Evonik Magazin 4/2008

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Evonik Magazin 4/2008
Evonik-Magazin
Evonik-Magazin
4| 2008
4| 2008
Die Zukunft der Fotovoltaik
1_Evonik_04-08_DE 1
05.11.2008 9:41:00 Uhr
www.evonik.de
Wer macht eigentlich den
Strom sauberer?
Wir machen so was.
Wir machen Kraftwerke umweltfreundlicher und
noch vieles mehr. Mit führender Technologie
steigern wir die Effizienz, reduzieren den CO2-Ausstoß
und nutzen erneuerbare Energieträger. Weltweit.
Wir sind der kreative Industriekonzern aus Deutschland
für Chemie, Energie und Immobilien.
2_Evonik_04-08_DE 2
218166_Steckdosenw_EvMag_DE.indd
1
31.10.2008
Uhr
09.10.2008 18:02:43
9:41:07 Uhr
EVONIK-MAGAZIN 4/2008
EDITORIAL 3
„Tag, Herr Engel!“
Evonik-Magazin begrüßt den designierten Vorstandsvorsitzenden Dr. Klaus Engel, der
zur Jahreswende Dr. Werner Müller nachfolgt, und rechnet vor, dass die Sonne das
3000-Fache des weltweiten Energiebedarfs abdecken könnte – wenn wir sie nur ließen!
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
„Den Aufbruch
gestalten“: Dr. Werner
Müller, der designierte
Nachfolger Dr. Klaus
Engel, RAG-StiftungsChef Wilhelm
Bonse-Geuking
„Tag, Herr Engel, Müller hier.“ Es war 2006,
als Werner Müller einen erfahrenen Mann
für den Vorstandsvorsitz beim Chemieunternehmen Degussa suchte. Dessen Integration
in den Beteiligungsbereich der RAG lief
gerade auf Hochtouren, die Trennung von
subventioniertem Bergbau und profitablem
Industriegeschäft war noch lange nicht
unter Dach und Fach. Nicht das, was man als
stabile Ausgangslage bezeichnen könnte. Doch Engel griff zu. Zwei Jahre später:
Trotz steigender Rohstoffpreise und abkühlender Weltkonjunktur hat der operative
Gewinn der Chemiesparte der Evonik Industries AG zuletzt um 17 Prozent zugelegt.
Jetzt sagte Engel wieder Ja. Er steckte gerade in den Vorbereitungen für einen Vortrag
zum Thema „Energie-Effizienz“. Diesmal war RAG-Stiftungs-Chef Wilhelm Bonse-Geuking
am anderen Ende der Leitung. Ob er bereit sei, Werner Müller zum 1. Januar 2009
auf den Vorstandsvorsitz von Evonik Industries zu folgen. Die Ankündigung des Wechsels
an der Konzernspitze löste ein breites Echo aus. Denn mit Werner Müller scheide nicht
nur ein Konzernchef, sondern der Architekt des Stiftungsmodells und der entscheidende
Geburtshelfer von Evonik Industries. „Müller pflegt Menschen“, schrieb Buchautor
Rafael Seligmann („Die Kohle-Saga“) über den Wanderer zwischen Politik und Wirtschaft –
und besser lässt sich der Stil des nunmehrigen „Vorgängers“ nicht beschreiben.
“I say hello, you say good bye”
Aktuelle Sonder-Edition: Die Pflege von Menschen wird bei Evonik auch weiterhin im Vordergrund stehen. Engel
Weggefährten verabschieden appellierte an die Führungskräfte, das Schicksal von Evonik auch weiterhin selbst in die Hand
sich beim scheidenden zu nehmen: „Ich setze auf sie, wie Sie alle auf mich setzen können.“ Diese auf die „human
Vorstandsvorsitzenden
FOTO: KARSTEN BOOTMANN
ressources“ gestützte Tatkraft wird auch notwendig sein zur Erreichung der ehrgeizigen
Ziele. „Mit Werner Müller sind wir am Kapitalmarkt angekommen“, beschreibt Engel den
Wendepunkt, „jetzt müssen wir uns auf diesem Parkett zu den Topadressen vorarbeiten.“
3_Evonik_04-08_DE Abs1:3
Mit Perspektive auch das Titelthema dieses Evonik-Magazins: unsere Sonne – und
welche Beiträge Evonik leistet, die Fotovoltaik so effizient zu machen, dass sie in nicht so
ferner Zukunft bis zu 50 Prozent des Energiebedarfs decken kann. Sie werden staunen,
wie weit die Entwicklungen sind.
Viel Vergnügen bei der Lektüre!
Ihr Redaktions-Team Evonik-Magazin
05.11.2008 18:47:55 Uhr
6 FOTOVOLTAIK
34 ANTI-AGING
40 BLINDE PASSAGIERE
48 MUSEUM KÜPPERSMÜHLE
4_Evonik_04-08_DE 4
05.11.2008 9:18:50 Uhr
EVONIK-MAGAZIN 4/2008
EDITORIAL
IMPRESSUM
3 „Tag, Herr Engel”
Herausgeber:
Evonik Industries AG
Christian Kullmann
Rellinghauser Str. 1–11
45128 Essen
Chefredaktion:
Inken Ostermann (V.i.S.d.P.)
Objektmanagement Evonik:
Ute Drescher
Art Direction:
Wolf Dammann
Redaktion (Leitung):
Michael Hopp
Chefin vom Dienst:
Roswitha Knye
Fotoredaktion:
Ulrich Thiessen
Dokumentation:
Kerstin Weber-Rajab,
Tilman Baucken; Hamburg
Gestaltung:
Teresa Nunes (Ltg.),
Anja Giese, Heike Hentschel,
Silke Möller, Samantha Ungerer/
Redaktion 4
Schlussredaktion:
Wilm Steinhäuser
Verlag und Anschrift
der Redaktion:
HOFFMANN UND CAMPE VERLAG
GmbH, ein Unternehmen der
GANSKE VERLAGSGRUPPE
Harvestehuder Weg 42
20149 Hamburg
Telefon +49 40 44188-457
Telefax +49 40 44188-236
E-Mail [email protected]
Geschäftsführung:
Manfred Bissinger
Dr. Kai Laakmann
Dr. Andreas Siefke
Objektleitung:
Eva Maria Böbel
Herstellung:
Claude Hellweg (Ltg.), Oliver Lupp
Litho:
PX2, Hamburg
Druck:
Laupenmühlen Druck, Bochum
Copyright:
© 2008 by Evonik Industries AG,
Essen. Nachdruck nur mit
Genehmigung des Verlages. Der Inhalt
gibt nicht in jedem Fall die Meinung
des Herausgebers wieder
Kontakt:
Fragen oder Anregungen zum
Inhalt des Magazins:
Telefon +49 0201 177-3831,
Telefax +49 0201 177-2908,
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oder Bestellungen:
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Telefax +49 40 68879-199
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GESTALTEN
6 Die Sonnenfänger
Weltweit steigt das Interesse an der Fotovoltaik, der Umwandlung von Sonnenlicht in Strom.
Die Zukunft der Fotovoltaik hat gerade erst begonnen – mit Wachstumsraten von 50 Prozent
FÖRDERN
18 Hightech ernten – vom Acker
Die „weiße Biotechnologie” gewinnt Chemieprodukte aus nachwachsenden Rohstoffen.
Im Science-to-Business-Center Marl entstehen Verfahren, die es möglich machen, dass Sportschuhe,
CDs oder Küchenflächen künftig vom Acker kommen
INFORMIEREN
24 Ökonomie des Wassers
Nur ein Prozent des verfügbaren Wassers auf der Erde würde ausreichen, um die Welt zu versorgen. Der natürliche
Wasserkreislauf – Regen, den die Flüsse ins Meer leiten, aus dem es wieder zu Wolken verdunstet – garantiert den
Nachschub. Dennoch ist Wasser knapp
BEWEGEN
26 Strom nach Indien
Indien werde China beim Wirtschaftswachstum überholen, prognostizieren Wirtschaftsexperten.
Doch 400 Millionen Inder müssen noch ohne Strom leben
ENTWICKELN
34 Die Haut überlisten
Die Forschung weiß heute mehr über die Regeneration der Haut als je zuvor. Neue bioaktive Substanzen und Wirkstoffe
lassen das Altern alt aussehen – ganz ohne Skalpell
INFORMIEREN
38 Das neue Sicherheitsnetz
FOTOS: GETTY IMAGES (2), STANDOUT/TANIA REINICKE, PICTURE-ALIANCE (IM UHRZEIGERSINN); TITEL: GETTY IMAGES
INHALT 5
Im Ruhrgebiet hat Evonik Energy Services GmbH das deutschlandweit größte öffentliche Digital-Mobilfunknetz im
Tetra-Standard installiert – bei der Feuerwehr
VERSORGEN
40 Wir müssen draußen bleiben
Mit dem Ballastwasser von Frachtschiffen reisen exotische Organismen mit. Sie bilden für Ökosysteme eine
Bedrohung, die mit der Erderwärmung auf einer Stufe steht. Abhilfe schafft ein Filtersystem mit weltweitem Patent
MANAGEN
44 Eine Marke namens Borussia
Profiklubs im Fußball haben sich längst zu mittelständischen Unternehmen der Entertainment-Industrie
entwickelt. Jetzt haben sie auch die Markenpflege entdeckt
ERLEBEN
48 Hafen mit Aussicht
Strukturwandel? Bitte sehr! Der Duisburger Innenhafen ist zu neuem Leben erwacht.
Die von Herzog & de Meuron überbaute Küppersmühle soll das neue Wahrzeichen der Region werden – und die
größte Sammlung deutscher Kunst beherbergen
DISKUTIEREN
56 Lassen wir die Bildung zu kurz kommen?
Offenbar ja, im internationalen Vergleich gibt Deutschland wenig für die Bildung aus. Es fehlt nicht
an Studien und Untersuchungen – aber was könnten die Konsequenzen sein?
LEBEN
58 Der Quantensprung kommt
Tom Schimmeck über die Computer von morgen und die verrückte Welt der Elementarteilchen
Diese Ausgabe des Evonik-Magazins finden Sie auch online unter www.evonik.de
5_Evonik_04-08_DE Abs2:5
AEROSIL®, PERACLEAN®, PLEXIGLAS®,
seNet® und Siridion® sind geschützte Marken
der Evonik Industries AG oder ihrer Tochterunternehmen. SEDNA® ist ein eingetragenes
Warenzeichen der Hamann AG. Sie sind im
Text in Großbuchstaben geschrieben
30.10.2008 15:38:57 Uhr
6
GESTALTEN
FOTOVOLTAIK
EVONIK-MAGAZIN 4/2008
Die Sonnenfänger
Weltweit steigt das Interesse an der Fotovoltaik, der Umwandlung von Sonnenlicht in Strom.
Die Zukunft der Fotovoltaik hat gerade erst begonnen – mit Wachstumsraten von 50 Prozent
TEXT KLAUS JOPP
FOTO: BILDERBERG/EBERHARD GRAMES
DIE SONNE LACHT strahlender vom
Himmel als je zuvor. Diese Feststellung ist
keine Wetterprognose für den nächsten
Sommer, sondern betrifft die welt weiten
Märkte für Solarenergie. Nach Vorhersagen des Bundesverbandes Solar wirtschaft
(BSW, Berlin) beschleunigt sich das Wachstum 2008 noch einmal beträchtlich auf
eine Gesamtgröße von 3,6 Gigawatt, ein
Plus von 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr 2007, in dem rund um den Globus 2,4
Gigawatt Solarstromleistung neu installiert
wurden. Wichtige Treiber für diese Entwicklung sind die steigende Nachfrage und
die in immer mehr Ländern eingeführten
staatlichen Förderprogramme für die Elektrizität aus der Sonne zusammen mit der
stetigen Verteuerung von „konventionell
erzeugter Elektrizität“. „Solarstrom entwi-
ckelt sich zunehmend zum Gigatrend bei
der globalen Energieversorgung“, bestätigt
Carsten Körnig, Geschäftsführer des BSW.
Vor diesem Hintergrund baut die Evonik
Industries AG ihre Aktivitäten zur Rohstoffversorgung der Solarindustrie konsequent
aus. Im August 2008 hat das Unternehmen
zusammen mit der SolarWorld AG (Bonn)
eine neue Anlage zur Produktion von Solarsilizium im badischen Rheinfelden eingeweiht, die im Rahmen des gemeinsamen
Beteiligungsunternehmens Joint Solar
Silicon (JSSi; Freiberg, Sachsen) betrieben
wird. Dabei leisten die Partner einen Beitrag
zum Energiesparen im doppelten Sinne:
Zum einen wird der Ausbau der Fotovoltaik,
der direkten Strom-Erzeugung aus Sonnenlicht, gestärkt. Zum anderen wird ein neues
Verfahren zur Gewinnung des benötigten
Siliziums etabliert, das gegenüber der herkömmlichen Produktion des Halbleitermate- >
Energie aus dem All mit großer Zukunft:
Fotovoltaik-Anlage in Kalifornien
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05.11.2008 16:39:30 Uhr
7
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05.11.2008 16:39:34 Uhr
8
1960:
2.000
US-$
> rials mit bis zu 90 Prozent weniger Energie
auskommt. „Mit der Einweihung der Anlage gibt Evonik Industries eine Antwort auf
die weltweite Forderung, den Anteil alternativer Energien an der Strom-Erzeugung
weiter zu erhöhen“, betont Evonik-Vorstand
Dr. Alfred Oberholz.
Im industriellen Maßstab wird elementares Silizium durch die Reduktion von
Quarzsand (Siliziumdioxid) mit Kohlenstoff gewonnen, wobei im Lichtbogen bei
Temperaturen von etwa 2.000 °C (Celsius)
gearbeitet wird. Doch in dieser Form ist der
Werkstoff nicht rein genug, er enthält nur
97 bis 99 Prozent des Halbleiters. Deshalb
wird das Silizium mit gasförmigem Chlorwasserstoff bei 1.100 °C zu Trichlorsilan
(SiHCl3) umgesetzt. Nach aufwendigen
Destillierschritten wird diese Flüssigkeit
beim herkömmlichen Siemens-Verfahren
auf einem dünnen Siliziumstab zu Reinst-
silizium zersetzt, der zu diesem Zweck auf
etwa 1.500 °C aufgeheizt ist. Zurück bleibt
polykristallines hochreines Silizium (PCS).
Dieser Prozess ist seit langer Zeit erprobt,
erfordert aber einen hohen Energieaufwand
von 100 bis 160 Kilowattstunden pro Kilogramm PCS. Zudem kann er nur mit Unterbrechungen betrieben werden, weil der
Ofen zur Produktentnahme abgekühlt werden muss.
DER NEUE PROZESS BENÖTIGT
WENIGER ENERGIE
Evonik beziehungsweise JSSi gehen nun
einen anderen Weg: Das Rohsilizium wird
mit Chlorwasserstoff zum Trichlorsilan
umgewandelt, destillativ aufgereinigt und
anschließend zu Monosilan (SiH4) umgesetzt und erneut gereinigt. Dieser erste
Teil der Verbundanlage gehört zu Evonik,
der zweite zu JSSi. Dabei wird das farblose,
selbstentzündliche Gas in einem großen
Reaktor thermisch zersetzt. Das resultierende Silizium ist „sonnentauglich“, weil
es zu 99,999 Prozent rein ist. Auch wenn
sich dieser Weg auf den ersten Blick scheinbar nicht gravierend vom Siemens-Prozess
unterscheidet, spart er doch große Mengen
an Energie, lässt sich kontinuierlich durchführen und gilt aus diesen beiden Gründen als besonders zukunftsträchtig. „Die
Produk tion in Rheinfelden startet zunächst
mit einer Kapazität von 850 Tonnen pro
Jahr“, erklärt Dr. Gerrit Schneider, der für
das Industriesegment Fotovoltaik bei Evonik
verantwortlich ist.
Auch beim traditionellen SiemensVerfahren hat Evonik gleich mehrere Eisen
im Feuer: Bereits im April 2007 vereinbarte
Evonik mit der Silicium de Provence SAS
(Silpro) eine interessante Kooperation.
Evonik liefert Chlorsilane, aus denen Silpro
INFOGRAFIKEN: DR. DIETER DUNEKA, FOTOS V. L.: SÜDDEUTSCHE
ZEITUNG PHOTO, EVONIK INDUSTRIES, CARO FOTOAGENTUR
Prof. Dr. Albert Einstein legte 1905 die Grundlagen der Fotovoltaik. Moderne Zellen (Mitte: polykristalline Zelle in 100-facher Vergrößerung, rechts:
Produktion in Deutschland) erreichen heute einen fünffach höheren Wirkungsgrad als die ersten Silizium-Solarzellen, die 1954 entwickelt wurden
Solarstrom immer billiger, Öl immer teurer
Preis für Solarenergie
150
1980:
22 US-$
bis heute
Prognose:
Herkömmliche Zellen
1986:
10 US-$
Dünnschicht-Zellen
10
2000:
4 US-$
2014:
1,40 US-$
1
Angaben in US-Dollar pro Watt Nennleistung
0,1
1980
8_Evonik_04-08_DE 8
Preis für Öl
bis heute
2000
QUELLE: MRS BULLETIN, VOL. 30, NO.1, 1/2005; TECSON
100
2020
Die Kosten für
Fotovoltaik-Anlagen
sind in den letzten
Jahren deutlich
gesunken. Experten
erwarten bis 2015,
dass in sonnenreichen
Ländern die StromErzeugung mit
Solarzellen nicht teurer
ist als mit Kohle, Gas
oder dem wichtigsten
Rohstoff Öl
2008:
146 US-$
Prognose
100
1981:
31 US-$
50
Angaben in US-Dollar pro Barrel
0
1965
1980
1995
2010
05.11.2008 17:09:17 Uhr
EVONIK-MAGAZIN 4/2008
Reinheitsgebot
des Solarsiliziums:
99,999 Prozent
polykristallines Silizium für den Solarmarkt
erzeugt. Im Mai dieses Jahres unterzeichnete
Evonik zudem gemeinsam mit der PV Silicon
Forschungs und Produktions GmbH (Erfurt)
einen langfristigen Liefer vertrag für Chlorsilane zur Versorgung einer in Bitterfeld
geplanten Produktion von 1.800 Tonnen
Solarsilizium, die 2009 ihren Betrieb aufnehmen soll. Darüber hinaus gibt es weitere Projekte, unter anderem zur Errichtung
einer Verbundproduktion im italienischen
Meran mit dem amerikanischen WaferHersteller MEMC Electronic Materials, Inc.
(Saint Peters, Missouri, USA).
Inzwischen ist Evonik aber nicht nur
als Lieferant von Basismaterialien für Solarsilizium im Fotovoltaik-Markt etabliert.
Auch mit dem vielseitigen Kunststoff
PLEXIGLAS hilft das Unternehmen dabei,
das wichtige Zukunftsfeld Sonne zu erobern. In Italien boomt die solare Energie-
GESTALTEN 9
FOTOVOLTAIK
gewinnung bei Hausbesitzern, seit dort
2007 das neue Solarfördergesetz „Conto
Energia“ in Kraft getreten ist. Es ist vor
allem auf kleine Anlagen fokussiert und
richtet sich damit direkt an Endverbraucher.
Allerdings schiebt bei historischen Gebäuden der Denkmalschutz bislang einen
Riegel vor, um die traditionellen „Ziegelmeere“ zu bewahren. Dunkle Solarkollektoren passen da nicht ins Bild.
SOLARZIEGEL AUF
HISTORISCHEN DÄCHERN
Für dieses Dilemma hat die italienische
Firma REM S. p. A (Noventa di Piave) eine
Lösung gefunden: Solarziegel aus Kunststoff mit Abdeckscheiben aus PLEXIGLAS.
Die sogenannten Techtile-Ziegel muten
optisch wie die traditionellen Tonziegel an,
bergen in sich jedoch leistungsfähige Solarzellen oder alternativ Solarthermie-Module
zum Erhitzen von Wasser. „Für eine optimale Energiegewinnung kommt es auf zwei
Faktoren an: leistungsfähige Solarzellen
und eine Abdeckscheibe mit hoher Transmission“, erklärt Sante Bortoletto, einer der
Erfinder des Solarziegels von REM. Vorteil
PLEXIGLAS: Das Material besitzt eine Lichtdurchlässigkeit (Transmission) von über 90
Prozent und lässt damit wesentlich mehr
Licht durch als andere Kunststoffe, die noch
dazu nicht so Ultraviolett(UV)-beständig
sind und mit der Zeit vergilben. Damit die
dunk len Solarzellen von außen nicht durch
die transparente Scheibe gesehen werden,
griff REM zu einem Trick und gab den Scheiben auf der Innenseite eine feine Struktur.
Dadurch können die Sonnenstrahlen zwar
eindringen, aber man kann von außen nicht
ungehindert durchsehen. Aus einiger Entfernung lässt sich so kein Unterschied zu
herkömmlichen Ziegeln erkennen.
PLEXIGLAS ist ausgesprochen robust,
zusätzliche Stabilität bekommt die Scheibe durch eine Querstrebe. Dadurch kann
man bedenkenlos über die Ziegel laufen,
was die Montage erleichtert. Dachdeckern
kommt die Technologie noch in einem weiteren Punkt entgegen: Durch die einfache
Steckverbindung können die Solarziegel >
Veränderung des weltweiten Energiemixes bis 2100
2010 2020 2030 2040 2050 Jährlicher Primärenergieeinsatz
in Exajoule pro Jahr
Regenerative
Energien wie
Fotovoltaik oder
Windkraft spielen
heute noch
eine geringe Rolle.
Angesichts
der kritischen Klimasituation müssten
die fossilen Energieträger jedoch
möglichst rasch
ersetzt werden
1.400
1.200
1.000
800
600
400
200
0
QUELLE: WWW.PV-LEADS.DE
Andere
Erneuerbare Solarthermie Solarstrom
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2100
1.600
Wind
Biomasse
Wasserkraft Kernenergie Gas
Kohle
Öl
31.10.2008 9:59:04 Uhr
FOTOVOLTAIK
> ohne Elektriker installiert werden. Jeder
Solarziegel arbeitet unabhängig von seinen
Nachbarn. Fällt ein Ziegel aus, produzieren alle anderen weiterhin Strom. Bei herkömmlichen Solarpaneelen kommt es bei
einem Schaden hingegen zum Totalausfall.
Die Techtile-Ziegel sind durchaus auch für
Nordeuropa interessant. Dafür wären allerdings andere Ausführungen wie der deutsche „Biberschwanz“ notwendig. „Wir planen bereits andere Formen, die nördlich
der Alpen verwendbar sind“, so Bortoletto.
In naher Zukunft könnte der Solarziegel
also auch im nördlichen Europa historische
Dächer in Solarkraftwerke verwandeln.
KONZENTRATOREN BRINGEN
DIE SONNE AUF DEN PUNKT
Eine andere Idee ist die Bündelung des
Sonnenlichts. So genannte Fresnellinsen
fokussieren das einfallende Licht auf Solarzellen, so dass deren Wirkungsgrad deutlich steigt. So hält Gerald Siefer vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme
(ISE, Freiburg) Zellwirkungsgrade von 45
Prozent für möglich. Voraussetzung sind
dafür besonders leistungsstarke Zellen
(Triple-Junction-Zellen) und Konzentratorsysteme, die das Licht um den Faktor
EVONIK-MAGAZIN 4/2008
Die Sonne wird mehr als die
Hälfte unserer Energie liefern
500 bis 1.000 verstärken. „Wir entwickeln
für diese Solaranwendung eine spezielle
PLEXIGLAS-Solarformmasse auf PMMABasis, die die Einsatzbedingungen besonders gut erfüllt“, erklärt Peter Battenhausen,
Manager Unternehmensentwicklung Formmassen bei Evonik in Darmstadt. Zusammen mit Partnern werden aus PLEXIGLAS
dann mit verschiedenen Verfahren – Spritzgießen, Extrusion oder Laminieren von
geprägten Folien – die Linsensysteme hergestellt. Der Evonik-Werkstoff ist deshalb
so gefragt, weil er sämtliche Eigenschaften
für diese Aufgabe mitbringt: hohe Transparenz und Abbildegenauigkeit, UV-Stabilität,
Witterungsbeständigkeit und Langlebigkeit.
„Wir können auf zahlreiche unserer transparenten Platten eine 30-Jahre-Garantie
geben, und sie sind sogar hagelbeständig,
weil unser Werkstoff im Gegensatz zu Glas
deutlich schlagzäher ist“, so Dr. Heiko Roch-
holz, Manager New Business Development
und Innovation Halbzeuge bei Evonik.
Bei aller Euphorie um die Sonnenenergie, unter dem Strich ist die Fotovoltaik
ohne staatliche Subventionen immer noch
nicht wirtschaftlich. Deshalb sucht die Branche mit hoher Dringlichkeit nach neuen,
preiswerten Materialien, die Herstellungsund Installationskosten gleichermaßen senken können. Derartige Lösungen könnten
Dünnschichtsolarzellen in Verbindung
mit leistungsfähigen Kunststoffen liefern.
Genau daran arbeiten Entwickler des Projekthauses Functional Films & Surfaces von
Evonik in Hanau-Wolfgang.
Ein Handicap für die unterschiedlichen
Dünnschichtsolartechnologien sind die immer noch teuren und schweren Glasplatten,
zwischen die die fotovoltaisch aktiven
Schichten eingebettet werden. Dabei dient
die untere Glasplatte als Träger, die obere
Die „Sonnenflecken“ der Erde decken den Bedarf
10_Evonik_04-08_DE 10
Deutsche Solarwirtschaft
15.000 Unternehmen
180 Hersteller von Solarzellen und -modulen
nördlicher
Wendekreis
57.600 Beschäftigte
Äquator
Anzahl der
Sonnenstunden
pro Jahr
< 1.800
1.800–2.399
2.400–2.999
3.000–3.600
südlicher
Wendekreis
Sinnvolle Standorte zur Energiegewinnung durch Fotovoltaik
QUELLE: LAHMEYER INTERNATIONAL
Die jährliche
Sonnenscheindauer variiert
stark. Nur
jeweils eine der
markierten
Flächen (etwa
400 mal 400
Kilometer) würde
ausreichen, um
den gesamten
Strombedarf der
Menschen zu
decken
INFOGRAFIKEN: DR. DIETER DUNEKA, FOTOS: EVONIK INDUSTRIES
GESTALTEN
7 Milli- Branchenumsatz
arden €
QUELLE: BSW-SOLAR/WWW.SOLARWIRTSCHAFT.DE
10
Die deutsche Solarbranche ist weltweit
führend – wirtschaftlich aber noch von
öffentlicher Förderung abhängig. Gesucht
sind neue Materialien und Techniken
31.10.2008 10:17:30 Uhr
11
Dr. Raymund Sonnenschein ist Geschäftsführer von Joint Solar Silicon und Projektleiter für Solarsilizium; Mitte und rechts: Produktionsanlage
von Solarsilizium und Monosilan in Rheinfelden
als transparente Barriere gegen Feuchtigkeit und Sauerstoff. Die Glas-Glas-Module
setzen in der Regel aufwendige Unterkonstruktionen voraus, die etwa ein Drittel
der gesamten Installationskosten ausmachen.
„Unser Projekt‚ Polymere Materialien für die
solare Energie-Erzeugung‘ verfolgt das Ziel,
die gläsernen Barrieren der Solarmodule
durch ein geeignetes System aus Kunststofffolien zu ersetzen“, verdeutlicht Projekthausleiter Dr. Jochen Ackermann.
Barriereeigenschaften erhalten, die den
Durchtritt von Feuchtigkeit und Sauerstoff
deutlich verringern. So müssen im Vergleich
zu üblichen technischen Verpackungsfolien
die Wasserdampf- und Sauerstoffdurchlässigkeit um mindestens ein bis zwei Größenordnungen herabgesetzt werden. Lösungsansätze für diese Herausforderung bieten
Beschichtungstechnologien, mit denen Silizium- oder Aluminiumoxid als nanometerdünne Schicht auf der Kunststoffoberfläche
abgeschieden wird. Seine Barrierewirkung
kann dabei durch den zusätzlichen Auftrag
eines Lackes noch verbessert werden.
Mit halben Sachen wollen sich die Entwickler des Projekthauses mittelfristig aber
nicht zufriedengeben. Vielmehr haben sie
bereits konkrete Vorstellungen zur Herstellung von Folien für Module, bei denen auch
die zweite tragende Glasschicht durch ein
Polymer ersetzt wird. „Solche Module wären
DIE ZUKUNFT: FLEXIBLE
KUNSTSTOFF-SOLARMODULE
Die notwendigen Eigenschaften, also hohe
Transmission und zuverlässiger Schutz gegen
Umwelteinflüsse, haben auch PLEXIGLASFolien, mit denen Evonik langjährige Erfahrungen besitzt. Die konventionellen Kunststoffe müssen aber durch eine entsprechende
Oberflächenfunktionalisierung zusätzliche
voll flexibel und könnten wesentlich wirtschaftlicher als bisher in einem kontinuierlichen Rolle-zu-Rolle-Prozess gefertigt werden. Auf diese Weise ließen sich sehr leichte
Solarzellen realisieren, die sich in Form von
Dachbahnen ohne zusätzlichen Unterbau
einfach auf dem Dach verkleben lassen“, verdeutlicht Projektleiter Dr. Claudius Neumann
die Vision der Projekthausforscher.
Evonik hat also viel vor mit der Sonne:
„Mittelfristig wollen wir einen hohen dreistelligen Millionen-Euro-Betrag in die Hand
nehmen, um unsere gute Position in diesem attraktiven und gleichzeitig anspruchsvollen Markt massiv auszubauen“, bestätigt
Dr. Klaus Engel, verantwortlich für das
Geschäftsfeld Chemie und ab Anfang Januar
2009 Vorstandsvorsitzender von Evonik.
Und eines ist ganz klar: Chemie wird auch
in Zukunft wertvolle Beiträge liefern, um die
Sonne weiter anzuzapfen. <
Steigerung der Fotovoltaik-Leistung bis 2010
2.000
1.800
1.600
1.400
1.200
MWp/Jahr
1.000
optimistisch
geschätzt
Deutschland
800
moderat
geschätzt
Deutschland ist
dank der Förderung
durch das EnergieEinspeise-Gesetz
„FotovoltaikWeltmeister“. Große
Anstrengungen
unternehmen Spanien,
Japan und die USA.
Bei der Produktion von
Solarzellen ist China
in der Spitzengruppe
600
Spanien
400
Japan
200
USA
Prognose
0
2000
11_Evonik_04-08_DE 11
2001
2002
2003
2004
QUELLE: SIF;
WWW.ASIF.ORG PLUS
SOLARPLAZA DATA MODEL;
BSW-SOLAR/WWW.SOLARWIRTSCHAFT.DE
2005
2006
2007
2008
2009
2010
04.11.2008 15:08:53 Uhr
GESTALTEN
12
FOTOVOLTAIK
EVONIK-MAGAZIN 4/2008
Einsteins erster Streich
Den Nobelpreis erhielt Prof. Dr. Albert Einstein nicht für die Relativitätstheorie, sondern für die Grundlagen
Vanguard 1,
1958
FOTOS V. L.: ULLSTEIN BILD, UNIVERSITÄTSARCHIV DER TU DRESDEN, FOTOARCHIV, AKG IMAGES, AP IMAGES, NASA, STAWAG, PICTURE-ALLIANCE (2)
AlexandreEdmond
Becquerel
Wilhelm
Ludwig Franz Hallwachs
1839
Der französische Physiker Prof.
Alexandre-Edmond Becquerel entdeckt,
dass bei Beleuchtung einer Elektrolytzelle eine elektrische Spannung entsteht.
Damit wird das erste Mal der direkte
Zusammenhang zwischen Licht
und Elektrizität, der fotoelektrische
Effekt, beobachtet. Erklären kann
Becquerel das Phänomen allerdings nicht.
1873
Der britische Ingenieur Willoughby
Smith und sein Assistent Joseph May
erkennen, dass das Element Selen
seine Leitfähigkeit bei Belichtung stark
erhöht. Drei Jahre später weisen
Prof. William Grylls Adams und Richard
Evans Day den fotoelektrischen Effekt an
einem Selenkristall nach – erstmals
wird Strom aus Licht erzeugt.
1904
Der deutsche Physiker Prof. Wilhelm
Ludwig Franz Hallwachs, ein Schüler von
Prof. Dr. Heinrich Rudolf Hertz, legt
mit der Untersuchung des Fotoeffektes
den Grundstein zur Entwicklung
der Fotozelle, der Fotoelektrizität und
der Lichtquantenhypothese.
Der lange sogenannte „Hallwachs“Effekt war die Voraussetzung für die
weiteren Entwicklungen.
12_Evonik_04-08_DE 12
Albert
Einstein
1905
Prof. Dr. Albert Einstein stellt seine
Lichtquantenhypothese auf und liefert
damit auch eine theoretische Erklärung
des lichtelektrischen Effektes. Für
diese Arbeiten erhält Einstein 1921
den Nobelpreis für Physik.
1912 bis 1916
Der Amerikaner Prof. Dr. Robert
Andrews Millikan bestätigt die einsteinschen Erkenntnisse zum Fotoeffekt
experimentell. Unter anderem für diese
Leistung wird er 1923 ebenfalls
mit dem Nobelpreis für Physik geehrt.
1916
Der Pole Prof. Jan Czochralski entwickelt
ein neues Kristallziehverfahren, das später
sowohl für die Mikroelektronik als auch für
die Fotovoltaik große Bedeutung erlangt.
1954
In den Bell Laboratories in New Jersey
(USA) produzieren Daryl Chapin,
Dr. Calvin Fuller und Gerald Pearson die
ersten Silizium-Solarzellen von rund
zwei Quadratzentimetern Größe und
Wirkungsgraden von vier Prozent.
Solar-Batterie,
1956 in
Georgia (USA)
1956
Erstmals werden für eine Relaisstation
einer Telefonleitung in Georgia (USA)
Solarzellen auf der Erde eingesetzt.
1958
Der amerikanische Satellit „Vanguard 1“
hat erstmals Solarzellen zur Energieversorgung eines Senders an Bord. Gegen
alle Erwartungen der Militärs können
die Signale bis 1964 empfangen werden.
Vanguard 1 umkreist übrigens immer noch
bis etwa 2200 die Erde.
1975
Mit der ersten Ölkrise 1973 steigt das
Interesse an der Fotovoltaik sprunghaft,
erstmals werden mehr Solarzellen für
terrestrische Zwecke als für die Raumfahrt
hergestellt. 1976 werden die ersten
amorphen Siliziumzellen mit 1,1 Prozent
Wirkungsgrad bei den RCA Laboratories
(Princeton, New Jersey, USA) produziert.
Die australische Regierung beschließt,
das gesamte Telekommunikationsnetz im
Outback mit fotovoltaischen Batteriestationen zu betreiben.
1977
Die weltweite Fotovoltaikproduktion
überschreitet die Gesamtleistung von 500
Kilowatt*.
07.11.2008 12:51:40 Uhr
17
der Fotovoltaik, die er 1905 legte. „Lichtquantenhypothese“ erklärt die Umwandlung von Licht in Elektrizität
Erste Solarfassade
in Deutschland, 1991
in Aachen
Flanitzhütte
1982
In Kalifornien (USA) entsteht das erste
Solarkraftwerk mit einer Leistung von
einem Megawatt weltweit.
1983
Auf Pellworm wird das erste deutsche
und zugleich größte europäische
Fotovoltaik-Kraftwerk mit 300 kW
errichtet.
1985
Prof. Dr. Martin Green von der australischen Universität New South Wales
entwickelt die erste Solarzelle auf Siliziumbasis, deren Wirkungsgrad über 20
Prozent liegt. Die kalifornische Solaranlage
Carissa Plains erreicht 6,5 Megawatt.
1990
Das 1.000-Dächer-Programm wird
aufgelegt, um erstmals Fotovoltaikanlagen
bundesweit zu fördern.
1991
Mit dem deutschen Stromeinspeisungsgesetz werden die Energieversorger
verpflichtet, Solarstrom mit mindestens
16,61 Pfennig pro Kilowattstunde
zu vergüten.
Messe München
1992
Das Bayernwerk (heute E.on Bayern)
setzt erstmals in Europa eine autarke
solare Stromversorgung für die ständig
bewohnte Ansiedlung Flanitzhütte
um. Der Weiler liegt auf 650 Metern
Höhe am Rande des Nationalparks
Bayerischer Wald und weist im Mittel
1.700 Sonnenstunden auf.
1999
Weltweit erreicht die kumulierte
Fotovoltaik-Leistung 1.000 Megawatt.
Doch noch fehlt es an öffentlicher
Akzeptanz und Förderung, um zeigen zu
können, was in der Fotovoltaik steckt.
2000
Deutschland erlässt das ErneuerbareEnergien-Gesetz (EEG), das weltweit
Nachahmung findet und starke Impulse
für die deutsche Industrie auslöst.
2001 bis 2003
Auf Grundlage des EEG wird das 100.000Dächer-Programm der Bundesregierung
zu einem großen Erfolg, insgesamt werden
über 300 Megawatt installiert.
2002
Auf der neuen Messe München wird
die weltgrößte Dach-Fotovoltaikanlage
(Leistung: ein Megawatt) in Betrieb
genommen. In Deutschland sind 14
Megawatt Leistung insgesamt installiert.
2004
Mit einer Neuinstallation von rund 600
Megawatt überspringt Deutschland
erstmals eine Gesamtleistung von 1.000
Megawatt.
2007
In Deutschland werden Anlagen mit
rund 1.100 Megawatt Spitzenleistung
neu installiert, fast die Hälfte aller
Neubauten weltweit (2.400 Megawatt).
2007/2008
Allein in Deutschland entstehen 15
neue Solarfabriken. Zusammen mit dem
Ausbau bestehender Standorte
bedeutet das ein Investitionsvolumen
von über 1 Milliarde €.
*Alle angegebenen Leistungen sind so genannte Peakleistungen, entsprechen also den maximal möglichen Leistungen unter Normalbedingungen.
17_Evonik_04-08_DE 17
07.11.2008 12:52:28 Uhr
U
Dachziegel unter Strom
Trichlorsilan
Vom Sand zum Rohsilizium
Zum Einfangen der Sonnenstrahlung wird hochreines Silizium benötigt, das zu
99,999 Prozent aus dem Halbleiter bestehen muss. Nur so ist es möglich, die Zahl
der Fehlstellen und Verunreinigungen im Kristallgitter so niedrig zu halten,
dass wirtschaftlich attraktive Wirkungsgrade beim Umsetzen der Sonnenenergie in
Strom erreicht werden.
Im ersten Schritt werden natürliche Siliziumoxidverbindungen, üblicherweise
Quarzsand, im Lichtbogenofen bei circa 2.000 °C geschmolzen und mit Koks
oder Kohle zu elementarem Rohsilizium reduziert, das zu 97 bis 99 Prozent rein ist.
Rohsilizium
Vom Sand bis
zur Solarzelle –
alle Fotovoltaik
ist Chemie
Im dritten Schritt wird das aufgereinigte Trichlorsilan zum
sogenannten Monosilan umgesetzt. Hierbei laufen
unterschiedliche Reaktionen nebeneinander ab, bei denen unter
dem Strich 17 Kilogramm Trichlorsilan benötigt werden, um
ein Kilogramm Monosilan zu erzeugen. Zusätzlich entstehen
16 Kilogramm Siliziumtetrachlorid, die wiederum in die Produktion
von Kieselsäure in Rheinfelden eingeschleust werden.
Trichlorsilan
TrichlorsilanReinigung durch
Destillation
Da Trichlorsilan
eine Flüssigkeit ist,
lässt es sich gut
durch Rektifikation
reinigen. Darunter
verstehen Chemiker
ein thermisches
Trennverfahren,
bei dem viele
Destillationsschritte
hintereinandergeschaltet sind.
Entsprechende
Anlagen können
kontinuierlich betrieben werden und
erreichen einen deutlich besseren
Trenneffekt bei
geringerem Energieeinsatz.
MonosilanReinigung durch
Destillation
Da die Reinheit
eine entscheidende
Rolle für die
Stromgewinnung aus
Sonnenlicht spielt,
wird auch das
gasförmige Monosilan
erneut destillativ
gereinigt. Bis zu dieser
Stelle liegt der
Prozess in der Hand
von Evonik.
Solarsilizium
Monosilan
Solarsilizium
Vom braunen Pulver zur blauen Zelle
Das hochreine Solarsilizium wird als braunes Pulver in
spezielle Siliziumschmelzöfen eingebracht. Die
Schmelze kann in verschiedenen Verfahren weiterverarbeitet werden. Ein wichtiger Prozess ist das
Ziehen von Einkristallstäben, die in dünne Scheiben
(Wafer) geschnitten werden. Diese müssen noch
gezielt mit Fremdatomen verunreinigt (dotiert) werden.
Einzelne Zellen werden schließlich zu großflächigen
Modulen zusammengesetzt.
Glasträger
Einblick in die Zelle
Sand
Sand
Rohsilizium
Rohsilizium
13-16_Innenklapper 2-3
plus Chlorwasserstoff
Das gereinigte Monosilan übernimmt Joint Solar Silicon (JSSi), das gemeinsame Beteiligungsunternehmen von Evonik und SolarWorld. Das Gas wird von oben in einen Reaktor geleitet
und in seine elementaren Bestandteile Silizium und Wasserstoff gespalten. Auch der energetisch
wertvolle Wasserstoff wird in Rheinfelden weiterverwendet. Der Reaktor erlaubt einen
vollkontinuierlichen und zudem besonders energieeffizienten Prozess, der am Ende pulverförmiges
Solarsilizium mit der gewünschten Reinheit liefert.
Monosilan
Vom Trichlorsilan zum Monosilan
Vom Rohsilizium zum Trichlorsilan
Das Rohsilizium setzt Evonik am Standort Rheinfelden, an dem
traditionell Chlorsilane (Markennamen SIRIDION) hergestellt
werden, in einem neuen Verfahren um. Dabei wird durch Reaktion
mit Chlorwasserstoff (HCl) Trichlorsilan erzeugt. Als Nebenprodukt entsteht Siliziumtetrachlorid, das in Rheinfelden intern zur
Produktion von Kieselsäuren der Marke AEROSIL verwendet wird.
Chlorsilane sind toxische, brennbare und korrosive Gefahrstoffe,
mit denen Evonik über 60 Jahre Erfahrung hat. Heute ist das
Unternehmen weltweit größter Anbieter dieser Produktklasse.
Aus einiger Entfernung sind sie von klassischen
Tonziegeln nicht zu unterscheiden: In Italien
entwickeln sich Dachpfannen aus Kunststoff mit
eingebauten Solarzellen zum Renner. Evonik
steuert die Abdeckung aus PLEXIGLAS bei, das
besonders lichtdurchlässig ist. Zudem ist das
Material gegen ultraviolette (UV) Strahlung gefeit
und vergilbt nicht. Damit die dunklen Solarzellen
möglichst wenig zu sehen sind, weisen die
Abdeckscheiben innen ein feines Muster auf.
Zersetzung von Monosilan zu Solarsilizium
Die klassische Silizium-Solarzelle besteht aus
zwei Schichten Halbleitermaterial, das unterschiedlich
dotiert ist (positiver Ladungsträgerüberschuss,
p-leitende Schicht, beziehungsweise negativer Ladungsträgerüberschuss, n-leitende Schicht).
An der Grenzschicht, dem p-n-Übergang, baut sich ein
elektrisches Feld auf, das bei Lichteinfall Strom
liefert, der über Metallkontakte abgegriffen wird.
negative
Elektrode
n-dotiertes
Silizium
Grenzschicht
p-dotiertes
Silizium
Stromnetz
positive
Elektrode
INFOGRAFIKEN: DR. DIETER DUNEKA, QUELLE: REM ENERGIES, EIGENE RECHERCHE FOTOS V. L.: GETTY IMAGES, STILLS-ONLINE, PAUL LANGROCK/ZENIT/LAIF, GETTY IMAGES, EVONIK INDUSTRIES, THOMAS KOEHLER/PHOTOTHEK.NET
Jahr für Jahr liefert die Sonne 219 Billiarden Kilowattstunden zum Nulltarif.
Das ist 3.000-mal mehr, als die gesamte Erdbevölkerung benötigt
Auf dem Weg in die Zukunft
das entspricht einem Energieinhalt von bis zu 300 Litern
Öl auf jeden Quadratmeter.
Um den Strombedarf der Bundesrepublik zu decken,
wären mit heutigem Wirkungsgrad geschätzte 2.000
Quadratkilometer Fotovoltaikmodule notwendig – allein
an Dachflächen stehen 2.800 Quadratkilometer zur Verfügung – ein Viertel davon wäre sofort technisch nutzbar.
Theoretisch könnte der Weltenergiebedarf durch die
Sonnenenergienutzung auf einer Fläche von 400 mal 400
Kilometern in der Sahara komplett erzeugt werden.
Die Herausforderung besteht darin, dieses gewaltige
Potenzial technisch und wirtschaftlich zu nutzen.
Während wir auf der Erde schnell handeln müssen, um
die Klimakatastrophe abzuwehren, gibt uns die
Sonne genügend Zeit: Nach Auffassung von Astrophysikern strahlt sie noch rund 5 Milliarden Jahre.
Höchste Konzentration
Sogenannte Fresnellinsen sind in der Lage,
Licht stark zu bündeln. Vorgeschaltet vor Solarzellen erhöhen sie deren Wirkungsgrad deutlich.
Evonik liefert den geeigneten PLEXIGLASWerkstoff, aus dem sich die Sonnenkonzentratoren kostengünstig mit verschiedenen
Verfahren herstellen lassen. Der Kunststoff
bietet: hohe Transparenz gepaart mit
UV-Stabilität, Abform-Genauigkeit für die
feinen Strukturen im Material zur Lichtlenkung, Witterungsbeständigkeit und Langlebigkeit. Erste Kraftwerke mit „VerstärkerLinsen“ gibt es bereits unter anderem in Spanien.
FOTOS: XXXXX, INFOGRAFIKEN: DR. DIETER DUNEKA, QUELLEN: REM
ENERIGES, EIGENE RECHERCHEN.
Die Kraft der Sonne nutzen
nser Zentralgestirn verfügt über Energie im
Überfluss. In jeder Sekunde wandelt es wie ein
riesiger Fusionsreaktor 650 Millionen Tonnen
Wasserstoff zu Helium um – entsprechend heiß ist es mit
5.500 °C (Celsius) auf der Oberfläche, jeder Quadratmeter leuchtet heller als eine Million Glühbirnen. Und die
Erde profitiert davon: Die Sonne sendet Licht und
Wärme, steuert Wetter und Klima und liefert den Antrieb
für das Pflanzenwachstum.
In nur 30 Minuten schickt unser Stern mehr Energie
zu uns, als alle Menschen zusammen in einem Jahr
verbrauchen – ganz ohne Rechnung. In Deutschland
liegt die jährliche mittlere Sonneneinstrahlung bei rund
1.000 Kilowattstunden pro Quadratmeter, in den
Wüstengebieten im Sonnengürtel der Erde steigt sie auf
2.500 bis 3.000 Kilowattstunden pro Quadratmeter,
Solarzellen von der Rolle
Evonik arbeitet an der Entwicklung
flexibler Solarzellen (Abbildung links),
die in einem Rolle-zu-RolleFolie
Prozess preisgünstig hergestellt werden
Solarzelle
können. Kunststoffe sind dabei einerseits
Kunststoffträger
Träger, andererseits witterungsstabile Abdeckung. Durch eine Oberflächenfunktionalisierung
werden Barriereeigenschaften erzielt, die Feuchtigkeit
und Sauerstoff wirkungsvoll aussperren. Insgesamt würden
diese Lösungen Gewicht und Kosten von Solarmodulen
senken und sie deutlich flexibler im Einsatz machen.
Solarzellen bisher
Glasabdeckung
Isolierung
Solarzelle
Abdeckung
Trägermaterial
05.11.2008 10:51:24 Uhr
U
Dachziegel unter Strom
Trichlorsilan
Vom Sand zum Rohsilizium
Zum Einfangen der Sonnenstrahlung wird hochreines Silizium benötigt, das zu
99,999 Prozent aus dem Halbleiter bestehen muss. Nur so ist es möglich, die Zahl
der Fehlstellen und Verunreinigungen im Kristallgitter so niedrig zu halten,
dass wirtschaftlich attraktive Wirkungsgrade beim Umsetzen der Sonnenenergie in
Strom erreicht werden.
Im ersten Schritt werden natürliche Siliziumoxidverbindungen, üblicherweise
Quarzsand, im Lichtbogenofen bei circa 2.000 °C geschmolzen und mit Koks
oder Kohle zu elementarem Rohsilizium reduziert, das zu 97 bis 99 Prozent rein ist.
Rohsilizium
Vom Sand bis
zur Solarzelle –
alle Fotovoltaik
ist Chemie
Im dritten Schritt wird das aufgereinigte Trichlorsilan zum
sogenannten Monosilan umgesetzt. Hierbei laufen
unterschiedliche Reaktionen nebeneinander ab, bei denen unter
dem Strich 17 Kilogramm Trichlorsilan benötigt werden, um
ein Kilogramm Monosilan zu erzeugen. Zusätzlich entstehen
16 Kilogramm Siliziumtetrachlorid, die wiederum in die Produktion
von Kieselsäure in Rheinfelden eingeschleust werden.
Trichlorsilan
TrichlorsilanReinigung durch
Destillation
Da Trichlorsilan
eine Flüssigkeit ist,
lässt es sich gut
durch Rektifikation
reinigen. Darunter
verstehen Chemiker
ein thermisches
Trennverfahren,
bei dem viele
Destillationsschritte
hintereinandergeschaltet sind.
Entsprechende
Anlagen können
kontinuierlich betrieben werden und
erreichen einen deutlich besseren
Trenneffekt bei
geringerem Energieeinsatz.
MonosilanReinigung durch
Destillation
Da die Reinheit
eine entscheidende
Rolle für die
Stromgewinnung aus
Sonnenlicht spielt,
wird auch das
gasförmige Monosilan
erneut destillativ
gereinigt. Bis zu dieser
Stelle liegt der
Prozess in der Hand
von Evonik.
Solarsilizium
Monosilan
Solarsilizium
Vom braunen Pulver zur blauen Zelle
Das hochreine Solarsilizium wird als braunes Pulver in
spezielle Siliziumschmelzöfen eingebracht. Die
Schmelze kann in verschiedenen Verfahren weiterverarbeitet werden. Ein wichtiger Prozess ist das
Ziehen von Einkristallstäben, die in dünne Scheiben
(Wafer) geschnitten werden. Diese müssen noch
gezielt mit Fremdatomen verunreinigt (dotiert) werden.
Einzelne Zellen werden schließlich zu großflächigen
Modulen zusammengesetzt.
Glasträger
Einblick in die Zelle
Sand
Sand
Rohsilizium
Rohsilizium
13-16_Innenklapper 2-3
plus Chlorwasserstoff
Das gereinigte Monosilan übernimmt Joint Solar Silicon (JSSi), das gemeinsame Beteiligungsunternehmen von Evonik und SolarWorld. Das Gas wird von oben in einen Reaktor geleitet
und in seine elementaren Bestandteile Silizium und Wasserstoff gespalten. Auch der energetisch
wertvolle Wasserstoff wird in Rheinfelden weiterverwendet. Der Reaktor erlaubt einen
vollkontinuierlichen und zudem besonders energieeffizienten Prozess, der am Ende pulverförmiges
Solarsilizium mit der gewünschten Reinheit liefert.
Monosilan
Vom Trichlorsilan zum Monosilan
Vom Rohsilizium zum Trichlorsilan
Das Rohsilizium setzt Evonik am Standort Rheinfelden, an dem
traditionell Chlorsilane (Markennamen SIRIDION) hergestellt
werden, in einem neuen Verfahren um. Dabei wird durch Reaktion
mit Chlorwasserstoff (HCl) Trichlorsilan erzeugt. Als Nebenprodukt entsteht Siliziumtetrachlorid, das in Rheinfelden intern zur
Produktion von Kieselsäuren der Marke AEROSIL verwendet wird.
Chlorsilane sind toxische, brennbare und korrosive Gefahrstoffe,
mit denen Evonik über 60 Jahre Erfahrung hat. Heute ist das
Unternehmen weltweit größter Anbieter dieser Produktklasse.
Aus einiger Entfernung sind sie von klassischen
Tonziegeln nicht zu unterscheiden: In Italien
entwickeln sich Dachpfannen aus Kunststoff mit
eingebauten Solarzellen zum Renner. Evonik
steuert die Abdeckung aus PLEXIGLAS bei, das
besonders lichtdurchlässig ist. Zudem ist das
Material gegen ultraviolette (UV) Strahlung gefeit
und vergilbt nicht. Damit die dunklen Solarzellen
möglichst wenig zu sehen sind, weisen die
Abdeckscheiben innen ein feines Muster auf.
Zersetzung von Monosilan zu Solarsilizium
Die klassische Silizium-Solarzelle besteht aus
zwei Schichten Halbleitermaterial, das unterschiedlich
dotiert ist (positiver Ladungsträgerüberschuss,
p-leitende Schicht, beziehungsweise negativer Ladungsträgerüberschuss, n-leitende Schicht).
An der Grenzschicht, dem p-n-Übergang, baut sich ein
elektrisches Feld auf, das bei Lichteinfall Strom
liefert, der über Metallkontakte abgegriffen wird.
negative
Elektrode
n-dotiertes
Silizium
Grenzschicht
p-dotiertes
Silizium
Stromnetz
positive
Elektrode
INFOGRAFIKEN: DR. DIETER DUNEKA, QUELLE: REM ENERGIES, EIGENE RECHERCHE FOTOS V. L.: GETTY IMAGES, STILLS-ONLINE, PAUL LANGROCK/ZENIT/LAIF, GETTY IMAGES, EVONIK INDUSTRIES, THOMAS KOEHLER/PHOTOTHEK.NET
Jahr für Jahr liefert die Sonne 219 Billiarden Kilowattstunden zum Nulltarif.
Das ist 3.000-mal mehr, als die gesamte Erdbevölkerung benötigt
Auf dem Weg in die Zukunft
das entspricht einem Energieinhalt von bis zu 300 Litern
Öl auf jeden Quadratmeter.
Um den Strombedarf der Bundesrepublik zu decken,
wären mit heutigem Wirkungsgrad geschätzte 2.000
Quadratkilometer Fotovoltaikmodule notwendig – allein
an Dachflächen stehen 2.800 Quadratkilometer zur Verfügung – ein Viertel davon wäre sofort technisch nutzbar.
Theoretisch könnte der Weltenergiebedarf durch die
Sonnenenergienutzung auf einer Fläche von 400 mal 400
Kilometern in der Sahara komplett erzeugt werden.
Die Herausforderung besteht darin, dieses gewaltige
Potenzial technisch und wirtschaftlich zu nutzen.
Während wir auf der Erde schnell handeln müssen, um
die Klimakatastrophe abzuwehren, gibt uns die
Sonne genügend Zeit: Nach Auffassung von Astrophysikern strahlt sie noch rund 5 Milliarden Jahre.
Höchste Konzentration
Sogenannte Fresnellinsen sind in der Lage,
Licht stark zu bündeln. Vorgeschaltet vor Solarzellen erhöhen sie deren Wirkungsgrad deutlich.
Evonik liefert den geeigneten PLEXIGLASWerkstoff, aus dem sich die Sonnenkonzentratoren kostengünstig mit verschiedenen
Verfahren herstellen lassen. Der Kunststoff
bietet: hohe Transparenz gepaart mit
UV-Stabilität, Abform-Genauigkeit für die
feinen Strukturen im Material zur Lichtlenkung, Witterungsbeständigkeit und Langlebigkeit. Erste Kraftwerke mit „VerstärkerLinsen“ gibt es bereits unter anderem in Spanien.
FOTOS: XXXXX, INFOGRAFIKEN: DR. DIETER DUNEKA, QUELLEN: REM
ENERIGES, EIGENE RECHERCHEN.
Die Kraft der Sonne nutzen
nser Zentralgestirn verfügt über Energie im
Überfluss. In jeder Sekunde wandelt es wie ein
riesiger Fusionsreaktor 650 Millionen Tonnen
Wasserstoff zu Helium um – entsprechend heiß ist es mit
5.500 °C (Celsius) auf der Oberfläche, jeder Quadratmeter leuchtet heller als eine Million Glühbirnen. Und die
Erde profitiert davon: Die Sonne sendet Licht und
Wärme, steuert Wetter und Klima und liefert den Antrieb
für das Pflanzenwachstum.
In nur 30 Minuten schickt unser Stern mehr Energie
zu uns, als alle Menschen zusammen in einem Jahr
verbrauchen – ganz ohne Rechnung. In Deutschland
liegt die jährliche mittlere Sonneneinstrahlung bei rund
1.000 Kilowattstunden pro Quadratmeter, in den
Wüstengebieten im Sonnengürtel der Erde steigt sie auf
2.500 bis 3.000 Kilowattstunden pro Quadratmeter,
Solarzellen von der Rolle
Evonik arbeitet an der Entwicklung
flexibler Solarzellen (Abbildung links),
die in einem Rolle-zu-RolleFolie
Prozess preisgünstig hergestellt werden
Solarzelle
können. Kunststoffe sind dabei einerseits
Kunststoffträger
Träger, andererseits witterungsstabile Abdeckung. Durch eine Oberflächenfunktionalisierung
werden Barriereeigenschaften erzielt, die Feuchtigkeit
und Sauerstoff wirkungsvoll aussperren. Insgesamt würden
diese Lösungen Gewicht und Kosten von Solarmodulen
senken und sie deutlich flexibler im Einsatz machen.
Solarzellen bisher
Glasabdeckung
Isolierung
Solarzelle
Abdeckung
Trägermaterial
05.11.2008 10:51:24 Uhr
18
FÖRDERN
BIOTECHNOLOGIE
EVONIK-MAGAZIN 4/2008
Hightech ernten – vom Acker!
Die weiße Biotechnologie gewinnt Chemieprodukte aus nachwachsenden Rohstoffen.
Im Science-to-Business-Center in Marl entstehen Verfahren, wie Sportschuhe, CDs oder
Küchenflächen künftig vom Acker kommen können
18_Evonik_04-08_DE 18
04.11.2008 16:48:07 Uhr
19
Vom Zuckerrohr
zur Kosmetik
Im Science-to-Business-Center Bio
arbeitet ein Team unter Leitung von
Dr. Tim Köhler an einem effizienteren
Verfahren zur Herstellung von
Ceramiden. Diese spielen eine wichtige
Rolle für den Aufbau und den Erhalt
der Schutzbarriere der menschlichen
Haut. Wichtiger Bestandteil einer
bestimmten Klasse hautidentischer
Ceramide ist das Molekül Sphingosin, das
bisher nur in einem vielstufigen
chemischen Prozess hergestellt werden
konnte. Jetzt produzieren modifizierte
Hefen das Sphingosin direkt. Die
neuartige Herstellungsmethode beruht
auf nachwachsenden Rohstoffen.
Foto Mitte: Einem Bioreaktor,
in dem maßgeschneiderte Mikroben
Spezialchemikalien produzieren,
werden Proben entnommen
FOTOS: BLICKWINKEL, EVONIK INDUSTRIES (2)
TEXT HARALD CARL
IHRE LIEBLINGE tragen so seltsame
Namen wie „Saccharomyces cerevisiae“,
„Escherichia coli“ oder „Aspergillus niger“.
Vielen Menschen sind Hefen, Bakterien oder
Pilze eher unheimlich, an der Paul-BaumannStraße in Marl aber haben die Lebewesen aus
der Mikrowelt Starstatus. Hier im Science-toBusiness-Center (S2B) Bio sind sie die wichtigsten Helfer der Wissenschaftler, die an neuen
Verfahren zur Herstellung chemischer Produkte forschen. Neben den Mikroorganismen
spielen hier nachwachsende Rohstoffe eine
wichtige Rolle, die nach dem Motto „weg vom
Öl, hin zur Pflanze“ die Chemie der Zukunft
auf eine ganz neue Grundlage stellen sollen.
„Derzeit wird viel über die energetische Nutzung von Biomasse gesprochen, wir plädieren eindeutig für einen stofflichen Einsatz –
energetisch umsetzen kann man sie dann
immer noch im zweiten Schritt“, betont Dr.
Thomas Haas, Leiter des Centers in Marl.
19_Evonik_04-08_DE 19
Raps oder Sonnenblumen, Mais oder Weizen,
Zuckerrohr oder Rüben – immer häufiger
nutzen Chemiker die Unterstützung auf
dem Acker. Nachwachsende Rohstoffe und
die darin enthaltene Syntheseleistung der
Natur gelten als Zukunftsfeld von großer
Bedeutung, das unter der Bezeichnung weiße
Biotechnologie zusammengefasst wird. Bis
2010 soll sich nach Angaben des VCI der
Anteil von Chemieprodukten, die mittels
biotechnologischer Verfahren hergestellt
werden, auf bis zu zehn Prozent erhöhen.
In der Feinchemie, in der Evonik Industries
AG als weltweit führender Hersteller von
Spezialchemie besonders stark ist, soll dieser Wert sogar auf bis zu 60 Prozent steigen.
So jedenfalls die Prognose des international
tätigen Beratungsunternehmens McKinsey
& Co. Nach Angaben des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) wird
der Umsatz mit Produkten der weißen Biotechnologie heute auf rund fünf Prozent des
Gesamtumsatzes der chemischen Industrie
weltweit geschätzt. Das entsprach zuletzt
rund 90 Milliarden €. In den nächsten fünf
bis zehn Jahren soll dieser Beitrag mindestens auf das Doppelte anwachsen.
Für den rasanten Umbau der Rohstoffbasis gibt es gute Gründe. Einerseits macht
der hohe Ölpreis, der auf lange Sicht zudem
noch steigen wird, inzwischen viele alternative Verfahren wirtschaftlich, die bisher ökonomisch nicht möglich waren. Andererseits
hat die „Chemie vom Acker“ bemerkenswerte
Vorteile: „Viele Reaktionswege der Natur sind
in jeder Beziehung vorbildlich. Das betrifft
den geringen Energiebedarf ebenso wie die
hohen Ausbeuten und die Vermeidung von
unerwünschten Nebenprodukten“, bestätigt
Dr. Alfred Oberholz, Vorstandsmitglied von
Evonik. „Deutschland und andere Industrienationen stehen vor einer Revolution auf
dem Acker, die die Landwirtschaft aus ihrer
derzeitigen Randexistenz in die Mitte des
Innovationsgeschehens führen wird. Mais,
Hirse und Co. mausern sich damit als Energie- >
07.11.2008 12:35:34 Uhr
FÖRDERN
BIOTECHNOLOGIE
Raps & Co.
als Technologieträger von
morgen
EVONIK-MAGAZIN 4/2008
> und Rohstoffquellen zu bedeutenden Technologieträgern des 21. Jahrhunderts“, ergänzt
Dr. Arend Oetker, Präsident des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft
und Schirmherr des European Science-toBusiness Award, den Evonik alle zwei Jahre
vergibt und der 2008 für das Thema weiße
Biotechnologie vorgesehen ist.
INNOVATIONEN MIT HOHER
ÖKOEFFIZIENZ
Evonik setzt unter anderem bei Aminosäuren
als Futtermittelzusatz oder bei der Herstellung
von Kosmetika und Pharmazeutika schon seit
Langem auf biotechnologische Verfahren.
Das umfangreiche Know-how hat zudem
seinen Niederschlag in mehreren erfolgreichen Projekthäusern und ebendem S2B
Bio gefunden, das im März 2007 offiziell in
Marl eröffnet wurde und von der Europäischen Union kofinanziert sowie vom Land
Nordrhein-Westfalen gefördert wird. Aktuell
sind hier 40 Mitarbeiter beschäftigt. „Wir
20_Evonik_04-08_DE 20
wollen diese Zahl aber noch auf 50 bis 60
erhöhen“, erklärt Haas. „Außerdem haben
wir unsere laufenden Projekte so gewählt,
dass wir unsere Kernkompetenzen gezielt
dort ausbauen, wo sie die Evonik-Geschäftstätigkeit am besten unterstützen.“
Das gilt zum Beispiel für das Feld der
Hautpflege und Kosmetik. So arbeitet ein
Team unter Leitung von Dr. Tim Köhler an
einem verbesserten Herstellungsverfahren
für das Molekül Sphingosin, einen wichtigen Baustein für sogenannte Ceramide, bei
denen Evonik schon heute globaler Marktführer ist. Diese Verbindungen sind wichtiger Bestandteil der äußersten Hautschicht
und spielen eine entscheidende Rolle für den
Aufbau der Permeabilitätsbarriere, und damit
für den Erhalt der Schutzfunktion, welche die
Haut für den Körper erfüllt. Leider nimmt im
Alter dessen Fähigkeit ab, die Ceramide selbst
herzustellen. Umso ehrgeiziger wird das Ziel
verfolgt, diese speziellen Lipide von außen
in Form von Pflegeprodukten zuzuführen.
FOTO: PETER WIDMANN, EVONIK INDUSTRIES, F1ONLINE
20
31.10.2008 16:41:43 Uhr
21
Vom Raps
zum Turnschuh
Ein wichtiges Forschungsgebiet im
Science-to-Business-Center
Bio sind neue Materialien oder Oberflächen. Dr. Katrin Grammann
erforscht und optimiert mit ihren
Mitarbeitern Bakterien, die aus Zucker
beziehungsweise Fettsäuren neue
Polymerbausteine erzeugen.
Als Ausgangsstoffe dienen Rüben und
Zuckerrohr, aber auch Raps und
Mais. Küchenflächen, Datenträger oder
eben Turnschuhe könnten so in Zukunft
teilweise vom Acker stammen.
Foto Mitte: Analyse der chemischen
Umsetzung eines biotechnologisch
gewonnenen Intermediates
Bislang gestaltete sich der Zugang zu Sphingosin-basierten Ceramiden ausgesprochen
schwierig, weil ein vielstufiger chemischer
Prozess notwendig war, um aus einer biotechnologisch gewonnenen Ausgangsverbindung
Sphingosin und nachfolgend die benötigten
Ceramide zu machen – ein aufwendiger und
damit auch kostenintensiver Weg. Nun ist es
in einem gemeinschaftlichen Projekt von S2B
Bio und dem Geschäftsbereich Consumer
Schnelles Wachstum der weißen Biotechnologie
10%
QUELLE: BMBF, VCI, INFOGRAFIK: PICFOUR
5%
2005
Weltweiter Umsatz mit
Chemikalien (ohne Pharmazeutika): 1.584 Mrd. €
21_Evonik_04-08_DE 21
2010
Weltweiter Umsatz
(geschätzt):
1.600 Mrd. €
Derzeit hat die weiße
Biotechnologie bereits
einen Anteil von fünf
Prozent am Gesamtumsatz der weltweiten
chemischen Industrie.
Die Produktion auf
Basis biotechnologischer Verfahren
könnte bis 2010
auf bis zu zehn Prozent
steigen.
Specialties gelungen, diesen komplizierten
Pfad entscheidend abzukürzen. „Wir haben
die gut etablierten Hefestämme, die bereits
erfolgreich zur Produktion der Ausgangsverbindung Phytosphingosin eingesetzt werden,
durch moderne biotechnologische Verfahren
dazu gebracht, nun direkt Sphingosin anstelle
von Phytosphingosin zu erzeugen“, berichtet Köhler. Dazu war es nötig, eine Reihe von
Fremdgenen aus verschiedenen Organismen in die Hefe Pichia ciferrii zu übertragen. Diese Gene sind für die Biosynthese des
Ceramidbausteins Sphingosin verantwortlich. Die neue Herstellungsweise birgt nicht
nur signifikante Kostenvorteile, sondern
basiert auch vollständig auf nachwachsenden
Rohstoffen.
Ein anderes Beispiel sind neue Materialien beziehungsweise Oberflächen. „Zielte
die erste Welle der Entwicklung vor allem
auf Pharma und Kosmetik ab, stehen nun
zunehmend neue Polymere im Fokus“,
berichtet Haas. Vorreiter auf diesem Feld >
07.11.2008 12:42:13 Uhr
FÖRDERN
BIOTECHNOLOGIE
Fleißige
Hefen, Pilze und
Bakterien
22_Evonik_04-08_DE 22
EVONIK-MAGAZIN 4/2008
> waren abbaubare Kunststoffe, die fermentativ hergestellt werden und sich zum Beispiel im Kompost zersetzen. Doch nun ist
Ersatz für klassische polymere Bausteine
gefragt, die über lange Einsatzzeiten Hochleistungen erbringen und deshalb in puncto
Lebensdauer und mechanische Belastbarkeit ihren Alternati ven aus Erdöl nicht
nachstehen. Die Produktionskapazität für
Biopolymere steigt rasant an. Lag sie 2007
noch bei 315.000 Tonnen, soll sie sich bis
2010 auf rund 1,4 Millionen Tonnen erhöhen. „Wir beschäftigen uns deshalb intensiv
mit Bakterien, die Monomere oder direkt
Polymere erzeugen können und dabei als
Ausgangsstoffe Zucker, ganz gleich, ob aus
Rüben oder Zuckerrohr, beziehungsweise
Fettsäuren aus entsprechenden ölhaltigen
Pf lanzen wie Raps oder Mais nutzen“,
erklärt Dr. Katrin Grammann, die im S2B
Bio die entsprechende Arbeitsgruppe leitet.
Nach den Vorstellungen der Marler Forscher könnten künftig Sportschuhe, CDs
oder Küchenflächen zumindest zum Teil aus
nachwachsenden Rohstoffen bestehen.
Während die fleißigen Helfer in den Bereichen Kosmetik und neue Werkstoffe damit
schon an konkreten Produkten arbeiten,
hat Dr. Jan Pfeffer mit seinen Mikroben
andere Ziele. Sie sollen möglichst effektiv
Biomethanol umwandeln. „Dieses einfache
Molekül kann von speziellen Mikroorganismen verstoffwechselt werden und ist auf diese Weise ein idealer Baustein für eine Vielzahl industriell relevanter Verbindungen“, so
der Experte.
2,5 MILLIONEN TONNEN IM JAHR
Schon heute werden große Mengen Methanol aus Erdgas, Naphtha, Schweröl, Kohle
oder Torf hergestellt. Die Biotechnologie hat
künftig gleich zwei Aufgaben: zum einen die
Rohstoffbasis um Holz, Biogas oder biogene
Reststoffe zu erweitern, zum anderen neue
Zugänge zu wichtigen chemischen Stoffen,
wie Biopolymeren, zum Beispiel Polyhydroxy-
FOTO: MARK MOFFETT/MINDEN PICTURES/PICTURE PRESS, EVONIK INDUSTRIES, BENNO GRIESHABER/VISUM
22
04.11.2008 17:13:32 Uhr
23
Vom Holz
zum Futtermittel
Ganz auf Biomethanol fokussiert ist die
Arbeitsgruppe von Dr. Jan Pfeffer.
Das einfache Molekül lässt sich mit
spezialisierten Mikroben aus Holz oder
Stroh gewinnen. Auf der anderen
Seite können viele Mikroorganismen
dieses Molekül einfach verstoffwechseln und so eine Vielzahl von
chemischen Verbindungen herstellen,
die für die Industrie interessant
sind, zum Beispiel für die Herstellung
von Futtermitteln. Der „Biosprit“
kann so zum Ausgangspunkt einer
nachwachsenden Chemie werden. Foto
Mitte: Prüfen der Identität von
mikrobiellen Produzentenstämmen
23_Evonik_04-08_DE 23
Wo kommt die weiße Biotechnologie zum Einsatz?
In den unterschiedlichen Bereichen wächst die weiße Biotechnologie unterschiedlich
stark. Am meisten profitieren Fein- und Spezialchemie – hier ist Evonik weltweit
führender Anbieter. Große Bedeutung haben Waschmittelenzyme, Vitamine oder
Futtermitteladditive. Weitere Prognosen bis 2015:
50
Basischemie
und Zwischenprodukte
Spezialchemie
Feinchemie
20
10
3
2
1
15
15
Polymere
Anteile
Prognose bis
2004
2015
Angaben in Prozent
QUELLE: EVONIK INDUSTRIES, INFOGRAFIK: PICFOUR
buttersäure oder Spezialchemikalien zu schaffen. In allen Fällen dient das Methanol-Molekül als gut zugängliche Kohlenstoffquelle. „In
Raps und Rüben steckt mehr als nur die Vorstufe von Biodiesel und Biosprit. Als Grundstoffe für die industrielle Produktion tragen
die Erträge des Ackers ein Mehrfaches zur
Wertschöpfung bei als Brennstoff“, konstatiert Oetker. Gerade die deutsche Chemieindustrie steht nachhaltig zu dieser Erkenntnis. Schon heute nutzt sie jährlich mehr als
2,5 Millionen Tonnen. Diese haben immerhin einen Anteil am Grundstoffeinsatz von 12
Prozent–alsodeutlichmehralsbeiderWärmeerzeugung (5,5 Prozent), den Biokraftstoffen
(4,7 Prozent) oder bei der Stromgenerierung
(3,0 Prozent). Das S2B Bio von Evonik wird
diesen Trend nicht nur stützen, sondern will
mit innovativen Produkten aus nachwachsenden Rohstoffen selbst zum Trendsetter
werden. Hefen, Bakterien und Pilze werden dabei als unermüdliche Arbeitstiere
weiterhin wertvolle Hilfestellung leisten. <
04.11.2008 17:13:36 Uhr
INFORMIEREN
24
EVONIK-MAGAZIN 4/2008
Wassernutzung
Wasserversorgung
Konsum steigt an
Bewässerung von Agrarland verschlingt weltweit die Ressourcen
3.000
Angaben
in km3
2.500
INFOGRAFIKEN: REDAKTION 4
Landwirtschaft
2.000
1.500
1.000
500
Industrie
Haushalte
0
1950
1970
1990
2010
QUELLE: JPMORGAN 2008
1.488.000.000.000
Euro müssen bis 2020 investiert werden, um weltweit die Wasser versorgung zu sichern. Es fehlen
Rohrleitungen, Speicher, Filter. In reichen Ländern
wird zu wenig repariert, in armen fehlen Basiseinrichtungen.
QUELLE: WELTBANK, UNDP
Ökonomie
des Wassers
Nur ein Prozent des verfügbaren
Wassers auf der Erde würde ausreichen,
um die Welt zu versorgen. Der natürliche
Wasserkreislauf – Regen, den die
Flüsse ins Meer leiten, aus dem es wieder
zu Wolken verdunstet – garantiert den
Nachschub. Dennoch ist Wasser knapp.
Mehr als 1 Milliarde Menschen hat keinen
Zugang zu sauberem Trinkwasser, für
über 2 Milliarden fehlen Sanitäreinrichtungen.
Turkmenistan verbraucht weltweit am
meisten Wasser. 5.322 Kubikmeter pro
Einwohner und Jahr fließen fast vollständig
in den Ackerbau, weil es bei heißem
Klima wenig regnet. Auch die USA sind
Großverbraucher, allerdings nicht ihre
Landwirte, sondern Haushalte und Industrie
YUKON,
KANADA/USA
0,12 Einwohner je km2,
1.249.832 m3 Wasser
pro Einwohner/Jahr
THELON, KANADA
0,01 Einwohner je km2,
14 .641.336 m3 Wasser
pro Einwohner/Jahr
Die kanadischen Flüsse führen
viel mehr Wasser, als
das 33-Millionen-EinwohnerLand verbrauchen kann
AMAZONAS, BRASILIEN
3,66 Einwohner je km2,
273.767 m3 Wasser
pro Einwohner/Jahr
Wasser fließt reichlich
im Norden. Im Osten
leiden Mensch und Landwirtschaft unter Dürren
Der weltweite
Wasserverbrauch
Verbrauch in Landwirtschaft, Industrie
und Haushalten pro Einwohner und Jahr
über 2.000 m3
1.001–2.000 m3
751–1.000 m3
501–750 m3
251–500 m3
101–250 m3
0–100 m3
Keine Angaben
24_Evonik_04-08_DE 24
30.10.2008 16:41:33 Uhr
25
Trinkwasser in Haushalten und Gewerbe 2007
Virtuelles Wasser
Glasklare Sache
Verborgene Quellen
Anteil Kleingewerbe
Baden, Duschen, In Deutschland
Körperpflege ist Wasser besonders
11l
Kochen,
Essen, Trinken
5l
Raumreinigung,
Autopflege, Garten
45 l
Gesamt
124 Liter
je Einwohner
und Tag
7l
Wäsche waschen
15 l
Geschirr
spülen
7l
Toilettenspülung
34 l
sauber. Laut §3
der Trinkwasserverordnung muss es
für Speisen, Getränke,
Körperpflege und
die „Reinigung
von Gegenständen“
verfügbar sein.
Also auch für die
Autowäsche.
QUELLE: BDEW, BERLIN
4.000 Liter verbraucht jeder Deutsche jährlich, die Hälfte mit Importware
1 Blatt Papier (80g/m2)
1 Mikrochip
1 Tasse Tee
1 Ei
1 Tasse Kaffee
1 Tüte Kartoffelchips
1 Hamburger (150g)
1kg Geflügelfleisch
1kg Basmatireis
1 Paar Schuhe (Rindsleder)
1 Jeans
1 Auto
Liter
10l
32l
35l
135l
140l
185l
Virtuelles Wasser bezeichnet die
Wassermenge, die zur Herstellung
eines Konsumgutes nötig ist.
2.400l
3.918l
4.200l
8.000l
10.850l
400.000l
0
3.000
6.000
9.000
12.000
QUELLE: RECHERCHE
RHEIN/MAAS,
MITTELEUROPA
318,61 Einwohner je km2,
1.396 m3 Wasser pro Einwohner/Jahr
39 zwischenstaatliche Verträge
begrenzen die Wasserrechte.
Hohe Niederschläge in den
Anrainerländern sichern
den Normalbedarf
INDIGIRKA, SIBIRIEN
0 Einwohner je km2,
973.515 m3 Wasser
pro Einwohner/Jahr
Der Wasserreichtum
kann in der menschenleeren Region
nicht verwertet werden.
Infrastruktur für
Wassertransporte ist
nicht vorhanden
HWANGHO, CHINA
156,43 Einwohner je km2,
361 m3 Wasser
pro Einwohner/Jahr
Zeitweise ein Fluss ohne Wasser:
zu viele Nutzer, zu wenig Regen
OUED DRÂA,
MAROKKO
9,99 Einwohner pro km2
2 m3 Wasser
pro Einwohner/Jahr
Fehlende Niederschläge senken
den Grundwasserspiegel. Erst 50 km
vor der Mündung
in den Atlantik führt
der Fluss Wasser
OGOWE, GABUN
1,93 Einwohner pro km2,
289.401 m3 Wasser
pro Einwohner/Jahr
Stärkster Fluss Afrikas:
unerreichbare Flusstäler
im Regenwald, den
bisher nur eine Bahnlinie
erschließt
QUELLE WELTKARTE:
FAO AQUASTAT, AUGUST 2008;
QUELLE FLÜSSE:
EARTHTRENDS DATA TABLES
25_Evonik_04-08_DE 25
30.10.2008 16:41:41 Uhr
26
BEWEGEN
26_Evonik_04-08_DE 26
REPORT INDIEN
EVONIK-MAGAZIN 4/2008
04.11.2008 16:37:13 Uhr
27
Stadt der Gegensätze:
In den Slums vor Bangalore,
dem indischen WirtschaftsZentrum, holen Frauen Wasser –
überragt von der imposanten
Glaspyramide der Infosys
Technologies Ltd., einer global
agierenden IT- Firma
Strom nach Indien
FOTO: PANOS PICTURES/VISUM
Indien wird beim Wachstum sogar China überholen, erwarten Experten. Doch 400 Millionen
Inder sind noch ohne Elektrizität. Hier kann Evonik vor Ort helfen
27_Evonik_04-08_DE 27
04.11.2008 16:37:24 Uhr
Ohne Strom:
Provisorisch wird ein
Neubaugebiet in
Gurgaon bei Neu-Delhi
mit Strom versorgt.
Immer mehr Unternehmen
und Pendler zieht es
in die Satellitenstadt
28_Evonik_04-08_DE 28
31.10.2008 13:53:31 Uhr
EVONIK-MAGAZIN 4/2008
REPORT INDIEN
BEWEGEN 29
Unter Strom: Nachts
erstrahlt die Shoppingmeile in Bangalore.
Indiens „Silicon Valley“
ist Standort 1.500
ausländischer Unternehmen. 6 Millionen
Menschen wohnen in
dem Ort, der noch
vor 15 Jahren 2,5
Millionen Einwohner
hatte. Infrastruktur
und Stromversorgung
können mit dem
Fortschritt kaum
mithalten
FOTOS V. L.: ELLERINGMANN/LAIF, JOHN HICKS, REUTERS/CORBIS (2)
Zwischen Highway und Holzkarre
29_Evonik_04-08_DE 29
Ein improvosierter
Schulbus transportiert
mehr als 35 Kinder am
Rand Neu-Delhis zur
Schule. Die Anzahl von
Grundschulen ist
seit den 50er-Jahren um
230 Prozent gestiegen, nichtsdestotrotz
ist Indien mit rund
400 Millionen nach wie
vor das Land mit der
höchsten Analphabetenrate der Welt
31.10.2008 11:47:04 Uhr
30
BEWEGEN
REPORT INDIEN
EVONIK-MAGAZIN 4/2008
Blick auf die Kraftwerksanlage vom Dach
des Pumpenhauses;
Werksleiter Mathura
Kumar Gupta
450 Milliarden Dollar für die Infrastruktur
INDIENS BOOM sind durch Engpässe in
der Energie-Erzeugung immer noch Grenzen
gesetzt. Zwischen Strombedarf und -angebot
klafft zu Spitzenzeiten eine Lücke von 13
Prozent. Das erschwert die Anbindung der
400 Millionen Inder, die noch ganz ohne
Strom leben müssen. Firmen sind durch
Stromausfälle zum Einsatz teurer, abgasintensiver Generatoren gezwungen. Durch
Diebstahl und Übertragungsverluste verliert
das Land zudem noch immer 40 Prozent
seines Stroms.
Die Elektrizitätsbranche befindet sich im
Aufschwung, seit eine Gesetzesänderung
2003 das Regulierungsumfeld merklich verbessert hat: Wettbewerb und Marktkräfte
greifen zunehmend, und die Tür für private Investitionen wurde weit aufgestoßen,
Manager werden optimistisch: „In Energieprojekte kommt eindeutig Bewegung“,
erkennt Siemens-Chef Peter Löscher. Sein
Konzern geht davon aus, dass Indiens Markt
für Strom-Erzeugung und -übertragung ein
Jahrzehnt lang um mindestens zehn Prozent jährlich wächst. Geschäfte versprechen
sich Lieferanten von fast 80.000 Megawatt
zusätzlich zu bauender Kraftwerksleistung,
die bis 2012 geplant sind. Sie sind Teil der 450
Milliarden US-$ Infrastruktur-Investitionen,
die der Staat in dieser Zeit anschieben will.
30_Evonik_04-08 30
Der größte Teil davon soll in den Energiesektor fließen.
Experten sehen Indien bereits auf dem
richtigen Weg: Eine nennenswerte Zunahme privater Infrastruktur-Investitionen soll
sich nach Berechnung der Unternehmensberatung Ernst & Young AG bis 2012 auf
100 Milliarden US-$ summieren. Angeführt
von Reliance Energy Ltd. und Tata Power
Ltd. mobilisieren große Konglo merate
Milliarden für den Bau von Kraftwerken.
IN SURAT IST INDIENS ZUKUNFT
ZUM GREIFEN NAH
Marktchancen für Hochtechnologie-Anbieter aus Deutschland öffnen sich auch durch
die Modernisierung alter Anlagen, denn mit
herkömmlichen Methoden wäre der Hunger nach Energie kaum zu decken – vor
allem nicht umweltschonend. The Energy
and Resources Institute (TERI), Indiens
bekanntestes Energie-Forschungsinstitut,
geht davon aus, dass sich der Verbrauch des
Hauptenergieträgers Kohle in den kommenden 25 Jahren verdreifacht: von 125 Millionen auf 400 Millionen Tonnen pro Jahr.
„Kohle ist und bleibt die Hauptquelle
unserer Stromversorgung“, unterstreicht
Rakesh Nath, Chairman der Central Electricity Authority (CEA), der technischen Abteilung des Strom-Ministeriums. Vor allem
durch die Steigerung der Energie-Effizienz
FOTOS V. L.: EVONIK INDUSTRIES (2), MOLERES/LAIF
TEXT OLIVER MUELLER
31.10.2008 13:34:21 Uhr
31
Inseln des Luxus:
Der Swimmingpool steht
den Angestellten des
IT-Dienstleisters Infosys
zur Verfügung. Infosys
sitzt in einem Vorort
Bangalores, der „Electronic City“, und ist mit
91.000 Mitarbeitern und
40 Niederlassungen
weltweit präsent
alter Kraftwerke sieht Nath „riesigen Raum
für Verbesserungen“. Dies belegt auch eine
von der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) unterstützte Studie, bei der
Evonik Energy Services GmbH alle bestehenden 85 Kraftwerke des Landes auf ihr
Effizienzpotenzial untersucht. Zu 35 liegen
bereits konkrete Daten vor: Im Schnitt liegt
deren Wirkungsgrad zehn Prozent unter
den möglichen Parametern.
„Wenn wir dort moderne deutsche Technik einbauen wie Online-Überwachungssysteme, dann sind riesige Effizienzsteigerungen möglich“, meint V. S. Verma
vom Planungsstab der CEA. Neue Kraftwerke
werde sein Land künftig von Anfang an mit
den modernsten Optimierungstechniken
ausstatten. In einigen haben die Arbeiten
begonnen, und Evonik Industries AG ist
ein wichtiger Lieferant. Die IT-Sparte der
Evonik Energy Services GmbH hat mit ihrer
Optimierungssoftware „SR::EPOS“ bereits
mehr als ein Dutzend Kohle-Kraftwerksblöcke fit gemacht für die Zukunft.
Das Potenzial ist viel größer – und wird
zunehmend ausgeschöpft: Evonik hat gerade mit Bharat Heavy Electrical Ltd. (BHEL),
einem der größten Anlagenbauer Indiens,
einen Rahmenvertrag zur Ausrüstung von
14 Kraftwerks-Neubauten abgeschlossen.
Darüber hinaus besteht eine Option auf die
Lieferung von bis zu 40 weiteren Systemen.
31_Evonik_04-08_DE 31
In Surat ist Indiens Boom zum Greifen
nah. Die Hafenstadt am Arabischen Meer
pflegt seit Jahrhunderten enge Handelskontakte mit dem Rest der Welt. Die Stadt
an der Küste des westindischen Bundesstaats Gujarat hat sich inzwischen zu einem
Zentrum der Petrochemie aufgeschwungen.
Eine Ausfallstraße führt hinaus aus der
dichten Hochhausbebauung der Innenstadt, vorbei an Palmen und Reisfeldern ins
Industriegebiet Hazira.
Zwischen den riesigen Petrochemieanlagen von Reliance Industries, Indiens
größtem Industriekonglomerat, und einem
ausladenden Werk des Anlagenbauers
Larsen & Toubro Ltd. recken sich vier Kraftwerks-Schornsteine in den subtropischen
Himmel. Die Anlage gehört dem staatlichen
Versorger Gujarat State Energy Generation
Ltd. (GSEG). Ihre zwei Gasturbinen und die
Dampfturbine leisten 156 Megawatt (MW).
Seit der Inbetriebnahme 2001 wird dieses
hocheffiziente Kraftwerk gemanagt und
gewartet vom Geschäftsgebiet EnergieDienstleistungen von Evonik. „Das war
unser erster Auftrag für Betriebsführung in
Indien“, erklärt Mathura Kumar Gupta stolz.
Für den Kraftwerksleiter beweist Evonik
in Hazira, dass private Anbieter Kraftwerke effi zienter und billiger betreiben
können als ihre in Indien meist staatlichen
Eigentümer.
Hemant Gajjar bestätigt dies: „Indem
wir den Betrieb in professionelle Hände
legen, können wir unsere finanziellen und
personellen Ressourcen für Wichtigeres
einsetzen, nämlich Expansion“, erklärt der
örtliche General Manager des Besitzers
GSEG. Mit einem ambitionierten Neubauprogramm will der Bundesstaat Gujarat in
fünf Jahren sein Elektrizitätsdefizit behoben
haben. Der Ausbau des Kraftwerks in Hazira
um weitere 350 MW hat gerade begonnen.
Die Betreiberfrage ist noch ungeklärt. „Aber
Evonik wäre ein natürlicher Partner“, lacht
Gajjar. Für den drahtigen Manager hat die
Vergabe von Betriebsführungsaufträgen an
Dritte in Indien eine exzellente Zukunft.
ASIENS TOP-MARKT
VON MORGEN
Der Kraftwerksmarkt in Indien rückt für
Evonik Industries immer stärker in den Mittelpunkt des Auslands-Energiegeschäfts.
„Dieses Land ist einer unserer größten
Wachstumsmärkte weltweit“, erklärt Dr.
Ralf Gilgen, Vorsitzender der Geschäftsführung von Evonik Energy Services GmbH.
„Es ist sicher unser Top-Markt der Zukunft
in Asien.“ Derzeit liegt der Fokus weiter auf
Dienstleistungen. Immerhin macht Indien
bereits zehn Prozent der weltweiten Umsätze
von Energie-Dienstleistungen aus – Tendenz
steigend. Mittelfristig geht die Evonik Energy >
31.10.2008 11:50:13 Uhr
32
BEWEGEN
REPORT INDIEN
EVONIK-MAGAZIN 4/2008
Dinesh Patel, Amit Panchal und Rajesh
Vaghasia aus dem Wartungsteam
reparieren eine Klimaanlage auf dem
Turbinenhaus; Verwaltungschef
Baiju Anthony, Wartungschef D.C. Shekar
und Operation Manager Praveen Patel
> Services GmbH dort von 10 bis 15 Prozent
Umsatzwachstum pro Jahr aus. Evonik bietet
eine breite Palette von Diensten an: Sie reichen von Ingenieurdienstleistungen wie dem
Design von Kraftwerken über die Modernisierung von Altanlagen mit modernsten ITSystemen bis hin zu Betrieb und Wartung.
Die Essener sind zudem in dem für Indien
besonders wichtigen Bereich der sauberen
Kohleverstromung stark, und sie haben das
Marktpotenzial vor der Konkurrenz erkannt:
Bereits 2001 wurde eine Landestochter in
Delhi, Evonik Energy Services (India), Pvt.
Ltd., gegründet. Diese hat mit 180 Mitarbeitern inzwischen auch für Großaufträge die
nötige kritische Masse.
Die umwelttechnische Nachrüstung
von Altanlagen verlangt nach immer neuen Investitionen. Zur Stärkung des Betriebsführungsgeschäfts etwa wird der Aufbau
einer Schulungseinrichtung erwogen. Sie
würde auch einem wachsenden Facharbeitermangel entgegenwirken. In Hazira verlangt
diese Folge des Booms in der Elektrizitätsbranche Werksleiter Gupta tagtäglich hohe
Führungsqualitäten ab: „Mitarbeiter bei der
Stange zu halten und zu motivieren ist meine
wichtigste Aufgabe“, berichtet der freundliche hemdsärmelige Manager. Beim Wettbewerb um Fachkräfte ist gute Bezahlung
nicht alles: Die Fluktuationsrate in seinem
72-Mann-Team hält Gupta durch besondere
32_Evonik_04-08_DE 32
Angebote im Rahmen wie etwa einem Busdienst, der Angestellte in der Stadt abholt
und ihre Kinder zur Schule fährt. Schlüsselpersonal wohnt in hübschen Wohnungen
auf dem Werksgelände. Personalführung
ist nach Einschätzung von Unternehmensberatern für den Erfolg von Dienstleistern in
Indien besonders kritisch. Denn nur wer stabile, hochkarätige Teams bildet und deren
Stärke stets mit dem expandierenden Markt
mitwachsen lässt, kann bei Kunden auf Dauer punkten. Als Personalchef kommt damit
Jatinder Singh eine Schlüsselposition zu.
„Auch Fortbildungs- und Karriereentwicklungs-Programme sind wichtig, um Mitarbeiter zu halten“, erklärt der Ingenieur.
AUS INDIENS WISSEN
KOMPETENZ ENTWICKELN
Werksleiter Gupta hat von diesen profitiert.
Er ist ein Beispiel für die schnellen Aufstiegsmöglichkeiten, die ehrgeizige Fachkräfte bei
Evonik finden: Der 37-jährige Elektroingenieur stammt aus einer abgelegenen Kleinstadt in Bihar, einer der ärmsten Gegenden
des Landes. Verglichen mit 1995, als er in
Surat ankam, erkennt Gupta seine Umgebung kaum wieder: „Vor zehn Jahren war das
hier eine kleine Stadt mit schlechten Straßen“, erinnert er sich. „Jetzt ist Surat sauber
und ordentlich, die Wirtschaft wächst rasant,
und niemand kann das aufhalten.“
Die Dynamik der Region war ein Lockmittel,
um D.C. Shekar für einen Umzug nach Surat
zu gewinnen. „Die Lebensqualität hier ist
exzellent“, sagt der frisch von der Konkurrenz weg geheuerte Leiter des KraftwerksWartungsteams. Aber der Hauptgrund für
seinen Wechsel zu Evonik war ein anderer: „Ich habe nach einer besseren Firmenkultur gesucht und nach mehr Teamgeist,
und beides finde ich hier“, erklärt der hochgewachsene Südinder mit kräftiger Stimme.
Zusammen mit drei Sicherheitsingenieuren
testet er gerade einen schweren Lastkran,
mit dem demnächst eine Turbine zur Wartung aus ihrem Gehäuse gehoben werden
soll. In der gegenüberliegenden Wasseraufbereitungsanlage wechseln drei weitere Mitarbeiter eine Wasserpumpe aus.
In einem Kontrollraum überwacht derweil
der Chemiker Rajesh Patil den aufwendigen
Wasserreinigungsprozess am Bildschirm.
Dieses Kraftwerk hat vor acht Jahren
den Grundstein gelegt für die Expansion
von Evonik in Indien. Der Vater des Erfolgs
ist ein jovialer Herr mit geschliffenen
Umgangsformen, der Ruhe und Kompetenz ausstrahlt und zugleich schnell und
scharf denkt: Dr. Jacob T. Verghese. „Hazira war unser erster Meilenstein“, erinnert
sich der Länderchef an die Anfänge. Inzwischen hat dieser Mann der ersten Stunde viele weitere hinzugefügt. Der jüngste
FOTOS V. L.: EVONIK INDUSTRIES (2), ELLERINGMANN/LAIF
Ein geschliffener Ton, Ruhe und Kompetenz
05.11.2008 9:45:18 Uhr
33
Platz für Unterhaltung:
25 km vor den Toren
Bangalores hat der
Wonder-La-Freizeitpark
eröffnet. Der Park lädt
zur Fahrt auf den neuesten
Loopingbahnen, Wasserrutschen, ins VirtualReality-Theater und in die
größte Lasershow Indiens
33_Evonik_04-08_DE 33
Sitz des Kunden abgewickelt werden. Gilgen erläutert den Hintergrund dieser strategischen Initiative. Er geht davon aus, dass
Indien in absehbarer Zeit zur weltweit größten Ingenieursbasis seiner Sparte wird.
Im IT-Bereich, dem Pionier, klappt die
globale Vernetzung der Teams inzwischen
bestens. „In Indien kommt für uns vieles
zusammen“, erläutert Diplomingenieur Martin Hay vom Bereich System Technologies,
der auf IT-Lösungen für Kraftwerke spezia-
Neu-Delhi
Indien
Kalkutta
Surat
Bombay
INFOGRAFIK: PICFOUR
ist der Bezug eines neuen, blau verglasten
Bürogebäudes in Noida, einer rasch wachsenden Trabantenstadt am Rande Delhis.
Dank Vergheses Umtriebigkeit waren die
alten Räume schnell zu klein geworden. Zur
feierlichen Eröffnung des neuen IndienHauptquartiers entzündet Evonik-EnergyServices-GmbH-Chef Gilgen nach alter Tradition eine Öllampe an der Türschwelle.
Dann wendet er sich an den ersten EvonikMitarbeiter in Indien: „Sie haben damals mit
einem kleinen Baby angefangen“, sagt er zu
Verghese, „heute sind Sie Vater eines großen Kindes.“
Evonik braucht neue Mitarbeiter nicht
nur, um den wachsenden lokalen Markt zu
bedienen. Das Unternehmen will Indiens
Wissensressourcen künftig noch stärker
und strategischer für seinen weltweiten
Erfolg nutzen, wie General Electric, IBM,
Siemens, Microsoft oder SAP. „Wir planen
einen deutlichen Ausbau unserer Ingenieurskapazitäten in Indien“, skizziert Länderchef Verghese die Zukunft. Was das Unternehmen dort bei der Software-Entwicklung
bereits erfolgreich vorpraktiziert, soll künftig auf andere Bereiche ausgedehnt werden: Indien bekommt auch in Bereichen wie
Betriebsführung und Detailplanung neuer Kraftwerke größeres Gewicht im globalen Ingenieursnetzwerk von Evonik, über
das Aufträge zunehmend unabhängig vom
Bangalore
Indischer
Ozean
Die größten Wirtschaftszentren sind die
boomenden Metropolregionen des Landes
lisiert ist. Neben der Verfügbarkeit guter
Ingenieure und der Nähe zu neuen Wachstumsmärkten in Asien streicht er einen dritten Faktor heraus: „Die Zusammenarbeit mit
Indien stärkt unsere Innovationskraft.“ Hays
Fazit: „Unsere Präsenz in Indien erhöht das
Produktentwicklungstempo deutlich.“
Ingenieure in Delhi waren zum Beispiel maßgeblich beteiligt an der Entwicklung eines neuen Systems zur statistischen
Prozesskontrolle. Durch intelligente Datenauswertung entdeckt dieses Schwachstellen
bei Kraftwerkskomponenten besser und
früher als zuvor. Evonik gibt diesem System gerade in Indien gute Marktchancen.
Mit seiner Hilfe könnte etwa die Leit warte
in Hazira zukünftig Hinweise von Kollegen
aus Delhi bekommen, die das Kraftwerk dort
aus der Ferne am Bildschirm überwachen.
Leistungsfähige Datennetze überbrücken
inzwischen nicht nur Distanzen wie die zwischen Delhi und Hazira innerhalb Indiens.
Theoretisch könnten indische Techniker mit
Hilfe der Überwachungs- und OptimierungsSysteme von Evonik heute schon Kraftwerke
in Deutschland aus der Ferne analysieren.
„Das ist zwar noch Zukunftsmusik“, meint
Gilgen. Doch irgendwann werde der Schritt
von der technischen Machbarkeit zur operativen Umsetzung kommen. Dann könnte
Indien auch im Bereich Betriebsführung globale Kompetenzen entwickeln. <
31.10.2008 11:50:21 Uhr
34
ENTWICKELN
ANTI-AGING
EVONIK-MAGAZIN 4/2008
Die Haut überlisten
Die Forschung weiß heute mehr über die Regeneration der Haut als je zuvor. Neue bioaktive
Substanzen und Wirkstoffe lassen das Altern alt aussehen – ganz ohne Skalpell
TEXT CORNELIA STOLZE
FOTO: GETTY IMAGES/RALF NAU
NOCH BIS VOR wenigen Jahren war die
Sache mit dem Altwerden ein klarer Fall:
Wenn im Gesicht die ersten Falten auftauchten und die Haut ledrig wurde, half nur
eines: sich möglichst bald damit abfinden.
Doch die Zeiten haben sich geändert.
Schönheit ist nicht nur zu einem Faktor für
beruflichen Erfolg und soziale Anerkennung
geworden – Aussehen schafft Ansehen.
Attraktive Männer bekommen im Schnitt
15 Prozent mehr Gehalt, Frauen immerhin
noch 11 Prozent. Gut aussehende Gesetzesbrecher werden häufiger freigesprochen als
die hässlichen.
Erfreulicherweise verstehen Wissenschaftler auch immer besser, was in unserer
äußeren Hülle passiert, wenn sie altert – und
wie man diese Prozesse auch ohne Skalpell
oder Spritze gezielt beeinflussen kann. „Die
Fortschritte, die auf diesem Gebiet in den vergangenen Jahren erzielt wurden, sind enorm“,
sagt Prof. Dr. Jean Krutmann, Direktor des
34_Evonik_04-08_DE 34
Instituts für umweltmedizinische Forschung
(IUF) an der Heinrich-Heine-Universität
Düsseldorf gGmbH. Erstmals, so der Dermatologe, sei es heute mithilfe neuer Wirkstoffe
möglich, den altersbedingten Abbau in der
Haut nicht nur zu stoppen, sondern auch „eine
Menge dieser Prozesse zurückzudrehen“.
Dank molekularbiologischer Technologien
können Forscher heute nämlich viel gezielter
als bisher nach Substanzen suchen, mit denen
sich der Aufbau und die Zusammensetzung
der Haut schon in geringsten Konzentrationen nachweislich verbessern lässt.
HEISS BEGEHRTE ACTIVES
Solche bioaktiven Substanzen, im Fachjargon
auch „Actives“ genannt, sind in der Branche
heiß begehrt. Die Evonik Industries AG hat
die Zeichen der Zeit früh erkannt – als erster
Hersteller von kosmetischen Wirkstoffen hat
die heutige Evonik Goldschmidt GmbH unter
anderem die sogenannte DNA-Chip-Technologie in ihrer Forschung eingeführt. „Damit
können wir heute nicht nur die Wirkung von
Substanzen auf insgesamt 35.000 bekannte Gene parallel testen“, erläutert Dr. Mike
Farwick, Leiter der Wirkstoffentwicklung
der Produktlinie Personal Care des EvonikGeschäftsbereichs Consumer Specialties in
Essen. „In einem einzigen Durchgang lassen
sich damit auch Tausende von Einzelexperimenten machen, die früher nacheinander
ausgeführt werden mussten.“
Aus der sprichwörtlichen Suche nach der
„Nadel im Heuhaufen“ ist damit eine hocheffiziente „Raster-Fahndung“ geworden, die
auf detaillierten Kenntnissen der Molekularbiologie und Hautphysiologie basiert. Zum
einen weiß man, dass jede Hautzelle – wie
alle Zellen des menschlichen Körpers –
eine kleine Fabrik ist: Für viele Stoffwechselvorgänge, die in ihr stattfinden, schaltet
die Zelle je nach Bedarf bestimmte Gene an
oder aus. Neben inneren Faktoren spielen
dabei auch äußere Einflüsse eine Rolle. Ob
Sonne, Kälte oder Nässe – die Hautzellen
passen ihren Stoffwechsel so weit wie möglich den Umgebungsbedingungen an.
>
30.10.2008 16:09:12 Uhr
Jede 10.
verkaufte Gesichtspflege trägt inzwischen
den Untertitel Anti-Aging. („Focus“)
35_Evonik_04-08_DE 35
31.10.2008 16:45:27 Uhr
ENTWICKELN
36
ANTI-AGING
98%
EVONIK-MAGAZIN 4/2008
aller Männer weltweit
60 Minuten
Das Gros beider Geschlechter verbringt täglich
im Bad und benutzt sieben bis zehn Produkte. („Focus“)
80%
78%
der Falten entstehen durch
Ultraviolett-Strahlung.
35.000
Gene gleichzeitig testet
die DNA-Chip-Technologie – zur Entwicklung
neuer Wirkstoffe gegen
das Altern.
der Frauen wünschen sich ein Präparat,
das Falten glättet oder zumindest reduziert.
(Quelle: Institut für Rationelle Psychologie München)
Fast alle Cremes bestehen zu
aus Wasser. („Stern“)
60–70%
In Deutschland werden jährlich rund 500.000 ästhetisch-plastische Operationen durchgeführt. Vor zehn Jahren ließen sich gerade einmal 100.000 Menschen
> Zum anderen ist seit Langem bekannt, dass
sowohl einige natürlich vorkommende als
auch manche chemisch hergestellte Verbindungen den Aufbau und die Zusammensetzung der Haut schon in geringen Konzentrationen verändern können. Die Kunst
besteht nun darin, unter den Hunderttausenden unterschiedlichen, weltweit verfügbaren Substanzen jene wenigen zu finden,
die sowohl wirksam als auch spezifisch und
gut verträglich sind.
Genau hier liegt die Stärke der DNAChip-Technologie. Mit ihr lässt sich messen,
wie aktiv ein Gen in der Zelle ist: Ist es angeschaltet, liegen in der Zelle Tausende von
Abschriften des Gens vor, sogenannte Messenger-Ribonukleinsäuren (mRNA). Ist es
nur schwach aktiv, ist die Menge der jewei-
Der Haut auf die Sprünge helfen
Durch den Inhaltsstoff PS SLC können tiefe Falten innerhalb von vier
Wochen um rund zehn Prozent verringert werden. Die Regeneration der Haut
erfolgt dabei doppelt so schnell. Die Grafik zeigt das Hautprofil vor und
nach der Behandlung. PS SLC funktioniert, weil es ein Derivat des natürlichen
Hautbestandteils Phytosphingosin ist.
100
Profiltiefe (μm)
0
–50
Fettmoleküle
(Ceramide) füllen die
tieferen Furchen
und glätten die Haut
–100
Tief dringt der Wirkstoff in
die Hautschicht ein und regt den
Aufbau von Ceramiden an
–150
–200
Profilbreite (mm)
–250
0
36_Evonik_04-08_DE 36
1
2
3
4
5
INFOGRAFIK: DR. DIETER DUNEKA
50
ligen mRNA entsprechend geringer oder
unter der Nachweisgrenze. Um herauszufinden, welche Substanzen einen Effekt
auf die Haut haben und welche nicht, testen die Evonik-Forscher potenzielle Wirkstoffe zunächst an Zellkulturen: Ein Schale
mit isolierten Hautzellen wird mit dem Teststoff behandelt, die andere nicht. Anschließend vergleichen die Forscher per DNAChip, welche Gene in der einen und welche
in der anderen Probe ak tiviert oder ausgeschaltet waren. Dadurch, dass auf einen einzigen Chip „Sonden“ für Tausende von GenKopien passen, lassen sich damit 35.000
Gene zur gleichen Zeit überprüfen. Erstmals ist es mit dem Verfahren in der kosmetischen Forschung möglich geworden,
frühzeitig zu bestimmen und umfassend zu
beurteilen, welchen Einfluss einzelne Substanzen auf die Haut haben.
Entscheidend ist dabei nicht nur, ob die
Verbindung biologisch wirksam ist. Mindestens ebenso wichtig ist, dass der Stoff gut
verträglich ist und der Haut oder dem Organismus nicht schadet. Deshalb testen die
Evonik-Forscher stets mit, ob es Hinweise
auf eine toxische Wirkung der eingesetzten
Substanzen gibt.
Der neue Forschungsansatz hat sich
bereits bewährt. Vor wenigen Jahren sind
Mike Farwick und seine Kollegen unter
anderem auf einen Wirkstoff gestoßen, der
30.10.2008 17:22:48 Uhr
verwenden heute Pflegeprodukte. (Studie von „Global Cosmetic Industry“)
Eine Marketinganalyse der Kosmetikbranche zählt
11.000.000
Männer,
in Deutschland rund
die regelmäßig ihr Gesicht pflegen – fast jeder dritte.
20%
der Kosmetik-Produkte, die heute auf dem
Markt sind, gab es vor fünf Jahren noch nicht.
(Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel e.V., IKW)
2%
Für nur
der Frauen
über 25 Jahre kommt eine Schönheits-OP
als Anti-Aging-Maßnahme infrage.
Über 90% der Frauen benutzen Gesichtscreme. (IKW, 2002)
(Emnid/„Oil of Olaz Anti-Ageing-Studie 2004“)
JEDE 10. FRAU
benutzt Anti-Aging-Kosmetik
gegen feine Linien im Gesicht.
(Emnid/„Oil of Olaz Anti-Ageing-Studie 2004“)
aus optischen Gründen operieren. Zum Vergleich: In den USA sind es bereits über 9 Millionen.
(Deutsche Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie, DGÄPC)
maßgeblich dazu beiträgt, die Alterungserscheinungen der Haut zu minimieren. Wie
eine extern durchgeführte Studie mit 30
freiwilligen Testpersonen gezeigt hat, verringert die Substanz mit dem zungenbrecherischen Namen Salicyloyl-Phytosphingosin
(PS SLC) gerade die tiefen, besonders sichtbaren Falten innerhalb von vier Wochen um
rund zehn Prozent.
FOTO: TAXI/GETTY IMAGES
DAS RICHTIGE REZEPT
Der Grund: PS SLC fördert unter anderem
die Bildung bestimmter Fettmoleküle (Ceramide), die in der äußersten Schicht der Haut
eine wichtige Rolle beim Schutz vor Wasserverlust spielen. Genau an diesen Stoffen
fehlt es der Haut mit zunehmendem Alter.
Zum Vergleich: Eine Großmutter hat gerade
einmal noch rund die Hälfte der Menge von
Ceramiden in ihrer Haut, die sie als Zehnjährige hatte. Mit dem neuen Wirkstoff lässt sich
ein Teil dieser Veränderungen in der Haut
zurückdrehen: Ihr Feuchtigkeitsgehalt steigt,
und die Haut wird deutlicher elastischer.
Ein guter neuer Wirkstoff allein, betont
Mike Farwick, macht jedoch noch nicht
den Erfolg aus. Mindestens genauso wichtig ist es, ein passende Formulierung, also
das richtige „Rezept“ zu finden. Der Mix mit
anderen Creme-Bestandteilen wie Wasser
und Ölen entscheidet nämlich darüber, wie
viel beziehungsweise wie wenig man von
37_Evonik_04-08_DE 37
dem aktiven, in der Regel teuren Wirkstoff
in einer Creme einsetzen muss, um eine
bestimmte Effektstärke zu erzielen. „Je nachdem ob man die richtige Mischung gefunden
hat oder nicht, kann sich die nötige Wirkstoffmenge schon einmal um den Faktor
sechs unterscheiden.“
Lange Zeit haben Kosmetikhersteller
einen Großteil ihrer Entwicklungsarbeiten
darauf verwendet, diesen perfekten Mix zu
finden. Neuerdings zeichnet sich jedoch ein
neuer Trend ab. Selbst große, internationale
Produzenten stützen sich inzwischen auch bei
der Entwicklung fertiger Cremes und Lotionen gerne auf das Know-how der EvonikForscher. „Immer mehr Kunden wünschen
sich heute, dass wir Ihnen eine Art „Allinclusive-Lösung“ bieten. Deswegen übernehmen wir inzwischen zunehmend Untersuchungen, die die Firmen früher selbst
vornehmen mussten“, sagt Farwick.
Auf Wunsch bieten die Evonik-Forscher
Kosmetikherstellern daher häufig Komplettlösungen an – von der toxikologischen
Prüfung über Aktivitätsbeweise bis hin zu
Stabilitätsanalysen und fertigen Formulierungen für kosmetische Produkte. „Dadurch
verkürzt sich für den Kunden nicht nur der
Produktinnovationszyklus“, erläutert Farwick. „Dank unserer Vorarbeiten kann er
auch entspannt und flexibel auf Veränderungen des Markts reagieren.“ <
05.11.2008 9:23:29 Uhr
38
INFORMIEREN
EVONIK-MAGAZIN 4/2008
Hardware und Know-how für den Computer der Zukunft
Eine recht unscheinbare Kunststofffläche hat mit einer
fast revolutionären Technologie eine große Zukunft
vor sich: Das Computer-Display des Microsoft Surface
reagiert auf Berührung und Bewegung, Maus oder
Tastatur werden überflüssig. Um Ordner zu öffnen,
Objekte zu verschieben oder Filme abzuspielen, reicht
eine einfache Bewegung oder Berührung mit dem
Finger – auch durch mehrere Personen gleichzeitig.
„Der interaktive Surface-Tisch wird die Shoppingund Ausgehgewohnheiten und das tägliche Leben von
Verbrauchern rund um die Welt revolutionieren“,
glaubt Pete Thompson, General Manager Microsoft
Surface. Das anwendungs- und produktionstechnische Know-how sowie das entscheidende Material
für die visuelle Schnittstelle des innovativen Tabletops
liefert die Evonik Industries AG. Die notwendige
Projektionshardware ist aus mehreren optischen Funktionsschichten aufgebaut, materielle Basis ist dabei
PLEXIGLAS mit seinen exzellenten optischen und
physikalischen Eigenschaften. In komplexen Prozessschritten werden die PLEXIGLAS-Komponenten im
hessischen Weiterstadt zum „Computer der Zukunft“
zusammengebaut, die Produktionskapazitäten 2008
bereits stark erweitert.
FOTO: MICROSOFT
Auf dem Weg zum Surface-Computing
Die Zukunft hat begonnen. Das Display des
Microsoft Surface reagiert auf Berührungen, es
erkennt mehr als 50 gleichzeitig
Partnerschaft mit dem Welt-Wirtschafts-Forum
FOTO: BA HUBER
Raum für wichtige Fragen
Die Partnerschaft zwischen der Evonik Industries AG und dem Welt-WirtschaftsForum geht mit einer Vertragsverlängerung in die zweite Runde. Das unabhängige
Forum mit Sitz in Genf (Schweiz) ist Diskussionsort für globale ökonomische,
ökologische und soziale Probleme. Neben regionalen Veranstaltungen initiiert das
Forum jährliche Gipfeltreffen in Davos (Foto links, Schweiz), die mit Teilnehmern
aus führenden internationalen Unternehmen, Regierungen weltweit und
gesellschaftlichen Organisationen wegweisend sind. „Mit der Fokussierung auf
die Megatrends Energie-Effizienz und Globalisierung ergänzen wir uns ideal“,
meint Dr. Klaus Engel, designierter Vorsitzender des Vorstands von Evonik. Konkret ist Evonik in zwei Initiativen aktiv: der Initiative „Climate Change, Sustainability and Clean Energy“ zur Gestaltung der Post-Kyoto-Zeit sowie der Initiative
„Collaborative Innovation“, die übergreifend Treibhausgase minimieren will.
Magazin „zwanzig 10“ feiert Ruhr-Region als Kulturhauptstadt Europas
Hochglänzende Zukunft
FOTO: PRIVAT
Die Kulturhauptstadt Ruhr.2010 ist auch
das Programm einer Zeitschrift: Das Hochglanzmagazin „zwanzig 10“ begleitet und
kommentiert den Weg der Ruhr-Region zur
Kulturhauptstadt Europas seit Ende 2007.
EVONIK-MAGAZIN Kulturland Deutschland,
was kann das Ruhrgebiet dazu auch nach 2010
beitragen?
38_Evonik_04-08_DE 38
MARGRIT GRÄFIN VON WESTPHALEN
ZU FÜRSTENBERG (MGvW) Das Ruhrgebiet
ist die Boom-Region im Herzen Europas. Hier
können wir die Gesellschaft von morgen schon
heute beobachten.
EVONIK-MAGAZIN In ein paar Worten: Was
ist ihr Magazin-Konzept?
MGvW Neue Bilder – andere Worte! „zwanzig 10“
beinhaltet hochwertigen Journalismus
für eine elitäre und kultivierte Zielgruppe. Wir wenden uns an Entscheider
aus Wirtschaft und Politik und wollen
den kulturellen Reichtum des Reviers vorstellen.
„zwanzig 10“ ist aber auch ein künstlerisches Projekt.
EVONIK-MAGAZIN Wie kam es zu
„zwanzig 10“?
MGvW Die Zeit war reif für ein hochwertiges
Imageprodukt in der Ruhr-Region. Diese Idee
beschäftigte mich, und in Stefan Meutsch fand
ich einen innovativen, ambitionierten Verleger.
EVONIK-MAGAZIN Wie wird sich das Magazin nach 2010 verändern?
MGvW „zwanzig 10“ wird das Kulturmagazin
in Deutschland sein, denn es bietet einen
enormen Spielraum für den Aufbau im Sinne
einer klassischen Marke. Hier denke ich
zum Beispiel an einen Kulturhauptstadt-Guide
oder an das weite Feld des Merchandising …
Margrit Gräfin von Westphalen
zu Fürstenberg ist Herausgeberin
von „zwanzig 10“
30.10.2008 16:21:10 Uhr
39
Digitalfunk – zum Beispiel bei der Feuerwehr
FOTOS: CATRIN MORITZ
Das neue Sicherheitsnetz
Im Ruhrgebiet hat die Evonik Energy Services GmbH das deutschlandweit größte öffentliche Digital-Mobilfunknetz im Tetra-Standard
installiert. SENET heißt das neue Angebot. Zu den ersten Kunden
zählen Stadtwerke, Feuerwehren, Ölraffinerien, ein Chemiewerk und
mehrere Taxiunternehmen. Damit stehen sie an der Spitze des
Fortschritts, denn beim Betriebsfunk ist Digitaltechnik noch längst
nicht Standard. Die deutsche Polizei, zum Beispiel, plagt sich noch
immer mit alten Analog-Funkgeräten. Warum eigentlich Betriebsfunk,
fragt sich der Laie – schließlich hat heutzutage doch jeder ein
digitales Handy. So ähnlich hat man bei Evonik im Geschäftsbereich
Energie auch gedacht, erzählt Hans-Dieter Rahmann, Projektleiter für
SENET.
Doch dann platzte vor einigen Jahren eine Fernwärmeleitung.
Beim Bemühen, den Schaden rasch zu beheben, stellten die Mitarbeiter
von Evonik fest, dass mit ihren Handys vor Ort gar nichts mehr ging:
Das Netz war überlastet. Funkstille. Nur wollte man zu dem alten analogen System nicht zurück. Wenn schon, dann wollte man künftig digital miteinander funken. Doch habe sich schnell herausgestellt, sagt
Hans-Dieter Rahmann, dass das „ganz schön teuer“ werden würde.
Denn um das Kerngebiet an der Ruhr abzudecken, brauchte man wenigstens 15 Basisstationen. Wie aber, wenn man andere Firmen als
Kunden ins Boot holte? „Wir hörten uns um und stießen überall auf offene Ohren“, sagt Rahmann. Der Markt war da. Das Projekt
SENET wurde aus der Taufe gehoben.
Man entschied sich für den Tetra-Standard, der auch Grundlage
des geplanten bundesweiten Behördenfunks sein wird. Im April 2006
begann die Evonik Energy Services GmbH mit dem Bau erster Basisstationen; heute deckt Evonik mit 24 Stationen das gesamte Ruhrgebiet zuverlässig ab. Sie sind per Kabel oder Richtfunk miteinander
und mit der Vermittlungsstation in Gelsenkirchen verbunden.
Alle Stationen haben eine eigene Notstromversorgung, und das
ganze System ist so redundant ausgelegt, dass es im Gegensatz zum
öffentlichen Mobilfunknetz garantiert jederzeit verfügbar ist.
Neben besserer Sprachqualität bietet das Digitalsystem Abhörsicherheit durch Verschlüsselung und die Möglichkeit der Datenübertragung einschließlich Flottensteuerung über integrierte
GPS-Empfänger. Das alles bietet Evonik externen Kunden mitsamt
Endgeräten und passender Software an. MARTIN KUHNA
39_Evonik_04-08_DE 39
Dr. Wolfgang Reiniger (Essens Oberbürgermeister),
Ulrich Bogdahn (Amtsleiter der Feuerwehr Essen),
Hendrik Pieper (Geschäftsführer Selectric
Nachrichtensysteme, Münster) und Martin Hay
(Bereichsleiter System Technologies bei der Evonik
Energy Services GmbH) bei der Vorstellung
des Digitalfunks für die Feuerwehr in Essen. Oberbrandmeister Udo Karkowski (rechts) beim Test
04.11.2008 13:47:20 Uhr
40
VERSORGEN
BLINDE PASSAGIERE
EVONIK-MAGAZIN 4/2008
Wir müssen draußen bleiben
Mit dem Ballastwasser von Frachtschiffen reisen fremde Organismen mit.
Sie bilden für Ökosysteme eine Bedrohung, die mit der Erderwärmung auf einer Stufe steht.
Abhilfe schafft ein Filtersystem mit weltweitem Patent
TEXT HARALD CARL
FOTOS V. L.: EVONIK INDUSTRIES, PA/OKAPIA, EVONIK INDUSTRIES, BLICKWINKEL, R. DISCHER/WATERFRAME
AUS DEM ARMDICKEN Rohr schießt
eine Menge Wasser in die trübe Elbe. Die
Versuchsanlage zur Ballastwasserbehandlung läuft auf Hochtouren – 250 Kubikmeter pro Stunde werden dem Fluss entnommen und am Ende des Verfahrens – in
besserer Wasserqualität – an den großen
Strom zurückgegeben. Hier auf der Spitze zwischen Neuhöfer Kanal und Rethe
laufen seit Sommer 2008 Dauertests. Mit
ihnen wollen der Maschinenbauer Hamann
AG (Hollenstedt bei Hamburg) und Evonik
Industries AG ihr gemeinsam entwickeltes
SEDNA-System noch weiter optimieren.
SEDNA steht für Safe Effective Deactivation of Non-Indigenous Aliens – also für die
sichere und effektive Inaktivierung von eingeschleppten Arten.
Und die werden weltweit immer mehr
zu einer Gefahr für viele lokale beziehungsweise regionale Ökosysteme. Nach Auffassung von Experten gehören die „blinden
Passagiere“ im Ballastwasser zu den TopThemen im Umweltschutz und rangieren
mit der globalen Erderwärmung auf einer
Stufe. Die Zerstörung von Ökosystemen
durch fremde Eindringlinge – ganz gleich,
ob Viren und Bakterien, Pilze, Algen
oder Plankton – kostet allein die USA 138
Milliarden US-$ pro Jahr. Deshalb werden
inzwischen weltweit über 20 Systeme zur
Behandlung von Ballast wasser verfolgt,
darunter auch physikalische Verfahren wie
Ultraviolettstrahlung, Sauerstoffentzug
oder Erhitzen.
Derzeit aber liegt SEDNA vorn, denn als
erstes System, das eine chemische Komponente einsetzt, hat es die Typenzulassung
(Type-Approval) durch das für Deutschland
zuständige Bundesamt für Seeschifffahrt
und Hydrographie (BSH, Hamburg) erhalten. Schon im April 2008 hatte die Internationale Organisation für die Seeschifffahrt
(IMO; London, Großbritannien) dem System das Final Approval erteilt. Die IMO ist
innerhalb der Vereinten Nationen (Uno) die
zuständige Einheit für den gesamten Seeverkehr. Damit steht für die globale Schifffahrt ein ebenso wirkungsvolles wie umweltschonendes Verfahren zur Verfügung, um
das Einschleppen ortsfremder Organismen mit dem Ballastwasser von Schiffen in
Zukunft zu unterbinden.
NACH 24 STUNDEN IST DAS
WASSER SAUBER
Der dreistufige Prozess reinigt das Wasser,
bevor es in die Ballastwassertanks gelangt:
Zunächst trennen sogenannte Zyklone den
größten Teil von Sedimenten und Lebewesen durch die Nutzung der Zentrifugalkraft ab. Anschließend wird das Wasser
durch ein feines Filter mit einer Maschenweite von nur 50 Mikrometern geleitet.
„Dieser zweistufige physikalische Prozess
garantiert, dass unterschiedliche Feststoffgehalte im Wasser genauso wie eine große
Bandbreite an Lebewesen effektiv abgetrennt werden“, erklärt Dr. Matthias Voigt,
bei Hamann als Vorstandsmitglied für Forschung und Entwicklung zuständig. Im letzten Schritt tötet eine maßgeschneiderte
Mischung aus Wasserstoffperoxid und Peressigsäure, die Evonik unter der Bezeichnung PERACLEAN Ocean vertreibt, restliche Organismen ab. „Unser Produkt zeigt
schon bei geringen Konzentrationen exzellente Biozid- und Fungizideigenschaften,
zudem ist es komplett biologisch abbaubar“,
betont Bernd Hopf, zuständiger Projektingenieur bei Evonik Industries. In der Praxis werden für 1.000 Tonnen Ballastwasser
nur 150 Liter PERACLEAN Ocean benötigt.
Unabhängig von Anzahl und Art der Organismen entspricht das Ballastwasser bereits
nach nur 24-stündiger Verweilzeit im Tank
den strengen Anforderungen der IMO-Konvention zur Behandlung von Ballastwasser
und Sedimenten aus dem Jahr 2004.
Der Typenzulassung war ein umfangreiches Test- und Versuchsprogramm unter
Einbindung von externen Experten wie beispielsweise Dr. Stephan Gollasch (GoConsult,
Hamburg) vorausgegangen. Dabei wurde >
Rund 40.000 Seeschiffe bevölkern die Weltmeere, jedes
40_Evonik_04-08_DE 40
30.10.2008 12:09:19 Uhr
41
Japanischer Beerentang
Amerikanischer Schiffsbohrwurm
Asiatischer Gespensterkrebs
Amerikanische Rippenqualle
Sie reisen als blinde Passagiere: Während der Japanische Beerentang im norddeutschen Wattenmeer derzeit noch die Artenvielfalt bereichert, ist der
holzhungrige Schiffsbohrwurm ein unliebsamer Immigrant: Allein an der Ostseeküste hat er seit 1993 Kosten von 50 Millionen € verursacht.
Der robuste Gespensterkrebs verdrängt wie die Rippenqualle einheimische Fischarten in Nord- und Ostsee durch seinen hohen Konsum von Plankton
Wander- oder
Dreikantmuschel,
ursprünglich
europäisch. Sie
macht ihrem Namen
alle Ehre, breitet
sich weltweit rasant
aus und macht
dabei viel Ärger:
Teilweise legt sie die
Trinkwasserversorgung
lahm, indem sie
Ansaugrohe verstopft
Jahr kommen rund 800 bis 1.000 hinzu
41_Evonik_04-08 41
28.10.2008 10:15:05 Uhr
42
VERSORGEN
BLINDE PASSAGIERE
EVONIK-MAGAZIN 4/2008
Abbaugeschwindigkeit im Fotometer-Test: In behandelten Wasserproben weist die blaugrüne Färbung den verbliebenen Gehalt an Peressigsäure, die gelbe
Farbe den an Wasserstoffperoxid nach; weitere Testläufe: Sie finden in den dicken Rohren und feinen Filteranlagen des SEDNA-Systems statt; der Lauf
des Wassers: Das Bedienterminal ist anwenderfreundlich und zeigt – schematisch dargestellt – den Weg vom belasteten bis zum sauberen Ballastwasser
Schon an Bord: Die SEDNA-Anlage hat in einem Schiffscontainer Platz und wird ab 2010 selbstverständlicher Bestandteil im Schiffsbau sein
Rund 10 Milliarden Tonnen Ballastwasser sind jährlich
42_Evonik_04-08_DE 42
04.11.2008 15:33:51 Uhr
43
138 Milliarden Dollar im Jahr kostet die Amerikaner
die Reparatur der Ökosysteme
> das komplette System im vollautomatischen
Dauerbetrieb an Land und auf dem Containercarrier „OOCL Finland“ als Testschiff erfolgreich erprobt. Vor allem die Faktoren Wirksamkeit, Zuverlässigkeit und Sicherheit
standen im Fokus dieser Tests. Die Versuchsergebnisse wurden in einem umfangreichen Dossier von den Biologen des Niederländischen Instituts für Meeresforschung
(NIOZ) dokumentiert, das die Grundlage
für die Zulassung durch das BSH bildete.
Bernd Hopf
ist Projektingenieur bei
Evonik Industries
und betreut
das Ballastwasser-System
FOTOS: SEBASTIAN VOLLMERT
40.000 FRACHTSCHIFFE
WARTEN AUF NACHRÜSTUNG
Mit der Zertifizierung sowohl durch die
IMO als auch durch die nationale Behörde
steht weltweit das erste System zur Verfügung, das der IMO-Konvention zum
Ballast wassermanagement entspricht und
diese beiden Zulassungen erhalten hat. Die
Konvention sieht vor, von 2010 an kleinere
und von 2012 an größere Schiffsneubauten
mit entsprechenden Anlagen auszustatten.
Ältere Schiffe sollen bis spätestens 2016
nachgerüstet werden. Ein Unterfangen
von beachtlichen Ausmaßen, denn derzeit
befahren rund 40.000 Frachtschiffe die
Weltmeere, jedes Jahr werden zudem etwa
800 Neubauten in Dienst gestellt. Evonik
engagiert sich schon seit vielen Jahren
auf diesem neuen Anwendungsgebiet für
Aktivsauerstoffprodukte. „Das Type-Appro-
val ist ein weiterer wichtiger Meilenstein
und ein großer Erfolg für alle Mitglieder
unseres Projektteams“, betont Dr. Thomas
Haeberle, Leiter des Geschäftsbereiches
Industrial Chemicals von Evonik.
Wie zunächst von der IMO vorgegeben,
fanden die meisten Funktionstests für
PERACLEAN Ocean bisher mit Salz- und
Brackwasser statt. „Jetzt optimieren wir
unser System zusätzlich für Süßwasser,
das im Hamburger Hafen zu finden ist“,
erklärt Fachmann Hopf. Dafür hat Evonik
am SEDNA-Teststandort von Hamann auf
dem Hafengelände ein kleines Labor eingerichtet, in dem beispielsweise der Abbau
von Peressigsäure und Wasserstoffperoxid
fotometrisch gemessen und dokumentiert
wird. „Wir arbeiten mit verschiedenen
Einsatzmengen und bei unterschiedlichen
Wassertemperaturen“, erläutert Corinna
Schmidt, Chemotechnikerin bei Evonik.
Auch für Hamann sind die laufenden Tests
von großer Bedeutung. „Da die Maschinen
acht Stunden am Tag laufen, können wir
ein ganzes Schiffsleben in kürzester Zeit
simulieren“, freut sich Andreas Meinhardt,
Projekt ingenieur bei Hamann.
Das kombinierte Verfahren von Hamann und Evonik bietet große Vorteile:
Das SEDNA-System ist für besonders viele
Schiffstypen geeignet. Dank des modularen Aufbaus kann es an unterschiedliche
Ballastwasserdurchsätze zwischen 50 und
2.000 Kubikmetern pro Stunde angepasst
werden. Die mechanische Vorbehandlung
trennt alle größeren Bestandteile ab und
verringert signifikant die Menge an Sedimenten. „Geringe Leistungsaufnahme und
nahezu keine Verschleißteile sind weitere
wichtige Pluspunkte für den Schiffsbetrieb“,
betont Mathias Schmidt, Vertriebsmanager
bei Hamann. PERACLEAN Ocean ist hochwirksam gegen alle verbleibenden Organismen. Es ist verträglich mit allen gängigen
Ballastwassertankbeschichtungen und universell anwendbar in Salz-, Süß- und Brackwasser. Zudem ist das Mittel lagerstabil,
leicht zu dosieren, sparsam im Verbrauch
und – vor allem – umweltverträglich. <
unterwegs – und führen über 10.000 verschiedene Arten Lebewesen mit
43_Evonik_04-08_DE 43
04.11.2008 15:34:01 Uhr
44
MANAGEN
BORUSSIA
TEXT ANDREAS BRANNASCH
WAS VERBINDET Adidas, Nike, Puma und
Borussia Dortmund? Alle vier sind starke
Fußballmarken. „Moment“, werden Marketingexperten einwerfen, „Borussia Dortmund erfreut sich zwar hoher Bekanntheit
und belegt in der Rangliste der beliebtesten
Bundesligaklubs (Quelle: Acxiom) aktuell
Rang zwei hinter dem FC Bayern München –
aber ein Fußballklub als Marke?“
Im Fall des Ballspiel-Vereins Borussia
(BVB) spricht einiges dafür: Man ist im Januar
als erster deutscher Profiklub dem Markenverband beigetreten. Der Vorsitzende der
BVB-Geschäftsführung Hans- Joachim
Watzke erklärt diesen ungewöhnlichen
Schritt: „Wir sind erster und einziger börsennotierter Verein der Fußball-Bundesliga
und meinen, dass uns deshalb eine besondere Bedeutung und Vorreiterrolle zukommt.
EVONIK-MAGAZIN 4/2008
Zur Übernahme der Verantwortung gegenüber unseren Aktionären ist die Betonung
der Markenführung extrem wichtig.“ Für
Diplomkaufmann Watzke ist die Aufnahme
in den Markenverband eine wichtige Bestätigung, denn es wurde auch geprüft, ob
der BVB überhaupt eine starke Marke ist.
Im Sport enthält die Rechnung einige
Unbekannte mehr als im Marketing eines
klassischen Markenartiklers. Ob beim Fußball in einem wichtigen Spiel der Ball ins Tor
oder an den Pfosten knallt, ist halt manchmal reines Glück, ebenso wie eine günstige
Auslosung im Pokal.
Trotzdem gibt es auch im Fußballbusiness
Konstanten: So verteidigen die weltweit
stärksten Marken unter den Fußballklubs
seit vielen Jahren ihre Spitzenpositionen:
Manchester United und Real Madrid oder
in Deutschland der FC Bayern München.
Bei diesen Klubs sind sportlicher Erfolg,
Fußballtradition und modernes Management eine gewinnbringende Verbindung
eingegangen. Nationale Beispiele wie zum
Beispiel der FC Sankt Pauli zeigen aber, dass
hervorragende Sympathiewerte und eine
eindeutige Positionierung auch ohne sportliche Top-Erfolge möglich sind.
GEHEIMES WERTE-DEPOT
Auch die Marke Borussia hat trotz viel Mittelmaßes in den letzten Spielzeiten noch immer
eine besondere Strahlkraft. Stephan Schröder,
Mitglied der Geschäftsleitung des Marktforschungs- und Beratungsunternehmens
Sport+Markt AG, Köln, bestätigt: „Borussia
Dortmund hat im Vergleich zu den meisten
anderen Bundesligaklubs ein eindeutiges
Imageprofil und eine sehr klare Positionierung.“ Imagefaktoren wie „faszinierend“
oder „leidenschaftlich“ bezögen ihre hohe
Zustimmung zwar eher aus den Siegen der
Eine Marke namens Borussia
Profiklubs im Fußball haben sich längst zu mittelständischen Unternehmen der Entertainment-Industrie
44_Evonik_04-08_DE 44
04.11.2008 17:00:55 Uhr
FOTOS: WWW.BVB.DE
45
90er-Jahre, aber sobald die Dortmunder
erfolgreich spielen, zeige sich sehr schnell
wieder ihr Potenzial zu einer großen Marke
im Fußball. „Das ist wie ein Werte-Depot, das
den BVB sofort wieder in eine Position direkt
hinter dem FC Bayern München schiebt,
sobald es durch große Spiele und Titel aktiviert wird“, so Schröder weiter.
Aus einer traditionellen Perspektive passen Begriffe wie Fußballverein und Markenwert eigentlich kaum zusammen. Doch die
erzielten Umsätze sprengen mittler weile
jede „Vereins-Dimension“: Laut einer Studie
der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Deloitte erwirtschafteten die
Bundesligaklubs in der Saison 2006/2007
Gesamteinnahmen von rund 1,4 Milliarden €. Fußball ist also Big Business, und
immer mehr Profifußballvereine in Deutschland nutzen Erkenntnisse aus der Markentheorie, um selbst eine starke Marke zu
werden. Doch nur, wer ein eigenständiges
Profil vorweisen kann, hat die Chance, seinen Klub zu positionieren und von Fußballinteressierten und Medien als einzigartig
wahrgenommen zu werden.
In der empirischen Studie „Markenpersönlichkeit von Fußballvereinen“ untersucht der Autor Frank Alexa von der Leibniz
Universität Hannover jene emotionalen
Aspekte, die eine unverkennbare und nachhaltige Positionierung von Vereinsmarken
ermöglichen. Nach seiner Auffassung sind
neben dem Kriterium „Professionalität“
besonders die Kategorien „Emotionalität“,
„Bodenständigkeit“ und „gelebte Traditionen“ entscheidend für die Verbundenheit und Bindung der Fans an einen Klub.
Überträgt man die Ergebnisse dieser Studie auf Borussia Dortmund, dann
wird deutlich: Der BVB besitzt in allen drei
Kategorien besondere Stärken – kein Wun-
der also, dass der Verein auf eine besonders
große und besonders treue Fangemeinde
verweisen kann – was nichts anderes bedeutet
als eine hohe Markentreue durch potenzielle
Kunden.
Die Marke BVB lebt von ihrer Fankultur,
von der Region und Mentalität der Menschen,
die hier leben: bodenständig, kämpferisch,
ehrlich, leistungsorientiert und solidarisch,
und das Bekenntnis zur Region spielt bei der
Markenführung eine große Rolle. In Dortmund steht man vor allem auch in schwierigeren Zeiten zusammen. Welcher Verein
in Europa verkauft nach einer eher mäßigen
Saison fast 50.000 Dauerkarten?
Beim BVB existiert bisher noch kein
exakt formuliertes Leitbild oder eine Corporate Identity. In den letzten Jahren der
Konsolidierung ging es primär darum, die
Marke Borussia Dortmund wieder in ein
gesundes finanzielles Fahrwasser zu führen. >
entwickelt. Jetzt haben sie auch die Markenpflege entdeckt
Markenware: Der
komplette Hausstand des
Fans von der Zahnbürste
bis hin zum Hundenapf
lässt sich im BVB-Fanshop
zusammenstellen
>
45_Evonik_04-08_DE 45
04.11.2008 17:01:05 Uhr
46
MANAGEN
BORUSSIA
> Geschäftsführer Watzke kann heute deutlich entspannter den Geschäftsbericht präsentieren als auf dem Höhepunkt der finanziellen Krise des Klubs im Jahr 2005: „Jetzt
können wir uns der Kür widmen und werden uns intensiv mit dem Thema Markenführung beschäftigen.“
Das freut auch den Hauptsponsor Evonik
Industries AG und dessen Bundesliga-Beauftragten Lutz Dreesbach: „Das Sponsoring
beim BVB ist ein unverzichtbarer Baustein in
der Markenstrategie von Evonik, um schnell
hohe Bekanntheit für die neue Marke aufzubauen.“ In Zeiten, in denen der Konzern mit
einer Werbekampagne auf sich aufmerksam mache, wirke dieses Sponsoring nach
seiner Einschätzung als Verstärker. Gerade
hat Evonik seinen Vertrag als Trikotsponsor
vorzeitig bis 2011 verlängert.
Die Verbundenheit eines traditionsgebundenen Fußballklubs wie des BVB mit den Fans
46_Evonik_04-08_DE 46
EVONIK-MAGAZIN 4/2008
und kommerzieller Erfolg müssen sich nicht
ausschließen. „Wir müssen zum Beispiel
gleichzeitig bodenständig, aber auch international sein“, so Watzke. „Unsere Aufgabe
ist es, das richtige Maß zu finden und dieses
in Einklang mit der Marke BVB zu bringen.“
Zum Beispiel liegen die Eintrittspreise beim
BVB im Vergleich zu den Preisen in der Premier League in England deutlich niedriger.
Die Verantwortlichen bei Borussia Dortmund
wollen auf keinen Fall als reines Wirtschaftsunternehmen wahrgenommen werden, sondern weiterhin die Herzen der Menschen
erreichen. Dafür bietet das Jahr 2009 eine
besondere Chance: Im nächsten Jahr feiert
der BVB sein 100-jähriges Jubiläum. Bis zum
Start der Feierlichkeiten am 19. Dezember
2008 soll das Markenbild weiter geschärft
werden, und dann soll auch das Borusseum
eröffnen, das zum schönsten und modernsten
Fußballmuseum Europas werden soll.
Ein wichtiger Markenbaustein von Borussia
Dortmund ist die Farbgebung. Mit der
Kombination Schwarz-Gelb hat man in der
Bundesliga eine Alleinstellung, und auch
europaweit gibt es keinen Topverein mit
dieser Farbkombination.
100 JAHRE SCHWARZ-GELB
Außerdem bestimmt besonders das Vereinslogo den visuellen Auftritt eines Fußballklubs. Umso erstaunlicher, dass die meisten
dieser Wappen – national wie international – eher verstaubt daherkommen. Der
gemeine Fußballer setzt halt gerne auf
Bewährtes. Weil sich aber die ästhetische
Wahrnehmung der Menschen verändert,
gehört es zu einem modern geführten
Fußballklub, dass sich auch sein Erscheinungsbild weiterentwickelt. Die schwierige
Aufgabe lautet: Altes bewahren und gleichzeitig Neues schaffen. Schließlich wird das
04.11.2008 17:01:13 Uhr
FOTOS: WWW.BVB.DE
47
Vereinslogo tausendfach auf Trikots, Schals,
Fahnen, Tassen, Schlüsselanhängern und
vielem mehr eingesetzt und wirkt als Projektionsfläche für die Identifikation der
Fans mit ihrem Klub.
Das Vereinslogo von Borussia Dortmund
wurde innerhalb der 100 Jahre seit Gründung des Vereins mehrfach verändert. Bis
zum Jahr 1919 prangte nur ein einfaches B
auf der Brust der Spieler. Dann entwarf der
Dortmunder Grafiker Edi Birk das im Prinzip noch heute gültige kreisrunde Vereinsemblem mit dem Klub-Kürzel BVB und den
beiden Zahlen des Gründungsjahres „09“.
In der Saison 1976/77 kam man dem damaligen Trikotsponsor einen großen Schritt
entgegen, und so landete der Löwenkopf der
Tabakmarke Samson im Vereinslogo. In den
80er-Jahren wurde dann zeitweise der komplette Vereinsname hinzugefügt, und mit
dem Börsengang im Oktober 2000 erhielt
das Logo sein heutiges Aussehen. Weil aber
international niemand etwas mit dem Kürzel BVB anfangen konnte, entwickelte die
hauseigene Agentur für Kommunikation
K-werk eine Wort-Bild-Marke aus Logo und
Vereinsnamen, denn der Name Borussia
war nach dem Champions-League-Sieg
1997 zum Begriff im europäischen Fußball
geworden.
Uwe Landskron, als Chef-Designer von
K-werk bei Borussia Dortmund verantwortlich für den visuellen Auftritt von StadionMagazin, Geschäftsbericht, Geschäftsausstattung inklusive Ticketing, des sich in
der Gründungsphase befindlichen vereinseigenen Museums Borusseum und somit
für die Nutzung des Logos, erklärt: „Das
Kern-Logo, wie man es auf dem Trikot oder
auf offiziellen Printprodukten sehen kann,
ist seit der letzten Anpassung unangetastet
geblieben.“ Im Merchandising dagegen ver-
ändern Trends und Stimmungen die Darstellung des Logos. „Da sind Varianten des Schriftzuges Borussia Dortmund möglich“, bestätigt
Landskron, „Die Bildmarke ‚BVB 09‘ als
Kernlogo des Unternehmens hat jedoch in
jedem Fall unangetastet zu bleiben.“
Bei Borussia Dortmund hat durch die
Verpf lichtung des neuen Trainers und
Sympathieträgers Jürgen Klopp schon der
Börsenkurs zugelegt – sicher zahlt die neue
Partnerschaft auch auf das Konto Markenwert ein, ebenso wie die Rückkehr des
Teams in die Erfolgsspur seit Beginn der
Saison. BVB-Geschäftsführer Watzke hat
recht, wenn er betont: „Fußball ist heute
zu einem Teil der Unterhaltungsindustrie
geworden – ist aber vor allen Dingen
Sport.“ Und das Schöne am Sport ist seine
Unberechenbarkeit – die aber eine konsequente Markenführung für Fußballklubs
nicht leichter macht. <
Eine Welt in
Schwarz-Gelb
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04.11.2008 17:01:23 Uhr
48
ERLEBEN
STRUKTURWANDEL
EVONIK-MAGAZIN 4/2008
Duisburger Hafen – Pier eins,
15 Jahre nach Projekt-Beginn
Hafen mit Aussicht
Strukturwandel? In Duisburg gelingt er. Und schafft Räume für Kunst und
lebendigen Alltag. Der Innenhafen erwacht zu neuem Leben und ist gelungenes Beispiel
einer Moderne, die in der Geschichte verwurzelt ist
48_Evonik_04-08_DE 48
28.10.2008 15:04:13 Uhr
49
TEXT STEFANIE WINTER
FOTOS TANIA REINICKE
ES STEHT 1:0 in der Rückrunde Vater
gegen Sohn. Für die Pause in der Halbzeit haben Mutter und kleiner Bruder ein
Picknick vorbereitet, am Fuß des Treppenturms, auf einer kleinen Mauer. Und jetzt
tobt fröhlich lärmend eine Kindergartengruppe über die Terrasse. Der „Garten der
Erinnerung“ hat trotz seines absichtsvollen
Namens eine ganz selbstverständliche
Nutzung gefunden. Dort, wo früher Kaffee,
49_Evonik_04-08_DE 49
Fruchtweine oder Süßwaren lagerten, ließ
man beim Abriss der schlichten Gebäude künstliche Ruinen stehen: die Stützpfeiler einer Lagerhalle, den Treppenturm
eines Bürohauses oder die Plattform eines
Speditionsgebäudes. Auf den ersten Blick
wirkt diese Plattform wie die Konzertmuschel eines verwaisten Kurortes. Dieser
Garten ist Kunst, Museum – und lebendiger Alltag. Und damit typisch für den
„Spirit“ des revitalisierten Innenhafens,
der an allen Ecken und Enden mit der
Geschichte spielt.
Ende des 19. Jahrhunderts wurde hier
Holz umgeschlagen und zersägt, vor allem
Grubenholz für die Zechen. Außerdem entwickelte sich das Areal zum sogenannten
Brotkorb der Region – als Umschlagplatz
für Getreide, mit zahlreichen Mühlen und
großen Speichersilos, wie die Küppersmühle zum Beispiel, die heute als Museum
genutzt wird. Bis in den 1960ern der Niedergang des Steinkohlebergbaus einsetzte –
und das Ruhrgebiet aufhörte, die Stütze der
bundesdeutschen Wirtschaft zu sein. Mühlen und Speditionen wurden geschlossen. >
28.10.2008 15:04:22 Uhr
50
ERLEBEN
STRUKTURWANDEL
EVONIK-MAGAZIN 4/2008
Grachten gliedern die Wohnanlagen; im Hafenforum sitzt die Entwicklungsgesellschaft; Nicholas Grimshaw entwarf das Bürogebäude Five Boats; das neue
Alles greift
> Der Innenhafen lag jahrzehntelang brach.
Rückblickend: nur ein Dornröschenschlaf.
Heute, rund 15 Jahre nach Beginn des
Umbaus, ist das Areal ein stark genutzer Teil
von Duisburg geworden. Alles greift hier
ineinander, Tradition und Moderne, Alltagskultur und hohe Kunst. Arbeit und Leben finden in den Gebäuden gleichermaßen ihren
Platz: Meist öffnen sich die Häuser durch
Gastronomie im Erdgeschoss zum Wasser.
Darüber stapelt sich die Arbeit: in den Büros
der Menschen, die sie erledigen – und die
mittags und nach Feierabend die Plätze im
Erdgeschoss bevölkern. Der Innenhafen
ist zudem ein Zuhause geworden: Mehrere Hundert neue Wohnungen sind hier
entstanden. Eigentums wohnungen, doch
auch Genossenschaften haben mit Hafenblick gebaut. Mehr als 100 Appartements
sind speziell für alte Menschen geplant
worden. Daneben gibt es hochästhetische
und funktionale Miet wohnungen in einem
von Lord Norman Foster gestalteten Komplex, für 7 € pro Quadratmeter. Ein Teil der
Wohnanlagen ist durch künstliche Grachten gegliedert, an deren Rändern Bänke ans
Wasser locken.
Der Brite Norman Foster, Urheber des
Wandlungsprozesses, hat seit Jahrzehnten
überall auf der Welt große bis gigantische
Projekte realisiert, den neuen Reichstag in Berlin und die Millennium Bridge in
50_Evonik_04-08_DE 50
London. 1990 erhob die Queen den Sohn
einer Arbeiterfamilie als Ritter in den Adelsstand. Ein Jahr später übernahmen Foster
und seine Partner die Gesamtkonzeption für
den Duisburger Innenhafen, mit einer quasi
ritterlichen Grundhaltung: dass die Architektur dem Menschen dienen möge. Neben
Miet wohnungen hat Foster weitere Einzelprojekte im Innenhafen verwirklicht, das
„Hafenforum“, den Sitz der Entwicklungsgesellschaft, und das Design der Marina
wenige Schritte weiter. Auch das geplante
Herzstück des Innenhafens liegt in Fosters
Händen: Wie eine gläserne Sichel mit bis zu
zehn Stockwerken Höhe soll sich der Büround Hotelkomplex „Eurogate“ in den Holzhafen schmiegen, dort, wo der Innenhafen
ungefähr auf halber Länge ein Becken bildet.
Neben einer größtmöglichen Hinwendung
der Räume zum Hafenbecken wurde viel Wert
auf eine hohe Energie-Effizienz gelegt.
DIE NEUE HALTUNG
Große Architekten prägen den Duisburger
Innenhafen, geben ihm ein offenes, lebendiges Gesicht und diese neue aufrechte Haltung: Namen wie „von Gerkan, Marg und
Partner“, „Bothe, Richter, Teherani“ und
Nicholas Grimshaw & Partners Ltd. zeichnen
unter der Koordination Fosters für die
Neubauten hier am Wasser verantwortlich. Mehr als 100 solch kluger Projekte
Der „Garten der Erinnerung“ ist
Kunst, Museum und lebendiger Alltag
30.10.2008 11:55:15 Uhr
51
jüdische Gemeindezentrum; Kinder lockt das Legoland Discovery Centre
ineinander, Alt und Neu, Tradition und Moderne…
sind während der „Internationalen Bauausstellung Emscher Park“ vorangebracht
worden: Im gesamten Emscher-Raum, dem
70 Kilometer langen Landstrich zwischen
Duisburg und Dortmund, wurde 1989
bis 1999 beispielhaft erprobt, was allen
Industriegesellschaften früher oder später bevorsteht: Die Flurschäden müssen
wiedergutgemacht werden. Wobei Brüche
und Brachen jedoch immer auch einen guten
Nährboden abgeben für Kultur und Kunst;
das zeigt sich im Ruhrgebiet wie nirgendwo
sonst in der Republik.
Die meisten Gebäude am Innenhafen
sind fertig und bezogen, viele längst schon,
einige seit Kurzem. Wer hier inne- und Ausschau hält, kann mit einem Blick das neue jüdische Gemeindezentrum, die TreppenturmRuine, den Turm der Salvatorkirche und
den Schlot eines Kraftwerks erfassen. Wer
sich hier bewegt, bummelt, schlendert und
verweilt, spürt das Ver winkelte, das Hafenvierteln immer eigen ist. Und entdeckt jede
Menge Nachgiebigkeit, Öffnung und Transparenz in den Fassaden der Gebäude. Kaum
etwas scheint verboten: Rasen betreten,
Spielen, Fahrrad fahren, Skaten, Joggen –
alles findet entspannt und ungeregelt statt.
Und auch Kinder finden genug AlltagsAbenteuer: Nischen für Wasserspiele direkt
am Hafenbecken. Und seit Kurzem auch ein
Legoland Discovery Centre. <
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30.10.2008 11:55:18 Uhr
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ERLEBEN
KÜPPERSMÜHLE
EVONIK-MAGAZIN 4/2008
…und als Wahrzeichen der Region: ein neues Haus für
Die von Herzog & de Meuron
umgebaute Küppersmühle
im Duisburger Innenhafen soll
das neue Wahrzeichen
der Region werden – und
die größte Sammlung
zeitgenössischer deutscher
Kunst beherbergen
52_Evonik_04-08_DE 52
DER SCHWEBENDE KUBUS weist
in eine Zukunft, die der Kunst gewidmet
ist, während die alte Küppersmühle, die ihn
trägt, Hafen-Geschichte erzählt. Der geplante
Anbau – eher: Überbau – des Museums
Küppersmühle für Moderne Kunst (MKM)
greift Raum, statt sich einzufügen, und setzt
in historischer Umgebung futuristische Kontraste. Dieser Bau provoziert unterschiedlichste Reaktionen – den einen zerstört
der „Schuhkarton“ die Kulisse der denkmalgeschützten alten Mühle, anderen gilt er als
neues Wahrzeichen der Region.
„Die städtebauliche Entwicklung wird
durch die markante und mutige Architektur des Erweiterungsbaus verstärkt werden“, meint Prof. Peter Iden, wissenschaftlicher Beirat des MKM. Der Entwurf stammt
von den Schweizer Star-Architekten Herzog
& de Meuron, die die historische Getreidemühle zu einem Haus der Kunst gemacht
haben: 1999 wurde hinter denkmalgeschützter Fassade das MKM eröffnet.
Neben dem Bonner Kunstmuseum entstand
damals ein zweiter Ausstellungsort für die
ehemalige Sammlung des Duisburger Bau-
04.11.2008 16:44:42 Uhr
53
Zukunft: der Entwurf von
Herzog & de Meuron für
den Erweiterungsbau auf der
historischen Küppersmühle
ENTWURF: HERZOG & DE MEURON. FOTO: AKG
die deutsche Kunst
Vergangenheit: der Duisburger Hafen um 1910
53_Evonik_04-08_DE 53
unternehmers und Immobilienkaufmanns
Hans Grothe. Sie besteht aus Werken und
Werk reihen der wichtigsten Vertreter
deutscher Nachkriegskunst, darunter Jörg
Immendorff, Sigmar Polke und Joseph Beuys,
und bescherte dem MKM einen internationalen Ruf. 2005 fand eine der beachtlichsten
privaten Kunst-Transaktionen Deutschlands
statt: Das Darmstädter Sammler-Ehepaar
Sylvia und Ulrich Ströher, Erben eines
Kosmetik-Konzerns, kaufte die ehemalige
Sammlung Grothe und führte sie mit der
eigenen umfangreichen Sammlung zusam-
men. Für die Küppersmühle ein Glücksfall, denn nun folgte die Ausrichtung der
„fusionierten“ Sammlung Ströher auf die
ehemalige Getreidemühle am Duisburger
Hafen. Was das MKM damit an Kunst beherbergen wird, gilt der „Zeit“ als „wichtigste
Sammlung deutscher Kunst nach 1945“.
Denn inhaltlich und konzeptionell bietet
die erweiterte Sammlung Ströher ein fast
lückenloses Bild deutscher Nachkriegskunst: einerseits der umfassende, nach
Werkgruppen konzipierte Sammlungsteil mit Schwerpunkt auf den 70er- und >
04.11.2008 16:44:45 Uhr
54
ERLEBEN
KÜPPERSMÜHLE
EVONIK-MAGAZIN 4/2008
Karl Otto Götz: Jonction II, 1991
Kiefer, Höfer, Baselitz, Penck ziehen ein in
> 80er-Jahren – auf der anderen Seite die
genuine Sammlung der Ströhers, die vor
allem Kunst des sogenannten „Informel“
mit dem Schwerpunkt auf der abstrakten
Malerei der 50er-, 60er-Jahre umfasst,
darunter Künstler wie Gerhard Hoehme,
Emil Schumacher oder Karl Otto Götz. Die
heutige Sammlung Ströher beinhaltet über
1.500 entscheidende Werke deutscher
Kunst aus den letzten 50 Jahren. Darunter finden sich umfangreiche Werkreihen
Anselm Kiefers, Skulpturen und Malereien
des „Neuen Wilden“ A. R. Penck, aber auch
die zeitgenössische Fotografie von Candida Höfer. Georg Baselitz’ Werke sind
in eindrucksvoller Breite vertreten, der
stürzende „Adler“, der ehemals die Wand
des Kanzleramtsbüros schmückte, sowie
Markus Lüpertz’ Monumentalwerk „Westwall“ oder die kleinteilige Ikono grafie
„Traum des Künstlers“.
Der Neubau verspricht die doppelte
Präsentationsfläche und „die Gelegenheit,
der Kunst des Informel, dieses wichtigen
Beitrags der deutschen Malerei zur
Moderne, zu einem angemessenen Schauplatz zu verhelfen“, so Prof. Peter Iden.
Finanziert wird das Projekt durch
die Landeskasse, die Bonner Stiftung Kunst
und Kultur sowie den Sponsor Evonik.
Bis zum Kulturhauptstadt-Jahr 2010 soll
die „neue Küppersmühle“ fertig sein. <
Anselm Kiefer: Sternenlager IV, 1998
54_Evonik_04-08_DE 54
05.11.2008 9:15:02 Uhr
55
Candida Höfer: Theatro Municipal
Rio de Janeiro II, 2005
Georg Baselitz:
Fingermalerei III – Adler, 1972
A.R. Penck: DIS, 1982
die neue Küppersmühle
„Duisburg könnte
ein Zentrum für deutsche
Kunst werden“
FOTOS VON LINKS OBEN: MIT FREUNDLICHER GENEHMIGUNG DES MKM MUSEUM KÜPPERSMÜHLE FÜR MODERNE
KUNST, DUISBURG / SAMMLUNG STRÖHER (5). HÖFER, GÖTZ © VG BILD-KUNST, BONN 2008. DDP
Dr. Walter Smerling leitet das
Museum Küppersmühle für Moderne
Kunst seit seiner Gründung 1999
55_Evonik_04-08_DE 55
EVONIK-MAGAZIN Wozu dient der Erweiterungsbau?
SMERLING Die Sammlung umfasst mehr als 1.500 Werke;
derzeit werden rund 120 davon gezeigt. Diese Zahl
könnte sich durch den Erweiterungsbau verdoppeln. Erstmals wird es möglich sein, deutsche Nachkriegskunst
in großen Zusammenhängen zu präsentieren, auf
eine bislang einzigartige Weise. Duisburg könnte ein
Zentrum für deutsche Kunst werden.
EVONIK-MAGAZIN Der Entwurf ist nicht unumstritten.
SMERLING Das Innere des Erweiterungsbaus wird
einen filigranen Eindruck vermitteln, ganz so wie im vorhandenen Gebäude auch. Die Modernität des Entwurfs
steht dabei für etwas Fruchtbares: eine neue Wirkungsweise, aus der sich eine neue Meinung und eine neue
Haltung entwickeln kann.
EVONIK-MAGAZIN Was haben Sie bis jetzt erreicht?
SMERLING Vor neuneinhalb Jahren stellte uns der
Sammler seine Werke zur Verfügung und die Stadt das
Gebäude. Wir haben mit 7.000 Besuchern begonnen,
heute sind wir bei 40.000. Für Duisburg ist das eine sehr
beeindruckende Zahl. Die laufenden Aufwendungen
bestreiten wir dabei fast vollständig aus Spenden und
Sponsorengeldern.
05.11.2008 9:15:06 Uhr
56
DISKUTIEREN
BILDUNG
EVONIK-MAGAZIN 4/2008
Lassen wir die Bildung zu
Politik
Politik
FOTO: GUIDO BERGMANN
Die wichtigste Investition
Prof. Dr. Horst Köhler, Bundespräsident „Nur jeder zehnte Euro der öffentlichen
Hand fließt ins Bildungssystem. Bei den Ausgaben für die allgemeinbildenden
Schulen liegen wir deutlich unter dem Durchschnitt der OECD-Länder.
Warnen möchte ich vor dem Trugschluss, wir könnten das Problem durch eine bloße Umverteilung
innerhalb der Bildungsausgaben lösen. Wir müssen den Mut und die politische Kraft haben,
anderes zugunsten der Bildung zurückzustellen. Bildung ist die wichtigste Investition, wer an der
Bildung spart, spart an der falschen Stelle.“
Wissenschaft
FOTO: DPA
Träge Tanker
Prof. Dr. Andreas Schleicher, OECD, Internationaler Koordinator Pisa
„Bildungssysteme sind träge Tanker. Der Wechsel von der Industriegesellschaft zur
Wissensgesellschaft ist im Bildungssystem noch nicht gelungen. In Deutschland
lesen wir nach sozialem Kontext aus, da geht ein ungeheueres Potenzial verloren. Besserer Unterricht
ist nur mit vielen Unterstützungssystemen zu schaffen, die miteinander vernetzt sind.“
Ausgaben für Bildung
Der von der OECD herausgegebene
Vergleich zeigt erneut die hohen Bildungsinvestitionen der skandinavischen
Länder. Was der direkte Vergleich nicht
zeigt, sind die Unterschiede in der
Beschäftigungsdichte und der Bevölkerungsgröße. Wollte Deutschland auf den
skandinavischen Standard in der Betreuungsrelation bei den Kindern oder in der
Ausstattung von Schulen mit Lehrpersonal
aufschließen, müssten bis zu 680.000
Stellen neu geschaffen werden.
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und
Forschung, MdB „Bildung ist eine Investition in
die Zukunft, das gilt nicht nur für den Staat,
sondern für jeden Einzelnen. Niemand darf aus
finanziellen Gründen vom Studium abgehalten
werden. Deshalb gibt es Studienkredite, und
deshalb haben wir das Bafög angehoben. Den
Durchbruch zu einer umfassenden Studienfinanzierung haben wir jedoch noch nicht
erreicht. Denn es fehlt die dritte Säule: Stipendien. Mit gezielten Stipendien könnten
wohlhabende Bürger wie Unternehmen einen
hervorragenden Anreiz setzen, gerade die
Attraktivität von technischen Fächern zu erhöhen.
Ich sehe die Unternehmen da in der Pflicht.“
8,0
Island
Dänemark
USA
Neuseeland
Schweden
Großbritannien
Frankreich
Australien
Norwegen
Österreich
Deutschland
Japan
Italien
Spanien
Griechenland
0
Unternehmen
in der Pflicht
7,4
7,1
6,7
6,2
6,0
5,9
5,8
5,7
5,5
5,1
4,9
4,7
4,6
%
4,2
2
4
6
PROZENTANGABEN=ANTEIL AM BRUTTOINLANDSPRODUKT. DIE OECD-ZAHLEN STAMMEN AUS 2005 UND SIND DIE ZULETZT ERHOBENEN.
56_Evonik_04-08_DE 56
8
QUELLE: OECD; INFOGRAFIK: PICFOUR
FOTO: BUNDESPRÄSIDIALAMT
Offenbar ja, im internationalen Vergleich gibt Deutschland wenig für die Bildung aus.
Es fehlt nicht an Studien und Untersuchungen – aber was könnten die Konsequenzen sein?
04.11.2008 17:05:36 Uhr
57
kurz kommen?
Was sagen die Deutschen?
Aus Tradition und historischer Erfahrung ist es den Deutschen
besonders wichtig, dass die Bildung eine zentrale Aufgabe des demokratischen Staates ist, da sie die wichtigste „Stellschraube“ zur
Herstellung der in der Verfassung vorgesehenen Chancengleichheit
ist. Die Umfrage zeigt die große Mehrheit der Deutschen, die
sich auf diese Grundsätze beziehen – nur fünf Prozent fänden es
besser, wenn das Bildungssystem stärker privat finanziert würde.
Im Auftrag des Evonik-Magazins führte forsa 1.004 Interviews.
Wissenschaft
Dr. Dieter Dohmen, wissenschaftlicher Berater
des Bundesministeriums für Bildung und Forschung,
der EU und der OECD „Es muss mehr Geld ins
Bildungssystem hinein, wobei auch sichergestellt werden muss, dass es
effektiv zur Verbesserung der Studienbedingungen, im Schulbereich
ähnlich, verwendet wird. Für mich eine ganz klare zentrale Problemlage
ist auch der Föderalismus, die Tatsache, dass die Interessen der Länder
einfach völlig unterschiedlich laufen und damit nur begrenzte Bereitschaft
besteht, eigene Geldmittel in die Hochschulen zu geben. Und da ist
meines Erachtens insbesondere auch von den Ländern Bewegung nötig.“
Forschung
Prof. Dr. Amartya Sen, indischer Ökonom, Nobelpreisträger „Der Nutzen einer guten Ausbildung ist offensichtlich, in allen Kulturen ist zu jeder Zeit darüber geschrieben
worden. Und noch immer ist nichts passiert. Das hängt damit zusammen,
dass Bildung Geld kostet. Wir haben die Uno, weltweite Institutionen, die
NGOs und auch die Weltbank, die an Bildung interessiert ist. Damit
können wir eine globale Initiative entwickeln. Der finanzielle Aspekt ist ein
großes Problem, aber wir brauchen auch ein gesellschaftliches Konzept.“
Gewerkschaft
FOTO: PR
Luft für Bildungsausgaben
Marianne Demmer, Stellvertretende Vorsitzende Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft „ In unseren Etats ist
Luft für Bildungsausgaben. Nicht stärker in Bildung zu investieren ist ein Risiko für die Gesellschaft. Denn man kann davon ausgehen, dass
Jugendliche mit schlechter Ausbildung sich später nicht selbst ernähren können.“
57_Evonik_04-08_DE 57
10%
Öffentlich
und privat
1% Weiß
nicht
5%
Private
Finanzierung
Wissenschaft
Die sechs Ursachen
FOTO: PR
FOTO: DPA
Globale Initiative entwickeln
84%
Öffentliche
Gelder für Bildung
UMFRAGE: FORSA; INFOGRAFIK: PICFOUR
FOTO: DPA
Bewegung ist nötig
Prof. Dr. Manfred G. Schmidt, Professor für politische
Wissenschaften „Erstens ein Nachfragefaktor, nämlich
die unterdurchschnittliche Größe der Altersklassen im
Ausbildungsalter; zweitens die gedämpfte Bildungsbeteiligung im tertiären
Bildungsbereich; drittens die Tatsache, dass die Bildung in Deutschland
die Bedürfnisse der Industriegesellschaft im Blick hat und weniger die der
Wissensgesellschaft; viertens die Konkurrenz zweier großer Sozialstaatsparteien, die bei knappen Haushaltsmitteln die Sozialpolitik bevorzugen;
fünftens ein Föderalismus, der die Bildungsfinanzen aufgrund der Finanzierungsstruktur der Länderhaushalte am kurzen Zügel führt; sechstens
Entlastungen der öffentlichen durch die privaten Bildungsausgaben.“
04.11.2008 17:05:47 Uhr
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LEBEN
EVONIK-MAGAZIN 4/2008
ILLUSTRATION: DIGITAL VISION
Der Quantensprung kommt
TOM SCHIMMECK über die Computer von morgen
und die verrückte Welt der Elementarteilchen
DR. DAVID M. LUCAS HAT VIEL GEDULD. Das bringt sein
Beruf mit sich. Er ist Quantenphysiker. Die Welt der Quanten ist
für Normalsterbliche kaum zu fassen. Selbst Physikern bricht
hier schnell der Schweiß aus. „Ich denke, ich kann mit Sicherheit
sagen“, sprach einst der Physiknobelpreisträger Prof. Dr. Richard
Feynman, „dass niemand die Quantenmechanik versteht.“
Kein Wunder also, dass Dr. Lucas, 36, so geduldig lächelt. Er ist
dumme Fragen gewohnt. Quanten, weiß er, „sind ja ganz anders als
unsere Alltagserfahrung“. Wie soll man auch begreifen, dass sich
ein Ding in mehreren Zuständen gleichzeitig befinden kann? Wie
ein Fahrstuhl, der in mehreren Stockwerken synchron hält? Prof.
Dr. Max Planck fing anno 1900 damit an. Damals verlor die alte
Physik, wie Prof. Dr. Einstein sagte, den Boden unter den Füßen.
Prof. Dr. Werner Heisenberg präsentierte 1927 seine „Unschärferelation“: Wer die Position eines Teilchens misst, verändert seine
Bewegung. Wer seine Bewegung misst, verändert seine Position.
Ein Schock für alle Liebhaber greifbarer, eindeutiger Präzision. Der
Forscher wird zum teilnehmenden Subjekt einer diffusen Sache.
gewaltiger Zahlenreihen, wie man sie etwa für eine sichere Verschlüsselung braucht. Für heute gebräuchliche Computer wird die
Rechenaufgabe mit jeder Ziffer um ein Vielfaches komplizierter.
Für die querdenkenden Quantencomputer nicht. An einer Zahl mit
300 Dezimalstellen dürfte ein Standardrechner an die 6 Millionen
Jahre herumoperieren. Eine Quanten-Maschine hingegen, sagen
die Physiker, bräuchte wohl nur zweieinhalb Tage. Kein Wunder,
dass in den USA der Geheimdienst ein wichtiger Geldgeber für
solche Forschung ist.
Wir haben uns daran gewöhnt, dass die Rechenleistung der
Computer alljährlich wächst. Irgendwann aber ist physikalisch
Schluss mit dem Chipwachstum. Dann muss, tatsächlich, ein
Quantensprung her. Wissenschaftler probieren verschiedene
Wege zum großen Ziel, mit Festkörpersystemen und neuen Supraleitern. Ionen-Fänger experimentieren auch in Österreich
und den USA. Man konkurriert miteinander. „Aber es ist ein
freundlicher Wettbewerb“, sagt Lucas. Man kennt sich,
man tauscht sich aus. „Wir diskutieren gemeinsame Probleme.“
Quantenphysiker sind Leute, die einem beim Kaffee eröffnen,
womöglich bestehe unser Universum in mehreren Varianten
parallel. Dabei ist schon ein Universum zu gewaltig für unsere
Vorstellungskraft. Seine Komponenten wiederum viel zu klein:
Was wir sehen können, ist milliardenfach größer als Atome.
So bleibt die Quantenwelt nur ein Kitzel im Hirn, ein winziges
Beben – weit unterhalb unserer Wahrnehmungsschwelle.
An denen herrscht kein Mangel. Das Qubit gibt sich launisch und
flüchtig. Quanten-Forschung ist zäh. Erfolge brauchen Jahre. Die
Innsbrucker erreichen bei ihrer einfachen Quanten-Schaltung eine
Präzision von 99,3 Prozent. Das klingt gut. Benötigt aber wird
ein noch deutlich besserer Wert: 99,99 Prozent. Beim Auslesen der
Qubits, die aktuelle Spezialität in Oxford, sind sie schon so weit.
„Aber das ist auch einfacher“, meint Lucas bescheiden.
Lucas im britischen Oxford gehört zu jener erlesenen Schar,
die welt weit an der Idee des Quantencomputers werkelt. Zusammen
mit seinem Kollegen Prof. Dr. Andrew Steane leitet er die
„Oxford Ion Trap Quantum Computing Group“. Die Gruppe ist eine
Art physikalische Jagdgesellschaft. Sie fängt Ionen in einer
Vakuum-Falle und traktiert sie mit Laserstrahlen. Ein englischer
Spleen? Nein. Das Einfangen und Manipulieren einzelner Atome
ermöglicht die Konstruktion einer ersten logischen QuantenSchaltung. Mit Quantenbits, den „Qubits“ oder „Q-Bits“. Anders
als die Bits in unserem Heimcomputer, die nur für eins oder null
und nichts dazwischen stehen, kennen Q-Bits die Grauzonen,
sogenannte „Superpositionen“. Zwei Qubits können vier mögliche
Kombinationen auf einmal vertreten, drei Qubits schon acht.
Dieser Unterschied zeigt sich besonders bei der Faktorisierung
Er kam über die Atomphysik, wollte „das ultimative Ganze verstehen“ – das, „was allem zugrunde liegt“. Quantentheorien bieten da
einen ganzen Fuhrpark voller Ideen. Einen riesigen intellektuellen
Abenteuerspielplatz. Lucas reizt heute eher das Experiment als
die pure Theorie. „Es muss etwas passieren“, findet der Forscher.
Das einzelne Atom sei ja als System recht gut erforscht. „Aber
wir wissen noch nichts über diese Interaktion zwischen diesen Abermillionen von Atomen, aus denen Sie, ich oder eine Katze bestehen.“
Und wann kommt der Quantencomputer? „Das könnte noch
ein halbes Jahrhundert dauern“, schätzt der Forscher vorsichtig.
Ist das nicht frustrierend? Lucas amüsiert sich. „Es ist ein
langer Weg“, sagt er tapfer. „Aber man hat doch ein Gefühl von
allmählichem Fortschritt.“ <
Tom Schimmeck (49) fasziniert der Blick in die Zukunftslabors der Forschung. Er arbeitete unter anderem für TAZ, „Tempo“,
den „Spiegel“ und „Die Woche“. Die Illustration ist eine abstrakte computergenerierte digitale Komposition.
58_Evonik_04-08_DE Abs2:58
04.11.2008 16:42:39 Uhr
www.evonik.de
Wer entwickelt eigentlich
Tapeten, die Wasser abweisen?
Wir machen so was.
Wir stellen flexible Keramik von der Rolle her –
für Wandbeläge, die Wasser abweisen. Mit mehr als
100 Produktionsstandorten in rund 30 Ländern
sind wir einer der weltweit führenden Anbieter im
renditestarken Markt der Spezialchemie. Wir sind
der kreative Industriekonzern aus Deutschland für
Chemie, Energie und Immobilien.
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31.10.2008
08.10.2008 18:00:08
14:24:54 Uhr
Uhr
www.evonik.de
Wer schützt eigentlich Autolacke
vor Kratzern?
Wir machen so was.
Wir verbessern die Kratzfestigkeit von Autolacken und
noch vieles mehr. Mit über 100 Produktionsstandorten
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Anbieter im renditestarken Markt der Spezialchemie.
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