AUSBILDUNG
seit 2007
Studium der Deutschen Philologie an der Universität Wien
seit 2006
Studium der Romanistik (Portugiesisch) an der Universität Wien
1998-2006
Klemens-Maria-Hofbauer Gymnasium, Katzelsdorf
1994-1998
PVS Santa Christiana, Wiener Neustadt
AUSLANDSAUFENTHALTE
Studienjahr 2009/10 Zwei Auslandssemester im Zuge des Romanistik-Studiums an der
Universidade Nova de Lisboa, Portugal
Sommer 2008
Österreichisch-portugiesisches Sommerkolleg in Colares, Portugal
Sommer 2007
Österreichisch-portugiesisches Sommerkolleg in Payerbach, Österreich
BERUFSERFAHRUNG (AUSWAHL)
2012/2013
NMS Purkersdorf
Portugiesisch-Workshop (Jän., Sept., Jän.) à 4 Stunden
Juli 2011-laufend
Communication Systems International GmbH
Medienauswerterin / Übersetzerin für brasilianische Medien
SPRACHEN
Deutsch
Englisch
Portugiesisch
Französisch
Spanisch
124
Muttersprache
Sehr gut in Wort und Schrift
Sehr gut in Wort und Schrift
Gute Kenntnisse in Wort und Schrift
Grundkenntnisse

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