Movida Herbst 2011

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Movida Herbst 2011
Herbst
2011
Die Klimakrise
und die Suche nach Alternativen
Nicaragua ist eines der Länder, die bereits in der Gegenwart die Auswirkungen des
Klimawandels mit aller Härte zu spüren bekommen. Dabei liegt hier der jährliche
Ausstoß des klimaschädlichen CO2 bei gerade mal 0,8t pro Kopf. Zum
Vergleich: In Deutschland sind es 12t. Der gefährliche Klimawandel und
die Zerstörung der Umwelt sind ein Nebenprodukt der wirtschaftlichen
Entwicklung des Nordens. Es ist eine große Ungerechtigkeit, dass die
Länder des Globalen Südens die Rechnung dafür zahlen müssen.
Das kapitalistische Wirtschaftssystem hat die Welt gefährlich
nah an ihren ökologischen Zusammenbruch geführt.
Zynisch wirken die Rezepte, mit denen der Norden
versucht, auf diese Situation zu reagieren: Vermeintliche
Lösungsansätze, wie die Produktion von Agrartreibstoffen
(E10) und die Einrichtung von Naturschutzgebieten,
werden in den Ländern des Südens verortet und
führen dort zu noch mehr sozialen Konflikten. Der
Emissionshandel verhindert, dass wirksame Maßnahmen
zur Reduzierung von klimaschädlichen Treibhausgasen
umgesetzt werden. Zwar verpassen sich viele Firmen
ein grünes Image, doch tatsächliche Veränderungen und
notwendige Einschränkungen fehlen.
Es deutet vieles darauf hin, dass die Rechnung für diese
Politik am Ende so teuer sein wird, dass sie nicht mehr zu
begleichen ist. Dabei gibt es politische Gegenentwürfe. Es kann
nicht nur darum gehen, an den Symptomen des Klimawandels
herumzudoktern. Sinnvolle Reaktionen auf die fortschreitende
Zerstörung der Welt müssen Veränderungen nicht nur auf ökologischer
Ebene, sondern auch im Politischen, Sozialen und Ökonomischen
beinhalten. Solche Alternativen und Gegenentwürfe diskutieren wir übrigens
in diesem Herbst im Wuppertaler Süd-Nord-Kolloquium. Wir würden uns freuen,
Euch bei der einen oder anderen Veranstaltung zu begrüßen.
Viel Spaß
beim Lesen!
Euer Informationsbüro Nicaragua
WUPPERTALER SÜD-NORD-KOLLOQUIUM +++ 19.09.2011: ZWISCHEN UTOPIE UND REALPOLITIK - LATEINAMERIKAS LINKE AN DER MACHT
Klimawandel, Greenwashing
und die Frage nach Klimagerechtigkeit
Viele Menschen in den ländlichen Gebieten des Globalen Südens sind auf
den Zugang zu natürlichen Ressourcen
wie Boden, Wasser oder Wald für ihren
Lebensunterhalt angewiesen. Für sie ist
der Klimawandel eine existentielle Bedrohung: Dürren und Überschwemmungen
drohen die Ernten ganzer Landstriche zu
vernichten, die kleinbäuerlichen Gemeinschaften haben selbst nicht die Mittel, um
wirksame und notwendige Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Sie verlieren ihre
Lebensgrundlage und werden durch kli-
matische Veränderungen von ihrem Land
vertrieben. Die Folgen sind zunehmende
Armut, Hunger, gewaltsame Umweltkonflikte und eine Infragestellung der
Ernährungssouveränität ganzer Staaten.
Nicaragua gehört nach dem Globalen
Klima Risiko Index 2011 zu den Ländern,
die schon heute und gegenwärtig mit am
Stärksten von den negativen Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind. Es
kommt zu einer Zunahme und Verschärfung von Wetterextremen wie El Niño
und La Niña. Temperaturveränderungen
und eine Verschiebung in der Häufigkeit
und Intensität der Regenfälle erhöhen
sowohl die Anzahl der Überschwemmungen als auch die der Dürren. In einigen
“Schlimm sind die Veränderungen inGebieten dauert heute die Trockenzeit
nerhalb der Gemeinschaftsstrukturen.
länger, in anderen wiederum erstreckt
Es kommt zu Streitigkeiten um den
sich die Regenzeit über eine längere
Zugang zu Wasser. Außerdem führt
Zeitspanne. Beides wirkt sich negativ auf
der Klimawandel zu einem Vertraudie Ernteerträge aus. Schwere Stürme und
ensverlust in Bezug auf das Dasein als
Hurrikans, wie Mitch (1998), Felix (2007)
campesin@s: die Ernten reichen nicht
und Ida (2009), gefolgt von sintflutartimehr aus und es kommt immer wieder
gen Niederschlägen, fordern tausende
zu Enttäuschungen. Campesin@ zu sein
Opfer, vernichten Ernten und hinterlassen
bedeutet mittlerweile nicht mehr nur
eine verwüstete Landschaft und eine
kultureller, materieller und ökonomizerstörte Infrastruktur. Im Herbst 2008
scher Rückstand, sondern es ist beschäkam es zu wochenlangen Niederschlägen
mend, nicht selbst zurechtkommen zu
mit verheerenden Folgen. Im darauf folkönnen und emigrieren zu müssen. Es
genden Jahr fiel die Regenzeit fast völlig
ist traumatisch, den Niedergang nicht
aus, was im Land zu großer Dürre führte.
aufhalten zu können und das Leben
In der Karibikregion hingegen kam es zu
auf dem Land aufgeben zu müssen.”
schweren Überschwemmungen. Schwere
FEM, Fundación entre mujeres // Estelí
Niederschläge im Herbst 2010 forderten
dutzende Tote und verursachten große
Schäden und massive Ernteausfälle.
Tausende Menschen
mussten aus den betroffenen Gebieten
evakuiert werden.
“Seit einigen Jahren häufen sich Tornados und
Durch die TemperaHurrikans in Gegenden, in denen diese sonst nie
turverschiebungen
vorkamen. Es kommt zu Auswaschungen und zu
kommt es außerdem
einer Erosion der Böden. Dies hat aufgrund der
zu einer Verlagerung
damit einhergehenden Hitze- und Kältewellen
von Malaria- und
Auswirkungen auf die Gesundheit der MenDengue in Regioschen. Auch wirtschaftlich sind wir betroffen,
nen, in denen diese
denn die Ernten sind weniger ertragreich, sei
Krankheiten zuvor
es aufgrund von zu viel oder zu wenig Regen.
nicht existierten.
Dies sind Phänomene, die ständig in unserem
Land auftreten. Es kommt zu einer Verteuerung
der Grundnahrungsmittel, gerade für ärmere
Menschen sind sie kaum noch erschwinglich.“
CMR, Comité de mujeres rurales // León
II
Was sind schon zwei Grad mehr?
Der Klimawandel schreitet voran. Die
bereits eingetretene Erderwärmung im
Vergleich zum vorindustriellen Niveau
beträgt 0,7 Grad Celsius. Klimaforscher_
innen verweisen darauf, dass eine weitere Zunahme der Durchschnittstemperatur ernste Probleme für die Ökosysteme
und alle Lebewesen mit sich bringt. Das
von der Staatengemeinschaft formulierte
Klimaziel fordert, die Erderwärmung auf
zwei Grad zu begrenzen. Doch selbst
dann wird etwa im Mittelmeerraum und
dem südlichen Afrika das verfügbare
Wasser um bis zu 30% zurückgehen,
werden die Ernteerträge in Lateinamerika
durch Dürren und Überschwemmungen
deutlich geringer ausfallen, weite Gebiete Afrikas, Asiens und Lateinamerikas
zusätzlich der Malaria ausgesetzt und
von Sturmfluten betroffen sein, werden
mindestens 15% der Arten aussterben
und manche Inselstaaten untergehen.
Millionen Menschen werden Wetterextremen, sich ausbreitenden Krankheiten, zerstörten Ernten und fehlender
Wasserversorgung zum Opfer fallen.
Dieses 2-Grad-Ziel ist nur zu erreichen,
wenn sofort und unmittelbar wirksame
Maßnahmen ergriffen werden, den
Ausstoß der Treibhausgase signifikant
zu verringern. Gelingt dies nicht und
steigt die Temperatur weiter um insgesamt drei oder vier Grad in Vergleich
zum vorindustriellen Niveau, wird der
Klimawandel noch gravierender sein:
Zerstörte Regenwälder, abtauende Gletscher und Polkappen werden zusätzlich
CO 2 und Methan freisetzen und die
Atmosphäre wird sich weiter aufheizen.
Es wird zu einem starken Rückgang der
Ernteerträge in weiten Regionen Asiens,
Afrikas und Lateinamerikas kommen,
selbst in den Ländern des Globalen
Nordens; die Wasserverfügbarkeit wird
sich stark verschieben und viele Gebiete
komplett austrocknen lassen, während
der Meeresspiegelanstieg zahlreiche Küstenregionen und Flachland verschwinden
lassen wird. Ein bedeutender Anteil von
Ökosystemen wird zerstört und es besteht das große Risiko weiterer großer
Verschiebungen im Klimasystem.
Herbst
2011
29.09.2011: BUEN VIVIR – DAS GUTE LEBEN FINDEN? +++ 10.10.2011: STRATEGIEN FÜR EINE GESELLSCHAFT JENSEITS DES WIRTSCHAFTSWACHSTUMS
Das Problem des Greenwash
Seit einigen Jahren treffen sich
Vertreter_innen der Regierungen und großen Unternehmen regelmäßig zu ihren
Konferenzen, um eine Lösung zur Begrenzung des
Anstiegs der Erdtemperatur
zu finden. Diese Klimakonferenzen waren jedoch meist
eine große Enttäuschung und
das Papier nicht Wert, auf denen ihre Erklärungen gedruckt
wurden. Am Ende standen wortreiche Absichtserklärungen wenig
greifbaren Ergebnissen gegenüber.
Und selbiges findet auch Ausdruck im
Geschäftsgebaren vieler Firmen: Viele
Menschen möchten ihren Lebensstil an
sozialen, ökologischen und nachhaltigen
Kriterien orientieren. Jedoch nur wenige
sind bereit, dafür auf ihren alltäglichen
Luxus zu verzichten, gerechte Preise zu
bezahlen, persönliche Einschränkungen
hinzunehmen oder ihren Konsum generell
in Frage zu stellen. Diese Art von Umweltbewusstsein wird als Wettbewerbsfaktor
verstanden. Viele Unternehmen haben
das erkannt und versuchen, ihre Kundinnen und Kunden zufrieden zu stellen,
indem sie sich und den eigenen Produkten
ein „grünes“ Image verpassen – ohne
jedoch auf ihre bisherigen zerstörerischen
Geschäftspraktiken und damit verbundene wirtschaftliche Erfolgsmodelle verzichten zu müssen. Die dahinterstehende
Marketing- bzw. Unternehmensstrategie
wird als Greenwash (auf deutsch: Grünwaschen oder Grünfärben) bezeichnet.
Durch die gezielte Verbreitung von Desinformation, auch in Form von selbst kreierten Ökolabeln, versuchen Firmen, sich
ein Image ökologischer Verantwortung
zu verschaffen. Dabei ist Greenwash vor
allem eine Reaktion von Unternehmen
auf den wachsenden öffentlichen Druck,
die durch sie verursachten Umweltbelastungen zu reduzieren. Die Förderung
eines grünen Images soll unabhängig vom
realen Geschäftsverhalten die Verwundbarkeit der Unternehmen reduzieren.
Greenwash wird zu Werbezwecken eingesetzt, nach dem Motto: „Seht her, wir
kooperieren mit Umweltverbänden! Mit
jedem Liter Benzin, den Sie bei uns tanken, investieren Sie in den Naturschutz.“
Greenwash dient der politischen Beeinflussung von Entscheidungsträger_innen,
Meinungsmacher_innen und kritischen
viele Rohstoffe es braucht, um
diese Autos zu produzieren und
wie diese Rohstoffe gewonnen werden. Die betroffenen
Menschen, die dort leben,
wo die Rohstoffe herkommen, werden nicht gehört.
Zu wenig wird thematisiert, auf welche Art und
Weise Agrarkraftstoffe
produziert werden und
was dies für die Klimaverträglichkeit bedeutet, den
Einfluss auf die Biodiversität
und die Flächenkonkurrenz
gegenüber der Nahrungsmittelerzeugung. Aber wir – im
Globalen Norden – dürfen uns gut
fühlen, wenn wir ein solches Auto
kaufen. Und glaubt man der Werbung,
werden wir durch das Betanken des neuen Umweltautos mit „Bio“sprit selbst zu
Klimaschützer_innen.
Konsument_innen: „Mit Grünfärberei sollen politische Entscheidungen beeinflusst
werden. Greenwash wird sehr oft
eingesetzt, um drohende unliebsame Gesetzesvorhaben
zu unterlaufen. Die Grünwä“Die Auswirkungen des Klimawandels beruhen auf
scher versuchen dabei, den
einem strukturellen Problem: In der Vergangenheit
Eindruck zu vermitteln, sie
wurden große Teile der Landbevölkerung in marginawürden das Umweltproblem
lisierte Zonen mit geringer Produktivität umgesiedelt.
bereits selbst lösen, verpflichVerantwortlich sind die Prozesse der Kapitalakkumutende Regeln seien damit also
lation bereits vor der Somoza-Zeit. Die sandinistische
unnötig. (…) In Zeiten des
Revolution versuchte, dies zu ändern, aber leider sind
Klimawandels gibt es weitere
wir zur Contra-Agrarreform zurückgekehrt. Neue Aklohnende Gründe, sich als
teure, darunter auch solche, die in der Revolution als
umweltbewusstes UnterRevolutionäre erschienen, haben die nahrhaftesten
nehmen zu präsentieren: Für
Böden und Ressourcen des Landes wieder unter sich
Klimaschutzprojekte gibt es
aufgeteilt. Außerdem haben die sozio-ökologischen
häufig staatliche UnterstütRisiken nicht die gleichen Auswirkungen auf Mänzung.“ Auf diese Weise wird
ner wie auf Frauen. Bereits vor dem Klimawandel
Autofahren immer sauberer
waren Frauen strukturell benachteiligt, denn es
und sogar einige Flugzeuge
gab eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, die
werden bald ganz umweltFrauen in den reproduktiven Bereich drängte.”
schonend mit Bio-Kerosin
fliegen. Immer mehr ÖkoFEM, Fundación entre mujeres // Estelí
Autos werden produziert und
verkauft. Niemand kümmert
sich allerdings darum, wie
“Da es keine konsistente Bildungs- und Sensibilisierungskampagne
im Umweltbereich gibt, sind sowohl der Bevölkerung in der Stadt
als auch auf dem Land die negativen Folgen nicht bekannt, obwohl
wir oftmals selbst Mitverursachende des Klimawandels sind. Wenn
wir uns für die eigenen Handlungen verantwortlich fühlen und
gleichzeitig bewusst am Verbrauch zum Beispiel von Unmengen
Getränkeverpackungen und Plastiktüten teilhaben, wieso wird
nicht so schnell wie möglich auf dieses Phänomen reagiert,
welches jeden Tag unserer menschlichen Entwicklung schadet?”
Colectivo de Mujeres “8 de Marzo” // Managua
III
GEGENENTWÜRFE ZUR GLOBALEN KRISE +++ 20.10.2011: WEM GEHÖRT DIE STADT?: ZUR (WIEDER-)ANEIGNUNG DES ÖFFENTLICHEN RAUMES +++
Die Forderung nach Klimagerechtigkeit
Die Auswirkungen des Klimawandels
treffen die Menschen in den Länden
des Globalen Südens viel stärker als die
in den Ländern des Nordens, obwohl
letztere hauptsächlich für die Ursachen
verantwortlich sind. Die durchschnittlichen CO2-Emissionen betragen in den
USA 20 Tonnen (t), in der EU 14t und in
„Der Hauptgrund dafür, dass große Teile
der Bevölkerung weiterhin in Risikozonen
leben, ist das Fehlen einer territorialen
Ordnungspolitik. Die fertigen Programme
liegen in der Schublade, aber die betroffenen Familien werden nicht umgesiedelt,
so dass sie immer wieder in ihre Häuser
zurückkehren.
Da unser wichtigstes Ziel die Verbesserung
der Lebensqualität der benachteiligten
Sektoren der Bevölkerung ist, müssen
wir bei der lokalen und nationalen Politik eine territoriale Ordnungspolitik
zugunsten der unmittelbar Betroffenen
durchsetzen. Wir müssen die Bevölkerung sensibilisieren, damit sie ihre Rechte
in Würde einklagen, denn Rechte sind
eine Verpflichtung und keine Gnade.“
ADIC, Asociación para el Desarrollo
Integral Comunitario // Matagalpa
„Wir leben in ökologisch verletzbaren
Zonen: San Dionisio ist von Überschwemmungen des flachen Umlands seiner Flüsse, San Isidrio von Überschwemmungen
und Erdrutschen betroffen, San Ramón
auch vom Abrutschen vieler Berge; in La
Dalia kommt es auch immer wieder zu
Erdrutschen und einem Übertreten der
Flüsse; in Matagalpa ist das Abwassersystem unzureichend. Gründe für diese
Beispiele sind Armut, ein Unwissen über
Risiken, mangelnde Urbanisierung, Auswirkungen von Hurrikans, Vertreibung
der Menschen von ihren Ländereien
sowie ein Mangel an ökonomischen Mitteln, um den Ort wechseln zu können.“
MCN, Movimiento Comunal Nicaragüense
// Matagalpa
IV
Lateinamerika und Afrika 0,85t pro Kopf
pro Jahr. CO2 ist ein rund 100 Jahre lang
wirkendes Treibhausgas. Die Frage, wer
in welchem Maße für die Emissionen
und somit für die Erderwärmung und
den Klimawandel verantwortlich ist, erfordert also nicht nur einen Blick auf die
Gegenwart, sondern auch in die Vergangenheit: Die wirtschaftliche Entwicklung
der Länder des Globalen Nordens in
den letzten 100 Jahren, der produzierte
Wohlstand und Fortschritt, beruht
auf der Ausbeutung und Zerstörung der Welt und belastet das
Klima noch heute durch besonders
hohe Treibhausgasemissionen.
Der Reichtum verschafft dem Norden einen großen Handlungsspielraum, um sich gegen die negativen
Auswirkungen des Klimawandels
zu schützen. Den Ländern im
Globalen Süden dagegen ist es
verwehrt, die gleiche wirtschaftliche Entwicklung des Nordens
nachzuholen und trotzdem zahlen
sie die Rechnung für die Auswirkungen des Klimawandels.
Weltweit fordern soziale Organisationen – unter ihnen auch das nicaraguanische Netzwerk Alianza social nicaraguagüense “Otro mundo
es posible“– daher, dass die Industriestaaten die Verantwortung
für die negativen Auswirkungen
des Klimawandels übernehmen.
Sie müssen bis 2020 mindestens
40% ihrer gegenwärtigen Emissionen verringern und bis zum Jahr
2050 90%. Außerdem erwarten
sie, dass die Industriestaaten die
Schäden wiedergutmachen, die
durch den Klimawandel entstehen.
Mehr denn je ist es erforderlich,
konsequent umzusteuern. Die
Betrachtung der Welt als Ware,
die Ausbeutung der Ressourcen
und die gleichzeitige Ressourcenverschwendung durch einen
grenzenlosen Konsum stellt die
Hauptursache für die gegenwärtige Klimakrise dar. Weltweit ist
die Verteilung des vorhandenen
Reichtums schlichtweg ungerecht,
das vorherrschende Wirtschaftsmodell begünstigt auf Grundlage
dieser ungerechten Verteilung
Wenige. Das ökologische, soziale
und wirtschaftliche Gleichgewicht
wiederherzustellen, würde aber einen
grundlegenden gesellschaftlichen Wandel und eine Unterbindung der Verschwendung von Ressourcen erfordern.
1. Austrian Development Agency
(ADA): Länderinformation Nicaragua.
August 2011. http://www.entwicklung.
at/uploads/media/Laenderinfo_Nicaragua_Aug2011.pdf
2. BfdW/eed (Hrsg.): Klimawandel. Eine
Arbeitshilfe für die Gemeindearbeit zur
Studie „Zukunftsfähiges Deutschland in
einer globalisierten Welt“. Bonn, 2009.
3. Germanwatch: Globaler Klimawandel: Ursachen, Folgen, Handlungsmöglichkeiten. Bonn, 2008.
4. Irene Knorke: Träge aber gewaltig.
Auswirkungen des Klimawandels auf
Lateinamerika. Ila 332 (Feb. 2010).
5. Ulrich Müller: Greenwash in Zeiten
des Klimawandels. November 2007.
http://www.lobbycontrol.de/download/greenwash-studie.pdf
Herbst
2011
ALLE VERANSTALTUNGEN IMMER 19.30 UHR +++ IN DER BÖRSE IN WUPPERTAL +++ ALLE INFOS UNTER WWW.HERMITDEMGUTENLEBEN.DE +++
Lasst das Öl im Boden –
und die Bäume darüber stehen
Die Yasuní-ITT1-Initiative im Nationalpark Ecuadors
Ecuador machte am 5. Juni 2007 der Weltgemeinschaft einen erstaunlichen Vorschlag: Der Energieminister der just neu gewählten Regierung
unter Rafael Correa, Alberto Acosta, schlug vor, dass Ecuador auf
die Förderung von 900 Mio. Barrel Öl im Yasuní-Nationalpark
gegen Zahlung von 50% der voraussichtlichen Einnahmen durch
die Weltgemeinschaft (etwa 3,5 Mrd. US-Dollar verteilt auf 13
Jahre) verzichte. Dieser Vorschlag war in der Diskussion mit
Umweltschutzgruppen Ecuadors – wie z.B. Acción Ecológica – entwickelt und von der neuen Regierung aufgegriffen
worden. „Auf internationalen Foren, unter Wissenschaftlern
und in vielen Medien ist die Initiative auf ein großes Echo
gestoßen. Die Debatte, die sie in Ecuador und weltweit angestoßen hat, ist bereits ein unbestreitbarer Erfolg. Vor allem
der Gedanke der geteilten Verantwortung – immerhin haben
die reichsten Gesellschaften der Erde die größte Zerstörung
verursacht – hat vielfältige Aktivitäten überall auf dem Planeten
angestoßen“ (Alberto Acosta, Le Monde diplomatique, März
2011, S. 1). Bei Erfolg der Initiative würde einer der artenreichsten
Regenwälder der Welt erhalten bleiben sowie Lebensraum für dort
lebende Indigene. Der Atmosphäre würde eine Verschmutzung von 400
Mio. t CO2 erspart bleiben, die bei Erschließung und Verbrennung anfallen
würde. Die Menge Öl, die nicht gefördert würde, entspricht einem Weltverbrauch von nur 11 Tagen und stellt 20% der förderbaren Ölmenge Ecuadors dar.
Innerhalb Ecuadors gibt und gab es von Anfang an eine starke Lobby, die sich für die Förderung des Öls stark macht und
nicht auf die voraussichtlichen Erlöse von 7,2 Mrd. Dollar für die Entwicklung des Landes verzichten will. Alberto Acosta zeigt im Gegenzug auf, dass seit 1972 zwar nominell 90 Mrd. Dollar vom Staat Ecuador aus Erdölerlösen eingenommen
worden seien, dass aber der ecuadorianische Staat einer positiven Gesamtentwicklung nicht näher gekommen sei. Im Gegenteil, die Öllecks, die Verseuchung der Sümpfe, das Abbrennen von Gas, der Verlust an Artenvielfalt und die Entwaldung haben die Natur zerstört und Schäden in Milliardenhöhe hinterlassen (Le monde diplomatique, März 2011, S. 18).
Für die Einzahlung der 3,5 Mrd. US-Dollar wurde im August 2010 ein Treuhandfonds bei den Vereinten Nationen eröffnet. Das
Geld solle für die Entwicklung alternativer Energien und Aufforstungsprogramme in Ecuador verwendet werden, wobei den
Vereinten Nationen eine Kontrolle der Verwendung zugestanden wurde. Doch das Ausland reagierte skeptisch und zögernd auf
den neuen Vorschlag. In Deutschland wurde auf Initiative der Grünen am 26.6.2008 im Bundestag einstimmig ein Antrag auf
Unterstützung des ITT-Projektes verabschiedet. Doch nach dem Regierungswechsel hebt der neue Entwicklungshilfeminister Dirk
Niebel im November 2010 die Zusage komplett auf und versetzt der Initiative damit einen schweren Schlag. Niebel bietet höchstens an, die ohnehin zur Verfügung stehenden Entwicklungshilfegelder von etwa 15 Mio. Euro jährlich auf das Yasuní-ITT-Projekt
umzulenken – ein unakzeptabler Vorschlag für Ecuador (taz, 26.5.2011). Italien kündigte an, 35 Mio. US-Dollar Schuldenerlass
zugunsten des Projektes durchzuführen. In Frankreich sind über 50 Mio. US-Dollar Gegenstand einer ähnlichen Diskussion.
Auch aus Chile, Spanien und Belgien gibt es Unterstützungen in kleinerem Umfang. Rafael Correa – der auch innenpolitisch
unter Druck steht – fordert 100 Mio. US-Dollar bis Jahresende. Gerade mal 1,7 Mio. US-Dollar beträgt der Kontostand derzeit.
Die Ambivalenz des ecuadorianischen Präsidenten zeigt sich darin, dass der sogenannte Plan B, die Förderung des Öls, nur wenige
Tage nach Unterzeichnung des Treuhandfonds im August 2010 ausführlich von ihm vorgestellt wurde, ohne auf Plan A einzugehen
(LN 443, S. 52). Immer häufiger betont er Plan B. Er wolle in erster Linie das Wohl der Ecuadorianer_innen: »Wenn die internationale Gemeinschaft nicht zahlen will, dann sehen wir uns gezwungen, das Öl aus der Erde zu holen« (Womblog, 15.7.2011). »Die
Welt hat keine Tatsachen geschaffen.« Petroamazonas sei jetzt so weit. Wenn nichts Überraschendes mehr geschehe, könnten
die Leute vom Ölkonzern im Januar mit den Bohrungen beginnen (ZEIT-online, 20.6.2011). Dennoch will man erst im Dezember
wirklich Bilanz ziehen.
1
ITT = Ishpingo-Tiputini-Tambococha (ITT-)Projekt – Ölquellen, die bereits 1992 bei Probebohrungen entdeckt wurden.
V
29.10.2011: AUSWEGE AUS DER SCHULDENKRISE +++ 10.11.2011: NATURSCHUTZ IM SPANNUNGSFELD VON MENSCH, UMWELT UND PROFIT +++
Naturschutz im Spannungsfeld
von Mensch, Umwelt und Profit
Beim Stichwort „Naturschutz“ denken wir an grüne Wälder und Naturschönheiten; an Maßnahmen, um die Zerstörung natürlicher
Ressourcen zu verhindern und die biologische Vielfalt zu schützen. Weniger bekannt ist, dass oftmals wirtschaftliche Interessen
hinter dem eigentlichen Naturschutzgedanken stecken. Viele Naturschutzgebiete stellen Ausgleichsflächen für weltweite wachstumsbedingte Naturzerstörung dar. Um den hohen CO2-Ausstoß in den Ländern des Nordens zu kompensieren, wird Naturschutz
im Globalen Süden oftmals auf Kosten der lokalen Bevölkerung durchgesetzt. Der Agrarwissenschaftler Peter Clausing wird im
Rahmen des Wuppertaler Süd-Nord Kolloquiums am 10. November zum Thema „Naturschutz im Spannungsfeld von Mensch,
Umwelt und Profit“ referieren. Wir haben ihn vorab interviewt.
Wo liegt der Ursprung des Naturschutz-Begriffes?
Allgemein wird der Beginn von „Naturschutz“ mit der Gründung des Yellowstone-Nationalparks 1872 in Verbindung gebracht.
Wenn auf Nationalparks als die „heute international erfolgreichste Schutzgebietskategorie“ verwiesen wird, wird die koloniale
Geschichte dieser Parks ausgeblendet. Das betrifft den Yellowstone, aus dem zunächst amerikanische Ureinwohner vertrieben
werden mussten, ebenso wie das Selous Wildreservat, dem ersten und größten Schutzgebiet in Afrika. Letzteres wurde 1896 von
Hermann von Wissmann, Gouverneur des damaligen „Deutsch-Ostafrika“, dekretiert. Wissmann war eine Ikone für die Nazis.
Welche Interessen stecken hinter Natur- bzw. Umweltschutz?
Die Interessen sind vielschichtig. Angesichts der fortschreitenden Naturzerstörung gibt es die ehrliche Sorge vieler Menschen um
den Erhalt der Natur. Jedoch gibt es auch wirtschaftliche Interessen: Pharmaindustrie und Agrobusiness brauchen „Natur“ als
Quelle für Innovationen. Wenn anderswo Natur zerstört wird, müssen Reserveflächen ausgewiesen werden, auf die man später
zurückgreifen kann. Hinzu kommt der Emissionshandel: Wälder werden zu CO2-Senkern degradiert und gegen die Emission von
Treibhausgasen in den Industrieländern verrechnet. Und schließlich ist für große Organisationen „Naturschutz“ an sich zum Geschäftsmodell geworden – mit Tausenden von MitarbeiterInnen und jährlichen Budgets von mehreren Hundert Millionen Dollar.
Inwiefern ist die lokale Bevölkerung von Naturschutzprojekten betroffen?
Oftmals musste die lokale Bevölkerung weichen. Es gibt demografische Schätzungen, dass allein in Afrika davon 14 Millionen
Menschen betroffen waren. Für einige der weltweit 2200 Nationalparks ist detailliert dokumentiert, wann und wie viele Menschen dort entschädigungslos vertrieben wurden. Es gibt Fallberichte darüber, wie brutal dabei gelegentlich vorgegangen wurde. Es gibt aber auch Schutzgebiete, bei denen der lokalen Bevölkerung eine weitere Nutzung der Ressourcen gestattet wird.
Gibt es (aktuelle) Beispiele aus Lateinamerika?
Von Südmexiko bis Panama gibt es eine Kette von Schutzgebieten mit hohem Konfliktpotential und gelegentlichen Vertreibungen. Am bekanntesten ist die Selva Lacandona in Chiapas, Hochburg der Zapatistas, wo Aufstandsbekämpfung das Motiv der
Vertreibungen war, die von den mexikanischen Behörden aber unter dem Vorwand von Naturschutz betrieben wurden. Vertreibungen sind aber auch aus den großen Biosphärenreservaten in Nicaragua (Bosawas) und Honduras (Rio Plátano) bekannt.
Welche Rolle spielen die großen Umweltschutzorganisationen, wie etwa der WWF?
Organisationen wie der WWF sind für einen aggressiven Naturschutz bekannt. Meist wird die lokale Bevölkerung ausgeschlossen.
Finanziert werden die Projekte aus einer Mischung von Entwicklungshilfegeldern, privaten Spenden und immer stärker auch durch
Spenden von Firmen, die sich damit „grünwaschen“ und zugleich einen gewissen Einfluss auf die Projekte ausüben. Das wird von
den Naturschutzorganisationen selbstverständlich bestritten. Doch unlängst wurde die Verquickung des WWF mit der Gentechnikindustrie durch den Dokumentarfilmer Winfried Huismann1 exponiert. In Lateinamerika sind vor allem Conservation International und The Nature Conservancy aktiv – die zwei anderen Naturschutz-Multis. Das Strickmuster ist das gleiche wie beim WWF.
Siehst Du Alternativen zum „klassischen“ Naturschutz?
Naturschutzprojekte sollten von der lokalen Bevölkerung gestaltet werden. Langfristig sollte es aber einen globalen gesellschaftlichen
Wandel geben, der Naturschutz überflüssig macht. Dazu zählt vor allem eine hocheffektive kleinbäuerliche Landwirtschaft, die auf
agroökologischen Prinzipien basiert.
1
VI
Der Dokumentarfilm „Pakt mit dem Panda – was uns der WWF verschweigt“ (2011) ist im Internet zu finden und anzuschauen.
Herbst
2011
24.11.2011: ALTERNATIVE KRITERIEN ZUR MESSUNG VON GESELLSCHAFTLICHER ENTWICKLUNG +++ 15.12.2011: COMMONS & SOZIALE INFRASTRUKTUR
Agrotreibstoffe –
Energie für’s Auto,
Gift für die Arbeiter_innen
In Nicaragua boomt der Zuckerrohranbau. Weil die Nachfrage nach dem hieraus
gewonnenen Ethanol als Biokraftstoff
groß ist, werden die Anbauflächen Jahr
für Jahr ausgedehnt, um die Erträge
zu steigern. Doch die einheimische
Bevölkerung bezahlt den Biospritboom
mit ihrer Gesundheit. Tausende Zuckerrohrarbeiter_innen sind aufgrund
des Pestizideinsatzes an chronischer
Niereninsuffzienz erkrankt oder an Nierenversagen gestorben. Die Betroffenen
fordern nun Entschädigungszahlungen.
Die Landwirtschaft in
ihrer heutigen Form hat
keine Zukunft, zumindest, wenn es darum
geht, weltweit das Menschenrecht auf Nahrung
umzusetzen und den
Klimawandel aufzuhalten. Obwohl die industrielle Landwirtschaft
eine erhebliche Produktivitätssteigerung
erzielen konnte, steigt
die Zahl der weltweit
Hungernden weiter. Die
monokulturelle Landwirtschaft entzieht den
Böden einseitig Nährstoffe. Um überhaupt
produzieren zu können,
ist der Einsatz großer
Mengen Düngemittel
notwendig. Und um die
Produktion gegen Schädlinge zu schützen, werden massiv Pestizide eingesetzt.
Mittelfristig werden so die vormals fruchtbaren Böden zerstört und vergiftet. Die
Verlagerung der Energieproduktion für
das wachstumsorientierte Wirtschaftsmodell der führenden Industrieländer auf
die Anbauflächen im Süden verschärft die
Probleme noch einmal mehr. Bereits vor
Einführung des E10-Kraftstoffs wurden
30% des Biosprits für Deutschland aus
Ländern des Globalen Südens importiert. Zwar darf der Anbau von Energiepflanzen nicht auf Flächen mit hohem
Naturschutzwert erfolgen. Jedoch tritt
die Produktion von Energiepflanzen in
Konkurrenz zum Anbau von Nahrungsmitteln, sie verdrängt die kleinbäuerliche
Landwirtschaft und fördert dadurch die
weitere Abholzung von Regenwäldern. Es
kommt zu einer Landkonzentration in den
Händen weniger großer Unternehmen.
Zusammen mit den gesundheitsbelastenden Produktionsmethoden sowie
katastrophalen Arbeits- und
Lebensverhältnissen auf den
Plantagen führt dies zu sozialen Verwerfungen, gefährdet
mit dem hohen Ressourcenund Flächenverbrauch den
Zugang zu ausreichendem
sauberem Trinkwasser und
stellt die Ernährungssicherheit
der Bevölkerung in Frage.
Tausende Arbeiter_innen und auch Teile
der lokalen Bevölkerung leiden an gesundheitlichen Beschwerden. Am häufigsten wird hier Niereninsuffizienz erwähnt;
3.500 Todesfälle durch Nierenversagen
und 8.000 Erkrankungen soll es bisher insgesamt gegeben haben. Die Häufung von
Todesfällen in den Pazifik-Regionen lässt
nach einer Studie der Boston University
School of Public Health 2009 den Schluss
zu, dass die Methoden des Zuckerrohranbaus, v.a. der Einsatz von Pestiziden und
das verunreinigte Grundwasser, dafür
mitverantwortlich sind. Von den 36 in der
Zuckerverarbeitungsanlage San Antonio
eingesetzten Agro-Chemikalien gibt es
bei sechs den sicheren Nachweis für
einen Zusammenhang mit einer starken
Nierenschädigung. Die Trinkwasserversorgung der Arbeiter_innen und ihrer
Familien durch einfache Brunnen inmitten
der belasteten Anbauflächen dürfte eine
weitere Ursache der Erkrankungen sein.
In Nicaragua werden auf der
Basis von Zuckerrohr pro
Tag 850.000 Liter Bioethanol
produziert 1. Davon wurden
allein im Jahr 2010 80 Millionen Liter in die EU und die
USA exportiert. Sowohl auf
den Ländereien der Familie
Pellas, einer der reichsten und
einflussreichsten Unternehmerfamilien Nicaraguas, rund
um den Zuckerrohrbetrieb San
Antonio bei Chichigalpa, als
auch auf den Plantagen der guatemaltekischen Verarbeitungsanlage Sta. Rosa
(Grupo Pantaleón) bei El Viejo schlagen
Tausende von Saisonarbeiter_innen im
Akkord Zuckerrohr. Mit 35.000 Beschäftigten und einem Exportvolumen in Höhe
von 80 Millionen US-Dollar ist die zuckerrohrverarbeitende Industrie die wichtigste
Arbeitgeberin in der Pazifikregion. Die Anbauflächen werden jährlich ausgeweitet.
Seit März 2009 kämpfen die erkrankten
Zuckerrohrarbeiter_innen um ihr Recht
auf Entschädigung. Sie organisierten sich
in der Vereinigung der an chronischer
Niereninsuffizienz erkrankten Zuckerrohrarbeiter_innen ANAIRC (Asociación
Nicaragüense de Afectados por Insuficiencia Renal Crónica) und protestieren
seither mit einem permanenten Protestcamp in Managua, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen und den
Forderungen Nachdruck zu verleihen.2
1
Vgl. ausführlich in der ila 341, S.52f.
Die Unternehmen reagierten unterschiedlich auf den öffentlichen Protest und die
Forderung nach Entschädigung. Ihre
Reaktionen reichen von Diffamierungen über öffentliche Gegenkampagnen
bis hin zur Bereitstellung von monatlichen Lebensmittelpaketen an 1.800
erkrankte ehemalige Mitarbeiter_innen.
2
Vgl. Interview im Schwerpunktheft
30 Jahre Revolution in Nicaragua (Hrsg. u.a.
vom Informationsbüro Nicaragua).
VII
Herbst
2011
Doch auch hierin sieht ANAIRC den Versuch, die eigenen Selbsthilfestrukturen zu spalten und
von der Forderung nach Entschädigung abzulenken.
Ein Teilerfolg der Arbeiter_innen ist, dass die Arbeitsschutzgesetze für die Beschäftigten in der Landwirtschaft verbessert wurden. Chronische Niereninsuffizienz wurde
als Berufskrankheit anerkannt, allerdings als eine „mit vielfältigen Ursachen“.
Eine Formulierung, die Entschädigungsforderungen gegen die Familie Pellas
nicht erleichtern dürfte. Seitdem werden regelmäßige Untersuchungen
der Blutwerte der Arbeiter_innen durchgeführt, auch einige Dialyseplätze
werden von den Unternehmen finanziert. Das staatliche Gesundheitssystem versucht dafür zu sorgen, dass Betroffene Medikamente für ihre
Nierenerkrankungen erhalten. Jedoch gibt es bei weitem keine ausreichende Versorgung. Eine kurative Behandlung der Nierenerkrankung mit
guten Heilungsaussichten ist nur dann möglich, wenn die Schädigung
früh erkannt wird. In den meisten Fällen wird die Erkrankung jedoch
erst dann festgestellt, wenn die Nieren schon so stark geschädigt sind,
dass nur noch begleitende Behandlungen (z.B. an den viel zu wenigen
Dialyseplätzen) und eine medikamentöse Stabilisierung möglich sind. Die
sozialen und finanziellen Belastungen durch die Nierenerkrankungen sind
immens und können von den Landarbeiter-Familien nicht aufgebracht werden.
Dieses Beispiel zeigt, dass Agrotreibstoffe kein geeigneter Ersatz für herkömmliches
Benzin und Diesel sein können, wenn ihre Herstellung zur Vertreibung von Campesin@Familien, zur Verteuerung und Verknappung von Nahrungsmitteln oder zur Schädigung
der Gesundheit von Menschen in den Produktionsgebieten führen. Die bestehenden Einfuhrkriterien für Agrotreibstoffe sind ungeeignet, um Hunger, Umweltzerstörung und die Schädigung
der im Umfeld der Produktionsgebiete lebenden Menschen zu verhindern. Menschen, die durch direkte und indirekte Folgen der
Produktion von Agrotreibstoffen für die Energiegewinnung gesundheitlich schwer geschädigt wurden, erhalten keine angemessene
Entschädigung. Angesichts der Exportabhängigkeit der Produzentenländer herrscht das Recht des wirtschaftlich Stärkeren. Und
innerhalb der Produzentenländer haben die mächtigsten Wirtschaftsgruppen das Sagen.
Kampagne zur Unterstützung der erkrankten ehemaligen Zuckerrohrarbeiter_innen!
Zusammen mit dem Nicaragua Forum Heidelberg und el rojito nimmt das Informationsbüro Nicaragua an einer Kampagne
zur Unterstützung der Betroffenen mit Lebensmitteln und Medikamenten teil. Im Rahmen einer Aktion von „Rettet den
Regenwald“ wurden bereits 15.000 Unterschriften gesammelt und im August 2011 an das Unternehmen Nicaragua Sugar
Estates Ltd., das den Zuckerrohrbetrieb in San Antonio betreibt und Teil der Pellas-Gruppe ist, überreicht. Die Kampagne
fordert unter anderem eine angemessene Entschädigung für die Arbeitskräfte und die lokale Bevölkerung, die durch die
Zuckerrohrproduktion geschädigt wurden, sowie eine angemessene medizinische Behandlung für alle Betroffenen.
Weitere Informationen unter:
http://www.nicaragua-forum.de/
http://informationsbuero-nicaragua.org
Um auch weiterhin über die Situation in Nicaragua und Lateinamerika berichten zu können,
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VIII
Movida ist der Rundbrief des
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Er erscheint als Beilage in der Zeitschrift ila. Ein
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bestellt werden. Die Movida Herbst 2011 wurde mit finanzieller Unterstützung des BMZ und der Stiftung
Umwelt und Entwicklung NRW erstellt.
Der Herausgeber ist für den Inhalt selbst
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Vielen Dank.

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