Am Vorabend der Bauernbefreiung

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Am Vorabend der Bauernbefreiung
Am Vorabend der Bauernbefreiung
Agrarische Verhältnisse und frühe Reformen in
Niedersachsen
im 18. Jahrhundert
© Karl H. Schneider, Hannover 2014
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht
kommerziell 4.0 International Lizenz.
Inhaltsverzeichnis
I.Vorbemerkung ......................................................................................................1
II.Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung........................................5
1.Naturraum und Siedlung............................................................................5
2.Die Dynamik des Dorfes..............................................................................22
3.Herrschaftliche Abhängigkeit.....................................................................53
III.Agrarreformen als sozialer Prozess..................................................................88
1.Reformkonzepte............................................................................................88
2.Nachholende Modernisierung? ...................................................................117
3.Die Rolle der Bauern...................................................................................131
IV.Ein Zwischenergebnis........................................................................................140
Literatur...................................................................................................................156
Vorbemerkung
I. Vorbemerkung
Im Jahre 1831 – in Deutschland zeigten sich Anzeichen revolutionärer Gesinnung und Tendenzen – brach auch im bis dahin ruhigen Königreich Hannover
eine neue Zeit an. Sie kündigte sich u.a. dadurch an, dass über grundlegende
Dinge wie die Reform der Landwirtschaft heftig gestritten wurde. Im Mittelpunkt stand dabei die Aufhebung der bisherigen bäuerlichen Unfreiheit, weniger umstritten war die Aufhebung der Gemeinweiden, der Angerflächen, der
gemeinen Marken. Nur einer verweigerte sich der Annahme, dass die neuen
Zeiten unwiederbringlich angebrochen seien, und eine genossenschaftliche
Nutzung der Feldmarken einer alten, rückständigen Zeit angehöre. Salomon
Philipp Gans aus Celle stemmte sich in einer 1831 in Braunschweig publizierten Schrift geradezu gegen den Zeitgeist. Seine Schrift war betitelt mit „Ueber
die Verarmung der Staedte und des Landmanns und den Verfall der staedtischen Gewerbe im noerdlichen Deutschland besonders im Koenigreiche Hannover: Versuch einer Darstellung der allgemeinen Hauptursachen dieser ungluecklichen Erscheinungen und der Mittel zur Abhuelfe derselben“.
Eine seiner Klagen bestand darin, dass die Gemeinheitsteilungen und Verkoppelungen, wir würden heute sagen, die Flurbereinigung, zu schnell und
ohne die Mitsprache der Bauern durchgeführt werde. Gewiss habe sie Vorteile,
aber auch Nachteile wie die „Isolirung des Landmannes in der Aufhebung des
freundlichen nachbarlichen Verhältnisses und Ertödtung alles Gemeinsinnes. “1 Gans sah etwas, was seine Kritiker nicht sehen wollten oder konnten 2:
durch die Reformen, welche im 19. Jahrhundert in Niedersachsen durchgeführt wurden, erfolgte eine Umgestaltung der Landwirtschaft, die nicht nur zu
einer Steigerung der Produktivität führte, sondern die weit reichende Konsequenzen sowohl für die landwirtschaftlichen Betriebe selbst, die dörfliche Bevölkerung und die gesamte Gesellschaft hatten. Der Fortschritt zerstörte
Strukturen, die bis dahin über Jahrhunderte das Leben auf dem Lande geprägt hatten. Die Rekonstruktion dieser Welt vor den Reformen und mehr
noch die Bewertung dieser Welt – war sie wirklich so reformbedürftig wie oft
von zeitgenössischen Kritikern formuliert wurde? – ist ein mühseliges Geschäft, eine Herausforderung, die immer wieder nur zu Zwischenergebnissen
führen kann.
Gegenstand dieses Buches ist die Befreiung der Bauern von Abhängigkeiten,
die sie in ihrer Wirtschaftsführung und ihrem gesamten Leben stark eingrenz1
2
Gans, Salomon Philipp, Ueber die Verarmung der Städte und des Landmanns und
den Verfall der städtischen Gewerbe im nördlichen Deutschland besonders im Königreiche Hannover: Versuch einer Darstellung und der Mittel zur Abhilfe. Braunschweig 1831, 56-58.
Baring, Albrecht Friedrich Georg, Bemerkungen zu der Schrift des Herrn Advocaten
Gans: Ueber die Verarmung der Städte und des Landmanns in Beziehung auf Steuerzahlungen. im Königreich Hannover. Hannover 1831.
1
Vorbemerkung
ten und zudem vielfältige Lasten und Belastungen zur Folge hatten. Diese Abhängigkeiten lassen sich in zwei Gruppen einteilen:
1. Solche von Herren, die den Bauern das Land zur Bebauung überlassen
hatten und nun sowohl darüber bestimmten, wie das Land genutzt wurde, als
auch Dienstleistungen und Abgaben von den Höfen einforderten. Diese Herrschaftsrechte waren durchaus unterschiedlich. Wir fassen diese Abhängigkeiten knapp als feudale Abhängigkeiten zusammen. Sie lassen sich wiederum in
unterschiedliche Gruppen unterteilen. Da gab es die Grundherrschaft, sie
bedeutete, dass der Bauer sein Land von einem Grundherrn gepachtet hatte,
der über die Nutzung des Landes entschied und außerdem Abgaben, so genannte Zinsen von dem Hof erhielt. Die wichtigste Ausprägung der Grundherrschaft war das so genannte Meierrecht.3 Dann gab es die Leibherrschaft,
so dass der Bauer mit seiner Familie einem Leibherrn unterstand, welcher
über die persönlichen Entscheidungen des Bauern, insbesondere die Heirat,
mit entschied, und bei dem Tod des Bauern oder eines Familienangehörigen
einen Teil des privaten Vermögens des/der Toten erhielt. Hierbei konnte es
sich um eine symbolische Abgabe handeln oder tatsächlich die Hälfte des Vermögens betreffen. Der Leibherr übte zumeist ebenfalls die niedere Gerichtsbarkeit über den Bauern aus und war Empfänger der so genannten Herrendienste. Zu diesen beiden Herrschaftsrechten gesellte sich noch das Zehntrecht, welches darin bestand, dass bis zu einem Zehntel der Ernte an den
Zehntherrn entrichtet werden musste.
Herrschaftsrechte übten in erster Linie der Landesherr und der Adel aus,
dann die Kirche und schließlich Bürger sowie einzelne Städte. Bedenkt man,
dass die privilegierte Position des Adels ohne diese Herrschaftsrechte und die
aus ihnen abgeleiteten Einnahmen kaum denkbar war, wird deutlich, dass
eine Aufhebung dieser Abhängigkeiten eine umfassende gesellschaftliche Reform zur Voraussetzung oder zur Folge haben musste.
2. Die zweite Gruppe von Abhängigkeiten ergab sich aus den dörflichen Verhältnissen. Größere Teile der Feldmark wurden gemeinsam, genossenschaftlich, genutzt, meist von mehreren Dörfern. Die Flächen hießen je nach Region
Allmende, Meente, Gemeinheit, Anger oder Mark. Auf diesen Flächen konnte
niemand individuell wirtschaften. Das war zwar auf den eigentlichen Ackerflächen möglich, aber da diese aus vielen, schmalen und langen Parzellen bestanden, mussten sich die Feldnachbarn über die Nutzung ihres Ackerlandes
verständigen. Zudem wurde das Land nach der Ernte teilweise als Viehweide
genutzt, und auf diese Weise wurde dem Boden natürlicher Dünger zugeführt.
Bei den genossenschaftlichen Nutzungsrechten handele es sich um komplexe,
sich überschneidende Rechte, die schon die Zeitgenossen in Verwirrung setzte.
Dieses Buch stellt zunächst die unterschiedlichen Abhängigkeiten dar, zugleich gibt es eine Einführung in die sozialen und ökonomischen Verhältnisse
im Dorf im 18. Jahrhundert. Teilweise werden auch die staatlichen, bzw. landesherrlichen Verhältnisse behandelt. Es folgt schließlich ein Blick auf die im
3
Zum Meierrecht siehe unten Kapitel III,3.
2
Vorbemerkung
18. Jahrhundert einsetzenden, vorsichtigen Versuche zur Aufhebung der alten
feudalen wie genossenschaftlichen Abhängigkeiten der Bauern.
Dieser Text hat eine lange Vorgeschichte: sie reicht in das Jahr 1989 hinein,
als der dritte „Baustein zur Regional- und Lokalgeschichte“ über die Agrarreformen in Niedersachsen erschien. Er wurde damals verfasst von Prof. HansHeinrich Seedorf und dem Autor dieses Bandes. Dank der Tatsache, dass der
Band auch von der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung in
ihr Programm aufgenommen wurde, erfuhr er schnell eine relativ große Verbreitung. Seit einiger Zeit ist dieser Band vergriffen. Aufgrund der vielen
Nachfragen begann ich vor einigen Jahren damit einen neuen Text zu schreiben, der im Laufe der Zeit aber eine Eigendynamik entwickelte. Zunächst
stellte ich fest, dass der alte Text weit stärker überarbeitet werden musste, als
ich zunächst angenommen hatte. Doch damit wurde er automatisch länger. So
entstand die Idee, aus dem einen Band zwei zu machen. Doch dieser erste
Band, „Am Vorabend der Bauernbefreiung“, blieb liegen, andere Dinge kamen
dazwischen. Manchmal ist dies aber auch von Vorteil, denn die Frage war, für
wen dieser Text eigentlich geschrieben werden soll. Für den Laien, den interessierten Laien, war der erste Text 1989 geschrieben worden, doch die Überarbeitung sollte auch die KollegInnen erreichen.
In den Jahren, in denen der vorhandene Text liegen blieb, arbeitete ich auf
anderen Feldern, wie der regionalen Industrialisierungsgeschichte, oder ich
fragte nach dem Nutzen, den das Internet für Historiker haben kann. Dabei
verschob sich mein Blick auf die Agrargeschichte, und nun, 2003, wird mir in
neuer Form bewusster, wie wichtig nicht nur die Agrargeschichte ist, sondern
wie wenig neuere Forschungen und Erkenntnisse die breitere Bevölkerung erreichen. Dabei gibt es fast überall diese immanenten Bilder früherer Wirklichkeit von Dorf und Landwirtschaft. Sie sind meist einfach, plastisch und wirken
plausibel. Dass sie dem neuerem Forschungsstand nicht standhalten können,
ist kaum bewusst, wobei selbst Forschungen zur Agrargeschichte, insbesondere den Reformen, noch teilweise diesen alten Bildern verhaftet sind.
So ist dieser Text, selbst wenn es mehrere Schichten enthält, doch vor allem
einem Aspekt verpflichtet: der Freude an der Agrargeschichte, dem Erzählen
und Berichten von Neuem, das weit über die einfachen Bilder hinausgeht, welche immer noch in vielen Köpfen präsent sind.
Es ist aber auch der Überzeugung verpflichtet, dass die Vergangenheit und
ihre Erforschung für uns heute wichtig ist, weil sie uns konfrontiert mit Ansichten und Bildern, die wenig mit der historischen Wirklichkeit zu tun haben,
aber handlungsleitend wirken.4 Die Korrektur dieser falschen Bilder sollte
4
Man kann es auch anders formulieren: wenn in Büchern, die sich der aktuellen Lage
der Gesellschaft und ihrer Weiterentwicklung derart groteske Fehleinschätzungen
finden wie bei Henzler, Herbert A./ Lothar Späth, Die Zweite Wende. Wie Deutschland es schaffen wird. Weinheim und Berlin 1998, dann muss man wohl fragen, welche weiteren eklatanten Fehleinschätzungen eine solche Darstellung noch aufzuwei-
3
Vorbemerkung
weiterhin eine wichtige Aufgabe des Historikers sein. Eine andere wichtige
Aufgabe wird dagegen nur selten erwähnt: den Menschen vermitteln, dass jeden Tag etwas Neues beginnt, und damit – bei aller Wirkung der Vergangenheit in die Gegenwart hinein – auch Abschied von der Vergangenheit genommen werden kann.
Nachtrag 2011:
Der Text wurde nicht wirklich fertig, dennoch möchte ich ihn zumindest als
Online-Text zur Verfügung stellen. 10 Jahre nachdem die letzten inhaltlichen
Veränderungen vorgenommen wurden, müsste er eigentlich neu geschrieben
werden, dafür fehlt mir aber die Zeit. So bleibt er unfertig. Danken möchte ich
für die Hilfe bei diesen Bearbeitungen Maria Bednorz und Anna Quell.
sen hat. Siehe etwa S. 18: „In der Mitte des 18. (!) Jahrhunderts verursachte der Zusammenbruch ein Massenelend, weil die Agrarwirtschaft zusammenbrach. Für die
Millionen von Arbeitslosen, die damals hungernd in die Städte drangen, konnte sich
niemand neue Arbeitsplätze vorstellen.“ Von dem schlechten Deutsch einmal abgesehen: im 18. Jahrhundert gab es keinen „Zusammenbruch“, sondern wenn, dann im 19.
Jahrhundert, und dann strömten die Menschen zunächst nicht in die Städte, sondern
wanderten aus, vornehmlich in die USA.
4
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
II. Dorf und Landwirtschaft vor der
Industrialisierung
1. Naturraum und Siedlung
„Der Boden war in der Agrargesellschaft Schlüsselenergieträger. Er lieferte
Biomasse zur Wärmegewinnung und als Nahrung zur Aufrechterhaltung
menschlicher und tierischer Arbeitskraft. Er war zugleich bedeutendstes Produktionsmittel, sicherstes und gebräuchlichstes Gefäß für die Anlage von Kapital, gewichtigstes Steuersubstrat, ausschlaggebender Maßstab für politische
Macht und gesellschaftliche Wertschätzung, einzige Quelle der sozialen Sicherheit und damit Angelpunkt der sozialen Logik. Wer nicht genügend Kulturland besaß, um sich und seine Familie ernähren zu können, galt als arm.
Der Grundbesitz spiegelte sich im Speisezettel, er entschied über die Möglichkeit, eine Familie gründen zu können, und er war vielfach ausschlaggebend bei der Partnerwahl.“5
Die Nutzung des Bodens war seit Generationen bis in die kleinsten Details
geregelt worden, und zwar sowohl von der dörflichen Bevölkerung als auch von
den Grundherren, die ein Interesse daran hatten, dass bestimmte soziale und
wirtschaftliche Verhältnisse auf den Dörfern bestehen blieben.
Betrachtet man alte Flurkarten, so lässt sich an einem kleinen Detail sofort
erkennen, ob sie vor oder nach den Agrarreformen, in diesem Fall den Gemeinheitsteilungen und Verkoppelungen, entstanden sind.6 Vor den Reformen gab
es so gut wie keine gerade Linie im Dorf und in der Feldmark: die Wege und
Felder verliefen meistens in gekrümmter Form und passten sich dem Geländeverlauf an. Ganz anders dagegen das Bild nach den Reformen: nun dominierten exakt ausgerichtete gerade Wege, Gräben und Felder; lediglich innerhalb
der Dörfer gab es weiter das geordnete Chaos der Vorreformzeit, da die Flurbereinigung die Siedlungen (meist) ausschloss.
5
6
Pfister, Christian, Im Strom der Modernisierung: Bevölkerung, Wirtschaft und Umwelt im Kanton Bern 1700 - 1914. Bern [u.a.] 1995, Kap. 4.1.1, Anfang.
Statt älterer Darstellungen sei jetzt verwiesen auf Seedorf, Hans-Heinrich, HansHeinrich Meyer, Landeskunde Niedersachsen. Natur- und Kulturgeschichte eines
Bundeslande Bd. II: Niedersachsen als Wirtschafts- und Kulturraum. Bevölkerung,
Siedlungen, Wirtschaft, Verkehr und kulturelles Leben. Neumünster 1996, S. 93-140;
detaillierte regionale Darstellungen liegen für den Kreis Rotenburg/Wümme vor; eine
neuere Zusammenfassung bieten die Erläuterungshefte der Historisch-Landeskundlichen Exkursionskarten von Niedersachsen etwa Seedorf, Hans Heinrich, Historischlandeskundliche Exkursionskarte von Niedersachsen. Blatt Rotenburg/Wümme. (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen 2,11) Hildesheim 1989, dort insbes. 34-117.
0
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
Die dem Gelände angepassten Wege signalisieren die enge Beziehung von
ländlichem Wohnen, Arbeiten und Leben zur umgebenden Natur. Diese Beziehung stellte um die Mitte des 18. Jahrhunderts ein ausgeklügeltes, fein aufeinander abgestimmtes System dar, das allerdings auf Störungen jeder Art
empfindlich reagierte.7 Im Wesentlichen basierte es auf einer sehr differenzierten Anpassung der Menschen an die natürlichen und naturnahen Bedingungen. Dabei hatten sie schon seit langem in die natürlichen Verhältnisse eingegriffen, was vorrangig zu Lasten des Waldes gegangen war. Vor allem in der
großen Rodungsphase des Hochmittelalters war eine erhebliche Ausdehnung
der von Menschen besiedelten Fläche gelungen, und der Wald vor allem auf
die Höhenlagen zurückgedrängt worden.8 Allerdings hatten mehrere Entwicklungen die Menschen zu einem Rückzug aus den größeren Höhenlagen der
Mittelgebirge gezwungen: zuerst die große Krise des Hochmittelalters, beginnend mit dem frühen 14. Jahrhundert, dann die seit der Mitte des Jahrhunderts Europa heimsuchende Pest, schließlich Fehden und Auseinandersetzungen.9
Doch das war auf lange Sicht gesehen nicht entscheidend, bedeutsamer war
die erhebliche Vergrößerung des Siedlungsgebietes, zumal nicht nur die bewaldeten Höhenlagen teilweise besiedelt wurden, sondern auch die Feucht- und
Niederungsgebiete Niedersachsens für die menschliche Siedlung erschlossen
wurden. An der Nordseeküste, aber auch im Binnenland gelangen erste Erfolge bei der Trockenlegung größerer Feuchtgebiete.10 Die systematisch angelegten, relativ ‚modern‘ wirkenden Reihensiedlungen dieser Phase (Marschhufen-,
7
8
9
10
Auf die mittelalterlichen Grundlagen verweist etwa Hauptmeyer, Carl-Hans, Niedersächsische Wirtschafts- und Sozialgeschichte im hohen und späten Mittelalter (10001500), Geschichte Niedersachsen 2, Teil 1: Politik, Verfassung, Wirtschaft vom 9. bis
zum ausgehenden 15. Jahrhundert. 1997, 1039 - 1279, insbes. 1045-1054; allgemein
Küster, Hansjörg, Geschichte der Landschaft in Mitteleuropa: von der Eiszeit bis zur
Gegenwart. München 11 1996; einen Überblick der älteren Forschung bietet Henkel,
Gerhard, Die ländliche Siedlung als Forschungsgegenstand der Geographie. (Wege
der Forschung 616) Darmstadt 1983. Außerdem gibt es eine Fülle regionaler Sonderstudien; einen guten räumlich begrenzten Überblick bieten die Beiträge in den Erläuterungsheften der Historisch-landeskundlichen Exkursionskarte für Niedersachsen,
etwa Seedorf (1989). In allgemeinerem Zusammenhang lesenswert Dipper, Christoph,
Deutsche Geschichte: 1648 - 1789. (Edition Suhrkamp 1253 = N.F, 253) Frankfurt am
Main Erstausg 1994, 9-41 („Die Herrschaft der Natur“).
Hauptmeyer (1997), S. 1065-1068.
Hauptmeyer (1997), S. 1111-1123. Zu den Wüstungen jetzt als Überblick Seedorf,
Meyer (1996), 2, S. 106-108. Rösener, Werner, Agrarwirtschaft, Agrarverfassung und
ländliche Gesellschaft im Mittelalter. (Enzyklopädie deutscher Geschichte 13) München 1992, 31-36; Allgemein: Abel, Wilhelm, Die Wüstungen des ausgehenden Mittelalter (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte 1) Stuttgart 3 1976.
Wassermann, Ekkehard, Aufstrecksiedlungen in Ostfriesland: ein Beitrag zur Erforschung der mittelalterlichen Moorkolonisation. (Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands 61) Aurich 1985.
1
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
Waldhufen- und Hagenhufendörfer) prägen bis heute Niedersachsens Siedlungslandschaft.11
Jedoch änderten diese Erfolge wenig daran, dass es eine ungleiche, von den
Bodenverhältnissen abhängige Siedlungsdichte gab. Relativ hoch war sie im
Bereich der Lößzone zwischen Osnabrück, Hannover, Hildesheim und Braunschweig. Mit der verbesserten Pferde- und Ochsenanspannung des Hochmittelalters bildeten sie auch für eine intensive Bearbeitung kein Hindernis mehr.
Ebenfalls relativ hoch, allerdings in den Flusstälern konzentriert, war die
Siedlungsdichte im niedersächsischen Berg- und Hügelland, während der
Harz, in mittelalterlicher Perspektive ein unzugängliches Hochgebirge, weitgehend siedlungsfrei blieb. Siedlungsdichte heißt übrigens seit dem 13. Jahrhundert eine große Zahl ländlicher wie städtischer Siedlungen und damit eine
enge Verbindung von Stadt und Land, die beide nicht nur häufig zur gleichen
Zeit entstanden, sondern auch funktional aufeinander bezogen waren. 12
Während das Gebiet bis zur Linie Osnabrück, Hannover, Hildesheim,
Braunschweig schon früh relativ dicht besiedelt war, sah es in den nördlich davon gelegenen Geestgebieten mit den großen Heide- und Moorflächen gänzlich
anders au Hier waren nur räumlich eng begrenzte Einbrüche in die Feuchtgebiete gelungen. Moor- und Feuchtgebiete erwiesen sich auch weiterhin als
siedlungsfeindlich.13
So hatte sich nach der großen Rodungsperiode des Hochmittelalters ein
Siedlungsmuster zwar in enger Anlehnung an die naturräumlichen Gegebenheiten, aber zugleich beeinflusst durch menschliche Aktivitäten herausgebildet. Dies blieb bis in die Gegenwart bestehen. Rodung und Urbarmachung von
Wäldern bedeutete kein entscheidendes Hindernis, auch nicht die Trockenlegung zumindest kleinerer Feuchtgebiete. Dagegen bildete die Ertragfähigkeit
des Bodens eine wesentlich höhere Hürde für Aktivitäten. Die vorhandene Bodenqualität ließ sich mit dem wenigen Naturdünger nur in bescheidenem
Maße verbessern.
Das in enger Wechselbeziehung zu den natürlichen Voraussetzungen herausgebildete Siedlungsbild Niedersachsens korrespondierte mit den Verhältnissen innerhalb der Siedlungen. Sie wurden vornehmlich dort angelegt, wo
fünf Voraussetzungen gegeben waren:
• „eine Nährfläche, d.h. ein lehmiger bis anlehmiger Boden für die Brotgetreideerzeugung,
• Wasser für Mensch und Tier,
• ein trockener Baugrund für das Haus,
11
12
13
Mittelhäusser, Käthe, Ländliche und städtische Siedlungen, in: Hans Patze, Hrg, Geschichte Niedersachsen Bd. 1: Grundlagen und frühes Mittelalter. Hildesheim 1977,
259-437.
Knapp aber prägnant: Hauptmeyer (1997), 1041-1045.
Hauptmeyer (1997), 1041-1044. Hinrichs, Ernst; Rosemarie Krämer, Christoph Reinders, Die Wirtschaft des Landes Oldenburg in vorindustrieller Zeit: eine regionalgeschichtliche Dokumentation für die Zeit von 1700 bis 1850. Oldenburg 1988.
2
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
• Grünland für die Winterfutterversorgung (Heugewinnung) und hofnahe
Nachtweiden (Wischhöfe),
• Sommerweideflächen für Rinder, Schafe, Schweine (anfangs Waldweide, die
vielfach zu Heide- und Bruchfläche wurde)”.14
Aus diesen Voraussetzungen ergab sich ein typisches, wenngleich variantenreiches Siedlungsmuster. Die Dörfer und Siedlungen15 lagen meist in Wassernähe („Auorientierung“ nach Seedorf) und in enger Nachbarschaft zum nutzbaren Ackerland. Innerhalb der Dörfer wiederum waren es vornehmlich die älteren Höfe, die in weitgehend16 hochwasserfreier Lage dicht am Ackerland
lagen, während die nachfolgenden, jüngeren Stellen entweder in die feuchteren oder die trockenen Lagen abgedrängt wurden. Während die Problematik
einer zu feuchten Lage sofort ins Auge fällt – wer möchte schon bei jedem
Frühjahrhochwasser oder Gewitter das Wasser in der Küche schwimmen sehen? – mag eine Lage mitten auf dem Ackerland durchaus vorteilhaft erscheinen; jedoch gilt es in diesem Fall zu bedenken, dass in solchen Fällen sowohl die hofnahen Grünflächen fehlten, und damit eine Versorgung des Viehs
erschwert war, als auch die Wasserversorgung erhebliche Schwierigkeiten bereiten konnte, da dann tiefe und kostenträchtige Brunnen gesetzt werden
mussten.17
Eine Wende bildete zweifelsohne die spätmittelalterliche Agrarkrise, denn
sie bedeutete das vorläufige Aus für die Binnenkolonisierung, die erst im 16.
Jahrhundert in wesentlich bescheidenerem Maße wieder aufgenommen wurde.18 Als im 16. Jahrhundert die Bevölkerung wieder zunahm, wurde die neue
Bevölkerung in den vorhandenen Dörfern „angesetzt“, wodurch sich die beschriebene Randlage der neuen Stellen ergab.19 Dabei spielte die inzwischen
erstarkte und institutionell weiterentwickelte Landesherrschaft eine wichtige
Rolle. Sie griff fortan immer stärker in die dörflichen Verhältnisse ein, verhinderte einerseits die bis dahin üblichen Erbteilungen und setzte das Anerbenrecht durch, ermöglichte aber andererseits gegen den teilweise erbitterten Wi-
14
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16
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18
19
Schneider, Karl H, Hans Heinrich Seedorf, Bauernbefreiung und Agrarreformen in
Niedersachsen. (4 Hildesheim 1989, 13. Seedorf, Meyer (1996), 100-106.
Die Unterscheidung Dörfer-Siedlungen wird hier getroffen, da für die Geestgebiete
auch Einzelhöfe und Doppelhöfe kennzeichnend sind, die nicht als Dörfer bezeichnet
werden können.
Allerdings konnte es durchaus geschehen, daß bei steigendem Grundwasserstand
Höfe verlegt werden mußte; ein Beispiel in Komitee ''1000 Jahre Mandelsloh'', Mandelsloh, 985-1985. Beiträge zur älteren Geschichte des Dorfes und seiner Umgebung.
Neustadt a. Rbge 1985, 182.
Hier ggf. Beispiel aus Duddenhausen, wo beide Aspekte zu finden sind.
Rösener, Werner, Bauern im Mittelalter. München 1985, 255-267.
Marten, Horst-Rüdiger, Die Entwicklung der Kulturlandschaft im alten Amt Aerzen
des Landkreises Hameln-Pyrmont unter besonderer Berücksichtigung der Siedlungen
und der Bevölkerung. (Horst-Rüdiger Marten 1) Göttingen 1965.
3
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
derstand der Dorfbewohner die Ansetzung neuer Siedler auf den genossenschaftlich genutzten Flächen.20
War in der Phase bis Anfang des 14. Jahrhunderts das Siedlungsbild Niedersachsens dadurch bestimmt, dass in der Nachbarschaft der kleinen Altsiedeldörfer neue Rodungssiedlungen in Form der Wald- und Hagenhufendörfer
entstanden, so erfuhr es danach lediglich Erweiterungen und Verfeinerungen.
Zwar hatte die große Krise des 14. und frühen 15. Jahrhunderts dazu geführt,
dass zahlreiche Siedlungen wüst fielen, aber gleichzeitig war in der Folgezeit
durch den internen Siedlungsausbau und die Entstehung von Tochtersiedlungen das Siedlungsbild sehr komplex geworden. Neben den mehr oder weniger
geschlossenen Dörfern der Börde21 prägten Plansiedlungen, Einzelhöfe, Weiler22 oder Sonderformen wie die ostniedersächsischen Rundlinge23 das Bild.24
Die Abhängigkeit von naturräumlichen Voraussetzungen ist schon durch
einen Blick auf unterschiedliche Siedlungstypen und die Siedlungsdichte sichtbar. In den weiten Geest-, Heide- und Moorlandschaften Niedersachsens und
Westfalens herrschten nicht nur Streusiedlungen und Einzelhöfe vor, sondern
die Siedlungsdichte war relativ gering, was sowohl für die Verteilung der einzelnen Siedlungen als auch für die Siedlungsgröße gilt. Die minderwertigen,
ertragsarmen Sandböden der Geest herrschten in Verbindung mit weiträumigen Heide- und Moorflächen vor, in denen kleine, inselartige humushaltige
Eschböden eingestreut waren. Ohne den intensiven Einsatz bodenverbessernder Maßnahmen wie Düngung oder Trockenlegung ließen sich die Erträge dieser Böden nur innerhalb enger Grenzen erhöhen. Eine extensive, weite Flächen benötigende Landwirtschaft war deshalb das Kennzeichen dieser Gebiete, in denen durch das Abstechen von Heideplaggen, die als Einstreu verwendet und anschließend als Dünger auf die Ackerflächen ausgebracht wurden,
der notwendige Dünger gewonnen wurde. Bot also die Landwirtschaft nur eine
schmale Basis für menschliche Ernährung, so war doch genügend Land für die
Siedlung vorhanden, so dass die wenigen Siedlungen weiträumig angelegt waren. Aus diesen Voraussetzungen ergab sich ein Landschaftsmuster, in dem
Heide, Moor und Ackerland mit Einzelhofsiedlungen und Dörfern abwechselten.
Schon der erste vergleichende Blick auf ein Bördedorf offenbart große Unterschiede: sie reichen von der wesentlich geschlosseneren Siedlungsstruktur
mit einer dichten Bebauung im Dorfkern über eine größere Siedlungsdichte bis
hin zu naturräumlichen Unterschieden, denn nicht der Wechsel zwischen
Moor, Heide, Weiden und Ackerinseln, sondern eine in erster Linie durch wei20
21
22
23
24
Cordes, Rainer, Die Binnenkolonisation auf den Heidegemeinheiten zwischen Hunte
und Mittelweser (Grafschaft Hoya und Diepholz) im 18. und frühen 19. Jahrhundert.
(Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens) Hildesheim 1981.
Dörfer mit einer geschlossenen Siedlungslage werden Drubbel genannt.
Kleine und weitläufig Dörfer.
Kreisförmig angelegte Dörfer.
Einen Überblick bietet Seedorf, Meyer (1996), 108-127.
4
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
te Ackerfluren gekennzeichnete Landschaft bestimmt hier das Bild. 25 Aber
auch diese zunächst so ‚ausgeräumte‘ wirkende Landschaft kannte kleinräumige Unterschiede und hatte zumindest in den Niederungsgebieten und nahe
den Wasserläufen kleine Feuchtbiotope.26 Der Grund für diese Abweichungen
ist offenkundig, denn angesichts der hohen Bodengüte – hier waren und sind
Bodenwertzahlen27 von über 80 Punkten keine Seltenheit – wäre eine Grünlandwirtschaft Verschwendung gewesen (wobei auch hier das Vieh als Düngerlieferant und Zugvieh unentbehrlich war!), ebenso wie eine weiträumige Siedlungsanlage, während andererseits die geringe Ertragsfähigkeit des Geestbodens eine hohe Bevölkerungsdichte verhinderte, die wiederum in den Bördedörfern durchaus möglich war.
Börde- und Geestdörfer, die hier kurz skizziert wurden, bilden nur zwei von
vielen Erscheinungsformen ländlicher Siedlungen im Nordwesten; ihnen müssen zumindest noch die Marschdörfer an der Küste und die Dörfer im Bergland
zur Seite gestellt werden. Hinzu kommen Sonderformen wie die planmäßig angelegten Marsch- und Hagenhufendörfer des Hochmittelalters oder die ostniedersächsischen Rundlingsdörfer. Die Hagenhufendörfer wurden während des
Hochmittelalters als systematische Straßendörfer angelegt, der Begriff ist aus
dem Hagen, die das Land einhegende Hecke, und der Hufe, einem Flächenmaß, zusammengesetzt.
Die nordwestdeutsche Siedlungslandschaft war damit durch eine beachtliche Fülle verschiedener Typen und Varianten gekennzeichnet.
1.
Ackerbau
Mit dem Bevölkerungsanstieg zu Beginn des 16. Jahrhunderts, der in wenigen
Jahrzehnten die riesigen Verluste des 14. und frühen 15. Jahrhunderts ausgleichen konnte, setzte die so genannte ‚Vergetreidungsphase‘ Mitteleuropas
ein: die Europäer wurden zu Brot- und Breiessern.28 Die starke Konzentration
auf den Ackerbau ergab sich schlicht und einfach aus der Tatsache, dass der
Kalorienertrag je Flächeneinheit beim Getreideanbau wesentlich höher ist als
25
26
27
28
Siehe Hauptmeyer, Carl-Hans, Calenberg. Geschichte und Gesellschaft einer niedersächsischen Landschaft. Hannover 1983.
Einen eindrucksvollen Vergleich bieten die Bilder auf den Umschlagseiten von Hauptmeyer (1983), die jeweils den gleichen Bildausschnitt 1820 und 1980 zeigen.
Bodenwertzahlen sind ein Richtwert zur Einschätzung der Bodengüte; der Höchstwert beträgt 100 Punkte.
In Anlehnung an Braudel, Fernand, Frankreich 1: Raum und Geschichte. Frankfurt
am Main [u.a.] [ca. 1995], 156 f. Überzeugend beschreibt Beck, Rainer, Unterfinning:
ländliche Welt vor Anbruch der Moderne. München 1993, 196-207, die Ernährungssituation der frühneuzeitlichen Dorfbewohner. Die Folgen des Bevölkerungsrückgangs
nach der Pest und des Anstiegs im 16. Jahrhundert beschreibt anschaulich Le Roy
Ladurie, Emmanuel, Die Bauern des Languedoc. München 1990, hier 63-78. Montanari, Massimo, Der Hunger und der Überfluss: Kulturgeschichte der Ernährung in
Europa. München, 2. Auflage 1995, 126 f.
5
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
bei der Viehzucht. Den Menschen blieb angesichts der steigenden Bevölkerungszahlen und der nur unzureichenden Produktionssteigerung in der Landwirtschaft nichts weiter übrig, als vom schmackhaften Fleisch zu lassen, und
sich der eintönigen Ernährung mittels Brot, Breien und Hülsenfrüchten zuzuwenden, während das Fleisch den Fest- und Feiertagen bzw. den besser gestellten Gruppen im Dorf vorbehalten blieb.29 Diese Konzentration auf den
Ackerbau stieß jedoch an die beschriebenen Grenzen und zugleich zeigen uns
die Flurkarten des späten 18. Jahrhunderts den verbissenen Kampf der Dorfbewohner gegen diese Grenzen.
In den naturräumlich benachteiligten Gebieten der Geest gab es zwei große
„Felder”: die alten Streifenfluren auf dem Esch, d.h. „altes Ackerland”, und die
auf den Heide- und Angerflächen gerodeten Kämpe30, meist Blockfluren, die
entweder von einem Hof allein bewirtschaftet wurden oder inzwischen auf
mehrere Bearbeiter aufgeteilt worden waren. Das neu gerodete Land (das
„Rottland”) gehört zu den typischen Elementen dörflicher Wirtschaftsweise
und reicht bis weit in das Mittelalter zurück, wurde aber besonders in der frühen Neuzeit parallel zum Bevölkerungsanstieg weiter ausgedehnt.
Das Ackerland wurde – so mag es zumindest auf den ersten Blick erscheinen – individuell bewirtschaftet, doch zeigt schon ein flüchtiger Blick auf
Flurkarten, dass die Realität komplexer war. Auffällig ist die starke Parzellierung der Flur, die zunächst wie reine Willkür anmutet, tatsächlich aber ein
fein abgestimmtes System bildete, das seine eigene Genese hatte, und sich bis
in das frühe 19. Jahrhundert hinein weiter entwickelte. 31 Bei Parzellenbreiten
von teilweise weniger als zehn Metern war eine Bewirtschaftung ohne nachbarliche Absprache nicht möglich. Deshalb waren die Felder auch in so genannte Schläge oder Gewanne aufgeteilt, auf denen jeweils die gleichen Früchte angebaut wurden. Das klassische Bild zeigt jeweils drei Gewanne und zwar
für das Wintergetreide (Roggen), das Sommergetreide und die Brache; letztere
war notwendig, um das Land regenerieren zu lassen, da die Verbesserung des
Bodens durch Dünger nur in begrenztem Maße möglich war.
Die Dreifelderwirtschaft wurde nach und nach im Hochmittelalter eingeführt und bedeutete damals gegenüber der Zweifelderwirtschaft einen entscheidenden Fortschritt, so dass sie ursprünglich eine moderne, leistungsfähige Wirtschaftsform war.32 Im 18. Jahrhundert war alles anders, denn nun er29
30
31
32
Siehe auch den aufschlussreichen Bericht bei Nepomuk Schwerz, Johann Nepomuk
von, Beschreibung der Landwirtschaft in Westfalen. Münster-Hiltrup. Faksimile circa
1980 = 1836; Erster Teil, 86f.
Größere geschlossene Ackerfläche, meist außerhalb der alten Ackerflur auf Land mit
geringerer Bodengüte wie Heide angelegt.
Siehe Köster, Erika, Historisch-geographische Untersuchung des Orts- und Flurgefüges zweier Dörfer im Kreise Rotenburg-Wümme. (Sonderband 24) 1977, 83-98, mit vielen Karten.
Eine Verteidigung der alten Flurmark enthält u.a. aus englischer Sicht Neeson, J.M,
Commoners: common right, enclosure and social change in England, 1700 - 1820.
Cambridge [u.a.] 1996.
6
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
schien sie vielen als veraltete Form der Feldbewirtschaftung, gab es doch seit
dem 16. Jahrhundert Möglichkeiten einer intensiveren Nutzung des Landes in
Form von Fruchtwechselwirtschaften. Tatsächlich gibt es seit diesem Jahrhundert eine Reihe von konkurrierenden, auch die jeweiligen naturräumlichen
Verhältnisse ausnutzenden Wirtschaftsformen, wie der „ewige” (also ununterbrochene) Roggenanbau auf Teilen der nordwestdeutschen und westfälischen Geest oder Mehrfelderwirtschaft auf den besseren Gegenden im mittleren Niedersachsen. Bei aller Komplexität der Wirtschaftsformen bleibt jedoch
das Phänomen der mehr oder weniger stark parzellierten, offenen Felder mit
dem Zwang zur gemeinsamen Absprache, wenngleich der Flurzwang in seiner
strengen Form nur dort auftrat, wo das Land derart parzelliert war, dass den
einzelnen Bauern ein direkter Wegezugang nicht möglich war.
Auch dort, wo jeder Bauer seine Felder direkt erreichen konnte und nicht
über das Land seiner Nachbarn fahren musste, war er, von den noch zu schildernden grundherrlichen Einschränkungen abgesehen, immer noch nicht
„Herr” seines Lande Vielmehr lag über „seinem” Land ein unsichtbares Netz
von Rechten, den so genannten Servituten, die im Herbst den Viehauftrieb auf
das Land ermöglichten. Wer dann nicht zu rechter Zeit sein Feld abgeerntet
hatte, der musste mit ansehen, wie Kühe oder große Schafherden über den
Acker zogen und dort weideten. Besonders dort, wo neben den Bauern auch
adelige Güter oder landesherrliche Domänen Servitutrechte besaßen, insbesondere die Schäfereigerechtigkeit, wirkten sich diese zusätzlichen Nutzungsrechte hemmend für Veränderungen aus, wie wir noch am Beispiel der frühen
Reformen des 18. Jahrhunderts sehen werden. Der Weideauftrieb hatte aber
nicht nur Nachteile, denn das Beweiden des Ackers mit Schafherden hatte
einen entsprechenden Düngereintrag zur Folge und förderte damit den Ertrag
des Landes.33
Angesichts der großen Abhängigkeit vom Naturraum, des fehlenden Düngers und eines häufig unzureichenden Saatguts erstaunt es wenig, dass die Erträge gering und regional wie im langjährigen Ablauf stark schwankend waren. Auf der Geest waren sie am geringsten, in den Bördegebieten am höchsten.34
Die extreme Abhängigkeit von den topographischen Bedingungen hatte entscheidende Auswirkungen auf die Ernteerträge. Selbst kleinräumige Unterschiede – etwas mehr Moor, Heide oder Ackerland, höherer Grundwassserspiegel, Reliefformen des Geländes u.a.m. – waren relevant, so dass allgemeine Aussagen über die Landwirtschaft der frühen Neuzeit kaum möglich ist.
Eine 1801 durch den Reichsfreiherrn vom Stein initiierte Untersuchung über
33
34
Zur Viehhaltung Jenssen, Monika, Viehhaltung um 1800 im Zeichen der Aufklärung,
in: Ulrich Hucker; Schubert, Ernst, Weisbrod, Bernd, Hrg, Niedersächsische Geschichte. Göttingen 1997, 352-362.
Knappe Angaben bei Achilles, Walter, Landwirtschaft in der Frühen Neuzeit. (Enzyklopädie deutscher Geschichte 10) München 1991, 22 f; Abel, Wilhelm, Geschichte der
deutschen Landwirtschaft vom frühen Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert. Stuttgart
1978, 225 f.
7
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
die Landwirtschaft im nördlichen Westfalen, den preußischen Provinzen Minden-Ravensberg, Tecklenburg und Lingen, zeigt allein für die Provinz Minden
erhebliche Unterschiede in den Bodenverhältnissen, den Erträgen und den
Hofgrößen.35 In den an der Weser, zum Teil aber schon auf der Geest oder im
Übergang zum Berg- und Hügelland gelegenen Ämtern waren die Bodenverhältnisse kleinräumig sehr differenziert. So heißt es vom Amt Schlüsselburg
an der mittleren Weser: „Der Leimboden am Weserstrom ist der herrschende,
obgleich auch viel Kleie und Sandboden, auch einiger nasser, in hiesiger Gegend vorhanden ist.“ Vom südlich davon liegenden Amt Hausberge wird ausdrücklich betont: „Vielleicht sind wenige Gemein[d]en im Fürstentum, die eine
solche Mannigfaltigkeit des Bodens aufzuweisen hätten als die hiesige, welches zum Teil durch bald höhere, bald niedrigere Lage der Grundstücke zwischen dem Berge und dem Werre Fluß verursacht wird.“ Aufgezählt werden
dann Kleiboden, von dem es am wenigsten gebe, „Leimen macht nächstdem
den Hauptbestandteil des hiesigen Bodens aus, mit dem Unterschied, dass er
bald schwerer bald leichter ist, bald eine trockene, bald eine nasse Lage hat,
bald mehr bald weniger mit anderen fruchtbaren Erdarten oder auch sonst mit
Sande gemischt ist“.36
Insbesondere die Bodennässe stellte die Landwirtschaft immer wieder vor
große Probleme. Die stark parzellierte Feldmark konnte nicht durch Drainage
entwässert werden, statt dessen griff man zu althergebrachten Entwässerungsmaßnahmen. So heißt es aus dem Amt Hausberge: „Die Ableitung des
Wassers von den Feldern ist ein wichtiger Gegenstand bey der Ackerwirthschaft. Die gemeine Methode ist den Acker hochrückigt zu machen. Wenn er
dann auch am Rücken gut trägt, so verliert man desto mehr an der Nähe der
Wasserfurche …“37
So schwankten die Erträge selbst auf den Feldern einer Feldmark teilweise
stark. In vier Ämtern des Fürstentums Minden-Ravensberg lagen die Roggenerträge zwischen dem 4. und dem 8. bis 9. Korn; ähnliche Ertragsunterschiede gab es bei den anderen Früchten. Gemessen wurden hier die Erträge übrigens in einem Vielfachen der Aussaat. Das „4. Korn“ hieß also, dass die Ernte
das Vierfache der Aussaat ausmachte. Die heute übliche Form, die Erntemenge in dt/ha, also in Gewicht anzugeben, gab es noch nicht, statt dessen wurden
Hohlmaße oder Verhältniszahlen angegeben, die aber eine eindeutige Umrechnung auf heutige Maße erschweren. Durchschnittserträge wurden meist nicht
angegeben, was angesichts der stark schwankenden Erträge und den unzureichenden Ermittlungsmethoden auch nicht verwundern sollte.
35
36
37
Linnemeier, Bernd-Wilhelm, Landwirtschaft im nördlichen Westfalen um 1800: eine
Untersuchung des Freiherrn vom Stein aus seiner Mindener Amtszeit. (Beiträge zur
Volkskultur in Nordwestdeutschland 84) Münster [u.a.] 1994, 30 ff.
Ebd, 44.
Ebd, 50.
8
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
Durchschnittswerte fehlen auch bei den Hofgrößen.38 Fehlende exakte Zahlen hatten ihren Grund u.a. darin, dass sich die Beamten nicht der Mühe unterziehen wollten, etwa registerförmige Quellen systematisch auszuwerten.
Eindeutige Größenzuordnungen waren außerdem in vielen Fällen nicht möglich, da die Streuung bei den Betriebsgrößen teilweise erheblich war und für
größere Regionen mit stark unterschiedlicher Bodengüte Vergleichsmöglichkeiten erschwert waren. In den Geestgebieten gab es etwa große Gemeinheitsflächen, die nicht in die Hofgröße mit einfließen, während die genossenschaftlichen Flächen in Bördedörfern vergleichsweise klein waren.
Kehren wir aber noch einmal zu den Ernteerträgen zurück, denn deren
Höhe wurde nicht allein von der Bodengüte beeinflusst, sondern in hohem
Maße von äußeren Einflüssen, insbesondere vom Wetter und Ungezieferbefall.
Beide Faktoren verursachten von Jahr zu Jahr starke Schwankungen bei den
Ernteerträgen.39
Bei mehrjährigen Missernten schaukelten sich die Mindererträge schnell zu
extremen Krisen auf, die dadurch verschärft wurden, dass ab der zweiten
Missernte Saatgetreide fehlte. Die unzureichenden Verkehrsverbindungen erschwerten außerdem den billigen Ankauf von Getreide aus anderen Regionen,
verhinderten aber nicht, dass das Getreide dem Preis folgte, also von den
Produzenten, größeren Bauern, Gutspächtern und dem Adel, dorthin verkauft
wurde, wo die Nachfrage und die Kaufkraft am höchsten waren.40
Diese periodisch wiederkehrenden und bis in das 19. Jahrhundert hinein
anhaltenden Krisenphasen, die auf dem starken kurzfristigen Rückgang des
Getreideangebots beruhten, sollten nicht über Fortschritte hinweg täuschen.
Für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts können wir davon ausgehen, dass
gemessen an den Aussaatmengen zwischen dem 3. und dem 10, in Ausnahmefällen auch dem 12. Korn geerntet werden konnte. Im ersten Fall bedeutete
dies, dass nach Abzug der Aussaat und der Abgaben für den Grundherrn kaum
38
39
40
Hier etwa über die Größe der einzelnen Betriebe, nach der zwar auch gefragt wurde,
auf die aber teilweise sehr ungenaue Angaben („Die gewöhnliche Größe eines Bauerhofes ist ohngefehr 60 bis 70 Morgen.“ zitiert nach Linnemeier (1994), 72) oder höchstens nach Hofklassen aufgeteilte wie zum Amt Petershagen (Ebd, 81), wobei hier innerhalb der Hofklassen nur Spannweiten angegeben wurden.
Zur Wetter- und Klimaforschung siehe den Überblick bei Militzer, Stefan, Klima - Klimageschichte - Geschichte. Status und Perspektiven von Klimageschichte und Historischer Klimaentwicklungsforschung, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht,
47 (1996), 71-88. Zu europäischen Forschungen zu den Erträgen bietet der Sammelband Bavel, Bas J. P. van, Erik Theon, Land productivity and agro-systems in the
North Sea area. Middle Ages - 20th century. Elements for comparison. (CORN, Com parative Rural History of the North Sea Area 2) Turnhout 1999 einen guten, differenzierten Überblick.
Hier fehlt noch Literatur, vor allem natürlich Abel, aber auch Dipper. Erst im 19.
Jahrhundert mit dem Eisenbahnbau änderte sich dies, was daran ablesbar ist, daß innerhalb Deutschlands das Getreidepreisniveau sich stark anglich. Walter, Rolf, Wirtschaftsgeschichte: vom Merkantilismus bis zur Gegenwart. (Wirtschafts- und sozialhistorische Studien 4) Köln [u.a.] 1995, 95.
9
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
noch etwas für die Versorgung des Hofes und der Familie übrig blieb, im letzteren ermöglichten sie Überschüsse bei den größeren Höfen, die damit einen
Teil ihres Getreides auf den städtischen Märkten oder an Getreidehändler verkaufen konnten.41
Die Chancen der einzelnen ländlichen Gruppen, auf Phasen hoher Erträge
und Mindererträge zu reagieren, waren demnach sehr unterschiedlich und die
Abstände vergrößerten sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts offenbar weiter.
Diejenigen, welche auch bei schlechten Erträgen immer noch eine Marktquote
erwirtschafteten, also die großen Betriebe, profitierten überdurchschnittlich
von den hohen Preisen und versuchten demgemäß, dort zu verkaufen, wo
Nachfrage und Kaufkraft am höchsten waren.42 Für diese Betriebe dürfte
dementsprechend der Anreiz, neue Produkte einzuführen und die Produktivität allgemein zu erhöhen, am größten gewesen sein, wenngleich auch hierbei
regionale Unterschiede eine Rolle gespielt haben dürften. Andererseits konnten sich Phasen hoher Erträge und entsprechend niedriger Getreidepreise für
diese Betriebe verheerend auswirken.43
Die mittelgroßen Betriebe konnten zwar in schlechten Jahren in etwa ihren
Eigenbedarf decken, profitierten aber eher von den mengenmäßig guten Ernten, da sie nur dann Überschüsse auf dem Markt anbieten konnten. Die Kleinund Kleinststellen dagegen mussten selbst in Normaljahren Getreide zukaufen und erst recht in Zeiten geringer Ernten, in denen sie unter den extrem hohen Preisen litten.
Die Chancen, durch den Ackerbau vergleichsweise sichere Einnahmen zu
erwirtschaften, waren also regional und sozial ungleich verteilt, woran sich
auch durch die langfristig steigenden Erträge nur wenig änderte, denn letztere
stiegen am meisten in den ohnehin begünstigten Landschaften und hatten po41
42
43
Zusammenfassend Achilles, Walter, Die Lage der hannoverschen Landbevölkerung im
späten 18. Jahrhundert. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 34, 9) Hildesheim 1982, 138.
Die folgende Darstellung folgt weitgehend den frühen Thesen von Abel, Wilhelm,
Agrarkrisen und Agrarkonjunktur. Eine Geschichte der Land- und Ernährungswirtschaft Mitteleuropas seit dem hohen Mittelalter. Berlin 3. Auflage 1978; Freiburg,
Hubert, Agrarkonjunktur und Agrarstruktur in vorindustrieller Zeit: die Aussagekraft der säkularen Wellen der Preise und Löhne im Hinblick auf die Entwicklung der
bäuerlichen Einkommen. In: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte,
64 (1977), 289-327, hat sich kritisch mit den Annahmen auseinandergesetzt, Achilles,
Walter, Die niedersächsische Landwirtschaft im Zeitalter der Industrialisierung
1820-1914. in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, 50 (1978), 7-26, eine
regionale Fallstudie dazu geliefert. Eine knappe Zusammenfassung der Abelschen
Thesen bietet Abel, Wilhelm, Massenarmut und Hungerkrisen im vorindustriellen
Europa. Versuch einer Synopsi Hamburg und Berlin 1974, S. 41-46.
Abelshauser, Werner, Wilhelm Bartmann, Buchbesprechungen – Die BASF – Eine
Unternehmensgeschichte. In: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, 49 (2004), 9394, 93; eine Zeit extrem niedriger Preise in den 1820er Jahren leitete eine umfassende
Kritik an den agrarischen Verhältnissen ein.
10
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
sitive Effekte nur für die größeren Betriebe.44 Andererseits ergab sich hieraus,
dass die Landwirtschaft als Gewerbe zunehmend lukrativer wurde, und damit
wichtige Anreize zur Modernisierung gegeben waren.
2.
Das „liebe“ Vieh
Das Wort von der „Vergetreidung” mag den vorschnellen Schluss nahe legen,
dass der Viehwirtschaft keine große Bedeutung zu kam. Dem war gewiss nicht
so. Einerseits gab es mit den Heide- und Angerflächen und nicht zuletzt den
niedersächsischen Nieder- und Hochmooren bis in das 18. Jahrhundert Flächen, die, wenn überhaupt, nur einer extensiven Bewirtschaftung zugänglich
waren. Sie alle spielten eine nicht zu unterschätzende Rolle für die vorindustrielle Landwirtschaft als Viehweide, als Plaggenhieb 45 oder zum Holzsammeln und waren damit fester Bestandteil einer differenzierten und genossenschaftlichen Form der Landnutzung. Diese Flächen stellten zudem Ausgleichsflächen dar, die im Zuge der Bevölkerungszunahme einer intensiveren Nutzung zugeführt wurden. Die Heideflächen bildeten ein Reservoir für die Landesherrschaft, das in Zeiten steigender Bevölkerung für Hausbau und Landausweisungen gern genommen wurde. Bevölkerungszunahme brachte das bisherige System genossenschaftlicher und extensiver Landnutzung aus dem
Gleichgewicht. Die Folgen für die genossenschaftlichen Flächen waren teilweise erschreckend, auch wenn in den zeitgenössischen Berichten gewiss übertrieben wurde wie etwa in den Reiseberichten des Bremer Stadtarchivars Johann
Georg Kohl:
„Die Meente [d.h. Gemeinheit, d. Verf.] war ein Institut, das noch aus den
barbarischen Nomadenzeiten zu stammen scheint …Die hohe Haide und der
weit um das Dorf sich herumziehende Wildboden galt als gemeinschaftlicher
Besitz der gesamten Bauernschaft, als ein Gemeingut … und dieselbe für die
armen Haidschnucken des Dorfs als Weide. Es war die einzige Benutzungsweise, die in der Haide möglich war. Jeder trieb auf diese Meente soviel
Schafe, als ihm beliebte. In den Privatbesitz eines strebsamen Individuums
konnte nichts davon kommen. Reformen konnten nicht gemacht werden. Es
mußte alles unter dem gefräßigen Zahn der hungrigen Haidschnucken bleiben … Es ist überflüssig nachzuweisen, dass diese Meente gleichsam wie ein
Alp, wie ein Fluch auf allen Verhältnissen in den Haideländereien lastete
…”46
44
45
46
Akerlof, George A, Hajime Miyazaki, The implicit contract theory of unemployment
meets the wage bill argument. In: Review of Economic Studies, 47 (1980), 321-338.
<http://ideas.repec.org/a/bla/restud/v47y1980i2p321-38.html>.
Plaggenhieb heißt, dass im Sommer Heidesoden abgestochen und dann als Streu für
den Stall genommen wurde. Die mit Dung getränkten Soden wurden anschließend
wieder auf dem Land als Dünger ausgebracht. Um eine Fläche von einem Morgen mit
Plaggen zu düngen, mussten etwa zehn Morgen Heide abgetragen werden.
Kohl, Johann Georg, Reisen durch das weite Land: nordwestdeutsche Skizzen 1864.
(Alte abenteuerliche Reiseberichte) Stuttgart [u.a.] 1990, S. 25 f.
11
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
Viehzucht diente der Fleisch- und Milchversorgung, der Anspannung und der
Düngerproduktion. Es gab gleichwohl einen latenten Viehmangel, der sich in
immer wiederkehrenden Klagen über den zu geringen Viehstapel artikulierte.
Das Vieh, speziell Rindvieh und Schafe, war der entscheidende, nahezu ausschließliche Düngerlieferant, weshalb dessen ausreichende Zahl nicht zuletzt
für den Ackerbau von kaum zu unterschätzender Bedeutung war, so dass die
noch zu erläuternden Bestrebungen um eine Erhöhung des Viehstapels weniger wegen der Fleischversorgung, sondern vornehmlich zur Ertragssteigerung
beim Getreide gedacht waren.
Dass der Dünger selbst nach den Maßstäben des 16. oder 17. Jahrhunderts
zu knapp war, lag daran, dass eine Winterfütterung des Viehs kaum möglich
war. Der unzureichende Anbau von Futtermitteln und die geringen Heuerträge verhinderten eine effektive Fütterung des Viehs, zudem fehlte es an Wissen
über die Menge des notwendigen Winterfutters. 47 Demgemäß war der Viehbesatz verglichen mit heutigen Werten gering, was für das Rindvieh und noch
spezieller das Schwein galt, welches lediglich durch die Eichelmast gefüttert
wurde und nur in geringen Zahlen vorhanden war.48
Bedacht werden sollte aber, dass die zeitgenössischen Quellen meist Steuerlisten sind, die für die Steuerschätzung grundlegend waren und deshalb
durchweg zu niedrige Werte wiedergeben. Wie groß die Diskrepanzen zwischen tatsächlichen und offiziell angegebenen Werten sein können, zeigt eine
aus Anlass der Gemeinheitsteilungen vorgenommene Erhebung des Amtes
Dannenberg aus dem Jahr 1797.49 Nach Aussage der Kataster gab es im Amt
lediglich 1846 Pferde, gezählt wurden aber 2758; bei den Rindern betrug das
Verhältnis 3149 zu 5475, bei den Schweinen 823 zu 1771 und bei den Schafen
2512 zu 5278. Die Amtsuntertanen hatten demnach durchschnittlich doppelt
so viele Tiere wie in den Katastern angegeben waren! Diese Zahlen können
zwar nicht verallgemeinert werden, sollten aber zur Vorsicht bei der Interpretation frühneuzeitlicher Werte mahnen.
Das Pferd spielte nicht nur als Zugtier eine große Rolle, sondern sicherte
den Status speziell der größeren Höfe. In den weiten Heidegebieten der Geest
darf schließlich das Schaf als Wollelieferant nicht vergessen werden, wobei
dessen große Zeit erst im 18. und frühen 19. Jahrhundert kam. 50 Schafherden
gehörten meist zu Gütern und Domänen.51
47
48
49
50
51
Thaer, Daniel Albrecht, Hrg, Annalen der niedersächsischen Landwirthschaft I, 1799.
1, 147-150; Prass, Rainer, Reformprogramm und bäuerliche Interessen. Die Auflösung
der traditionellen Gemeindeökonomie im südlichen Niedersachsen, 1750-1883. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 132) Göttingen 1997a, 55 f;
Achilles (1991), 25.
Achilles (1991), 27.
NHStAH Hann 74 Dannenberg Nr. 3221.
Achilles (1991), 23-28.
Achilles (1991), 26 f.
12
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
Kennzeichnend für die Viehzucht war die Tatsache, dass die Tiere völlig anders als heute gehalten wurden.52 Zwar überließ man das Vieh nicht sich
selbst, sondern hielt es auch in den Sommermonaten nachts im Stall, tagsüber
weidete es indes entweder hudelos53 oder durch einen Dorfhirten beaufsichtigt
auf den weiten Gemeindeflächen. Diese meist mit niedrigem Busch- und
Strauchwerk bestandenen Bereiche waren Heide-, Niedermoor- oder Bruchflächen. Die Gemeinweiden oder Angerreviere konnten sich in teilweise erheblicher Ausdehnung um die Dörfer erstrecken und mit mehreren hundert Tieren
besetzt sein. Meist wurden die großen Reviere von mehreren Dörfern benutzt.
Exemplarisch für diese komplexen Nutzungsrechte sollen die Gemeinheiten in
der Marschvogtei des Amtes Dannenberg näher vorgestellt werden.54
Von 28 Dörfern hatten fünf keine Kommunionweiden mit anderen Dörfern,
die Regelungen bei den übrigen waren kompliziert und entziehen sich einer
systematischen Aufstellung. Relativ häufig waren allgemeine Regelungen wie
in Breese, welches eine Kommunionweide mit Dambeck hatte, „so sie alle Tage
mit ihren Pferden, Hornvieh, Schweinen ecl. Schaafen betreiben und behuden
können“.
Wie kompliziert die Nutzungsrechte sein konnten, zeigt sich an den Verhältnissen im Dorf Nebenstedt im Amt Dannenberg. Dort hatten 1797 je zwei
herrschaftliche Voll- und Halbmeier und acht Junker-Halbmeier sowie je ein
Groß- und Kleinkossater (Groß- und Kleinkötner) folgende genossenschaftlichen Nutzungsrechte:
„Sind Forst-Interessenten mit dem Bau- und Lese-Holtz und können hüten
mit ihren Pferden, Hornvieh, Schweinen, Schaafe und Gänse für beständig
über ihre mit der Dorfschaft Splitau Commune Weide nach der Kleinen Lucii
bis an den Zadrauer Kirchsteig; und bey hohen Wasserszeiten aber bis nach
der Zadrauer Heide und Kiemen hinaus nach der Hohen Lucii. Denn Plaggenhieb haben sie nicht. Diese Weide hat hohe und niedrige Stellen, guten Boden und ist durch die Abwässerung beinahe Marschweide geworden.
Demnechst so hat diese Dorfschaft noch eine privative Marsch- oder Pflingstweide, nebst Pferde-Nacht-Koppel beim Dorfe belegen, so sie vom Meytag an
bis das die Wiesen loos sind mit ihren Pferden und Hornvieh in der Woche einige mahl des Tages über ½ Tag behüten.“ 55
Folgende Rechte bestanden also auf dieser Gemeinweide, wobei die Nutzungsrechte gemeinsam mit Nachbargemeinden ausgeübt wurden:
1. Nutzrechte für Bau- und Leseholz,
52
53
54
55
Siehe dazu die zwar auf Frankreich gemünzten, dennoch auch für Deutschland aufschlussreichen Bemerkungen von Braudel, Fernand, Frankreich 2: Die Menschen und
die Dinge. Frankfurt am Main [u.a.] [ca. 1995]b, S.??) Knapp für Deutschland Achilles
(1991), S.24 f.
Also ohne einen Hütejungen.
Beschreibung derjenigen Dorfschaften, aus der Marschvogtei Amts Dannenberg, welche miteinander in Communion und nicht in Communion stehen vom 22.2.1797 (NHStAH Hann 74 Dannenberg Nr. 3221).
NHStAH Hann 74 Dannenberg Nr. 3221.
13
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
2. Hutungsrechte für Pferde, Hornvieh, Schweine, Schafe, Gänse
3. es bestand kein Recht auf Plaggenhieb,
4. neben der Gemeinweide mit den Nachbargemeinden gab es noch ein „privative“ Gemeinde, die nur von der Dorfschaft genutzt werden konnte.
Die Vielzahl dieser sich ergänzenden, teilweise geradezu übereinander liegenden Sonderrechte machte eine schnelle Veränderung nahezu unmöglich. Die
alten Rechte hatte auch die Mentalität der Menschen erheblich beeinflusst, so
dass eine vollständige und radikale Aufhebung des alten Systems kaum vorstellbar war, sondern in Einzelschritten so lange erfolgte, bis eine umfassende
Neuordnung unvermeidlich war.
Die Beschreibung von Nebenstedt verdeutlicht die räumlich, zeitlich und sachlich differenzierten Rechte an den Flächen, die zudem in Kombination mit individuellen Gemeinderechten lagen. Es gab demnach drei Ebenen von Nutzungsrechten:
a) individuelle des einzelnen Landbesitzers, die allerdings durch Überfahrtrechte für bestimmte Jahreszeiten eingeschränkt sein konnten,
b) genossenschaftliche innerhalb einer Gemeinde,
c) genossenschaftliche zwischen mehreren Gemeinden.
Diese Gemengelage von Nutzungsrechten provozierte seit dem 17. Jahrhundert zunehmend Konflikte. Nicht nur die noch zu beschreibenden Aktivitäten
der Landesherrschaft auf den Angerflächen sondern durch die Vergrößerung
der Dorfbevölkerung und die häufig trotz aller Absprachen nicht eindeutigen
Nutzungsrechte förderten Konflikte und Auseinandersetzungen. 56 Im Konfliktfall bedurfte es aufwendiger gerichtlicher Klärungen unter Befragung alter
Männer, die als Hütejungen mehrere Jahrzehnte zuvor die Reviere am besten
kennen gelernt hatten. Mancher von ihnen mag dabei mit leiser Sehnsucht an
Kindertage zurückgedacht haben, oder sich erneut an die Ängste und die Einsamkeit jener Zeit wie Ernst Auhagen aus Steinhude, der im Oktober 1701
über seine Hütezeit im Steinhuder Meerbruch befragt wurde:
„Er habe sein lebe keine grentze gedacht, sondern das Vieh gehen lassen wo es
gewolt, wenn er das Vieh morgens vom Lager getrieben, habe Er dasselbe
gehn lassen, wohin es gewollt, denn es habe ihm in kein Korn gehn können;
inzwischen habe Er sich können etzliche stunden zu schlafen legen, gegen
Mittag aber, wenn die Leute melken wolten, hätte er sie wieder zusammen
getrieben, des Nachts habe er sich in seine Hütten geleget, so auff dem Mohr
gestanden.”57
Aber nicht nur die Gemeinweiden unterlagen einer genossenschaftlichen
Nutzung, sondern auch das Ackerland. Während das Hofland individuell bewirtschaftet wurde, galt dies für das Ackerland nur in einem begrenzten
Maße, denn die schmalstreifigen Ackerparzellen legten zumindest eine gemeinsame Absprache nahe, um zu verhindern, dass es zu Nutzungskonflikten
kam. Darüber hinaus war es in vielen Gebieten Niedersachsens üblich, dass
56
57
Prass (1997a), 98-103.
STAB Dep. 15 Ha 1. Die Schreibweise des Originals wurde beibehalten.
14
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
Triftgerechtigkeiten und Huderechte auf dem Ackerland lagen, solange keine
Feldfrüchte darauf standen. Damit war die individuelle Nutzung des Landes
auf bestimmte Jahreszeiten beschränkt; nach der Ernte wurde das Land als
Koppelweide genutzt:
„Die dritten Personen zustehenden Berechtigungen zu der Behütung der Felder und Wiesen sind entweder einseitige oder wechselseitige. Die letzteren,
oder die sogenannten Koppelweiden, kommen gewöhnlich in Fluren vor, in
welchen die Grundstücke der Eigenthümer im Gemenge liegen und dem Einzelnen die Behütung seines Eigentums nicht wohl möglich ist, ohne die
Grundstücke anderer zu betreten. Die mit der Behütung der angränzenden
Gemeinheiten oder Marken in Verbindung stehenden Koppelweiden können
ihren Entstehungsgrund auch darin gehabt haben, daß die weidepflichtigen
Grundstücke in früherer Zeit, unter Vorbehalt einer gemeinschaftlichen Behütung aus der Gemeinheit entnommen sind.“58
Somit ergab sich eine enge Beziehung zwischen Dreifelderwirtschaft und den
Weiderechten.59 Besonders problematisch waren die Weiderechte dort, wo
Schäfereiberechtigungen vorlagen:
„In den Stoppeln des Winter- und Sommerfeldes hatten an manchen Orten
die Pferde, Schweine und Gänse eine Vorhude, dann folgten Kühe und
Schaafe. Im Brachfelde hütete der Schäfer allenthalben, wohin er mit den
Schafen gelangen konnte. Es war ‘offenes Feld’.“60
Das galt auch für Samnatz, denn hier waren es die Schafe des benachbarten
landesherrlichen Vorwerks Darzau, die an drei Tagen in der Woche ein Huderecht hatten und über das Land getrieben werden durften. Es war nicht zuletzt der Widerstand des dortigen Pächters, der zu der Verzögerung des Verfahrens beitrug.
Die Plaggendüngung als eine besondere Form der Heidenutzung darf hier
nicht unterschlagen werden, denn in den sandigen Geestgebieten bildete sie
die einzige Möglichkeit, die Ackerflächen, den Esch, mit ausreichendem Dünger zu versorgen.61 In Zeiten geringen Arbeitsanfalls wurden entweder Heideoder notfalls auch Grasplaggen mit speziellem Gerät gestochen, die langen Soden aufgerollt und anschließend direkt auf den Acker gefahren, als Einstreu
genutzt oder zusammen mit Dünger kompostiert. Im Herbst wurde der Kompost oder Dünger dann auf die Äcker gefahren. Die gesamten, mit der Plaggendüngung verbundenen Tätigkeiten waren extrem arbeitsaufwendig und
schwer, außerdem führte der Plaggenhieb zu teilweise erheblichen Erosionserscheinungen. Er stellte jedoch vor der Einführung des Kunstdüngers die einzi58
59
60
61
Königliche Landwirtschaftsgesellschaft, Hrg, Festschrift zur Säcularfeier der Königlichen Landwirtschaftsgesellschaft zu Celle am 4. Juni 1864, Hannover 1864, 2, 347.
Ebd, 348.
Ebd, 349.
Ein lokales Beispiel bieten Eckelmann, Wolf, Christiane Klausing, Die Böden im
Kirchspiel Schledehausen, in: Klaus J. Bade, Behr, Hans-Joachim, Hrg, Schelenburg,
Kirchspiel, Landgemeinde: 900 Jahre Schledehausen. Bissendorf 1990, 493-404, be
S. 397-400, dort S. 402 weitere allgemeine Literatur.
15
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
ge Möglichkeit der Bodenverbesserung dar und ist zugleich ein Beispiel für gemeinschaftliche Arbeiten in der vorindustriellen Landwirtschaft.
3.
Typisches und Untypisches
Betrachtet man diese Strukturen, so ergeben sich vielfältige Muster, die zwar
aus gleichen Elementen zusammengesetzt sind, aber in einer Fülle von immer
neuen Kombinationen auftreten: Sie bestanden aus den Bodenverhältnissen
und dem daraus resultierenden Verhältnis von Ackerfläche und Weideland
(Gemeinweiden) bzw. sonstigen Gemeinheitsflächen, der Dorflage und dem
Siedlungsalter und der daraus resultierenden Dorflage (geschlossenes Haufendorf, Straßendorf etc.) als Konstanten und dem Wetter als Variable. Dabei
ergab sich für das einzelne Dorf ein typisches Muster, das in dieser Kombination einmalig war. So entsteht für den außenstehenden Beobachter der Eindruck, „Typisches“ vorzufinden, obwohl nicht das Muster selbst „typisch“ ist,
sondern die Elemente dieses Musters bekannt sind oder wiedererkannt werden. Dies erklärt auch, weshalb ländliche Existenz vor der Industrialisierung
kleinräumig organisiert war. Die Menschen passten sich den vorhandenen
Mustern an, sie lernten seit ihrer Kindheit, innerhalb dieser Muster zu leben
und sich deren Variationen anzupassen. Das Ganze wurde in einem komplexen Normengefüge geregelt, welches dafür sorgte, dass das Verhalten der einzelnen Mitglieder einer Gemeinde aufeinander abgestimmt war. So war diese
Welt der vorindustriellen Dörfer nicht allein durch Abhängigkeit vom Boden,
von der Topographie und vom Wetter geprägt, sondern von Menschen, die sich
den spezifischen Bedingungen einer Mangelgesellschaft im jeweiligen lokalen
oder regionalen Umfeld angepasst hatten. Die Entwicklungsmöglichkeiten dieser ländlich-dörflichen Gesellschaft waren zwar begrenzt, aber durchaus vorhanden, worauf noch einzugehen sein wird.
2. Die Dynamik des Dorfes
1.
Die Gemeinschaft der Ungleichen
Es gibt vermutlich nur wenige Bereiche, in denen die „volkstümliche” Vorstellung und die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung so weit auseinander liegen wie bei der Struktur der Dorfbevölkerung. „Das ist ja kein Dorf, da leben
ja keine Bauern”, so oder ähnlich bewerten Bewohner des flachen 62 Landes
häufig ländliche Siedlungen. Die hinter dieser Aussage stehende Vermutung,
dass Dörfer in erster Linie aus „Bauern” bestünden, welche eine Gemeinschaft
gleichgestellter Menschen seien, blendet aus, dass Dörfer schon vor der Industrialisierung ein komplexes und dynamisches soziales Gebilde waren. Am Bei62
Oder „platten Landes“, umgangssprachlich für Dörfer!
16
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
spiel des nördlich von Hannover gelegenen Dorfes Frielingen lässt sich ein erster Eindruck eines frühneuzeitlichen Dorfes gewinnen. Dort lebten 1620 laut
Aussage des Erbregisters des Amtes Neustadt:63
2 „dienstpflichtige Ackerleute” mit 21 bis 27 Morgen Ackerland,
4 „dienstpflichtige Halbmeier” mit 12 bis 18 Morgen Ackerland,
16 „dienstpflichtige Kleinkötner”, von denen einige gar kein, einer dagegen 16
Morgen neu gerodetes Ackerland (Rottland) hatten,
4 „Brinksitzer”, von denen nur einer über etwas Rottland verfügte.
Dieses Bild kehrt mit Variationen bei sehr vielen Dörfern des Amtes Neustadt und ganz Niedersachsens wieder. Drei Gruppen von Bauern, sog. Hofklassen, lassen sich grob unterscheiden:
1. Vollbauern, die in Niedersachsen meist Meier heißen, aber auch Ackerleute, unterschieden dann noch in Voll- und Halbmeier,
2. Mittel- und Kleinbauern, die Köter oder Kötner, und die ebenfalls noch
häufig intern unterschieden werden, etwa in Groß- und in Kleinkötner,
3. Hausbesitzer, die entweder gar kein Land hatten oder nur sehr wenig,
welche Brinksitzer oder, im Westfälischen, Markkötter genannt werden, auch
Straßensitzer, An- oder Abbauer.
Die Hofklassen bildeten gleichsam das Gerüst der vorindustriellen ländlichen Gesellschaft, ein Gerüst, welches seit dem 18. Jahrhundert immer weniger trug. Am Anfang stand ein einfaches Schema, das aber im Laufe der Zeit
vielfältige Ergänzungen erfuhr und unübersichtlicher wurde. 64 Zuerst standen
sich zwei Gruppen gegenüber: die Vollhöfe oder einfach nur Höfe und die Koten oder Kotsassen.65 Der Unterschied zwischen beiden Gruppen bestand vereinfacht ausgesprochen darin, dass nur die Höfe über alle Nutzungsrechte
verfügten, die für eine landwirtschaftliche Vollerwerbsstelle benötigt wurden
wie ausreichendes Ackerland, sogenanntes Hufenland, das die besten Böden 66
der Gemarkung und die volle Nutzung der genossenschaftlichen Heiden, Weiden, Moore und Wälder umfasste.
63
64
65
66
Ehlich, Hans, Das Erbregister des Amtes Neustadt von 1620: ergänzt aus dem Erbregister von 1584 und 1621. (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens
98) [Hannover] 1984, 71-78.
Beispiele für frühe Hofklasseneinteilungen im 14. und 15. Jahrhundert bei Stüve, Johann Karl Bertram *1798-1872*, Wesen und Verfassung der Landgemeinden und des
ländlichen Grundbesitzes in Niedersachsen und Westphalen: geschichtliche und statistische Untersuchungen mit unmittelbarer Beziehung auf das Königreich Hannover.
Jena 1851, 10, Anm. 3. Hauptmeyer (1997), 1127.
Kötner sind schon seit dem 12. Jahrhundert nachweisbar: Wrasmann, Adolf, Das
Heuerlingswesen im Fürstbistum Osnabrück. in: Osnabrücker Mitteilungen, 44
(1944), I, 65-68; allgemein jetzt: Hauptmeyer (1997), 1066.
Der Begriff „beste Böden“ ist allerdings entsprechend den jeweiligen Bearbeitungsmöglichkeiten zu interpretieren und ist nicht automatisch mit hohen Bodenwertzahlen gleichzusetzen.
17
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
Tabelle 1: Hofklassen und Landbesitz in den Fürstentümern Calenberg-Göttingen 1689
Hofklasse
Meier
Kötner
Brinksitzer
Sonstige
Summe
Teilsummen
Vollmeier
Halbmeier
Viertelmeier
Sonstige M.
Summe
Zahl
v.H.
Landbesitz
Landbesitz
in Morg. je
Hofklasse
Hof
44,5
10,3
4,4
20,2
19,85
150944
78496
13662
14382,4
3392
7621
3105
712
14830
23
51
21
5
100
1675
1534
126
57
3392
49
45
4
2
100
51,4
37,8
30,91
Kötner
3025
Großkötner
1387
Kleinkötner
2949
Halbkötner
148
Mittelkötner
112
Summe
7621
Nach Franz, Struktur, 236.
40
18
39
2
1
100
9,14
18,14
7,16
5,56
13,94
Eine Auswertung der Kopfsteuerbeschreibung der Fürstentümer CalenbergGrubenhagen von 1689 zeigt die Grundstrukturen der frühneuzeitlichen ländlichen Gesellschaft, in der große soziale Ungleichheit unverkennbar war. In
ihr gab es relativ wenige größere Höfe, die aber das meiste Land bewirtschafteten, während die kleinen Stellen in der Überzahl waren, aber nur wenig
Land bewirtschafteten. So bewirtschafteten 1/5 der Betriebe über die Hälfte
des Ackerlandes.
Innerhalb der Hofklassen gab es ebenfalls eine weitere Differenzierung, wobei besonders bei den Kötnern die relativ wenigen wohlhabenden Großkötner
im Gegensatz zu den übrigen Kötnern mit weniger als 10 Morgen Land auffallen. Die hier genannten Zahlen basieren auf Durchschnittswerten, denen
durchaus im Einzelfall etwas Willkürliches anhaften kann, wie Tabelle 1
zeigt, die für die drei Klassen der Meier, Kötner und Brinksitzer (ohne weitere
Unterteilung) die Verteilung in Größenklassen enthält. Zwar waren die meisten Meierhöfe größer als die Kötner, aber es gab immerhin eine nennenswerte
Zahl von Höfen, die nicht größer als die größten Kötnerstellen waren.
18
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
a)
Die Entstehung der Hofklassen
Wie kam es aber überhaupt zur Entstehung dieser Hofklassen? Die im
16. Jahrhundert einsetzende Agrarkonjunktur sorgte im Zusammenspiel mit
dem Bemühen des Landesherrn um erhöhte Einnahmen dafür, dass die ländliche Arbeitsorganisation systematisch verändert wurde. Die forcierte Einrichtung von agrarischen Großbetrieben des Adels (Güter) und des Landesherrn
(Vorwerke) machte es notwendig, dass die zu deren Bewirtschaftung herangezogenen Bauern entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit eingestuft wurden. Als
Richtlinie diente die alte Unterscheidung nach Höfen und Kötnern, wobei die
Höfe Spanndienste, die Kötner Handdienste zu erbringen hatten. Grundlage
der Zuordnung zu den jeweiligen Hofklassen war aber nicht allein die Einteilung als Hof oder Kötner, sondern der individuell genutzte Landbesitz. So
konnte durchaus in Einzelfällen ein mittelalterlicher Kötner nun als halber
Hof, ein mittelalterlicher Hof als Kötner eingestuft werden. Das Bemühen, die
Dienstlasten weitgehend den wirtschaftlichen Verhältnissen anzupassen,
führte zudem zu einer weiteren Unterteilung der vorhandenen beiden Gruppen. So entstanden Voll- und Halbhöfe, später auch Dreiviertel- und Viertelhöfe, Groß- und Kleinkötner. Die Höfe wurden regional unterschiedlich bezeichnet, so als Höfe, als Meier oder Spänner (Voll- und Halbspänner), wobei
letztere Bezeichnung noch am sinnfälligsten auf den Zweck dieser Einteilung
verweist.
Werner Küchenthal hat die Entstehung der Hofklassen im Herzogtum
Braunschweig detailliert ermittelt.67 Der enge Zusammenhang zwischen der
Einführung von Hofklassen und Dienstleistungen wird hier ebenso sichtbar
wie die Differenzierung der Klassenbezeichnungen. Nach 1551 wurde im Herzogtum zwischen Ackermännern, Halbspännern (sic!) und Kötern unterschieden, letztere wurden erst 160 Jahre später in Großköter und Kleinköter unterschieden. Ähnlich dürfte es im Amt Aerzen gewesen sein, wo die Klassifizierung vermutlich nach 1517 erfolgte, als „durch den großzügigen Ausbau der
Domäne umfangreiche Spann- und Handdienste erforderlich wurden”. 68 Nicht
anders sah es in Verden aus, wo 1534 zum ersten Mal die Unterscheidung in
volle und halbe Höfe vollzogen wurde, wobei neben Hofteilungen ebenfalls der
unterschiedliche Grad der Leistungsfähigkeit eine wichtige Rolle gespielt haben dürfte. Mit der Ausdehnung der Eigenbetriebe der Landesherren und adlig-freier Güter im weiteren Verlauf des Jahrhunderts fand eine Differenzierung der Hofklassen in Voll-, Halb- und Viertelspänner statt. 69 Skepsis gegen
eine zu voreilige Zuordnung der Klassen zu Siedlungsschichten äußerte auch
67
68
69
Küchenthal, Werner, Bezeichnung der Bauernhöfe und der Bauern, die Klasseneinteilung der Bauern, im Gebiete des früheren Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel
und des früheren Fürstentums Hildesheim. (Niedersächsische Dorfbücher 1965, 1219.
Marten (1965), 84.
Voigt, Otto, Die Entwicklung der heutigen Siedlungen, In: Der Landkreis Verden.
Amtliche Kreisbeschreibung. Bremen-Horn 1962,, 149.
19
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
Maßberg für die Vogtei Groß-Denkte, der darauf verweist, dass viele Halbmeierhöfe ihre Bezeichnung erst dem Landtagsabschied von 1597 zu verdanken
hatten.70
Die Klassenbezeichnungen des 18. Jahrhunderts spiegeln also nicht so sehr
die Siedlungsgeschichte, sondern die Größenverhältnisse des 16. Jahrhunderts
wider. Sie sollten aber selbst unter diesem Aspekt nicht überbewertet werden,
da die mit der Einteilung beauftragten Amtmänner häufig willkürlich arbeiteten.71 So konnte ein als Halbmeier eingestufter Hof entweder ein „kleiner“
Meierhof, ein großer Kötner oder ein geteilter Vollmeierhof sein. Diese im 16.
Jahrhundert schon unübersichtlichen Verhältnisse wurden durch die weitere
Entwicklung nicht einfacher. Zu den Kleinkötnern gesellten sich seit Beginn
des 16. Jahrhunderts die Brinksitzer, im 18. Jahrhundert die Straßensitzer,
im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert die An- und Abbauer.
Die im 16. Jahrhundert gefundene Klasseneinteilung wurde keiner weiteren
Überprüfung unterzogen, so dass im 18. Jahrhundert Halbmeier zuweilen weniger Land als Großkötner bewirtschafteten, obwohl diese nur Handdienste,
jene aber die aufwendigen Spanndienste zu verrichten hatten. 72 „Die wahrscheinlichste Deutung ist, dass die Klassifikation der Höfe … nur einmal, und
zwar zu Beginn der frühneuzeitlichen Rodungsperiode erfolgt ist”.73
Es gab also keine einheitliche Abgrenzung der Hofklassen, sondern fließende Übergänge. Einige Beispiele sollen dies verdeutlichen.
In den Fürstentümern Calenberg-Grubenhagen hatten zwar die Meier
grundsätzlich mehr Landbesitz als die Kötner, dennoch war die größeren
Kötnerhöfe kaum kleiner als die kleineren Meierhöfe. Geringe Unterschiede
bestanden auch zwischen den Brinksitzern und vielen Kleinkötnern.
Im schaumburgischen Dorf Lindhorst ist bereits 1544 eine ganze Abfolge
von Hofgrößen zu erkennen, die vom Hof mit 70 Morgen Land zum Einmorgen-Betrieb reicht.74 Dort bewirtschafteten die 13 größten Betriebe insgesamt
480 Morgen, die 12 kleinsten aber nur 90 Morgen.
Eine Auswertung registerförmiger Quellen in den Dörfern östlich von Hannover zeigt sehr unterschiedliche Muster in der Verteilung der Hofklassen: neben Dörfern mit einer klaren Stufung entsprechend der Hofklassen gab es solche, bei denen es fließende Übergänge gab (siehe Tabelle 2).
70
71
72
73
74
Massberg, Karl, Die Dörfer der Vogtei Groß Denkte, ihre Flurverfassung und Dorfanlage. (Studien und Vorarbeiten zum historischen Atlas Niedersachsens 12) Göttingen
1930, 41.
Küchenthal (1965), 155 f; Marten (1965), 88 f.
Schneider, Karl Heinz, Die landwirtschaftlichen Verhältnisse und die Agrarreformen
in Schaumburg-Lippe im 18. und 19. Jahrhundert. (Schaumburger Studien 44) Rin teln 1983, 30-39, 106.
Marten (1965), 84. Siehe auch Pröve, Dorf, 13-17.
Rothe, Hans Werner, Zur Geschichte der ländlichen Gesellschaft im Schaumburger.
(Schaumburger Studien 56) Melle 1998, 66 f.
20
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
Tabelle 2: Hofklassen und Ackerland zweier Dörfer östlich von Hannover
Ort
Engensen 1669*
Vollhöfner
3/4 Höfner
Halbhöfner
Ackerland
Himten Einsaat
69
68
63,5
Ort
Oesselse 1593**
Dienstpfl. Vollmeier
Ackerland
Morg.
88
88
88
72
Dienstpfl. Halbmeier
44
69
33
47
54
22
11
54
Dienstgelder Halbmeier
55
66
43,5
Juncker ganze Meier
110
42
Junckern halbe Meier
66
54
54
1 1/2 Viertelhöfner
Viertelhöfner
Kothsasse
79,8
66
Dienstpfl. Köter
1
39
8
64
6
48
6
47
0
33
26
Dienstg. Köter
0
0
30
Junker Köter
1
31,5
0
28,5
23
0
0
25
0
18
0
13
0
4,5
Brinksitzer
0
11,25
0
6,5
0
* Nach Bardehle, Peter, Bearb.: Das Erbre- ** Goedeke, Hans, Hrg.: Erbregister der
gister der Vogtei Burgwedel von 1669. Hil- Ämter Ruthe und Koldingen von 1593.
desheim 1986.
(Quellen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Niedersachsens in der Neuzeit Bd.
1) Hildesheim 1973.
21
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
b)
Die Meier
An der Spitze der bäuerlichen Hofklassen standen also die Vollhöfe, die in den
einzelnen niedersächsischen Regionen zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich
bezeichnet wurden. Im Amt Aerzen wechselten in der frühen Neuzeit die Bezeichnungen von Ackerleuten zu Vollmeiern, von Halbspännern zu Halbmeiern. Beide hatten einen Spanntag pro Woche zu leisten, erstere mit vier, letztere mit zwei Pferden.75 Ähnlich sah es in Braunschweig aus, wo der „Ackermann“ die Bezeichnung „Baumann“ verdrängte. Unter „Bauhof“ wurden alle
spannpflichtigen Höfe verstanden, also auch die Halbspänner. Ebenso wie im
Weserbergland hatten die Vollhöfe den vollen, die Halbhöfe (Halbspänner,
Halbmeier) den halben Dienst zu leisten.76
Tabelle 3 Hofklassen im Kurfürstentum Hannover 1796 (Anteile
in v.H.)
Territorium
Meier
Köter
Kleinstellen
Calenberg
25,3
47,25
27,5
Göttingen
9,3
71
19,7
Grubenhagen
11,9
65,5
22,5
Lüneburg
53,5
29,1
17,3
Dannenberg
80,8
10,25
8,9
Hoya/Diepholz
34,6
24,1
41,2
Bremen-Verden
40,8
26,6
32,6
Lauenburg
55,8
16,6
27,6
Insgesamt
38,5
34,8
26,8
Berechnet nach den absoluten Zahlen bei Achilles , Lage, 19, Tab. 1
Meist werden die Höfe der Meier und Halbmeier als die ältesten Höfe angesehen. Doch darf dies nicht zu schematisch gesehen werden. 77 Horst-Rüdiger
Marten konnte nachweisen, dass im Weserbergland „30 % aller Meierstellen in
den nicht wüst gewordenen Dörfern aus dem 16. Jahrhundert [sind] oder … zu
solchen aufgestockt“ wurden.78 Die Zuordnung einer Hofklasse zu einer Siedlungsschicht könne nur geschehen unter Berücksichtigung ihres „Besitzumfanges innerhalb der verschiedenen alten Flurkomplexe, nach Lage der Hofstelle im Dorf und zum Wasser, nach seinen Berechtigungen und Grundherrschaften über Hof und Land”.79 Immerhin lassen sich unter Berücksichtigung
75
76
77
78
79
Marten (1965), 81.
Küchenthal (1965), 145.
Marten (1965), 81-85.
Marten (1965), 82. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt für das Wendland Meibeyer,
Wolfgang, Die Verbreitung und das Problem der Entstehung von Rundlingen und
Sackgassendörfern im östlichen Niedersachsen. 1964, 37, 39 f, 51, 59.
Marten (1965), 85.
22
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
dieser Aspekte „77 % aller Meierstellen des 17. Jahrhunderts oder deren
Mutterhöfe in den wüstungsresistenten Ortschaften ins Mittelalter” zurückverfolgen.80 Halbhöfe seien nur zu 51 % aus Teilungen entstanden, davon 14 %
im Mittelalter und der Rest in der frühen Neuzeit.
Käthe Mittelhäußer kam 1950 zu dem Ergebnis, dass in Südniedersachsen
die Halbhöfe eine erste Nachsiedlerschicht darstellten, 81 Erika Köster kann
dagegen belegen, dass Halbmeier aus Teilungen von Vollhöfen entstanden
sind.82 In Luthe bei Wunstorf/Hannover wiederum waren zumindest zwei
Halbhöfe nicht aus Vollhöfen hervorgegangen, aber an den ältesten Fluren beteiligt.83 All das weist auf den komplexen Entstehungsprozess der im 18. und
19. Jahrhundert vorzufindenden Siedlungs- und Klassenstrukturen hin. Neben den Wüstungsvorgängen des Spätmittelalters kommt dem Landesausbau
des 16. Jahrhunderts eine besondere Rolle zu.
c)
Die Kötner
Von allen Hofklassen gab es in der frühen Neuzeit bei den Kleinstellen die
größte Dynamik.84 Die Kötner sind in der Regel das Ergebnis von Rodungsprozessen im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. 85 Sie weisen unter allen Hofstellen eine besonders große Bandbreite auf. Küchenthal ermittelte für
Braunschweig, dass Kothöfe u.a. das Ergebnis eines umfangreichen Grundbesitzverkehrs bis in das 16. Jahrhundert waren, der teilweise aus der Wüstungsphase des 14. Jahrhunderts resultierte. 86 In der Grafschaft Hoya war die
Gruppe der Köter im 16. Jahrhundert noch schwach entwickelt, sie bewirtschafteten innerhalb der Feldmark jüngeres Rodungsland, wurden zu Spanndiensten selten, dafür aber zu Eggediensten herangezogen. 87 Die starke Differenzierung der Köter, die seit dem 17. Jahrhundert zunehmend in Groß- und
Kleinkötner unterschieden wurden, ließe sich an vielen Beispielen zeigen. 88 In
der Vogtei Groß-Denkte gab es 1551 107 Kothöfe, von denen 17 überhaupt
kein Land, zwei nur „fremdes“, also gepachtetes Land hatten und immerhin 73
80
81
82
83
84
85
86
87
88
Marten (1965), 86 f.
Mittelhäusser, Käthe, Zur Frage der Halbmeierhöfen in Niedersachsen. in: Neues Archiv für Niedersachsen, 4 (1950), 404-410.
So konnte Erika Köster für ein Dorf bei Rotenburg/Wümme vorrangig die Entstehung
der Halbhöfe aus Teilungen nachweisen; Köster (1977), 66 f (für Unterstedt).
Mussmann, Hermann, Geschichte des Dorfes Luthe: nebst Namen- u. Sachreg.
Wunstorf [1969], 32 f.
Wehler, Hans-Ulrich, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1: Vom Feudalismus des Alten Reiches bis zur defensiven Modernisierung der Reformära 1700 - 1815. (Deutsche
Gesellschaftsgeschichte 1) München 1987, 1, 170-174.
Hauptmeyer (1997), 1066.
Küchenthal (1965), 135-137.
Röpke, Wilhelm, Beiträge zur Siedlungs-, Rechts- und Wirtschaftsgeschichte der bäuerlichen Bevölkerung in der ehemaligen Grafschaft Hoya. In: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, 1 (1924), 1-96, 39-42.
Schneider (1983); siehe auch die Register und Lagerbücher des 16. und 17. Jahrhun derts.
23
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
Hufenland sowie 15 größere Flächen bewirtschafteten, woraus sich entnehmen
läßt, dass die Masse der Kötner des 16. Jahrhunderts aus alten Höfen hervorgegangen ist.89
Vereinfacht kann man unterscheiden zwischen „großen“ Großkötnern, die
etwa so viel Land wie die Meier bewirtschafteten, 90 Kötner, die nebenbei noch
eine handwerkliche Tätigkeit ausübten91 und auf Tagelöhnerarbeit angewiesene Kleinkötnern ohne Grundbesitz.92 Dabei konnte einzelnen Kothöfen der
symbolische Aufstieg zu den Vollhöfen gelingen, wofür etwa die im Museumsdorf Cloppenburg ausgestellte Wehlburg einen Beleg bietet. 93 Die Beziehungen
zwischen Meiern und Kötnern dürften dort, wo die Besitzunterschiede ausgeprägt waren, nicht immer unproblematisch gewesen sein.94 Andernorts konnten beide Gruppen ohne starke symbolische Abgrenzung nebeneinander leben.95
Kennzeichen der frühneuzeitlichen Entwicklung war demnach die unterschiedliche Entwicklung der einzelnen Hofklassen. Spätestens im ausgehenden 17. Jahrhundert, teilweise schon im 16. Jahrhundert war der Anteil der
Bauern im eigentlichen Sinn, also derjenigen, die allein von den Erträgen ihres Hofes leben konnten, verhältnismäßig klein. Sie aber waren es, die das
verfügbare Ackerland bewirtschafteten, wie das Beispiel der Lindhorster Bauern von 1544 zeigt. Im osnabrückischen Kirchspiel Belm nahm zwar zwischen
1512 und 1858 die Zahl der Haushalte drastisch zu, jedoch schlug sich dies nahezu ausschließlich in einer Zunahme der landlosen Haushalte nieder. 96 Für
das Kurfürstentum Hannover liegen für 1796 Daten vor, die eine starke räumliche Differenzierung hinsichtlich der Verteilung der Hofklassen zeigen. Insbesondere in den südlichen Territorien dominierten die Kleinstellen, während in
den nördlichen Ämtern der Geest der Anteil der Meierstellen signifikant höher
war. Ähnliche Befunde des deutlichen Zuwachses der Kleinstellen und der Stagnation bei den großen Höfen ergibt sich in fast allen niedersächsischen Gebieten.97
89
90
91
92
93
94
95
96
97
Massberg (1930), 35.
Schneider (1983).
Auf diese Gruppe verweist Marten (1965), 106, der noch einmal betont, dass sich Kötner wirtschaftlich nicht schlechter als Meier stehen mussten.
Achilles (1982), 89-92, der zeigt, dass ohne Zuverdienst, der in den von Achilles unter suchten Fällen eher gering war, die Stellen nicht hätten existieren können.
Ottenjann, Helmut, Die Artländer Wehlburg: ein Beitrag zur Siedlungsarchäologie
und Volkskunde des Osnabrücker Nordlandes Cloppenburg 1975.
Dazu Schlumbohm, Jürgen, Lebensläufe, Familien, Höfe. Die Bauern und Heuerleute
des Osnabrückischen Kirchspiels Belm in proto-industrieller Zeit, 1650-1850. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 110) Göttingen 1994, Kap. 6,
der allerdings speziell die Beziehungen zwischen Bauern und Heuerleuten untersucht.
Marten (1965), 106.
Schlumbohm (1994), 54 f.
Grees, Hermann, Unterschichten mit Grundbesitz in ländlichen Siedlungen Mitteleuropas, in: Gerhard Henkel, Hrg, Die ländliche Siedlung als Forschungsgegenstand
24
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
d)
Die Kleinstellen
Während die bäuerliche Bevölkerung vorrangig von der Nutzung des Landes
existieren konnte, stellte sich die Situation bei den Brinksitzern und Heuerlingen anders dar. Diese Dorfbewohner hatten nicht die Rechte der Gemeindemitglieder. Brinksitzer verfügten immerhin noch über eigenen Hausbesitz,
Heuerlingen fehlte dagegen selbst dieser, so mussten sie bei Bauern in Backhäusern, auf der Leibzucht oder in speziellen Heuerlingshäusern wohnen und
für die Bauern bestimmte Arbeitsleistungen zu erbringen. 98 Brinksitzer und
Heuerlinge waren auf die genossenschaftlichen Einrichtungen des Dorfes angewiesen, vor allem auf die Gemeinheitsnutzungen bei Weide, Mast und Holz,
um eine Kuh zu halten und Brennholz zu haben. Zunächst wurden sie, da ihre
Zahl noch nicht sehr groß war, auch auf den Gemeinweiden oder in den Wäldern geduldet. Schließlich standen sie in verwandtschaftlichen Beziehungen
zu den Reiheleuten. Es waren die nicht erbberechtigten Söhne und Töchter
von Bauernstellen, die als Kleinstelleninhaber auf wenigen manchmal zu Erbzinsrecht vom Hof abgetretenen Stücken Land oder auf etwas Rottland versuchten, eine eigene Existenz zu schaffen, die durch Tagelöhnerarbeit, Saisonarbeit (Hollandgang) und handwerkliche Tätigkeiten ergänzt werden mußte.
Besonders für den Westen Niedersachsens ist diese Abhängigkeit von außerlandwirtschaftlichen Erwerbsmöglichkeiten eindringlich nachgewiesen worden.99 Hollandgängerei und die Leinenweberei waren hier wichtige Erwerbsmöglichkeiten. Es war in diesen Gebieten somit nicht mehr allein die „Tragfähigkeit“ der Landwirtschaft, die das Bevölkerungswachstum steuerte, sondern die Einbindung in überregionale Wirtschafts- und Austauschbeziehungen.100
Die Beziehungen zwischen den verschiedenen sozialen Gruppen des Dorfes
waren komplex. Zwar stammte ein Teil der Angehörigen der Unterschichten
als weichende Erben von den Bauernhöfen ab, aber die sozialen Beziehungen
fanden stärker unter den Angehörigen gleicher Status- und Besitzgruppen
statt. Wer den Bauernhof verlassen mußte, verlor damit zugleich einen Teil
98
99
100
der Geographie. (Wege der Forschung 616) Darmstadt 1983, 193-223, passim, insbe
Karte: „Beispiele ländlicher Sozialstruktur in Mitteleuropa (16.-19. Jh.)” nach 200.
Wrasmann, Adolf, Das Heuerlingswesen im Fürstentum Osnabrück. Teil II. in: Osnabrücker Mitteilungen, 44 (1921), 1-154, I, 81. Ausführlicher dazu für das östliche
Westfalen Mooser, Josef, Ländliche Klassengesellschaft 1770 - 1848. Bauern und Un terschichten, Landwirtschaft und Gewerbe im östlichen Westfalen. (Kritische Studien
zur Geschichtswissenschaft 64) Göttingen 1984, etwa 203.
Bölsker-Schlicht, Franz, Die Hollandgängerei im Osnabrücker Land und im Emsland.
Ein Beitrag zur Geschichte der Arbeiterwanderung vom 17. bis zum 19. Jahrhundert.
(Beiträge zur neueren Geschichte 3) Sögel 1987; als neueste Mikrostudie Schlumbohm
(1994) .
Nolte, Hans-Heinrich, Die eine Welt: Abriß der Geschichte des internationalen System Hannover 1982; Cerman, Markus, Sheilagh Ogilvie, Hrg, Proto-Industrialisierung
in Europa. Industrielle Produktion vor dem Fabrikszeitalter, (Beiträge zur historischen Sozialkunde: Beiheft; 5) Wien 1994, darin insbe die Einleitung, 9-21.
25
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
seiner sozialen Stellung im Dorf, die in erster Linie durch den Besitz festgelegt
wurde. Während auf diese Weise der soziale Abstieg jederzeit eintreten konnte, gab es nur wenige Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs. 101 Die Abhängigkeit zwischen Bauern und Heuerlingen dokumentiert sich auch im Fall der
Artländer Wehlburg, wo als Gläubiger Heuerlinge in größerer Zahl auftraten.102
Die Problematik der Stellenvermehrung trat besonders in den Geestgebieten Westniedersachsens bzw. Westfalens mit ihren großen Gemeinheitsflächen
offen zutage. Hier überschnitten sich zwei Entwicklungen, die beide zu einer
weit reichenden Veränderung der Siedlungslandschaft beitrugen und als Ausdruck komplexer regionaler und internationaler Veränderungen zu sehen sind.
In den Geestgebieten mit vorherrschender Einzelhofsiedlung bestand nicht die
Möglichkeit, die saisonal benötigten Arbeitskräfte aus der dörflichen Unterschicht zu rekrutieren. Deshalb begannen die Bauern seit dem 16. Jahrhundert damit, auf ihren eigenen großen Höfen spezielle Häuser für Arbeiter zu
schaffen, die sogenannten Heuerlingshäuser. Heuerlinge wurden aber auch in
allen anderen möglichen Gebäuden untergebracht wie Altenteilerhäusern,
Backhäusern oder andern Nebengebäuden.103
Heuerlinge standen in einer eigenartigen Zwitterstellung, denn einerseits
waren sie billige Tagelöhner für die Bauern, andererseits betrieben sie als
Pächter kleine landwirtschaftliche Betriebe.104 Für die Bauern wäre es zu teuer und zu ineffektiv gewesen, hätten sie die Heuerlinge als festangestellte
Landarbeiter beschäftigt; es war billiger, ihnen die Grundlage für eine kleine
landwirtschaftliche Existenz zu geben, und dafür als Gegenleistung neben
Geld auch Arbeitsdienste zu verlangen. 105 Mit den verbesserten Erwerbsmöglichkeiten im Hollandgang und der Leinenweberei wurden die Heuerlingsstellen immer begehrter, so dass deren Zahl schnell anstieg. Parallel nahmen die
Stellenausweisungen von Seiten der Landesherrschaft zur Ansiedlung von
Kleinstellen als Markkötter, Brinksitzer oder Anbauer zu.
Viele der sogenannten kleinen Leute konnten nur noch teilweise in der alten dörflichen Ordnung überleben. Zwar wohnten sie hier, fütterten ihr weniges Vieh, ernteten etwas Getreide und Gemüse, arbeiteten bei den Bauern als
Tagelöhner und übten ein kleines Handwerk au Aber das alles reichte selten
für einen bescheidenen Lebensunterhalt. Man war auf zusätzliche Verdienstmöglichkeiten angewiesen und versuchte der Unterbeschäftigung und gänzlichen Verarmung durch Garnspinnen und Leinenweberei, durch Hausierhandel
und andere Tätigkeiten zu begegnen. Die zeitweise günstigen außerlandwirtschaftlichen Erwerbsmöglichkeiten förderten diese Entwicklung noch, so dass
101
102
103
104
105
Hierzu Schlumbohm (1994).
Siehe hierzu Ottenjann (1975).
Ebd, 59.
Hierzu Seraphim, Hans Jürgen, Das Heuerlingswesen in Nordwestdeutschland.
Münster 1948, sowie Mooser (1984) .
Eine statistische Übersicht zu den Verhältnissen der osnabrücker Heuerleute aus
dem Jahre 1849 bei Schlumbohm (1994), 568f.
26
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
Arbeit als Leineweber oder Hollandgänger nicht automatisch ein Hinweis auf
Armut, sondern als notwendige Existenzsicherung gewertet werden muss. 106
Im Einzelfall bildete sich ein komplexes Existenzmuster heraus, das sich aus
der Nutzung vieler kleiner Erwerbsnischen zusammensetzte, die heute nur
noch teilweise erschlossen werden können. Diese Nischen folgten dabei auch
einem regionalen Muster, denn dort, wo die Voraussetzungen für die Leinenweberei günstig waren, gab es nur wenige Hollandgänger, während in benachbarten Regionen ohne Möglichkeit zum Flachsanbau der Hollandgang dominierte. Dieses von Franz Bölsker-Schlicht im westlichen Niedersachsen und
nördlichen Westfalen beobachtete Phänomen107 lässt sich auch in anderen niedersächsischen Gebieten finden. Im Eichsfeld hatten sich die Wanderarbeiter
auf das Maurerhandwerk spezialisiert. Für das Herzogtum Oldenburg ist eine
kleinräumige gewerbliche Differenzierung nachgewiesen worden.108 Ähnliches
galt für Schaumburg-Lippe, wo etwa die Arbeit in den landesherrlichen Forsten oder für die dienstpflichtigen Bauernhöfe eine wichtige Erwerbsgrundlage
bildete.109 Letzteres trifft sicherlich auch auf andere Regionen zu, in denen
bäuerliche Dienstleistungen in arbeitsintensiven Jahreszeiten zu verrichten
waren.110
Die kleinen Stellen wurden meist auf Gemeindeland angesetzt, wodurch
sich dessen Umfang kontinuierlich verringerte. Dieses Verfahren wurde besonders von der Landesherrschaft benutzt, um auf den großen, nur wenig genutzten Geestflächen die Einwohnerzahlen zu erhöhen.111 Die bisherigen Gemeindemitglieder, teilweise auch die Gutsherren sahen diese Entwicklung mit
großen Bedenken und versuchten sich mit allen Mitteln dagegen zu wehren. 112
So meldete der Wehrblecker Ortsvorsteher, als 1821 ein Anbauer namens
Hake auf der Heide ein Haus bauen wollte: „dass die Eingesessenen mit der
Ausweisung nicht friedlich wären u. selbige nicht glaubten, dass Hake Vermögen genug zum Anbau habe, u. er zuvor beweisen sollte, worin selbiges bestünde“.113 Die Heideflächen waren seit dem 18. Jahrhundert von der Landesherrschaft schon zu einer systematischen Anlage von Anbauerstellen etwa für
ehemalige Soldaten genutzt worden.114 Oft blieb es nicht bei verbalem Widerstand.
106
107
108
109
110
111
112
113
114
Siehe dazu die Diskussion um die Protoindustrialisierung etwa in Cerman, Ogilvie
(1994), Proto-Industrialisierung. (Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1998, 2) Berlin
1998.
Bölsker-Schlicht (1987), 123-133.
Hinrichs, Krämer, Reinders (1988).
Schneider, Karl H, Schaumburg in der Industrialisierung. Teil 1. Vom Beginn des 19.
Jahrhunderts bis zur Reichsgründung. (Schaumburger Studien) Melle 1994.
Bericht Amt Dannenberg v. 11.11.1786 in NHStaH Hann. 74 Dannenberg Nr. 877.
Dazu Cordes (1981).
Beispiele bei Schlumbohm (1994), 59-66.
Amtsbericht vom 18.10.1821 in NHStAH Hann 74 Sulingen Nr. 1495.
Cordes (1981).
27
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
In diesen Auseinandersetzungen symbolisierte sich der Konflikt zwischen
Besitzenden und Nichtbesitzenden. Doch wer war Besitzender? Anbauer, die
sich selbst gegen den Widerstand der Gemeindemitglieder niedergelassen
hatten, wehrten sich wenige Jahre später ebenfalls gegen die Ausweisung neuer Anbauerstellen. Die Ursache lag letztlich in den begrenzten Landressourcen: Neubauern waren auf die Mitnutzung der Gemeinweide angewiesen, was
aber aus der Sicht der alten Dorfbewohner gleich zu einem doppelten Verlust
führte, denn neben den auf den Gemeinweiden ausgewiesenen Hausstellen
wurden die Gemeinweiden zusätzlich durch das Vieh der Neubauer belastet.
Eine Aufstellung des Dorfes Nebenstedt (Amt Dannenberg) von 1797 zeigt
die komplexen genossenschaftlichen Nutzungsrechte:
„Sind Forst-Interessenten mit dem Bau- und Lese-Holtz und können hüten mit ihren Pferden, Hornvieh, Schweinen, Schaafe und Gänse für beständig über ihre mit
der Dorfschaft Splitau Commune Weide nach der Kleinen Lucii bis an den
Zadrauer Kirchsteig; und bey hohen Wasserszeiten aber bis nach der Zadrauer
Heide und Kiemen hinaus nach der Hohen Lucii. Denn Plaggenhieb haben sie
nicht. Diese Weide hat hohe und niedrige Stellen, guten Boden und ist durch die
Abwässerung beinahe Marschweide geworden. Demnechst so hat diese Dorfschaft
noch eine privative Marsch- oder Pflingstweide, nebst Pferde-Nacht-Koppel beim
Dorfe belegen, so sie vom Meytag an bis das die Wiesen loos sind mit ihren Pferden
und Hornvieh in der Woche einige mahl des Tages über 1/2 Tag behüten.“ 115
Die Gemeinden verfügten also nicht immer ausschließlich allein („privative“)
über die genutzten Gemeinheitsflächen, sondern häufig in Gemeinschaft („in
communion“) mit anderen benachbarten Dörfern. Besonders um die kleinen
Landstädte konnte ein Kranz von Dörfern liegen, die mit der Stadt gemeinsame Huderechte hatten, wie im Falle der Stadt Dannenberg, die 1797 ihre Gemeinweiden mit insgesamt 18 umliegenden Dörfern teilte.116 Bei der Ausweitung der Nutzung dieser Flächen durch Anbauer und eine Vergrößerung des
Viehstapels waren Konflikte zwischen den Kommunen kaum zu vermeiden.
Angesichts der differenzierten und teilweise nur durch die Überlieferung, das
„Herkommen“, abgesicherten Rechte, die sich zudem nach den Nutzungsformen unterschieden, waren Konfliktlösungen häufig mit langwierigen Prozessen verbunden.117
e)
Die Nicht-Landbesitzenden
Die Voll- und Halbmeier, Kötner und zuweilen die Brinksitzer bildeten als
„Reihestellen” die bäuerliche Gemeinde.118 Mit der Zugehörigkeit zur Gemein115
116
117
118
NHStAH Hann 74 Dannenberg Nr. 3221.
Ebd.
Prass (1997a), 98-103; Schneider, Karl H, Frühe Agrarreformen im Raum Hannover
im 18. Jahrhundert. in: Jahresheft der Albrecht-Thaer-Gesellschaft, 27 (1995a), 67-82.
Allgemein dazu als neuere Darstellung Wunder, Heide, Die bäuerliche Gemeinde in
Deutschland. (Kleine Vandenhoeck-Reihe 1483) Göttingen 1986; Hauptmeyer, Carl
-Hans, Dorf und Territorialstaat im zentralen Niedersachsen, in: Ulrich Lange, Hrg,
Landgemeinde und frühmoderner Staat: Beiträge zum Problem der gemeindlichen
28
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
de waren wichtige Rechte verbunden, wie das auf die Nutzung der Gemeinheiten. Gemeindemitglieder war auch verpflichtet, sich an den Ausgaben der Gemeinde zu beteiligen und öffentliche Arbeiten zusammen mit den anderen Gemeindegenossen zu übernehmen. Neben der Gemeinde standen mit steigender
Bevölkerungszahl immer mehr Nicht-Gemeindemitglieder. Die Gruppe dieser
Dorfbewohner war in sich sehr uneinheitlich. Zu ihr gehörten die An- und Abbauer des 18. und frühen 19. Jahrhunderts, die nur über ein kleines Haus
verfügten, ebenso wie die Einlieger, Häuslinge oder die Heuerleute in Osnabrück, die alle bei anderen Hausbesitzern zur Miete wohnten, und natürlich
das Gesinde. „Die unterbäuerliche Klasse war heterogener als die bäuerliche
Klasse, da die differenzierenden Merkmale Parzellenbesitz, lokale Verwandtschaft und Einkommensunterschiede ökonomisch und sozial weit folgenreicher
waren als die Besitzunterschiede innerhalb der Bauernklasse.“ 119
Ein Blick allein auf die Hausstellen, also die hausbesitzende Bevölkerung,
ist jedoch unvollständig, da innerhalb der Dörfer eine große Zahl von Menschen lebte, die über keinen Hausbesitz, und sei er mit noch so wenig Land
ausgestattet, verfügten. Franz zählte insgesamt 73.086 zu den Höfen gehörende Menschen, einschließlich 4767 Leibzüchtern und 36868 Kindern. 120 Dem
standen 5440 Einlieger gegenüber, die auf den Höfen wohnten, aber nicht zur
bäuerlichen Familie gehörten und 8845 zum Gesinde zählende Personen. 121
Dies bedeutet, dass über 10 % der dörflichen Bevölkerung zu diesem Zeitpunkt
schon nicht mehr hausbesitzend war.
Ein noch genaueres Bild ermöglicht der Blick auf ein einzelnes Dorf, in diesem Fall das zum Kloster Loccum gehörende, am Steinhuder Meer gelegene
Dorf Winzlar.122 In Winzlar gab es 1689 insgesamt 59 Hausstellen, sieben
Halbmeier, 25 Kötner und 27 Brinksitzer. Die durchschnittliche Hofgröße betrug bei den Halbmeiern 32,5 Morgen, bei den Kötnern knapp 11 Morgen und
119
120
121
122
Selbstverwaltung in der frühen Neuzeit. Sigmaringen 1988, 217 - 235, neuester Forschungsüberblick: Blickle, Peter, Hrg, Gemeinde und Staat im alten Europa, München 1998.
Mooser (1984), 206.
Franz, Günther, Zur Struktur des niedersächsischen Landvolks im ausgehenden 17.
Jahrhundert. Ein Vorbericht, Wirtschaftliche und soziale Strukturen im saekularen
Wandel. F Wilhelm Abel. 1) 1974, 224-236, hier 232. Die Angaben wirken nicht ganz
eindeutig, so ist von 1606 Haushalten die Rede, die ausgewertet wurden, was nicht
stimmen kann, unklar ist auch, ob die gezählten 36.868 Kinder nur der hausbesitzen den Bevölkerung zugerechnet werden können, da bei den Einliegern keine Kinder genannt wurden.
Hierzu zählt Franz auch die Hirten, während die Zahl der Knechte und Mägde lediglich 5596 betrug (ebd.).
Burchard, Max, Herbert Mundhenke, Hrg, Die Ämter Blumenau, Bokeloh, Rehburg,
Ricklingen, die Städte Rehburg und Wunstorf, die Klöster Loccum und Marienwerder
und das Stift Wunstorf, jetzt zu den Kreisen Hannover gehörig, (Veröffentlichungen
der Historischen Kommission für Niedersachsen (Bremen und die ehemaligen Länder
Hannover, Oldenburg, Braunschweig und Schaumburg-Lippe), Bd. 27), Hildesheim
1960, 149 ff, eigene Auswertung.
29
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
bei den Brinksitzern 2,4 Morgen. Allerdings sind diese Werte nur begrenzt
aussagekräftig, denn hinter ihnen verbergen sich teilweise erhebliche Unterschiede. Am geringsten waren sie noch bei den Halbmeiern, die zwischen 27
und 37 Morgen Land besaßen. Erheblicher waren sie bei den Kötnern, von denen 14 mehr als 10 Morgen Land bewirtschafteten, mit einem Höchstwert von
22 Morgen, also fast so viel wie beim kleinsten Halbmeier, zehn hatten zwischen 4 und 9 Morgen Land und einer war sogar landlo Ein ähnlich differenziertes Bild bietet sich bei den Brinksitzern, von denen drei über 5 Morgen
Land bewirtschafteten, 17 zwischen 0,25 und 3,75 Morgen, während sieben
überhaupt kein Land hatten. Die Hofklassen geben damit erste Hinweise auf
die Betriebsgrößen, mehr aber nicht, besonders die Klasse der Kötner zeichnete sich durch extrem große Unterschiede au
Die Einbeziehung der nicht-hausbesitzenden Bevölkerung zeigt die noch
größere Komplexität der ländlichen Gesellschaft. So lebten 1689 in dem am
Steinhuder Meer gelegenen Dorf Winzlar 393 Menschen, was für ein frühneuzeitliches Dorf in Niedersachsen eine ansehnliche Zahl war. Für jedes Haus erfasste die Kopfsteuerbeschreibung alle anwesenden Personen, auch solche, die
nicht steuerpflichtig waren. In sechs Kategorien lassen sich die Einwohner
einteilen: die Hausbesitzer (meistens Ehepaare), deren Kinder, Leibzüchter,
Gesinde, zur Miete wohnende Häuslinge und schließlich noch weitere Personen, teilweise Verwandte der Hausbesitzer, teilweise nicht zuzuordnen. Rechnet man zur eigentlichen Familie die Hausbesitzer, deren Kinder und die
Leibzüchter, so ergibt sich für die bäuerlichen Betriebe über zehn Morgen
Land eine Gesamtzahl von 110 Personen (oder 28 %), für die kleinbäuerliche
Bevölkerung mit fünf bis zehn Morgen Land eine Zahl von 73 Personen
(18,6 %) und für die landarme bzw. landlose Bevölkerung eine Zahl von 119
Personen (30,3 %). Damit ist aber noch nicht die gesamte Bevölkerung erfasst,
denn sie ist noch durch 57 Häuslinge (14,5 %), 28 Knechte und Mägde und
sechs weitere Personen zu ergänzen.
Hinter diesen schlichten Daten standen vor allem Armut und latente oder
gar akute Not. Selbst die bäuerliche Bevölkerung dürfte kaum Reichtümer angesammelt haben, dazu waren die Besitzgrößen zu gering, zumal die wirklich
großen Höfe, die Vollmeier, gänzlich fehlten. Immerhin versorgten diese Höfe
erkennbar mehr Menschen als die kleineren, was schon aus der durchschnittlichen Personenzahl von 7,6 bei den Halbmeierhaushalten, im Gegensatz von
7,2 bei den Kötnern und lediglich 5,9 bei den Brinksitzern hervorgeht.
Die durchschnittliche Kinderzahl je Haushalt zeigt auf, woher diese Unterschiede kamen: so lebten in den Haushalten der Halbmeier deutlich mehr Kinder als in denen der Kötner oder der Brinksitzer, erheblich höher war auch der
Gesindebesatz auf den bäuerlichen Stellen, während die Differenzen bei den
Leibzüchtern eher zufälliger Natur und bei den Häuslingen insgesamt gering
war.123 Der geringe Gesindebesatz bei den Kleinstellen ist kaum überraschend,
123
Die Durchschnittswerte wurden unter Einbeziehung der Haushalte ohne entsprechende Personen berechnet.
30
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
gab es hier doch nur wenig Land zu bewirtschaften und das gelang auch mit
den Familienarbeitskräften. Überraschender ist da schon die Tatsache, dass
auch einzelne Brinksitzer eine Magd beschäftigten, wobei es sich meist um
junge Mädchen handelte, die für Unterkunft und Verpflegung Kinder beaufsichtigten und kleine Arbeiten im Haushalt verrichteten. Hier wird die Armut
wieder greifbar, auch dann, wenn es beim Haushalt des Halbmeiers Johann
Kiel heißt: „Ein arm Kind Hinrich, so bettelt.“ 124 Ganz schlimm sah es auf der
Stelle des Kötners Heinrich Brehmeyer aus, zu dem es heißt: „das Land haben
andere Leute und ist ganz arm. Leibzüchterin, dessen Mutter Catrina Blote
(80 J.). Deren Tochter Elisabeth ist lahm. Häusling Catrina Mehrings (30 J.)
arm.“125
f)
Die Dynamik der Entwicklung
Es waren die „kleinen Leute“, die Brinksitzer und Häuslinge, die das Bild in
Dörfern wie Winzlar prägten, nicht die großen Bauern, die wie hier zuweilen
völlig fehlten. Leider fehlt für Calenberg eine Fortschreibung der Zahlen von
1689, aber es liegen vergleichbare braunschweigische Zahlen vor, die einen
Eindruck von dem Geschehen erlauben, welches im 18. Jahrhundert einsetzte.
Hier verdoppelte sich zwischen 1656 und 1800 die Gesamtzahl der Stellen von
7212 auf 14424; vergleichsweise stark nahm dabei die Zahl der Ackerhöfe von
830 auf 1400 zu126, die der Halbspännerhöfe blieb fast konstant (1200 zu 1457),
die der Kothöfe stieg von 5182 auf 7399 an, während als völlig neue Schicht
der Brinksitzer 1800 mit einer Gesamtzahl von 4168 schon fast die Zahl der
Kötner erreichte.127
Eine starke Vermehrung dieser Bevölkerungsgruppen musste das innerdörfliche Gleichgewicht empfindlich stören. Genau das geschah im 18. Jahrhundert, nachdem die z.T. hohen Bevölkerungsverluste des Dreißigjährigen Krieges ausgeglichen waren. Ab 1750 begannen sich die Verhältnisse in den Dörfern zu verschlechtern. Erkennbar wird dies schon bei einem Blick auf die Entwicklung der einzelnen Hofklassen.
124
125
126
127
Burchard, Mundhenke (1960), 150.
Burchard, Mundhenke (1960), 154. Kranke, meist lahme Dorfbewohner, werden noch
häufiger erwähnt.
Wobei die höchste Zunahme von 830 auf 1370 Stellen zwischen 1656 und 1750 erfolgte, was vermuten läßt, daß 1656 vor allem Ackerhöfe wüst lagen und erst in den fol genden Jahren wiederbesetzt wurden.
Achilles, Walter, Die steuerliche Belastung der braunschweigischen Landwirtschaft
und ihr Beitrag zu den Staatseinnahmen im 17. und 18. Jahrhundert. Hildesheim
1972a, 26, Tab. 4.
31
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
Tabelle 4: Hofklassen im Herzogtum Braunschweig
1656
Ackerhöfe
1750
um 1800
Zuwachs 1656-1750 in
v.H.
830
1370
1400
168,67
Halbspännerhöfe
1200
1470
1457
121,42
Kothöfe
5182
7900
7399
142,78
Brinksitzer
0
2400
4168
Anbauer
0
500
0
7212
13640
14424
Summe
200,00
Quelle: Achilles , Belastung,
Zwischen 1650 und 1800 verdoppelte sich mithin die Zahl der Hofstellen im
Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel. An dieser Verdoppelung waren aber
die einzelnen Hofklassen unterschiedlich beteiligt. Am geringsten war die Zunahme bei den Halbmeiern, größer fiel sie bei den Ackerhöfen und den Kothöfen aus; entscheidend für die Zunahme war jedoch die Entstehung der neuen
unterbäuerlichen Schicht der Brinksitzer (und Anbauer), die 1800 deutlich
mehr Stellen umfasste als die übrigen Höfe zusammen. Ähnliche Entwicklungen lassen sich in den anderen niedersächsischen Territorien in z.T. noch größerem Maße beobachten. Vom Ende des Dreißigjährigen Krieges bis 1800 hatte sich die Einwohnerzahl auf dem flachen Lande etwa verdoppelt. Diese Verdoppelung ist insofern bemerkenswert, als es sich dabei um Anerbengebiete
handelte, in denen es gewisse Grenzen für die Anlage neuer Hofstellen gab. Im
Realteilungsgebiet des Eichsfeldes wuchs die Einwohnerzahl sogar um das
Dreifache.128 Überall hatte die Zahl der kleinen Stellen rapide zugenommen,
während die Zahl der bäuerlichen Betriebe aufgrund des Anerbenrechts begrenzt blieb.129
Eine ähnliche Entwicklung fand auch in Westniedersachsen statt. Im Kirchspiel Belm blieb seit der Mitte des 16. Jahrhunderts die Zahl der großen Höfe
konstant, die der kleineren stieg erst Anfang des 19. Jahrhunderts etwas an,
während die Haushalte von 250 Anfang des 17. Jahrhunderts bis auf knapp
600 Anfang des 19. Jahrhunderts zunahmen, worunter sich über 400 Heuerlingsstellen befanden.130 Das Anerbenrecht verhinderte damit zwar erfolgreich
eine Auflösung der bäuerlichen, jedoch nicht die Entstehung einer breiten
landlosen Bevölkerungsschicht. „Nicht innerhalb des Kreises der bäuerlichen
Besitzer fanden also die wesentlichen Verschiebungen statt, sondern das außerordentliche Wachstum der eigentumslosen Schicht veränderte das Gesicht
dieser ländlichen Gesellschaft.“131
128
129
130
131
Schneider, Seedorf (1989).
Grees (1983).
Schlumbohm (1994), 54 f.
Ebd, 58.
32
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
Die innerdörflichen Verhältnisse standen in einem größeren sachlichen wie
räumlichen Kontext. Sie waren abhängig von der allgemeinen Politik des Landesherrn und seiner Beamten, zugleich eingebunden in die überregionale
Nachfrage nach Arbeitskräften oder gewerblichen Erzeugnissen. Damit war
die dörfliche Gesellschaft vor den Agrarreformen weder harmonisch noch stabil. Dass sie nicht idyllisch war, dürfte inzwischen keine besondere Aufmerksamkeit mehr erregen, wichtiger ist aber ihre Instabilität. Das war die notwendige Folge der beschriebenen Verhältnisse. Analog zur Konjunkturforschung kann man zwei Arten der Instabilität beschreiben. Zuerst war diese
Gesellschaft in hohem Maße von den natürlichen Ressourcen abhängig, wobei
die entscheidende Variable nicht der Boden, sondern das Klima war. Die in
unterschiedlichen Abständen ausbrechenden Erntekrisen und die von Jahr zu
Jahr stark schwankenden Erntemengen sind darauf zurückzuführen.132
Diese Dynamik wurde überlagert und ergänzt durch die interregionalen
und internationalen Verflechtungen nordwestdeutscher Regionen, welche zwar
den ländlichen Regionen eine relativ lange und vermeintlich stabile Wohlfahrtsphase verschafften, sie aber in neue, elementare Abhängigkeiten führten. Diese Verflechtungen führten allerdings zu einem regionalen Anpassungsmuster, das durch eine hohe Variationsbreite gekennzeichnet ist, und in
zeitgenössischen Reiseberichten immer wieder hervorgehoben wird, aber auch
von der neueren Forschung bestätigt wurde.133
Kompliziert waren ebenfalls die Beziehungen zwischen den einzelnen sozialen Gruppen im Dorf, wobei es in diesem Bereich wiederum regionale Abweichungen bzw. regionale Muster gab. In den Gebieten mit Hollandgang spielten
offenbar die Hollandgänger für die bäuerliche Bevölkerung eine wichtige Rolle.
Mit dem verdienten Geld wurden bei der Rückkehr nicht selten die obrigkeitlichen Steuern und die Schulden bei den Bauern bezahlt, die im Winter oder
Frühjahr entstanden waren, weil kein Brot- und kein Saatkorn mehr vorhanden waren.134 Dieses Geld wurde von den Bauern zumindest teilweise für Investitionen genutzt, wie das Beispiel der Wehlburg nahe legt. 135
Zusätzliche Verdienstmöglichkeiten verbunden mit den Abfindungen, die
den weichenden Erben zustanden, bildeten oft den Anlass für frühe Familiengründungen. Nicht erbberechtigte Söhne kauften von ihrer Abfindung einen
132
133
134
135
Dazu allgemein und immer noch grundlegend: Abel (1978b) .
Als bekanntestes Beispiel zeitgenössisches Beispiel: Schwerz (circa 1980 = 1836) ;
sonst: Reinders, Christoph, Grundherren, Bauern und Heuerlinge. Aspekte von Herrschaftsverhältnissen im Niederstift Münster im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert. in: Oldenburger Jahrbuch, 90 (1990), 65-81; Bölsker-Schlicht (1987), 88-165.
Tack, Johannes, Die Hollandsgänger in Hannover und Oldenburg: ein Beitrag zur Geschichte der Arbeiter-Wanderung. (Volkswirtschaftliche und wirtschaftsgeschichtliche
Abhandlungen 2) Leipzig 1902; Schaer, Friedrich-Wilhelm, Die ländlichen Unterschichten zwischen Weser und Ems vor der Industrialisierung - ein Forschungspro blem. in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, 50 (1978), 45-69, BölskerSchlicht (1987), 295 f mit zwei Beispielrechnungen.
Ottenjann (1975)
33
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
Webstuhl und heirateten bald; denn Kinder waren wertvolle Arbeitskräfte, die
schon im Alter von 6-8 Jahren mithelfen mussten.
Die meist armen Brinksitzer oder Einlieger sahen indes nicht ohne Verbitterung ihre Abhängigkeit von den großen Bauern. Die Bauern wiederum warfen den kleinen Leuten vor, verschwenderisch mit dem Geld umzugehen und
sich nicht an alte dörfliche Sitten zu halten, früh Kinder zu bekommen und
einen unschicklichen Lebenswandel zu führen. Für den Einlieger, Brinksitzer
oder Heuerlinge aber waren Kinder wertvolle Arbeitskräfte, ohne deren frühe
Mitarbeit beim Spinnen, Weben, Viehhüten, Torfmachen u.a. ein Überleben
nur schwer war.136
Auf diese Weise etablierten sich neue Abhängigkeiten, die neben den vorhandenen feudalen lagen. Die Dynamik dieser ländlichen Gesellschaft zwischen Landwirtschaft, Verlagsarbeit und Wanderarbeit, ist mit dem zwar umstrittenen aber auf die Forschung äußerst anregenden Konzept der „ProtoIndustrialisierung“ zu fassen versucht worden. Die ursprünglichen Ergebnisse
über die Wechselbeziehungen zwischen Verlagsarbeit, demographischer und
industrieller Entwicklung wurden inzwischen verfeinert, ergänzt und korrigiert.137 In dieser Perspektive treten die Wechselbeziehungen und die regionale
Variationsbreite stärker hervor, wird aber auch der Übergangscharakter dieser Periode betont.
Armut, Abhängigkeit und soziale Ungleichheit gehörten zu den elementaren
Erfahrungen dieser ländlichen Welt des 17. bis frühen 19. Jahrhunderts: die
Unterschichten waren streng getrennt von der bäuerlichen Oberschicht; lediglich für die Kleinbauern bot sich zuweilen die Chance sozialen Aufstieg Damit
war die ländliche Gesellschaft „in hohem Maße bäuerlich geprägt, und sie
blieb es, obwohl sie von der Proto-Industrialisierung erfasst wurde und die
Bauern bald nur noch eine Minderheit in ihr waren“.138
Diese hier beschriebenen Verhältnisse schlugen sich auch in einem Bevölkerungswachtum nieder, welches aber angesichts der unzureichenden statistischen Daten nur ansatzweise erfasst werden kann.
2.
Beispiele niedersächsischer Dörfer
Ein wichtiges Kennzeichen vorindustrieller Verhältnisse war deren Vielgestaltigkeit. Zwar gab es zentrale Elemente, die in jedem Dorf anzutreffen waren,
aber je nach den lokalen Verhältnissen gab es immer wieder neue Kombinationen dieser Elemente. Deshalb sollen diese Elemente anhand zweier Siedlungen näher beschrieben werden. Ausgesucht wurden zwei Dörfer, in denen der
136
137
138
Eindrucksvolle Belege bei , etwa 81-95. Allerdings konnten von der neueren Forschung die Annahmen der Protoindustrialisierungsforscher nicht bestätigt werden,
dass es einen eindeutigen Zusammenhang zwischen heimgewerblicher Arbeit und frühem Heiratsalter gab.
Neuester Überblick bei Cerman, Ogilvie (1994).
Schlumbohm (1994), 612.
34
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
Autor um 1990 selbst tätig war, die er also auch aus eigener Anschauung
kennt.
a)
Wehrbleck, Strange, Nordholz
Westlich der Weser, südwestlich von Sulingen liegen im Bereich der Sulinger
Geest die drei Orte Wehrbleck, Strange und Nordholz. 139 Im Westen und Süden erstreckt sich das Wietingsmoor und begrenzt die Siedlungen. Die Ackerflächen sind relativ klein und befinden sich jeweils in direkter Nähe zur Siedlung. Im Falle von Nordholz ist die „Auenorientierung“ (Seedorf) offenkundig;
bei Wehrbleck wird sie erst erkennbar, wenn die Höhenunterschiede und die
nordöstlich des Dorfes vorhandene Niederung berücksichtigt werden. Wehrbleck und Nordholz sind alte Siedlungen. Nordholz ist bis in das 20. Jahrhundert im Kern eine Doppelhofanlage geblieben, vermutlich hervorgegangen aus
einem alten Meierhof; Wehrbleck dagegen ist schon im 18. Jahrhundert ein sozial und räumlich stark differenziertes Dorf. Die am Rande des Pagenmoors
auf Heidesand angelegte Siedlung Strange schließlich gehört einer jüngeren
Siedlungsphase an, und besitzt nur geringe, nahezu bedeutungslose Ackerflächen.140 Bemerkenswert sind diese drei Siedlungen deshalb, weil sie ein Beispiel für die Dynamik und Variationsbreite ländlicher Siedlung bilden.
Die Verteilung der Höfe innerhalb des Dorfes legt die Annahme nahe, dass
Wehrbleck wie Nordholz ursprünglich aus zwei Meierhöfen bestanden hat, die
zwischen Feucht- und Grünland im Nordosten und dem Ackerland im Westen
lagen. Der geteilte Hofraum der beiden halben Höfe deutet darauf hin, dass sie
aus einem Meierhof hervorgegangen sind. Östlich von ihnen entwickelten sich
die Kötnerstellen. Im 16. Jahrhundert verfügte Wehrbleck schon über 12 Hofstellen, wobei einem Meierhof zwei halbe Höfe, acht Kötner und ein Brinksitzer gegenüberstanden.141 Bis 1677 verdichtete sich die Bebauung bei den
Kötnerhöfen, während die großen Hofräume der drei Meier unangetastet blieben. Außerdem dehnte sich der Ort nach Norden au 1677 hatte sich die Zahl
der Hofstellen durch die Ansetzung von Kleinstellen auf 18 erhöht. 142 Neben
der Zunahme der Kleinstellen ist die innere Differenzierung der Kötner bemerkenswert, die in Fahrkötner (mit Pferdebesitz), halbe Fahrkötner, Handkötner, Dreiviertel- und Viertelhandkötner unterschieden werden. Die Größe
des Landbesitzes wurde anhand der Aussaatmengen angegeben. 143 Der größte
139
140
141
142
143
Die folgende Darstellung nach Schneider, Karl H, Siedlung und Sozialstruktur - Erläuterungen zur Geschichte von Wehrbleck, in: Heinar Henckel, u.a, Hrg, Kirchdorf.
Eine interdisziplinäre Untersuchung ländlicher Lebenswelt am Beispiel einer niedersächsischen Gemeinde. Hannover 1991, 21-36, insbe 27-30. Knappe Angaben über die
Siedlungen jetzt auch im GOV Hoya.
Cordes (1981).
Erbregister von 1581 (NHStAH Hann. 74 Sulingen 17).
Die Zahl der Meier war konstant geblieben, die der Kötner nur um eine Stelle angewachsen. Lagerbuch von 1677 (NHStAH Hann. 74 Sulingen 23).
Dazu etwa Köster (1977). Die Umrechnung dieser Angaben in heutige Flächenmaße
ist sehr schwierig.
35
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
Hof Nr. 1 hatte 8 Malter 6 Scheffel Aussaat, die beiden Halbmeier hatten ca. 5
½ Malter, die Kötner zwischen drei und vier Malter, die Brinksitzer zwischen
0 und 2 Malter Aussaatflächen. Geht man davon aus, dass ein die Aussaatmenge von einem Himten („Himtsaat“) etwa 1/3 Morgen entsprach, so wären
das beim Meier ca. 53 Morgen Ackerland, bei den Halbmeiern ca. 33 Morgen
und bei den Brinksitzern bis zu 10 Morgen, also insgesamt kleine Flächen, die
auf die große Bedeutung der Viehhaltung hinweisen. 144 Bei der Bewertung der
Hofgrößen muss zudem die geringe Bodengüte berücksichtigt werden.
1677 nennen die Akten für die 18 Wehrblecker Höfe insgesamt 35 Pferde,
also knapp 2 je Hof, 8 Fohlen, 76 Kühe, 71 Rinder, 48 Schweine, 10 Bienenstöcke und 169 Schafe.145 An dieser Aufstellung ist zunächst der Pferdebesatz
bemerkenswert, denn die Unterschiede zwischen den einzelnen Hofklassen
waren erstaunlich gering, bzw. teilweise nicht vorhanden. Alle Meier hielten
zwei Pferde, die Kötner dagegen zwei bis drei und selbst die beiden Brinksitzer
und einer der vier Beibauern hatten zwei Pferde, während von den übrigen
drei Beibauern nur einer ein Tier hielt. Ein ähnliches Bild bietet sich bei den
Kühen und den Rindern, wo die Kötner etwas mehr Tiere als die größeren
Meierhöfe hielten, während die Zahl der von den Kleinstellen gehaltenen Tiere
kaum unter der der größeren Höfe lag. Unterschiede zwischen großen und
kleinen Höfen sind dagegen bei den Schweinen auszumachen, denn die
Schweinehaltung war nicht nur insgesamt (mit 48 oder 2,67 Tieren je Hof)
unbedeutend, unter den Kleinstellenbesitzern (Brinksitzern und Beibauern)
gab es nur zwei, die überhaupt (jeweils zwei) Tiere hielten. Gering war ebenfalls die Bienenhaltung und die Schafhaltung (insgesamt 169 Tiere waren auf
acht Herden verteilt).
Wie sehr die Viehhaltung mit den genossenschaftlichen Nutzungsrechten
korrespondierte, zeigen die Einträge in dem genannten Lagerbuch. So heißt es
zum Vollmeier Hinrich Graue:
„Mast in privato: Hat Eichen bey dem Hause stehen, da Von Bey Voller Mastzeit
etwa 4 ad 5 Schweine gefeistet werden können. In Communio Er mit der Dehlzucht
auff den Weddigeloh Berechtiget.
Gemeine Weide: Leßet dessen Vieh promiscui in der finckenstelle von Weddigeloh
gehen und weiden, und auff den umbliegenden Heiden. Fewerung: Grabet Torff
auff seinen Platze auf der Luuckflüße, hinter dem Holtze gewandt. Plaggen und
Heidmatt: Ist gleich bey dem dorff, vorne schon angezeiget, Berechtiget. Schäffereye: Hat itzo keine, muß aber sonsten dieselben auff der Heide und morasten nach
144
145
Engel, Franz, Tabellen alter Münzen, Maße und Gewichte zum Gebrauch für Archivbenutzer. (Schaumburger Studien 9) Rinteln 1965, S. 5 und 8. Eingehender und differenzierter für Rotenburg/Wümme behandelt dies Thema Köster (1977), 13-17). Siehe
auch Hirschfelder, Heinrich, Herrschaftsordnung und Bauerntum im Hochstift Osnabrück im 16. und 17. Jahrhundert. (Osnabrücker Geschichtsquellen und Forschungen
16) Osnabrück 1971, 53 für Osnabrück.
NHStAH Hann. 74 Sulingen 23. Hierbei sollten die Abweichungen zwischen den erhobenen und den tatsächlichen Werten jedoch berücksichtigt werden.
36
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
Barver zu gehen und weiden lassen.”146
Dieser Auszug verdeutlicht die schon beschriebenen Elemente dörflicher Wirtschaft und lässt auch erkennen, weshalb gerade die Kleinstellen zwar über
einen relativ großen Viehstapel, aber nur wenig Schweine verfügten. Der umfangreiche Rindviehbesatz musste den geringen Landbesitz kompensieren und
wurde durch die genossenschaftlichen Nutzungsrechte erleichtert. Dagegen
war die Schweinehaltung an Mastrechte gebunden, die nur bei den größeren
Hofstellen mit entsprechenden Eichenbeständen vorhanden waren. Erklärungsbedürftig bleibt allerdings die bis zu den Kleinstellen reichende Pferdehaltung.
Die in dem kurzen Textauszug aufgeführten Flurbezeichnungen (Weddigeloh, Finkenstelle, Luuckflüße) lassen die vorindustrielle Flur als ein komplexes, durch unterschiedliche Nutzungsrechte und Zuordnungen differenziertes
Gebilde hervortreten, dessen wahre Bedeutung sich nur denjenigen erschloss,
die das Gebiet aus eigener Anschauung kannten.147
Neben Wehrbleck gab es noch die beiden Vollmeier in Nordholz (12 bzw. 5 ½
Malter Aussaat) und fünf Stellen in Strange nördlich von Wehrbleck. Diese
Siedlung entstand auf einer Sanddüne am Moor (daher der Flurname Strange), diente den Wehrblecker Bauern als gemeinsames Weiderevier (Anger) und
wurde gegen den teilweise erbitterten Widerstand der Wehrblecker Einwohner
im 18. Jahrhundert weiter ausgebaut.148 Bis 1769149 entstanden hier sechs
Stellen, die allesamt als Brinksitzer bzw. Beibauern eingestuft wurden und
mit Ausnahme des ersten Brinksitzers (3 Malter Aussaat) über kein eigenes
Land verfügten. In Wehrbleck selbst nahm die Stellenzahl bis 1769 um ebenfalls sechs auf nunmehr 24 Stellen zu.
Das Siedlungsgebiet um Wehrbleck wies damit in der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts das Nebeneinander von drei Siedlungsformen auf: einen
Doppelhof, eine relativ geschlossene Bauernsiedlung und eine Nachsiedlung.
Unverkennbar war zudem die Zunahme der Kleinstellen seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhundert, womit eine Entwicklung fortgesetzt wurde, die schon
im 16. Jahrhundert begonnen hatte.
Angesichts der ungünstigen naturräumlichen Voraussetzungen – Heide und
Moor prägten in erster Linie die Siedlungslandschaft, während die Ackerflächen relativ klein und den älteren Hofstellen vorbehalten waren – stellt sich
die Frage, welche wirtschaftliche Grundlage die Kleinstellen hatten. Gewiss
nutzten sie die genossenschaftlichen Flächen zur Viehhaltung, was den erwähnten Widerstand der alten Siedler gegen die neuen Stellen provozierte,
stachen Torf und arbeiteten teilweise bei den Bauern. Das allein dürfte aber
146
147
148
149
Ebd. S. 413 f.
Allgemein zur Flurnamenforschung Scheuermann, Ulrich, Flurnamenforschung. Bausteine zur Heimat- und Regionalgeschichte. (Schriften zur Heimatpflege 9) Melle
1995.
NHStAH Hann. 74 Sulingen 1495. Allgemein Cordes (1981).
Ebd. (Nachträge).
37
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
nicht ausgereicht haben. Als weitere Erwerbsquelle taucht in den Quellen der
„Hollandgang“ auf.150 Eine Aufstellung von 1767 nennt aus Wehrbleck 15
Männer, die nach Holland gingen um zu „baggern” (Torfstechen), Gras zu mähen oder Gartenarbeit zu verrichten.151 Die meisten verließen ihren Ort Mitte
April und kehrten im Juni und Juli zurück. Sie verdienten Brutto zwischen 18
und 40 Reichstaler (rt.), wovon nach Abzug der Lebensmittel 152, der Reisekosten und der Kleidungskosten 6 bis 21 rt. übrig blieben. Insgesamt betrug der
Nettoverdienst, der auf diese Weise in das Dorf kam, über 200 rt. bis auf zwei
Neubauer handelte es sich im übrigen um Häusler, die in den landesherrlichen Registern um dieses Zeit nicht erwähnt werden. Damit ist also die Frage,
welche Existenzgrundlage die kleinen Stätten hatten, nur zu einem Teil zu beantworten.
b)
Bokensdorf
Bokensdorf liegt im Osten Niedersachsens nördlich von Fallersleben und nordwestlich von Wolfsburg. Es gehört zu den ostniedersächsischen Rundlingsdörfern und hat bis heute das Siedlungsbild eines Rundlings bewahrt. 153 Die Bauernhöfe liegen um den Dorfplatz, das Dorf selbst befindet sich auf einer kleinen Anhöhe, die Höfe sind von Grünland umgeben. An dieser Stelle sollen
nicht die unterschiedlichen Theorien zur Entstehung der Rundlinge diskutiert
werden, vielmehr erscheint es beachtenswert, wie ein im Vergleich zu Wehrbleck ähnliches, im Detail abgewandeltes Siedlungsmuster zu erkennen ist.
Das Dorf liegt auf einer trockenen Anhöhe und ist von Grünland umgeben, in
einem zweiten Ring liegt das Ackerland, welches etwas umfangreicher als in
Wehrbleck ist, aber ebenfalls durch Heideflächen ergänzt wird.
1678 hatte das Dorf 12 Hausstellen: je fünf Meier (vier Vollmeier, ein
Halbmeier), und fünf Kötnerstellen, außerdem zwei wüste Stellen. 154 Der Besitz an Ackerland variierte von 20 (Meier) bis fünf Morgen (Kötner). 155 Bis in
das späte 18. Jahrhundert gab es kaum Veränderungen. 156 Lediglich die drei
kleinsten Stellen werden im 18. Jahrhundert als Brinksitzer bezeichnet; seit
150
151
152
153
154
155
Hierzu Bölsker-Schlicht (1987); Tack (1902), Eiynck, A., u.a, Hrg, Wanderarbeit jenseits der Grenze. 350 Jahre auf der Suche nach Arbeit in der Fremde, Assen, Cloppenburg, Hoorn, Lingen 1993.
NHStAH Hann. 74 Sulingen 1536.
Fast alle nahmen zwischen 40 und 50 Pfd. Speck und etwas Fahrgeld mit.
Allgemein Tietze, Wolf [Bearb.], Erhard Kühlhorn, Historisch-landeskundliche Exkursionskarte von Niedersachsen 6: Blatt Wolfsburg: Erläuterungsheft. (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen 2) Hildesheim [u.a.] 1:50 000 1977, 38-42.
Höfebeschreibung von 1678, hier nach Bosse, Theo, Die Register und Kataster der
Ämter Gifhorn, Fallersleben und Isenhagen ab 1563/64. Gifhorn 1988, 147. Allgemein
Rund, Jürgen, Geschichtliches Ortsverzeichnis des Landkreises Gifhorn. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 5) Hannover
1996.
Die Quelle nennt lediglich die Einsaatmengen, woraus sich die Flächen berechnen lassen (Bosse (1988), 146).
38
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
1747 gibt es auch keine wüsten, unbewirtschafteten Stellen mehr. Damit weist
die Siedlung nicht die Dynamik auf, der wir in Wehrbleck begegnet sind. Obwohl die dortigen Rahmenbedingungen eher ungünstiger als in Bokensdorf
waren, kam es zu einer Vergrößerung der Stellenzahl, die sich sowohl in einer
Verdichtung der Bebauung im Dorf als auch zur Entstehung der Neubauersiedlung Strange führte. Bokensdorf bleibt dagegen bis Ende des 18. Jahrhunderts ein geschlossenes Rundlingsdorf, welches keine Erweiterung erfährt und
nur in geringem Maße durch Kleinbauerstellen ergänzt wird.
Der Viehbesatz von Bokensdorf wich 1678, also eine Generation nach dem
Ende des 30-jährigen Krieges, nur scheinbar von dem Wehrblecks ab. Pferde
wurden in diesem Dorf gar nicht gehalten, während die Zahl der Kühe und
Ochsen je Hof deutlich höher lag (durchschnittlich 11, in Einzelfällen bis 21).
Hier wurden also Ochsen zur Anspannung genommen, was entweder als eine
regionale Eigenheit gedeutet werden kann oder eine ortsspezifische Reaktion
auf den Krieges sein konnte.157 Die Schweinehaltung lag in Bokensdorf noch
unter den Wehrblecker Werten (mit durchschnittlich 1,6 Tieren), die Schafhaltung leicht höher.
3.
Krisenjahre
Wie empfindlich das innerdörfliche Gleichgewicht auf Störungen reagierte, offenbarten mit aller Deutlichkeit die Jahre 1771/72. 158 Zwei aufeinander folgende Missernten zeigten verheerende Folgen, denn nach der ersten Missernte
waren die Vorräte der „kleinen Leute“ aufgebraucht und es fehlte schon teilweise an Aussaat. Die Preise stiegen sprunghaft, so dass auch für viele Landbewohner das Brotkorn nahezu unerschwinglich teuer wurde. Die Bauern
versuchten, ihre Ernte an die Meistbietenden zu verkaufen, da sie die während des vorhergegangenen Siebenjährigen Krieges erlittenen Verluste nun
ausgleichen wollten, wurde das Brotkorn zudem noch knapp. In der Krise zeigte sich die Ungleichheit der ländlichen Gesellschaft ebenso krass wie die gegenseitige Abhängigkeit der dörflichen Schichten. Während eine kleine Minderheit von Bauern von den extrem hohen Preisen profitierte, litt ein Großteil
der ländlichen Bevölkerung an Hunger. Der durch die hohen Getreidepreise
bedingte Kaufkraftschwund führte zu einer Absatzkrise bei den ländlichen Gewerbetreibenden.159 „Hungersnot ist nicht, wenn das Brot teuer ist, sondern
156
157
158
159
Bosse (1988), 304 mit den Daten des Kontributionskatasters 1687, 1700, 1747; dem
Feuerstellenverzeichnis von 1766 und der Mannzahlrolle von 1791.
Gegen ersteres spricht, dass in den anderen Orten des Boldecker Landes durchaus
Pferdehaltung vorkam; allerdings gab es auch in den anderen Dörfern größere Höfe,
die keine Pferde hielten; Bosse (1988), 156-165,
Grundsätzlich zu den Mißernten Dipper (1994), 61-63; Abel (1974), 191-266.
Abel (1974), 207-209.
39
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
wenn nicht so viel verdient werden kann, um genug Brot kaufen zu können“,
heißt es noch 1844.160
Der Hunger hatte demographische Konsequenzen. Die Sterblichkeit stieg
unter den Kindern und alten Menschen in diesen beiden Jahren drastisch an,
während die Geburten deutlich zurückgingen. Zwar war auch in „normalen“
Jahren die Sterblichkeit vergleichsweise hoch, wofür neben der extremen Kindersterblichkeit Epidemien (Ruhr oder Blattern) und Kriegsereignisse verantwortlich waren.161 Dennoch gehörten Jahre mit einer extrem überhöhten
Sterblichkeit eher der Vergangenheit an. Die Entwicklung von 1771-1773
musste deshalb besondere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, weil in diesen
Jahren die Regierungen erstmalig versuchten, durch systematische Erhebung
statistischer Daten Informationen über die Bevölkerungsentwicklung zu erhalten.162
Die Regierungen versuchten auf beide Herausforderungen zu reagieren, indem Getreide aus Militärmagazinen zu vergünstigten Preisen angeboten,
Höchstpreise festgelegt, Ausfuhrverbote erlassen und Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen wurden.163 Allerdings zeigten sich zugleich die Grenzen des
absolutistischen Wohlfahrtsstaates, der dieser Herausforderung nur bedingt
gewachsen war, denn das Verhalten der Untertanen war mit den herkömmlichen Mitteln nur in begrenztem Umfang zu regeln. Zielkonflikte kamen hinzu.
Viele Bauern waren bei den geringen Erntemengen auf hohe Preise angewiesen, um den vielen Verpflichtungen gegen Staat und Grundherren nachkommen zu können. Höchstpreise und Ausfuhrverbote verstärkten damit in erster
Linie die Beschäftigungskrise für die kleinen Leute, denen die Kunden und Arbeitgeber fehlten, da die Bauern überall einsparen mussten.164
Die wohlgemeinten Regelungsversuche scheiterten letztlich an der Realität
des Wirtschaftsprozesses und den divergierenden Interessen der beteiligten
Personen und Gruppen. Diese Zusammenhänge blieben den Zeitgenossen nicht
verborgen. Nicht die Anlage von neuen Kornmagazinen, sondern höhere Ernten waren die beste Vorsorge gegen ähnliche Katastrophen. Eine Erhöhung
der Produktivität konnte nur gelingen, wenn grundlegende Veränderungen
durchgeführt wurden. Die Notwendigkeit solcher Veränderungen wurde seit
160
161
162
163
164
Nach einem Bericht aus dem Vogtland, zitiert bei Jantke, Carl, Dietrich Hilger, Die
Eigentumslosen. Der deutsche Pauperismus und die Emanzipationskrise in Darstellungen und Deutungen der zeitgenössischen Literatur. Freiburg/München 1965, 53.
Abel (1974), 252-257; Rothe (1998), 137.
Fischer, Wolfram, Andreas Werner Kunz, Grundlagen der historischen Statistik von
Deutschland: Quellen, Methoden, Forschungsziele. (Schriften des Zentralinstituts für
Sozialwissenschaftliche Forschung der Freien Universität Berlin 65) Opladen 1991.
Beispiele bei Abel (1974), 226-238. Ein regionales Beispiel bei Schneider (1983), 125139.
In Schaumburg-Lippe kam es deshalb zu dem Versuch, das Verhalten der an der
Landwirtschaft beteiligten Personen durch eine gemeinsame Institution besser zu
regeln, das „Institut zur Verbesserung des Nahrungsstandes“ (Schneider (1983), 145152).
40
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
den 1770er Jahren verstärkt diskutiert. Kritik wurde an der bisherigen Wirtschaftsweise überall dort geübt, wo Zeit und Arbeitskraft verschwendet wurden: bei den bäuerlichen Zwangsdiensten ebenso wie bei der extremen Parzellierung vieler Feldmarken oder den schlecht genutzten Gemeinweiden. Regierungen und Wissenschaftler erarbeiteten Vorschläge zur Steigerung der Produktivität und gaben Anregungen für den Anbau neuer Pflanzen und die
Einführung neuer Fruchtfolgen, die Beschränkung bäuerlicher Freiheit durch
Grund- und Leibherrschaft wie sie im nächsten Kapitel beschrieben wird, wurde zunehmend als nicht mit den Erfordernissen der Zeit verträglich empfunden.
4.
Ein Forschungsdiskurs
Die beschriebenen Strukturen und Prozesse zeigen, dass die agrarisch-ländliche Gesellschaft vor 1800 weder statisch noch weltabgewandt, sondern in ein
komplexes überregionales ökonomischen und gesellschaftlichen System integriert war. Von der Forschung wurden diese Elemente lange Zeit nicht berücksichtigt, weil sie mit wenigen Ausnahmen bis in die 1970-er Jahre vornehmlich Verfassungsgeschichte betrieb.
Vor fast 30 Jahren setzte jedoch eine wissenschaftliche Debatte ein, die
langfristig zu einer wesentlich differenzierteren Bewertung ländlicher Verhältnisse führte. Ausgangspunkt war ein 1975 veröffentlichter Aufsatz von Franklin F. Mendels über Flandern, in dem er das Zusammenwirken zweier benachbarter, aber sehr unterschiedlicher Regionen in Flandern untersuchte: Einerseits eine agrarisch, andererseits eine gewerblich strukturierte, die beide in
einem ökonomischen Wechselverhältnis zueinander standen.165 Die Leinen
herstellende gewerbliche Region war auf den Ankauf von Getreide aus der
agrarischen Region angewiesen, die damit einen wichtigen Markt für ihre Produkte fand, was die Intensivierung der Landwirtschaft förderte. Mendels sah
damals in der gewerblichen Region eine Vorstufe für die Industrialisierung.
Dieser Forschungsansatz wurde wenige Jahre später in einer heftig diskutierten Studie über die „Industrialisierung vor der Industrialisierung“ theoretisch
begründet und regional ausgeweitet.166 Unabhängig von der Frage, ob es sich
165
166
Mendels, Franklin, Proto-Industrialization: The First Phase of the Industrialization
Proces in: Journal of Economic History, 32 (1972), 241-261.
Kriedte, Peter; Hans Medick, Jürgen Schlumbohm, Industrialisierung vor der Industrialisierung. Gewerbliche Warenproduktion auf dem Land in der Formationsperiode
des Kapitalismu Göttingen 1977; zu dem dann einsetzenden umfassenden Forschungsdiskurs fehlt noch eine Gesamtdarstellung; siehe aber exemplarisch: Cerman,
Ogilvie: Einleitung: Theorien der Proto-Industrialisierung. In: Cerman, Ogilvie
(1994), 9-21. Ebeling, Dietrich, Wolfgang Mager, Protoindustrie in der Region: europäische Gewerbelandschaften vom 16. bis zum 19. Jahrhundert. (Studien zur Regionalgeschichte 9) Bielefeld 1997. Jetzt auch Kriedte, Peter; Hans Medick; Jürgen
Schlumbohm, Jürgen Schlumbohm, Eine Forschungslandschaft in Bewegung: die
Proto-Industrialisierung am Ende des 20. Jahrhundert in: Jahrbuch für Wirtschafts-
41
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
bei dabei wirklich um Vorläufer der Industrialisierung handelte, lassen sich
aus der damaligen Studie, den folgenden Diskussionen und weiteren Untersuchungen doch einige bemerkenswerte Schlussfolgerungen ziehen.167
Die ländliche Welt vor der Industrialisierung war nicht spätestens seit dem
Beginn des 18. Jahrhunderts keineswegs mehr eine rein bäuerlich-statische.
Sie war erstens durch einen sich kontinuierlich erhöhenden Anteil nichtbäuerlicher, gewerblich orientierter Bevölkerung gekennzeichnet und sie zwar
zweitens in Teilbereichen dynamisch, d.h. von schnellem Wandel und Veränderung erfasst.
Der nichtbäuerliche Bevölkerungsanteil nutzte zwar weiterhin die Möglichkeiten ländlicher Subsistenzsicherung über die Bewirtschaftung eigenen
Landes, die Nutzung der Gemeinweiden und die Arbeit als Tagelöhner bei den
bäuerlichen Betrieben. Er war aber gezwungen, diese durch zusätzliche Aktivitäten zu ergänzen, die sich aus dem lokalen oder kleinregionalen Kontext ergaben (Handwerker für den örtlichen Bedarf), in zunehmenden Maße aber
durch überregionale Strukturen bestimmt wurden.168 Besondere Beachtung
hat der nordwestdeutsche „Leinengürtel“ gefunden, da er am besten in das
1977 entwickelte Konzept der „Industrialisierung vor der Industrialisierung“
passte. Während die Leinenherstellung in internationale Handels- und Austauschbeziehungen integriert war, handelte es sich bei der Hollandgängerei
um eine saisonale Wanderarbeit in die Niederlande. Beide „Hauptwege“ der
gewerblichen Existenzsicherung in Nordwestdeutschland waren damit auf
Rahmenbedingungen angewiesen, die stark von überregionalen Faktoren abhängig waren – der Nachfrage nach Leinen in Übersee oder nach Arbeit in den
Niederlanden.
Während die Produktion des Leinens auf dem flachen Land stattfand, wurde der Handel von bürgerlich-städtischen Kaufleuten übernommen. Nur durch
deren Zwischenposition gelang es, die internationalen Märkte zu nutzen. Die
Beziehungen zwischen Produzenten und Händlern konnten in unterschiedlicher Weise geregelt sein. Beim Verlagssystem lieferte der Händler den Produzenten die Rohware und nahm das Fertigprodukt ab. Im Kaufsystem beschaffte der Produzent den Rohstoff (Garn) selbst und verkaufte dem Händler das
fertige Produkt.
Die ländliche exportorientierte bzw. exportabhängige Leinenweberei blieb
dem ländlichen Milieu und Existenzformen verhaftet, denn die Weber konnten
nur deshalb im internationalen Handel bestehen, weil sie aufgrund ihrer ökonomischen Absicherung innerhalb der dörflichen Ökonomie zu sehr niedrigen
Löhnen bzw. Preisen arbeiten konnten. Daraus folgerte auch, dass sie weiterhin in den saisonalen ruralen Arbeitsrhythmus eingebunden blieben und die
gewerbliche Tätigkeit als Saisonarbeit betrieben. Neben den klein- und unterbäuerlichen Bevölkerungsgruppen traten aber auch Bauern als Produzenten
167
168
geschichte, 1998, 9-20.
Kriedte, Medick, Schlumbohm (1977); Schlumbohm (1994).
Bölsker-Schlicht (1987), 88 ff.
42
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
auf, die die arbeitsschwachen Phasen im Jahr für einen zusätzlichen Verdienst
nutzten.169 Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts lassen sich Anzeichen dafür
erkennen, dass die beschriebenen landwirtschaftlichen Bindungen sich aufzulösen beginnen und die Leinweber nahezu vollständig gewerbliche Arbeiter
waren, deren agrarische Grundlage minimal wurde.
Neben den ökonomischen Aspekten verdienen die demographischen ebenfalls besondere Aufmerksamkeit. In den frühen Überlegungen der „Industrialisierung vor der Industrialisierungs“ Studie gingen die Autoren noch davon
aus, dass in den ländlichen Gebieten mit einer verstärkten gewerblichen Komponente sich einer anderes demographisches Muster nachweisen lasse als in
den bäuerlichen Gebieten. Für letzteres ging man von einem Modell aus, welches dem „european marriage pattern“ entsprach und darin bestand, dass
durch ein spätes Heiratsalter und eine begrenzte Zahl an Hochzeiten der Geburtenüberschuss relativ begrenzt blieb und damit ein angesichts begrenzter
ökonomischer Ressourcen gefährliches schnelles Bevölkerungswachstum verhinderte.170 Demgegenüber, so die ursprüngliche Annahme, gab es in den protoindustriellen Gebieten ein stark abweichendes Verhalten, welches in frühen
Hochzeiten und einer hohen Kinderzahl ebenso bestand wie in einer Zunahme
der Ehen, da junge Familien nun nicht mehr darauf angewiesen waren, eine
Hofstelle zu übernehmen, sondern ihre Existenz auf einen Webstuhl und eine
kleine Mietwohnung gründen konnten. Dieses neue Heiratsmuster löste einen
schnellen Bevölkerungszuwachs aus, der letztlich in die Industrialisierung
mündete.
Wir wissen inzwischen, dass diese relativ einfachen Modelle nicht einer
komplexen Wirklichkeit entsprachen, aber jenseits aller mittlerweile notwendigen Differenzierung weisen sie auf einen für die vorliegende Untersuchung
zentralen Aspekt hin, dass die vorindustrielle ländlich-dörfliche Welt weder
durch Uniformität noch durch Statik gekennzeichnet war. Die Art und Weise,
wie die Menschen dieser Welt über ihre Zukunft entschieden, und das geschah
nun nicht zuletzt mit der Heirat bzw. der fehlenden Möglichkeit zum Heiraten, belegt, dass es keineswegs eine einheitliche Form gab, sondern, abhängig
von Regionen, ökonomischen Fakten und soziologischen Zuordnungen, verschiedene Wege gab, die sich einer vereinfachenden Bewertung entziehen.
Auch wenn sich manche der ursprünglichen Annahmen der Protoindustrialisierungs-Theorie nicht aufrechterhalten ließen, so bleibt das Verdienst dieses
Ansatzes nicht nur, die weitere Forschung entscheidend angeregt zu haben,
sondern auch, erneut auf eine Aspekte hinzuweisen, die zu leicht bei einer Bewertung dörflicher Verhältnisse übersehen werden. Sie zeigen, dass das Dorf
der frühen Neuzeit keineswegs von Bauern dominiert war, sondern die unterbäuerliche Bevölkerung tatsächlich in der Überzahl war, wenngleich sie nur
169
170
Dazu Schlumbohm (1994) über Belm.
Vorbildlich waren und sind die englischen Studien, etwa die klassische ältere von
Stone, Lawrence, The family, sex and marriage in England 1500-1800. (Penguin history London [u.a.] Abridged ed 1990.
43
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
über den Bruchteil des Bodens verfügen konnte, damit auf gewerbliche Tätigkeiten ausweichen musste und in deren Nutzung die Chance sah, eine eigene
Familie zu gründen, wobei dieser Weg davon abhängig blieb, ob die Rahmenbedingungen (Absatzchancen auf den internationalen Märkten) gewahrt blieben.
5.
Eine Frage der Perspektive
Die Analyse sozialer und ökonomischer Verhältnisse auf den Dörfern folgt
auch in dieser Darstellung sehr stark den vorhandenen Quellen. Diese allerdings beinhalten eine Problematik, die hier nicht gelöst, wohl aber diskutiert
werden soll. Basis unserer Klassifizierung der ländlichen Gesellschaft sind
statistische Daten der frühneuzeitlichen Landesherren und ihrer Verwaltung.
Ihr Interesse bei der Erhebung der Daten lag darin, einen Überblick über die
ökonomische Leistungsfähigkeit der Höfe zu erhalten, wobei in erster Linie
der Landbesitz die Bemessungsgrundlage darstellte. Andere Einkünfte wurden dagegen nicht oder nur ansatzweise zugrunde gelegt. Dagegen wurden die
feudalen Belastungen weitgehend umfassend und genau wieder gegeben. Daraus ergeben sich heute Probleme für die Forschung, denn sie ist nur ansatzweise in der Lage, die tatsächlichen Einkünfte der landwirtschaftlichen Betriebe zu errechnen, von den grundsätzlichen methodischen Schwierigkeiten
einmal abgesehen, die entstehen, wenn die Einkünfte aus landwirtschaftlicher
Tätigkeit exakt bemessen wurde.171
Hier soll aber auf ein anderes Problem verwiesen werden: die Ordnung der
ländlichen Bevölkerung in Hausbesitzende und Nichthausbesitzende, vor allem in die frühneuzeitlichen Hofklassen der Meier, Halbmeier, Großkötner
usw. signalisiert eine Ordnung der ländlichen Gesellschaft, die lediglich das
Ergebnis landesherrlicher Vorstellung war. Inwiefern nicht auch andere Ordnungskriterien, etwa nach Wohlstand, nach sozialer Stellung im Dorf oder anderes von Bedeutung war, lässt sich aus diesen Daten schlecht ablesen. Zwar
wissen wir etwa aus Prozessakten, dass innerhalb des Dorfes offenbar die
großen Stellen an der Stelle der Hierarchie lagen, aber das ist nur eine mögliche Ordnung. Vor allem aber blendet der Blick auf die Hofklassen aus, dass
Wohlstand im Dorf auch auf andere Weise als durch landwirtschaftliche Tätigkeit erworben werden konnte. Was wir aus den vorhandenen Daten auch ablesen können, ist nicht nur, dass die ländliche Bevölkerung keineswegs homogen
war, sondern auch, dass unser Bild vom „Bauern“ einer Revision bedarf. 172 Die
damit häufig verbundene Annahme einer rein ländlichen, statischen Existenz
kann den neueren Forschungsbefunden nicht mehr standhalten. Protoindustrielle Tätigkeiten förderten ebenso wie saisonale Wanderarbeiten eine erhöh171
172
Dazu allgemein Achilles (1982).
Vgl. dazu den aktuellen Diskurs zwischen Michael Kearny und Michael J. Watts:
Kearney, Michael, Michael J. Watts, Rethinking Peasant A Dialog. In: Österreichische
Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 13 (2002), 51-61.
44
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
te Mobilität dieser Gruppen, die zudem verstärkt nicht landwirtschaftliche Tätigkeiten ausübten. Zugleich dürften die Angehörigen dieser Gruppen auch in
den Heimatregionen mobiler gewesen sein, als es häufig angenommen wird.
Denn für die Angehörigen der land- und hauslosen Unterschichten gab es keinen festen Wohnstandort, sondern sie bewegten sich in einem engeren räumlichen Umfeld.
3. Herrschaftliche Abhängigkeit
1.
Formen der Abhängigkeit
Abhängigkeit von Herrschaftsträgern gesellte sich zu der von Natur und Wetter. Sie beruhte seit dem 16. Jahrhundert auf der Verbindung zweier Komponenten: einer personalen, sich räumlichen Abgrenzungen entziehenden, und
einer territorialen. Erstere wird auch zusammenfassend als Grundherrschaft
bezeichnet. Dazu zählten neben der Grundherrschaft im engeren Sinn auch
die Leibherrschaft oder Eigenbehörigkeit, das Zehntrecht oder die niedere Gerichtsbarkeit.173
Die territoriale Komponente war besonders gut dort ausgebildet, wo der
Landesherr seit dem 14./15. Jahrhundert eine flächendeckende Verwaltung in
Form der Ämter aufbaute.174 Die landesherrlichen Ämter nahmen eine Zwitterstellung ein, denn sie hatten sowohl öffentliche Aufgaben 175 zu erfüllen als
auch den grundherrlichen Besitz des Landesherrn zu verwalten, der aus diesen Einkünften seine Staatsausgaben finanzierte. Der Landesherr war also insofern nichts anderes als ein besonders großer, öffentliche Aufgaben übernehmender Grundherr. Diese Zwitterstellung der Ämter wie des gesamten Staates, in dem sich nach heutiger Anschauung öffentliche und private Elemente
miteinander verbanden, war ein Spezifikum der frühneuzeitlichen Gesellschaft. Seit dem späten Mittelalter genügten die grundherrlichen Einnahmen
des Landesherrn allerdings nicht mehr aus, um die steigenden Staatsausgaben zu finanzieren. Deshalb wurden in Abstimmung mit den Landständen, der
Vertretung des Adels, der Kirche und der Städte, Steuern beschlossen und er173
174
175
Es fehlt eine neuere Agrargeschichte Niedersachsen, weshalb nur auf Einzelbeiträge
hingewiesen werden kann; einen guten Überblick für die Zeit der frühen Neuzeit bietet immer noch Werner Wittich (Wittich, Werner, Die Grundherrschaft in Nordwestdeutschland. Leipzig 1896. Erster Abschnitt, „Die ländliche Verfassung Niedersachsens und der westfälischen Gebiete Kurhannovers im 18. Jahrhundert“ sowie aus dem
zweiten Abschnitt die Kapitel X und XI); für das Spätmittelalter ist jetzt heranzuziehen Hauptmeyer (1997), 1110-1130. Einen gewissen Ersatz bieten die entsprechenden
Kapitel in Hucker, Bernd Ulrich; Ernst Schubert, Bernd Weisbrod, Hrg, Niedersächsische Geschichte, Göttingen 1997, 185-201, 304-327. Weitere regionale Einzelstudien
werden im Folgenden zitiert.
Wittich (1896), 147-184; Hirschfelder (1971), 14-20.
Insofern waren sie Vorläufer der heutigen Kreisverwaltungen.
45
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
hoben. Die Steuern verdrängten jedoch nicht die grundherrlichen Einnahmen
des Landesherrn, sondern ergänzten sie. Parallel mit deren Erhöhung erfolgte
ebenfalls im 16. Jahrhundert der Ausbau der landesherrlichen Eigenbetriebe
(Vorwerke) zur Erhöhung der naturalen Einnahmen.176
Die modernisierte landesherrliche Verwaltung diente nicht zuletzt der verbesserten Erfassung sämtlicher, dem Landesherrn zustehenden grundherrlichen Leistungen. Eine der ersten Aufgaben der Ämter war deshalb die systematische Sammlung von Informationen über die pflichtigen Höfe, die uns in
Form der sogenannten registerförmigen Quellen (in der Sprache der Zeit:
Amts-, Lager-, Hausbücher oder Erbregister) überliefert wurden. 177 Eine Eintragung im Erbregister des Amtes Neustadt von 1620 soll den Informationsgehalt eines solchen Registers verdeutlichen. Bei dem Dorf Frielingen nördlich
von Hannover heißt es u.a.:
„dienstpflichtige Großköt(n)er”: „Frantz Langreder ist 20 Jahr, hat bey seinem
Hofe 12 Morgen, Illsmo. zustendig, zinset ans Haus Neustadt 4 fl.(Gulden) 15 g.
(Groschen). Anstadt des Zehnten jerlichs ein Schwein. Hat eine Wiese vom Haus
Ricklingen, zinset dahin 24 g. Dienet den Sommer 2 Tage die Woche, den Winter
eine Wochen umb die andere 2 Tage und thut Burgfest und Erntedienst. Das Ge wehr ist eine Hellebarte und Degen.” 178
Die Angaben der Eintragung lassen sich in folgende Gruppen aufteilen:
• Einordnung des Hofes in eine „Bauernklasse”, hier ein dienstpflichtiger
Großkötner,
• Hinweise zur Person des Bauern (Name und Alter),
• Größe und Art des bewirtschafteten Landes (Ackerland in Morgen, Wiesen
in Fuder Heu),
• Nennung der Personen, denen der Bauer Abgaben zu entrichten hat: in diesem Fall der Landesherr (= Illustrissimo, der Gnädigste), bzw. das „Haus“
Neustadt/Ricklingen, gemeint ist das Amt,
• Bezeichnung der Abgaben (Zins, Zehnt) und der Dienste (Burgfest[dienst],
Erntedienst),
• Höhe der Abgaben und Umfang der Dienste,
• Bewaffnung im Kriegsfall.
Diese Angaben vermitteln uns eine erste Vorstellung von einigen wesentlichen
Merkmalen bäuerlicher Abhängigkeit in der frühen Neuzeit von ca. 1500 bis
1800 bzw. sogar 1850. Die Bauern waren nicht Eigentümer, sondern sie hatten
176
177
178
Krüger, Kersten, Finanzstaat Hessen 1500 - 1567: Staatsbildung im Übergang vom
Domänenstaat zum Steuerstaat. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission
für Hessen 5) Marburg 1980; Riesener, Dirk, Das Amt Fallersleben. Regionalverwaltung des fürstlichen Staates vom 16. bis zum 19. Jahrhundert. (Texte zur Geschichte
Wolfsburgs 22) Braunschweig 1991.
Schneider, Karl Heinz, Die Arbeit mit Fachliteratur. Bausteine zur Heimat- und Regionalgeschichte. (Schriften zur Heimatpflege 1) Hannover 1987, S. 46-50.
Ehlich (1984). Zu Frielingen: Bartel-Tretow, Karin, Frielingen: ein Dorf erzählt. Mit
einem Vorwort von Carl-Hans Hauptmeyer. Braunschweig 1985.
46
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
lediglich ein Nutzungsrecht am Hof und dem dazugehörigen Land, wofür sie
an den oder die Eigentümer Abgaben und Dienste entrichten mussten.
a)
Die Grundherrschaft
Die Verfügung über Grund und Boden, und damit häufig auch über die Menschen, gehörte zu den zentralen Elementen der agrarischen Gesellschaft. 179
Die Art und Weise, wie diese Verfügungsgewalt wahrgenommen wurde, erlaubt einen wichtigen Einblick in die Strukturen und elementaren Grundlagen
der frühneuzeitlichen Gesellschaft. Die Grundherrschaft war zentraler Bestandteil einer Gesellschaft, welche durch Ungleichheit ebenso geprägt war
wie durch die grundlegende Bedeutung von Landbesitz, der nicht allein von
zentraler ökonomischer Bedeutung war, sondern zugleich über die gesellschaftliche Stellung, damit über Prestige und Chancen zur Machtausübung
entschied.
Größte Grundbesitzer waren der Landesherr, der Adel und die Kirche. Das
Land wurde zu einem großen Teil von Bauern bewirtschaftet, die lediglich ein
Nutzungsrecht hatten (dominium utile), während das Obereigentum (dominium directum) beim Grundherrn lag, der damit die entscheidende Verfügungsgewalt über den Bauern und das Land ausübte. Während im Mittelalter Land
und Leute (Bauern) eng miteinander verknüpft waren, hatte sich diese Bindung im Übergang zur Neuzeit weitgehend aufgelöst. Dies hatte zur Folge,
dass bestimmte Höfe nur von Eigenbehörigen bewirtschaftet werden konnten.
Tabelle 5 Hofklassen im Fürstentum Calenberg 1689
Hofklasse
absolut
v.H.
durchschn. Hofgröße in Morgen
Vollmeier
1.531
16
50
Halbmeier
1.038
11
34
Kötner
4.285
45
9
Brinksitzer
2.225
24
4
Häuslinge
405
4
–
Gesamt
9.484
100
12
Quelle: Eigene Berechnung nach Franz, Struktur.
179
Knapper Überblick zur grundherrlichen Bindung der Bauern bei Trossbach, Werner,
Bauern 1648 - 1806. (Enzyklopädie Deutscher Geschichte 19) München 1993, 6-20; die
rein rechtlichen Verhältnisse beschreibt Lütge, Friedrich, Geschichte der deutschen
Agrarverfassung vom frühen Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert. Stuttgart 2 1967,
116-200; für Niedersachsen immer noch wichtig Wittich (1896), insbes. 1-11 (Grundherrschaft und Rittergut in Niedersachsen), 19-83 (Bäuerliches Besitzrecht) ; neuerdings Achilles, Walter, Deutsche Agrargeschichte im Zeitalter der Reformen und der
Industrialisierung. Stuttgart 1993, 42-48. Die mittelalterlichen niedersächsischen
Verhältnisse jetzt bei Hauptmeyer (1997), 1055-1094; auf diese Darstellung sei grundsätzlich verwiesen.
47
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
Kennzeichen der grundherrschaftlichen Verhältnisse war deren Zersplitterung: neben dem jeweiligen Landesherrn übten Adelige, Bürger, Städte und
nicht zuletzt kirchliche Einrichtungen wie Pfarren, Stifte oder Klöster grundherrliche Rechte au In Niedersachsen gab es zudem keine geschlossenen Herrschaftsbezirke einzelner Grundherren, sondern eine Gemengelage von Herrschaftsrechten, die sich bis auf den einzelnen Hof fortsetzen konnte.180
So hatten die Meier des Dorfes Seelze Anfang des 17. Jahrhunderts folgende
Grundherren181:
• Die Witwe des dienstpflichtigen Meiers Diedrich Lockemanns zahlte dem
Pastor den Grundzins, sie diente außerdem an das Amt Blumenau.
• Der „freie Junkern Meier“ Curdt Röver gab seinen Grundzins an die von Alten zu Dunau und Goltern, mußte an diese auch dienen und hatte zudem
geringe Dienste dem Amt Blumenau zu leisten.
• Ähnlich erging es Hans Rindfleisch, dessen Grundherr Tonnies von Campen
war.
• Grundherr des Arndt Gieseken war der Kammermeister Albert Everding,
außerdem waren geringe Diensten und Abgaben an das Amt Blumenau zu
entrichten.
• Albert Everding hatte den Hof des Curdt Gisken übernommen, „weil der
Meyer darauf verarmt und seine Zinße jerlich nicht entrichten konnen“.
Das hier an einem Beispiel erläuterte Bild ließe sich in größerem Maßstab
wiederholen; als Muster bliebe die starke Gemengelage und das räumliche Nebeneinander unterschiedlicher Herrschaftsrechte.182
Exemplarisch sollen hier einige Daten aus dem Amt Blumenau wiedergegeben werden. Bemerkenswert ist die Verteilung der Grundherren (siehe Tabelle
50). Hier waren kirchliche Einrichtungen mit weitem Abstand wichtigste
Grundbesitzer, es folgten der Adel und dann erst der Landesherr, nur knapp
vor Bürgern.
Tabelle 6: Grundherren im Amt Blumenau b. Hannover Anfang 16.
Jahrhundert
Kirche
Adel
180
181
182
39,5 %
24,9 %
Neueste Darstellung dieser Verhältnisse bei Reinders-Düselder, Christoph, Ländliche
Bevölkerung vor der Industrialisierung. Geburt, Heirat und Tod in Steinfeld, Damme
und Neuenkirchen, 1650 bis 1850. (Materialien und Studien zur Alltagsgeschichte
und Volkskultur Niedersachsens 25) Cloppenburg 1995, etwa S. 55-57.
Es handelte sich hier um die dienstpflichtigen Meier und die freien Meier; Lathwesen,
Heinrich [Bearb.], Das Lagerbuch des Amtes Blumenau von 1600: ergänzt aus dem
Lagerbuch von 1655. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 4) Hildesheim 1978, 59-66; Neuabdruck in Hauptmeyer, CarlHans, Ulrike Begemann, Quellen zur Dorf- und Landwirtschaftsgeschichte. Der Raum
Hannover im Mittelalter und in der Neuzeit. (Hannoversche Schriften zur Regionalund Lokalgeschichte 3) Bielefeld 1992.
Beispiele hierfür lieferte schon Wittich (1896), siehe etwa die Beispiele in den Anlagen, etwa die Verteilung der Grundherrschaft im Amt Rethen, Anlagen S. 25-29.
48
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
Stifte/Klöster
20,4 %
Landesherr
19,7 %
Sonstige
14,1 %.
Bürger
13,7 %
Das Lagerbuch des Amtes Blumenau von 1600 ergänzt aus dem Lagerbuch von 1655
(= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 34
= Quellen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Niedersachsens in der Neuzeit 4), bearb. von Heinrich Lathwesen, Hildesheim 1978, eigene Auswertung.
Betrachtet man die Verteilung der Grundherren je nach Hofklassen, so zeigt
sich, dass die großen und zugleich ältesten Höfe als Grundherren vorwiegend
Klöster und Stifte hatten, während bei den kleinen, jüngeren Stellen (Kötner,
Brinksitzer) die Kirche und der Landesherr die wichtigsten Grundherren waren. Eine Sonderstellung nahmen die „freien“ Höfe ein, deren Grundherren
entweder die Kirche oder der Adel war. „Freiheit“ bezog sich hier offenbar lediglich darauf, dass sie dem Landesherrn nicht dienstpflichtig waren.
Tabelle 7: Die Verteilung der Grundherren nach Hofklassen im Amt
Blumenau b. Hannover
in v.H.
Klasse
Landesherr
Kirche
Übrige
Adel
Bürger
Sonst.
kirchliche
Institutionen
Vollmeier
8,1
13,3
47,3
13,5
10,8
6,8
Freie Vollmeier
3,3
13,6
1,7
66,1
10,2
5,1
Halbmeier
6,4
12,8
32,1
8,9
25,6
14,1
Freie Halbmeier
7,5
27,5
-52,5
7,5
5,0
Höfelinge
-10,0
-65,0
25,0
Kötner
21,7
35,6
14,0
7,9
7,0
14,0
Freie Kötner
13,5
47,9
1,0
25,0
8,3
4,2
Brinksitzer
22,5
35,5
12,9
-9,6
16,7
Das Lagerbuch des Amtes Blumenau von 1600 ergänzt aus dem Lagerbuch von 1655
(= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 34
= Quellen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Niedersachsens in der Neuzeit 4), bearb. von Heinrich Lathwesen, Hildesheim 1978, eigene Auswertung.
Die Existenz von „freien“ Höfen, die dennoch den Landesherrn als Grundherrn
hatten, verweist darauf, dass eine Reihe von Bauern hatte mehr als einen
Grundherrn hatten. Von 566 Betrieben hatten 103 zwei Grundherren, weitere
55 sogar mehr als zwei. 90 Betriebe hatten gar keinen Grundherrn, sondern
nur Hofherren, was daran lag, dass es sich um zu Stellen ohne Landbesitz
handelte. Es gab also sogar die Unterscheidung zwischen Hofherr und
Grundherr, also die Trennung der Herrschaftsrechte über den einzelnen Bauernhof von denen über das Ackerland. Die schon erwähnte Gemengelage der
Herrschaftsrechte wird auch an diesen Verhältnissen wieder deutlich erkennbar.
Diese Gemengelage mag zunächst den Bauern wie einen Gefangenen in einem dichten Netz unterschiedlicher Rechte und Ansprüche erscheinen lassen.
49
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
Sie dürfte aber eher den gegenteiligen Effekt gehabt haben, da die Rechtsansprüche der verschiedenen Herren sich gegenseitig blockieren konnten. Außerdem hatten die Bauern die Möglichkeit, die verschiedenen Grundherren gegeneinander auszuspielen, etwa den Landesherrn gegen den adeligen Grundherren.
Welche Konsequenzen dagegen eine Bündelung von Herrschaftsrechten
hatte, zeigt das Beispiel der Gebiete mit Gutsherrschaft, die für die Bauern
eine extreme persönliche wie sachliche Abhängigkeit zur Folge hatte. Als Eigenbehörige und Schollenpflichtige einem einzigen Gutsherrn unterworfen,
der alle Herrschaftsrechte in seiner Hand vereinigte, zu hohen Dienstleistungen auf dem Gutsbetrieb verpflichtet, entsprachen sie dem Stereotyp des abhängigen geknechteten Bauern.183 Inzwischen wurde das Bild allerdings verfeinert, ist facettenreicher geworden und hat zu einer Abschwächung des bisher formulierten Kontrastes geführt.184
Neben der rechtlichen Abhängigkeit dürften weitere Faktoren eine Rolle bei
der Ausgestaltung der konkreten Situation gespielt haben. Immerhin gab es
eine große Bandbreite von Rechtsverhältnissen, die selbst in kleinen Territorien wie in der Grafschaft Schaumburg (-Lippe) anzutreffen waren; sie reichte
von freien über fast-freie bis hin zu eigenbehörigen Bauern. 185 In Osnabrück
waren von 5000 Bauern etwa 3200 Eigenbehörige von Grundherren, während
der Landesherr relativ wenig abhängige Bauern hatte. 186 Andererseits dominierte in der Grafschaft Schaumburg-Lippe der Landesherr eindeutig die
Grundherrschaft, wenngleich sein Anteil an den grundherrlich gebundenen
Bauern zuweilen überschätzt wird.187
Im mittleren und südlichen Niedersachsen gab es vor den Agrarreformen
nur wenige grundherrenfreie Bauern, die ihr Land ohne Einschränkung zu Eigentum besaßen und darüber frei verfügen konnten. In der Grafschaft Hoya
waren es im 18. Jahrhundert Holländer, die im Mittelalter angesiedelt worden
waren, Altfreie, Freigelassene und Vogteileute. 188 Vor allem in Rodungsgebieten konnten freie Bauern einen größeren Anteil haben, allerdings waren die
„freien Häger” im Schaumburgischen lediglich persönlich frei, unterlagen aber
183
184
185
186
187
188
En knapper neuerer Überblick bei Rösener, Werner, Die Bauern in der europäischen
Geschichte. (Europa bauen) München 1993, 137-152.
Dazu jetzt die beiden Sammelbände Peters, Jan, Hrg, Gutsherrschaft als soziales
Modell; vergleichende Betrachtungen zur Funktionsweise frühneuzeitlicher Agrargesellschaften. München 1995; Peters, Jan, Barbara Krug-Richter, Konflikt und Kontrolle in Gutsherrschaftsgesellschaften: über Resistenz- und Herrschaftsverhalten in
ländlichen Sozialgebilden der Frühen Neuzeit. Göttingen 1995.
Schneider (1994), 63-71.
Landesherr: 14,3 %, Domkapitel 11,8 %, Adelige aus Osnabrück 38,8 %, Auswärtige
35,1 %; Hirschfelder (1971), 51-54.
Schneider (1994), 67.
Röpke (1924), 17-23.
50
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
gleichwohl grundherrlichen Bindungen.189 Auch die so genannten Freien im
Amt Ilten waren grundherrschaftlich gebunden.190
Anders lagen die Verhältnisse in den reichen Marschengebieten Ostfrieslands und Nordoldenburgs sowie in den Ländern Wursten und Kehdingen, wo
sich viele Bauern schon früh frei gekauft hatten, sofern sie nicht ohnehin ihr
Land zu freiem Eigentum besaßen. Sie konnten ohne Genehmigung eines
Grundherrn ihr Land bzw. ihre Hofstelle veräußern, verpachten oder teilen. So
konnte sich hier schon früh eine gewinnorientierte Landwirtschaft mit großen
Höfen entwickeln.191 Aber das war eher die Ausnahme, denn ansonsten waren
viele der westniedersächsischen, eigentlich westfälischen Bauern bis in das
19. Jahrhundert weder freie Inhaber ihrer Höfe noch ihres Landes, in den
westlichen Gebieten waren sie auch noch persönlich als Eigenbehörige ihrem
Leibherrn verpflichtet. Dass manche Kategorien zur Beschreibung ökonomischer und sozialer Realitäten unzureichend sind, mag daran ablesbar sein,
dass im Oldenburgischen vorrangig die vom Status her hochstehenden Vollhöfe (Vollerben) Eigenbehörige, die Inhaber der (jüngeren) Kleinstellen zumeist
Freie waren.192
Es gab mithin eine Reihe von regionalen Eigenheiten, keineswegs ein homogenes Bild der agrarischen Verhältnisse. Einen groben Überblick soll die folgende Aufstellung über wichtige Besitzrechte Niedersachsens auf, um einen
Überblick verschaffen.193
b)
Das Meierrecht
Vorherrschendes und prägendes Besitzrecht in Niedersachsen war das Meierrecht. Aus dem zunächst nur zeitlich begrenzten Nutzungsrecht wurde im Verlauf des 16. Jahrhunderts ein „erbliches dingliches Recht auf Nutzung fremden Gutes mit der Verbindlichkeit, das Gut den Grundsätzen bäuerlicher
Wirtschaftsführung gemäß zu bewirtschaften, bestimmte jährliche Leistungen
davon zu entrichten und nach Ablauf bestimmter Perioden einen neuen Meierbrief zu lösen”194. Während Ackerland, Wiesen und Hofstätte zu Meierrecht
verliehen waren, gehörten die Hofgebäude in der Regel zum Eigentum (Allod)
189
190
191
192
193
194
Schneider (1994), 1; allerdings hatten die Häger keine Grundzinsen zu leisten,
Fritzemeier, Arnd, Die Korporation der Freien im Amt Ilten bei Hannover vom 17. bis
zum 19. Jahrhundert. (eine Gemeinschaft von Bauern als Teil der Amtsverwaltung
und als Interessenvertretung). Univ, Diss.--Hannover, 1992, 111-132.
Der große Reichtum der Marschenbauern führte allerdings auch zu großen sozialen
Unterschieden: Kappelhoff, Bernd, Absolutistisches Regiment oder Ständeherrschaft?
Landesherr und Landstände in Ostfriesland im 1. Drittel des 18. Jahrhundert. Hildesheim 1982, 35-46.
Reinders-Düselder (1995), 159.
Einen guten Überblick bietet neben Wittich (1896), 19-72, die Festschrift zum 100jährigen Bestehen der Königlichen Landwirtschaftsgesellschaft in Celle: Königliche
Landwirtschaftsgesellschaft (1864), 2, 250-255, 398-404. Außerdem Oberschelp,
Reinhard, Niedersachsen 1760 - 1820: Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur im Land Hannover und Nachbargebieten. Hildesheim 1982, 106-110.
Wittich (1896), 3.
51
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
des Bauern.195 Ein Hof konnte aber nicht nur Land nach dem Meierrecht besitzen, sondern auch nach weiteren Besitzrechten, wie dem Erbzinsrecht, dem
Lehnrecht oder als Erbe.196 Doch insgesamt dominierte das Meierrecht in Niedersachsen.
Es hatte gleichsam zwei Gesichter. Auf der einen Seite brachte es den Bauern ein vergleichsweises hohes Maß an Sicherheit, sowohl hinsichtlich des Hofes als auch der Abgaben. Ein „Bauernlegen“, d.h. das Aufkaufen bäuerlicher
Betriebe, war kaum noch möglich, nachdem im 16. Jahrhundert noch Landesherren und Adelige davon Gebrauch gemacht hatten. 197 Allerdings gab es das
Abmeierungsrecht, welches jedoch nur selten angewandt wurde. Es gab dem
Grundherrn grundsätzlich die Möglichkeit, bei bestimmten groben Versäumnissen der Bauern, diese vom Hof zu entsetzen und sie durch einen neuen
Bauern zu ersetzen.
Außerdem wurden die Bauern vor Abgabenerhöhungen ihrer Grundherren
geschützt. Diese Seite ist in der älteren Literatur immer wieder hervorgehoben worden, zumal sie mit den ostelbischen Verhältnissen und der dortigen
drastischen Verschlechterung bäuerlicher Besitzrechte kontrastiert.198
Doch das Meierrecht hatte noch ein zweites, zuweilen vergessenes Gesicht:
Es war mit vielen Einschränkungen für den Bauern verbunden, die sowohl die
Verfügungsgewalt über den bewirtschafteten Hof als auch die verstärkte Einführung von neuen Steuern betrafen. Über den ersten Punkt geben die zeitgenössischen Meierbriefe in Verbindung mit der Gesetzgebung gute Auskunft.
Als Beispiel sei der Meierbrief des Carl Heinrich Herbst aus Wennigsen
genommen, der am 24. Dezember 1707 ausgestellt wurde.199 Beteiligte des Vertrages waren die Äbtissin des Klosters Wennigsen und der dortige Amtmann
für den Konvent auf der einen, der genannte Carl Heinrich Herbst auf der anderen Seite. Zu einem Meierhof gehörte nicht nur das Ackerland, sondern ein
ganzes Bündel von Nutzungsrechten, die zu Beginn des Briefes detailliert beschrieben werden. Sie setzen sich aus folgenden Elementen zusammen:
1. die Beschreibung des zum Hof gehörigen Landes, in diesem Fall 28 Morgen
Ackerland und
„einen Theil in der Wull Wiese und 1 Wiese bei der Ahler See benebst 1 Garten am
Hause und 1 kl. [einen] Garten im Lindenfelde [und] 1 kl.[einen] Garten am Hohenfelde so derselbe vom Lande und der Wanne gemacht, auch allen dazu gehöri gen Recht- und Gerechtigkeiten im Felde, Holtze, Huede, Trifft und Weiden, nebst
andern dazu gehörigen Pertinentzien 200, in der Maaße, wie sein Vorwirth und deßen Vorfahren solches alles inne gehabt, genutzet und gebrauchet hat, auf Zeit sei 195
196
197
198
199
200
Bode, Karl, Agrarverfassung und Agrarvererbung in Marsch und Geest. dargetan an
Hand der Verhältnisse in den hannoverschen Unterelbekreisen. Jena 1910, 4.
Oberschelp (1982), 106 f.
Zum Begriff siehe auch unten S. 69.
Zur Entwicklung in Ostdeutschland jetzt die ältere Literatur zusammenfassend
Kaak, Gutsherrschaft.
Hauptmeyer, Begemann (1992), Nr. 40.
Nutzungsrechte.
52
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
nes Lebens hinwiederum eingethan und ihn damit bemeyert haben,“
2. die Beschreibung der Auflagen, die für die Nutzung des Landes gelten, wobei diese Beschreibung sehr weitgehend und differenziert ist, wobei der zentrale Passus der ist, dass der Hof „in vollkommen gutem Stande“ gehalten werden soll:
„dergestalt und also: dass er die Meyer-Stedde und deren Pertinentzien, in guter
Aufsicht, Art, Gaile 201 und Besamung halten, haußhälterisch gebrauchen, das geringste davon aber, ohne Unser Vorwissen und ausdrückliche Einwilligung, nicht
verändern, beschweren, verkauffen, vertauschen, verpfänden, zur Abtheilung,
Aussteuer, Mitgift, Leibzucht und Gegen-Vermächtnisse, es sey gäntzlich oder auf
eine Zeitlang, verschreiben, oder in einige andere Wege veräusern, noch Stellungsoder Arts-weise andern Leuthen abtreten, und in fremde Hände kommen lassen,
sondern vielmehr dasselbe beysammen verwahren und selbst cultiviren, sich auch
mit allem Fleisse und Treue erkundigen, was etwa davon abkommen, und dass
solches wieder herbeygebracht werde, auch ohne des Closters dabey ihm zu leistende Hülfe und Beystand, gebührend betreiben, und überhaupt den Hoff mit dessen
Gebäuden, Zäunen, Inventarien-Stücken und Zubehörde in vollenkommenem gutem Stande erhalten solle,“
3. Die Auflage, dass alle den Hof betreffenden Maßnahmen oder Verträge die
Einwilligung, den Consens des Grundherrn, voraussetzen:
„mit dem aus drücklichen Bedinge:dass das Meyerguth durch keinerley Verträge
und Contracte mit Schulden oder Abgifften ohne des Guhtsherren Einwilligung beschweret werde, gestalten dann nicht nur alle diejenige Schulden oder andere
Verschreibungen, welche, ohne des Closters, als Guthsherrn, Consens, dem Hofe
zur Last gemachet, übernommen und eingegangen seyn mögten, ohnedem von
selbst null, nichtig und unkräftig, folglich ohne alle Verbindlichkeit seyn und
bleiben, sondern auch so wenig deshalben, als wegen zu starker Beschwerung des
Allodii202 einige Remissiones203 verlanget oder ertheilet werden sollen.“
4. Und schließlich muss sich der Bauer zu besonderer Treue dem Grundherrn
gegenüber verpflichten, wozu u.a. die regelmäßige Ablieferung der Abgaben
gehört:
„Ferner verspricht unser neuer Meyer Carl Hinrich Herbst Uns und Unserm Closter getreu und hold, daneben gehalten zu seyn, ausser dem bereits mit zehen Rthlr.
entrichteten Weinkauffe, alljährlich um Michaelis an untadelicher marckgängiger
Frucht und gebührender in hiesigen Landen eingeführten Braunschweigischen
Maaße auf das Closter zu liefern …“
Es war mithin alles genau geregelt, der Besitzstand ebenso festgeschrieben
wie die Nutzungsrechte und die Tatsache, dass der Meier keinerlei unternehmerischen Spielraum hatte. Er war kein eigenbehöriger Mann, aber dennoch
ökonomisch kaum handlungsfähig. Für die Praxis waren indes nicht allein die201
202
203
Düngung.
Eigenbesitz.
Nachlässe.
53
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
se Bestimmungen, sondern die konkreten Kontrollmöglichkeiten des Grundherrn entscheidend.
Der Bauer hatte für die ihm überlassenen Rechte Abgaben zu leisten, die im
Falle des Carl Heinrich Herbst aus Getreideabgaben, Hühnern, Eiern und
Geldabgaben bestanden. Den größten Posten bildeten die Getreideabgaben, es
waren immerhin 2 Malter Roggen, 2 Malter Gerste und 3 Malter Hafer. Ein
Malter Roggen hatte etwa das Gewicht von 120 kg, ein Malter Gerste wog ca.
105 kg, ein Malter Hafer 75 kg.204 Der Hof hatte also jährlich etwa 240 kg
Roggen, 210 kg Gerste und 225 kg Hafer zu entrichten. Geht man von einem
Rohertrag von 10 dt/ha aus,205 so musste etwa die Ernte eines ha oder knapp
ein Sechstel des Ackerlandes für die Abgaben an den Grundherrn aufgewandt
werden. Hinzu müssen aber die weiteren kleinen Natural- und Geldabgaben,
die Dienste sowie der Zehnte und schließlich die Leistungen an den Landesherrn und die Kirche berücksichtigt werden. Außerdem hatte der Bauer von
den Erträgen des Landes das Saatgut für das nächste Jahr abzuzweigen. Der
Meierbrief selbst kostete 10 Rtlr.. Eine genauere Darstellung der ökonomischen Folgen der Abhängigkeit folgt unten.
Der Meierbrief schloss mit weiteren Regularien, die den Bauern gegenüber
dem Grundherrn auf eine Einhaltung der Vertragsbestimmungen verpflichteten. Andernfalls wurde eine Abmeierung angedroht.
Solche Bestimmungen standen in engem Zusammenhang mit gesetzlichen
Regelungen, die in den nordwestdeutschen Territorien seit dem Ende des
16. Jahrhunderts erlassen worden waren. Als Teil übergreifender Regelungen
wie Landtagsabschiede oder Polizeiordnungen bzw. von Einzelgesetzen wurde
das Meierrecht näher definiert; erst im 18. Jahrhundert wurden komplette
Meierordnungen realisiert, wenngleich nicht in allen Territorien.206
Als Beispiel für die gesetzlichen Regelungen, denen die Meierhöfe unterworfen waren, soll die Calenbergische Meierordnung vom 12. Mai 1772 in einigen
wichtigen Auszügen vorgestellt werden.207 Grundlegende Aussagen erfolgen
schon im ersten Kapitel „Von der Beschaffenheit der Meyer-Güther“, woraus
hervorgeht, dass bis zum Beweis des Gegenteils alle Bauernhöfe „es mögen
204
205
206
207
Nach Engel (1965), S. 9. Die Engelschen Angaben sind weit weniger präzise wie die
anderer Autoren, dürften damit gerade deshalb realistischer sein. Über die vergebli chen Versuche des braunschweigischen Staates, einheitliche Hohlmaße durchzusetzen vgl. Albrecht, Peter, Die Förderung des Landesausbaues im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel im Spiegel der Verwaltungsakten des 18. Jahrhunderts (1671 1806). Braunschweig 1980.
Achilles (1972a), 179 ff
Königliche Landwirtschaftsgesellschaft (1864), 2, 402-404. Turner, George, Das Calenberger Meierrecht: Geschichte und System. Dis Göttingen 1960; einen guten Überblick der hannoverschen Gesetze bietet Oppermann, Heinrich Albert, Sammlung
sämmtlicher im Fürstenthum Calenberg, Grubenhagen, Göttingen, Lüneburg und in
den Grafschaften Hoya und Diepholz in Beziehung auf des Meierrecht erlassenen
Gesetze, Verordnungen, Ausschreiben und Resolutionen von der ältesten bis auf die
neueste. Nienburg 2. stark verm. Aufl 1861.
Basis ist die gedruckte Fassung in NHStAH Hann. 74 Calenberg Nr. 470.
54
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
Voll- oder Halbmeyer, Köther-Höfe oder Brinksitzer-Stellen seyn“ als Meiergüter gelten sollten. Das Meierrecht war also nicht auf die Klasse der Meier beschränkt, sondern betraf ebenfalls Kleinstellen wie Brinksitzer oder Straßensitzer. Unter Meiergütern wurden Höfe verstanden, „woran denen Guthsherren das Eigenthum, denen Meyern aber ein Erb-Pacht-Recht, unter der Bedingung zusteht, dass sie das Guth in gutem Stande erhalten, einen jährlichen
festgesetzten, und nicht zu erhöhenden Meyer-Zins richtig abtragen, und bey
jeder Veränderung des Hauswirths, auch wo es hergebracht ist, des Gutsherren, gegen Bezahlung des Weinkaufs,208 einen neuen Meyer-Brief auslösen …“
Art. 2 sicherte das Erbrecht des Meier für ihn und seine Kinder auch dann,
wenn der Meierbrief nicht auf Lebenszeit, sondern lediglich auf 9 oder 12 Jahre ausgestellt war. Geregelt wurde ebenfalls im ersten Kapitel, wie verfahren
werden sollte, wenn ein Hof mehrere Grundherren hatte (derjenige, dem die
höchsten Abgaben zustanden bzw. den Weinkauf vom Hof oder der Hofstätte
erhielt). In den weiteren Kapiteln wurden die Regelungen für den Meierbrief
und den Weinkauf, den Meierzins und die Remissionen (Abgabenreduzierungen), die Verhältnisse bei Besetzung, Veräußerung, Teilung oder Verpfändung, die Erbfolge und schließlich die Abmeierung näher bestimmt. Das Meierrecht ließ dem Bauern theoretisch einen nur geringen Handlungsspielraum,
sicherte aber bestimmte Nutzungsrechte und schützte ihn vor Willkür seitens
seiner Herren.
Eng verbunden mit dem Meierrecht war das Anerbenrecht. Es beendete die
Realteilung und damit die Aufteilung des Hofes unter mehrere erbberechtigte
Kinder. Die Realteilung hatte vor 1550 zu einer verstärkten Zersplitterung des
bäuerlichen Besitzes geführt. Diese sollte nun durch das Anerbenrecht verhindert und damit der Bestand eines leistungsfähigen Bauernstandes gesichert
werden.209
Die Erbgewohnheiten wiesen eine große Vielfalt auf, wie ein Blick auf die
seit 1815 zum Königreich Hannover gehörenden Gebiete zeigt. Im Fürstentum
Lüneburg hatte sich bei den Meiergütern das Erbrecht des ältesten Sohnes
erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts durchgesetzt, ähnlich wie in der Grafschaft Hoya. Im Fürstentum Calenberg konnte nach der Meierordnung von
1772 dagegen der Meier seinen Nachfolger selbst bestimmen. Ein solches
Wahlrecht gab es auch im Fürstentum Hildesheim. In den Herzogtümern Bremen und Verden wiederum konnte der älteste oder der jüngste Sohn erben. In
der Grafschaft Diepholz hatte sich das Erbrecht des jüngsten Sohnes durchgesetzt. Im Fürstentum Osnabrück legte zwar die Eigentumsordnung von 1722
ein Erbrecht des jüngsten Sohnes bzw. der Tochter fest, doch herrschte in
manchen Kirchspielen das Ältestenrecht. In den Grafschaften Lingen und
208
209
Der Weinkauf hatte nichts mit dem Wein zu tun, sondern war eine Gebühr für den
Vertragsabschluss.
Bischoff, Wolfgang, Die Geschichte des Anerbenrechts in Hannover von der Ablösungsgesetzgebung bis zum Höfegesetz vom 2. Juni 1874. Dis Göttingen 1966. Siehe
auch den Überblick bei Königliche Landwirtschaftsgesellschaft (1864), 250-255.
55
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
Bentheim erbte das jüngste bzw. älteste (Bentheim) Kind. Im Münsterland
schließlich wählte der Gutsherr den Erben. Bei aller Vielfalt hatten die Söhne
grundsätzlich Vorrang vor den Töchtern. Gab es keine leiblichen Erben des
Bauern, so fiel der Hof an den Grundherrn zurück (Heimfallsrecht). Dieser
musste den Hof dann wieder an einen anderen Bauern vergeben. Oft wurden
hierfür Verwandte des bisherigen Bauern gewählt.
Zu den wenigen niedersächsischen Gebieten, in denen die Realteilung seit
dem Mittelalter beibehalten wurde, gehört das Eichsfeld. 210 Hier wurde beim
Eintreten eines Erbfalls der Hof nicht von einem Anerben übernommen, der
die weichenden Erben mit Geldzahlungen oder Sachleistungen abfand. Vielmehr wurde der Hof unter alle Erben aufgeteilt. Zwar gab es oft Ehelosigkeit,
um so die Existenz des Hofes zu sichern und eine Teilung zu verhindern, aber
schon im 18. Jahrhundert fand die Realteilung immer häufigere Anwendung.
Die Folge war eine Flurzersplitterung, wie sie in keiner anderen niedersächsischen Landschaft jemals aufgetreten ist. Als Beispiel kann dabei die Flur von
Werxhausen dienen, die schon im Jahre 1746 in 1560 Parzellen aufgeteilt war,
die auf 115 Stelleninhaber entfielen. Drei Viertel aller Stelleninhaber besaßen
weniger als einen Morgen Ackerland. Doch nicht genug damit, fast die Hälfte
der Gemarkung stand nicht den Einwohnern zur Verfügung, sondern gehörte
dem Duderstädter Stadtgut.
c)
Zins- und Erbzinsrechte, Hägerrecht
Ein geteiltes Besitzrecht zwischen dem Grundherrn als Obereigentümer (dominium directum) und dem Bauern als Untereigentümer (dominium utile) war
das Zins- oder Erbzinsrecht (Emphyteuse). Der Bauer war zu bestimmten Abgaben an den Grundherrn verpflichtet (Erbzins), konnte jedoch ursprünglich
frei über das Erbzinsland verfügen. Um 1600 wurden diese freien Verfügungsrechte eingeschränkt, die Bauern durften danach ihre Erbzinsgüter nicht
mehr frei veräußern.211 Im mittleren Niedersachsen waren allerdings meist
nur kleinere Grundstücke zu Erbzinsrecht ausgetan.
Größere Bedeutung hatte das Hägerrecht. Es entstammte der Rodungsphase des Hochmittelalters und fand sich in den Rodungsdörfern (Namensendung
auf -hagen oder -rode, aber auch andere Endungen möglich). Hägerland oder
Erbland war meist nur gering mit Grundabgaben belastet und konnte frei vererbt werden. Zudem waren die Häger freie Leute, während die Masse der anderen Bauern noch hörig war.212 Verbunden mit dem Hägerrecht war übrigens
210
211
212
Zur Situation des Eichsfelds im 19. Jahrhundert: Schnier, Detlef, Sabine Schulz-Greve u.a, Wanderarbeiter aus dem Eichsfeld. Zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte des
Ober- und Untereichsfeldes seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Duderstadt 1990.
Herzog Heinrich Julii Constitution wegen verbotener Alienation der Lehn-, ErbenZins- und Meier-Güter; 1598, April 3. In: Oppermann (1861), 1 f.
Blohm, Richard, Die Hagenhufendörfer in Schaumburg-Lippe. (Veröffentlichungen //
Provinzialinstitut für Landesplanung und Niedersächsische Landes- und Volksforschung Hannover-Göttingen, Reihe A, Forschungen zur Landes- und Volkskunde,
Schriften des Niedersächsischen Heimatbundes e.V. 10) Oldenburg i. O 1943.
56
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
häufig eine spezielle Flur- und Siedlungsform, sowie die Namen für die Orte
auf -hagen.
d)
Eigenbehörigkeit
Während im östlichen Niedersachsen die Eigenbehörigkeit schon im 15. Jahrhundert weitgehend aufgelöst worden war, hielt sie sich im westliche Niedersachsen noch bis in das 19. Jahrhundert.213 Gebiete mit Eigenbehörigkeit waren Osnabrück, Arenberg-Meppen, Lingen, Bentheim, Diepholz, Teile von
Hoya sowie einige Calenbergische Ortschaften (Loccum, Vogtei Lachem), außerdem einige Dörfer im Schaumburgischen.
Wichtige Grundzüge der Eigenbehörigkeit lassen sich an der der Osnabrückischen Eigentumsordnung ablesen.214 Es waren „nicht allein die ‚eigenen
Höfe’ und die zu denselben gehörenden Grundstücke im Eigenthume des
Gutsherrn, wie solches auch bei dem Meierrechte der Fall ist, sondern auch
die Besitzer der Höfe selbst und deren Nachkommen … Eigenthum des Gutsherrn. Ohne seine Bewilligung konnte der Besitz einer eigenbehörigen Stelle
nicht übertragen werden, dabei mußten nicht nur Antrittsgelder, Laudemien,
Auffahrten oder Weinkauf entrichtet werden, sondern der Gutsherr ließ auch
auf seine Stellen keine neuen Wirthe oder Wirthinnen kommen, wenn sie
nicht seine Leibeigenen waren oder sich ihm zu leibeigen gaben.“ 215
Die Abgaben waren im übrigen nicht festgelegt, so dass sie der Grundherr
bei Übergabe des Hofes neu festlegen konnte. In Osnabrück durfte der Leibherr bei Tod des Eigenbehörigen die Hälfte des Vermögens einziehen, Prozesse
gegen den Leibherrn konnte der Bauer nur aus seinen eigenen Mitteln führen,
nicht aus denen der Stelle. Insgesamt 21 Gründe zur Abmeierung nannte die
Eigentumsordnung, wobei das Herunterwirtschaften der Stelle und das Verweigern von Abgaben am bedeutsamsten waren. Die Festschrift der Königlichen Landwirtschaftsgesellschaft kommentierte 1864 diesen Zustand mit den
Worten:
„Es wird wohl keiner weiteren Ausführung bedürfen, dass aus solchen Verhältnissen viele Streitigkeiten entspringen mußten, und dass dabei eine Zunahme des Wohlstandes und ein Fortschritt in der Bewirthschaftung der eigenbehörigen Stellen schwerlich möglich war.“216
Die Eigenbehörigkeit war, das geht aus den beschriebenen Verhältnissen
auch hervor, immer an einen Hof gebunden, doch konnten Grundherr und
213
214
215
216
Darstellung der Eigenbehörigkeit bei Reinders-Düselder (1995), 155-166; für Schaumburg Schneider (1994), 1, XX; Königliche Landwirtschaftsgesellschaft (1864), 2, 398401.
Hier nach Königliche Landwirtschaftsgesellschaft (1864), 2, 399; siehe auch Kloentrup, Johann Aegidius, Alphabetisches Handbuch der besonderen Rechte und Gewohnheiten des Hochstifts Osnabrück mit Rücksicht auf die benachbarten westfälischen Provinzen. Osnabrück 1798-1800, I, 290-308; Hirschfelder (1971), 89-95 und öfter.
Königliche Landwirtschaftsgesellschaft (1864), 2, 399.
Königliche Landwirtschaftsgesellschaft (1864), 2, 400.
57
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
Leibherr unterschiedliche Personen sein. In jedem Fall musste sich ein aufheiratender, freier Partner in die Eigenbehörigkeit begeben. Die Eigenbehörigkeit bedeutete für den Bauern und seine Familie eine entscheidende Einschränkung der persönlichen Freiheit. Ohne Zustimmung (Konsens) des Leibherrn konnte ein Eigenbehöriger weder heiraten noch vom Hof ziehen. 217 Erwerb von Eigentum (Allod) war zwar möglich, doch standen dem Leibherrn
speziell in Westniedersachsen bzw. in den westfälischen Gebieten teilweise erhebliche Anteile am Erbe des Eigenbehörigen zu. Einschneidend konnten sich
Sterbfallabgaben bei Tod eines oder einer Eigenbehörigen auswirken. Besthaupt, Bestkleid oder Bestpferd, die in den mittleren Teilen Niedersachsens
gefordert wurden, erscheinen gering im Vergleich zu den hohen Abgaben in
Osnabrück, die bis zur Hälfte des Privatvermögens des Toten betragen konnten, mit einschneidenden ökonomischen Folgen verbunden war: „Der Hof
konnte schnell verschulden und in Not geraten, wenn die Todesfälle in der Familie rasch aufeinander folgten.“218
e)
Zehntherrschaft
Neben der Grundherrschaft bildete die Zehntherrschaft eine drückende und
deshalb verhasste Belastung. Ursprünglich war der Zehnt eine rein kirchliche
Abgabe gewesen. Schon früh kam er auch in den Besitz des Landesherrn, der
ihn seinerseits oft wiederverkaufte, verschenkte oder als Lehen an Adelige
vergab.219 Es wurde zwischen dem großen Getreidezehnten und dem kleinen,
dem Fleischzehnten, unterschieden, jedoch dürfte letzterer nur selten eingefordert worden sein. Die Zehntherrschaft lag im Gegensatz zu den meisten anderen herrschaftlichen Rechten in der Regel geschlossen auf der gesamten zehntpflichtigen Flur eines Dorfes; daneben gab es auch immer noch kleinere zehntfreie Grundstücke. Zehntpflichtiges Land war also doppelt belastet: über die
Grundherrschaft mit den entsprechenden Abgaben und die Zehntherrschaft.
Zehntherren waren in der frühen Neuzeit die gleichen Herren, die Grundherren sein konnten, also der Landesherr, die Kirche, Adelige und auch Bürgerliche.
In den einzelnen Territorien hatte das Zehntrecht eine unterschiedliche
Ausprägung gefunden, die anhand einiger Beispiele erläutert werden soll. 220
Die ebenfalls für das Fürstentum Göttingen geltende Calenberger Zehntordnung von 1709 schrieb vor,
„dass von aller und jeder in der Zehntflur belegener Länderei, es mag darauf,
über oder unter der Erde gewachsen sein, was da wolle, der Zehnte gegeben
werden muß, und wer die Zehntfreiheit eines Grundstücks in Anspruch
217
218
219
220
Das Konsensrecht betraf im Osnabrückischen alle Rechtsgeschäfte von Eigenbehörigen, „die sich zum Nachteil des Hofes auswirken konnten“, größte Bedeutung erlangte
es bei Krediten; Hirschfelder (1971), 89 f.
Hirschfelder (1971), 152.
Dazu als regionales Beispiel Hirschfelder (1971), S. 164-167. Siehe allgemein Oberschelp (1982), 113-116.
Nach Königliche Landwirtschaftsgesellschaft (1864), 2, 382-390.
58
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
nimmt, der soll beweisen, dass entweder der Zehntherr solche zugestanden,
oder dass innerhalb 40 Jahren von solchem Stücke, wenn es besäet gewesen,
kein Zehnten gegeben worden ist.“
Für Brachland und die beim Pflügen notwendigen Wendeflächen galten besondere Regeln:
„Der Zehnten von den in die Brache gesäeten oder gepflanzten Früchten, welche nach und nach eingeerndtet werden, Kohl, Rüben, Wurzeln usw. soll mit
Geld bezahlt werden. Lassen die Zehntpflichtigen von dem zehntpflichtigen
Lande über 8 bis 10 Fuß breite Wendungen unbestellt zur Weide liegen, so
sollen sie dem Zehntherrn Entschädigung zahlen.“
Neben der reinen Belastung durch die Abgabe wirkten sich die vielfältigen
Beschränkungen der Wirtschaftsführung behindernd aus:
„Zehntpflichtige Ländereien dürfen nur mit der Genehmigung des Zehntherrn und der Hude-Interessenten zu Gärten, Wiesen, Weiden oder Holzungen umgewandelt werden. Aus Neubrüchen ist der Zehnten an den Grundherrn zu entrichten. Unzeitiges Abhüten oder Abschneiden der Saat ist verboten. Wenn außer dem Zehnten noch die 3. oder 4. Garbe (Theilkorn) zu entrichten (384) ist, soll zunächst der Zehnten und dann das Theilkorn gezogen
werden, … Es dürfen nur Hocken oder Haufen von 10 oder 20, oder wo die
11. Garbe gezogen wird, von 11 oder 22 Garben gebildet werden. … Der
Mißbrauch, dass Schnitter und Binder als Lohn für ihre Arbeit Garben erhalten und solche mit nach Hause nehmen, ehe der Zehnten davon gezogen worden ist, sowie dass den Kindbetterinnen einige Garben freigelassen werden,
soll nicht Statt haben.“221
Einschneidend für die bäuerliche Wirtschaftsführung war demnach nicht
nur die Höhe des Zehntens, sondern in gleichem Maße auch die Modalitäten
des Einziehens, denn die Bauern mussten dem Zehntherrn ansagen, „wann die
Früchte gebunden, geschockt und trocken sind“, danach hatten sie bis zu einen
Tag zu warten, ehe sie ihre Ernte einfahren durften, um dem Zehntherrn Gelegenheit zu geben, seinen Zehnten zu „ziehen“.
Vergleichbare Bestimmungen sahen die anderen niedersächsischen Zehntordnungen vor. Ihnen allen gemeinsam waren die weit reichenden Rechte der
Zehntherren, auch die Tatsache, dass beim Getreidezehnten meist die gesamte
Feldmark eines Dorfes pflichtig war und nur einzelne Feldstücken ausgenommen waren. Brach- und Gartenfrüchten unterlagen durchweg ebenfalls dem
Zehntrecht.
Beim Fleischzehnt gab es unterschiedliche Gewohnheiten:
„In der Regel sind Pferde und Kühe angeschrieben und von einem Jahre dem
andern zugezählt, das Vieh hat ‘auf der Schrift’ gestanden, bis zehn Stück
voll gewesen, worauf ein Stück als Zehnten abgegeben oder mit Geld bezahlt
ist. Von dem kleinen Vieh und den Immen ist der Zehnten alljährlich gezogen.“
221
Ebd., 2, 382-384.
59
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
Die Zehntpflichtigkeit bildete zwar die Regel, es gab jedoch Ausnahmen: im
Wendland, im Amt Neuhaus und im Boldeckerland fehlte sie, ebenfalls in den
Marschen.222 In Osnabrück wurde der Zehnt schon relativ früh durch Geldrenten ersetzt. In einigen Gebieten des Herzogtums Arenberg-Meppen, in den
Grafschaften Bentheim und Lingen lag der Zehnt lediglich auf den älteren Teilen der Feldmark. Im Hümmling sollen „nur einige Ortschaften zehntpflichtig
gewesen“223 sein. Ostfriesland (mit Ausnahme einiger Orte im Amt Leer) und
der Oberharz kannten ebenfalls keinen Zehnt.
Im Laufe des 18. Jahrhunderts gingen die Bauern dazu über, den Zehnt für
eine gegen eine feste Geldsumme zu pachten, so dass die Behinderungen durch
den Zehntzug fortfielen.224 Andererseits wurde der Zehnt an Dritte gern verpachtet, etwa an Bürger.225
f)
Dienstwesen
Neben den grundherrlichen Abgaben, denjenigen, die aus der Eigenbehörigkeit entstammten sowie dem Zehnt sind schließlich noch die Dienste als eigene
Form der Belastung hervorzuheben. Das Dienstwesen gehört ohne Zweifel zu
den komplexen Folgen bäuerlicher Abhängigkeit, es konnte eine erhebliche
Belastung darstellen und es entzieht sich einer einfachen Systematisierung. 226
Die Festschrift der Königlichen Landwirtschaftsgesellschaft unterteilte sie
1864 in öffentliche und private Dienste, wobei die öffentlichen wie folgt beschrieben wurden:
„Zu den ersteren gehören zunächst die Hoheitsdienste, welche von Seiten der Regie rung zu öffentlichen Zwecken gefordert werden können, namentlich die Landfolgen
zur Nothhülfe in gemeiner Gefahr behuf Besserung der öffentlichen Wege, zu Ar restanten- und Krankenfuhren behuf Fortschaffung von Personen und Gegenständen zu militärischen Zwecken, die hohe Jagdfolge behuf Erlegung des zu Schaden
gehenden Wildes und der Raubtiere, die Gefangenenwachen, Briefträgerdienste
usw.“
Davon unterschieden wurden die Privatdienste, die auch als Herrendienste
oder Frondienste bezeichnet wurden. Hierbei handelte es sich vorwiegend um
landwirtschaftliche Arbeiten, die zur Bestellung großer Eigenwirtschaften
(Vorwerke) von Adeligen oder des Landesherrn dienten:
Die zu Privatzwecken zu leistenden Dienste sind von den Besitzern der berechtigten Domainen, Güter und Höfe zu leisten, werden unter dem Namen
gutsherrliche oder Herrendienste begriffen und stehen in näherer oder ferne222
223
224
225
226
Königliche Landwirtschaftsgesellschaft (1864), 2, 390.
Ebd.
Königliche Landwirtschaftsgesellschaft (1864), 2, 392.
Oberschelp (1982), 113.
Wieder wird hier auf die Festschrift der königlichen Landwirtschaftsgesellschaft zurückgegriffen, die den besten Überblick bietet (Königliche Landwirtschaftsgesellschaft
(1864), 2, 362-367.). Außerdem die ältere Literatur zusammenfassend: Oberschelp
(1982), 116-119.
60
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
rer Beziehung zu den berechtigten Grundstücken und deren Bewirtschaftung.
Sie werden verwendet zu der Bestellung des Ackers, zum Mistfahren, Pflügen
und Eggen, zum Mähen, Binden und Einfahren der Früchte, zum Mähen der
Wiesen und zum Trocknen und Einfahren des Heues, zum Dreschen, zu Gartenarbeiten, zum Ausbringen der Ställe und Reinigen der Höfe, zu Wege- und
Grabenarbeiten, zum Torfstechen sowie zum Trocknen und Einfahren des
Torfs, zum Holzanfahren, Holzhauen, Schaafscheren, Flachsreinigen, Spinnen, usw, ferner bei dem Neubau und der Reparatur der Gebäude, Befriedigungen und Brücken (Burgvestdienste), in den Forsten und behuf der Jagd,
zu Reisen, Marktfuhren, Botendiensten usw. Es gibt wohl keine in einem
Landhaushalte gewöhnlich vorkommende Arbeit, zu welcher die gutsherrlichen Dienste nicht benutzt worden sind.“227
Gleich, ob es sich um öffentliche oder private Dienste handelte, es wurde in jedem Fall ein breites Spektrum von Arbeiten verrichtet, wobei landwirtschaftliche Tätigkeiten bei den privaten Diensten überwogen. Dienste waren nach Bedarf zu leisten, eine ungleiche Behandlung der Dienstpflichtigen sollte vermieden werden. Unterschieden wurde nach Spanndiensten und Handdiensten,
wobei lediglich die größeren Höfe (Meier, teilweise auch große Kötnerbetriebe)
zu Spanndiensten herangezogen wurden. Die Klassifizierung der Höfe folgte
entsprechend den schon erwähnten Hofklassen:
„Von den bespannten Dienstpflichtigen leistet in der Regel ein Halbmeier,
Vollspänner oder Ackermann das Doppelte eines Halbmeiers, Halbspänners
oder Halbackerhofes, sowie von den Handdienstpflichtigen der Vollköthner
doppelt so viel zu leisten hat als der Halbköthner.“ Weitere Unterscheidungen
betrafen die Tatsache, ob die Dienste in ihrem Umfang genau festgelegt, gemessen, waren oder nicht (ungemessen waren). Bei sogenannten Reihediensten wurden die Pflichtigen der Reihe nach herangezogen. Selbst An- und Abbauer sowie Häuslinge hatten für die Überlassung von Hausgrundstücken
Dienste zu leisten.
Im Fürstentum Calenberg, dem Fürstbistum Hildesheim sowie den Grafschaften Hoya und Diepholz gab es nur sehr wenige Ausnahmen von der
Dienstpflicht. Die Hildesheimische Dienstordnung von 1773 bestimmte, „dass
der gewöhnliche wöchentliche Reihedienst eines Halbspänners in einem und
eines Vollspänners in zwei Spanndiensttagen, der eines Kothsassen aber in
zwei Handdiensttagen“ bestand. Für die in einer Woche nicht abgeleisteten
Dienste wurde ein festgesetztes Dienstgeld bezahlt. 228 Laut Dienstordnung
mussten Dienste im Winter tags zuvor bis 4 Uhr, im Sommer bis 6 Uhr angemeldet werden.
„Ungehorsame Dienstpflichtige kann der Dienstherr, wenn er mit den Gerichten versehen ist229, zu ihrer Schuldigkeit anhalten, vorerst sie auspfänden und
227
228
229
Ebd, 363.
Königliche Landwirtschaftsgesellschaft (1864), 2, 364.
Dies bedeutete, dass er gleichzeitig die Gerichtsherrschaft innehatte.
61
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
bei beharrlicher Widersetzlichkeit mit dem ‘Gehorsam’ oder Gefängniß bestrafen.“230
Die während des Dienstes zu leistenden Arbeiten, deren Dauer und weitere
Modalitäten waren zwar definiert, jedoch lässt sich nicht immer exakt sagen,
ob sie in dieser Form auch geleistet wurden. Problematisch dürfte die Trennung von privaten und öffentlichen Diensten gewesen sein, denn manch ein
Amtmann wird nicht der Versuchung widerstanden haben, öffentliche Landfolgedienste für seine Privatzwecke zu verwenden.
Die Diensthöhen waren bei den Ackerdiensten immer je Woche festgelegt;
wurde die Arbeit in dieser Zeit nicht verlangt, so musste statt dessen ein
Dienstgeld bezahlt werden, welches in Hildesheim 9 Mgr. je Spanntag und 1
Ggr.231 je Handtag betrug. Die Überprüfung der Dienstleistung erfolgte mittels
Dienstbücher oder Kerbhölzer.
Bei den Diensten gab es regionale Unterschiede. In Ostfriesland herrschte
Dienstfreiheit, in den Grafschaften Bentheim, Lingen und dem Herzogtum
Arenberg-Meppen bestand dagegen die Dienstpflicht. Im Fürstentum Osnabrück waren die eigenbehörigen Stellen zu Diensten verpflichtet, nicht jedoch
die übrigen. Im Amt Grönenberg standen insgesamt 741 eigenbehörigen Kolonaten (Höfen) des Landesherrn, der Rittergüter, der säkularisierten Klöster
und der Geistlichkeit 541 freie und schatzpflichtige Höfe gegenüber. 232 Die Osnabrückische Eigentumsordnung von 1722 regelt im Kapitel XIII die Dienste,
die u.a. nach dem Herkommen geleistet und nicht verändert werden durften.
Hier gab es auch den Zwangsgesindedienst für die Kinder der Bauern, die
nach ihrer Konfirmation ein halbes oder sogar ein ganzes Jahr beim Gutsherrn umsonst zu dienen hatten und anschließend noch weitere sieben Jahre
dort zum Dienst gezwungen werden konnten.233
„Wenn eine eigenbehörige Person, Knecht oder Magd, ‘des Eigenthums oder
desselben Schuldigkeit sich entziehen wollte’, so stand dem Gutsherrn die actio confession wider dieselbe zu. Bezeigte sie sich widersetzlich, so war dem
Gutsherrn die levis coercitio, castigatio und custodia gestattet, worunter nach
Cap. XIV, § 1 zu verstehen sein wird, dass er dieselbe längstens auf zweimal
24 Stunden zur Verwahrung zu bringen und mit Wasser und Brod zu speise
befugt war.“234
Das letzte Zitat weist darauf hin, dass die Dienstpflicht gewiss zu den problematischen Rechten gehörte. In Osnabrück wurden die Diensthöhen im
17. Jahrhundert nach dem Herkommen geleistet, was dazu führte, dass Vollhöfe (Vollerben) mit der Hand, Markkötter aber mit dem Spann dienen mussten, wenn sich in jüngerer Zeit ihre Betriebsgröße deutlich verändert hatte. Im
17. Jahrhundert waren alle Dienste gemessen, im 18. Jahrhundert dagegen
230
231
232
233
234
Königliche Landwirtschaftsgesellschaft (1864), 2, 364.
Gute Groschen, siehe Glossar.
Königliche Landwirtschaftsgesellschaft (1864), 2, 366.
Königliche Landwirtschaftsgesellschaft (1864), 2, 367.
Ebd.
62
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
kam es zu einer Zunahme der für den Dienstherrn günstigeren ungemessenen
Dienste.235 Die Dienstherren, gleich ob es sich um den Landesherrn oder die
privaten Grundherren handelte, waren bemüht „sich möglichst viele Dienste
in natura zu sichern und sie nach Möglichkeit an Umfang zu vergrößern“ 236.
Für die Pflichtigen waren die Dienste mit vielen Belastungen verbunden: die
Meier mussten teilweise ein eigenes Pferdegespann mit Wagen für den Dienst
vorhalten, während für die Handdienste meist nicht der Bauer arbeitete, sondern Tagelöhner aus dem Dorf. Insbesondere in Erntezeiten waren die Dienste
in besonderem Maße nachteilig, da jetzt auf dem Hof alle verfügbaren Kräfte
benötigt wurden, jedoch der Dienstherr ebenfalls alle vorhandenen Diensttage
abforderte. Das war insofern doppelt nachteilig, weil es spezielle Erntedienste
gab, die Dienstbelastung also gerade in dieser wichtigen Phase des landwirtschaftlichen Jahres noch höher lag als üblich. Deshalb bevorzugten die Pflichtigen die Zahlung eines Dienstgeldes, um den betriebswirtschaftlichen Nachteilen entgehen zu können. Häufig wurden nicht alle Dienste benötigt, so dass
der „Überschuss“ an Dritte verpachtet wurde.237
Zwar kannte das Dienstwesen keine willkürlichen Maßnahmen, sondern
folgte bestimmten Regeln, aber der Dienstherr hatte derart genug Auslegungsmöglichkeiten, um seine Interessen durchsetzen zu können. Andererseits
konnten sich die Bauern durch nachlässige und langsame Verrichtung der Arbeit in gewissen Grenzen dagegen wehren.
Dienste waren gewiss unrentabel und konfliktfördernd, stellten aber aus
der Sicht der Empfänger lange Zeit eine leicht zu handhabende Form der Nutzung bäuerlicher Arbeitskraft dar.
g)
Gerichtsherrschaft
Seit dem späten Mittelalter begann sich die Landesherrschaft zu stabilisieren;
sie wurde institutionalisiert und allmählich auch territorialisiert. 238 Gleichwohl hielten sich viele personelle, nicht raumbezogene Elemente von Herrschaft, wie etwa in der Gerichtsherrschaft.239 Der Landesherr konkurrierte in
diesem Bereich mit anderen Herrschaftsträgern und konnte sie erst in einem
langen Prozess nach und nach verdrängen.
Oft waren die Gerichtsherren zugleich Grundherren der jweiligen Bauern
und wurden dann als Gutsherren bezeichnet. Es liegt auf der Hand, dass diese
235
236
237
238
239
Hirschfelder (1971), 117 f. Allgemein zu den Diensten in Osnabrück: ders, 120-140;
Winkler, Klaus, Landwirtschaft und Agrarverfassung im Fürstentum Osnabrück nach
dem Dreißigjährigen Kriege. Eine wirtschaftsgeschichtliche Untersuchung staatlicher
Eingriffe in die Agrarwirtschaft. (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte 5)
Stuttgart 1959, 43-55.
Winkler (1959), 52 ff.
Hirschfelder (1971), 130-132.
Dazu jetzt zusammenfassend für Niedersachsen Hucker, Schubert, Weisbrod
(1997), 783-785.
Boetticher, Manfred von, Freigrafschaften im mittleren Niedersachsen. (Quellen und
Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 108) Hannover 1992.
63
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
Kombination dem Grundherrn besondere Möglichkeiten gegenüber seinen
Bauern gab. Es ist allerdings ein Kennzeichen der niedersächsischen Agrarverfassung, dass solche Verhältnisse nicht überwogen. Selbst dort, wo von
Gutsherren die Rede war, handelte es sich nicht um Gutsherren im Sinne weit
reichender Herrschaftsrechte wie in einigen ostelbischen, gutsherrschaftlichen
Gebieten, wo alle Herrschaftsrechte (Grund-, Leib-, Gerichtsherr) in der Hand
eines Herrn vereinigt waren, der zudem über geschlossene Herrschaftsgebiete
verfügte.
Dem Gerichtsherrn standen Gebühren für bestimmte regelmäßig zu erbringende Leistungen, Gerichtsdienste außerdem Gebühren (Sporteln) für die Inanspruchnahme des Gerichtsherrn und natürlich Strafgelder (Brüche) zu. Was
die Gerichtsherrschaft von anderen Herrschaftsrechten auszeichnete, war ihre
Koppelung mit den Diensten. Es scheint durchgängig so gewesen zu sein, dass
dem Gerichtsherrn, nicht dem Grundherrn die Leistung von bäuerlichen
Diensten zustand.
2.
Die Agrarverfassung im Spannungsfeld zwischen Grundherren und
Landesherren
Die Gerichtsherrschaft verweist auf die herausragende Stellung, die der Landesherr unter den Herrschaftsträgern einnahm. In der älteren Forschung wurden die weit reichenden, noch zu skizzierenden Eingriffe der nordwestdeutschen Landesherren in die grundherrlichen Rechte hervorgehoben und als
„Bauernschutz“ bezeichnet. Diese Wertschätzung des niedersächsischen
„Bauernschutzes“ resultierte nicht zuletzt aus dem Vergleich mit den ostelbischen Verhältnissen, wo sich im 15. und 16. Jahrhundert der Übergang zur
modernen Gutsherrschaft mit einer drastischen Einschränkung bäuerlicher
Rechte vollzog.240 Insofern war es durchaus nahe liegend, wenn Werner Wittich sein ursprüngliches Thema, die hannoverschen Agrarreformen, deshalb
nur kursorisch behandelte, weil er meinte, dass die wesentlichen Entwicklungen im 16. Jahrhundert mit der Durchsetzung des Bauernschutzes stattfanden.241 Allerdings sollten Feststellungen dieser Art nicht überbewertet werden,
denn inzwischen wissen wir, dass die Entwicklung auch in Nordwestdeutschland wesentlich komplexer verlief. Zudem erfolgte der Bauernschutz keineswegs uneigennützig, sondern sollte die Einnahmen des Landesherrn absichern.242
Werner Wittich begann seine Darstellung nicht zufällig mit einem Kapitel
über „Grundherrschaft und Rittergut in Niedersachsen“.243 Damit verwies er
240
241
242
243
Neuester Forschungsüberblick bei Kaak, Heinrich, Die Gutsherrschaft: theoriegeschichtliche Untersuchungen zum Agrarwesen im ostelbischen Raum. Berlin [u.a.]
1991.
Wittich (1896), VIII.
Hauptmeyer (1997), 1128.
Wittich (1896), 1-12.
64
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
auf den engen Zusammenhang eines „mit Privilegien oder Herrschaftsrechten
versehenen Grundbesitz(es)“244 mit der rechtlichen Situation der bäuerlichen
Bevölkerung hin. Die Einbindung der grundherrlich gebundenen Bevölkerung
in ein komplexes System personaler Abhängigkeit blieb grundsätzlich bis in
das 19. Jahrhundert hinein bestehen, besaß regionale Unterschiede und eine
gewisse, noch darzustellende Entwicklung.
Das 16. Jahrhundert war eine Phase starken ökonomischen und demographischen Wandels.245 Die nach der Stagnationsphase des 15. Jahrhunderts
schnell wachsende Bevölkerung war ein wichtiges Element einer allgemeinen
Aufschwungphase. Kennzeichen dieser Aufschwungphase waren u.a. stark
steigende Getreidepreise aufgrund der zunehmenden Nachfrage nach Getreide
und daraus resultierend eine verstärkte Förderung der Landwirtschaft, eine
Zunahme des Großbetriebs und eine regionale Differenzierung der Produktion.246 Die Tendenz zum Großbetrieb war zwar in Ostdeutschland am stärksten
ausgeprägt, lässt sich aber auch in Niedersachsen beobachten. 247 Wenig bekannt sind die Ansätze zur Herausbildung landwirtschaftlicher Großbetriebe
in niedersächsischen und westfälischen Gebieten, die sowohl vom Adel als
auch vom Landesherrn getragen wurden.248 Durch das Aufkaufen von Bauernhöfen entstanden etwa im Calenbergischen bei Hannover mehrere Rittergüter
aus bisherigen Bauernhöfen oder wüsten Fluren.249 Vergleichbare Entwicklungen lassen sich in anderen Territorien beobachten. 250 Für den Weserraum bildeten die infolge der hohen Agrarpreise gestiegenen Einnahmen die Basis für
teilweise erhebliche Einkommen adeliger Haushalte. 251 Allerdings blieb es in
244
245
246
247
248
249
250
251
Wittich (1896), 1.
Abel (1978b), 97-141; Bauer, Leonhard, Herbert Matis, Geburt der Neuzeit: vom Feudalsystem zur Marktgesellschaft. München 1988.
Allerdings stellt sich die Frage, weshalb in Europa weit reichender agrarischer Fortschritt nur in wenigen Regionen eintrat, obwohl die Rahmenbedingungen vergleichs weise günstig waren; dazu etwa DuPlessis, Robert S, Transitions to capitalism in early modern Europe. Cambridge [u.a.] 1997, Part II.
Kaak (1991).
Am Beispiel des südniedersächsischen Klosters Mariengarten: Boetticher, Manfred
von, Kloster und Grundherrschaft Mariengarten. Entstehung und Wandel eines
kirchlichen Güterkomplexes im südlichen Niedersachsen vom 13. bis ins 19. Jahrhundert. (Quellen und Untersuchungen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 12) Hildesheim 1989, 82 und 90. Jetzt unter Hinweis auf die ältere Forschung und mit neuen
Ergebnissen Maurer, Gudrun, Zum Getreideabsatz südniedersächsischer Amtsgüter
an Hafenplätze an der Weser und an den fürstlichen Harzbergbau im 17. und 18.
Jahrhundert. In: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, 67 (1995), 237268, insbes. 242 f.
Stoelting, Gustav, Boerries Frhr von von Muenchhausen, Die Rittergüter der Fürstentümer Calenberg, Göttingen und Grubenhagen. Hannover 1912.
Als neueste Zusammenfassung Maurer (1995); Boetticher, Manfred von, „Nordwestdeutsche Grundherrschaft” zwischen Frühkapitalismus und Refeudalisierung. in:
Blätter für deutsche Landesgeschichte, 122 (1986), 207-228, 226 f.
Richarz, Irmintraut, Herrschaftliche Haushalte in vorindustrieller Zeit im Weserraum. (Beiträge zur Ökonomie von Haushalt und Verbrauch 6) Berlin 1971, 28-30; 67-
65
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
Niedersachsen bei Ansätzen, die im 17. und 18. Jahrhundert sogar teilweise
zurückgenommen wurden.252
Adel und Landesherren suchten durch das Aufkaufen bzw. Einziehen von
Bauernland die Voraussetzung für eigene, von Bauern zu bewirtschaftende
Großbetriebe zu schaffen, um die Einnahmen zu erhöhen, was insbesondere
für die Landesherren angesichts steigender Ausgaben auch dringend nötig
war.253 Die Steigerung der Domäneneinnahmen durch eine Vergrößerung der
landesherrlichen Eigenbetriebe und eine Intensivierung der Produktion stellten also die Antwort auf zunehmende Finanzprobleme dar. Bis in das 18. Jahrhundert galten die Domäneneinnahmen immerhin als die zentrale Finanzierungsquelle des Staates. Somit waren auch Einnahmen aus der Grundherrschaft oder Leibherrschaft steuerliche Leistungen. 254 Mit der Zunahme
landesherrlicher Aufgaben zeigte sich, dass die bisherigen Einnahmen aus der
Domäne und den landesherrlichen Regalien unzureichend waren. Ein Weg der
Geldbeschaffung bildete die Verpfändung von landesherrlichen Einkünften,
insbesondere von Ämtern und Schlössern.255 Dieser Weg konnte aber nicht auf
Dauer beschritten werden, da hierdurch die Einnahmesituation nur kurzfristig verbessert wurde. Statt dessen wurden zwei andere Wege beschritten: die
Einführung von Steuern unter Hinzuziehung der anderen Herrschaftsträger
im Land, also den Landständen, und eine systematische Verbesserung der Domäneneinnahmen.256
252
253
254
255
256
95.
Beispiele dafür bei Oehr, Gustav, Ländliche Verhältnisse im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel im 16. Jahrhundert. Berlin 1903, 26 für Braunschweig; Röpke
(1924), 28; Wrasmann (1921), I, 76; Hesse, Richard, Entwicklung der agrar-rechtlichen Verhältnisse im Stifte, späterem Herzogtum Verden. Jena 1900, 43-50. Zusammenfassend Boetticher (1986), 227 f.
Belege dafür bei Oehr (1903), 19; Saalfeld, Diedrich, Wilhelm Abel, Bauernwirtschaft
und Gutsbetrieb in der vorindustriellen Zeit. (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte 6) Stuttgart 1960, 23-33 (für Adel wie Landesherr); Maurer (1995), 242 f;
Hauptmeyer (1997), 1128.
Hirschfelder (1971), 152.
Schubert, Ernst, Steuer, Streit und Stände. Die Ausbildung ständischer Repräsentation in niedersächsischen Territorien des 16. Jahrhunderts, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, 63 (1991), 1 - 58, 15.
Siehe dazu allgemein: Reinhard, Wolfgang, Kriegsstaat - Steuerstaat - Machtstaat, in:
Ronald G. Asch, Duchhardt, Heinz, Hrg, Der Absolutismus - ein Mythos? Strukturwandel monarchischer Herrschaft in West- und Mitteleuropa (ca. 1550-1700). Wien
1996, 277-310; Reinhard, Wolfgang, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende
Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart. München 1999.
66
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
Tabelle 8: Struktur der Staatseinnahmen in der Frühen Neuzeit
Gruppe
Bezeichnungen
Regalia
Monopole, Zölle
Bedeutung
Geldeinnahmen
gesamte Bevölkerung, aber Ausnahmen
Konnten nur begrenzt gesteigert werden
Domänenein- Abgaben der Bauern an Geld- und Naturaleinnahmen
nahmen
Landbevölkerung
den Landesherrn als
Grundherrn (Grundab- Konnten vor allem durch verbesserte
Verwaltung, Erhöhung der Dienste und
gaben, Zehnt etc.)
Einnahmen aus den Vor- Ausbau der Vorwerke gesteigert werden
werken
Forsteinnahmen
Steuern
Geldeinnahmen
Bede
gesamte Bevölkerung, aber Ausnahmen
Schatz
Weitgehend abhängig von den LandstänPersonensteuern
den, die auch teilweise die Verwaltung dieGrundsteuern
Accise (Verbrauchssteu- ser Steuern übernahmen,
mit der Kontribution (Grundsteuer) ein
er)
neuer Steuertyp, den der Landesherr allein
kontrollierte
Steuerähnliche Leistungen waren von den Bewohnern eines Territoriums
(Herzogtum, Grafschaft, Bistum) aufzubringende Leistungen. Allerdings wurden die Landbewohner meist stärker belastet als die Stadtbürger. Geldzahlungen (Bede, Schatz, Kopfsteuer, Kontribution) dienten vorrangig der Kriegführung, wurden aber auch zu anderen Zwecken verwandt. Hinzu kamen spezielle, ausschließlich von der Landbevölkerung zu leistende Dienste für den Wegebau, die Erbauung oder Reparatur landesherrlicher Gebäude (Burgfestdienste) oder für den Krieg (Landfolgedienste, Kriegerfuhren).257 Nicht die
Entwicklung zum modernen Steuerstaat, der lediglich auf der Erhebung direkter wie indirekter Steuern und Abgaben beruht, sondern der Ausbau aller
Einnahmen, auch der naturalen aus der Landwirtschaft, kennzeichnet die
Entwicklung bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Selbst dort, wo aufgrund
des Bergbaus die monetären Einnahmen überdurchschnittlich hoch waren wie
im Herzogtum Braunschweig, fand ein systematischer Ausbau landwirtschaftlicher Leistungen statt.258 Ein weiteres Kennzeichen dieser Entwicklung war
die systematische Erfassung aller Leistungen und Abgaben. Das entscheidende Moment dieser Entwicklung dürfte neben der Etablierung neuer Abgaben
257
258
Krüger (1980).
Kraschewski, Hans-Joachim, Wirtschaftspolitik im deutschen Territorialstaat des 16.
Jahrhundert Herzog Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel (1528 - 1589). (Neue
Wirtschaftsgeschichte 15) Köln [u.a.] 1978, 139.
67
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
die Durchsetzung des Untertanenprinzips gewesen sein: „Die Steuer macht
den Untertan.”259
Abgaben im Amt Ilten 1770
40
37,5
35
32,5
30
27,5
25
22,5
20
17,5
15
12,5
10
7,5
5
2,5
0
Amtsabgaben
Grundherrliche Abgaben
Zehnt
Service
Kontribution
Dorfabgaben
Abbildung 1: Abgaben im Amt Ilten nach Fritzemeier, Korporation,
112
Am Beispiel der steuerlichen Belastung des Amtes Ilten östlich von Hannover lässt sich ein Überblick der finanziellen Belastung mit den unterschiedlichen Steuer- und Abgabenarten gewinnen, aus dem hervorgeht, dass vor allem
die Kontribution und der Zehnt eine hohe Belastung darstellten (vgl. Abbildung 1).
Angesichts der bis dahin bestehenden großen Probleme der Territorien, ihre
finanziellen Probleme zu lösen,260 mussten alle Ressourcen genutzt werden,
wozu auch die Intensivierung bzw. der Ausbau von Domänen gehörte. Die
Landesherren nutzten also jede sich bietende Gelegenheit, ihre Einnahmen zu
erhöhen, und dies hatte Folgen für die Entwicklung der Landwirtschaft in
Nordwestdeutschland. Aufgrund seines steigenden Geldbedarfs erwies sich die
Landesherren als ernsthafte Konkurrenten der privaten Grund-, Leib- und
Zehntherren. Benötigte sie zur Deckung ihrer Bedürfnisse von den Bauern höhere Leistungen, so mussten die Ansprüche der anderen in ihrer Höhe begrenzt werden. Noch zu Beginn des 16. Jahrhunderts war etwa den Calenberger Grundherren zugesichert worden, dass sie nach eigenem Gutdünken ihre
Bauern „setzen und entsetzen” konnten.261 Damit hatten sie das Recht, ihre
Bauern nach Ablauf der Pachtzeit ohne weiteres vom Hof zu vertreiben, den
Hof anschließend gegen höhere Abgaben an einen anderen Bauern zu verpachten oder ihn selbst (das heißt durch dienstpflichtige Bauern) zu bewirtschaf-
259
260
261
Schubert (1991), 21.
Gresky, Reinhard, Die Finanzen der Welfen im 13. und 14. Jahrhundert. Hildesheim
1984.
Privileg Herzog Erich I. von 1526 (Spittler, L. T, Geschichte des Fürstenthums Han nover seit den Zeiten der Reformation bis zu Ende des siebenzehnten Jahrhunderts
Theil 1. Göttingen 1786, I, 209-212).
68
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
ten. Es gab einen offenkundigen Trend hin zur verstärkten Bewirtschaftung
von Eigenbetrieben seitens der größeren Grundherren.262
Doch schon bald engten die welfischen Landesherren die Befugnisse der
Grundherren immer weiter ein.263 Schon 1526 durften die calenbergischen
Grundherren ihre Bauern nicht einfach mehr mit neuen Abgaben belasten. 264
Am Ende dieses Jahrhunderts war an die Stelle der Zeitpacht die Erblichkeit
bäuerlichen Besitzes getreten und eine Erhöhung grundherrlicher Abgaben
ausgeschlossen. Gleichzeitig wurden die bäuerlichen Dienstleistungen (Herrendienste) in ihrer Höhe begrenzt. Abgeschlossen wurde diese Entwicklung in
den beiden Landtagsabschieden von Salzdahlum 1597 für das Herzogtum
Braunschweig-Wolfenbüttel und Gandersheim 1601 für das Herzogtum Calenberg.265 Damit verloren die adeligen Grundherren weitgehend die Möglichkeit,
bäuerliche Abgaben zu erhöhen oder die Bauern von ihren Höfen zu „entsetzen“. Von den damaligen welfischen Landen blieb nur Göttingen von diesen
Regelungen unberührt.
Nutznießer waren nicht so sehr die Bauern. Denn wenn sie auch nicht mehr
mit steigenden Abgaben an den Grundherren zu rechnen brauchten, hieß das
nicht, dass ihre Belastungen gleich blieben. Ab jetzt war es der Staat, der immer höhere Steuerforderungen an die Bauern stellte. Er hatte die Voraussetzungen geschaffen, um nunmehr weitgehend allein darüber entscheiden zu
können, welche neuen Abgaben und Leistungen auf die Bauern entfielen. 266
Bis in jüngere Zeit wird betont, dass der Bauernschutz eingeführt worden
sei, damit die Landesherren zu Lasten der Adeligen, die ihre Einnahmen ja
nicht mehr erhöhen durften, nunmehr durch Steuererhöhungen die Staatseinnahmen weiter verbesserten.267 Doch dürfen dabei nicht die domanialen Einnahmen vergessen werden. Die Nutzung von Domänen gehört keineswegs zu
den mittelalterlichen Elementen frühmoderner Staatlichkeit, sondern im Ge262
263
264
265
266
267
Am Beispiel des südniedersächsischen Klosters Mariengarten: Boetticher (1989) 82
und 90. Jetzt unter Hinweis auf die ältere Forschung und mit neuen Ergebnissen
Maurer (1995), insbe 242 f.
Allgemein zum Bauernschutz im 16. Jahrhundert: Hötzsch, Otto, Der Bauernschutz
in den deutschen Territorien vom 16. bis ins 19. Jahrhundert. In: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, Bd. 26 (1902),
1137-1169; für Braunschweig Oehr (1903), Saalfeld, Abel (1960), 17-19, Sommer, Ulrike, „Bauernschutz“' im Territorialstaat des 16. Jahrhunderts - Das Beispiel Braunschweig - Wolfenbüttel. Magarbeit Bochum 1983.
Schubert (1991), 37.
10.10.1601: Chur-Braunschweigisch-Lüneburgische Landesverordnungen und Gesetze. Caput VIII: Land-Tages-Abscheide und Reglement Landtschafftlicher Wahlen,
zum Gebrauch der Fürstentümer, Graf- und Herrschaften Calenbergischen Theils,
Göttingen 1740.
Diese Darstellung verkürzt bewusst die komplexere Entwicklung zum modernen
Staat, denn die Landstände und damit auch die Feudalherren waren auch in Nieder sachsen bis zum 17. Jahrhundert entscheidend an dieser Entwicklung beteiligt.
Etwa Wehler (1987), 72.
69
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
genteil zu deren modernen.268 Angesichts der sich gegen Ende des 14. Jahrhunderts offenbarenden massiven Finanzprobleme und der Erfahrung, dass sich
die Landstände die Bewilligung von Steuern nur gegen politische Mitspracherechte bezahlen ließen, war der Weg zu einer Intensivierung der Domäneneinnahmen vorgezeichnet.269
Spätestens seit dem 15. Jahrhundert verbesserte die Landesherrschaft die
überkommenen Formen der Herrschaftsausübung über die Bauern und ergänzte sie durch neue. Mit den Ämtern wurde eine flächendeckende untere
Verwaltungsorganisation aufgebaut, die eine wesentlich effektivere Kontrolle
ermöglichte.270 Bis dahin hatten sich die Bauern den Ansprüchen der Herrschaft verhältnismäßig leicht entziehen können, da nur ungenaue Abgabenregister bestanden und die bäuerlichen Besitzverhältnisse kaum kontrolliert
wurden. Aufgrund der im 16. Jahrhundert begonnenen Anfertigung von Registern (Erbregister, Lagerbücher) hatten die landesherrlichen Beamten nun
einen hinreichend genauen Überblick und konnten so etwa Besitzveränderungen durch Verkäufe oder Verpfändungen leichter feststellen.271
Hinzu kam der im 16. Jahrhundert energisch betriebene Ausbau der Rentkammerverwaltung und die damit verbundene Vergrößerung der landesherrlichen Vorwerke.272 Dadurch wurden die Bauern nicht nur zu Steuerleistungen
heran gezogen, sondern ebenfalls für Arbeitsleistungen auf den Domänen. 273
Damit gliederte sich die Landesherrschaft in den allgemeinen Prozess zur
Ausdehnung des Gutsbetriebs ein, bzw. übernimmt geradezu eine Führungsposition. Die Festlegung der Dienste und deren Organisation stellte im 16.
Jahrhundert eine erhebliche Leistung dar, die auch dazu führte, dass die unte-
268
269
270
271
272
273
Dazu jetzt als knapper Überblick mit Bibliographie Buchholz, Werner, Geschichte der
öffentlichen Finanzen in Europa in Spätmittelalter und Neuzeit: Darstellung, Analyse, Bibliographie. Berlin 1996, hier insbes. 59-64.
Krüger (1980), Achilles (1972a).
Diese Kontrolle erfolgte aber nicht lückenlos: Schlumbohm, Jürgen, Gesetze, die nicht
durchgesetzt werden - ein Strukturmerkmal des frühneuzeitlichen Staates? in: Geschichte und Gesellschaft, 23 (1997), 647-663; neuerdings und stärker differenzierend:
Härter, Karl, Gesetzgebungsprozeß und gute Policey. Entstehungskontexte, Publikation und Gestaltungskraft frühneuzeitlicher Policeygesetze. (Policey Working Papers 3)
2002. <http://www.univie.ec.at/policey-ak/pwp/pwp_03.pdf> (2.6.2005).
Richter, Gregor, Lagerbücher oder Urbarlehre: hilfswissenschaftliche Grundzüge nach
württembergischen Quellen. (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung
Baden-Württemberg 36) Stuttgart 1979, Kroeschell, Karl, Zur rechtlichen Bedeutung
der Amtsbücher vom 16. bis 18. Jahrhundert, Im Dienst an Recht und Staat. Werner
Weber zum 70. Geb. Berlin 1974, 69-101.
Für Braunschweig: Kraschewski (1978), 45-50. Siehe auch Hahn, Peter-Michael,
Fürstliche Territorialhoheit und lokale Adelsgewalt: die herrschaftliche Durchdringung des ländlichen Raumes zwischen Elbe und Aller (1300 - 1700). (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 72) Berlin [u.a.] 1989, neuester Überblick
zur Entwicklung der Landstände im 16. Jahrhundert: Schubert (1991).
Sommer (1983), 96-98.
70
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
re Verwaltungsebene der Ämter stärker an die Rentkammer gebunden wurde.274
Parallel dazu wurden steuerähnliche Leistungen in Zusammenarbeit mit
den Landständen eingeführt und systematisch ausgebaut; nach der Kontribution als Grundsteuer wurde in Hannover 1686 der Licent als Verbrauchssteuer
eingeführt.275 Nach anfänglichen Problemen kam mit der revidierten Licentordnung von 1690 der große Erfolg; im gleichen Jahr erbrachte die neue Steuer einen Ertrag von 250.000 Rtlr, die in erster Linie aus der Besteuerung von
Mehl, Brot, Fleisch und Bier resultierten. Ein Überblick der gesamten steuerlichen Belastung des Landes ist aufgrund der unterschiedlichen Kassen nicht
einfach, dennoch ist unverkennbar, dass die steuerlichen Einnahmen und die
Rentkammereinkünfte in Kombination mit den Bergwerkseinkünften von zentraler Bedeutung für den Staatshaushalt waren. 276 Mit all diesen Maßnahmen
gelang es, die Staatsfinanzen auf eine breitere Grundlage zu stellen, ohne dass
dabei die Kammereinnahmen vernachlässigt wurden.
Ähnlich wie in Calenberg/Hannover sah es um 1750 im Herzogtum Braunschweig aus, wo von 941.000 Rtlr. Gesamteinnahmen immerhin 412.000 Rtlr.
aus der Kammer- und Klosterkammer bzw. aus deren Grundbesitz stammten.277
Auch in diesem Bereich bewirkten die landesherrlichen Aktivitäten ein Zurückdrängen der konkurrierenden grundherrlichen Gewalten, ohne dabei die
Grundherrschaft in Frage zu stellen.278 Mit der zunehmenden Durchsetzung
„absolutistischer” Tendenzen im 17. Jahrhundert verstärkte sich diese Tendenz noch weiter.279
Die hier skizzierten Vorgänge blieben nicht auf Nordwestdeutschland beschränkt. Der Weg, die Domäneneinnahmen systematisch auszubauen, kennzeichnet besonders das 16. Jahrhundert. Hierfür ist in der Forschung der Be274
275
276
277
278
279
Kraschewski (1978), 51, Anm. 175: undat. Ausschreiben an alle Ämter, den Herrendienst richtig abzurechnen.
Spittler, Ludwig Timotheus von, Geschichte des Fürstenthums Calenberg, unter der
Regierung des Lüneburgischen Hause. In: Ders., Sämtliche Werke, hrsgg. von Karl
Wächter, Stuttgart; Tübingen 1835, 258 f.; Schnath, Georg, Geschichte Hannovers im
Zeitalter der neunten Kur und der englischen Sukzession 1674 - 1714. Im Anschluss
an Adolf Köchers unvollendete Geschichte von Hannover und Braunschweig 1684 1714. Hildesheim 1938, I, 319-324. Winnige, Kontribution, 60 f und 67 f.
Zahlen bei Schnath (1938), I, 326 f. Einen knappen Überblick enthält Kalthoff, Edgar,
Alheidis von Rohr, Calenberg: von der Burg zum Fürstentum. Hannover 1983, 29-32.
Achilles, Walter, Die steuerliche Belastung der braunschweigischen Landwirtschaft
und ihr Beitrag zu den Staatseinnahmen im 17. und 18. Jahrhundert. Hildesheim
1972b, 149, Tab. 11.
Wittich (1896).
Zur Entwicklung in Braunschweig jetzt zusammenfassend: Römer, Christof, Das Zeitalter des Hochabsolutismus (1635-1735), in: Horst-Rüdiger Jarck, Schildt, Gerhard,
Hrg, Die Braunschweigische Landesgeschichte. Jahrtausendrückblick einer Region.
Braunschweig 2. Auflage, 2000, 535-574, insbes. 551 ff.
71
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
griff des „Finanzstaates” eingeführt worden.280 In Deutschland blieben die Domäneneinnahmen bis in das 19. Jahrhundert von zentraler Bedeutung für die
Staatseinnahmen.281 Insofern kann kaum von einer Übergangslösung zwischen
Domänen- und Steuerstaat gesprochen werden. 282 Nicht der Übergang von naturalen und domanialen Einnahmen zu solchen monetärer und steuerlicher
Art kennzeichnen die Entwicklung zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert, sondern die zunehmende Erfassung sämtlicher Leistungen durch den
Staat. Kersten Krüger schreibt zu den Auswirkungen der territorialen Politik
in diesem Jahrhundert:
„Sie [die Politik] macht sich geltend als eine von Jahrzehnt zu Jahrzehnt zunehmende Erfassung der grundherrlichen und gerichtsherrlichen Einnahmequellen,
als stetig anwachsende Anspannung der Leistungen für den Staat …“ 283
Schon Werner Wittich hat auf die durchaus erkennbaren Entwicklungsprozesse der nordwestdeutschen Agrarverfassung hingewiesen. Anfang des
18. Jahrhunderts musste der Staat eingreifen, um Versuche der Grundherren,
Zinserhöhungen durchzusetzen, zu verhindern.284 Andererseits erhielten die
Grundherren in Calenberg ab 1719 wieder erweiterte Verfügungsrechte über
ihre Bauernhöfe. Auflösungstendenzen gab es besonders in den den Grafschaften Hoya-Diepholz und dem Herzogtum Bremen-Verden, wo reiche, mit Diensten und Abgaben nicht übermäßig belastete Bauern sich zunehmend von ihren
Gutsherren freikauften.285 Eine 1766 erlassene Verordnung blockierte eine
weitere Lösung der Höfe aus der Grundherrschaft und schrieb die bisherigen
Eingriffs- und Kontrollrechte fest.286 Die Auflösungstendenzen im Stift Verden
gingen immerhin so weit, dass Bauern sogar ganze Güter aufkauften.287
In ihrem regionalen und territorialen Wechselspiel glich die nordwestdeutsche Agrarverfassung einem zeitlich wie räumlich variierendem Muster. Hervorzuheben ist die Trennung in westlich der Weser gelegene Gebiete mit Eigenbehörigkeit und in östliche ohne persönliche Abhängigkeitsbeziehungen. 288
280
281
282
283
284
285
286
287
288
Krüger (1980), kritisch dazu Reinhard (1996), 280 f.
Zu den Versuchen Steins, die Domänen zu verkaufen siehe Scheel, Heinrich, Doris
Schmidt, Das Reformministerium Stein: Akten zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte aus den Jahren 1807/08, Bd. 2. Berlin 1967, etwa II, Nr. 547, 618 f oder I,
Nr. 89, 297; siehe auch Buchholz (1996), 59.
Buchholz (1996), 17.
Krüger (1980), 45.
Wittich (1896), 409 f.
Wittich (1896), 411 f; Hesse (1900), 133.
Wittich (1896), 412; Hesse (1900), 116f.
Hesse (1900), 133.
Weitgehend, aber nicht völlig: siehe die Beispiele Schaumburg-Lippe und Stift Loccum Eggers, Christian, Grundherrschaft als Unternehmen : die Wirtschaft des Klosters Loccum im 17. und 18. Jahrhundert, in: Carl-Hans Hauptmeyer, Hrg, Hannover
und sein Umland in der frühen Neuzeit: Beiträge zur Alltags-, Sozial- und Wirt schaftsgeschichte. Bielefeld 1994, 17-46.
72
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
Zusammenfassend lassen sich folgende Elemente der „nordwestdeutschen
Agrarverfassung” benennen:
• die Vielzahl der feudalen Herrschaftsrechte über die Bauern,
• die Aufteilung dieser Rechte auf mehrere Personen bzw. Einrichtungen,
• die relative Sicherheit der Bauern vor willkürlichen Eingriffen der einzelnen Herrschaftsträger,
• der geringe Grad der Verfügungsgewalt, den die Bauern über „ihren”
Boden hatten,
• die dominierende Stellung der Landesherrschaft.
3.
Ökonomische Folgen bäuerlicher Abhängigkeit
Nachdem die ältere agrargeschichtliche Forschung sich auf die Untersuchung
rechtlicher Fragen konzentrierte und nur ansatzweise die soziale und ökonomische Dimension bäuerlicher Abhängigkeit untersuchte289, erfolgte in den
1960er Jahren unter dem Einfluss der Untersuchungen von Wilhelm Abel ein
entscheidender Neuansatz. Abels Hinwendung zur Wirtschafts- und Konjunkturgeschichte, eingeleitet mit seinen „Agrarkrisen und Agrarkonjunkturen” 290,
förderte eine Reihe von Untersuchungen zur ökonomischen Situation bäuerlicher Betriebe.291
Feudale und staatliche Abhängigkeit äußerte sich in einer Vielzahl von
Leistungen an die unterschiedlichsten Empfänger au Diese für Gebiete mit
Grundherrschaft, also auch für Niedersachsen, typische Aufsplitterung erschwert nicht nur uns Heutigen den Überblick, sondern bereitete auch schon
den Zeitgenossen Mühe. Besonders adelige Herren mit wenigen, über ein
großes Gebiet verstreut wohnenden abhängigen Bauern hatten lediglich beschränkte Kontrollmöglichkeiten.292 Eine teure Verwaltung mit der regelmäßigen Führung von registerförmigen Daten zur Erfassung der Abhängigen kam
oft nicht in Frage. Die Bauern hatten in diesen Fällen die Möglichkeit, sich
einzelnen Abgaben wie dem Weinkauf zu entziehen.
289
290
291
292
Ein gutes Beispiel bieten hierfür die Arbeiten von Friedrich Lütge, etwa seine Agrar verfassung. Lütge (1967)
Abel (1978b).
Dies gilt auch für den europäischen Vergleich. Siehe etwa Béaur, Gérard, From the
North Sea to Berry and Lorraine: Land productivity in Northern France, 13th-19th
century, in: Bas, J.P. Van Bavel, Thoen, Erik, Hrg, Land productivity and agro-systems in the North Sea Area. Middle Ages - 20the century. Elements for Comparison.
(CORN, Comparative Rural History of the North Sea Area 2) 1999, 136-167, insbes.
136 f, sowie insgesamt der zitierte Band. Béaur fragt gleich zu Beginn, weshalb die
Produktivität der Landwirtschaft so lange ein so geringes Interesse gefunden hat.
Ein kleines Beispiel für die Probleme der Grundherren, ihre Herrschaftsansprüche
durchzusetzen, bietet Schneider, Karl H., Die Wiedenbrügger Halbmeierhöfe der v.
Münchhausen im 17. und 18. Jahrhundert. In: Schaumburg-Lippische Heimatblätter,
40 (1989), 84-86.
73
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
Anders sah es dort aus, wo sich mehrere Rechte in einer Hand befanden
oder der jeweilige Herr viele abhängige Bauern hatte und über eine gut arbeitende Verwaltung verfügte. Dazu gehörten neben den einzelnen Landesherren
besonders die Klöster. Hatten sie zudem die Gerichtsherrschaft über die abhängigen Höfe inne, so konnten sie ihre Rechte an diesen durchsetzen.293
Das große Interesse der Feudalherren an der Sicherung ihrer Einnahmen
führte dazu, dass sie vergleichsweise gut Buch führten, so dass wir über diesen
Bereich gut informiert sind. Schwieriger, beinahe unmöglich ist es, eine betriebswirtschaftliche Gesamtrechnung zu erstellen, die auch die Einnahmen
und die Betriebsausgaben erfasst.294 Hierzu fehlen uns viele wichtige Informationen; lediglich einige ausgewählte Höfe können relativ genau berechnet
werden. Verallgemeinern lassen sich solche Daten aber kaum, zu groß waren
die Unterschiede hinsichtlich Hofgröße, Landgüte und Abgaben. Außerdem
schwankten die Ernteerträge von Jahr zu Jahr viel stärker als heute. Da es
keine Buchführung gab, fehlen viele Informationen über Einnahmen und Ausgaben der Höfe.
Achilles, der 71 hannoversche Betriebe untersuchte, von denen es ausführliche zeitgenössische Ertragsanschläge gibt, schreibt dazu: „Schon die einfache
Frage, welchen Umfang die Dienste hatten und ob sie eine drückende Lasten
waren, ist höchstens für den Einzelfall, nicht aber für alle 71 Betriebe zu beantworten.“295
Wir sind also auf mehr oder weniger genaue Schätzungen angewiesen. Bei
den von Achilles untersuchten Betrieben im Fürstentum Calenberg schwankte
der in Geld berechnete Anteil der einzelnen Lasten an dem Rohertrag der Höfe
zwischen 25 und 30 %, während er im damals noch zu Hannover gehörenden
Herzogtum Lauenburg mit 10 % extrem niedrig lag.296 Eine Übersicht weiterer
Einzel- und Reihenuntersuchungen kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Belastung durch Steuern und Abgaben zwischen weniger als 10 % im Jeverland
und nahezu 40 % im mittleren Niedersachsen bewegte, woraus sich mit aller
Vorsicht schließen ließe, dass in den Gebieten mit ausgeprägterer Grundherrschaft etwa 20 – 30 % der Roheinnahmen für feudale und staatliche Abgaben
zu entrichten waren.297
Von dem Rohertrag gingen aber nicht nur die feudalen und staatlichen Lasten ab, sondern das Saatkorn, die Naturalentnahmen und Betriebsausgaben
sowie Lohn oder Reparaturkosten. Unter Berücksichtigung dieser Posten las293
294
295
296
297
Beispiel dafür Boetticher (1989).
Neuere knappe Zusammenfassung bei Achilles (1972a), S. 28-35. Siehe außerdem
Achilles (1982), passim. Einzelstudien für Niedersachsen stammen von Bremen, Lüder von, Abgaben und Dienste der Bauern im westlichen Niedersachsen im 18.Jahrhundert. (Jahresheft der Albrecht Thaer-Gesellschaft 15) 1971, Risto, Ulrich, Abgaben
und Dienste bäuerlicher Betriebe in drei niedersächsischen Vogteien im 18. Jahrhundert. 1964, Achilles (1982) ; zusammenfassend Abel (1978a), 253-257.
Achilles (1982), 117.
Achilles (1982) .
Übersicht bei Abel (1978a), 254.
74
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
sen sich zwei Feststellungen treffen. Zum einen waren die Einkommensunterschiede zwischen den großen und den kleinen Betrieben im Vergleich zu heute
eher gering, reiche Bauern bildeten die Ausnahme. Andererseits hatten viele
Höfe teils erhebliche Schulden, die sich zum Teil daraus ergaben, dass die normalen Ausgaben höher als die Einnahmen waren. So hatten die von Ulrich Risto untersuchten Höfe der Vogtei Soltau einen durchschnittlichen Zuschussbedarf von 21 % des Roheinkommens.298 Solche Werte werden zwar durch andere
Untersuchungen nicht bestätigt, jedoch ist es unzweifelhaft, dass Schulden ein
durchaus normales Phänomen der frühneuzeitlichen Landwirtschaft waren.299
Es gab Schulden infolge eines grundsätzlichen Mißverhältnisses zwischen
Einnahmen und Ausgaben, weil letztere zu hoch oder erstere zu niedrig waren. Aufgrund der Bindung der Dienste an die Betriebsgröße litten speziell
kleine Betriebe einer Hofklasse unter der Dienstlast.300 Außerdem dürfte auch
schon in der vorindustriellen Landwirtschaft die betriebswirtschaftliche Eignung der Betriebsinhaber nicht nur von unterschiedlicher Qualität, sondern
auch von Bedeutung für die finanzielle Situation der Betriebe gewesen sein,
was sich in den zeitgenössischen Quellen beispielsweise in Klagen über die
„Trunksucht” der Bauern niederschlägt.301 Hinzu kamen weitere Faktoren wie
Schulden infolge eines zu hohen Brautschatzes oder durch Freikauf. 302 Konjunkturelle Entwicklungen dürfen vor allem im 18. Jahrhundert nicht unterschätzt werden, da zumindest große Betriebe in zunehmenden Maße in Marktverflechtungen eingebunden wurden.303 Für marktorientierte Betriebe erwiesen sich zudem die unzureichenden Kreditmöglichkeiten als Hemmschuh.
Eine Verschuldung bäuerlicher Betriebe dürfte demnach nicht allein Ausdruck
zu hoher Feudalquoten bzw. Steuerlasten gewesen sein.
Wenn Betriebe in Relation zu ihrer Klasseneinteilung zu klein wurden,
konnte das auch daran liegen, dass sie Land durch Verpfänden verloren hatten. Zwar war dies nach dem Meierrecht verboten, aber vor der Einführung
der ersten Vermessungen kaum zu kontrollieren. Eine 1712 vorgenommene
298
299
300
301
302
303
Abel (1978a), 254; Risto (1964) Risto, Abgaben.
Pröve, Heinrich, Dorf und Gut im alten Herzogtum Lüneburg. Göttingen 1929, 23;
Gagliardo, John G, From pariah to patriot: the changing image of the German peasant, 1770 - 1840. Lexington, Ky. 1969, 45-49; Winkler (1959), 71-84; Hirschfelder
(1971), 179-181; Henning, Friedrich-Wilhelm, Die Verschuldung westfälischer Bauernhöfe in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Landwirtschaft und ländliche
Gesellschaft in Geschichte und Gegenwart: Festschrift Wilhelm Abel, Hrg, Hannover
1964, 1-25; Schneider, Karl H., Äußerungswesen und bäuerliche Wirtschaft in
Schaumburg-Lippe 1770-1800. In: Schaumburg-Lippische Mitteilungen, 25 (1982), 5583.
Ein Beispiel bei Rasmussen, Eric, Games and Information - An Introduction to Game
Theory. Oxford 1989, 79 f.
Ebd, 64.
Der Halbmeier Hartmann Bergdorf Nr. 1 in Schaumburg-Lippe kaufte sich 1772 von
der Eigenbehörigkeit frei und musste anschließend mit 1576 Rtlr. Schulden in die Äußerung. STAB L 3 Mc 75 f, Bericht Amt Bückeburg vom 30.6.1814.
Achilles (1982).
75
Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung
Erhebung in 14 Dörfern des Weserberglandes ergab, dass durchschnittlich fast
7 % des Landes versetzt waren, wobei die Werte in einzelnen Dörfern bis auf
20 % ansteigen konnten. Solche extremen Werte gab es in Orten mit einer hohen Bevölkerungsdichte, einem großen Anteil an Kötnern, erheblichen Flurerweiterungen seit dem 16. Jahrhundert und einer starken Gemengelage des
Ackerlandes.304 In Verden scheinen die Meier die Höfe als ihr Eigentum betrachtet und deshalb eigenständig Land versetzt oder verpfändet zu haben.
1624 wurden zur Verhinderung unkontrollierter Landverkäufe angelegt. 305
Hinweise auf Versetzen von Landstücken gibt es auch aus dem Fürstentum
Lüneburg.306
Es fehlte nicht an Versuchen, der problematischen, schon im 16. Jahrhundert erkennbaren Verschuldungstendenz zu begegnen; neben einer verstärkten staatlichen Aufsicht sind spezielle Entschuldungsverfahren zu nennen, wie
das schaumburg-lippische Äußerungsverfahren.307 Das schaumburg-lippische
Verfahren beispielsweise sicherte zwar der Familie des Bauern den Hofbesitz,
führte aber ansonsten zu erheblichen Einbußen in der Lebensführung.
304
305
306
307
Marten (1965), 121, 123.
Hesse (1900), 65 f.
Pröve (1929), 23, der vom Versetzen von Land in geringem Umfang berichtet.
Schneider (1982); ähnlich war das hoyaische Administrationsverfahren; Röpke (1924),
75-79.
76
III. Agrarreformen als sozialer Prozess
1. Reformkonzepte
„Die Landwirtschaft ist ein Gewerbe, welches zum Zweck hat, durch
Produktion vegetabilischer und tierischer Substanzen Gewinn zu erzeugen oder Geld zu erwerben. Je höher dieser Gewinn nachhaltig ist, desto vollständiger wird dieser Zweck erfüllt. Die vollkommenste Landwirtschaft ist also die, welche den möglich höchsten, nachhaltigen
Gewinn, nach Verhältnis des Vermögens, der Kräfte und Umstände aus
ihrem Betriebe zieht.”308
Diese vielzitierten Sätze Albrechts Thaers aus dem Jahre 1809 werden
allgemein als Beleg für die Modernisierungsansätze des 18. Jahrhunderts genommen, obwohl sie dem frühen 19. Jahrhundert entstammen.
Gleichwohl sind sie als Ausdruck gewandelter Vorstellungen auch für
das 18. Jahrhundert von Bedeutung, verweisen sie doch darauf, dass
ohne eine grundsätzliche Neubewertung agrarischer Tätigkeit das Problem der geringen Produktivität nicht gelöst werden konnte. 309 Wie groß
der Schritt war, den Thaer hier für Deutschland formulierte, wird erkennbar, wenn man zum Vergleich eine Quelle über die Situation der
kurhannoverschen Landwirtschaft aus dem Jahre 1766 heranzieht, die
im Auftrag des Königs Informationen den „wahren Zustand, fernern Erwerb und hingegen seine Ausgaben und Abgiften“ hannoverscher Landwirte erfassen sollte.310 Hinter diesen Sätzen verbarg sich etwas anderes
als eine Gewinnerwartung. Vielmehr wollte der König „wissen, ob die
Bauernhöfe in der Lage waren, ihren Bewirtschaftern einen standesgemäßen Lebensunterhalt zu gewähren und den Berechtigten, wozu auch
er [=der König] gehörte, ihre ‚Abgiften’ zu sichern“.311
Der Vergleich dieser beiden Aussagen zeigt den zwischen 1766 und
1809 erfolgten Wandel, wobei davon auszugehen ist, dass die Thaer‘sche
Bewertung nur langsam eine größere Verbreitung unter den Landwirten
308
309
310
311
Thaer, Albrecht Daniel, Albert Thaer‘s Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Neue Ausg 1880, 3. Zu Thaer jetzt: Panne, Kathrin, Hrg, Albrecht Daniel Thaer - Der Mann gehört der Welt, Celle 2002.
Allgemein: Abel, (1978); Frauendorfer, Sigmund, Ideengeschichte der Agrarwirtschaft und Agrarpolitik im deutschen Sprachgebiet, Bd. 1. Von den Anfängen bis zum Ersten Weltkrieg. München [u.a.] 2 1963; Conrady, Sigisbert, Die
Wirksamkeit König Georgs III. für die hannoverschen Kurlande. In: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, 39 (1967), 150-191; Mittelhäusser
(1977), bes. 371-375.
Achilles (1982), 4.
Achilles (1982), 7.
0
fand. Insofern hatten die ersten Sätze der „Grundsätze der rationellen
Landwirtschaft” vornehmlich programmatischen Charakter. Dass Thaer
weder ständische Schranken oder Vorrechte noch patriarchalische Beziehungen zwischen Bauern und Gutsherren akzeptieren wollte, wies ebenfalls in das 19. Jahrhundert. Das Werk richtete sich weniger an abhängige Bauern, sondern an bürgerliche oder adelige Bewirtschafter von
großen Gutsbetrieben; insofern unterschied es sich wesentlich von Reformbemühungen, die nicht den Grundherren, sondern den abhängigen
Bauern zu einer modernen Landbewirtschaftung anregen wollten.
Es war ein weiter Weg, bis solche Sätze niedergeschrieben werden
konnten. Zwar gab es schon seit dem 16. Jahrhundert eine beachtliche
Fülle von Schriften, die praktische Hinweise zur bäuerlichen Wirtschaftsführung enthielten („Hausväterliteratur”), jedoch waren sie nicht
nach wissenschaftlichen Kriterien geschrieben. Erst mit der Einrichtung
kameralistischer Lehrstühle an den Universitäten des 18. Jahrhunderts,
wie z.B. 1755 in Göttingen, änderte sich das.312 Die nun einsetzende systematische theoretische Auseinandersetzung mit der Landwirtschaft
zielte vor allem auf eine Hebung der Einkünfte des eigenen Staates und
klammerte damit Aspekte des internationalen Handels weitgehend
aus.313 Die Landwirtschaft spielte allein deshalb in der Arbeit bedeutender Kameralisten eine zentrale Rolle, weil sie der wichtigste ökonomische Bereich der Volkswirtschaft war. Die Analyse der Kameralisten
legte eine Reihe von Schwachstellen der agrarischen Wirtschaft blo Bemängelt wurden die mangelnde Effektivität, die unzureichende Bodenbearbeitung, die unzureichend eingeführte Fruchtwechselwirtschaft, die
genossenschaftlichen Nutzungsrechte und die naturalen Belastungen
der abhängigen bäuerlichen Betriebe. J. H. G. von Justi nannte folgende
Problembereiche:
• eine zu enge Siedlungsweise, weshalb er eine Auflockerung der Dörfer
bzw. Aussiedlung der Höfe forderte,
• zu schmale und zu lange Ackerstreifen,
• die gemeinschaftlichen Weiderechte auf Brach- und Stoppelfelder, die
aufgehoben und statt dessen Gemeinheitsteilungen und Verkoppelungen durchgeführt werden sollten,
• eine teilweise übermäßige Größe von Rittergütern (und teilweise auch
von Bauerngütern),
• die feudale Abhängigkeit der Bauern, insbesondere die Dienstpflicht,
• eine schlechte Wirtschaftsführung seitens der Bauern.314
312
313
Einen knappen ideengeschichtlichen Einblick bietet Frauendorfer (1963), 116126 zu der Hausväterliteratur und 126-141 zu den Kameralisten. Siehe auch
Dittrich, Erhard, Die deutschen und österreichischen Kameralisten. (Erträge
der Forschung 23) Darmstadt 1974, 35-122.
Frauendorfer (1963), 126-141; Gagliardo (1969), 37 f.
1
Die Bedeutung der Kameralisten bestand aber nicht allein darin, Mängel aufzulisten und Verbesserungsvorschläge zu erstellen, sondern in ihrer Vermittlungsfunktion als akademische Lehrer und Autoren wichtiger kameralistischer Werke.315 Die Adressaten ihrer Arbeiten waren
nicht die Bauern, sondern Beamte, Gutsbesitzer, Pastoren und Lehrer.
Allein ihnen wurde eine modernisierende Funktion innerhalb der frühneuzeitlichen Landwirtschaft zugewiesen, woran sich bis in das
20. Jahrhundert nur wenig änderte.316
1 Reform der Landwirtschaft
Nicht so sehr die einzelnen Reformmaßnahmen selbst, sondern eine
grundsätzliche und intensive Beschäftigung mit der Landwirtschaft war
das Kennzeichen des 18. Jahrhundert Sie blieb nicht allein auf die Universitäten beschränkt, sondern erfasste weite Bevölkerungsgruppen.
Wichtige Mittler zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit waren die
seit der Mitte des Jahrhunderts überall gegründeten Landwirtschaftsgesellschaften, von denen die Celler (1764), deren berühmtestes Mitglied
Albrecht Thaer war, besondere Bedeutung erlangte. Mitglieder der Gesellschaften waren aber nicht die abhängigen Bauern, sondern neben
den Wissenschaftlern vorrangig Beamte, Adlige und Bürgerliche, unter
diesen wiederum viele Lehrer und Pastoren.317
314
315
316
317
Justi, Abhandlung von denen Hindernissen einer blühenden Landwirtschaft,
hier nach Abel (1978a), 282.
Die Aufstellung kameralistischer Schriften bei Dittrich (1974), 125-145 ist leider unvollständig. Einen immer noch brauchbaren Überblick bietet Abel
(1978a), 280-289, der den Durchbruch zur wissenschaftlichen Landbauwissenschaft auf die Jahre 1727 und 1753 bis 1759 legt (ebd, S. 281). Siehe auch die
älteren Darstellungen von Zielenziger, Kameralisten und Tautscher, Anton,
Staatswirtschaftslehre des Kameralismus. Bern 1947. Einen Überblick zur niedersächsischen Landwirtschaft bietet Achilles, Walter, Aufklärung und Fortschritt in der niedersächsischen Landwirtschaft. In: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, 59 (1987), 229-252, außerdem Achilles (1987).
Achilles, Walter, Agrarkapitalismus und Agrarindividualismus - Leerformeln
oder Abbild der Wirklichkeit? In: VSWG, 81 (1994), 494-544.
Zur Gründung der Gesellschaft siehe Deike, Ludwig, Ilse Deike, Die Entstehung der Celler Landwirtschaftsgesellschaft. Ökonomische Sozietäten und die
Anfänge der modernen Agrarreformen im 18. Jahrhundert. (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 113) Hannover 1994, außerdem enthalten die Festschriften der Gesellschaft wichtige Informationen (insbesondere
Königliche Landwirtschaftsgesellschaft (1864) hier 15-44). Die meisten Mitglieder der Gesellschaft stammten aus dem nordöstlichen und mittleren Niedersachsen; Prass, Reiner, Reformprogramm und bäuerliche Interessen. Die Auflösung der traditionellen Gemeindeökonomie im südlichen Niedersachsen,
1750 - 1883. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 132)
Göttingen 1997, 60.
2
Broschüren, Zeitschriften, Bücher und Kalender dienten der Verbreitung neuer Erkenntnisse. Bauernkalender wandten sich speziell an bäuerliche Leser. Eine der bekanntesten Schriften für die ländliche Bevölkerung war das „Noth- und Hülfsbüchlein für Bauersleute oder lehrreiche
Freuden- und Trauer-Geschichte des Dorfes Mildheim“ des Gothaer Verlegers und Publizisten Rudolph Zacharias Becker, dessen Erstausgabe
1788 erschien. In der Rahmenhandlung, den Freuden- und Trauergeschichten des Dorfes Mildheim, wurden der Landbevölkerung nicht nur
Lehren über den richtigen Umgang mit der Obrigkeit erteilt, sondern sie
wurde auch aufgeklärt, dass Menschen erst dann beerdigt werden sollten, wenn ihr Tod einwandfrei sichergestellt war. Sie erfuhren, wie sie
Brot richtig backen konnten, wie „eine geschickte, reinliche und ordentliche Hausfrau viel dazu hilft, dass ihre Leute gesund bleiben und ein
hohes Alter erlangen“318, oder wie „bei einer ungeschickten, säuischen
und unordentlichen Hausfrau immer alles kränkelt und elend ist“. Im
zweiten Teil des Buches wurden Hilfen zu einer verbesserten Landwirtschaft gegeben und das Vorbild des Schweizer Bauern Kleinjogg gepriesen.319 Schließlich folgten im dritten Teil Tipps für Notfälle, wie das Verhalten bei Bissen von tollwütigen Hunden oder „vom Behexen, Zaubern
und Vergiften“.
Lehrer und Pastoren versuchten durch praktische Vorführungen und
theoretische Erläuterungen die Bauern zur Übernahme neuer Landbaumethoden zu bewegen. Zurück hielten sich dagegen die Reformer, wenn
es um die herrschaftliche Abhängigkeit ging. Nur wenige Radikale
brachten dieses Thema zu Sprache.320 Die übrigen befürchteten offenbar,
dass eine Diskussion bäuerlicher Unfreiheit bald in eine grundsätzliche
Kritik der damaligen politischen Zustände einmünden würde.321 Mit dem
Ausbruch der Französischen Revolution und ihrem Übergreifen in das
linksrheinische Deutschland erhielten Reformen in diesem Bereich eine
zusätzliche Brisanz.322 Die Angst der Herrschenden vor bäuerlichem Wi318
319
320
321
322
Becker, Rudolf Zacharias, Noth- und Hülfsbüchlein für Bauersleute. (Die bibliophilen Taschenbücher 207) Dortmund Nachdr 1980 = 1788, Nr. 19, 155160.
„Die Wirthschaft eines philosophischen Bauers.“ Entworfen von H. E. Hirzel,
M.D. und Stadtarzt in Zürich. Neue und vermehrte Auflage Zürich 1774. Ein
gekürzter Nachdruck ist 1980 in Zürich erschienen.
Ein Beispiel dafür bietet die Schrift von Münchhausen, P. A. F. von, Ueber
Lehnherrn und Dienstmann. Leipzig 1793, etwa 26: „Tausend Jahre Unrecht
macht keine Stunde recht.“ Münchhausen war u.a. „Chur-Hannöverischer Justizrat und Hofgerichtsassessor“, so im Titel des Buches.
Dazu Schreiner, K, „Grundherrschaft”. Entstehung und Bedeutungswandel eines geschichtswissenschaftlichen Ordnungsbegriffes, in: Hans Patze, Hrg, Die
Grundherrschaft im späten Mittelalter. Sigmaringen 1983, 11-74.
Möller, Horst, Fürstenstaat oder Bürgernation: Deutschland 1763 - 1815. Berlin [West] 1989, 528-531; Weis, Eberhard, Der Durchbruch des Bürgertums.
3
derstand war vielleicht nicht so unbegründet, denn besonders in den reichen Regionen setzten sich die Bauern schon früh mit der Französischen
Revolution auseinander: „Es scheint … die … These angebracht zu sein,
dass wie keine voraufgegangene politisch-geistige Umwälzung … die
Französische Revolution und ihre Folgen die Gemüter in Stadt und
Land zutiefst bewegt haben: Wie anders ist es zu erklären, dass auf den
Höfen der Bauer dieser Zeit viele Bücher über Frankreich, seine Politik,
sein neues Recht und seine neue Freiheit gekauft hat, wenn es ihn nicht
persönlich getroffen hätte?“323
Die Übernahme neuer Fruchtfolgen oder Anbaumethoden erfolgte keineswegs linear, wie die von Otto Ulbricht untersuchte Einführung des
Rotklees belegt.324 Klee war zwar in Deutschland seit langem bekannt,
wurde aber bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts nur in geringem Umfang
eingesetzt. Die Tatsache, dass schon vor der Jahrhundertwende Hoyaische Bauern Rotklee säten, zeigt jedoch, „dass unter gewissen Umständen die von den Zeitgenossen wie von der modernen Diffusionsforschung
behauptete Neuerungsfeindlichkeit dieser Gruppe zurücktreten konnte”325. Die weitere Verbreitung des Klees blieb allerdings weiterhin begrenzt, woran auch Rinderpest und Hungersnot Anfang der 1770er Jahren ihren Beitrag hatten, da der Klee im Gegensatz zur Kartoffel nicht
direkt für die menschliche Ernährung genutzt werden konnte. Anfang
der 1780er Jahre hatte sich der Kleeanbau dann zumindest im Calenbergischen durchgesetzt, und wurde von 1789 bis 1803 durch die unentgeltliche Abgabe von Kleesamen weiter gefördert.326 Trotz zuletzt 48.000
Pfund verteilten Kleesamens gelang gleichwohl nur eine sehr langsame
Übernahme, wofür Ulbricht vor allem das Problem der „over-adoption”
verantwortlich macht: der Klee wurde zu sehr gepriesen, so dass Enttäuschungen bei wenig sachgerechtem Anbau nicht ausbleiben konnten.327
323
324
325
326
327
1776-1847. (Propyläen-Geschichte Europas, Ullstein-Buch 4) Frankfurt am
Main [u.a.] 1982, 201-204. Für Süddeutschland Beispiele Scheel, Heinrich,
Süddeutsche Jakobiner: Klassenkämpfe und republikanische Bestrebungen im
deutschen Süden Ende des 18. Jahrhundert (Schriften des Zentralinstituts für
Geschichte 13) Berlin 1980, etwa 90.
Ottenjann, Helmut, Lebensbilder aus dem ländlichen Biedermeier: Sonntagskleidung auf dem Lande. Cloppenburg Sonderausg 1984, 105.
Ulbricht, Otto, Englische Landwirtschaft in Kurhannover in der zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts: Ansätze zu historischer Diffusionsforschung. (Schriften
zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 32) Berlin 1980, 279-297. Zu der langsamen Einführung des Klees auch Prass (1997b), 81.
Ulbricht (1980), 283.
Ulbricht (1980), 290 f.
Ulbricht (1980), 297. Prass (1997b), 55, 81 f.
4
2 Die Celler Landwirtschaftsgesellschaft und die englische Landwirtschaft
Besondere Beachtung verdienen die Aktivitäten der Cellischen Landwirtschaftgesellschaft und die Rolle der englischen Landwirtschaft für
Reformansätze in Kurhannover.328 Aufgabe der 1764 gegründeten Gesellschaft war es, „den Wohlstand Unserer Teutschen Lande durch
Landwirthschaftliche Verbesserungen zu befordern, und zu dem Ende
sowohl ihre eigenem dahin einschlagende Einsichten und Erfahrungen
bekant zu machen als die von anderen gemachten Anmerckungen einzusammeln und zu verbreiten”.329 Angesichts schon früherer Gründungen
in Frankreich und Deutschland stellte diese Gesellschaft nichts grundsätzlich Neues dar, gehörte aber zu den frühen Gründungen in Deutschland.330
Die Landwirtschaftsgesellschaft war darum bemüht, systematisch Informationen über agrarische Innovationen zu verbreiten, wozu ein typisches Verfahren gewählt wurde: Preisschriften und Prämien für vorbildliche Landwirte.331 Als Medium diente das Hannoversche Magazin, welches aber nur eine begrenzte Wirkung entfalten konnte, weshalb ab
1788 nur noch wenige Preisschriften ausgeschrieben wurden. 332 Statt
dessen wurden andere Wege gewählt, wie die Verteilung von silbernen
Medaillen und Bechern.333 Hinzu kam die direkte Beratung der Bauern
sowie die Versendung von Materialien etwa zur Einführung des Kleeanbaus.334 Gering waren die Erfolge bei strukturellen Reformmaßnahmen
wie der Einführung der Stallfütterung, da diese mit umfangreichen Investitionen und Betriebsumstellungen verbunden war, für die vielen
328
329
330
331
332
333
334
Die folgende Darstellung bezieht sich in erster Linie auf Ulbricht (1980); s.a.
Deike (1994); Ulbrichts Arbeit stellt auch eine kritische Auseinandersetzung
mit Kroker, Werner, Wege zur Verbreitung technologischer Kenntnisse zwischen England und Deutschland in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert
(Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 19) Berlin 1971, dar. Jetzt
auch Panne (2002).
Ulbricht (1980), 265.
Abel (1978a), 277; Blum, Jerome, The end of the old order in rural Europe.
Princeton, NJ 1978, 287-292; Deike (1994), 19-52.
Prass (1997b), 53 f.
Prass (1997b), 54; auf einer systematischen Auswertung des Magazins basieren die Darstellungen von Oberschelp: Oberschelp, Reinhard, Niedersächsische
Texte 1760-1820. (Veröffentlichungen der Niedersächsischen Landesbibliothek
Hannover) Hildesheim 1985, Oberschelp (1982) ; zum Magazin kurze Hinweise
ebd, XIII-XIV. Noch immer relevant: Königliche Landwirtschaftsgesellschaft
(1864), 1.
Königliche Landwirtschaftsgesellschaft (1864) Prass, Reformprogramm, 54 f;
ähnlich verfuhr man in Schaumburg-Lippe (Schneider, Verhältnisse, 145), wo
allerdings Belohnung und Bestrafung sich ergänzen sollten.
Prass (1997b), 55.
5
Landwirten die Mittel fehlten. Stärkeres Engagement leistete die Gesellschaft bei den Gemeinheitsteilungen und Verkoppelungen.335
Otto Ulbricht hat sich mit der Frage auseinander gesetzt, ob die Celler Gesellschaft tatsächlich dazu diente, die englische Landwirtschaft in
Hannover einzuführen.336 Offenbar geschah dies nur in geringem Maße,
sondern es wurden vorrangig deutsche Entwicklungen beachtet. 337 Die
hannoversche Gesellschaft nahm sogar insofern eine Sonderrolle ein, als
im Gegensatz zu anderen Landwirtschaftsgesellschaften keine besondere Vorliebe für England bestand: „Von Frankreich über Ungarn und
Rußland bis nach Schweden herrschte die anglophile Haltung vor – nur
in dem in Personalunion mit Großbritannien verbundenen Hannover
nicht.“338 Belege für diese Aussage finden sich in den Schriften wichtiger
Kameralisten wie Otto Freiherr von Münchhausens „Hausvater” (17641773) oder den Arbeiten von Johann Beckmann, wobei letzterer sogar
von einem Innovationstransfer von Deutschland nach England ausging.339
Am Beispiel des Claus Brüggemann lassen sich zentrale Elemente
und Probleme des Innovationstransfers zwischen England und Hannover nachvollziehen.340 Der aus Lauenburg stammende Brüggemann wurde zwischen 1778 und 1782 vom bekannten englischen Landwirt
Duckett in Petersham und Esher ausgebildet. Zu den vermittelten Lerninhalten gehörten hochintensiver Ackerbau, Einsatz neuer Geräte, Drillwirtschaft und die englische Schafzucht. Nach seiner Rückkehr sollte
Brüggemann die erworbenen Kenntnisse in der Lüneburger Heide anwenden. Er scheiterte jedoch und erfuhr seitdem heftige Kritik. Es
spricht indes vieles dafür, dass nicht der Lauenburger Landwirt, sondern das gewählte Verfahren und das Verhalten der hannoverschen Behörden problematisch waren. Die Heidekultivierung ließ sich weder mit
einem einzelnen innovativen Landwirt, noch ohne großen finanziellen
Aufwand erreichen. Zudem ist es fraglich, ob die vermittelten Methoden
überhaupt auf die Lüneburger Heide anwendbar waren. Duckett, Brüggemanns englischer Lehrer, kannte die Lüneburger Heide nicht und
konnte seinen Zögling nur unzureichend auf die gewünschte Aufgabe
vorbereiten. Ein Scheitern Brüggemanns war damit gleichsam vorprogrammiert.
335
336
337
338
339
340
Prass (1997b), 56 f.
Ulbricht (1980), 268 f. Dazu hat vor kurzen Walter Achilles kritisch Stellung
bezogen, ohne die grundlegende Argumentation von Ulbricht widerlegen zu
können, Achilles, Walter, Georg III. als Königlicher Landwirt - eine Bestätigung als Beitrag zur Personalunion. In: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, 73 (2001), 351 - 408.
Ulbricht (1980), 270.
Ulbricht (1980), 206.
Ulbricht (1980), 122.
Ulbricht (1980), 233-241.
6
Blicken wir auf Albrecht Thaer.341 Thaer wurde am 14. 5. 1752 in Celle geboren, studierte von 1770 bis 1774 in Göttingen Medizin, wurde
1784 Mitglied der Landwirtschaftsgesellschaft in Celle und kaufte dort
ein 36 ha großes Anwesen, das er zum Musterbetrieb ausbaute. Er begründete seinen Ruhm und seine große Wirkung mit den zwischen 1798
und 1804 erschienenen Beiträgen zur Kenntnis der englischen Landwirtschaft.342 Zur gleichen Zeit (1799 bis 1804) publizierte er zudem seine „Annalen der niedersächsischen Landwirtschaft“. 1804 ging er nach
Preußen, wo er 1806 in Möglin ein landwirtschaftliches Institut gründete. Als Höhepunkt seiner Tätigkeit dürften die 1809 bis 1812 erschienenen „Grundsätze der rationellen Landwirtschaft“ gelten. Thaer, der seit
1810 außerordentlicher Professor in Berlin war, starb am 26.10.1828 in
Möglin.
Thaer war selbst nie in England gewesen; seine Informationen hatte
er aus Veröffentlichungen und von zwei wichtigen Englandreisenden:
dem hannoverschen Hofrat Jobst Anton v. Hinüber, der 1766/67 in England gewesen war,343 und dem Amtmann Friedrich Christian Georg
Westfeld aus Weende bei Göttingen, der 1792 in England war, sich aber
schon vorher in verschiedenen Schriften zur englischen Landwirtschaft
geäußert hatte.344 Selbst den wichtigsten Agrarschriftsteller Englands,
Arthur Young, kannte Thaer nur aus dessen Schriften. 345 Von Hinüber,
mit dessen Sohn Gerhard Thaer eng befreundet war, stellte ihm außerdem seine umfangreiche Bibliothek zur Verfügung.
Es war nicht so sehr das Ergebnis der Personalunion, wenn ab 1800
in Hannover eine positive Aufnahme der englischen Landwirtschaft zu
verzeichnen war, sondern es war speziell dem Wirken Thaers zuzuschreiben. Während einige seiner hannoverschen Fachkollegen eher
skeptisch der Englischen Landwirtschaft gegenüberstanden, befand sich
Thaer in weitgehender Übereinstimmung mit anderen nicht, etwa preußischen Englandreisenden.346 Der agrarwissenschaftliche Fortschritt des
341
342
343
344
345
346
Zu Thaer aus einem umfangreichen Schrifttum: Klemm, Volker, Eine „THAERRenaissance“'? in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie, 42
(1994), 1-9, sowie Klemm, Volker, Günther Meyer, Albrecht Daniel Thaer: Pionier der Landwirtschaftswissenschaften in Deutschland. Halle (Saale) 1 1968.
Jetzt Panne (2002).
Der genaue Titel lautet: Einleitung zur Kenntnis der englischen Landwirtschaft und ihrer neuen praktischen und theoretischen Fortschritte in Rücksicht auf Vervollkommnung deutscher Landwirthe und Cameralisten. 3 Bde,
Hannover 1798-1800.
Ulbricht (1980), 222 f.
Ulbricht (1980), 242.
Ulbricht (1980), 142-159.
Ulbricht (1980), 261. Zu den Englandreisen im 18. Jahrhundert siehe „Der curieuse Passagier“ (Beiträge zur Geschichte der Literatur und Kunst des 18.
Jahrhunderts 6) Heidelberg 1983; Maurer, Michael, O Britannien, von deiner
7
18. Jahrhunderts war also kaum ein gleichförmiger Prozess, sondern er
wurde selbst in der Gruppe der Reformer von individuellen wie kollektiven Wahrnehmungsverhalten beeinflusst. Die Selbstwahrnehmung der
hannoverschen Reformer als eine Art „Avantgarde“, als erfolgreiche Modernisierer dürfte deren Verhalten nicht unwesentlich bestimmt haben.
3 Dienstabstellungen
Das Dienstwesen gehört in den meisten nordwestdeutschen Territorien
zu den zentralen Elementen der frühneuzeitlichen Agrarverfassung. Es
bildete in mehrfacher Hinsicht eine wichtige Grundlage der damaligen
Staaten, da ohne die so genannten Herrendienste die landesherrlichen
Domänen nicht bewirtschaftet, ohne die Landfolgedienste die vielfältigen Transport- und Arbeitsleistungen in Krieg und Frieden nicht erbracht werden konnten. Am Beispiel der Dienste lässt sich die Argumentationsweise der Kritiker der alten Agrarverfassung gut verdeutlichen.
Das Dienstwesen bestand in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
aus ständigen und nichtständigen Diensten, Hand- und Spanndiensten,
Diensten für Gerichts-, Grund- und Leibherren, für den Landesherrn
und die Gemeinde. In Niedersachsen bildeten die sogenannten Herrenoder Frondienste neben den landesherrlichen und kommunalen Diensten vor allem dort eine große Belastung, wo größere landesherrliche Domänen bestanden. Das Dienstwesen war insgesamt derart kompliziert,
dass schon den Zeitgenossen ein Überblick schwer fiel.
Unter den vielfältigen Diensten nahmen die „Herrendienste“ eine
Sonderrolle ein, da sie die wichtigste Gruppe darstellten und in größerer
Zahl vorzugsweise auf den landesherrlichen Domänen verrichtet wurden. Während auf den kleinen adligen Gütern schon früh die Dienste in
Geldzahlungen umgewandelt worden waren, bestanden bei den landesherrlichen Domänen oft die naturalen Dienste bis Mitte des 18. Jahrhunderts weiter. Somit mussten gerade die dem Landesherrn dienstpflichtigen Bauern ein Interesse an der Abstellung dieser Dienste haben.
Kritiker des überkommenen Frondienstwesens waren deshalb auch
Verwaltungsbeamte, die in ihrer täglichen Praxis mit dem Dienstwesen
konfrontiert wurden und dessen Ineffektivität sahen, wie der schaumburg-lippische Kammerrat Westfeld (1746-1782).347 Westfeld hatte nicht
nur Anfang der 1770er Jahre mit der Abstellung der Herrendienste auf
einigen schaumburg-lippischen Vorwerken begonnen, sondern wenige
Jahre später in einer Preisschrift der Göttingischen Akademie der Wis-
347
Freiheit einen Hut voll: deutsche Reiseberichte des 18. Jahrhundert. München
[u.a.] 1992.
Einen guten Überblick zu Westfelds Wirken bietet Ulbricht (1980), 241-250;
siehe außerdem Schneider (1983), 112-118.
8
senschaft seine Überlegungen zu den Dienstabstellungen und die gemachten Erfahrungen ausführlich dargestellt. Er argumentierte auf
mehreren Ebenen:348
Für den Staat sah er den Nutzen der Dienstabstellung darin, dass die
Produktivität der Untertanen steigen werde. Den Untertanen helfe die
Abstellung, weil sie die Arbeitszeit effektiver nutzen konnten, um ihr eigenes Feld besser zu bestellen oder zusätzliche Arbeiten zu übernehmen. Es wirke zudem nicht mehr das schlechte Vorbild der langsam und
nachlässig verrichteten Arbeit im Herrendienst, außerdem könne durch
den Wegfall der Dienste auch die kostspielige Pferdehaltung verringert
werden.349 Den Empfängern der Dienste ging nach Ansicht des Kammerrats nichts verloren, weil sie erstens durch Geldzahlungen entschädigt
wurden und zweitens die Arbeitsverfassung der Betriebe von der
schwerfälligen Arbeit mit Dienstpflichtigen auf eine mit Tagelöhnern
umstellen konnten. Westfeld fasste sein Konzept mit den Worten zusammen:
„Niemand soll verlieren und der Dienstpflichtige den Aufwand, der keinem zugute gekommen ist, gewinnen.”
Unter Westfeld wurden in Schaumburg-Lippe Anfang der 1770er Jahre
erste Dienstabstellungen durchgeführt. Die Bauern hatten für die entfallenden Dienste ein erhöhtes Dienstgeld350 zu zahlen, wobei sich der
Dienstherr einen Restbestand naturaler Dienste vorbehielt. Da die Abstellungsrezesse auf 30 Jahre abgeschlossen wurden, kann man noch
nicht von Ablösung, also einer endgültigen Aufhebung sprechen.
Westfeld hatte die schaumburg-lippischen Reformen 1773 im Rahmen
einer Preisschrift der Göttingischen Akademie der Wissenschaften einem größeren Publikum vorstellen können. Mit der Darstellung des regionalen Beispiels verband er ein allgemeines Konzept für Dienstabstellungen auf landesherrlichen Vorwerken.351
„Der Gewinn, den der Staat von der Aufhebung der Frondienstbarkeit
haben wird, der wahre Wohlstand der Untertanen, die Beförderung der
Industrie352, die Bevölkerung, die Verbesserung des Ackerbaus, die Verminderung der unnützen Consumtion, die größere Freiheit des Volkes
und die Folgen von allen diesen Vorteilen .. die Glückseligkeit des Gan348
349
350
351
352
Siehe Text in Hauptmeyer, Begemann (1992).
Achilles (1982), 116. Wenige Jahrzehnte später argumentierte Gustav von Gülich, der die Folgen der Dienstabstellungen erlebt hatte, anders: die Bauern
würden zu unnützen und den Ackerbau behindernden Frachtfuhren übergehen; Gülich, Gustav v., Ueber die Verhältnisse der Bauern im Fürstenthume
Calenberg. Hannover 1831.
Dienstgeld hatten sich auch zu zahlen, wenn die jeweils wochenweise festgelegten Dienste nicht benötigt wurden.
Siehe dazu auch Schneider (1995a).
Industrie hier im Sinne von Fleiß gebraucht.
9
zen – macht diese Sache mehr zur Angelegenheit des Staates als der
einzelnen Besitzer der Diensthöfe.”353
Nach seinem Übertritt in hannoversche Dienste war Westfeld u.a. 354
auch als Oberkommissar für die in Kurhannover schon in den 1750er
Jahren projektierten, durch den 7jährigen Krieg verhinderten, seit Mitte
der 1770er Jahre erneut voran getriebenen Dienstabstellungen zuständig.355 Schon vor dem Ausbruch des 7jährigen Krieges hatte es unter
dem Einfluss des kurhannoverschen Geheimrates Gerlach Adolf von
Münchhausen Erhebungen über das Dienstwesen gegeben, die dessen
Schwächen offen legten.356 Münchhausen arbeitete deshalb nach dem
Ende des Krieges gezielt auf eine Abstellung der Dienste hin. 1768 begannen unter seinem Einfluss die Vorarbeiten für Dienstabstellungen in
sieben calenbergischen Dörfern. Vermutlich durch Münchhausens Tod
wurden die weiteren Arbeiten unterbrochen und erst Ende 1773 wieder
aufgenommen; im Mai 1774 einigte sich die Kammer auf einen Plan zur
Dienstabstellung.357 Zugleich wurden die sich aus einer Abstellung ergebenden Folgen sowohl für die Domänen, die Ersatz für die bisherigen
Dienste finden mussten, als auch für die Bauern, die das erhöhte Dienstgeld aufzubringen hatten, erörtert.
Bis Mitte der 1790er Jahre waren auf allen hannoverschen Domänen
die Dienstabstellungen durchgeführt. Dabei wurden die Dienste in folgende Gruppen unterteilt, die jeweils in unterschiedlichem Maße der
Dienstabstellung unterworfen waren:
• Hoheitsdienste wurden gar nicht abgestellt,
• Amtsdienste wurden teilweise abgestellt und
• Landwirtschaftsdienste wurden völlig abgestellt.
Am Beispiel der Dienstabstellung im Amt Blumenau lassen sich die
bisherigen Strukturen und die Art der Abstellung gut verdeutlichen.358
Zu Spanndiensten wurden Vollmeier, Dreiviertelmeier, Halbmeier
und Höfelinge herangezogen, zu den Handdiensten die Höfelinge,
Großkötner, Mittelkötner, Kleinkötner und Brinksitzer.
353
354
355
356
357
358
C.F.G. Westfeld: Über die Abstellung des Herrendienstes. In: Hannoversches
Magazin 56. Stück, 1773, Sp. 882 – 912. Schneider (1983), 112-124.
Er war zudem neben seiner Tätigkeit als Klosteramtmann erst in Wülfinghausen, dann in Weende.
Zu den früheren Versuchen siehe Wittich (1896), 415 und Conrady (1967), 181.
Wittich (1896), 415 f.
Wittich (1896), 418.
Darstellung nach NHStAH Hann. 88 A 477. Siehe auch Schneider (1995a), hier
68-74 zu den Dienstabstellungen im Amt Aerzen.
10
Tabelle 9: Dienstbelastung und Dienstabstellung im Amt Blumenau 1770
nur dem Landesherrn pflichtige Höfe
Hofklasse
Dienste/ Jahr
Dienstgeld
Vollmeier,
66 (davon 48 „ordinaire“) 5 Rtlr. 19 Gr. 3 Pf f. 48
Dreiviertelmeier
Spanntage
Tage
Halbmeier
37 4/5 ( 28 4/5) Spanntage
Höfelinge
25 (19 ½) Spanntage
Großköter
71 (50) Handdienste
Kleinköter
50,5 (37,5) Handdienste
Brinksitzer
37 (25) Handdienste
9 Gr. 3 Pf. f. 25 Tage
NHStAH Hann. 88 A 477
Es wurden aber nicht alle Dienste wirklich („in natura“) geleistet.
1738/39 gab es insgesamt 5802 ½ ordinäre Spanndienste, von denen
aber tatsächlich nur 4152 (71,6 %) verrichtet wurden. Bei den Handdiensten war das Missverhältnis zwischen Soll und Ist noch gravierender: statt der 14925 ordinären Handdiensttage wurden von den Pflichtigen nur 5516 oder 37 % geleistet.359
Der Rezess über die Verwandlung der Natural-Hand- und Spanndienste in Geldabgaben im Amt Blumenau wurde am 30.12.1775 geschlossen. Danach wurde der gewöhnliche Wochendienst vollständig
aufgehoben, wofür die Bauern statt des normalen Dienstgeldes nun ein
sogenanntes erhöhtes zu zahlen hatten (siehe Tabelle). Bestehen blieben
die Burgfestdienste, die aber nur „in Herrschaftlichen Angelegenheiten
und Amts-Bedürfnissen“ verlangt werden sollten, also nicht für landwirtschaftliche Dienste, was bislang offenkundig der Fall war. Zu den
ebenfalls weiterhin bestehenden Landfolgediensten hieß es: „dass die
wirksamsten Vorkehrungen getroffen werden sollen, damit bey der Verrichtung der Landfolgen und Kriegerreisen, wann solche erfordert und
ausgeschrieben werden, kein Misbrauch vorgehe, noch ein Untertan vor
dem andern beschwert werde“.
Die Aufzählung enthält weitere von der Abstellung nicht betroffene
Dienste – Jagdfolgen, Amtsdienste, Mühlendienste, Holz- und Hudedienste – und zeigt das Ausmaß und die Bedeutung, die die Dienstleistungen für das Funktionieren des frühneuzeitlichen Staates besaßen.
Sechs bzw. acht Zahlungstermine wurden für die Spanndienst-, bzw.
Handdienstleistenden festgelegt; die Zahlungen begannen bei ersteren
am 1. September und endeten am 1. Februar, bei den Handdienstpflich-
359
NHStAH Hann. 88 A Nr. 475. Über die Abstellungen im Amt Calenberg berichtet Beckmann, Johann, Beyträge zur Oekonomie, Technologie, Polizey und Cameralwissenschaft 1. Göttingen 1779, 114-138. Die Regelungen in den beiden
Ämtern waren weitgehend identisch.
11
tigen war es die Zeit vom 1. August bis zum 1. März. Diese Vorgaben
wurden ergänzt durch Strafen bei Zahlungsversäumnis und den Zusatz:
„Würde auch einer oder anderer seine eingeerndteten Früchte so früh
verschleudern, daß zu besorgen wäre, er werde die späteren Termine gehörig nicht im Stande seyn, so ist von Obrigkeits wegen der weitere
Verkauf der Früchte zu inhibitieren.“
Der Rezess hatte eine Dauer von 30 Jahren; zwei Jahre vor dessen Ablauf sollten die Bauern entscheiden können, wie danach zu verfahren
sei. Zum Schluss wurden sie ermahnt, den Vertrag in allen Punkten
sorgfältig einzuhalten und sich grundsätzlich als gute Hauswirte zu
beweisen:
„Gleichwie nun schlieslich die in dem gegenwärtigen Recesse beschriebenen Veränderungen des Dienstwesens in dem Amte Blumenau mit
Hintansetzung aller Vortheile für die allergnädigste Landes-Herrschaft
blos den eigenen Nutzen und die Beförderung des Wohlstandes der Unterthanen zum Zweck hat, Also erwartet man zuverlässig, daß die Unterthanen ihrer Seits allem demjenigen, wozu dieser Vergleich und Recess sie verbindet, auf das genaueste nachkommen, die erhaltene große
Erleichterung in ihren Dienst-Pflichten sich gehörig zu Nuzze machen,
mithin ihre Feld-Arbeit, Handthierung und Gewerbe mit allem Fleiße
obliegen und in ihrem Hauswesen überhaupt eine solche Einrichtung
treffen werden, daß dieselben die huldreichsten Absichten Sr. Königlichen Majestät … auf das vollkommenste in Erfüllung bringen …“
Die in dieser Aussage genannte Begründung, die Reform diene in erster
Linie den Bauern, entsprach nur bedingt der tatsächlichen Intention,
denn die überlieferten internen Berechnungen zeigen, dass die Kammer
vorrangig bemüht war, ihre Einnahmen zu erhöhen.360
Bis 1787 konnte die Reform konnte in 65 Ämtern durchgeführt werden, sie scheiterte in fünf lüneburgischen Ämtern, in 27 Ämtern war bis
dahin noch gar nichts geschehen.361
Bislang fehlen genauere Untersuchungen über die konkreten Folgen
dieser Reform, zu vermuten ist jedoch, dass ihre Wirkung unterschiedlich ausfiel. In einem Bericht des Amtes Dannenberg vom 11.11.1786
hieß es, die Abstellung der Dienste bringe
„keinen Nutzen, denn daß die Mähers Tagelöhner senden, ist ihnen
auch jetzt vergönnet, und bis auf den Vormäher, der seine Pröven erhält, schicken sie gewöhnlich solche Leute, deren Abgang in den vielen
verschiedenen Dörfern, woraus sie erfolgen, nicht vermerket werden
kann, ja es sind darunter Leute, die hier in der Stadt als Tagelöhner
ihr Brodt suchen. Freilich liegen diese, so lange das Mähen dauert, zusammen und trincken auf Rechnung ihrer Wirthe vielleicht einige Ton360
361
Solche internen Berechnungen sind für das Amt Aerzen überliefert; NHStAH
Hann. 88 A 97 I.
Von diesen lagen wiederum 14 in Lüneburg; Wittich (1896), 420.
12
nen Bier mehr als sie solten, … sie sind hergegen früh und spät zur
Stelle und müssen der Anführung des Vormähers … gehorchen.“
Durch die Dienstabstellungen änderte sich die Wirtschaftsführung vieler landesherrlicher Domänen. Während bei den größeren Betrieben nur
die entfernt liegenden Ländereien wegen der weiten Wege an Bauern
verpachtet wurden, löste man die kleineren z.T. durch Vereinzelung,
d.h. durch Verpachtung aller Flurstücke an Bauern, auf.362
Die Reform wurde keineswegs von den Bauern abgelehnt, sondern
teilweise sogar energisch gefordert, schien sie doch das Ende einer
drückenden Last zu bedeuten.363 Solange die Getreidepreise hoch und
zugleich die Ernten ertragreich waren, dürfte es keine großen Probleme
bereitet haben, die notwendigen Dienstgelder aufzubringen. 364 Wir wissen allerdings noch zu wenig von den bäuerlichen Verhältnissen, um in
diesem Punkt eindeutige Aussagen machen zu können. Immerhin gibt
es Indizien dafür, dass die finanziellen Lasten speziell bei den kleineren
Betrieben nicht gering waren.365
Die Abstellung der Herrendienste verlief allerdings nicht überall reibungslos, weil die Amtspächter oft bestrebt waren, ich möglichst lange
der für sie praktischen Dienste zu vergewissern. Gleichwohl war sie in
einem überschaubaren Zeitraum abgeschlossen. Allerdings blieben die
Dienstabstellungen auf die landesherrlichen Ämter begrenzt. Die adeligen Gutsbesitzer entschieden jeweils individuell, ob und wie sie die bäuerlichen Dienste verlangten. Insgesamt wissen wir über die Zustände
auf den adeligen Gütern noch zu wenig.366
Die Dienstabstellungen hatten zweierlei Konsequenzen: Sie beschleunigten die Monetarisierung der Landeseinkünfte und förderten die ohnehin sich entwickelnde Marktbindung der landwirtschaftlichen Bevölkerung. Ihr schrittweiser, tastender Charakter ist unverkennbar, es wird
weder Grundherrschaft in Frage gestellt, noch versucht, die Ökonomie
des Landes auf eine neue Grundlage zu stellen.
362
363
364
365
366
Wittich (1896), 421. Im hannoverschen Amt Fallesleben kam es im 18. Jahrhundert nicht mehr zu einer Verpachtung; Riesener (1991), 146-149. Es fehlen
allerdings Detailstudien über weitere Ämter.
Schneider (1995a). Ähnlich sah es in Schaumburg-Lippe aus; Schneider (1983),
119.
Gülich, Gustav von, Ueber den gegenwärtigen Zustand des Ackerbaus, des
Handels und der Gewerbe im Königreiche Hannover. Hannover 1827, 27.
Klagen über Schwierigkeiten, das Dienstgeld aufzubringen, sind jedenfalls
überliefert; etwa der Bauern des Amtes Aerzen vom 6.7.1789; NHStAH Hann.
88 A 97 II; des Amtes Blumenau, Amtsbericht vom 18.3.1783; NHStAH Hann.
479.
Gülich (1827), 28 f vergleicht aber für das Fürstentum Calenberg die Verhältnisse auf den adeligen Gütern mit weiterhin hohen Dienstlasten mit denen der
landesherrlichen Bauern, was darauf hindeutet, dass hier weiterhin Dienste
verlangt wurden.
13
Dagegen wurde zwar die Leibeigenschaft als Überrest eines barbarischen Zeitalters kritisiert, Vorschläge, wie die vielfältigen herrschaftlichen Abhängigkeiten überwunden werden konnten, unterblieben. 367 Das
war nicht weiter verwunderlich, denn mit der herrschaftlichen Abhängigkeit stand auch die soziale Stellung der Adeligen zur Disposition und
mehr noch, die gesamte Einnahmestruktur des Staates Reformansätze
in diesem Bereich berührten damit die gesellschaftliche und staatliche
Struktur, griffen in die autonomen Rechte des Adels ein, erforderten ein
neues Steuersystem und hätten eine grundlegende Gesellschaftsreform
zur Konsequenz gehabt.368
4 Gemeinheitsteilungen
1779 stellten vier Vollmeier und elf Halbmeier des Dorfes Klein Berkel
im calenbergischen Amt Aerzen einen Antrag auf Teilung des 39 Morgen
umfassenden Großen und Kleinen Angers vor Klein Berkel bei Hameln.369 Nutzungsberechtigte, sogenannte Interessenten, waren neben
den genannten Antragstellern noch sechs „Dreispänner“ (Drittelmeier),
12 Vollkötner, 10 Halbkötner und das königliche Amt Aerzen mit dazugehöriger Schäferei. Gegenstand dieses Antrags war die Aufhebung bislang genossenschaftlich genutzer Flächen, also Gemeinheiten, die nun
in eine individuelle Nutzung überführt werden sollten. Es handelt sich
also um einen Antrag auf eine Gemeinheitsteilung.
Wie ging es in Klein Berkel weiter? Die im folgenden Jahr aufgenommenen Verhandlungen brachten kein Ergebnis, obwohl sich die Kammer
eingeschaltet hatte. Grund für das Scheitern war die Weigerung der
Kleinstellenbesitzer, dem Teilungsplan zuzustimmen. Dieser sah eine
Verteilung des Landes in Abhängigkeit von der Klasseneinteilung vor.
Ein Halbmeier sollte die Hälfte eines Vollmeiers, ein Dreispänner ein
Drittel, ein Vollkötner ein Viertel erhalten. 10 Jahre später, im Dezember 1789, wurde ein zweiter Versuch unternommen, nachdem auch das
Amt Aerzen die Ansicht vertreten hatte, dass der erste Teilungsmaßstab
ungerecht sei. Obwohl die Kötner wesentlich stärker als die Meier auf
den Anger angewiesen waren, hätten sie jeweils nur 1/3 Morgen erhalten, was selbst zum Halten einer Kuh zu wenig war. Versuche, durch
einen anderen Teilungsmaßstab zu einer Regelung zu gelangen, scheiterten ebenfalls.
Der Verlauf dieser gescheiterten frühen Teilung weist auf wichtige
Aspekte von Gemeinheitsteilungen. Das Hauptproblem bestand darin,
367
368
369
Münchhausen (1793) sowie Schreiner (1983).
Dazu Zimmermann, Clemens, Reformen in der bäuerlichen Gesellschaft: Studien zum aufgeklärten Absolutismus in der Markgrafschaft Baden 1750 - 1790.
(Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 3) Ostfildern 1983.
NHStAH Hann. 88 A Nr. 205; danach die folgende Darstellung.
14
dass nicht alle Dorfbewohner einen gleich großen Anteil des Landes erhielten, sondern die Anteile entsprechend der Hofgröße gestaffelt waren.
Die sozial und ökonomisch dominante bäuerliche Bevölkerung versuchte
ihre Interessen durchzusetzen, stieß dabei aber auf den Widerstand der
Kleinstelleninhaber, die in existentieller Weise auf das genossenschaftlich genutzte Land angewiesen waren. Das Finden eines Teilungsmaßstabes war also mehr als ein technisches Problem, sondern eng verbunden mit den sozialen Verhältnissen im Dorf.
Das Beispiel zeigt zugleich, dass die Initiative zur Teilung von den
Bauern ausging und vermutlich nicht von der Obrigkeit. Aufschlussreich
ist das Verhalten des landesherrlichen Amtes, welches gegen die Teilung
stimmte, indem es betonte, die Aufhebung der bisherigen Nutzung des
Angers bringe dem Amtshaushalt wesentliche Nachteile, da insbesondere die Schafzucht dann sehr eingeschränkt sei. Der Amtmann schloss
mit den Worten:
„Aus diesem erheblichem Grunde hat ein jeder hiesiger Haushaltspächter Ursache zu wünschen, daß diese beiden benannten Gemeinheits Pertinentien in statu quo verbleiben mögten.“370
Ein Jahr später, vermutlich nach einem Wechsel des Amtmannes, wurde dann doch die Teilung in modifizierter Form durchgeführt.
Wie schwer tun wir uns heute mit Veränderungen und Reformen,
wenn sie unseren eigenen Lebensbereich betreffen und es sich um wohl
vertraute Dinge handelt?
Ziel einer Gemeinheitsteilung war die individuelle Aufteilung bisher
genossenschaftlich genutzter Ländereien an die bisherigen Nutzungsberechtigten, seien es die Bewohner eines oder mehrerer Dörfer, landesherrliche Domänen oder adelige Güter. Dadurch sollte eine intensivere
Grünlandwirtschaft und eine Erhöhung des Viehstapels erreicht werden, wodurch wiederum der Düngeranfall steigen und damit der Ackerbau verbessert würde. Das Problem bestand darin, die bisherigen gemeinsamen Rechte in individuelle so aufzuteilen, dass niemand verlor
und alle gewannen. Solange alle Beteiligten sich einigen konnten, gab es
keine Schwierigkeiten, doch gehörten freiwillige Einigungen zu den Ausnahmen. Häufig widersetzte sich mindestens eine der Parteien, so dass
genaue Regeln festgelegt werden mussten, woran es aber zunächst mangelte. Das Verfahren war nicht allein deshalb nur schwer durchzuführen. Häufig war nicht einmal bekannt, wie groß die zu teilenden Flächen
waren, weshalb zuvor eine erste Vermessung durchgeführt werden
musste. Das alles kostete Geld, und das war gerade bei den kleinen Stellen knapp.371
370
371
Ebd, Bericht vom 6.12.1788.
Thaer (1799), 1, 95, verweist auf die Kosten, welche Gemeinheitsteilungen verhindern könnten.
15
Die im Falle Klein Berkels gefundene Lösung einer Aufteilung nach
Hofklassen wurde zwar auch in anderen Fällen versucht 372, war aber nur
bedingt geeignet, da jeweils ortstypische Verhältnisse einbezogen werden mussten. So wurden in dem zum Amt Stolzenau gehörigen Dorf
Holzhausen 1777 drei Maßstäbe diskutiert: nach der Kontribution von
den Ländereien, nach der Kontribution von den Häusern und der „Qualité“ der Höfe.373 Gegen den Widerstand der Brinksitzer, die teilweise relativ viel Land bewirtschafteten, wurde der dritte Maßstab, die Hofklasse, zugrunde gelegt, so dass am Ende die Meier acht mal so viel
Land erhielten wie die Brinksitzer.
Für die frühen Reformen spielten landesherrliche Anregungen eine
wichtige Rolle. Die Verordnung vom 22. November 1768, „wie in LandesOeconomie-Angelegenheiten zu verfahren“, markiert einen wichtigen
Einschnitt innerhalb der niedersächsischen, bzw. hannoverschen Agrarreformen. Hier heißt es eingangs:
„Wir Georg der Andere374 Fügen hiermit zu wissen, wasmaßen Wir seit
hergestelltem Frieden es einen, Unserer Aufmerksamkeit besonders
würdigen Gegenstand sein lassen, einestheils durch die Aufhebung der
der Kultur des Landes gemeiniglich schädlich und nachtheilig fallenden Gemeinheiten, anderntheils durch Anordnung verschiedener zur
Verbesserung des Landes abzweckenden gemeinnützigen Veranstaltungen, und endlich durch Ansetzung neuer Anbauer und des Endes
geschehene Anweisungen, das Wohl Unserer deutschen Lande und getreuen Unterthanen zu befördern, solchergestalt die Landesprodukte zu
vermehren, Unsere Lande durch Herbeiziehung mehrerer ansässiger
Unterthanen zu bevölkern, und allen und jeden derselben Gelegenheit
zu verschaffen, vermittelst ihres Fleißes und ihrer Arbeit ihr gutes und
austrägliches Auskommen zu erwerben.”375
Erlassen wurde die Verordnung nicht zufällig wenige Jahre nach dem
Ende des 7jährigen Krieges, hatte dieser doch die Notwendigkeit einer
intensiveren Förderung der Landwirtschaft und der gesamten Volkswirtschaft vor Augen geführt. Außerdem hatte er einen Schuldenberg
hinterlassen, der jetzt durch eine allgemeine Förderung des Landes abgebaut werden sollte.376
372
373
374
375
Golkowsky, Rudolf, Die Gemeinheitsteilungen im nordwestdeutschen Raum
vor dem Erlaß der ersten Gemeinheitsteilungsordnungen: dargestellt an den
kurhannoverschen Landschaften Hoya-Diepholz, Kalenberg und Lüneburg.
Hildesheim [u.a.] 1966, 35-46.
Golkowsky (1966), 41.
Versehentlich für Georg der Dritte.
Spangenberg, Ernst Peter Johann, Sammlung der Verordnungen und Ausschreiben: welche für sämmtliche Provinzen des Hannoverschen Staats, jedoch
was den Calenbergischen, Lüneburgischen und Bremen- und Verdenschen
Theil betrifft. Hannover 1820, 239 - 243, hier 239.
16
Mit der Gründung der Cellischen Landwirtschaftsgesellschaft war
schon zuvor ein wichtiger Schritt in Richtung auf eine modernisierte
Landwirtschaft erfolgt, jetzt sollte mit einer konkreten Maßnahme die
Situation des Landes dadurch verbessert werden, dass die Landnutzung
intensiviert wurde. Damit sollte zugleich eine Erhöhung der Einwohnerzahl erreicht werden.377
Die Lüneburger Heide bildete mit ihren weiten ungenutzten Heideflächen ein geeignetes Experimentierfeld für Modernisierungsversuche,
denn wie hieß es in Thaers Annalen?
„Die Unfruchtbarkeit dieser Gegend ist fast durch ganz Europa bekannt, und unter der Lüneburger Heide denkt man sich die Wüste Arabiens im Kleinen.”378
Hier bestanden aus der Sicht der modernen Agrarwissenschaft zu viele
Defizierte: die fehlende systematische Einteilung in Winter-, Sommerund Brachfelder, unzureichende Weiden und Wiesen, denen lediglich
eine intensiv betriebene Pferde- und Schweine- sowie Bienenzucht gegenüberstand. Die zeitgenössische Ertragsberechnung eines Hofes erbrachte ein jährliches Minus von 18 Rtlr. 23 Gr. 379 Dieses Ergebnis wird
durch neuere Berechnungen bestätigt.380 Nur dank der Übernahme von
Nebenarbeiten konnten die Betriebe finanziell überleben. Thaers Annalen nennen „Verkehr mit dem Holze, Fracht-Fahren, Pferde-Zucht und
Handel, Torf-Stechen, Sammeln des Fuhren-Saamens und des Wacholder, auch wohl Bickbeeren, das Kaufgarn-Spinnen und das Weben grober Leinwand, verstärkte Bienenzucht”, fügen aber hinzu, der Frachtdienst als Hauptverdienst sei ein „Grund zum Verderben” der betreffenden Höfe.381
Besondere Bedeutung hatte für die teilweise großen Heidebetriebe die
Nutzung der weiträumigen Heideflächen,382 die eine notwendige Grund376
377
378
379
380
381
382
Allgemein dazu Römer, Christof, Niedersachsen im 18. Jahrhundert (17141803), in: Christina van den Heuvel, von Boetticher, Manfred, Hrg, Geschichte
Niedersachsen Bd. 3,1. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft von der Reformation bis zum Beginn des 19. Jahrhundert Hannover 1998, 221-346. Speziell:
Oberschelp (1982), 108 f.
Hierzu knapp zusammenfassend und die ältere Literatur referierend Brakensiek, Stefan, Agrarreform und Ländliche Gesellschaft. Die Privatisierung der
Marken in Nordwestdeutschland 1750 - 1850. (Forschungen zur Regionalgeschichte 1) Paderborn 1991, 196 f.
Thaer (1799), 1, 86.
Thaer (1799), 1, 102-141.
Risto (1964), 99-101.
Thaer (1799), 1, 110-111, Zitat S. 113. Grund war die Tatsache, dass die Betriebe bei der zu starken Übernahme von Frachtdiensten die eigene Landwirschaft
vernachlässigten.
Ein „idealtypischer Heidehof“ bewirtschaftete ca. 1400 Morgen Heide, aber nur
170 Morgen Ackerland; Völksen, Gerd, Landschaftsentwicklung der Lüneburger Heide, in: Niedersächsische Landeszentrale für politische Bildung, Hrg,
17
lage zur Verbesserung des Ackerlandes bildeten, indem sie als Streuheide oder als Plaggenheide genutzt wurden. 383 Das große „Entwicklungspotential“ des Fürstentums Lüneburg mochte durchaus anstachelnd wirken384, stellte die Beamten aber auch vor weitreichende Probleme. Der
Versuch, durch Innovationstransfer aus England zu einer Intensivierung der agrarischen Produktion beizutragen, scheiterte beinahe kläglich, wie das Beispiel des Claus Brüggemann zeigt, dessen Erfahrungen
sich nicht in der Lüneburger Heide durchsetzen ließen.385
Trotz dieser Rückschläge wurden in dieser Region die Versuche zur
Verbesserung der Reformen nicht aufgegeben, zu sehr wirkten hier die
schwierigen naturräumlichen Verhältnisse und wohl auch das dänischlauenburgische Beispiel. Sie erstreckten sich sowohl auf die Zusammenlegung der Felder (Verkoppelungen) wie die Gemeinheitsteilungen. Impulse gingen von der Landesherrschaft und den lünebugischen bzw. den
hoyaischen Landständen aus.386 Allerdings sollte gerade die Verordnung
von 1768 nicht überbewertet werden, da sie in ihren Aussagen und Ausführungsbestimmungen zu unbestimmt war, um einen schnellen Reformprozess zu ermöglichen.
Eine entscheidende Rolle spielten die unteren Beamten, denn sie
konnten durch ihre gute Orts- und Untertanenkenntnis, durch ihre eigenen agrarischen Aktivitäten, ihre Funktion als Verwaltungs- und Gerichtsbeamte sowie als Pächter landesherrlicher Domänen in vielfältiger
Weise das lokale Geschehen beeinflussen. Ihr Verhalten konnte sich dabei sowohl fördernd wie bremsend auf das jeweilige Geschehen auswirken,387 da sie nicht selten zugleich Pächter des jeweiligen Amtsvorwerks
waren. So hatten sie einerseits die Interessen des Landesherrn zu vertreten und andererseits ihre eigenen. Allerdings waren sie gerade deshalb besser mit den praktischen Problemen vertraut als ihre juristisch
geschulten Nachfolger des 19. Jahrhunderts.388 Die Kammer bemühte
sich in den 1770er Jahren, gerade die unteren Beamten zu Reformen zu
motivieren.389
Impulse konnten auch von Adeligen ausgehen, die eine Eigenwirtschaft betrieben. Ihr Einfluss auf das Reformgeschehen dürfte aber ana-
383
384
385
386
387
388
389
Die Lüneburger Heide. (Landschaften Niedersachsens und ihre Probleme 3)
Hannover 1984, 5-33, 16.
Völksen (1984), S. 17. Siehe auch Thaer (1799), 1, 147-150.
Brakensiek (1991), 196.
Ulbricht (1980), 233-241.
Golkowsky (1966), 22-28.
Prass (1997b), 67 f; insofern ist die Zuordnung der Amtleute zu den „Agenten“
der Reformen zumindest doppelsinnig.
Seit der neuen Amtsordnung von 1823 waren die Amtleute keine Pächter
mehr; Prass (1997b), 186.
NHStAH Hann 74 Dannenberg, Nr. 3077: „Die Beförderung der GemeinheitsTheilungen und Verkoppelungen und deshalb ertheilte Aufträge.“
18
log zu dem der Amtmänner ambivalent gewesen sein, denn sie waren
zwar eher in der Lage, sich mit den neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinander zu setzen und hatten aufgrund einer höheren
Marktquote ein größeres Interesse, Innovationen durchzuführen, profitierten jedoch auch von dem bisherigen System, vor allem dort, wo sie
die Schäfereigerechtigkeit innehatten.390
Schließlich dürfen die Bauern nicht vergessen werden, wobei unsere
Kenntnis noch rudimentär ist. Es deutet einiges darauf hin, dass sie immer wieder und schon zu einem relativ frühen Zeitpunkt auf Reformen
drängten.391 Dabei ging die Initiative meist, aber nicht immer von den
größeren Betrieben aus, die stärker marktorientiert wirtschafteten, und
für die eine stärkere Individualisierung der Landwirtschaft von Vorteil
war. Es konnten aber auch von den Kleinstellenbesitzern Anregungen
ausgehen.392
Schließlich hatten schon die frühen Reformen eine räumliche Komponente. Stefan Brakensiek konnte für ostwestfälische Gebiete mit einer
ausgeprägten Protoindustrialisierung ermitteln, dass die größere Binnennachfrage nach Nahrungsmitteln seitens der Heimarbeiter einen
Modernisierungsprozeß in Gang setzte.393 Für Niedersachsen fehlen uns
entsprechende Regionalstudien, auch wenn es derzeit keine Hinweise
für derartige dynamische Prozesse gibt, sind sie doch nicht auszuschließen.394 Hier wurden allerdings die ersten Reformen nicht in den verdichteten Regionen mit Heimgewerbe, sondern in den nordöstlichen Geestgebieten durchgeführt und in den Bördegebieten des mittleren Niedersachsen, während sie in den westlichen Geest- und Moorgebieten erst im
19. Jahrhundert realisiert wurden. Es gab mithin im 18. Jahrhundert
eine starke regionale Differenzierung des Reformgeschehens, wobei die
naturräumlichen Voraussetzungen und die daraus resultierende Flurnutzung, der Marktzugang, aber auch die staatliche Reformbürokratie
eine entscheidende Rolle spielten.395
Die Gründe für die nur zögernden Anfänge der ersten Gemeinheitsteilungen lagen nicht zuletzt darin, dass die bisherige Feldbewirtschaftung
bei allen rationalen Nachteilen das Ergebnis einer Reihe von komplexen
Anpassungsprozessen war und somit für die Zeitgenossen in hohem
Maße sinnvoll und vernünftig erschien, wie selbst einige Agrarwissenschaftler feststellten. Ein Haupteinwand gegen die neuen Formen der
390
391
392
393
394
395
Dazu u.a. auch Prass (1997b), 130-132, 149 f.
Golkowsky (1966), 55.
Ebd, Schneider (1994), 1, 91.
Brakensiek (1991), 402-404 (Zusammenfassung).
Brakensieks Feststellungen über die nichtwestfälischen Gebiete müssen deshalb auch mit gewisser Vorsicht bewertet werden.
Brakensiek (1991), 394-423 (Zusammenfassung) und Golkowsky (1966), 55.
Eine systematische, neuere Forschungsergebnisse an den Akten überprüfende
Darstellungen gibt es nicht.
19
Feldbewirtschaftung könnte gewesen sein, dass bei ihnen zwar die Erträge optimiert wurden, gleichzeitig aber die Risiken stiegen, während
die alte Bewirtschaftungsform vergleichsweise sichere Ernten garantierte.396
Auch wenn die Initiative einzelner gesellschaftlicher Gruppen am Anfang vieler kleiner Reformen stand, so spielten dennoch gesetzliche Regelungen eine nicht unerhebliche Rolle. Sie bestand u.a. darin, einheitliche und realisierbare Rahmenbedingungen festzulegen. Einen grundlegenden Anstoß für Gemeinheitsteilungen gab im Kurfürstentum Hannover die schon erwähnte Verordnung vom 22. November 1768, wie in
„Landes-Oekonomie-Angelegenheiten zu verfahren”.397 Hauptaufgabe
dieser Verordnung war es, die landesherrlichen Beamten zu ermuntern,
in ihrem Amtsbezirk jede sich bietende Gelegenheit für Teilungen zu
nutzen. Dem gleichen Zweck dienten in der Folgezeit weitere Kammerausschreiben. Ab 1776 hatten auf Anforderung der Rentkammer „die
sämtlichen Beamten alljährlich auf Maitag und ohnvergeßlich einzuberichten, ob und inwiefern sie in ihrem Amte Gelegenheit gehabt, Gemeinheitsteilungen wirklich zustande zu bringen, oder aber im Gefolge
des obigen vorzubereiten”.398
Etwa zur gleichen Zeit wurden in den anderen niedersächsischen Territorien ähnliche Schritte unternommen, um die Felder zusammen zu legen oder die Gemeinheiten aufzuteilen. In Braunschweig wurden während und nach der Generallandesvermessung von 1746 bis 1784 Gemeinheiten aufgehoben und erste Verkoppelungen durchgeführt. 399 Das
Herzogtum Braunschweig wies sehr unterschiedliche naturräumliche
Gebiete auf: Geest in den nördlichen, Börde in den mittleren und Bergund Hügelland in den südlichen Landesteilen. Der Anteil der Gemeinheiten oder Allmende war in den nördlichen Landesteilen sehr hoch, in
den übrigen Gebieten vergleichsweise niedrig. Entsprechend ihrer Funktion als kartographische Aufnahme konnte die Landesvermessung zwar
396
397
398
399
Etwa Westfeld über die Verkoppelungen; Golkowsky (1966). In der westeuropäischen Forschung werden derzeit wieder die positiven Elemente der alten
Agrarwirtschaft diskutiert; siehe etwa: Bekar, Cliff T, Clyde G. Reed, Open
fields, risk, and land divisibility. In: Explorations in economic history, 40
(2003), 308-325.
Beleg für die Quellen.
Zit. nach Golkowsky (1966), 92 f.
Kraatz, Hartwig, Die Generallandesvermessung des Landes Braunschweig von
1746 - 1784: ihre Ziele, Methoden und Techniken und ihre flurgeographische
Bedeutung. (Forschungen zur niedersächsischen Landeskunde N.F, 104) Göttingen 1975, 2 f; Wiswe, Mechthild, Veränderungen des Flurgefüges durch die
Braunschweigische General-Landesvermessung. Dargestellt am Beispiel Salzgitter-Thiede. 1965; außerdem mit knapper Zusammenfassung Brakensiek
(1991), 222.
20
erste Korrekturen des vorhandenen Feldsystems erreichen, aber keine
grundsätzliche Umgestaltung der gesamten Feldmark.
In Osnabrück war die Situation anders als in Braunschweig, denn
hier bildeten Einzelhöfe und große Gemeinheitsflächen (hier: Marken)
einen wesentlichen Bestandteil der Kulturlandschaft. 400 Seit dem
16. Jahrhundert hatte es einen drastischen Anstieg der unterbäuerlichen Heuerlinge gegeben, die zunehmend die vorhandenen Marken für
ihr Vieh nutzten.401 Schon früh gab es Ansätze zur Aufhebung der Marken, da deren Zustand sich in Folge der Übernutzung erheblich verschlechterte und sie im Berg- und Hügelland ihre Aufgabe als Holzlieferant nicht mehr erfüllen konnten. „Bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts trat deutlich zu Tage, dass die Markenwirtschaft – verstanden vor
allem als Holz- und Mastwirtschaft – am Ende war.“ 402 Mit zwei Verordnungen von 1721 und 1785 sollten freiwillige Markenteilungen gefördert
werden, wobei diese „die Merkmale einer freiwilligen Selbstauflösung
der Markgenossenschaft“ hatten.403 Jedoch wurden die zahlenmäßig dominierenden Heuerlinge nur in geringem Maße beteiligt, obwohl sie besonders auf die Markennutzung angewiesen waren, was zu einer deutlichen Verschlechterung ihrer ökonomischen Situation führte.
Im Herzogtum Oldenburg, das seit 1773 zu Dänemark gehörte, fanden dagegen keine weit reichenden Reformen wie im dänischen Holstein
statt.404 Auf der Geest hatte ein ähnlicher Prozess wie in Osnabrück mit
einer weitgehenden Entwaldung und einer Zunahme der Kleinstellenbesitzer eingesetzt. Eine allgemeine Landesvermessung sollte ab 1790 der
Vorbereitung von Reformen dienen, zu denen es aber im 18. Jahrhundert nicht mehr kam.
In der Grafschaft Schaumburg-Lippe und der benachbarten, mit Hessen verbundenen Grafschaft Schaumburg kam es im 18. Jahrhundert lediglich zu ersten Versuchen. Das Fehlen gesetzlicher Regelungen verhinderte hier in beiden Fällen entsprechende Reformansätze. 405 Einzelne
von den Gemeinden ausgehende Versuche in der Grafschaft Schaumburg scheiterten speziell am Widerstand der Schäfereiberechtigten.
400
401
402
403
404
405
Brakensiek (1991), 299-310 mit der neuesten Zusammenfassung;
Als Regionalstudie mit einer detaillierten Beschreibung der Konflikte um die
Markennutzung: Schlumbohm (1994), 46-58.
Brakensiek (1991), 305.
Brakensiek (1991), 308; Middendorf, R, Der Verfall und die Aufteilung der gemeinen Marken im Fürstentum Osnabrück bis zur napoleonischen Zeit. In: Osnabrücker Mitteilungen, (1927), 1-157.
Brakensiek (1991), 249-258. Schaer, Friedrich-Wilhelm, Albrecht Eckhardt,
Herzogtum und Großherzogtum Oldenburg im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus (1773-1847), in: Albrecht Eckhardt, Schmidt, Heinrich, Hrg, Geschichte des Landes Oldenburg. Ein Handbuch. Oldenburg 4. Auflage, 1993,
271-332.
Brakensiek (1991), 235-242; Schneider (1994), 1, 82 f und 87.
21
Das seit 1744 zu Preußen gehörende Ostfriesland, erfuhr mit dem
1765 erlassenen Urbarmachungsedikt einen wichtigen Anstoß für Gemeinheitsteilungen, da als Voraussetzung für die Kolonisation die Generalteilungen der bislang von mehreren Gemeinden kollektiv benutzten
Flächen notwendig war.406
Insgesamt waren die Ergebnisse dieser frühen Reformphase bescheiden. Der schleppende Verlauf der Gemeinheitsteilungen hatte mehrere
Gründe. Am Anfang stand zunächst Überzeugungsarbeit, denn die Vorzüge einer individuellen Grünlandnutzung waren entweder nicht allen
sofort klar oder sie bestanden nur für einzelne Gruppen der bisherigen
Berechtigten. Schwierig war das Verfahren, da die Gemeinheiten in der
Regel von mehreren Gemeinden, dem landesherrlichen Amt und gegebenenfalls einem adligen Gut genutzt wurden. Ehe die bisherigen Nutzungsberechtigten das Land individuell bewirtschaften konnten, bedurfte es erst einer Generalteilung, die die Anteile der einzelnen Gemeinde
trennte, was bei der Gemengelage der bisherigen Rechte, Mast-, Hudeund Holznutzung, nicht immer einfach war. Noch schwieriger war, wie
schon dargestellt, der zweite Abschnitt, die Spezialteilung, durch die die
Anteile der einzelnen Gemeindemitglieder bestimmt wurden. Oft gab es
gegen die angewandten Teilungsmaßstäbe Widerstand in den Gemeinden.
Dennoch sollten die Dorfbewohner in ihrer hemmenden Wirkung auf
die Reform nicht überschätzt werden, denn die Beispiele für deren Einsatz zugunsten der Reform sind trotz eines noch lückenhaften Forschungsstandes unübersehbar, wobei neben den Unterschieden zwischen den einzelnen Hofklassen regionale Abweichungen zu berücksichtigen sind. Gerade weil die Reform in hohem Maße in die vorhandenen
dörflichen Strukturen eingriff und sie veränderte, kam der Regelungsfähigkeit des Staates eine nicht zu unterschätzende Rolle zu. Und gerade
in diesem Punkt vermochten die entsprechenden Gesetze und Verordnungen kaum zu überzeugen, enthielten sie doch zumeist nur Absichtserklärungen, aber keine genauen, juristisch einwandfreien Prozeduren.407 Außerdem fehlte ein entsprechend ausgebildeter Verwaltungsapparat, der in der Lage gewesen wäre, die notwendigen Maßnahmen wie
Vermessung, Erfassung des Bestandes und korrekte Berechnung der
Abfindungen, in überschaubarer Zeit zu realisieren. In diesen Punkten
brachte erst das 19. Jahrhundert den entscheidenden Durchbruch.
5 Frühe Verkoppelungen
Am 5. Dezember 1775 wurde vom Amt Dannenberg im Wendland zu
Protokoll genommen, der Hauswirt Heinrich Meyer aus Samnatz wün406
407
Brakensiek (1991), 245.
Prass (1997b), 45-47.
22
sche, dass seine Abgaben reduziert werden mögen, da er genauso viele
Abgaben wie seine Nachbarn zu leisten habe, obwohl er über weniger
Land verfüge. Dem Protokoll ist weiter beigefügt, „dass sie [die Dorfbewohner] ihre Acker Länderey seit geraumer Zeit in 4 Theilen, oder
Schlägen getheilet, wovon 2 für Winter, 1 für Sommer Frucht und der 4.
Theil das Brackfeld ausmache.” Damit war der Wunsch verbunden, die
Felder verkoppeln zu lassen. Mit diesem relativ kurzen Protokoll begann
eine nahezu 20jährige Odyssee um die Verkoppelung der kleinen
Samnatzer Feldmark, die stellvertretend für ein zentrales Reformgeschehen in Nordwestdeutschland hier vorgestellt werden soll. 408
13 Jahre später, am 13.8.1788, meldete der Kondukteur Ziegler aus
Neuhaus an das Amt Dannenberg:
„Euer Wohlgebohren habe ich die Ehre zu benachrichtigen, daß Jeden
der Samnatzer Einwohner am 9ten d.M.[onats] 5 Koppeln angewiesen
worden, um nach vollendeter Erndte die Bestellung der Saat in denselben vornehmen zu können. Die Sache wird dem Anschein nach den
Vorteil übertreffen, den die Bauern sich davon versprochen haben..“
Schon am 23. Oktober desselben Jahres berichtete er von dem erfolgreichen Abschluß der Verkoppelung in Samnatz:
„Die Einteilung der Feldmark Samnatz ist dahin berichtiget, daß jeder
der 4 Eingesessenen in 7 Binnenschlägen zu 9 Morg.= 63 Morgen,
in 7 Außenschlägen zu 5 ½ Morgen =
38 ½ Morgen,
in Allem an Ackerländereien
101 ½ Morgen
erhalten hat.
An Wiesenlande hat jeder erhalten 1 ¾ Morgen. Die Haide ist theils an
den Koppeln geschnitten, um die Ackerländereien daraus erweitern zu
können, theils ist selbige zum Busch und Plaggenhieb in Schlägen von
5 Morgen bis zu 40 Morgen gelegt, so daß jeder Hauswirth in Allem an
Haide und Weide besitzt
180 Morgen.
An Gartenland ist jedem, theils in Verbindung mit der zu Futterkräutern bestimmten Hofkoppel, teils um und bei der Wohnung zugeteilt
3 Morgen.
Zum Anbau sind reserviert
5 Morgen.
Der Schultze hat zur Dienstkoppel erhalten 12 Morgen.
Auf den Fall, daß die Darzauer Schafhude aufgehoben werden sollte,
ist eine Trift zu den übrigen Feldmarken abgepfahlet.“
Weshalb hatte es lange 13 Jahre gedauert, bis die Zusammenlegung der
Felder durchgeführt wurde, obwohl die Voraussetzungen hier vergleichsweise günstig waren, denn die Inhaber der vier Samnatzer Hausstellen
408
Darstellung nach NHStAH Hann. 74 Dannenberg 3546; s.a. Wrase, Siegfried,
Die Anfänge der Verkoppelungen im Gebiet des ehemaligen Königreichs Hannover. Göttingen 1973, S. 37.
23
waren sich von Beginn an einig? Über die Verkoppelung entschieden jedoch nicht nur die Bauern, sondern es gab neben der Schäferei eine Obrigkeit, die in der Veränderung der Feldmark eine Chance sah, zugleich
die Abgaben zu erhöhen.
Die Verzögerung lag mithin nicht allein an dem Widerstand der Bauern oder der Unfähigkeit der Beamten, sondern an weiteren Faktoren.
Betrachten wir dazu noch einmal kurz die alte Feldbewirtschaftungsform, wie sie in Niedersachsen bis Anfang des 19. Jahrhunderts üblich
war. Sie basierte auf der individuellen Nutzung des eigentlichen Hofes,
der Bewirtschaftung des Ackerlandes und der gemeinsamen Nutzung
der Grünflächen, der Heide, Moore und Wälder.
Modernisierungen, und sei es nur die von den Verfechtern einer modernen Agrarwirtschaft geforderte Besömmerung der Brache mit Klee
oder Leguminosen, bereitete unter diesen Bedingungen Probleme. Allerdings war die Besömmerung der Brache schon seit dem 17. Jahrhundert
in landesherrlichen Ordnungen geregelt, wie in der Calenberger Zehntordnung, die die besömmerte Fläche auf maximal ¼ des Brachfeldes begrenzte.409
Weiderechte spielten in den südlichen Landesteilen, in Calenberg,
Göttingen, Grubenhagen, Hohnstein und Hildesheim eine größere Rolle,
wobei meist die Domänen und adeligen Güter die Schäfereirechte für
ganze Gerichtsbezirke besaßen, so dass hier sowohl Gemeinheitsteilungen wie auch Flurzusammenlegungen auf Widerstände stießen. 410 Dagegen spielten diese Rechte in den nördlichen Landesteilen, wo es weder
Weideberechtigungen noch Schäfereirechte in größerer Zahl gab, keine
entscheidende Rolle.
Einer intensiven und individuellen Bewirtschaftung des Landes standen sowohl diese Weideberechtigungen als auch die sonstige, sich aus
der starken Parzellierung des Landes ergebenden Nutzungsbeschränkungen entgegen. Ansätze zur Aufhebung dieser Beschränkungen reichen bis in das späte Mittelalter und das 16. Jahrhundert zurück, als
etwa in den Marschgegenden ein intensiver Ackerbau aufgenommen
wurde.411 Eine frühe Umlegung gab es Anfang der 30er Jahre des
16. Jahrhunderts in zwei Dörfern des Bistums Verden.412
Weitere Verkoppelungen sind vereinzelt auch im 17. und frühen
18. Jahrhundert nachzuweisen; doch fallen sie zahlenmäßig nicht ins
409
410
411
412
Ebd, wo als zweites Beispiel die Hildesheimer Polizeiordnung von 1665 erwähnt wird.
Wrase (1973), 350 und Prass (1997b), 130-132.
Seedorf, Hans Heinrich, Die Veränderung des Siedlungs - und Flurbildes durch
die Gemeinheitsteilungen und Verkoppelungen, in: Niedersächsisches Landesverwaltungsamt, Hrg, Der Landkreis Verden. Amtliche Kreisbeschreibung.
(Die Landkreise in Niedersachsen 20) Bremen-Horn 1962, 155-157.
Seedorf (1962).
24
Gewicht. Viele Ansätze scheiterten, weil sich die Beteiligten nicht einigen konnten, die Reformbestrebungen zu akademisch und obrigkeitlich
waren und die Bauern nicht überzeugen konnten. Es fehlte an Vorbildern und sichtbaren Erfolgen in nächster Nachbarschaft. Solche Vorbilder gab es seit dem 18. Jahrhundert in England und in Dänemark. In
England waren schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts 50 % bis 75 % der
landwirtschaftlichen Nutzfläche verkoppelt und eingehegt. 413 In einem
komplexen, regional sehr unterschiedlich verlaufenden Prozess wurden
dort seit dem 16. Jahrhundert die genossenschaftlichen Nutzungen
durch individuelle ersetzt. Es fanden die sogenannten Einhegungen
(enclosures) statt, die darin bestanden, dass die bislang offenen Felder
durch Steinwälle oder Hecken eingeht wurden. Ziel der Einhegungen
war die Erhöhung der Produktivität der Landwirtschaft vor allem durch
eine Intensivierung der Schafzucht. Verlierer dieser Entwicklung waren
die Bauern, denn die Gemeinweiden verschwanden und die Umstellung
kostete viel Geld.414
Im dänischen Schleswig-Holstein hatte seit 1712 eine zunächst freiwillige Zusammenlegungsbewegung eingesetzt, in deren Verlauf Bauern
und adelige Reformer gemeinsam begannen, die vorhandene Agrarverfassung zu verändern. Ergebnis dieses Prozesses war die Anlage von mit
Wall und Hecken umstandenen Koppeln, auf denen eine geregelte FeldGras-Wirtschaft betrieben wurde. Der Begriff (Koppel), nicht jedoch die
Elemente Wall und Hecke oder die spezielle Koppelwirtschaft wurde in
Niedersachsen übernommen. Die zunächst freiwilligen, teilweise gegen
den landesherrlichen Widerstand realisierten Verkoppelungen waren
derart erfolgreich, dass sie seit 1768 in ein staatliches Verfahren überführt wurden.415
Die Entwicklung in Schleswig-Holstein mit ihren sichtbaren Erfolgen
beeinflusste entscheidend den Fortgang der Gemeinheitsteilungen und
Verkoppelungen im benachbarten Herzogtum Lauenburg, das bis zum
Wiener Kongress 1815 zum Kurfürstentum Hannover gehörte.416 Aller413
414
415
416
Hoskins, W. G, The making of the English landscape. London [u.a.] Repr 1985,
S. 147-154, S. 177-210.
„Briefly, one may define enclosures as a method of increasing the productivity
or profitability of land.“ Thirsk, Joan, The rural economy of England: Coll.
essay (History series 25) London 1984.
<http://www.loc.gov/catdir/description/hol032/83123855.html>, S. 65 f.
Ast-Reimers, Ingeborg, Landgemeinde und Territorialstaat: der Wandel der
Sozialstruktur im 18. Jahrhundert dargestellt an der Verkoppelung in den königlichen Ämtern Holstein (Quellen und Forschungen zur Geschichte Schleswig-Holsteins 50) Neumünster 1965; Prange, Wolfgang, Die Anfänge der
großen Agrarreformen in Schleswig-Holstein bis um 1771. (Quellen und Forschungen zur Geschichte Schleswig-Holsteins 60) Neumünster 1971.
Meyer, Gerhard, Die Verkoppelung im Herzogtum Lauenburg unter hannoverscher Herrschaft: eine Abhandlung zur Agrar- und Landesgeschichte. (Quellen
25
dings sollte dieser Übergang zu Reformen im benachbarten Lauenburg
nicht als Ergebnis systematischer Übertragung seitens der Obrigkeit gesehen werden. Zwar wurden hier die ersten Verkoppelungen nicht von
den Bauern in Eigenregie durchgeführt, aber von ihnen gingen wichtige
Anstöße aus.417 Der entscheidende Grund für die beginnenden Verkoppelungen dürfte darin zu sehen sein, dass die vorhandene genossenschaftliche Feldnutzung angesichts einer gestiegenen Bevölkerung an ihre
Grenze stie Es fehlte vor allem an ausreichendem Dünger, so dass die
Erträge des Ackerbaus zu gering waren. Von Gerhard Meyer ist auf die
enge Verbindung genossenschaftlicher und herrschaftlicher Elemente in
der alten Agrarverfassung verwiesen worden und darauf, dass angesichts der zunehmenden landesherrlichen Spielräume das adelige Element, mithin die Grundherrschaft immer weniger Akzeptanz fand. 418
Eine begrenzte Maßnahme wie die Verkoppelung stellte letztlich das gesamte System der Feldwirtschaft und der feudalen Abhängigkeit in
Frage, denn den Bauern war nicht allein daran gelegen, die bisherigen
genossenschaftlichen Elemente der Feldwirtschaft, sondern zugleich die
herrschaftliche Ordnung als solche zu beseitigen bzw. zu reduzieren. Auf
das übrige Kurfürstentum Hannover griff diese Entwicklung jedoch
nicht über.
Dort gingen wichtige Impulse von der Regierung, bzw. der Kammer
au 1766 wurden, weil die Bauern keine Versuche unternahmen, im
Fürstentum Lüneburg mehrere kleine Vorwerke aufgeteilt und an Bauern oder an Neubauern (Anbauern) vergeben. 419 Erste dörfliche Verkoppelungen wurden in der zweiten Hälfte der 1770er Jahre in den Ämtern
Ebstorf und Neuhaus durchgeführt. Bezeichnend für diese frühen Anfänge war der Wunsch der Bauern, mit der Verkoppelung zugleich eine
Senkung der Abgaben und eine Abfindung der Schäfereigerechtigkeit
durchzuführen.
Die weiteren Jahre waren von mühsam erreichten kleinen Fortschritten geprägt;420 nur wenige Maßnahmen konnten realisiert werden, wie
in Breese, wo 1787 ein Teilungs- und 1791 ein Verkoppelungsplan vorgelegt wird, in Gümse, wo es 1792 zum Verkoppelungsplan kommt oder in
Saaße und Tatendorf, wo lediglich die Verkoppelung erreicht wird. 1792
schließlich gelingt die Verkoppelung der Feldmark Strachau. Bezeichnend für diese frühen Reformen ist, dass in den meisten Fällen die landesherrlichen Vorwerke mit einbezogen wurden.
Die Bilanz zweier Jahrzehnte war enttäuschend: Weder bei den Verkoppelungen noch den Gemeinheitsteilungen konnten große Erfolge er417
418
419
420
und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 66) Hildesheim 1965.
Meyer (1965), S. 52-55.
Meyer (1965), S. 57-59.
Das folgende nach Wrase (1973), S. 34 f.
Wrase (1973), S. 36-38.
26
zielt werde. So wurden zwischen 1775 und 1796 im gesamten Kurfürstentum lediglich 36 Teilungen ermittelt, weshalb eine Kommission eingesetzt wurde, die eine Gemeinheitsteilungsordnung für das Fürstentum
Lüneburg entwarf.421
Der Versuch, auf freiwilliger Basis ohne ein differenziertes gesetzliches Instrumentarium zu einer umfassenden Neugestaltung der Landwirtschaft zu gelangen, scheiterte im Gegensatz zu Holstein in Hannover. Die Verzögerungen waren die Folge mehrerer Faktoren. So erschwerte die Vielzahl der sich überlagernden Nutzungsrechte eine gütliche Einigung zwischen den Beteiligten vor allem dann, wenn seitens der
Verwaltung keine kompetenten Fachleute zur Verfügung standen. Hinzu kamen speziell die Schäfereirechte, die in Lüneburg wie auch in anderen Regionen zu einer Blockade von Gemeinheitsteilungen und Verkoppelungen führen konnten. Teilweise verbot sich eine Teilreform auch
deshalb, weil die naturräumlichen Voraussetzungen ungeeignet waren
und nur eine umfassende Maßnahme sinnvoll war. Schließlich konnten
die Kosten retardierend wirken, weshalb die Kammer im Herzogtum
Lauenburg auch alle Kosten, im Fürstentum Lüneburg zumindest die
Vermessungskosten übernommen hatte.422 Problematisch dürfte aber
letztlich das gesamte Verfahren gewesen sein, denn bei dem Fehlen bäuerlich-ländlicher Aktivitäten, die gezielt und gut wie in Schleswig-Holstein organisiert das Verfahren vorantrieben, ließ sich mit dem fallweisen Vorgehen ohne ausgebildete Verwaltungsbeamte, ohne einen entsprechenden Apparat und ohne detaillierte Verfahrensvorschriften relativ wenig ausrichten.
2. Nachholende Modernisierung?
Der 30jährige Krieg und die ihm folgenden Kriege hatten tiefe Wunden
besonders im mittleren Europa geschlagen. Städte und Dörfer waren
menschenleer, Häuser und Höfe standen verlassen, die Menschen waren
vertrieben oder auf der Flucht vor dem Krieg aus ihrer Heimat verschwunden, waren verarmt und bettelten. Dennoch gelang es in vergleichsweise kurzer Zeit, die Verluste und Schäden des Krieges auszugleichen, so dass spätestens um 1750 die Einwohnerzahlen wieder über
denen vor 1618 lagen.423 Der Westfälische Frieden hatte zu einer weiteren Aufwertung der deutschen Territorialstaaten geführt und deren
Handlungsmöglichkeiten erweitert. Maßnahmen zur Verbesserung, Vereinheitlichung und Modernisierung der Verwaltung waren notwendig,
421
422
423
Wrase (1973), S. 43.
Wrase (1973), S. 48 f.
Press, Volker, Kriege und Krisen: Deutschland 1600-1715. (Neue deutsche Geschichte 5) Frankfurt am Main [u.a.] 1991, 270.
27
um die inzwischen ausgedehnten landesherrlichen und staatlichen Aktivitäten zu finanzieren. Besonders in zwei Bereichen, der Hofhaltung und
dem Militärwesen, hatten der Krieg und die Nachkriegszeit einen erheblichen Handlungs- und Finanzbedarf geweckt.424 Das war insofern nichts
Neues, als schon im 16. Jahrhundert der Landesherr die Landstände um
Geld bitten musste. Seit dem 17. Jahrhundert war er bemüht, seine Finanzen möglichst ohne ständische Mitsprache zu organisieren, weshalb
die ständische Rechte beschnitten und neue Steuern, wie die Kontribution, eingeführt wurden.425 Eine Ausschaltung der Landstände wie in
den brandenburgisch-preußischen Territorien gab es allerdings in Niedersachsen nur in begrenztem Maße.
Die Frage, ob es einen „starken“ Staat gab, gar einen „absolutistischen“ wird bis in jüngste Zeit kontrovers diskutiert. 426 Von Winfried
Baumgart stammt etwa die Formulierung, es habe sich um einen „funktional selektiven Staat“ gehandelt.427 Die Diskussion über die Handlungsmöglichkeiten des absolutistischen Staates ist für unser Thema
von nicht geringer Bedeutung. Sie führt zu der Frage nach den Faktoren, die zur Durchsetzung einer neuen Form der Landbewirtschaftung
geführt haben. Damit ist die Frage verbunden, wie diese Form überhaupt bewertet werden soll. Die Agrarverfassung, wie sie sich bis in das
17. Jahrhundert entwickelt hatte, war zu einem wesentlichen Teil das
Ergebnis politischer Entscheidungsprozesse, unterschiedlicher Machtverhältnisse und Zielvorstellungen. Der sich im 16. Jahrhundert etablierende Steuerstaat war in entscheidendem Maße auf eine leistungsfähige
Landwirtschaft angewiesen. Konkurrierende Herrschaft seitens des
Adels konnte im Westen weitgehend zurückgedrängt bzw. kontrolliert
werden, ohne sie letztlich in Frage zu stellen. Ein Machtkompromiss wie
in Preußen zwischen Staat und Adel war hier nicht notwendig. 428
424
425
426
427
428
Siehe hierzu jetzt Winnige, Norbert, Von der Kontribution zur Akzise, in: Bernhard R. Kroener, Pröve, Ralf, Hrg, Krieg und Frieden: Militär und Gesellschaft
in der Frühen Neuzeit. Paderborn u.a. 1996, 59-83.
Press (1991),
Einen guten Überblick bieten die Aufsätze in Birtsch, Günter, Hrg, Reformabsolutismus im Vergleich: Staatswirklichkeit - Modernisierungsaspekte - verfassungsstaatliche Positionen, (Aufklärung, Bd. 9,1), Hamburg 1996, und Asch,
Ronald G, Der Absolutismus - ein Mythos?: Strukturwandel monarchischer
Herrschaft in West- und Mitteleuropa (ca. 1550 - 1700). (Münstersche historische Forschungen 9) Köln [u.a.] 1996.
So auf der Tagung der Frühneuzeit-AG in Jena, am 19.9.1997.
Dazu die oben genannten neueren Literaturtitel, außerdem Schlumbohm
(1997); neuerdings und stärker differenzierend: Härter (2002). Allerdings stellte sich die Frage speziell im größten nordwestdeutschen Territorium, in Kurhannover deshalb nicht, weil hier der Landesherr in England war und die im
17. Jahrhundert erkennbaren Tendenzen zum Absolutismus nicht weiter entwickelt wurden.
28
Die neuere Forschung hat allerdings teilweise erhebliche Zweifel geäußert, ob es im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert einen absolutistischen Staat gegeben habe, der unabhängig von den Landständen, insbesondere dem Adel hat regieren und sich gegenüber lokalen und regionalen Gewalten sowie dem Herkommen hat durchsetzen können. Die
Staaten des 18. Jahrhunderts blieben in ihrer Handlungsfähigkeit weiter durch die landständischen Positionen, die territorialen Eigenheiten
und eine unzureichende Behördenorganisation eingeschränkt, was insbesondere, aber nicht allein für die nordwestdeutschen Gebiete gilt. 429
Aber haben sie diese Beschränkung überhaupt in dieser Form gesehen,
oder waren diese Elemente nicht-moderner Staatlichkeit selbstverständliches Kennzeichen landesherrlicher Politik?430
Exemplarisch lässt sich dies an den ständischen Mitspracherechten
und der Verwaltungsstruktur zeigen. Zwar ist sich die Forschung inzwischen längst darüber einig, dass von einer Ausschaltung landständischer Rechte kaum die Rede sein kann, auch wenn in einigen Territorien
wie in Brandenburg-Preußen keine Landtage mehr einberufen wurden
und die Landstände das Steuerbewilligungsrecht verloren hatten. 431 Die
Konsequenz aus dieser Erkenntnis für die agrarischen Verhältnisse
kann nur darin bestehen, stärker nach den internen Reibungsverlusten
zu fragen, weil der Adel als wichtigster politischer und sozialer Repräsentant erhebliche Möglichkeiten zur Blockade hatte. Selbst der preußische Absolutismus als Herrschaftskompromiß mit dem Adel weist auf
diese Dimension hin, die in den kurhannoverschen Landen von weit größerer Bedeutung war. Hier blieben die alten regionalen bzw. territorialen Landstände bis in das 19. Jahrhundert bestehen und schränkten
eine einheitliche und gesamtstaatliche Reformpolitik ein.
So klagte Spittler in seiner Geschichte Hannovers: Wenn König Georg
III. für acht Millionen Briten eine neue Steuer auflegen wolle, müsse er
nur die Bewilligung des Parlamentes einholen, „aber wenn derselbe von
seinen sämtlichen Deutschen Unterthanen, welche ungefähr höchstens
den zehnten Theil seiner Insulaner ausmachen, eine allgemeine neue
Steuer verlangt, so muß mit sechs verschiedenen Parlamenten vorher
429
430
431
Eine Ausnahme bildete der Kleinstaat Schaumburg-Lippe, dazu Hauptmeyer,
Carl-Hans, Souveränität, Partizipation und absolutistischer Kleinstaat: die
Grafschaft Schaumburg-(Lippe) als Beispiel. (Quellen und Darstellungen zur
Geschichte Niedersachsens 91) Hildesheim 1980.
Auf die spezifische Form frühmoderner Staatlichkeit verweist: Blänkner,
Reinhard, „Absolutismus“ und „frühmoderner Staat“. Probleme und Perspektiven der Forschung, in: Rudolf Vierhaus, Hrg, Frühe Neuzeit - Frühe Moderne?
Forschungen zur Vielschichtigkeit von Übergangsprozessen. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 104) Göttingen 1992, 48-74.
Als neuere Darstellung dazu Dreitzel, Horst, Absolutismus und ständische
Verfassung in Deutschland: ein Beitrag zu Kontinuität und Diskontinuität der
politischen Theorie in der frühen Neuzeit. (Beiheft 24) Mainz 1992.
29
verhandelt werden, und jedes dieser sechs verschiedenen Parlamente besteht aus mehreren Classen von Landständen gleichwichtiger Rechte
und gleichversicherter Privilegien, welche alle, so sehr sonst ihre Vorzüge verschieden sind, um ihre freye Einwilligung hierüber befragt werden
müssen, auch will am Ende das Volk im Lande Hadeln noch besonders
gebeten seyn“.432
Es gab keinen einheitlichen hannoverschen Staat, sondern ein Konglomerat von mehr oder weniger eigenständigen Teilterritorien, die jeweils über eigene landständische Vertretungen verfügten. Die Diskussionen mit den lüneburgischen Landständen über die Ausweisung neuer
Anbauerstellen zeigen den begrenzten staatlichen Handlungsspielraum.433 Die im Fürstentum Lüneburg zu Tage tretenden Positionen lassen die komplexe Struktur frühneuzeitlicher Staaten erkennen, was zur
Folge hatte, dass landesherrliche Intentionen in Konflikt mit den Interessen anderer gesellschaftlicher Gruppen geraten konnten. Die neuere
Forschung hat auf das Programmatische und auch das Propagandistische des Absolutismus verwiesen und damit den Begriff stärker auf seinen zeitgeschichtlichen Kontext reduziert.434 Zugleich zeigen diese Arbeiten, dass die Handlungsweise des Staates kontextgebunden und keineswegs immer geplant war. Zugleich waren die Unterschiede zwischen
den europäischen Staaten, die über absolutistische oder nicht absolutistische Monarchien verfügten, weit geringer als früher angenommen. Die
englische Monarchie, der ein starkes Parlament gegenüber stand, war
teilweise gewiss genauso handlungsfähig wie die „absolutistischen“ Konkurrenten in Deutschland, worauf auch das obige Zitat Spittlers hinweist.
Angesichts dieses Forschungs- und Diskussionsstandes ist es überraschend, dass hinsichtlich der Agrarreformen eine neuere Debatte weitgehend ausgeblieben ist. Die großen Männer und Ideen dominieren bis in
432
433
434
Ludwig Timotheus Spittler, Geschichte des Fürstenthums Hannover seit den
Zeiten der Reformation bis zu Ende des Siebenzehnten Jahrhunderts. Erster
Theil. (Sämmtliche Werke Bd. 6), Hrg. Karl Wächter. Stuttgart und Tübingen,
1828, 1.
Deike (1994), 63-67.
Als Frage formuliert in der Einleitung von Asch (1996), 23; außerdem ebd.
Ernst Hinrichs: Abschied vom Absolutismus, 361. Schon vor über 30 Jahren
hat Ernst Hubatsch davor gewarnt, den Absolutismus des 17. und 18. Jahrhunderts über zubewerten: „Der angeblich absolut regierende Herrscher der
Barockzeit war noch ziemlich weit entfernt von der Absolutheit der modernen
abstrakten demokratischen Staatsgewalt, wie sie sich seit dem 19. Jahrhundert … herausbildet.“ (Hubatsch, Walther, Das Zeitalter des Absolutismus:
1600 – 1789. Braunschweig 2 1965, 9). Schon im Titel ist die Dichotomie des
Absolutismusbegriffs angelegt bei Vierhaus, Rudolf, Staaten und Stände: vom
Westfälischen bis zum Hubertusburger Frieden 1648 bis 1763. (Ullstein-Buch
33143) Frankfurt am Main [u.a.] 1990.
30
jüngste Handbücher sowohl zur niedersächsischen Geschichte als auch
zur deutschen Agrargeschichte.435 Solche Darstellungen sind entstanden
vor dem Hintergrund einer positivistischen Fortschreibung aufklärerischen Gedankenguts, unter der Annahme, dass die Reformen erfolgreich
und insofern die ihnen zugrunde liegenden Prozesse nicht weiter zu untersuchen seien.
Anders stellt es sich dar, wenn nach dem Zusammenhang von Staatlichkeit und den Folgen ökonomischer Entwicklungen oder den Verhaltensweisen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen gefragt wird.
Zuweilen wirkt die ältere, von Knapp angeregte Forschung problemorientierter, denn schon Wittich wies auf den engen Zusammenhang von
staatlichen Interessen und Agrarpolitik im 18. Jahrhundert hin.436
Im 16. Jahrhundert standen die Agrarpolitik und Maßnahmen zur
Verbesserung der staatlichen Einnahmen in einem engen, funktionalen
Verhältnis. Daran änderte sich auch in der Folgezeit nichts; im Gegenteil, angesichts einer zunehmenden Staatsverschuldung kam der Forderung nach Verbesserung der Einnahmesituation erhöhte Priorität zu. 437
Die neue Position der Territorialstaaten, die internationalen Konflikte
und die Bemühungen um eine neue Herrschaftslegitimation bedingten
eine verstärkte Förderung des wirtschaftlichen Geschehens, mit der
Absicht, die Einwohnerzahl zu erhöhen, eine aktive Handelsbilanz zu
erzielen und einen möglichst großen Staatsschatz zu erwirtschaften. 438
Im Gegensatz zu älteren Vorstellungen, die in einer steigenden Bevölkerung eher eine Bedrohung knapper Ressourcen sahen, wurde seit dem
16. Jahrhundert Bevölkerungswachstum als notwendige Voraussetzung
gesamtgesellschaftlichen Wachstums gesehen:439
„Sie [die Landesherren] wollten mehr Untertanen haben, weil mehr
Untertanen mehr Steuerzahler, mehr Arbeiter und mehr Konsumenten
bedeuteten, die die Wirtschaft stimulierten, und mehr Rekruten für die
Armee waren.“440
Die dabei angewandten Methoden merkantilistischer Wirtschaftspolitik
orientierten sich zwar vergleichsweise stark an dem französischen Vorbild, wiesen jedoch zugleich individuelle Ausformungen auf. Bei aller
Förderung von Gewerbe und Handwerk blieb die Dominanz der Landwirtschaft ungebrochen. Die Auseinandersetzung mit der agrarischen
435
436
437
438
439
440
Hucker, Schubert, Weisbrod (1997), 349-352; Achilles (1993), 91-100, der die
„treibenden Ideen und Kräfte“ darstellt.
Ansatzweise geschieht dies bei Wehler (1987), 164-170.
Reinhard (1996).
Blum (1978), 206-209.
Schulze, Winfried, Deutsche Geschichte im 16. Jahrhundert: 1500 - 1618. (Edition Suhrkamp 1268 = N.F, Bd. 268) Frankfurt am Main Erstausg 1987, 26.
Blum (1978), 207, eigene Übersetzung. („They wanted more subjects because
more subjects meant more taxpayers, more workers and consumers to stimulate economic life and more recruits for their armies.“)
31
Produktionsweise schlug sich in der Entstehung einer speziellen Literaturgattung („Hausväterliteratur“), der Etablierung von ökonomischen
Sozietäten, schließlich der Einrichtung kameralistischer Lehrstühle zur
Forschung und Ausbildung des Verwaltungsnachwuchses nieder. Die
systematische und kritische Auseinandersetzung mit der vorhandenen
agrarischen Produktionsweise legte bald viele problematische Aspekte
bloß, wies auf Ungereimtheiten hin und benannte Änderungsvorschläge.
Gleichwohl stand sie weiterhin in enger Verbindung mit der vorhandenen landesherrlichen Ebene. Die Wirkungen dieser theoretischen, aufklärerischen Auseinandersetzung mit der Landwirtschaft sollte jedoch
nicht überbewertet werden, denn die in sich geschlossenen Theoriegebäude eines Quesnay oder Beckmann entstammen in der Regel der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, während Reformansätze schon viel früher,
wenngleich vereinzelt und ohne systematische Begründung entstanden.
Dies ist exemplarisch an der Neuorganisation der preußischen Domänenverwaltung unter Friedrich-Wilhelm zu sehen, welche durch die Einführung des Generalpächters eine verbesserte Einnahmesituation für
den Staat bezweckte.441
Die Konzentration auf die theoretische Auseinandersetzung mit der
Landwirtschaft verkennt zugleich, dass hierdurch Kausalitäten nahe gelegt werden, die in der Praxis kaum nachzuweisen sind. Die zunehmende Inanspruchnahme aller ökonomischen Kräfte als Voraussetzung für
eine Steigerung der staatlichen Leistungskraft in einem Jahrhundert
der Kriege und Konflikte musste gewissermaßen notgedrungen an erster
Stelle die Landwirtschaft berücksichtigen.
Die in mehreren nordwestdeutschen Territorien betriebene Redintegrationspolitik, die Wiederbesetzung vornehmlich der größeren Hofstellen mit Landwirten, muss als ein Versuch gewertet werden, die für den
Staat wichtigste Hofgruppe, die spannfähigen Betriebe, möglichst
schnell wieder in vollständiger Zahl zur Verfügung zu haben, während
die von der ländlichen Bevölkerung begehrteren, weil weniger belasteten Kleinstellen an zweiter Stelle standen. Ohne eine leistungsfähige
bäuerliche Oberschicht waren viele staatlichen und militärischen Funktionen kaum zu erfüllen, so dass diese Schicht zunächst von den landesherrlichen Verwaltungen gefördert wurde.442 Die Redintegrationspolitik
tangierte letztlich auch die grundherrschaftlichen Verfügungsrechte
441
442
Müller, Hans-Heinrich, Domänen und Domänenpächter in Brandenburg-Preußen im 18. Jahrhundert, in: Otto Büsch, Neugebauer, Wolfgang, Hrg, Moderne
Preußische Geschichte 1648-1947. Eine Anthologie. Bd. 1. Berlin-New York
1981, 316-359, hier 318.
Beispiele bei Mauersberg, Hans, Beiträge zur Bevölkerungs- und Sozialgeschichte Niedersachsen (Studien zur Volkskörperforschung Niedersachsens 1)
Hannover 1938, 104; Röpke (1924), 61-66; Pröve (1929), 42 f; Deike, Deike
(1994), 54.
32
über die Höfe, und so ist es nicht verwunderlich, wenn die gegen Ende
des 16. Jahrhunderts begonnene Bauernschutzpolitik nach dem Krieg
fortgesetzt wurde. Gleichzeitig gab es Ende des 17. Jahrhunderts erste
Bestrebungen, die naturalen Verpflichtungen der Bauern zu lockern,
weil sie einer effektiven Wirtschaft im Wege standen. 443 Die agrarischen
Verhältnisse befanden sich also schon vor 1750 im Fluss. Doch hatte
dies keine Reduktion der Belastung der Bauern zur Folge, sondern das
Gegenteil: „Es scheint kaum möglich, dass zu den schon vor dem Kriege
bestehenden nicht unbeträchtlichen Lasten noch neue hinzugekommen
sein können. Und doch ist es so …“444 Zu den im Fürstentum Osnabrück
vorhandenen Abgaben kamen neue hinzu, es wurden vermehrt Dienste
in natura gefordert und gleichzeitig andere in Geld umgewandelt, was
das Dienstwesen noch unübersichtlicher werden ließ.445
Die Förderung der Kameralwissenschaft hatte ohne Zweifel einen
funktionalen Aspekt, der vorrangig dem fiskalischen Ziel merkantilistischer Vorstellungen diente. Insofern gingen, jenseits aufklärerisch-kritischer Gedankengänge von den finanziellen Erfordernissen wichtige Impulse für eine Umgestaltung der vorhandenen agrarischen Verhältnisse
aus, die in einem engen Zusammenhang mit der allgemeinen Wirtschafts- und Finanzpolitik standen. Sichtbar werden die landesherrlichen Präferenzen beispielsweise bei frühen Versuchen, die Dienste auf
den landesherrlichen Domänen abzustellen. Hier ging es nicht um eine
Entlastung der bäuerlichen Betriebe als Selbstzweck, sondern um eine
Verbesserung der Einnahmesituation der Domäne bzw. der Kammerkasse.446 Wenn eine solche Maßnahme auch mit ökonomischen Vorteilen für
die Bauern verbunden war, so war das sicherlich eine angenehme, im
Sinne kameralistischer Politik sinnvolle Folge, die aber nicht im Zentrum des Anliegens stand.
Seit dem 17., spätestens dem 18. Jahrhundert können wir eine Zunahme staatlicher Aktivitäten gegenüber ständischen Zwischengewalten
wie dem Adel oder den Städten feststellen.447 Selbst dort, wo es wie in
den Ländern des Kurfürstentums Hannover nicht zur Ausbildung des
Absolutismus kam,448 nahm die staatliche Kontrolle des bäuerlichen Be443
444
445
446
447
448
Hesse (1900), 101 f.
Winkler (1959), 58.
Hirschfelder (1971), 133-138.
Für Preußen zeigte dies schon Gropp, Volkmar, Der Einfluß der Agrarreformen
des beginnenden 19. Jahrhunderts in Ostpreußen auf Höhe und Zusammensetzung der preußischen Staatseinkünfte. (Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 9) Berlin 1967, 65 und 162, der einem kurzfristigen Defizit einen
langfristigen Gewinn gegenüberstellte.
Wittich (1896). Weitgehend danach auch mehrfach Achilles, zuletzt inAchilles
(1982), 5.
Entsprechende Ansätze des 17. Jahrhunderts fanden nach der Übernahme der
englischen Krone keine Fortsetzung im 18. Jahrhundert.
33
sitzes zu Lasten der adeligen Grundherren weiter zu. Diese Ausweitung
staatlicher Eingriffe war für den agrarischen Sektor insofern von Bedeutung, als sich hier das Bestreben artikulierte, die adeligen Zwischengewalten nach und nach zu entmachten, und eine umfassende und direkte Eingriffsmöglichkeit auf alle ländlichen Untertanen zu erreichen.449 Über die genauen Elemente dieses Veränderungsprozesses sind
wir noch unzureichend informiert, aber es gibt Hinweise darauf, dass die
Struktur der nordwestdeutschen Grundherrschaft mit der Gemengelage
feudaler Rechte und kleinen gutswirtschaftlichen Betrieben, der geringen Zahl von adeligen Gerichten und dem seit dem Ende des 16. Jahrhunderts durchgesetzten Bauernschutz dieser Tendenz zur Ausdehnung
staatlicher Handlungsräume entgegenkam.450 Hierdurch wurde den Privatgrundherren ein Teil ihrer elementaren sozialen und ökonomischen
Rechte genommen und vermutlich die Position des Adels geschwächt. Es
ist aber noch weiteren Untersuchungen vorbehalten, das Ausmaß und
die Reichweite dieser staatlichen Eingriffe präziser zu ermitteln. Die Bedeutung dieser Eingriffe dürfte vermutlich weniger in ihrem Umfang,
sondern in ihrer inhaltlichen Richtung zu sehen sein, denn hier artikulierte sich eine Agrarpolitik an, die einerseits in der Tradition des Bauernschutzes des 16. Jahrhunderts stand und andererseits schon Elemente der Reformpolitik des 19. Jahrhunderts enthielt. Unzureichend ist
bislang die Frage beantwortet, wie der hannoversche Adel auf diese
Politik reagierte.
Trotz der offenkundigen Einschränkung privatgrundherrlicher Rechte
blieb die ständische Struktur der Gesamtgesellschaft vorerst unantastbar, was im hannoverschen Staat um so mehr galt, als hier der Adel im
18. Jahrhundert zentrale politische Funktionen übernommen hatte und
ihm kein ortsanwesender handlungsfähiger Landesherr gegenüberstand. Damit ist ein aus landesherrlicher Sicht zentrales Dilemma der
Reformen angesprochen: Die politischen Strukturen setzten eine enge
Abstimmung mit den ständischen Zwischengewalten, speziell dem Adel
voraus, wodurch eine einheitliche Reformpolitik entscheidend behindert
bzw. in ihrer Richtung und ihren Inhalten verändert wurde. Ebenfalls
nicht deckungsgleich mit der staatlichen Reformpolitik war die Position
der Bauern, deren Widerstand gegen Ausweisungen für neue Anbauernstellen schon angesprochen wurde.451 In letzter Konsequenz bedeutete
dies, dass der Versuch, die agrarischen Verhältnisse entsprechend den
fiskalischen und staatlichen Interessen neu zu ordnen, die vorhandene
gesellschaftliche Ordnung nach und nach verändern musste. Das musste
zwangsläufig auch zu einer neuen Finanzverwaltung führen die aber
erst im 19. Jahrhundert realisiert wurde.
449
450
451
Darauf hat schon vor 100 Jahren Werner Wittich hingewiesen.
Bislang nur Rothe (1998).
Deike, Deike (1994), etwa 58-62.
34
Die Frage ist, ob nicht analog zur Entwicklung im 16. Jahrhundert
die Erhöhung von Steuern einherging mit einer effektiveren Verwaltung
der Domäne. Der 30jährige Krieg hatte zumindest eine erhöhten Finanzbedarf zur Folge, der sich sofort in neuen bzw. erhöhten Steuern
niederschlug.452 Während die grundherrlichen bzw. domanialen Einnahmen weitgehend stagnierten, expandierten die Steuern weiter und wurden erst in den 1790er Jahren unter dem Eindruck der französischen.
Revolution gesenkt.453 Die finanzielle Situation des Landes und speziell
der Kammer verbesserte sich dadurch aber nicht, 1770 bis 1780 mussten
sogar 1 Mill. Rtlr. aufgenommen werden.454
Neben den Reformversuchen im agrarischen Bereich gab es weitere
Maßnahmen wie die Vereinheitlichung von Maßen und Gewichten 455
oder statistische und kartographische Aufnahmen des Staatsgebietes
und seiner Einwohner, wobei das militärische Interesse unverkennbar,
aber nicht allein ausschlaggebend war. Dabei konnten auch Vorhaben,
die eigentlich nur der Erfassung des vorhandenen Zustandes dienen
sollten, zu Veränderungen führen, wie die braunschweigische Landesvermessung der 1740er Jahre. Sie war bald verknüpft mit ersten, noch
zögerlichen Verbesserungen der Feldstruktur und weist damit in die
Richtung der späteren Verkoppelung. Ein Blick auf die Aufgaben dieser
Landesvermessung verdeutlicht die Komplexität absolutistischer Reformversuche, denn sie sollten dienen
• der Fixierung der Grundbesitzverhältnisse und Berichtigung der
durch Abpflügen und „Okkupation“ eingetretenen Ungerechtigkeiten
und damit zur Erlangung einer größeren Rechtssicherheit;
• der Vorbereitung einer Zusammenlegung der Grundstücke (Verkoppelung), verbunden mit einer gerechteren Steuerveranlagung;
• der Vorbereitung einer Aufteilung der Gemeinheiten und Koppelweiden, sowie einer Urbarmachung der Moore und Heiden;
• zur Ermöglichung einer rationellen, individuell gestalteten Wirtschaftsweise und dadurch deutlichen Ertragssteigerungen.456
452
453
454
455
456
Vgl. die Personensteuerverordnung für die Fürstentümer Calenberg und Göttingen vom 9.8.1763; abgedruckt in Oberschelp (1985),148-156. Als lokales Beispiel siehe Fritzemeier (1992), 112 f.
Oberschelp, Reinhard, Hrg., Die Französische Revolution und Niedersachsen
1789-1803 : zur Ausstellung der Niedersächsischen Landesbibliothek Hanno ver. Hildesheim 1989, 125-142 mit Beispielen aus niedersächsischen Territorien.
Oberschelp, Reinhard, Politische Geschichte Niedersachsens 1: 1714-1803.
(Veröffentlichungen der Niedersächsischen Landesbibliothek Hannover [1])
Hildesheim 1983, 107 f.
Dazu Albrecht (1980) für Braunschweig hinsichtlich der Maße und Gewichte.
Jordan, G, Die alten Teilungs- und Verkoppelungskarten im Raum Niedersachsen, in: Niedersächsisches Landesverwaltungsamt, Hrg, C.F. Gauss und
die Landesvermessung in Niedersachsen. Hannover 1955, 149.
35
Einen anderen Weg ging man in Kurhannover wenige Jahrzehnte später
mit der Kurhannoverschen Landesaufnahme, die auf der Basis einer
vergleichsweise großmaßstäblichen Karte (1:21.333) eine Übersicht des
gesamten Landes mit kultivierten und nicht kultivierten Flächen, Wegen und Straßen, ländlichen und städtischen Siedlungen (einschließlich
der Feuerstellen) enthielt, allerdings auf eine exakte Erfassung der
agrarischen Verhältnisse verzichtete. Analoge Kartenwerke zu den
braunschweigischen entstanden in Oldenburg, Osnabrück und Schaumburg-Lippe.457
Mit der kartographisch exakten Erfassung des eigenen Staatsgebietes
korrespondierte die flächendeckende Erfassung der Einwohner – jenseits
steuerlicher Einschätzung wie noch im Fall der hannoverschen Kopfsteuerbeschreibung von 1689458 – und erlaubte damit zum ersten Mal
präzise Angaben über Einwohnerzahl, Fläche, Struktur, topographische
Verhältnisse, Besiedlungsdichte und Wegenetz. Gleichzeitig gingen von
solchen Erhebungen Impulse für eine stärkere Vereinheitlichung und
Normierung gegen regionale und lokale Sonderregeln aus.459
Für eine in internationaler Konkurrenz befindliche, auf die Steigerung der eigenen Einkünfte gerichtete und damit die effektivere Nutzung der vorhandenen Ressourcen zielende „Volks“-Wirtschaft, musste
die konkrete Situation jenseits theoretischer Wirtschaftsmodelle 460 zur
Überprüfung bestehender Nutzungsformen führen und Verbesserungsversuche anregen. Allerdings waren das noch im wahrsten Sinne begrenzte Modernisierungsversuche, die nur mit Vorsicht im Verständnis
neuerer Modernisierungstheorien interpretiert werden sollten.461
Dies wird dann schnell deutlich, wenn berücksichtigt wird, dass der
„Staat“ als handlungsfähiges Subjekt im Sinne „absolutistischer“ Vorstellungen nicht überbewertet werden darf. Er stieß an vielfältige, bewusst wahrgenommene oder zunächst als normal bewertete Grenzen.462
Auf das Verhalten einer an einer moralischen Ökonomie und dem Herkommen orientierten Bevölkerung, besonders den zurückhaltenden, vorsichtigen „Landmann“ ist oft genug verwiesen worden. Über das Verhal457
458
459
460
461
462
Eine gute Übersicht mit Einzelbeispielen liefert Leerhoff, Heiko, Niedersachsen in alten Karten: eine Auswahl von Karten des 16. bis 18. Jahrhunderts aus
den niedersächsischen Staatsarchiven. Neumünster 1985.
Hauptmeyer (1994), I.
Albrecht (1980).
Wie sie Achilles in seinem Handbuch, Achilles (1993).
Schmidt, Georg, Der Dreißigjährige Krieg. (Beck‘sche Reihe 2005) München
2002, 91.
Darauf verweist erneut Clemens Zimmermann; Zimmermann, Clemens, Grenzen des Veränderbaren im Absolutismus. Staat und Dorfgemeinde in der
Markgrafschaft Baden, in: Günther Birtsch, Hrg, Reformabsolutismus im Vergleich. Staatswirklichkeit - Modernisierungsaspekte - Verfassungsstaatliche
Positionen. (Aufklärung 9,1) Hamburg 1996, 25-45.
36
ten der ländlichen Bevölkerung wird noch näher einzugehen sein, jedoch
ist schon hier der Verweis notwendig, dass es kaum allein der Bevölkerung anzulasten ist, wenn Reformansätze stecken blieben. Tatsächlich
waren die beschriebenen mentalen, politischen und administrativen
Grenzen mindestens ebenso mächtig wie die Verhaltensweisen der Untertanen.
Diesen gleichsam äußeren Faktoren gesellten sich innere hinzu, die in
der Struktur der frühneuzeitlichen Staaten begründet lagen. Nicht ob es
Domänen gab, war die entscheidende Frage des 18. Jahrhunderts, sondern wie sie bewirtschaftet wurden. Die in den niedersächsischen Territorien übliche Verpachtung der Domäne an den ortsansässigen Amtmann mochte unter den Bedingungen des frühen 18. Jahrhunderts
durchaus sinnvoll sein, wies aber im Sinne einer effektiveren Administration und systematischen Bewirtschaftung des Domaniallandes Nachteile auf.463 Zum einen vereinte der Amtmann mehrere Funktionen in
sich: als Vertreter der landesherrlichen also hoheitlichen Verwaltung,
als Inhaber der niederen Gerichtsbarkeit, als Vertreter des Domaniums
und als privater Pächter des Vorwerk Damit hatte er viele Möglichkeiten auf seiner Seite, während eine sinnvolle Kontrolle seiner Aktivitäten
durch die Kammer oder die Regierung erschwert war. 464 Hinsichtlich
agrarischer Veränderungen hatten die Amtleute eine wichtige, häufig
übersehene Position. Zwar mussten auch sie, als Domänenpächter, an
einer Ertragssteigerung interessiert sein, jedoch kaum an einer Erhöhung der Pacht und nur begrenzt an einer Veränderung eines Systems,
dass ihnen einen großen Handlungsspielraum blieb. Ob Dienste effektiv
oder ineffektiv waren, blieb für die Amtleute solange von geringer Bedeutung, wie sie je nach ihren Bedürfnissen aus unterschiedlichen Formen – Naturaldienst, Geldleistung – die für sie jeweils günstigste auswählen konnten.
Die an fiskalischen Interessen orientierte Politik der Staaten, vielfach
gebrochen durch das Herkommen, durch Verwaltungstraditionen und
ständische Mitwirkung, sah sich zudem einer komplexen, im Verlauf des
18. Jahrhunderts nicht zuletzt durch die eigenen Aktivitäten radikal ändernden sozialen und ökonomischen Realität gegenüber. Hierzu zählten
besonders die sozialen und demographischen Veränderungen in Folge
des aktiv geförderten schnellen Bevölkerungswachstum Die Frage nach
den Gründen für den schnellen und im gesamteuropäischen Vergleich
herausragenden deutschen Bevölkerungsanstieg hat die Forschung in
den letzten Jahrzehnten intensiv beschäftigt. 465 Neben der staatlichen
Bevölkerungspolitik durch die Ausweisung neuer Hausstellen dürften
besonders ökonomische Anreize von Bedeutung gewesen sein. Die Rolle
463
464
465
Hierzu Riesener (1991).
Oberschelp (1983), 108.
Dipper (1994), 42-45.
37
der so genannten Protoindustrialisierung, also der gewerblichen Durchdringung des flachen Landes besonders durch die Leinenherstellung, ist
zwar weiterhin umstritten, aber es dürfte keinem Zweifel unterliegen,
dass die exportorientierte Leinenweberei eine wichtige Rolle bei der Bevölkerungszunahme spielte, die regional durch die Hollandgängerei ergänzt wurde. Die Reichweite dieses speziellen Erklärungsansatzes ist
indes zu gering, denn auch in anderen Gebieten mit geringer Exportorientierung wie im Calenberger Land gab es ein deutliches Bevölkerungswachstum, wobei wir auch hier einer in hohem Maße sozial und
ökonomisch differenzierten Bevölkerung begegnen.466 Der Garnverkauf
war in diesen Gebieten noch bis in das 19. Jahrhundert von großer Bedeutung für die unterbäuerlichen Schichten.467 „ … viele Kötner als die
Brinksitzer und Häuslinge sind um so mehr auf das Spinnrad angewiesen, da sie oft fast keine andere Produkte als Garn zum Verkauf haben“.468
Mochte unter den Bedingungen einer geringen Bevölkerungszahl die
Ansetzung neuer Anbauer noch unproblematisch erscheinen, so verschärften sich mit der weiteren Bevölkerungszunahme die sozialen Probleme und zeigten, dass im vorhandenen agrarischen System eine beliebige Stellenausweitung und Bevölkerungszunahme zu systembedingten
Konflikten führte. Zwar wäre die Vorstellung eines „bäuerlichen“ Dorfes
schon für die Zeit um 1600 reichlich abwegig, aber es gab offenkundig
Grenzen für eine anwachsende ländliche Unterschicht. Damit hatte die
staatliche Politik zu einer Dynamik beigetragen, in ihrer gesellschaftlichen Reichweite spätestens mit der großen Krise der 1770er Jahre offenkundig wurde.
Zwei aufeinander folgende Missernten in Folge schlechter Witterung
sorgten 1770 und 1771 nicht nur für Getreideknappheit, sondern auch
für schnell und drastisch steigende Getreidepreise, unter denen besonders die unterbäuerliche Bevölkerung zu leiden hatte. Aufgrund der
weiträumigen Ausdehnung der Krise konnten Getreideimporte nur eine
geringe Entlastung bringen. Zugleich zeigte sich, dass Nordwestdeutschland Teil eines überregionalen Marktsystems war, wodurch es auch zu
einem Abfluss des Getreides in Regionen mit vergleichsweise hoher
Kaufkraft und Nachfrage kam. Versuche, durch Exportverbote und Maximalpreise die sozialen Folgen der Krise zu dämpfen, zeigten nur eine
begrenzte Wirkung, denn entweder wurden sie umgangen und blieben
damit wirkungslos, oder sie führten zu empfindlichen Einkommensverlusten bei der bäuerlichen Bevölkerung, was sich wiederum zu Lasten
466
467
468
Hagenah, Ulrich, Ländliche Gesellschaft im Wandel zwischen 1750 und 1850,
das Beispiel Hannover. In: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte,
57 (1985), 161-206.
Gülich (1827), 21-22.
Gülich (1827), 22.
38
der unterbäuerlichen gewerblichen Bevölkerungsschicht auswirkte, der
nun zahlungskräftige Kunden fehlte.469
Kurz nach dem für Norddeutschland verlustreichen 7jährigen Krieg
stellte die Krise eine Herausforderung an den staatlichen Apparat und
die vorhandenen Lenkungsmechanismen zur Bewältigung von Agrarkrisen dar. Zwar stand der Staat der Krise keineswegs tatenlos gegenüber,
sondern setzte die vorhandenen Instrumente ein: Verteilung von billigem Getreide aus Kornmagazinen, Ausfuhrsperren für Getreide, Erhebung von statistischen Daten zur Bevölkerung. Aber er musste auch erkennen, dass die ökonomischen Interessen der Bevölkerung teilweise
weit auseinander klafften und zugleich miteinander verbunden waren:
die bäuerliche, marktorientierte Bevölkerung benötigte gerade nach dem
Krieg hohe Preise, die unterbäuerliche Bevölkerung wiederum war auf
billige Nahrungsmittel ebenso angewiesen wie auch Nachfrage nach gewerblichen Produkten. Abhilfe gegen ähnliche katastrophale Entwicklungen konnte nur eine grundlegende Förderung der Landwirtschaft
bringen.470
Ein zweiter, mit den vorhandenen Strukturen eng verbundener
Aspekt scheint dagegen nicht wahrgenommen worden zu sein, denn das
Anwachsen der unterbäuerlichen Bevölkerung war in Teilgebieten Niedersachsens nur durch die internationalen Handelsbeziehungen möglich
geworden.471 Jede Maßnahme, die die gewerblichen Tätigkeiten der
„kleinen Leute“ förderte, setzte die weitere Existenz dieser Märkte für
Arbeitskräfte oder gewerbliche Produkte voraus; erst die mit der englischen Industrialisierung einsetzende Wirtschaftskrise im 19. Jahrhundert offenbarte die fundamentale Schwäche dieser Form der Anpassung.
Die Erfahrung der Krise traf auf eine für landwirtschaftliche Fragen
sensibilisierte Öffentlichkeit und Verwaltung, was den nun einsetzenden
bzw. sich verstärkenden Lernprozeß beschleunigte. So boten sich für die
zuvor entwickelten theoretischen und praktischen Überlegungen zur Intensivierung der agrarischen Produktion, sei es die Besömmerung der
Brache oder die Einführung der Kartoffel, nachhaltig und jedermann erkennbare Anwendungsmöglichkeiten. Gleichzeitig erwies sich nun das
vorhandene grundherrschaftliche System als idealer Anknüpfungspunkt, um erste Feudalismuskritik zu üben, und damit die archaischen
Zustände, die „Versclavung“ der Bauern anzuprangern und eine Befreiung aller Untertanen zu verlangen. Dagegen blieb die englische Landwirtschaft noch lange Zeit kein Vorbild für hannoversche Reformversu469
470
471
Dazu Abel, Massenarmut, mit einer detaillierten Schilderung des Verlaufs der
Krise; Abel (1974).
Siehe oben S. 42. Vgl. auch Henning, Friedrich-Wilhelm, Landwirtschaft und
ländliche Gesellschaft in Deutschland. (Uni-Taschenbücher Paderborn 1979),
1, 289.
Hierzu jetzt Hauptmeyer (1994).
39
che. Zwar wurde das englische Beispiel von hannoverschen bzw. deutschen Agrarwissenschaftlern aufmerksam, aber auch kritisch betrachtet; Impulse scheinen aber zunächst kaum von England ausgegangen zu
sein. Erst um die Jahrhundertwende änderte sich dies mit dem Erscheinen der „Englischen Landwirtschaft“ von Albrecht Thaer.472
Die durch Agrarkrise von 1771/72 forcierte Beschäftigung mit agrartechnischen und agrarrechtlichen Fragen erhielt in den folgenden Jahrzehnten weiteren Aufschwung durch das Marktgeschehen. Die seit der
Mitte der 1770er Jahre zwar langsam, aber kontinuierlich steigenden
Agrarpreise boten für diejenigen, die eine Marktquote erwirtschaften
konnten, also die Großbetriebe des Adels, die Domänen und die größeren
Bauernhöfe, einen wichtigen Anreiz, die Produktivität des Betriebes zu
heben. Es sind zudem nicht zufälligerweise die Jahre nach 1780, in denen die wissenschaftliche und öffentliche Auseinandersetzung mit der
Landwirtschaft an Intensität gewann und die Cellische Landwirtschaftsgesellschaft ihre Aktivitäten verstärkte.473
Die staatlichen Eingriffe bzw. Modernisierungsversuche griffen aber
noch weiter. Neben der Ausweisung neuer Stellen muss vor allem die Intensivierung der Domanialwirtschaft berücksichtigt werden, in der zunehmend neuere betriebswirtschaftliche Methoden Eingang fanden, wodurch die Einnahmen der Domäne in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts deutlich stiegen.474 Diese Einnahmesteigerung durch die Verbesserung der Domänenbewirtschaftung und durch Erhöhung der
steuerlichen Belastung hinterließ natürlich auch Spuren bei den Betrieben, wobei die größeren etwas besser als die kleineren abschnitten. 475
3. Die Rolle der Bauern
Im 18. Jahrhundert lebten immer noch 80 % der Menschen auf dem
Lande. Auf den vorhergehenden Seiten wurde dargelegt, wie wichtig die
Landwirtschaft für die damaligen Staaten war und wie sich daraus die
unterschiedlichen Reformvorstellungen entwickelten. Die Bauern wurden indes als Partner bei den verschiedenen Reformbemühungen nicht
ernst genommen. Es galt allgemein die Ansicht, dass unter den Bedingungen herrschaftlicher Abhängigkeit von den Bauern keine Eigeninitiative erwartet werden könne. Daraus entstand das Bild vom widerspenstigen Bauern, der zu seinem Glück gezwungen werden müsse. Ist
dies berechtigt?476
472
473
474
475
Dazu umfassend Ulbricht (1980).
Achilles (1982),
Achilles (1972a), etwa 148.
Ebd, S.182.
40
Die neuere Forschung verharrt bei einem eindeutigen „Sowohl-AlsAuch“. Rudolf Schlögl schreibt: „Es ist wohl an der Zeit, das Bild vom
naturverbundenen, rückwärtsgewandten, in seinen Entscheidungen
blindlings an Traditionen orientierten Landmann hinter sich zu lassen
und sich damit von Vorstellungen zu befreien, in denen ein vom Modernisierungsschock wundgeschlagenes Bewußtsein seit der Romantik Zuflucht sucht.“477
Die Vorstellung, dass Bauern eher modernisierungshemmend gewirkt
hätten, bleibt bis heute selbst dort vorherrschend, wo der Befund zumindest zu einer Abmilderung dieser Vorstellung führen müsste. So schreibt
Rainer Prass in seiner Studie: „Die im 18. Jahrhundert zu beobachtenden Bemühungen bürgerlicher und adeliger Landwirtschaftsreformer,
den Bauern neue agrarische Methoden nahezubringen, stehen in enger
Verbindung mit dem aus der ‚Aufklärung‘ kommenden Anstoß zum
praktischen Handeln.”478 Die Bauern erscheinen an dieser Stelle wieder
als die störrischen Esel, denen ohnehin nicht zu helfen sei: „Ökonomische Probleme und die Haltung der Bauern ließen zahlreiche Ratschläge
ins Leere laufen, so dass viele gut meinende Agronomen schier über die
Widerborstigkeit der Bauern verzweifelten.”479
Nach der Reformfähigkeit und Reformbereitschaft der übrigen, an
den frühen Agrarreformen beteiligten Gruppen wird hingegen selten
gefragt, deren Modernisierungsmodell kaum diskutiert. Dabei steht der
von Rainer Prass formulierte Befund in deutlichem Gegensatz zu seinen
übrigen Ergebnissen: nicht allein die Bauern, sondern speziell der hannoversche Staat vermochte es nicht, eine Reformstrategie zu entwickeln,
die einerseits praxis- und zielorientiert, andererseits bereit war, vorhandene Strukturen in Frage zu stellen. Die vielfältigen Blockaden etwa
seitens der Amtmänner sind auf den vorhergehenden Seiten dargelegt
worden.480
Der Landesherr hatte mithin zwar ein Interesse an Reformen, aber
die Fähigkeit, neue Grundsätze zumindest im eigenen Herrschaftsbereich, also auf den Domänen durchzusetzen, war selbst nur begrenzt
vorhanden, zudem fehlte es an eindeutigen Kriterien für die Realisierung der Reformen. Aus Clemens Zimmermanns Untersuchung badi476
477
478
479
480
Dazu als Diskussionsanregungen Zimmermann, Clemens, Entwicklungshemmnisse im bäuerlichen Milieu: die Individualisierung der Allmenden und Gemeinheiten um 1780, in: Toni Pierenkemper, Hrg, Landwirtschaft und industrielle Entwicklung. Stuttgart 1989, 99-112, Schlögl, Rudolf, Kommentar zu
Clemens Zimmermann, Entwicklungshemmnisse im bäuerlichen Milieu, in:
Toni Pierenkemper, Hrg, Landwirtschaft und ländliche Gesellschaft. Stuttgart
1989, 113-119; Trossbach (1993), 44-50.
Schlögl (1989), 113.
Prass (1997b), 50.
Ebd, 51.
Schneider (1995a).
41
scher Reformmaßnahmen kennen wir die großen Probleme des „absolutistischen“ Staates, gesellschaftliche Reformansätze tatsächlich zu realisieren, bzw. wissen um die diesen Bemühungen immanente Tendenz
zum Scheitern.481 Der hannoversche Staat stand zwar insbesondere seit
dem Siebenjährigen Krieg unter verstärkten finanziellen Zwängen, die
sich reformfördernd auswirkten,482 aber es fehlte an einer zielstrebigen
Strategie zur Realisierung einer neuen gesellschaftlichen Konzeption.
Aber hätte ein im Lande lebender Herrscher tatsächlich diese Defizite
ausgleichen können, wäre es ihm gelungen, die grundlegende Umgestaltung der Gesellschaft in die Hand zu nehmen, den Adel aus seiner herausgehobenen sozialen wie ökonomischen wie politischen Position herauszunehmen?
Ansätze zu diesen Reformen sind zwar zu erkennen, aber was hervorsticht, sind die Hindernisse, die sich überall auftaten, wo im Sinne einer neuen rationellen Landwirtschaft gehandelt werden musste.
Nur wenig wissen wir über den Adel, aber doch immerhin so viel, dass
der Adel nicht als durchweg reformfreudige Gruppe zu charakterisieren
wäre.483 Weshalb sollte dann aber ein eindeutiges Verhalten der Bauern
erwartet werden? Und schließlich: die Reformmodelle einer individualisierten Nutzung des Landes484 dürfen nicht zu schematisch gesehen
werden, sondern als Teil eines gesellschaftlichen Lernprozesses, der eingebunden war in eine verstärkte Dynamik der Gesamtgesellschaft. Im
Rahmen der beschriebenen Prozesse des Bevölkerungsanstiegs, der sozialen Differenzierung und der verstärkten Markteinbindung der verschiedenen ländlichen Sozialgruppen bekam die Modernisierung der
Landwirtschaft bzw. deren Verhinderung eine neue, grundlegende Bedeutung, die sich aber erst aus der ökonomischen und sozialen Praxis ergab und für die verschiedenen, durch den Prozess erfassten Gruppen
eine abweichende Bedeutung hatte. Unter Berücksichtigung dieser
Aspekte und der Tatsache, dass die regionale Vielfalt erheblich, der Einfluss naturräumlicher und verkehrlicher Strukturen nicht zu unterschätzen war, wird verständlich, dass es kein einheitliches Verhalten
der Bauern geben konnte.
Allerdings muss auch gefragt werden, warum die Landbevölkerung
nicht selbständig zu Reformen griff, wie dies in den benachbarten Gebieten Lauenburgs und Holsteins geschah?485 Lag dies daran, dass hier der
Druck der Landesherrschaft auf die Dörfer zu gering war? Aber warum
481
482
483
484
485
Zimmermann (1983).
Oberschelp (1983), 107 f.
Buchholz, Ernst-Wolfgang, Die Bevölkerung des Raumes Braunschweig im 19.
Jahrhundert. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte der Industrialisierungsepoche.
Phil. Dis 1952.
Schlögl (1989), 113; allgemein dazu Brakensiek, Individualisierung,
Ast-Reimers (1965); Prange (1971).
42
blieb es dann auch im absolutistisch regierten Schaumburg-Lippe so
ruhig?486
Eine wichtige Rolle spielte ohne Zweifel der Bevölkerungsanstieg als
Ausdruck tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderungen. Er destabilisierte zunehmend das innerdörfliche Gleichgewicht und die Beziehungen der dörflichen Gruppen zueinander.
Aber eine Zweiteilung in Bauern und „Landarme“ wird vermutlich
nicht den komplexeren Strukturen vieler Dörfer gerecht, in denen sich
nicht nur Landbesitzende und Landlose gegenüberstanden, sondern
auch Mittelbauern und Kleinbauern, deren Interessenlage sich von der
der großen Landbesitzer ebenso unterschied wie von der der Landlosen,
die als Tagelöhner, Leineweber oder Hollandgänger ihre Einkommen sicherten.487 Vor der Annahme einer Polarisierung der dörflichen Gesellschaft in Bauern und „Habenichtse“ (Heuerlinge) hat Christoph Reinders-Düselder zu Recht gewarnt.488
Nicht nur das Anwachsen der ländlichen Unterschichten war ein
Kennzeichen dieser Phase, sondern auch Veränderungen in der Schicht
der eigentlichen Bauern. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
stiegen aufgrund des schnellen Bevölkerungswachstums die Agrarpreise
stark an. Nur Bauern, die größere Getreidemengen auf den städtischen
Märkten verkaufen konnten, profitierten hiervon. Das waren aber vergleichsweise wenige. Die meisten mittleren und kleineren Bauernhöfe
hatten dagegen kaum Vorteile von den hohen Preisen, da sie nur geringe
Überschüsse erwirtschafteten. So gesellte sich in den Dörfern zu dem
Gegensatz zwischen Bauern und nichtbäuerlicher Bevölkerung noch ein
zweiter zwischen reichen und armen Bauern. Allerdings wird hinsichtlich der kleinen Betriebe zu fragen sein, ob diese nicht auf andere Weise
von den ökonomischen Trends profitieren und damit ihre Einnahmen
steigern konnten. Gleichwohl dürften zumeist die reichen Bauern von
Gemeinheitsteilungen und Verkoppelungen Nutzen gezogen haben.
Vor allem sind die steigenden Agrarpreise zu berücksichtigen. Diese
nutzten in erster Linie den größeren Betrieben. „In Perioden des Bevölkerungswachstums und Agrarpreisanstiegs profitierten c.p. immer weniger … Großbauern immer mehr, während das (Real-) Einkommen von
immer mehr kleinen und kleinsten bäuerlichen Stellen, ähnlich wie das
der reinen Lohneinkommensbezieher, immer mehr zurückging.“489
486
487
488
489
Schneider (1983).
Rösener (1993), 200; zur Differenzierung s.a. Achilles (1982), 137-139; Freiburg
(1977), 321-324.
Reinders-Düselder (1995), 69 und 71.
Freiburg (1977), 323. Freiburg wendet sich mit diesen Aussagen gegen eine
vereinfachende Darstellung der positiven Folgen einer Agrarkonjunktur wie
sie von Wilhelm Abel vertreten wurde (Abel, Agrarkrisen), allerdings wird dabei übersehen, dass schon Abel auf die unterschiedlichen Folgen hoher Preise
hingewiesen hat (23-25).
43
Betriebe
Walter Achilles hat auf der Basis der differenzierten Ertragsberechnungen kurhannoverscher Bauernhöfe aus dem Jahr 1765 und unter Berücksichtigung der bis 1800 erfolgten Preissteigerungen ebenfalls nachweisen können, dass vom Getreidepreisanstieg lediglich eine kleine
Gruppe großer Höfe profitierte, während die kleinen Betriebe nur in geringem Maße ihre Einkommen steigern konnten: „Es waren die großen
Betriebe mit hohen Verkaufsquoten, denen die Preiskonjunktur zugute
kam.“490
14
13
12
11
10
9
8
7
6
5
4
3
2
1
0
Unter
80
1765
1800
Über Über Über Über Über Über Über Über Über Über Über
80
11
141 171 201 231 261 291 321 381 561
Einkommensgruppen in Rtlr.
Abbildung 2: Einkommensverteilung von 56 Betrieben in Kurhannover (Nach Achilles 1983).
Allerdings zeigen die von Achilles mitgeteilten Daten (siehe Abbildung 2491), dass die Verhältnisse offenbar nicht so einfach gesehen werden können, denn insgesamt verschob sich das Einkommensniveau nach
oben. Zugleich sollte der Begriff der Agrarkonjunktur vorsichtig verwendet werden wie der Blick auf die Entwicklung der niedersächsischen Getreidepreise zeigt (siehe Abbildung nächste Seite) 492, die zwar insgesamt
zwischen Mitte der 1760er Jahre und dem Jahr 1800 eine deutliche Steigerung aufweisen, aber nicht gleichförmig, sondern als zyklischer Prozes
Aus dem diesem ragen die Krisenjahre 1770 bis 1772 mit ihren drastischen Preissteigerungen ebenso heraus wie die ihnen vorweggehenden
und folgenden Jahre mit sehr niedrigen Preisen. Anschließend stiegen
490
491
492
Achilles (1982), 133.
Die Abbildung bei Achilles (1982), 132, wurde umgezeichnet; für 1765 ließen
sich auf der Vorlage allerdings nur Daten für 50 Betriebe ermitteln.
Erstellt auf der Basis der von Oberschelp, Reinhard, Beiträge zur niedersächsi schen Preisgeschichte des 16. bis 19. Jahrhundert (Veröffentlichungen der Niedersächsischen Landesbibliothek Hannover 6) Hildesheim 1986, 86 f, mitgeteilten Daten.
44
die Preise zwar langfristig an, jedoch erneut in einem zyklischen Wechsel von sehr hohen und sehr niedrigen Preisen. Erst in den 1790er Jahren gab es einen starken und anhaltenden Preisanstieg. Die kurzfristigen, erheblichen Preisschwankungen werden durch die üblichen Zehnjahresdurchschnitte verdeckt493, dürften aber für die Betriebe eine große
Bedeutung gehabt haben. Für die betriebswirtschaftliche Entwicklung
musste nicht nur das langfristige Geschehen relevant gewesen sein, sondern auch das kurzfristige, entschied es doch über das konkrete Betriebsergebni
Dennoch gibt es weitere Indizieren dafür, dass der Konjunkturaufschwung eine Realität war und positive Folgen für die größeren Betriebe
hatte. Helmut Ottenjann hat für das Osnabrücker Artland nachweisen
können, dass in den 1770er Jahren eine intensive Bautätigkeit einsetzte, die bis in die Zeit des Vormärz anhielt.494
Getreidepreise in Hannover
November und Dezember
50,0
45,0
40,0
35,0
30,0
25,0
20,0
15,0
10,0
5,0
0,0
1765 1769 1773 1777 1781 1785 1789 1793 1797
1764 1768 1772 1776 1780 1784 1788 1792 1796 1800
Die Wirkung dieses Preisschubs dürfte in den einzelnen Regionen
Niedersachsens unterschiedlich gewesen sein, je nachdem welchen Zu493
494
Etwa bei Abel (1978b), Abb. 47, 182.
Ottenjann, Helmut, Erforschung und Dokumentation der historischen Volkskultur Niedersachsen Hannover 1987, 12 f.
45
gang zu Märkten die Bauern hatten. In der Nähe größerer Marktorte
war dieser eher gegeben als in den stadtfernen Geestgebieten, wo allerdings der Getreideanbau eine untergeordnete Rolle spielte. Hier traten
insbesondere Wanderarbeiter als Verbraucher, Gläubiger und Geldgeber
zugleich auf.
Das von Abel entwickelte und von Wehler übernommene Modell, wonach Betriebe mit einer hohen Marktquote von niedrigen Ernten und
den entsprechend hohen Preisen profitierten, wirkt zwar schlüssig, dürfte aber in der Anwendung nicht geringe Probleme verursachen. Vermutlich wirkten sich für die Betriebe mittlere Ernten am günstigsten aus,
weil dann die Preise und die Erntemengen relativ hoch waren, so dass
ein größerer Teil der Betriebe überhaupt eine Marktquote erwirtschaften konnte.495
Andererseits muss berücksichtigt werden, dass nicht allein Getreide
von der ländlich-bäuerlichen Bevölkerung auf den Märkten verkauft
wurde, sondern eine Vielzahl anderer agrarischer Produkte wie Vieh,
Butter, Wolle, Heu, Stroh, Torf und Handelsgewächse. 496 Aus dem
schaumburg-lippischen Amt Hagenburg hieß es Mitte der 1830er Jahre:
„… wohnen hier Mehre[re], welche ein eigenes Gewerbe daraus machen,
dergleichen Viktualien hier im Amte aufzukaufen und auf die hannoverschen Wochenmärkte zu bringen”.497
Entscheidendes Merkmal des gesamten Reformprozesses war eine Individualisierung der Landnutzung, die die bisherige genossenschaftliche
Nutzung ersetzte. Doch bedeutete diese Individualisierung nicht, dass
der Prozeß selbst allein von Individuen getragen wurde. Es war vielmehr die Gemeinde der Bauern, die eine zentrale Rolle spielte. Die bäuerliche Gemeinde bildete vor den Agrarreformen nicht nur einen sozialen, sondern auch einen ökonomischen Verband, was nicht zuletzt die
Folge der komplexen Nutzungsrechte der Feldmark war. Sie betraf aber
auch viele andere Bereiche des dörflichen und privaten Lebens, wie den
Hausbau, die Geburt oder den Tod. Das Aufeinanderangewiesensein bedeutete aber weder, dass es sich um konfliktfreie noch um gleichberechtigte Strukturen handelte. Die vielfältigen Nutzungsrechte, wie sie am
Beispiel der Dannenberger Gemeinheide Nebenstedt beschrieben worden sind, führten gerade bei steigender Bevölkerungszahl nahezu
zwangsläufig zu Konflikten.498 Zugleich sorgte die Binnendifferenzierung
des Dorfes in die unterschiedlichen Besitzklassen für ein ausgeprägtes
Oben und Unten, das zudem durch Verwandtschaftsbeziehungen ergänzt wurde. Es gab mithin eine Fülle von Konfliktlinien, die aber gemeinschaftliches Handeln keineswegs behinderten, da es Regelungsme495
496
497
498
Gülich (1827), 11 f.
Gülich (1827), 12.
Schreiben des Amtes Bückeburg vom 13.5.1835 in: STAB L 3 Sg 2.
Siehe auch Prass (1997b), 97. Grundlegend Wunder (1986).
46
chanismen in den Fällen gab, wo aufgrund äußerer Einflüsse organisiertes Verhalten notwendig war.499
Die bäuerliche Gemeinde war indes kein autonomes soziales Gebilde,
sondern landesherrlichen und adeligen Einflüssen unterworfen, es unterstand insbesondere der Aufsicht des Amtes bzw. des Gute Die aus
Schleswig-Holstein schon seit Jahren vorliegenden Studien über die dortigen Agrarreformen vermögen wichtige Erkenntnisse zu liefern über
den Zusammenhang von kommunalem Verhalten und Reformtätigkeit.500
Ingeborg Ast-Reimers kommt in ihrer Studie zu dem Ergebnis, dass
die Verkoppelung in Schleswig-Holstein „keineswegs nur eine rein
agrartechnische Maßnahme war, sondern … Teil jener umfassenden
Umformung der sozialen Struktur, die zur Ausbildung des modernen
Staates … führte“501. An diesem Prozess war die Gemeinden nicht passiv
beteiligt, sondern aktiv, indem sie von sich aus Verkoppelungen initiierten. Allerdings dürften die sozialen Veränderungen in den Gemeinden
einen wesentlichen Schub in diesem Prozess dargestellt haben. Für Niedersachsen fehlen vergleichende Untersuchungen, eine Reduktion der
innerdörflichen Dynamik auf Streitigkeiten scheint wenig angemessen,
hier müssen wir auf einzelne Beobachtungen zurückgreifen. 502 Dabei
zeigt eine genauere Untersuchung der Reformakten, dass ähnlich wie in
Schleswig-Holstein auch in Niedersachsen die Dorfbewohner sich zunehmend als gleichberechtigte Partner der Verwaltung sahen, ja sogar in
zumindest einem Fall gleichsam mit der Verwaltung „spielten“, d.h. die
vorhandene Verwaltungsstruktur und innere Konkurrenz zu ihrem Nutzen auszuspielen verstanden.503
Die dörfliche Genossenschaft bildete ein dynamisches Gleichgewicht,
welches sich nicht allein in fortwährender Bewegung befand und durch
die internen Entwicklungen sowie die neuen ökonomischen Möglichkeiten immer neue Impulse erfuhr. Nach außen traten die Gemeinden in
längeren Verfahren durch Syndici auf, die sich jedoch offenbar nicht immer ihrer Gemeindegenossen sicher sein konnten. Die neuen ökonomi499
500
501
502
503
Dülmen, Richard van, Kultur und Alltag in der frühen Neuzeit. 2. Dorf und
Stadt: 16. - 18. Jahrhundert. München 1999.
Prange (1971) sowie insbesondere Ast-Reimers (1965) .
Ast-Reimers (1965), 321.
Prass (1997b), 102-104. Leider geht diese neueste Studie so gut wie nicht auf
die internen Entwicklungen in den Gemeinden ein, sondern macht sich weitgehend die Perspektive der Verwaltung zu eigen. Untersuchungen, die Aufschluss über die innere Prozesse in den Dörfern im Zusammenhang mit den
Agrarreformen geben könnten, fehlen bislang. Meine eigenen Stichproben zum
Amt Blumenau und schaumburg-lippischen Verfahren Anfang des 19. Jahrhundert lassen aber Grund zu der Annahme, dass dieser Aspekt größere Beachtung verdient. Schneider (1994), 1, 91 f.
Schneider (1995a), XX.
47
schen Möglichkeiten dank steigender Getreidepreise und neuer Bewirtschaftungsformen wurden nicht von allen, sondern nur einzelnen Dorfbewohnern genutzt.
48
Ein Zwischenergebnis
IV.Ein Zwischenergebnis
Der ländliche Raum erfuhr am Ende des 18. Jahrhunderts komplexe Prozesse
der Anpassung an interne und externe Faktoren, er befand sich in einem dynamischen Gleichgewicht, war also in hohem Maß anfällig für Veränderung.
Gleichwohl geht von diesem komplexen Gebilde ein hohes Maß an Faszination
au Die Anpassung an die jeweiligen regionalen und lokalen Gegebenheiten
hatte einen Prozesscharakter und war durch Krisenphasen gekennzeichnet.
Eine dieser Krisen war die europaweite Hungersnot Anfang der 1770er Jahre,
die in ihren konkreten Auswirkungen zunächst zu einem Rückgang der Geburtenzahlen und einem deutlichen Anstieg der Sterbezahlen führte. Sodann belegte sie, dass die traditionellen Krisenregelungsmechanismen der Terrtorialstaaten (insbesondere der Verkauf von magaziniertem Getreide zu verbilligten
Preisen und Getreideausfuhrverbote) unzureichend waren. Waren schon die
kurzfristigen Auswirkungen gravierend, so traf dies erst recht auf die mittelfristigen zu, denn nach 1772 lässt sich eine Zunahme von Reformbemühungen
in der Landwirtschaft erkennen, die auf eine Erhöhung der agrarischen Produktivität zielten.
Diese Reformen legten allerdings die inneren Widersprüche dieser Gesellschaft bloß, worauf schon am Beispiel des Verhältnisses von Reformen zur
Grundherrschaft verwiesen wurde. Aber auch die dörfliche Sozialstruktur widersetzte sich teils einzelner Reformen oder erzwang deren Änderung. Hier
zeigte sich ein zweiter innerer Widerspruch. Einerseits nahmen die Marktbeziehungen erkennbar zu, was hinsichtlich der gewerblichen Komponente bei
den Unterschichten nahe liegend ist, aber auch für eine zunehmende Anzahl
bäuerlicher Betriebe galt, die die günstigen Agrarpreise als Folge des allgemeinen Bevölkerungsanstiegs Nutzen wollten. Als Konsequenz aus dieser
Marktorientierung gab es gerade bei den vollbäuerlichen die Tendenz zur Aushöhlung der feudalen und der genossenschaftlichen Bindungen, was im letzten
Fall zwar mit den Interessen der Territorialstaaten an einer Erhöhung der
agrarischen Produktivität korrespondierte, aber nicht mit den Interessen der
ländlichen Unterschichten. Diese sicherten ihre gewerbliche Existenz durch
die Nutzung der genossenschaftlichen Flächen und konnten durch Gemeinheitsteilungen in eine existenzgefährdende Situation geraten. Die Konflikte
um die Osnabrücker Markenteilungsordnung von 1785 zeigen diesen Widerspruch ebenso wie einzelne örtliche Verfahren. 504 Andererseits konnten solche
Teilungsverfahren Impulse für eine weitere gewerbliche Durchdringung des
ländlichen Raumes auslösen, wenn sie die Voraussetzungen dafür schufen,
dass die Produktivität der Betriebe erhöht und siedlungswilligen Angehörigen
der Unterschichten die Chance zur Ansiedlung gegeben wurde.505
504
505
Markenteilungsordnung von 1785, Mooser, Brakensiek, Schneider.
Brakensiek.
0
Ein Zwischenergebnis
Somit ergibt sich für das Ende des 18. Jahrhunderts ein differenziertes Bild
ländlicher Verhältnisse. Das Dorf war kein Bauerndorf mehr, es hatte eine
mehr oder weniger ausgeprägte gewerbliche Komponente, so dass die Unterschichten bzw. die landarmen Bevölkerungsgruppen auf ein Ensemble von Tätigkeiten zurückgreifen mussten, um ihre Existenz zu sichern. Diese Tätigkeiten lagen entweder außerhalb des Dorfes (Wanderarbeit) oder waren von außerdörflichen, überregionalen Absatzmärkten abhängig (Leinenweberei).
Bäuerliche und nichtbäuerliche Bevölkerung blieben aufeinander bezogen,
zeigten aber Verhaltensweisen, die durch Abgrenzung gekennzeichnet waren
und die in ihrer langfristigen Entwicklung auseinander liefen.
So sehr Veränderungsbedarf bestand, so wenig gab es in sich geschlossene
Konzepte der Modernisierung. Das wäre allerdings auch überraschend gewesen, denn zum Wesen der Reform gehört auch ihr Prozesscharakter. Bei all ihren Schwächen hatte die alte Agrarverfassung auch Vorteile aufzuweisen,
weshalb eine einfache Ablösung kaum in Frage kam. Nicht so sehr die Theorie, sondern die Praxis warf Probleme auf, die erst in einem langwierigen
Lernprozeß bei sich gleichzeitig verändernden Rahmenbedingungen gelöst
werden konnten. Dies macht besonders die frühen Agrarreformen so interessant, bieten sie doch keine einfache Lösung, sondern Lösungswege auf, die
nicht geplant waren, sondern sich entwickelten, wobei eine Reihe von Faktoren die Entwicklung beeinflussten. Sie lassen sich in folgende Gruppen zusammenfassen:
1. Lernprozesse der wichtigsten Gruppen (Adel, Bauern, Beamte): sie alle
mussten erst lernen, welche Vorteile die einzelnen Reformen für sie boten,
wie sie neue Techniken sinnvoll einsetzen konnten;
2. die ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen änderten sich im
Verlauf des 18. Jahrhunderts; der Anstieg der Bevölkerung, die zunehmende Vergewerblichung des flachen Landes und die Marktorientierung der
bäuerlichen Bevölkerung gehörten dazu; sie schufen einen zunehmenden
Innovationsdruck;
3. nur geringen Druck übten bis etwa 1790 die politischen Rahmenbedingungen au Zwar zielte die landesherrliche Politik seit ca. 1750 auf die Ausdehnung der eigenen Handlungsräume; jedoch wurde die gesellschaftliche
Ordnung nie in Frage gestellt; dies geschah erst nach 1790 unter dem
Druck der französischen Revolution.
Am Anfang von Untersuchungen zu den Agrarreformen des 18. und
19. Jahrhunderts steht zuweilen ein Hinweis auf die aktuelle Situation der
Landwirtschaft.506 Und in der Tat drängt sich die Vermutung auf, dass die damaligen Prozesse in einer direkten Verbindung mit den aktuellen Verhältnissen stehen. Aber in welcher? Dass die heutige Agrarpolitik eine Genese hat,
die auf jene Reformprogramme zurückzuführen sei, wäre erst einmal zu über506
Prass (1997b).
1
Ein Zwischenergebnis
prüfen und kann nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden. Dass die Agrarpolitiker sich der früheren Reformansätze bewusst waren und somit aus der
Vergangenheit lernten, ist bislang ebenfalls noch nicht bewiesen worden (und
ich halte es für fraglich). Fragen dieser Art werden aber meist gar nicht gestellt, sondern es bleibt bei dem allgemeinen Hinweis auf die Bedeutung des
agrarischen Sektors.
Diese Arbeit will einen anderen Weg gehen. Sie beginnt, nach einem Blick
auf die alte Agrarverfassung, mit einer Darstellung des frühen Reformprozesses und sieht in den Reformen des 19. Jahrhunderts mehr als ein endlich nach
vielen Widerständen durchgesetztes Reformprogramm. Die Darstellung folgt
der Annahme, dass die Agrarreformen einen komplexen Prozess darstellten, in
dem unterschiedliche Zukunftsperspektiven, Wahrnehmungsformen, Mentalitäten, Verhaltensweisen und Interessen in einem zeitlichen Kontext wirkten.
Die Erfahrung der Vergangenheit spielt in diesem Szenario zwar auch eine
Rolle, aber eine begrenzte, da sie über Wahrnehmungsformen, Mentalitäten
und Verhaltensweisen in Erscheinung tritt, aber nicht in der Form einer systematischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Dies schließt aber
nicht aus, dass sich in verschiedenen Phasen einzelne Leitbilder und Werturteile durchgesetzt haben, die gleichsam das Substrat vergangener Erfahrungen bildeten und deshalb eine große Wirkung auf das jeweilige Handeln der
Betroffenen hatte.
Geht man von dieser Überlegung aus, so enthalten die Reformen eine neue
Perspektive, denn nicht allein die Realisierung des Reformprogramms des 19.
Jahrhunderts steht dann im Vordergrund, sondern die Frage, welche Mechanismen wirkten, damit die schließlich durchgeführten Reformen verwirklicht wurden und wie das um 1850 erkennbare Ergebnis im Vergleich zu den
Ansätzen um 1750 und der weiteren Entwicklung zu bewerten ist.
1850 ist im übrigen bis in neueste Untersuchung das Grenzjahr geblieben,
wofür spricht, dass um diese Zeit die letzten gesetzlichen Regelungen erfolgt
sind.507 Jedoch spricht gegen diese zeitliche Grenze, dass um 1850 weder die
Ablösungen noch die Verkoppelungen und Gemeinheitsteilungen abgeschlossen waren. Sie ragten vielmehr weit in die Industrialisierung hinein, und müssen deshalb in ihrer Wechselbeziehungen zu den allgemeinen ökonomischen
Veränderungen gesehen werden. In dem hier vorzulegenden Überblick wird
die Grenze aber noch weiter hinausgeschoben, nämlich bis in die Nachkriegszeit. Die Elemente der Reformen und die damit verbundenen Wahrnehmungen
der agrarischen Wirklichkeit hatten während des Kaiserreichs eine neue Qualität erreicht, die sie durchaus von den Reformansätzen des 18. Jahrhunderts
unterschied, ja unterscheiden mussten. Trotz der Industrialisierung behielten
die Intensivierung der Produktion, der Ausbau der agrarischen Nutzfläche
und die Anerkennung einer arbeitsintensiven Produktion bis in die Nachkriegsjahre eine unangefochtene Priorität.
507
Für Norddeutschland bietet die Untersuchung von Prass (1997b) den besten Überblick.
2
Ein Zwischenergebnis
Nicht nur die Leitbilder, sondern auch die Agrarprogramme reflektierten
eine Agrarstruktur und eine Agrarpolitik, die das Ergebnis der industrialisierten Landwirtschaft des späten 19. und des frühen 20. Jahrhunderts war. In
dieser nahm der kleine und mittlere Landwirt eine zentrale Stellung ein, nicht
allein, weil er ökonomisch von Bedeutung war, sondern als Gegenbild einer industrialisierten Gesellschaft dienen konnte. Die Angst vor dem Proletariat
und die Hoffnung auf den „gesunden“ Bauernstand verband die Agrarpolitiker
und Agrarsoziologen der 1950er Jahre mit einigen Agrarreformern des Vormärz, unter denen Carl Bertram Stüve gewiss eine herausragende Stellung,
zumindest in Niedersachsen, einnahm.
Eine engere Verknüpfung der Reform mit dem jeweiligen gesellschaftlichen
Umfeld bietet die Möglichkeit, die Reform stärker als einen Prozess zu begreifen, der nicht linear verlief, sondern sowohl durch die Erfahrungen und daran
sich orientierenden Zielvorstellungen der handelnden Personen als auch durch
gesellschaftliche Entwicklungen beeinflusst war. Beides waren gleichsam Variablen in diesem Prozess und deren Stellung zueinander entschied über die
Richtung und Geschwindigkeit des Reformprozesses. Die enge Verknüpfung
von Reformzielen, Reformerfahrungen und gesellschaftlichem Wandel hat zur
Folge, dass damit auch die Erkenntnis verbunden ist, dass die bisherigen Erfahrungen nicht auf die Gegenwart übertragbar sind. Die Muster der Konfliktbewältigung waren selbst in der Vergangenheit nicht allein das Ergebnis eines
einheitlichen Reformkonzeptes noch können sie es in der Gegenwart sein.
In den letzten 250 Jahren wurde die Landwirtschaft durch eine Reihe von
allgemeinen und speziellen Veränderungen erfasst und derart umgeformt,
dass eine Bewertung der einzelnen Entwicklungen nicht einfach ist. Die Frage, welche Phänomene dörflicher Existenz nur über einen längeren Zeitraum
grundlegend veränderbar waren, welche dagegen auch von kurzfristigen Entwicklungen erfasst und umgeformt wurden, ist keineswegs leicht zu beantworten. Die Bedeutung der grundlegenden Veränderungen sollte gewiss nicht unterschätzt werden. Heutige Landwirte lehnen teilweise die Annahme, ihre
Vorfahren vor 200 Jahren seien Abhängige, ja teilweise sogar Leibeigene gewesen, strikt ab. Die Vorstellung von bäuerlicher Freiheit ist inzwischen derart selbstverständlich geworden, dass damit konkurrierende Wahrnehmungen
kaum akzeptiert werden. Andererseits werden in der aktuellen Planung, in
der Agrarpolitik, in der öffentlichen Diskussion, ja selbst in der Werbung immer wieder Bilder und Vorstellungen des „alten”, scheinbar statischen Dorfes
verwandt, die sich schon bei oberflächlicher Prüfung als verfehlt und irrig erweisen, bzw. in Teilelementen der Phase der Hochindustrialisierung um die
Wende zum 20. Jahrhundert zugeordnet werden können.508
Die Veränderungen der letzten 240 Jahre erfolgten nicht kontinuierlich im
Rahmen eines gleichmäßig verlaufenden Prozesses, sondern sprunghaft, es
508
Zu den Modernisierungen der Jahrhundertwende bieten ein eindrucksvolles regionales Beispiel Hansen, Nils, Doris Tillmann, Dorferneuerung um 1900. (Dithmarscher
Heide 1990.
3
Ein Zwischenergebnis
lassen sich regelrechte Entwicklungsschübe, dann wieder Phasen langsamer
Veränderung voneinander unterscheiden. Die Erkenntnis, dass der ländliche
Raum wie die ihn umgebende frühneuzeitliche Gesellschaft nicht statisch waren, trifft mehr noch auf die neuzeitliche Landwirtschaft zu, scheint aber immer wieder in Konflikt zu geraten mit einem Gesellschaftsmodell, welches gerade vom Dorf und dem ländlichen Raum Statik verlangt. 509
Im Vergleich zu den späteren Veränderungen mag die frühneuzeitliche Gesellschaft relativ statisch gewirkt haben, denn bis Ende des 18. bzw. Mitte des
19. Jahrhunderts gab es einzelne Konstanten, die den ländlichen Raum kennzeichneten. Zu diesen gehörten:
• die Bindung der bäuerlich-ländlichen Bevölkerung in starker rechtlicher
(„feudaler”) Abhängigkeit von Grundherren, Leibherren, Dienstherren
und Gerichtsherren,
• die ausgeprägten genossenschaftlichen Binnenbeziehungen im Dorf, die
sich sowohl auf die Nutzung rein gemeindlicher Einrichtungen (Gemeinweide, Anger etc.) als auch vorwiegend individuell genutzter Flächen erstreckten (Acker),
• die enge Bindung agrarischer Existenz an die naturräumlichen Voraussetzungen,
• die starke soziale Differenzierung der dörflich-ländlichen Bevölkerung
mit einem hohen und weiter steigenden Anteil klein- und nichtbäuerlicher Bevölkerungsgruppen, die in hohem Maße auf gewerbliche Tätigkeiten angewiesen waren.
Zwar gab es hinsichtlich der konkreten Ausprägung dörflicher Existenz und
Abhängigkeit eine Fülle von regionalen und lokalen Besonderheiten, die selbst
eine Typisierung erschweren, aber es lässt sich ein Grundmuster erkennen, in
dem die genannten Elemente in unterschiedlicher Ausprägung unter wechselnder Beziehung zueinander zu erkennen sind.
Gleichwohl sollte nicht übersehen werden, dass es auch vor 1800 Veränderung in der agrarischen Welt gab, wie die nordwestdeutsche Agrarverfassung
ebenso wie die internationalen Wirtschaftsbeziehungen belegen, denen der
ländliche Raum unterworfen war (vgl. unten Kapitel Dorf und Landwirtschaft
vor der Industrialisierung) und die, soweit die Vermutung in einem fließenden
Prozess in die erste Reformphase übergingen.
Die in dem Titel dieses Bandes genannten Bezeichnungen Agrarreformen und
Bauernbefreiung können zu Irritationen Anlass geben, handelt es sich doch
um konkurrierende bzw. gegenseitig ausschließende Begriffe. Es gibt dennoch
gute Gründe, beide Begriffe zu benutzen. Um deren Bedeutungsgehalt richtig
509
Beispiele dafür bieten die verschiedenen Ansätze im Rahmen der Dorferneuerung, die
u.a. als Reaktion auf massive Modernisierungsprozesse in den 1960er und 1970er
Jahren zu sehen. Einen Überblick der Diskussionen Ende der 1980er Jahre geführt
wurden bieten die Studieneinheiten „Dorfentwicklung“ des Deutschen Instituts für
Fernstudien, Tübingen 1989.
4
Ein Zwischenergebnis
einschätzen zu können, ist es notwendig, sich ihrer historiographischen Dimension zu vergegenwärtigen. Von „Bauernbefreiung” sprach Georg Friedrich
Knapp, damals Hochschullehrer am Staatswissenschaftlichen Seminar in
Straßburg, zum ersten Mal 1887, als er in seinem Werk mit dem bezeichnenden Titel „Über die Bauernbefreiung und den Ursprung der Landarbeiter in
den älteren Theilen Preußens“ die preußischen Agrarreformen einer kritischen
Prüfung unterzog.510 Ausgehend von einer Analyse der früheren Zustände und
ersten Reformansätze im 18. Jahrhundert widmete er sich speziell den aus
dem Oktoberedikt von 1807 hervorgegangenen Reformgesetzen in den Preußen.511 Das Oktoberedikt, vor allem jedoch das Edikt von 1811 und die Deklaration zu diesem Edikt von 1816 schufen zwar trotz massiver adeliger Gegenwehr die Voraussetzungen für die Auflösung der Gutsherrschaft als intensivster Form feudaler Herrschaft in Europa. Die Befreiung fand jedoch unter Bedingungen statt, die vornehmlich den Gutsherren nützte und den Bauern gegenüber ihren ehemaligen Herren kaum Schutz bot.
Eine vollständig entschädigungslose Befreiung der Bauern war indes ohnehin illusorisch, denn selbst in den von Frankreich dominierten bzw. beeinflussten Gebieten des Rheinbundes wurde zur gleichen Zeit lediglich die persönliche Abhängigkeit (Leibeigenschaft) entschädigungslos aufgehoben.
Die Festlegung von Landabtretungen an der Stelle von Geldzahlungen (wie
in den französischen dominierten oder beeinflussten Gebieten Deutschlands)
war angesichts der unleugbaren Geldknappheit ostelbischer Bauern verständlich. Allerdings bedeutete die Abtretung von der Hälfte bis zu einem Drittel
des Landes, dass die bäuerliche Bevölkerung besonders schwer betroffen wurde, zumal der Bauernschutz nicht weiter bestand. Die Konsequenzen aus diesem Reformansatz waren nach Knapps Ansicht unverkennbar: Die Bauern
wurden gleichsam doppelt befreit, denn neben den bisherigen feudalen Belastungen verloren sie zudem ihr Land, wodurch eine nicht geringe Anzahl von
ihnen zu Landarbeitern herab gestuft wurden. Gleichzeitig waren die bisherigen Gutsbesitzer zwar ihrer alten feudalen Rechte enthoben, konnten aber
ihre ökonomischen und politischen Rechte weitgehend sichern.
Knapp verband mit seiner Darstellung der Agrarreformen eine heftige
Kritik an einem liberalen Staat, der nicht nach den sozialen Folgen seiner Aktivitäten fragte, und damit millionenfaches Elend auslösen konnte – ein Elend,
510
511
Knapp, Friedrich, Die Bauernbefreiung und der Ursprung der Landarbeiter in den älteren Teilen Preußens T. 1: Überblick der Entwicklung. Leizpzig 1887. Die neueste
Gesamtdarstellung unter Ausklammerung der Gemeinheitsteilungen und Verkoppelungen bietet Dipper, Christof, Die Bauernbefreiung in Deutschland: 1790 - 1850. (Urban-Taschenbücher Stuttgart [u.a.] Fotokopie. 1980. Die bislang umfassendste neuere
Studie bietet Harnisch, Hartmut, Kapitalistische Agrarreform und industrielle Revolution. (Veröffentlichungen des Staatsarchivs Potsdam 19) Weimar 1984, siehe jetzt
auch Achilles (1993)
Deshalb findet sich der Hinweis auf die Entwicklung in den „älteren Theilen” Preußens im Titel der Arbeit.
5
Ein Zwischenergebnis
welches zu Beginn seines Jahrhunderts die dörfliche Bevölkerung, gegen dessen Ende die Arbeiterbevölkerung erfasste.
Seine Analyse hielt allerdings einer kritischen Überprüfung nicht stand,
was nicht verhinderte, dass die preußischen Reformen in Folge des Oktoberedikts lange Zeit als gleichsam idealtypische Form der Bauernbefreiung verstanden wurden. Seine Schüler, unter ihnen Werner Wittich, untersuchten in
den folgenden Jahrzehnten bis zum Ersten Weltkrieg die Verhältnisse in anderen Territorien Deutschlands und gelangten zu einem wesentlich milderen
Befund, denn hier kam es nicht zu den Landabtretungen wie in den älteren
Teilen Preußens, somit auch nicht zu einer massenhaften Entstehung eines
Landarbeiterproletariats.512
Damit konzentrierte sich die Forschung weiter auf die altpreußischen Reformen und konnte bald das von Knapp skizzierte Bild in wichtigen Elementen
korrigieren. Seine Annahme, erst durch die Reformen sei eine nennenswerte
Landarbeiterschaft entstanden, konnte widerlegt werden, denn schon im 18.
Jahrhundert nahm die Zahl der Landarbeiter erkennbar zu. Auch seine Vermutung, die Bauern seien die eindeutigen Verlierer der Reformen gewesen,
ließ sich in dieser pauschalen Form nicht aufrecht erhalten. Knapps Thesen
müssen vor allem in drei Bereichen korrigiert werden:
 Eine stärkere Landarbeiterschaft gab es schon im 18. Jahrhundert,
 die Befreiung der Gutsbauern in Folge des Oktoberedikts bis zum Regulierungsedikt von 1816 betraf nur eine, wenngleich starke Minderheit der gesamten bäuerlichen Bevölkerung,
 für eine Bewertung der bäuerlichen Landverluste müssen neben den eigentlichen Landregulierungen zusätzlich die Veränderungen in Folge der Gemeinheitsteilungen und Verkoppelungen berücksichtigt werden.513
Genau 70 Jahre nach Knapp veröffentlichte Werner Conze einen Aufsatz, in
dem er eine inhaltliche und begriffliche Ausweitung vornahm. Conze berücksichtigte dabei, dass Knapp nur einen Teilaspekt des gesamten Reformprozesses analysiert hatte, nämlich die Befreiung der gutsuntertänigen Bauern in
den ostelbischen Gebieten Preußens.514 Was aber war mit den Bauern in den
anderen Gebieten Deutschlands und Europas geschehen, deren herrschaftliche
Abhängigkeit (Grundherrschaft) wesentlich geringer war und die zugleich
nicht nur ihre herrschaftlichen, sondern auch ihre genossenschaftlichen Beziehungen auflösten? Conze befreite die Wahrnehmung des Reformprozesses aus
der Enge der Knapp‘schen Definition und erweiterte sie auf die eines grundlegenden epochalen und europaweiten Prozesse Für diesen umfassenden Prozess
benutzte er den Begriff der „liberalen Agrarreformen“, womit sowohl die Tat512
513
514
Schüler nennen, Wittich (1896), Ludwig, Theodor, Der badische Bauer im 18. Jahrhundert. (Abhandlungen aus dem staatswissenschaftlichen Seminar zu Strassburg
16) Strassburg 1896.
Dazu zusammenfassend Harnisch (1984).
Conze, Werner, Die liberalen Agrarreformen Hannovers im 19. Jahrhundert: Vortrag.
(Agrarwissenschaftliche Vortragsreihe 2) Hannover [1947].
6
Ein Zwischenergebnis
sache gemeint war, dass die Reformen eine Befreiung von bisherigen Abhängigkeiten bedeuteten, als auch der Umstand berücksichtigt wurde, dass die
wesentlichen treibenden Kräfte hinter den Reformen liberale Politiker und Beamte waren. Zugleich fasst der Begriff der „Agrar”-Reformen den betroffenen
Personenkreis weiter, denn nicht nur die im eigentlichen Sinn „bäuerliche”
Bevölkerung, sondern die gesamte ländliche Bevölkerung und über sie hinaus
die gesamte Gesellschaft wurde durch die Reformen verändert. Gleichzeitig
aber wurden durch diese Interpretation der Reformen die skeptischen, sicherlich aus der seiner zeitigen innenpolitischen Situation entstandenen Bewertungen von Knapp stark relativiert und ihnen damit die Schärfe genommen,
vielmehr der Eindruck eines in sich geschlossenen und stimmigen Konzeptes
vermittelt.
Schon dieser kleine Ausflug in die Begriffsgeschichte zeigt, dass die zu behandelnden Phänomene komplex und vielschichtig sind und sich einem einfachen Zugriff entziehen. Bauernbefreiung und Agrarreformen weisen auf einzelne Aspekte des gesamten Reformkomplexes hin, sie betonen dabei jeweils
unterschiedliche Seiten etwas stärker, sind zugleich aber ambivalente Begriffe
(die Bauernbefreiung in höherem Maße), deren Bedeutung sich nicht auf den
ersten Blick erschließt.
Die jüngere Forschung hat zu einer weiteren Differenzierung des Reformprozesses beigetragen. Diese neuen Beiträge beziehen sich vor allem auf drei
Aspekte: Zum einen zeigen diese Arbeiten, dass die Reformphase wesentlich
länger gedauert hat, als lange Zeit angenommen wurde. 515 Zwar waren bis
1850 die wichtigsten Reformgesetze veröffentlicht, aber die Realisierung der
entsprechenden Reformmaßnahmen zog sich bis weit in die zweite Jahrhunderthälfte hin.516
Zum zweiten konnte die starke regionale Differenzierung des Reformprozesses nachgewiesen werden, die über die altbekannte Zweiteilung in Gebiete mit
Guts- bzw. Grundherrschaft hinausgingen. Da die agrarischen Verhältnisse
sich ebenfalls dieser einfachen Zweiteilung entziehen, ist es letztlich nicht
verwunderlich, dass auch der Reformprozess eine starke regionale Aufsplitterung bewirkte.
Drittens konnte schließlich der Zusammenhang zwischen agrarischen und
gesamtgesellschaftlichen Veränderungen, insbesondere der Übergang zu einer
industriellen Gesellschaft stärker entwickelt werden, wobei die Wechselbezie-
515
516
Diese enge zeitliche Zuordnung spiegelt sich bis heute in entsprechenden Buchtiteln
wider, die eine Reformdauer von 1750 bis 1850 nahe legen (so etwa Brakensiek
(1991), dessen Titel eben diesen Zeitraum wiedergibt, während die Darstellung einen
anderen Befund nahelegt). Zu Recht weist Achilles (1993), S. XX auf diesen Befund
hin.
Dazu mehrfach Walter Achilles, zuletzt in: Vogtherr, Hans-Jürgen, Hrg, Christian
Freiherr von Hammerstein und die Modernisierung der Landwirtschaft in der Lüneburger Heide im 19. Jahrhundert, (Uelzener Beiträge, Bd. 15), Uelzen 2001.
7
Ein Zwischenergebnis
hungen zwischen Industrialisierung und Agrarreformen besondere Aufmerksamkeit verdienen.517
Viertens wurde endlich viel stärker nach den Akteuren gefragt. Waren es
nur die „großen Männer“ der Handbücher wie Albrecht Daniel Thaer, oder
spielten nicht auch die Bauern eine größere Rolle als früher angenommen wurde. Bislang nur unzureichend diskutiert wurde über einen neuen Perspektivenwechsel, obwohl die aktuelle Situation des ländlichen Raumes und der
Landwirtschaft die Frage aufwirft, in welchem Kontext die aktuellen Entwicklungen zu sehen sind. So ist etwa zu fragen, wie die deutschen, insbesondere
die niedersächsischen Reformen im Kontext europäischer Veränderungen zu
bewerten sind, wobei speziell an die englischen und die dänischen Wege in die
Moderne zu denken ist. Im Vergleich mit diesen beiden Ländern wird deutlich,
dass die strukturellen Prozesse der niedersächsischen Reformen eine Grenze
hatten, die bis heute weitreichende Auswirkungen auf die Gliederung des
ländlichen Raumes und die öffentliche Wahrnehmung des Dorfes hat. Die Bewahrung einer dörflich-bäuerlichen Struktur statt einer Trennung von Dorf
und landwirtschaftlichem Betrieb ist keineswegs selbstverständlich, wie das
dänische und englische Beispiel zeigen.
Das Festhalten an der Einheit von Dorf, Landwirtschaft und bäuerlichem
Familienbetrieb ist ein spezifisches Kennzeichen der deutschen Verhältnisse
und so nicht ohne weiteres in anderen Ländern Westeuropas anzutreffen. Es
hat bis heute weitreichende Folgen, wie die noch immer nicht aufgegebene
Absicht, durch Dorferneuerungsmaßnahmen die landwirtschaftliche Struktur
zu stärken, obwohl die Praxis zeigt, dass gerade dies Ziel nicht erreicht werden
kann.518
Von erheblicher Bedeutung waren ebenfalls die durch die Reformen des 19.
Jahrhunderts zwar initiierten, aber teilweise erst im 20. Jahrhundert abgeschlossenen Eingriffe in die Kulturlandschaft. Gemeinheitsteilungen und Verkoppelungen zielten auf eine rationale Feldbewirtschaftung und lösten die alten Feldstrukturen zugunsten neuerer auf. Dadurch wurde eine intensivere
Nutzung der Feldmark erreicht und die „Ödländereien“ erheblich reduziert. 519
Trotzdem scheint sich das Bild der Kulturlandschaft im 19. Jahrhundert vergleichsweise wenig verändert zu haben, zumindest wenn man es mit den
strukturellen Wandlungen nach 1945 vergleicht.520 Dennoch sollte die Bedeutung der Reformmaßnahmen des 19. Jahrhunderts nicht unterschätzt werden,
wurden doch damals Feldstrukturen (Graben- und Wegenetz) geschaffen und
Denk- und Handlungsmuster entwickelt, die unter den Bedingungen und mit
517
518
519
520
Pierenkemper, Toni, Landwirtschaft und industrielle Entwicklung. zur ökonom. Bedeutung von Bauernbefreiung, Agrarreform u. Agrarrevolution. Stuttgart 1989.
Dazu Literatur noch nennen!
Literatur!
Hierzu etwa die Beispiele von Wöbse in dem Profil. Andere Aussagen von Schubert,
Niedersachsen, S. XX. Küster (1996),
8
Ein Zwischenergebnis
den technischen Möglichkeiten der Nachkriegszeit zu einem radikalen Landschaftswandel mit weitreichenden ökologischen Folgen führte.
Die Agrarreformen waren nicht daraufhin konzipiert, die Landwirtschaft im
Rahmen einer kapitalistisch-industriellen Volkswirtschaft effektiver zu gestalten. Zumindest in Niedersachsen wollten die handelnden Personen bis Mitte
des 19. Jahrhunderts keineswegs die Voraussetzungen für eine industrielle
sondern für eine effektivere agrarische Gesellschaft schaffen. Die Realität war
eine andere, denn Agrarreformen und Industrialisierung standen in einem engen wechselseitigen Verhältnis, jedoch wirkten die ideologischen Grundlagen
der Agrarreformen insofern noch lange nach, als sie zu einer massiven Kritik
an der Industriegesellschaft führten, nicht bedenkend, dass dieser Industriegesellschaft wichtige ökonomische Impulse zu verdanken waren.
Die Erkenntnis, dass die Reformen in sich komplexer waren, als es die ältere Forschung angenommen hatte, fand in der früheren Auflage dieses Buches
seine Entsprechung in einem relativ umfangreichen Kapitel, welches sich mit
den frühen Reformen auseinander setzte. Dahinter stand die Vermutung, dass
die Annahme einer von oben durchgesetzten und auf Verwaltungswege realisierten Reform nicht zutreffen könne.521
Zumindest zwei Indizien bietet die Situation vor 1800 für diese Annahme.
Zum einen fällt auf, dass es keineswegs so einfach ist, herauszufinden, welche
Personengruppen für oder gegen die Reformen waren, wie die ältere Forschung annahm. Sie sah vor allem in den Bauern Gegner jeder Veränderung,
Befürworter von Reformen vermutete man im Adel und besonders in der Beamtenschaft sowie dem agrarisch interessierten Bürgertum und nicht zuletzt
in der Agrarwissenschaft522.
Zweifellos waren unter den Befürwortern Adelige, Bürgerliche und nicht zuletzt die landesherrlichen Beamten. Allerdings waren nicht alle Angehörige
dieser Gruppen Reformbefürworter und zudem unterschieden sich ihre Positionen z.T. deutlich voneinander.523 Viele Beamte befanden sich in einer doppelten, manchmal dreifachen Rolle: Erstens waren sie Träger der unteren, lokalen landesherrlichen bzw. staatlichen Verwaltungsebene, zweitens waren sie
Aufsichtsbeamte für die landesherrlichen Eigenwirtschaften und die dem Landesherrn in seinen grundherrlichen Funktionen zustehenden Abgaben, und
drittens waren sie häufig Pächter der landesherrlichen Amtsvorwerke. Das
Rollenverständnis des Pächters, der möglichst hohe Einnahmen aus dem gepachteten Vorwerk erwirtschaften wollte, konnte nicht immer mit dem des
landesherrlichen Beamten, der die Politik des Landes zu vertreten hatte, über-
521
522
523
„Von oben“ muß sicherlich präzisiert werden, gemeint sind bürgerliche und staatliche
Reformvorstellungen und Reformansätze, wie sie bis jüngst im Vordergrund stehen
(Schubert in Hucker, Schubert, Weisbrod (1997), 349-352).
Die sich in dieser Zeit erst etablierte!
Eindrucksvolle Belege für diese Position bieten Buchholz (1952) und Brakensiek
(1991).
9
Ein Zwischenergebnis
einstimmen. Oder anders ausgedrückt: betriebswirtschaftliche Aspekte konnten in Konkurrenz zu volkswirtschaftlichen und politischen treten.
Uns begegnet dies Dilemma etwa dort, wo die Vorwerkspächter große Schafherden hielten, die auf die Weiderechte an den Ackerländereien angewiesen
waren, so dass landesherrliche Versuche zur Zusammenlegung der Felder mit
den betriebswirtschaftlichen Zielen der Pächter kollidierten.
Zugleich gab es hinsichtlich der praktischen Umsetzung vieler Neuerungen
häufig Unsicherheit, da es einerseits an Erfahrungswerten mangelte, andererseits bei vielen Verbesserungen häufig übersehen wurde, dass sie an Voraussetzungen gebunden waren, die es nicht überall gab. So konnte eine auf Bördeböden sinnvolle Maßnahme auf Geestböden scheitern.524 Zielkonflikte konnten
ebenfalls zu Schwierigkeiten führen. Grundsätzlich wurde eine stärkere Individualisierung der Feldnutzung angestrebt, aber war dies Ziel auch bei den
Wäldern sinnvoll? Oder drohte hier durch eine individuelle Nutzung nicht deren Zerstörung, obwohl Ende des 18. Jahrhunderts angesichts eines mehr oder
minder akuten Holzmangels Aufforstungen besonders auf den Heideböden
dringend notwendig waren.525
In den letzten Jahren hat sich unsere Kenntnis über bäuerliche Verhaltensweisen und Lebensstile in der frühneuzeitlichen Gesellschaft erheblich erweitert.526 Die schon vor Jahren an einzelnen regionalen Beispielen sich abzeichnende Tatsache, dass Bauern und Landbewohner nicht so waren, wie zeitgenössische Publizisten sie darstellten – faul, störrisch, ohne eigene Initiative – ,
sondern, dass sie durchaus in der Lage sein konnten, ihre rechtlichen und
wirtschaftlichen Interessen zu verfolgen, wurde insbesondere durch neuere
Studien zur ostdeutschen Agrargeschichte eindrucksvoll untermauert. Die
Handlungsfähigkeit der Landbevölkerung war selbst dort gegeben, wo nach
bisheriger Lehrmeinung ein System herrschaftlicher Unterdrückung bestand,
nämlich in Gebieten mit Gutsherrschaft. Schon vor Jahren konnte Hans Heinrich Müller zudem nachweisen, dass der agrarische Fortschritt auch von Bauern getragen wurde; eine Erkenntnis, zu der Forscher aus Schleswig-Holstein
ebenfalls wichtige Beiträge geliefert haben.527
524
525
526
527
Ulbricht (1980), bietet dazu ein schönes Beispiel anhand der Umsetzung englischer
Erfahrungen auf die Lüneburger Heide.
Dazu jetzt Neuber, Dirk, Energie- und Umweltgeschichte des Niedersächsischen
Steinkohlenbergbau von der Frühen Neuzeit bis zum Ersten Weltkrieg. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 206) Hannover
2002.
Einen guten neueren Überblick bieten Peters (1999); Peters, Krug-Richter (1995) ;
Holenstein, André, Bauern zwischen Bauernkrieg und Dreißigjährigem Krieg. München
1996.
<http://www.gbv.de/du/services/agi/E2F1AF16B0ED37A7C125701B0054FC90/000000636871>.
Ast-Reimers (1965), Prange (1971), Müller, Hans-Heinrich, Märkische Landwirtschaft
vor den Agrarreformen von 1807: Entwicklungstendenzen des Ackerbaues in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Bezirksheimatmuseums Potsdam 13) Potsdam 1967.
10
Ein Zwischenergebnis
Die bisherigen Untersuchungen zu den Reformen in der frühen Neuzeit
deuten darauf hin, dass sie weit weniger von oben gesteuert wurden, sondern
dadurch gekennzeichnet waren, dass von Angehörigen unterschiedlicher Gruppen schrittweise Versuche zur Lösung konkreter Probleme unternommen wurden. Es gab zwar in den Schriften der Agrarwissenschaftler eine differenzierte
Programmatik, die die rechtliche Abhängigkeit der Bauern ebenso anprangerte wie sie Vorschläge für eine moderne und rationelle Feldwirtschaft entwickelte. Aber was wurde davon realisiert bzw. auf welcher Grundlage entwickelten sich die konkreten Reformmaßnahmen? Die Erkenntnis, dass eine rationellere Landwirtschaft notwendig war, um die vielfältigen neuen Anforderungen erfüllen zu können, war zwar gegeben, aber wie ließ sich diese
Erkenntnis in praktisches Handeln umsetzen? Und andersherum, mussten
diejenigen, welche praktisch handelten, dies auf der Basis theoretischen Wissens tun oder nicht aus eigener Erfahrung bzw. unter dem Druck äußerer Bedingungen handeln? Und warum betrachten wir immer die Impulse der Theorie auf die Praxis und fragen nicht stärker, welche Impulse von der Praxis
ausgingen?
Gerade weil wir inzwischen genauer die strukturellen Elemente des frühmodernen Staates kennen mit seinem Gegenüber von Anspruch und Wirklichkeit, müssen wir vorsichtig sein in der Bewertung von Absichtserklärungen im agrarischen Sektor.
Es spricht vieles dafür, dass die Reformen in einem komplexen Prozess
stattfanden, welcher durch das Zusammenspiel unterschiedlicher Kräfte gekennzeichnet war. Der schrittweise, prozesshafte Charakter wird an vielen
Beispielen deutlich: Während Gemeinheitsteilungen durchgeführt wurden,
blieben die vorhandenen Dienste bestehen, wurde die Leibeigenschaft nicht
angetastet. Angesichts der Komplexität der alten Agrarverfassung mit sich
räumlich und sachlich überlagernden und ineinander verschachtelten Rechten
war ein solches schrittweises Vorgehen vermutlich eine sinnvolle Lösung, wobei die Realisierung einzelner Schritte weitere Reformen notwendig werden lie
So wurde Schritt für Schritt die alte Agrarverfassung zur Disposition gestellt. Damit waren diese Reformen eher ein allgemeiner Lernprozess, der
durch Versuch und Irrtum geprägt war, an dem alle ländlichen Bevölkerungsgruppen sich, wenngleich in unterschiedlicher Intensität, beteiligten und gewiss auch voneinander lernten. Dieser Befund, dass die soziale Praxis von
grundlegender Bedeutung war,528 lässt die frühe Reformphase als eigenständige Phase von den späteren Reformen abgrenzen, weshalb sie als sozialer Prozess bezeichnet werden soll. Ungeklärt blieb bis zum Ende des Alten Reiches
dagegen die Frage, wie die Machtfrage zu lösen sei, denn eine komplette Auflösung der alten Abhängigkeiten hätte auch die vorhandene gesellschaftliche
Ordnung in Frage gestellt, vor allem den Adel einen Teil seiner Privilegien gekostet.
528
Dazu jetzt Birtsch (1996), etwa 44 (Beitrag Zimmermann, Abstract) oder 107 (Beitrag
Birtsch).
11
Ein Zwischenergebnis
Die Frage, ob der deutsche Weg auch ohne den Einfluss Frankreichs zum
gleichen Ziel gelangt wäre, bleibt müßig, allerdings zeigt die weitere Entwicklung im 19. Jahrhundert, dass es dem Adel gelang, wichtige Positionen zu halten. Andererseits wurden die einzelnen Reformschritte heftig durch die Bauern bzw. die ländliche Bevölkerung erkämpft, es bedurfte also nach 1815 weiter des Druckes „von unten“, um den Reformprozess zu beschleunigen bzw.
wieder in Gang zu setzen.
Andererseits unterscheiden sich die Reformen besonders seit den 1830er
Jahren signifikant von den früheren Ansätzen. Zunehmende Professionalisierung, Bürokratisierung und Vereinheitlichung sind die Kennzeichen dieser
Verfahren. Nicht mehr einzelne Amtleute, Adelige oder Bauern „probieren“
Reformen aus, sondern neu geschaffene Behörden mit ausgebildeten Fachleuten agieren auf der Basis detaillierter gesetzlicher Vorschriften. Zwar findet
auch auf diese Weise die Reform nicht in einem einzigen großen Schritt statt,
sondern besteht weiterhin aus mehreren Ansätzen und braucht für die praktische Umsetzung mehrere Jahrzehnte. Aber das waren praktische Probleme,
konnte doch angesichts der umfassenden und flächendeckenden Neugestaltung der Landwirtschaft nicht binnen weniger Jahre realisiert werden.
Unterschiede bestehen auch bei den Ablösungen, die mehr als die Gemeinheitsteilungen in einem politischen Prozess verwirklicht wurden. Deren gesetzliche Realisierung erfolgte um 1830 und 1848/49 in zwei großen Schüben
und wurde eingeleitet durch ländliche Unruhen, die es den reformbereiten
bürgerlichen Politikern und Beamten ermöglichte, ihre Reformkonzepte zu
realisieren. Nicht so sehr der Inhalt dieser Reformgesetze, sondern die Tatsache, dass sie überhaupt zustande kamen, war die Folge der bäuerlich-ländlichen Unruhen. Zudem fanden die Auseinandersetzungen in diesem Bereich in
einer deutschlandweiten Öffentlichkeit statt, so dass zwar die einzelstaatlichen Gesetze jeweils Eigenheiten beibehielten, aber viele Gemeinsamkeiten
aufwiesen. Insbesondere in der 1848er Revolution verbreiteten sich Neuigkeiten über Agrarreformen in kürzester Zeit. Trotz dieser Einflüsse „von unten“
bleibt unverkennbar, dass die Reformen selbst von liberalen Bürokraten und
Politikern entscheidend geprägt und betrieben wurde. Nicht mehr das gleichsam individuelle Ausprobieren einzelner Reformansätze, seien es Dienstabstellungen oder Gemeinheitsteilungen, sondern die in einer größeren Öffentlichkeit diskutierte Ablösung des alten Feudalsystems war das Kennzeichnende dieser Phase. Nicht mehr soziales Lernen, sondern politische Aktivitäten
sind damit für diese Phase kennzeichnend, weshalb von den Reformen als
politischer Prozess gesprochen wird.
Die mit der Revolution verbundenen gesetzlichen Maßnahmen stellen auf
gesetzlicher Ebene in der Tat den Abschluss der Reformen dar; die damit erreichte Auflösung des Feudalismus veränderte die politische Haltung der
Landbevölkerung in signifikanter Weise. Der Reformprozess selbst war damit
keineswegs abgeschlossen, sondern benötigte für die Realisierung teilweise
noch weitere Jahrzehnte.
12
Ein Zwischenergebnis
Bemerkenswert sind die Unterschiede im 19. Jahrhundert zu anderen europäischen Territorien. Auffällig ist der Unterschied zwischen der englischen
und der deutschen Entwicklung: Hier eine Dreiteilung in Großgrundbesitzer,
große Pächter und Landarbeiter verknüpft mit einer dezentralen Siedlungsstruktur, dort zwar auch Großgrundbesitzer, daneben aber freie Bauern (vom
Großbauern bis zum Kleinbauern) und Tagelöhner.529 Wenn der englische Weg
Element des dortigen Übergangs zum modernen Industriekapitalismus war,
dann müssen die deutschen Reformen, deren Ansätze im späten 18. Jahrhundert zu suchen sind, nicht nur in der Selbstwahrnehmung der Zeitgenossen,
sondern auch in der nachträglichen Bedeutung als Reformen einer agrarischen
Gesellschaft gewertet werden, die nicht im Übergang zur Industrialisierung
begriffen war (und sie teilweise sogar bewusst ablehnte). Die scheinbare Modernität der Landwirtschaft, wie sie in bisherigen Forschungen immer wieder
betont wird, gerät dann tatsächlich zu einem Paradoxon. Entstanden für und
in einer agrarischen Gesellschaft schufen die Reformen 50 Jahren später die
Voraussetzungen für erhebliche Produktivitätssteigerungen in einer industriellen Gesellschaft. Gleichzeitig entwickelte der agrarische Sektor eine ausgeprägte Ablehnung der modernen industriellen Gesellschaft, welche in auffälligem Widerspruch zu den Vorteilen stand, die gerade er dieser Gesellschaft zu
verdanken hatte. Ist es vielleicht diese Asynchronizität zwischen Reformprozess selbst und späterer Industrialisierung, die sowohl die Widerständigkeit
des agrarischen Sektors im Kaiserreich und der Weimarer Republik als auch
die Probleme nach 1945 mit erklären können? Zwar wurde der Zusammenhang zwischen Industrialisierung und Reformen schon lange diskutiert, aber
dabei im Sinne eines in sich stringenten Reformprozesses, ohne dass die Unterschiede hinsichtlich Intention und Wirkung ausreichend berücksichtigt
wurden.
Angesichts eines in Deutschland seit 1950 massiv einsetzenden und bis heute anhaltenden Strukturwandels der Landwirtschaft mit umfassenden sozialen, ökonomischen und ökologischen Auswirkungen stellt sich erneut die Frage, in welchem Kontext die Agrarreformen gesehen werden müssen und welche Schlussfolgerungen sich daraus ergeben, dass sie keine industrielle Landwirtschaft beabsichtigten.
Schließlich gibt es eine dritte Phase, die bislang eher unterschlagen wurde.530 Die bisherigen Darstellungen zugrunde liegende Annahme, die Reformen
seien mit der Verkündung von Gesetzen abgeschlossen gewesen, ist irrig, und
gleich aus mehreren Gründen. So gab es in Deutschland, bzw. in Niedersachsen durchaus Regionen, in denen der politische Prozess sich bis über das Jahr
1850 hinaus erstreckte.531 Andererseits genügte es nicht, die entsprechenden
529
530
531
Zur englischen Entwicklung siehe den guten Überblick bei Mingay, Gordon E, The
Victorian countryside. 2 Vol., London 2000.
Siehe aber Achilles (1993).
In Schaumburg-Lippe und der ab 1866 zu Preußen gehörenden Grafschaft Schaumburg; in beiden Gebieten brachte erst die preußische Zeit einen Abschluss der Reform-
13
Ein Zwischenergebnis
gesetzlichen Grundlagen zu erlassen, sondern entscheidend war die konkrete
Umsetzung, d.h. Ablösungen mussten durchgeführt, das Land vermessen, bewertet und neu umgelegt werden. Die zwischen 1830 und 1850 eingerichteten
Behörden begannen erst seit den 1850er Jahren in stärkerem Maße zu arbeiten, so dass ein großer Teil der Reformen erst nach 1850 realisiert wurde. Insofern könnte man von einer administrativen Phase sprechen. Nichts wäre
aber unrealistischer als die Annahme, dass diese Phase nur durch die Umsetzung vorher erlassener Regelungen gekennzeichnet war.
Mit der Industrialisierung wirkte ein neues Element zunehmend auf den
ländlichen Raum ein und führte zusammen mit den Reformen zu weitreichenden ökonomischen und sozialen Veränderungen. Dabei ist besonders bemerkenswert, in welcher Weise sich die in der vor- bzw. frühindustriellen Phase
entwickelten Reformkonzepte unter den veränderten Bedingungen einer industriellen Gesellschaft auswirkten. Die Wechselbeziehungen zwischen Industrialisierung und Landwirtschaft waren nicht einseitig, denn die Landwirtschaft profitierte nicht nur von den neuen Absatz- und Produktionsmöglichkeiten, sondern sie förderte durch ihre Nachfrage nach Maschinen und Gerät
ihrerseits den Industrialisierungsprozess. Gleichwohl stellte die Industrialisierung spätestens seit den 1890er Jahren die bisherige soziale wie ökonomische
Rolle der Landwirtschaft in der Gesellschaft infrage. Der nicht zuletzt durch
die Agrarreformen erleichterte Aufschwung der Jahre 1850 bis 1880 erhielt
einen entscheidenden Schlag, auf den die Interessenvertreter insbesondere aus
Ostdeutschland mit einer radikalen Politik reagierten.
tätigkeit (Schneider, Karl H, Schaumburg in der Industrialisierung. Teil 2. Von der
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14
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