Netzereignis

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Netzereignis
Andreas R. Becker
Netzereignis – Ereignisnetz
Prozesse und Strukturen
medialer Ereignisse im Internet
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»Kein Ereignis
hat ein autonomes Leben.
Es ist immer abhängig
von den Dingen
drum herum.«1
1
Marina Vlady als Juliette Jeanson in 2 ou 3 choses que je sais d’elle (2 oder 3 Dinge, die ich von ihr weiß,
R: Jean-Luc Godard, F 1967), 51. Min. Untertitelung der deutschen DVD-Ausgabe, Alive 2006
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Inhalt
Einleitung
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1.
1.1.
1.1.1.
1.1.2.
1.1.3.
1.2.
1.2.1.
1.2.2.
1.2.3.
1.2.4.
1.3.
Von und zu Oder – Dimensionswechsel
Denkmodelle für Medienstrukturen
Syntagma vs. Paradigma
Flow vs. Database
Und vs. Oder
Jump in on demand: Das Internet als Krise der Linearität
Oder statt Und
Pull statt Push
Medium für Massen statt Massenmedium
Web 2.0 & Co.: Mehr Oder als je zuvor
Erste Zwischenbilanz: Das Internet als digitale Wunderlampe
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2.
2.1.
2.2.
2.2.1.
2.2.2.
2.2.3.
2.3.
2.3.1.
2.3.2.
2.3.3.
2.4.
2.4.1.
2.4.2.
2.4.3.
2.4.4.
2.5.
2.5.1.
2.5.2.
2.5.3.
2.5.4.
2.6.
Was ist ein Ereignis?
Zur theoretischen Vorgehensweise
Ereignis, Alltag und Sprache
Ereignis als Geschehnis vs. Ereignis als Happening
Ereignis als Event
Begriffsfestlegung: Das Ereignis als besonderes Ereignis
Wissenschaftliche Definitionen zum Ereignis
Kommunikations- und Medienwissenschaft
Psychologie, Geschichtswissenschaft
Mathematik, Informatik, Wirtschaftswissenschaft
Allgemeine Kategorien von Ereignis
Kontext, Kontrast
Wiederholung, Wiederholbarkeit
Kontingenz, Unvorhersehbarkeit
Zusammenfassung: Wie ereignishaft ist ein Geschehnis?
Aspekte medialer Ereignisse
Ursprünge medialer Ereignise
Effekte medialer Ereignisse
Dimensionen medialer Ereignisse
Ästhetik medialer Ereignisse
Zweite Zwischenbilanz: Das Ereignis und die Massenmedien
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Inhalt
3.
3.1.
3.1.1.
3.1.2.
3.1.3.
3.2.
3.2.1.
3.2.2.
Netz und Ereignis
Abstrakt: Netz, System, Zeit, Raum
Das Internet: Netz und System
Auf links gekehrt: Zeit und Raum im Netz
Zusammenfassung: Warum es Ereignisse im Internet
geben kann und muss
Konkret: Netzereignis, Ereignisnetz
Interaktion und Rattenschwanz
(oder: Netzereignis und Individuum)
Gravitation und Pingpong (oder: Netzereignis und Masse)
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Fazit und Ausblick
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Anhang
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Einleitung
Die Überwindung von Raum und Zeit ist eine elementare Funktion von Medien.
Was mit Steintafeln, Tonkugeln, Tokens und Papyrus begann, hat über die Entwicklung von Büchern, Grammophon, Fotografie, Film, Fernsehen, Telegraf und
Telefon seinen momentanen Höhepunkt in der Existenz der digitalen Medien, im
Speziellen: des Internets, erreicht. Wie kaum ein anderes Medium zuvor scheint das
Internet in der Lage zu sein, Raum und Zeit zu obsoleten Dimensionen zu verurteilen. Stetige Abrufbarkeit aller Inhalte lautet seine utopische Botschaft. Obwohl das
Netz erst 15 Jahre alt ist, hat die Zahl seiner weltweiten Nutzer schon die Marke einer Milliarde durchbrochen. Vom Kuchen der Mediennutzung, der von allen Medien heiß umkämpft wird, schneidet sich das Netz mittlerweile ein großes Stück ab.1
Die Gesellschaft, die das Internet nutzt und hervorgebracht hat, wurde von der
Soziologie in den letzten Jahren mit vielen Etiketten bedacht. Die »Risiko-« und die
»Erlebnisgesellschaft« lebt nach der Post- in der »flüchtigen Moderne« am »Ende
der Geschichte«, strebt einer völligen Individualisierung entgegen und scheint nur
noch auf den persönlichen Genuss des Momentes aus zu sein, weil alles andere
keinen Sinn mehr ergäbe. Ob man dieser Beschreibung zustimmen muss, sei dahingestellt. Dass es tatsächlich einen messbaren Trend zur Individualisierung im
Abendland gibt, würden dagegen vermutlich die wenigsten bestreiten. Im Rahmen
dieser Forcierung des individuellen Erlebens der Welt lässt sich auch die Zunahme einer ereignisfixierten Freizeitgestaltung erkennen. Ein Event jagt das nächste,
im kleinen und im großen Maßstab, in Privatwohnungen, in den Konzert- und
Stadthallen, in den Massenmedien. Sie alle buhlen um Aufmerksamkeit (und Geld).
Natürlich wird mit der ›Eventisierung‹ der Gesellschaft auch »viel alter Wein in
neuen Schläuchen«2 angeboten. Feste, Feiern, Zeremonien und Rituale sind keine
Erfindung der Erlebnisgesellschaft, sondern haben einen festen Platz in der Geschichte der Kulturen. Allerdings lassen sich neben Gemeinsamkeiten auch deut1
2
Siehe z.B.: Neus, Andreas; Pörschmann, Frank; Scherf, Philipp: IBM Medienstudie 2005: Konsum versus
Interaktion: Interaktionsverhalten junger Mediennutzer stellt die Innovationsfähigkeit des Fernsehens auf
eine harte Probe! IBM Deutschland/Österreich/Schweiz, Stuttgart/Wien/Zürich 2005
Bette, Karl-Heinrich; Schimank, Uwe: »Sportevents: Eine Verschränkung von ›erster‹ und ›zweiter‹
Moderne«. In: Gebhardt, Winfried; Hitzler, Ronald; Pfadenhauer, Michaela (Hrsg.): Events. Soziologie
des Außergewöhnlichen. Leske + Buderich Verlag, Opladen 2000, S. 315
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Einleitung
liche Unterschiede zwischen diesen traditionellen und den modernen, populären
Formen erkennen. Dies belegen zum Beispiel Analysen der Eventkultur durch die
Soziologie, von denen hier auch die Rede sein wird. Im Zeitalter der Individualisierung übernehmen die Events neue Funktionen, indem sie zum Beispiel zur
Bildung von Gemeinschaften über kürzere und längere Zeiträume beitragen. Im
Gegenteil zu traditionellen ›Events‹ bestätigen sie die Gemeinschaft aber nicht,
sondern stellen sie überhaupt erst her. Viele dieser Ereignisse werden jedoch längst
nicht mehr unmittelbar von ihren Teilnehmern erfahren, sondern als ›Ereignisse
zweiter Ordnung‹ massenmedial verbreitet. Im Vergleich zur Anzahl derjenigen, die
eine Fußballweltmeisterschaft im Fernsehen verfolgen, macht die des körperlich
anwesenden Publikums in den Stadien einen geringen Bruchteil aus. Die Medien
verbinden die disparaten Individuen, Wohnzimmer und Kneipen im Moment der
Übertragung zu einer Einheit. Sie haben also eine entscheidende soziale Rolle in der
Gesellschaft eingenommen, die früher zum Beispiel der Kirche und eben anderen,
traditionellen Festen zukam.
Als zeitlich und räumlich unabhängiges Medium gedacht, scheint das Internet
hingegen nicht in der Lage zu sein, diesen synchronisierenden, gemeinschaftsbildenden Effekt von massenmedialen Ereignissen herzustellen. Wenn man mit gutem
Grund davon ausgeht, dass die zurzeit deutlich zu erkennende Hinwendung der
Nutzer zum Medium Internet noch weiter zu- als abnehmen wird, drängt sich die
Frage auf, wohin dies die Massenmedien, ihre Ereignisse und deren wichtige gesellschaftliche Funktion führt. Wird das Internet die Massenmedien aufgrund seiner
scheinbar funktionalen ›Überlegenheit‹ gänzlich verdrängen? Und ist es wirklich
nicht in der Lage, Ereignisse zu konstituieren?
Der Beantwortung dieser beiden Kernfragen möchte ich mich in dieser Arbeit
in drei Schritten widmen. Zunächst gilt es, einen genauen Blick auf das Internet
als Medium zu werfen. Hierbei werde ich drei polare Modelle zur Beschreibung
verwenden, die von der Sprachwissenschaft ausgehen und zu einer rein medienwissenschaftlichen Klassifizierung hinführen, im Einzelnen: Syntagma vs. Paradigma,
Flow vs. Database, sowie Und vs. Oder. Das Ziel ist hier eine genaue, strukturelle
Beschreibung der Funktionsweisen des Internets und die Abgrenzung von denen
der traditionellen Massenmedien.
Im zweiten Kapitel werde ich mich der komplexen Frage widmen, wie Ereignisse überhaupt zu beschreiben sind, was sie ausmacht. Wie schon bei der Untersuchung des Internets werde ich mich auch dem Ereignis schrittweise nähern:
Von seiner Verwendung in der Umgangssprache führt der Weg über verschiedene wissenschaftliche Definitionen zu einer allgemeinen Beschreibung davon, was
ein Ereignis auszeichnet. Diese soll dann, in einem letzten Schritt des Kapitels, auf
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Einleitung
die Massenmedien überführt werden. An dieser Stelle werde ich noch einmal detaillierter auf die Effekte massenmedialer Ereignisse eingehen, von denen ich mit
der Gemeinschaftsbildung einen bereits erwähnt habe. Es wird sich zeigen, dass
ein Großteil dessen, was ein Ereignis auch unabhängig von den Medien bedeutet,
auf diese übertragen werden kann. Wenn ich in diesem Zusammenhang von der
Definition (massenmedialer) Ereignisse spreche, ist das Wort Definition immer in
Anführungszeichen, beziehungsweise als eine graduelle Form der Beschreibung zu
verstehen. Sie legt nahe, dass ein Ereignis immer nur in Relation zu einem Anderen
zu denken ist und aus einer bestimmten Perspektive heraus mehr oder weniger ›ereignishaft‹ sein kann. Aufgrund seiner großen Komplexität halte ich jeden Versuch,
das Ereignis über eine kategorische Trennung von Ereignissen und Nicht-Ereignissen zu erfassen, für zwecklos.
Das dritte und letzte Kapitel soll die vorigen Erkenntnisse zusammenführen,
um die beiden oben aufgeworfenen Fragen zu beantworten. In zwei getrennten Abschnitten werde ich zeigen, dass Ereignisse im Internet system- und netzwerktheoretisch nicht nur denkbar, sondern ein für seine Konstituierung erforderlicher Teil
sind und demnach auch existieren, wie Beispiele zeigen werden. Ich werde nachweisen, dass eine Wechselwirkung besteht zwischen der Konstituierung von Ereignissen durch das Netz, und der Konstituierung des Netzes durch die Ereignisse. Diese
Feststellung wird letztlich in globaler Perspektive auch einen Rückschluss zulassen
auf das jetzige und möglicherweise auch auf das zukünftige Verhältnis von Internet
und Massenmedien, und auf den Stellenwert des Netzes innerhalb des Systems der
Massenmedien.3
Wie viele andere, wäre auch dieses Buch sicher nicht geworden, was es ist, wären
nicht die vielen kleinen und großen Anregungen, Hinweise, Ratschläge und fruchtbaren Gespräche gewesen, die den Prozess seiner Entstehung von der ersten Idee
bis zur druckreifen Fertigstellung begleitet haben. Herzlich danken für ihre Zeit
und Unterstützung möchte ich deswegen insbesondere: Doreen Hartmann, Sebastian Lechte, Don Lorey, Andrea Nolte, Achim Ploschke, Marlene Rathgeber, Wiebke
Sippel, Jan-Noёl Thon und Hartmut Winkler. Dieser Dank (nebst einer Entschuldigung) gilt natürlich auch all denjenigen, die bis zur Veröffentlichung Opfer potentieller Gedächtnislücken meinerseits geworden sein sollten, was nicht heißt, dass
3
Die Diskussion, ob das Internet als (homogenes) Medium definiert werden darf, lediglich eine Infrastruktur darstellt oder andere Formen der Beschreibung nahe legt, kann in dieser Arbeit aus Gründen
des Umfangs nicht geführt werden und ist für meine Fragestellung auch nicht notwendig. Im ersten
Kapitel werde ich an gegebener Stelle zwar kurz auf die Frage zu sprechen kommen, das Netz ansonsten aber der Einfachheit halber als Medium bezeichnen.
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Einleitung
ihr Beitrag nebensächlich war: Auch kleine Bemerkungen waren oft der Anstoß für
eine lange Kette von Gedanken mit überraschenden Ergebnissen. Ich hoffe, mit diesem Buch einen ähnlichen, bescheidenen Beitrag zur noch jungen Geschichte der
Analyse des Internets und seiner Entwicklung beitragen zu können und freue mich
über Feedback jeglicher Art.
Hamburg im August 2008
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