der recruiter wird zum sourcer

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der recruiter wird zum sourcer
DIE NEUE ROLLE DES RECRUITERS
TREND
DER RECRUITER
WIRD ZUM SOURCER
Warum teuer einkaufen, was man selbst erledigen kann:
Aufgaben, die einst Personalberatern vorbehalten waren,
landen nun auf dem Tisch des Recruiters. Drängen Recruiter
Personalberater in die Defensive? Und was zeichnet das
Berufsbild des Recruiters mittlerweile aus?
Autor: Winfried Gertz, freier Journalist, München
F
Für Birgit Bruns ist die Welt
noch in Ordnung. Obwohl die
Düsseldorfer Personalberaterin
beobachtet, dass immer mehr
Betriebe in eigener Regie auf
Kandidaten zugehen, sieht sie
ihren Aktionsradius noch nicht gefährdet. Erfolgversprechender ist ihrer Ansicht
nach, wenn ein Personalberater eingeschaltet wird. „Er ist auf das aktive Rekrutieren spezialisiert und mit seinen Mitteln Unternehmen häufig voraus.“
Diesen Kompetenzausweis würde kein
Headhunter öffentlich anzweifeln. Doch
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unter Personalberatern, beobachtet Wolfgang Brickwedde, Gründer des Institute
for Competitive Recruiting ICR in Heidelberg, bröckelt die Zuversicht, dass auch
in Zukunft niemand an ihren Diensten
vorbeikommt. Als Brickwedde nach
einem Vortrag die anwesenden Headhunter fragte, was für die Personalberatung bliebe, sobald Unternehmen sich
selbst auf die Suche nach potenziellen
Kandidaten begeben würden, löste er
damit „große Verwirrung“ aus. „Eine
überzeugende Antwort auf diese Herausforderung haben die allermeisten Perso-
nalberater noch nicht gefunden.“ Nicht
vorbereitet sind Headhunter darauf, dass
Recruiter selbst auf Kandidaten zugehen
und sich damit endlich vom „Post and
Pray“ verabschieden. Anzeigen schalten
und auf Bewerber warten – das war einmal. Nach Angaben von Brickwedde stieg
der Anteil von Unternehmen, die neben
der Anzeigenschaltung immer auch proaktiv nach latenten Kandidaten suchen,
von zehn in 2010 auf inzwischen 25 Prozent. Ebenso wenig rechnen Personalberater damit, dass Recruiter sich selbst als
Verkäufer und Berater gegenüber avisier-
ten Zielpersonen zeigen und damit einst
fest zugewiesene Rollen im Personalmarkt
getauscht werden. Und Personalberater
glauben immer noch, dass sie allein die
Qualifikation zur Diagnostik und Interviewführung für sich beanspruchen können. Auch das ist eine Illusion.
BERUFSBILD DES RECRUITERS
Dass diese Debatte im Personalberaterlager längst überfällig ist, bekräftigt Ina
Bourmer mit Nachdruck. Die Recruitingleiterin der Microsoft Deutschland GmbH
in Unterschleißheim erinnert sich noch
gut an die Situation, als ihr vor etwa 15
Jahren in einem IT-Unternehmen die
Aufgabe übertragen wurde, dringend
benötigte Fachkräfte zu suchen. „Ich war
erschüttert über die geringe Qualität, die
Personalberater lieferten. Ohne zu verstehen, worum es fachlich bei der gesuchten Position ging, ohne Bereitschaft, sich
mit der Kultur des Unternehmens zu
befassen, stellten sie Kandidaten zwar
zügig, aber völlig abweichend vom
gesuchten Profil vor.“
Headhunter: Nein, danke? Bourmer ist
eine der ersten Experten, die dem Recruiting ein anderes Gesicht verleihen und
damit die Personalberaterbranche in Zugzwang bringen. Ehe die Informatikerin zu
Microsoft wechselte, brachte sie die Personalsuche bei der Deutschen Telekom
auf Vordermann. Während die Aufgaben
des Recruitings nach Brickweddes Beobachtung derzeit noch meist in den Händen des Personalreferenten liegen, „der
nur einen Bruchteil seiner Ressourcen
dafür aufwenden kann“, erläutert Bourmer, wie sich das Berufsbild des Recruiters zunehmend professionalisiert. Dazu
gehöre, dass ein Recruiter „nicht in erster Linie“ HR-Mitarbeiter sei.
Entscheidender sei laut Bourmer, dass
sich der Recruiter in einem speziellen
Umfeld richtig gut auskenne, fachlich
etwa in SAP stattelfest und deshalb auf
Augenhöhe mit den dort tätigen Kandidaten sei. Zudem wüsste der Recruiter,
was in diesem Markt geschehe. Drittens
sei der Recruiter ein „Vertriebsmensch“.
Er vermarkte Kandidaten im Fachbereich
und den Arbeitgeber gegenüber Kandidaten. Bourmer: „Er brennt für seine Auf-
gabe.“ Dieses Profil ergänzt Robindro
Ullah, Top-Recruiter der Voith GmbH in
Heidenheim, um die Qualifikation des
Netzwerkers und Kommunikators: „Der
Recruiter weiß, wie er seine Zielgruppe
anspricht und welche Wege ihm dafür
offen stehen.“
Ullah, der jüngst seine Aufgaben als
Recruitingleiter der Deutschen Bahn in
Süddeutschland an den Nagel hängte,
um beim Familienunternehmen Voith
neue Strukturen aufzubauen und eine
schlagkräftige Recruitingtruppe zusammenzuschweißen, möchte bei der Neuprofilierung des Recruiter-Berufsbildes
nicht unter den Teppich kehren, dass an
Recruiter schon zuvor hohe Anforderungen gestellt wurden. Zum alten Kern des
Recruitings, der durch neue Kompetenzen erweitert werde, zähle etwa, „wie
man anforderungsgerechte Auswahlverfahren konzipiert, Interviews führt und
Vergleichbarkeit gewährleistet“.
In seinem Webinar über das Berufsbild des
Recruiters im Wandel, bei dem sich regelmäßig zahlreiche Personaler und Berater ins Internet einloggen, erörtert Ullah
ein von ihm bei der Deutschen Bahn entwickeltes Kompetenzprofil: Als Grundlage für die Ausbildung von künftigen
Recruitern sieht Ullah neben der bereits
skizzierten Kommunikationskompetenz
auch die Technikkompetenz.
Für Ullah sind Recruiter „überaus ITaffin“. Demnach müssten Recruiter mobile Endgeräte beherrschen, sich mit Bewerbermanagementsystemen auskennen
und versiert sein in technischen Neuerungen. Hinzu komme Social Media-Kompetenz. „Er durchschaut die viralen Gesetze von Netzwerken und kann mit
”
Solange sie noch nicht über die nötigen Ressourcen
verfügen, um ein professionelles Recruiting aufzubauen,
greifen Unternehmen auf Personalberater zurück.
Ina Bourmer, Recruitingleiterin, Microsoft Deutschland GmbH
Boolschen Operatoren umgehen“, so
Ullah.
EXECUTIVE SEARCH –
DEN PERSONALBERATERN
VORBEHALTEN?
Doch woher kommen besonders geeignete Kandidaten? Weiterbildungsansätze gibt es laut Brickwedde kaum. HR-Verbände und Personalerakademien bieten
zwar Seminare an. Sie seien Brickwedde
zufolge aber inhaltlich weit entfernt vom
„professionellen Hardcore-Recruiting“,
das die Unternehmen wirklich benötigten, um Positionen zu besetzen. Potenziell eignen sich fürs „Recruiting 2.0“ Personalreferenten, die ein „Faible fürs
Recruiting“ mitbringen, so Brickwedde.
Ebenfalls eine gute Wahl seien Leute, die
Business und Technik gleichermaßen verstehen. „Ihnen gelingt es gut, die Anforderungen der Fachabteilung in den Suchprozess zu integrieren.“ Die mit Abstand
beste Herkunftsquelle sind laut Brickwedde jedoch Personalberater und Personalvermittler. Ihr Steckenpferd: komplizierte Aufträge. „Die Notwendigkeit
zu verkaufen hat beim Berater eine höhere Priorität als beim Personaler im Unternehmen.“
So weit sind die allermeisten Unternehmen noch nicht. „Solange sie noch nicht
über die nötigen Ressourcen verfügen,
um ein professionelles Recruiting aufzubauen“, erläutert Bourmer, „greifen sie
auf Personalberater zurück“. Regina Ruppert, Personalberaterin und Vizepräsidentin des Bundesverbandes Deutscher
Unternehmensberater (BDU), lässt die
hier und da anklingende Gewichtsverschiebung vom Headhunter zum Recruiter kalt. Einerseits versteht sie, warum
Unternehmen ihre „Recruiting Power“
verstärken: „Bei ihnen ist der Fachkräftemangel aufgeschlagen. Nicht zuletzt
deshalb wollen sie eine Arbeitgebermarke entwickeln.“
Dass für Personalberater deshalb aber
weniger vom Kuchen übrig bliebe, diese
Annahme kann sie nicht teilen. Würden
Unternehmen direkt rekrutieren, dann
suchten sie meist Kandidaten in Netzwerken wie Xing, um sie mit ihrem Stellenprofil abzugleichen. „Das ist lediglich ein
Teil dessen, was ein Personalberater leistet. Sein Aktionsradius ist weit größer.“
Während sich Recruiter bei der Ansprache auf Fachkräfte und jüngere Führungskräfte konzentrierten, sagt Ruppert, bliebe die Suche nach Führungskräften für
die oberen Hierarchieebenen unverändert Personalberatern vorbehalten.
Was Ruppert verschweigt: In den letzten
Jahren haben Personalberater nicht allein
Top-Manager gesucht, ihr angestammtes Klientel. Zunehmend wildern sie auch
in darunterliegenden Hierarchieebenen.
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DIE NEUE ROLLE DES RECRUITERS
”
TREND
Der Recruiter weiß, wie er seine Zielgruppe anspricht
und welche Wege ihm dafür offen stehen.
Robindro Ullah, Head of Employer Branding and HR Communication, Voith GmbH
Sogar Fachkräfte ohne Führungsanspruch
geraten ins Visier. Niemand könnte diese Entwicklung besser dokumentieren als
Kerstin Neureuter, eine freiberufliche
Researcherin aus Berg am Starnberger
See, die seit vielen Jahren im Auftrag von
Personalberatern Zielpersonen aufspürt
und kontaktiert. „Während ich früher
Kandidaten mit einem Jahreseinkommen von 100 000 Euro und weit höher
identifizieren sollte, sind es inzwischen
immer mehr Positionen im unteren Level.
Längst sind Fachkräfte, die 60 000 Euro
verdienen, in den Blickpunkt gerückt.“
RECRUITING-KODEX EINHALTEN
Tatsache ist, dass Unternehmen unverändert in großem Umfang Personalberater
beauftragen, um zum Beispiel Ingenieure zu suchen. Noch scheuen Personaler
diesen Aufwand. Sie wissen nicht, was
sie dafür leisten müssten. Mangels Ressourcen reichen Headhunter die Aufträge gleich an freie Researcher weiter. „Während ich früher 30 Zielfirmen benötigte,
brauche ich heute 50 oder mehr, um
Potenzial zu identifizieren und so eine
Position besetzen zu können.“ Je niedriger das Level, erläutert Neureuter das
Prinzip, desto komplizierter und aufwendiger die Suche.
Und genau hier kommen sich Recruiter
und Personalberater neuerdings ins
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Gehege. Immer mehr Akteure streiten
im Wettbewerb um eine zahlenmäßig
schrumpfende Zielgruppe. Mit fatalen
Konsequenzen: Fach- und Führungskräfte mit eigenem Profil in beruflichen Netzwerken sind zunehmend verärgert, weil
sie laut Ruppert häufig unprofessionell
auf offene Positionen angesprochen würden. Personalberaterin Bruns erfährt
nach eigenen Angaben „häufig“, dass
Kandidaten auf Xing mit Angeboten
überschüttet würden. Sie selbst wähle
einen anderen Weg: „Erst nachdem wir
das Profil eines Zielkandidaten gemeinsam mit dem Auftraggeber möglichst
genau eingegrenzt haben, steuern wir
aktiv auf das Ziel zu.“
Voith-Recruiter Ullah sieht das anders.
Dass heftig umworbene Experten gleichzeitig von mehreren Unternehmen angesprochen werden, daran seien auch viele Headhunter beteiligt. Nicht alle
beherrschten die anspruchsvolle Aufgabe, Zielpersonen dezent anzusprechen
und nicht über Gebühr zu stören. Dafür
hätten Recruiter gegenüber dem Headhunter in vielen Fällen einen entscheidenden Vorteil: „Ihnen wird nicht auferlegt, Stillschweigen über den Namen
des Unternehmens zu bewahren, was oftmals abschreckend wirkt.“
Umgekehrt empfiehlt Ullah, Recruiter
sollten nicht zu ambitioniert vorgehen.
„Sie sollten nicht wie Headhunter mit
Cover Stories durch Unternehmen navigieren.“ Statt sich über Ausschlussklauseln und verbriefte Absprachen hinwegzusetzen und Mitarbeiter von Kooperationsunternehmen abzuwerben, sollten sie Regeln, etwa einen existierenden
Recruiting-Kodex, konsequent einhalten.
Grundsätzlich empfiehlt Ullah Unternehmen, unverzüglich Netzwerke aufzubauen und Datenbanken voll profunder
Kandidaten einzurichten, um den Qualitätsunterschied zum Personalberater zu
verringern.
GRAVIERENDE
QUALITÄTSDISKUSSION
Kritisch beurteilt Ullah, dass Headhunter viele Aufträge erhielten, die sie ohne
viel Aufhebens via Xing erledigen könnten. „Das hätte ein Recruiter ebenso gut
selbst erledigen können.“ Umgekehrt zeige die Lernkurve von Unternehmen steil
nach oben: Der Vormarsch von gut ausgebildeten Recruitern, so Ullah, werde
eine „gravierende Qualitätsdiskussion“
auf den Tisch der Personalberater bringen. Davon ist auch Microsoft-Recruiterin Boumer überzeugt. Zwar bleibe der
Personalberater auch in Zukunft ein wichtiger Partner von Unternehmen, allerdings hauptsächlich für die Suche nach
Führungskräften der obersten Ebenen.
„Im Fachkräftebereich werden sie die
größten Einbrüche hinnehmen.“
Nur diejenigen Personalberater würden
überleben, folgert Bourmer, die Talent
Management praktizierten, die Kultur
ihrer Kunden verstehen und vermitteln
könnten und die sich auf bestimmte
Nischen konzentrierten. Microsoft zum
Beispiel kooperiert mit einer Personalberatung, die ein Netzwerk von weiblichen
Führungskräften unterhält. „Zwar haben
wir selbst 2012 damit begonnen, ein solches Netzwerk aufzubauen“, sagt Bourmer, „doch darin sind uns die Berater
weit voraus.“
DER RECRUITER WIRD ZUM
SOURCER
Wie wird sich das Recruiting in den kommenden Jahren ändern? Qualität im Sinne von Präzision werde viel wichtiger,
erwartet Ullah. „Wir können uns künftig nicht mehr erlauben, uns um viele
Bewerber zu kümmern und viel Zeit für
Absagen zu verlieren. Stattdessen müssen wir uns den richtigen Kandidaten
zuwenden.“ Der Recruiter wird also zum
„Sourcer“. Wie einem Goldgräber, so
Brickwedde, sei es ihm einerlei, ob aus
dem gefundenen Gold später ein Ring
oder ein Armband wird. Vor allem Konzerne, beobachtet Brickwedde, hätten
bereits solche Sourcer-Teams aufgestellt.
Impulse für die überfällige Professionalisierung des Recruiting-Berufsfeldes
erhält Ullah übrigens aus dem Ausland
und dort insbesondere aus den Ingenieurmärkten und der IT-Branche. Speziell in
der IT entwickle sich die Arbeitswelt
schnell weiter. „Klassische Arbeitsverhältnisse lösen sich in Projektbeziehungen
zwischen freien Akteuren im Netzwerk
auf.“ Während sich Entwicklungswege
unternehmensübergreifend gestalten, so
Ullah, „wandelt sich das Recruiting zum
Relationship Management“.