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Heft2/2010 DasMagazinderMedizinischen DienstederKrankenversicherung Von der Katastrophe verfolgt Posttraumatische Belastungsstörung PT BS au ch in diesem h ef t Gekauftes Renommee? Ghostwriter in der Medizin Personenortungssysteme in der Pflege Liebe Leserin, lieber Leser! 11.September,Erfurt,Winnenden:Inuns allenlösendieseWorteErinnerungenan Ereignisseaus,beidenenwirüberdieMedien fassungsloseZeugenvonKatastrophen wurden.NochJahrespäterkönnensolche Erfahrungenbeidenen,diealsBetroffene oderHelfernoch»näherdran«waren,zu Krankheitssymptomenundzudramatischen EinschränkungenihrerLebensqualität führen.DerSchwerpunktdieserAusgabe handeltvonposttraumatischenBelastungsstörungen(PTBS),wasdasistundwasman tunkann,wennmananPTBSerkrankt. InderRubrik»GuteFrage«gehtesumein Thema,mitdemsichwohljedervonuns abundzubeschäftigt,alsMedizinerschon vonBerufswegen:»Brauchenwireineneue KulturdesSterbens?«»Ja!«,meintderBerliner RettungsmedizinerDr.MichaeldeRidder imInterviewmitMDKForum.Fürihnsteht derärztlicheAuftrag,füreinen»gutenTod« zusorgen,demAuftrag,Krankheitenzu heilen,ethischinnichtsnach.Abernurallzu oftvernachlässigenwirÄrztediesenAuftrag. WeilwirinärztlichenRoutineneingefahren sind,dieaufLebenserhaltungumjedenPreis zielen?WeilwirdieEntscheidung,obeine Behandlungaussichtslosist,nichttreffen wollen?WeilwirselbstdasSterbenalsTeil desLebensnichtakzeptierenwollen? KeinleichtesThema,abereines,mitdem wirunsbeschäftigenmüssen. Ihr Dr. Ulf Sengebusch Ak tu e lle s GuteFrage Brauchen wir eine neue Kultur des Sterbens? DiepolitischeKolumne Röslers geplatzte Träume 32 tite lth e m A PosttraumatischeBelastungsstörung Von der Katastrophe verfolgt 5 »BeimNächstenfahreichweiter…« Die Angst des Lokführers vor Selbstmördern 7 Eine normale Reaktion auf ein unnormales Ereignis Der Traum vom Helfen 8 10 Therapiemöglichkeitenbei P T B S Ein Ziel und viele Wege 12 SuchterkrankungennachTraumatisierung Die Erinnerung löschen 14 m d k | wiss e n u n d stAn d pu n k te RehavorundbeiPflegebedürftigkeit Rüstiger durch Rehabilitation? 15 SymposiumBehandlungsfehler Im Cockpit geht man auf Nummer sicher GekauftesRenommee? Ghostwriter in der Medizin 16 17 we itbli ck MenschenmitDown-SyndromalsAutoren Ohrenkuss – das etwas andere Magazin 19 Vom kleinen Sonnenschein zum Mondscheinkind Flic Flac im Zirkus Zip Zap 23 InterviewmitDr.WolfgangMayrhofer Rückflug im Krankenbett 25 ErlebniswaldfürBlindeundSehende Nasenkino und Orakelkraut 27 G e su n d h e it u n d pfleG e PersonenortungssystemeinderPflege Wenn die Armbanduhr den Alarm auslöst 29 InterviewmitProf.Dr.Dr.h.c.FriedhelmBeyersdorf Weniger arbeiten – mehr erreichen 31 21 2 1 Stellvertretender Geschäftsführer beim MDK im Lande Bremen Dr. Gustav Krimphoff Am 28. Mai 2010 hat der Verwaltungsrat des M D K im Lande Bremen Dr. Gustav Krimphoff einstimmig zum stellvertretenden Geschäftsführer gewählt. Der 58-jährige Leitende Arzt des M D K im Lande Bremen nimmt vom 1. Juni an beide Funktionen in Personalunion wahr. Krimphoff begann seine berufliche Laufbahn bei der Polizei und studierte anschließend Humanmedizin in Hannover. Als Facharzt für Chirurgie war er in verschiedenen Kliniken in Bremen und umzu tätig. Zum M D K im Lande Bremen wechselte der begeisterte Motorradfahrer im April 1999, wo er zu Jahresbeginn die Funktion des Leitenden Arztes übernahm. Dr. Ottilie Randzio MDK Bayern: Neuausrichtung in der Unternehmensleitung Die stellvertretende Geschäftsführung des M D K Bayern geht in neue Hände über. Auf Vorschlag der Geschäftsführung bestellte der Verwaltungsrat des M D K Bayern am 16. April Dr. Ottilie Dr. Christian Alex m d k forum 2/10 10 Jahre gebündelte BeratungsKompetenz Die Kompetenz-Centren ( KC ) der M D K -Gemeinschaft und des G K V Spitzenverbandes feierten in diesem Frühjahr ihr 10-jähriges Bestehen. Im Jahr 2000 gründeten die damaligen G K V -Spitzenverbände und die M D K Gemeinschaft drei gemeinsame Kompetenz-Centren. Ziel war es, das Wissen und die Kompetenz der M D K -Gemeinschaft zu bündeln, um die Kranken- und Pflegekassen in Versorgungsstrukturfragen und in der medizinischen Systemberatung zu unterstützen. Außerdem wirken die KC in den Gremien der Selbstver waltung auf Bundesebene, insbesondere im Gemeinsamen Bundesausschuss, mit. Eingerichtet wurden zunächst drei KC für die Gebiete Onkologie, Psychiatrie / Psychotherapie und Qualitätssicherung / Qualitätsmanagement. Drei Jahre später ging ein weiteres Kompetenz-Centrum für den Bereich Geriatrie an den Start. Angesiedelt sind die organisatorisch eigenständigen KC jeweils bei einem M D K . www.mdk.de/330.htm. Randzio und Dr. Christian Alex zu stellvertretenden Geschäftsführern. Mit dieser Entscheidung wird der strategischen Ausrichtung Rechnung getragen, die fachliche Zuständigkeit in der Pflege- und Krankenversicherung gleichwertig zu positionieren. Dr. Randzio übernimmt die Leitung des Bereichs Pflege, Dr. Alex die Leitung der Sozialmedizin. Der bisherige stellvertretende Geschäftsführer Wolfgang Nafziger ist in Zukunft verantwortlich für den Bereich Unternehmenssteuerung / -planung. Prof. Dr. Jürgen Windeler aktuelles Prof. Jürgen Windeler zum neuen IQWiG-Chef gewählt Der langjährige Leitende Arzt und stellvertretende Geschäftsführer des M D S , Prof. Dr. Jürgen Windeler (53), wird neuer Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen ( I Q W i G ) in Köln. Das hat der Vorstand der Stiftung am 8. Juni einstimmig beschlossen. Er wird damit Nachfolger von Prof. Dr. Peter Sawicki, dessen Vertrag nicht verlängert worden war. Der Klinische Epidemiologe Windeler hat seit 1999 den Fachbereich Evidenz-basierte Medizin beim M D S aufgebaut und zu einem kompetenten Beratungszentrum gemacht. 2004 wurde er zum Leitenden Arzt und stellvertretenden Geschäftsführer gewählt. Neben den Arbeiten zur Bewertung therapeutischer und diagnostischer Verfahren hat er sich mit der Problematik Individueller Gesundheitsleistungen ( I G e L ) beschäftigt und war an der Erarbeitung der zweiten »Positivliste« für Arzneimittel beteiligt. Von 2005 bis 2007 hatte er den Vorsitz des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin ( D N E b M ) inne. Komplexe Abhängigkeiten machen psychisch krank Nach einer Übersichtsstudie der Bundespsychotherapeutenkammer ( B P t K ), die die Gesundheitsreporte der gesetzlichen Krankenkassen ausgewertet hat, gingen 2008 knapp 11 % aller Fehltage auf psychische Erkrankungen zurück. Seit 1990 haben sich diese Fehlzeiten fast verdoppelt. Psychische Erkrankungen treten laut der Studie gehäuft in Dienstleistungsbranchen auf und verursachen überdurchschnittlich lange Fehlzeiten in den Betrieben. Besonders häufig entwickeln Erwerbstätige psychische Erkrankungen bei der Kombination aus hohen Anforderungen und geringem Einfluss auf den Arbeitsprozess. www.bptk.de/presse/ pressemitteilungen m d k forum 2/10 2 gute frage InterviewmitDr.MichaeldeRidder Brauchen wir eine neue KulturdesSterbens? B e i s c h w e R s t e n u n h e i l B a R e n K ö R p e R - u n D G e h i R n s c h ä D e n mit moderner Hightech-Medizin weiter behandelt zu werden, ist für viele Menschen ein Schreckensszenario. Dennoch geschieht es am Lebensende vielfach und oft gegen den Willen von Betroffenen und Angehörigen. Was muss geschehen, um das Sterben in den Fokus ärztlichen Handelns zu holen? Über die Forderung nach einer ganzheitlichen Betrachtung von Leben und Sterben und eine neue Kultur des Sterbens sprachen wir mit dem Berliner Arzt und Autor Dr. med. Michael de Ridder. MDK Forum Herr Dr. de Ridder, was verstehen Sie unter einem Sterben in Würde und Selbstbestimmung? Dr. med. Michael de Ridder Sterben in Würde und Selbstbestimmung bedeutet, dass sich Wunsch und Wille des Patienten im Sterben weitestgehend erfüllen. Wie wollen wir sterben? Kaum jemand wird hierauf antworten: würdig. Ein friedliches Sterben ist es, was wir uns wünschen, frei von Angst, Schmerz und anderen quälenden Symptomen, im Einvernehmen mit uns selbst und unseren Nächsten. Das ist für mich zugleich auch würdiges Sterben. MDK Forum Steht der technische Fortschritt einem würdigen Sterben im Wege? de Ridder Keineswegs. Es geht nicht darum, den technischen Fortschritt selbst in der Medizin in frage zu stellen. Unzählige Menschen profitieren jeden Tag von der viel gescholtenen Intensiv und Apparate medizin! Es geht darum, wie, wann und mit welchem Ziel Ärzte diesen Fortschritt anwenden. Eine schon schwerstpflegebedürftige 88jährige Patientin mit Lungenentzündung zu beatmen ist fachlich wie ethisch mehr als fragwürdig; ein 40jähriges Unfallopfer mit Rippenserienfraktur nicht zu beatmen, wäre dagegen eine sträfliche Unterlassung. MDK Forum Fokussiert sich die ärztliche Ethik heute ausschließlich auf die Lebensrettung bzw. erhal tung und blendet das Sterben weit gehend aus? Haben Ärzte zu wenig ethische Entscheidungskompetenz? de Ridder Es gibt immer noch Ärzte, die ausnahmslos jeden Patienten so lange und so intensiv behandeln, bis auch die letzten Mittel versagt haben. »Wir tun alles, was wir können!« – ein bei termi naler Erkrankung regelhaft un ethisches, nicht selten gar sträfliches ärztliches Vorgehen, zumal dann, wenn es dem Patientenwillen widerspricht. Dem liegen mehrere Miss verständnisse zugrunde: Zum einen ist die Medizin nicht dazu da, das Sterben grundsätzlich zu verhin dern. Allein das vorzeitige Sterben und das quälende Sterben zu verhindern ist ihre Aufgabe. Darüber hinaus haben allzu viele Ärzte eine sehr einseitige Vorstellung von ihrem Auftrag: Es ist ein weitver breiteter Irrtum in der Ärzteschaft, ihren Auftrag allein darin zu sehen, Krankheiten zu heilen, Leben zu 3 gute frage m d k forum 2/10 erhalten und zu verlängern. Diesem heute so überaus offensiv verstan denen Teil des ärztlichen Auftrags steht, dem ethischen Range nach, der Auftrag – man könnte auch sagen: die Pflicht –, für einen »guten Tod« zu sorgen, in nichts nach. Dann nämlich, wenn sich die auf Lebens erhaltung und Heilung zielende ärztliche Behandlung erschöpft hat und als Behandlungsziel ein fried liches und würdiges Sterben ganz in den Vordergrund tritt. Hier fehlt es in der Tat vielen Ärzten an Entscheidungskompetenz. MDK Forum Wann ist eine Behand lung aussichtslos? de Ridder Generell dann, wenn sie nicht dem Patientenwohl dient. Dafür kann es verschiedene Ursachen – sagen wir Ebenen des »Aussichtslosen« – geben: Physio logisch aussichtslos beispielsweise ist der Versuch, einen Patienten im Zustand des septischen Schocks, also bei einer den Körper über bordenden Infektion nach einem Herzstillstand, wiederzubeleben, weil die physiologischen Voraus setzungen, das Therapieziel zu erreichen, fehlen. Quantitativ aussichtslos ist eine Behandlung, wenn anhand einer genügend großen Zahl von Fällen empirisch belegt ist, dass sie ihr Ziel nicht erreicht. Ist es gerechtfertigt, eine Behandlung, die in einem von einhundert Fällen erfolgreich ist, bei allen anderen 99 Patienten anzuwenden? Ich meine: nein. Denn gemäß dem obersten ärztlichen Prinzip »primum nil nocere« (zuallererst nicht schaden) darf ich nicht 99 Patienten schaden, um einem zu helfen. Eine solche Thera pie darf grundsätzlich und zu Recht als aussichtslos klassifiziert werden. Letztlich gibt es qualitativ aus sichtslose Behandlungen, die zwar rein körperliche Effekte auslösen können, aber zum Patientenwohl in dem Sinne nichts beitragen, als sie nicht mehr Teil eines ganzheit lichen Heilungs und Genesungs prozesses sind. In diesem Sinne ist beispielsweise die Wiederbelebung eines an fortgeschrittener amyo tropher Lateralsklerose leidenden Kranken aussichtslos. MDK Forum Seit einem Jahr haben wir eine klare gesetzliche Regelung zur Patientenverfügung. Danach sind schriftliche Patientenverfügun gen für Ärzte und Angehörige verbindlich, unabhängig vom Krankheitsstadium. Ist damit der Rahmen für das Individuum geschaffen, die eigenen Vorstellungen vom Sterben auch durchzusetzen? de Ridder Sehr weitgehend. Die Patientenverfügung muss allerdings so abgefasst sein, dass sie die aktuelle Situation zutreffend beschreibt, damit der Arzt auch gemäß dem Willen des Patienten verfahren kann. Dies setzt etwas Wichtiges voraus: Vor Abfassung einer Patientenverfügung sollte zwischen Arzt und Patient ein eingehendes Gespräch stattgefunden haben, um Formulierungsunschärfen und Fehlentscheidungen aus Unkenntnis zu vermeiden, die sich dann zum Nachteil des Sterbenden auswirken können. Mit seiner Patientenverfügung kann der Ver fasser seine Ärzte am Lebensende in gewisser Weise »zwingen«, ihm das Sterben erleichternde, palliativme dizinische Behandlungen und nicht ungewollte Lebensverlängerung angedeihen zu lassen. Andererseits gilt für den Patienten, dass er vom Arzt niemals – auch bei terminaler Erkrankung nicht – Maßnahmen oder Behandlungen verlangen kann, Dr.MichaeldeRidder für die es keine Indikation gibt. MDK Forum Brauchen wir (gesetz liche) Regelungen, um sinnlose Behandlungen zu vermeiden und am Lebensende selbst bestimmen zu können? de Ridder Weitere gesetzliche Regelungen sind nicht erforderlich. Jede Behandlung eines einsichts fähigen Patienten beruht auf zwei Säulen: zum einen der ärztlichen Indikation; zum anderen der Zustim mung des Patienten, die er immer verweigern kann. (Das heißt, er kann und darf auch gegen die medizini sche Rationalität entscheiden, selbst wenn dies seinen Tod zur Folge hat.) Nicht Gesetze helfen wei ter, sondern allein Wissen und eine veränderte Haltung dem Sterben gegenüber, besonders aufseiten des Arztes: Seine Frage darf nicht lauten: »Wann darf ich aufhören?«, sondern: »Darf ich noch weitermachen?« Ist das, was gestern noch zum Wohl meines Patienten war, auch heute noch zu seinem Wohl, und – ganz wichtig – ist es auch heute noch von seinem Willen gedeckt?« Dies bedeutet einen grundlegenden Perspektivwechsel im ärztlichen Denken, den zu vollziehen die Ärzteschaft im Sinne des Patienten wohls bejahen sollte. Die Fragen stellte Christiane Grote titelthem a: P ost tr aum atis che bel a stungsstörung m d k forum 2/10 Posttraumatische Belastungsstörung Von der Katastrophe verfolgt B e i D e n a n s c h l ä G e n von New York, Washington, Madrid und London kamen mehr als 3000 Menschen ums Leben. Auch bei dem Amoklauf in Winnenden oder dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs fanden Menschen den Tod. Zu den Opfern müssen auch diejenigen gezählt werden, die vor Ort Grauenhaftes erlebt haben. Das Risiko, im Laufe des Lebens am sogenannten posttraumatischen Belastungssyndrom (PTBS) zu erkranken, liegt nach internationalen Studien bei zwei bis sieben Prozent, kann aber bei Rettungskräften, Ärzten, Polizisten oder Soldaten auf über 50 % ansteigen. Welche Auswirkungen haben Terror, Gewalttaten und Na turkatastrophen auf Menschen? Wie verarbeiten sie das Erlebte und wie kann ihnen dabei geholfen werden? Seit die ptbs 1980 als offizielle Diagnose in die psychiatrische Nomenklatur Eingang fand, hat sich die Zahl der wissen schaftlichen Untersuchungen zu dem Thema, wie Men schen auf überwältigende Geschehnisse reagieren, ver vielfacht. So facettenreich wie die Ursachen tiefgreifen der seelischer Verletzungen sind auch die Arten von Hilfe, die der Einzelne nach Katastrophen benötigt. Denn wel che langfristigen seelischen Narben bei Betroffenen zu rückbleiben, ist individuell unterschiedlich und hängt auch von der Art des traumatischen Ereignisses ab. So liegt die Rate der an ptbs Erkrankten bei Verkehrsunfäl len etwa bei 15 %, bei Gewaltopfern bei einem Viertel. Von den Opfern von Vergewaltigung, Krieg oder Vertreibung sind jeweils die Hälfte betroffen. Deshalb fängt die Arbeit der Psychotraumatologie mit der Erkennung des Trauma risikos der Opfer und der richtigen Einschätzung an, zu welchem Zeitpunkt welche Hilfe benötigt wird. Was tun, wenn wir nichts mehr tun können? Bei der Untersuchung der Auswirkungen von psychischer Traumatisierung auf die Entstehung und den Verlauf von Krankheiten, psychische und psychosomatische Störun gen oder Verhaltensauffälligkeiten spielt die subjektive Dimension des Erlebens eine entscheidende Rolle. Ein psychisches Trauma ist als ein Diskrepanzerlebnis zwi schen bedrohlichen Situations Trauma: Diskrepanzerlebnis faktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten zu zwischen Bedrohung und Bewältigungsmöglichkeiten verstehen. Heiner B. ist Entfüh rungsopfer. Als es ihm in den Händen seiner Peiniger nicht möglich war, zu kämpfen oder zu fliehen, fühlte er sich völlig hilflos: »Ich konnte nichts tun, diese Ohnmacht hat mich fast wahnsinnig werden lassen!« Angst und Stress alleine rufen keine trau matische Wirkung hervor, sondern das Fehlen von Hand lungsmöglichkeiten, die der Mensch instinktiv umsetzen möchte. »Wenn wir nichts tun können, muss das Trauma als unterbrochene Handlung verstanden werden. Das Ver hältnis von subjektiven und objektiven Situationsfaktoren, wenn also Bewältigungsmöglichkeiten fehlen, wirkt trau matisierend«, bestätigt Prof. Gottfried Fischer vom Deut schen Institut für Psychotraumatologie. Fischer hat das erste deutschsprachige Lehrbuch für Psychotraumatolo gie veröffentlicht und umfangreiche Forschungsprojekte durchgeführt. Er vertritt den so genannten psychodynamisch Das subjektive Erleben behavioralen Ansatz. Mit seinem spielt eine entscheidende Institut betreut er seit vielen Jah Rolle ren Opfer von belastenden Le benserfahrungen – zuletzt beim Einsturz des Kölner Stadt archivs. »Ich habe das wie in einem unwirklichen Film erlebt«, beschreibt Heiner B. die traumatische Situation. Kommt es nach dieser psychotraumatischen Abwehr (dissoziati ven Phänomenen) nicht zu einer ausreichenden Erho lung, sondern zum traumatischen Prozess, bestehen psy chische Belastungen vor allem im Zusammenhang mit Situationen weiter, die mit dem Trauma in Verbindung stehen – Schrecken und Terror der posttraumatischen Belastungsstörung reichen bis in die neuronalen Gehirn strukturen hinein und bilden ein nur schwer löschbares »molekulares Angstgedächtnis«. Das Trauma entwickelt sich »Als ich von den auf mir liegenden Trümmern befreit wur de, dachte ich nur: Gott sei Dank, es ist vorbei«, erinnert sich Kathy W. an ihre Rettung am 11. September 2001 vor dem World Trade Center. Doch der Erleichterung folgte die Erfahrung, dass ein psychisches Trauma ein prozess hafter Vorgang ist, der sich weit über das Ereignis hinaus erstreckt. »In der ersten Phase, bis zu 72 Stunden nach dem Ereignis, lässt sich die Schwere der traumatischen Situation über die objektiven Faktoren (Dauer, Verletzung, Todesgefahr etc.) sowie über reale, potenzielle oder fanta sierte subjektive Bewältigungsmöglichkeiten (Flucht, Todesangst, Ausmaß der Dissoziation) bestimmen«, er klärt der Psychotraumatologe Gottfried Fischer. Zwei oder mehr Wochen nach dem Ereignis beginnt die Phase der traumatischen Reaktion. Hier treten die klassischen Kernsymptome einer ptbs auf: 1. Intrusionen (Flashbacks): Immer wiederkehrende, sich von allein aufdrängende Sinneseindrücke wie Bilder, Erinnerungen und Albträume; 2. Starkes Vermeidungsverhalten: Gefühle, Situationen, 5 6 m d k forum 2/10 titelthem a: P ost tr aum atis che bel a stungsstörung Erinnerungen oder der Kontakt mit Personen werden vermieden. Es kommt zu einer sog. Affektverflachung, die sich bis zur Gefühllosigkeit ausweiten kann (Num bing); 3. Übererregbarkeit (Hyperarousal): Schlafstörungen, übermäßige Wachsam, Schreckhaftig und Reizbarkeit. »Diese Symptome stellen erste Kompensationsversuche dar, die unterbrochene Handlung zu vollenden. Dabei ist ein ständiger Wechsel von Flashbacks, die die traumati sche Situation einer Bearbeitung zuführen wollen, und Vermeidung der damit assoziierten unerträglichen Ge fühle zu beobachten. Die ständige Übererregung kann ein Versuch sein, sich gegen neuerliche Traumatisierungen rüsten zu wollen«, macht Fischer deutlich. Diese Versu che, so der Experte, müssten zwar als grundsätzlich sinn voll und notwendig angesehen werden, doch schränkten sie das Leben der Betroffenen erheblich ein und könnten sich, wenn sie unbehandelt bleiben, in einer Traumafol gestörung manifestieren. es zum Vollbild einer posttraumatischen Belastungsstö rung. Missglückte Bewältigungsversuche der verwundeten Seele können jedoch zu einer Vielzahl psychischer Stö rungen führen. So münden anhaltende Versuche, Flash backs zu dämpfen, häufig in Suchterkrankungen, anhal tendes Vermeidungsverhalten kann zu Depressionen führen, während Übererregung als andauernde physio PTBS als Folge des Nicht-Verarbeitens Wie der Körper, so verfügt auch die Seele über Selbsthei lungsmechanismen, die eine Bewältigung der trauma tischen Erfahrung ermöglichen. Von einer Vielzahl von Faktoren hängt ab, wie der Prozess der Traumatisierung verläuft: Biografische Faktoren wie frühere Traumati sierungen, Partnerschaftsprobleme oder Arbeitslosigkeit spielen eine Rolle. Auch die objek tiven Faktoren der traumatischen Prozess der Traumatisierung Situation – Dauer, Verletzung, To hängt von vielen Faktoren ab desgefahr u. a. – sowie potenzielle oder fantasierte subjektive Bewältigungsmöglichkeiten haben Einfluss auf den Verlauf. Erst wenn es nach einer angemessenen Verarbeitungszeit nicht gelungen ist, die traumatische Erfahrung zu integrieren, spricht man von einem traumatischen Prozess. Reaktionsformen, die der anfänglichen Bewältigung dienen, bleiben weiter beste hen, ohne dass es gelingt, sie zu verarbeiten oder mit der traumatischen Erfahrung zu leben. Entsprechend kommt Psychotraumatologische Psychotherapie In einer psychotraumatologischen Psychotherapie ist es wichtig, die Betroffenen erst einmal zur Ruhe kommen zu lassen und dazu anzuleiten, sich selbst zu beruhigen. Werden sie direkt mit ihrer traumatischen Erfahrung konfrontiert, ohne stabilisierende Maßnahmen vorzuschalten, besteht ein erhöhtes Risiko für erneute Labilisierung und evtl. auch der Retraumatisierung. Zudem weisen reine »Konfrontations therapien« eine erhöhte Abbruchrate auf. Das Deutsche Institut für Psychotraumatologie vermittelt den Patienten in seinem therapeutischen Vorgehen zunächst Sicherheit und ermöglicht ihnen, die sich aufdrängenden Erinnerungen an die traumatische Erfahrung unter Kontrolle zu bringen. Erst wenn sie sich stark genug dazu fühlen, begleitet der Therapeut sie erneut durch die traumatische Erfahrung, wobei Art und Grad der Wiederannäherung an das Trauma von Therapeut und Patient gemeinsam bestimmt werden. logische Kampfbereitschaft zu psychosomatischen Be schwerden führt. Die Folgen von belastenden Lebens erfahrungen lassen sich somit nicht auf die ptbs reduzie ren. Wer braucht wann welche Hilfe? Experten sind sich einig, dass es notwendig ist, frühzei tig psychosoziale Notfallversorgung anzubieten. Welches Opfer wann welche Hilfe benötigt, kann etwa durch ein so genanntes Risikoscreening mit dem Kölner Risikoindex ermittelt werden. Entsprechend der Situation (Gewalt, Unfall, Terror) bestimmen Experten das Risikoprofil der Opfer: »Während Selbstheiler neben psychoedukativen Maßnahmen nur ein weiteres Monitoring benötigen, sind bei der Risikogruppe bereits so früh wie möglich beraten de und therapeutische Maßnahmen zur Unterstützung des Selbstheilungsprozesses notwendig. Die Wechsler gruppe bedarf wieder anderer, spezifischer Interventions maßnahmen. Gerade auch bei Katastrophen mit einer hohen Opferanzahl hat sich die zielgruppenorientierte Intervention (zgi) als optimales Mittel der sekundären Prävention bewährt«, betont Gottfried Fischer. Traumatische Erfahrungen können oft über viele Jahre kompensiert werden, dann aber durch ein vergleichsweise unerhebliches Ereignis eine Reaktualisierung erfahren. Dazu kommt es, wenn erneut eine Erfahrung gemacht wird, die mit dem nicht integrierten Trauma in Zusam menhang steht, oder wenn die bisherigen Kompensati onsmechanismen wegbrechen – es kommt zu einer Re Aktualisierung. Dann hilft vielfach nur noch eine spezifi sche psychotraumatologische Psychotherapie. Dipl.-Psych. Georg Grittner,Lehrbeauftragter am Institut für Klinische Psychologie und Psychologische Diagnostik (IKPPD) der Universität zu Köln. [email protected] titelthem a: P ost tr aum atis che bel a stungsstörung m d k forum 2/10 7 »Beim Nächsten fahre ich weiter …« Die Angst des Lokführers vor Selbstmördern N a c h d e r B a h N B e t r i e B s u N f a l l s t a t i s t i k nehmen sich jedes Jahr mehr als 1000 Menschen das Leben auf der Schiene – auch wenn Prominente unter ihnen wie Torhüter Robert Enke im November letzten Jahres die Ausnahme sind. Statistisch gesehen überfährt jeder Lokführer während seines Berufslebens zwei bis drei Menschen. Jeder zweite Zugführer leidet anschließend unter Panik- und Angstattacken: Anzeichen von posttraumatischen Belastungsstörungen. Horst R. ist seit über 30 Jahren Lokführer und liegt mit drei Selbstmördern schon leicht über der Statistik. »Der erste war vor 13 Jahren und er war der schlimmste«, sagt R. »Es war auf der Strecke zwischen Braunschweig und Han nover an einem sonnigen Tag im September. Seine Arme verschränkte der Mann lässig vor seinem Oberkörper. Er sah mich in meiner Lok und ich sah ihn.« Nachdem R. ein Pfeifsignal abgegeben und eine Vollbremsung eingeleitet hatte, passierte es: ein dumpfer Aufprall und ein Rum peln unter dem 500 t schweren Zug. Bis zu diesem Tag hatte R. gedacht, dass er so etwas in seinem Berufsleben nicht erleben müsste. R. klet terte aus seiner ELok und lief Der Anblick hat sich fest in den Zug entlang. »Zuerst habe seinen Kopf gebrannt ich das zerfetzte Fleisch gero chen. Das stinkt fürchterlich.« R. hat seitdem den Geruch nie wieder richtig aus der Nase bekommen. Der Anblick hat sich fest in seinen Kopf gebrannt. Es vergeht kein Tag, an dem R. nicht irgendwann daran denken muss. Die Auslöser für diese Erinnerung kann sich R. gar nicht er klären. »In den schönsten Momenten, sogar im Urlaub mit meiner Familie, selbst bei romantischen Abenden mit meiner Frau – es kommt immer wieder.« zu nehmen, ist gemäß der DenisStudie für viele Fahrer zu hoch. Sie suchen eher Hilfe bei ihrem Hausarzt. Horst R’s Wunsch war es, zunächst die Unfallstrecke eine Zeit lang nicht mehr zu fahren. Von der Betriebslei tung hieß es lapidar: »Kollege, wir nehmen dich zum Fahrplanwechsel aus dieser Tour.« Doch der Planwechsel war erst in drei Monaten. »Selbstmörder Nummer zwei«, wie ihn R. bezeichnet, schmiss sich in der Nacht vor seine Räder. »Ich habe ihn nicht gesehen, sondern hörte nur das Rumpeln. Das Geräusch kannte ich ja schon.« Den letzten Selbstmörder hatte R. vor vier Jahren. Auch wieder in der Nacht. »Dies mal war ich schlauer«, schildert R. die Situation. »Ich bin nicht mehr aus der Lok gestiegen und habe nur die Be triebsleitung informiert. So bleiben mir der Anblick und der Geruch erspart. Beim nächsten Selbstmörder in der Nacht fahre ich einfach weiter«, hat sich R. überlegt. Das ist zwar gegen die Vorschriften, aber es könnte ja auch ein Reh gewesen sein. Selbstmord auf der Schiene Hohe Hemmschwelle für psychotherapeutische Hilfe Fast ein Fünftel der Lokführer entwickelt nach einem Vor fall Wut und Ärger gegenüber dem Selbstmörder, besagt eine Studie von DiplomPsychologin Dr. Doris Denis aus dem Jahr 2004. R. gehört zu diesem Fünftel. »Eigentlich bin ich das Opfer«, sagt er. »Wer hat nach dem Suizid von Torwart Enke den Lokführer bedauert?« Hilfe fand der jetzt 54Jährige vor allem bei seiner Fa milie. Für die meisten sind Familie, Freunde und Kollegen die wichtigste emotionale Stütze, sagt Denis. Die psycho logische Betreuung der Bahn ist seit vielen Jahren zwar or ganisiert‚ »aber richtig helfen können die mir auch nicht«, meint R. Doch gerade von den betriebsinternen Betreuern hänge es ab, ob sich jemand für eine TraumaTherapie entscheidet, so die Studie. Die Hemmschwelle, direkt psy chiatrische oder psychotherapeutische Hilfe in Anspruch Martin Dutschek, LeiterUnternehmenskommunikationbeim MDKNiedersachsen. [email protected] Im Jahr 1997 befragte ein Forscherteam der LotteKöhler Stiftung München über 400 Lokführer zu posttraumatischen Belastungsstörungen ( P T B S ) nach Unfällen mit Personenschä den. Etwa 8 % der Fahrer wiesen das Vollbild einer P T B S auf. Weitere 23 % subsyndromale Störungen. 34 % der Betroffenen nahmen keine Behandlung in Anspruch, 56 % gingen zum Hausarzt, 31 % zum Bahnarzt und 4 % zu Psychotherapeuten. Die Deutsche Bahn hält ein gestuftes System zur Betreuung der Lokführer bereit. Betroffene können sich u. a. an Vertrau ensleute wenden und dann den bahnärztlichen Dienst aufsuchen, der dann die Weichen für die weitere Behandlung stellt. Wer aber nur weiterarbeiten will, kann dies auch tun. Stadtbahnfahrer bei der Ü S T R A in Hannover werden die ersten Tage aus dem Betrieb genommen. Zwischen 5 und 25 Sitzun gen sind nötig, bis die Fahrer ihre Erlebnisse einigermaßen verarbeitet haben, sagt Betriebsarzt Ludger Steltenkamp. Der Wunsch, ggf. nicht mehr auf der Unfallstrecke zu fahren, wird berücksichtigt. 8 titelthem a: P ost tr aum atis che bel a stungsstörung m d k forum 2/10 Eine normale Reaktion auf ein unnormales Ereignis D i e M e h r h e i t D e r A l l g e M e i n b e v ö l k e r u n g erlebt irgendwann im Leben ein traumatisches Ereignis. Dennoch sind in Deutschland nur ein bis drei Prozent von einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) betroffen. Traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie und EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) sind die Behandlungsverfahren der Wahl. Umstritten bleiben sogenannte Frühinterventionen, die auch als Debriefing bekannt sind. In Deutschland werden Lebenszeitprävalenzen der posttraumatischen Belastungsstörung (ptbs) bei Frauen von 2 bis 3 % und bei Männern von 0,4 bis 2 % berichtet. Nach außergewöhnlichen Ereignissen (z. B. terroristischen Anschlägen, Bürgerkrieg) oder in beruflichen Risikogruppen (z. B. Rettungspersonal, Polizei, Bundeswehr) kann die Häufigkeit der ptbs und anderer psychischer Folgestörungen erheblich höher liegen. Durch Menschen beabsichtigte Ereignisse (z. B. Vergewaltigung, Banküberfall) gelten als pathogener im Vergleich zu Ereignissen, die durch die Natur und Technik verursacht wurden (z. B. Erdbeben, Motorschaden). Unterschieden werden zudem Traumatypen: Ereignisse (z. B. Verkehrs- und Arbeitsunfall) mit vergleichsweise kurzer Dauer (Traumatyp i) werden von einer länger andauernden Phase traumatischer Einzelereignisse (Traumatyp ii) unterschieden (z. B. Geiselnahme, wiederholter Missbrauch in der Kindheit). Frauen bilden eher eine posttraumatische Symptomatik aus als Männer. Als weitere stabile Risikofaktoren für die Entwicklung einer ptbs haben sich neben vorher bestehenden psychischen Störungen und dem Erleben während des Ereignisses (z. B. Panik, Dissoziation, Demütigung) das soziale Netzwerk der Betroffenen und die finanzielle Absicherung herausgestellt. Nicht jeder braucht eine Notfallversorgung! Die Mehrheit der Bevölkerung schafft es, sich nach einem traumatischen Ereignis selbst zu regulieren – ohne professionelle Hilfe. Entsprechend gehen die meisten Betroffenen davon aus, dass sie keiner psychologischen Unterstützung bedürfen. Sie beurteilen schriftliche Informationen in leicht verständlicher Form über typische Erlebnisprozesse, Bewältigungsstrategien und Betreuungsangebote jedoch als sehr hilfreich. Die Psychotherapeutenkammer Niedersachsen hat in Kooperation mit dem National Center for Post-traumatic Stress Disorder und dem National Child Traumatic Stress Network Materialien im Internet zugänglich gemacht (www.pk-nds.de), die in verschiedenen Sprachen Hinweise für Betroffene, Zeugen, Eltern von Kindern verschiedenen Alters, Ärzte und professionelle Helfer geben. Insbesondere die Mate- rialien für Eltern sind bei traumatischen Ereignissen vielfach in Deutschland eingesetzt worden. Neben der medizinischen (Erst-)Versorgung wurde der psychosoziale Aspekt eines Unfalls, eines Hausbrandes oder gar einer Großschadens- und Katastrophenlage lange Zeit vernachlässigt. Unter der Leitung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (bbk) werden gegenwärtig Qualitätsstandards und ein bundesweites, schnell abrufbares Netzwerk zur Organisation der psychosozialen Notfallversorgung errichtet. Frühinterventionen: Reden hilft nicht immer! Bei der Versorgung vor Ort oder kurz nach dem Ereignis werden auch sogenannte Frühinterventionen von psychosozialen Fachkräften (z. B. Notfallseelsorgern, Kriseninterventionsteams) angewendet. Insbesondere das Critical Incident Stress Debriefing (cisd) oder das Psychological Debriefing, was für professionelle Helfer (z. B. Rettungskräfte, Feuerwehr, Bundeswehr) zur Prävention der ptbs entwickelt wurde, haben in der Vergangenheit zu einer öffentlichen Debatte geführt. Leider wurde die Gruppenintervention des cisd in der Praxis auch mit Betroffenen der Allgemeinbevölkerung – inklusive mit Jugendlichen und teilweise verpflichtend – durchgeführt. Anregungen während eines Kurzgespräches – Eine normale Reaktion auf ein unnormales Ereignis; die Symptomatik zeigt an, dass das Gehirn die vielen Eindrücke jetzt nachträglich verarbeitet! – Alles, was bisher Freude gemacht hat, sollte wieder aufgenommen werden! – Betroffene sollten sich mit Menschen treffen, die ihnen guttun – nicht: die Gutes tun wollen! – Gut tun auch regelmäßiger Schlaf (trotz Albträumen und nächtlicher Panikattacken), ausgewogene Ernährung (trotz Appetitlosigkeit und unangenehmer Gefühle) und tägliche sportliche Betätigung (trotz Antriebslosigkeit und Grübeln)! – Betroffene sollten sich in Geduld mit sich selbst üben! 9 titelthem a: P ost tr aum atis che bel a stungsstörung m d k forum 2/10 Wissenschaftlich muss darauf hingewiesen werden, dass zwar die überwiegende Zahl der Studienteilnehmer mit der Intervention zufrieden war, keine der zahlreichen Studien allerdings die Wirksamkeit hinsichtlich der posttraumatischen Symptomatik zeigen konnte. Außerdem gibt es immer wieder Hinweise, dass bei Personen mit einer hohen Ausprägung der posttraumatischen Symptomatik langfristig Frühinterventionen sogar zur Aufrechterhaltung der Beschwerden beitragen. Für Betroffene der Allgemeinbevölkerung sollten in Kurzgesprächen wenige Tage nach dem Ereignis nur knappe Informationen zur posttraumatischen Symptomatik gegeben werden; ein Fokus auf belastende Gefühle und Gedanken sollte unterbleiben. Zur Unterstützung der hirnphysiologischen Prozesse können weitere Anregungen zur Tagesstruktur dienen. Traumafokussierte Psychotherapie – was wirklich hilft! Erst wenn die Beschwerden auf hohem Niveau über zwei Wochen bestehen bleiben, ist eine traumafokussierte Psychotherapie indiziert, die bei einer geringen Anzahl an Risikofaktoren und der Bereitschaft, sich den traumaassoziierten Gefühlen und Gedanken zu stellen, schnell zu einer Linderung bzw. auch Heilung führen kann. International anerkannte Behandlungsleitlinien zur ptbs empfehlen Methoden der traumafokussierten kognitiven Verhaltenstherapie (tf-kvt) und die Methode Eye Movement Desensitization and Reprocessing (emdr). Nach einer ausführlichen Informationsvermittlung und psychologischen Diagnostik werden in beiden Verfahren Betroffene mit traumaassoziierten Gefühlen und Gedanken konfrontiert, um die Verarbeitung zu beschleunigen und traumatische Erinnerungen in das »gesunde« Gedächtnis zu überführen. Über mehrere Sitzungen hinweg wird der Betroffene angeleitet, eigene Interpretationen des Geschehens zu überprüfen und hilfreiche Gedanken zu integrieren. Um die Vermeidungsreaktionen systematisch abzubauen, sollten bei beiden Verfahren traumaassoziierte Situationen, Orte oder Gegenstände mit dem Therapeuten aufgesucht werden. Nach und nach erhalten so die Erlebnisse eine neue Bewertung, die es den Betroffenen ermöglicht, ein Leben nach dem traumatischen Ereignis wieder aufzunehmen. Im Therapieverlauf sollten Angehörige, Freunde oder ggf. auch Kollegen einbezogen werden, um Hinweise für den Umgang mit der Sympto- matik geben zu können bzw. den Behandlungsverlauf aktiv zu unterstützen. Psychopharmakologische Behandlung als zusätzliche Unterstützung Die Gabe von Antidepressiva kann die psychotherapeutische Behandlung unterstützen. Dagegen muss von einem dauerhaften Einsatz der Benzodiazepine abgeraten werden: Es besteht nicht nur ein hohes Abhängigkeitspotenzial bei Angststörungen, sondern eine traumafokussierte Psychotherapie als Verfahren erster Wahl ist unter Benzodiazepinen kontraindiziert. Schlussfolgerung Multiplikatoren (u. a. von Krankenkassen, Versicherungen, berufsspezifische Risikogruppen, psychosoziale Fachkräfte) sollten ein Netzwerk mit psychotraumatologisch qualifizierten, heilkundlich tätigen Psychotherapeuten bilden, um eine Versorgung schnell und kostengünstig zu gewährleisten. Selbstverständlich sollten der Einbezug von Angehörigen bzw. Freunden sowie Behandlungssitzungen außerhalb der Therapieräume bewilligt werden. International empfohlene traumafokussierte Psychotherapieverfahren (tf-kvt, emdr) sollten in Deutschland eine weite Verbreitung finden, kommen aber nach einer exemplarischen Umfrage in Niedersachsen noch nicht ausreichend zum Einsatz. Zusätzliche Fortbildungen und die Nutzung von zusammengetragenem Expertenwissen in internationalen Behandlungsleitlinien sollten zukünftig die Wirksamkeit der Therapie erhöhen. Frühinterventionen sollten mit Blick auf die potenziellen Schäden für hoch belastete Betroffene nur von Ausgebildeten für professionelle Helfer durchgeführt werden. Für Personen der Allgemeinbevölkerung werden Kurzgespräche mit anschließender Beobachtungsphase von mindestens zwei Wochen favorisiert, um die Selbstregulation der Betroffenen nicht zu stören. Dr. Christoph Kröger, Dipl.-Psych., Institut für Psychologie / Psychotherapieambulanz der Technischen Universität Braunschweig. [email protected] 10 titelthem a: P ost tr aum atis che bel a stungsstörung m d k forum 2/10 Der Traum vom Helfen O B R e t t u n G s K R ä F t e , Feuerwehrleute, Notfallmediziner oder Notfallseelsorger: In Katastrophenfällen stehen sie Opfern und Angehörigen zur Seite und helfen. Mit Schicksalen anderer Menschen konfrontiert zu werden hinterlässt Spuren. Wie verarbeiten die Helfer selbst diese extremen Belastungssituationen? Wer hilft denjenigen, die helfen? Für die Helfer hat die Unterstützung der Opfer erste Prio rität. Dabei besteht jedoch die Gefahr, dass die Helfer selbst nicht immer ihre eigenen Grenzen in den Belas tungssituationen bemerken und spüren. Dies führt dann oft zu Symptomen, die denen der Opfer beziehungsweise der »primär« Traumatisierten ähnlich sind. Die Medizin nennt das die sogenannte sekundäre Traumatisierung, auch als posttraumatisches Belastungssyndrom bekannt. Sie wird sowohl von den Betroffenen, den Helfern selbst, als auch von der Gesellschaft nicht hinreichend erkannt. Viel zu selten wird bewusst gemacht, dass die psychischen »Aufnahmekapazitäten« der einschlägigen Berufsgruppen begrenzt sind. definiert: lkws und das Einsatzteam ohne Risiko durch die schwierige, teils unwegsame Infrastruktur zu bringen. Der Hilfsgütertransport aus Deutschland war gleichzeitig der Transfer für das neue Einsatzteam. Auf die Helfer war tete ein Flüchtlingslager mit einer Vor Ort sieht die Welt Krankenstation, die rund 120 Bet ten umfasste. Auf der Fahrt nach plötzlich ganz anders aus Mazedonien war dem Einsatz team bewusst, welche Belastungssituationen möglicher weise ab jetzt zum Alltag gehören: Zerstörung, Flucht, schwere physische und psychische Verletzungen. Täglich, egal ob Tag oder Nacht. Den Kontakt halten Helfen mit einer Prise Abenteuer Eine Frau um die 30 Jahre öffnet die Tür. Zwei kleine Kin der stehen neben ihr, halten sich noch etwas schüchtern an den Beinen der Mutter fest. Elke Mauren hat vier inter nationale Einsätze als Rettungskraft in Krisengebieten mitgemacht. »Damals war ich als Rettungsassistentin tä tig, als ich eine Anzeige am Aushang meiner Leitstelle ge lesen habe«, berichtet die junge Mutter. Gesucht wurden Rettungskräfte für ein Flüchtlingslager in Mazedonien. Ein Einsatz für freiwillige Helfer, begrenzt auf zehn Wo chen. »Klar habe ich erst mal schlucken müssen beim Gedanken, in ein Krisengebiet zu reisen, aus dem täglich Anschläge, Vertreibung und Tote in den Medien gemeldet werden. Das war 1998, damals tobte der Bürgerkrieg in Jugoslawien, dem ehemaligen Urlaubsland der Eltern.« Durch den Aushang wurde der Traum von der zweifachen Mutter wieder aktiv, den sie Helfer kennen ihre eigenen schon als junges Mädchen hatte: fremde Länder sehen und dabei Grenzen oft nicht eine Arbeit verrichten, die an deren hilft. »Es war eine Mischung aus Helfersyndrom mit einer Prise Abenteuerdrang, die mich zu meinen vier Aus landseinsätzen führte«, erzählt Elke Mauren, während sie für ihre Kinder das Mittagessen zubereitet. In ständiger Gefahr Die Angst war plötzlich da, als wir den Hilfsgütertransport durch das Krisengebiet steuerten. Klar hatte man sich vorab informiert und Extremsituationen durchgespielt. Aber dann vor Ort, dann war die Realität doch anders, als man sich das vorgestellt hat. Ab diesem Zeitpunkt war die Angst unser ständiger Begleiter. »Sie machte uns wach, sie machte uns vorsichtig und sie regte uns an, immer unser Bestes zu tun«, erzählt Elke Mauren von ihrem zweiten Einsatz. Der Auftrag unserer Hilfsorganisation war genau »Manchmal möchte man nur noch schlafen, das hilft, um das Erlebte zu verkraften«, berichtet die ehemalige Rettungs assistentin. Den Kontakt zur Familie, zu Freunden und zu Arbeitskollegen zu Hause über EMails oder Satellitente lefon zu halten war auch eine Überlebensstrategie für viele Helfer, um die täglich einströmenden Ereignisse zu verarbeiten. Gleichzeitig wächst der Zusammenhalt zwi schen den Helfern vor Ort. Diese Bindung wird sehr eng, fast schon familiär, man hilft sich gegenseitig, um mit der außergewöhnlichen Situation und den täglich neuen Erleb nissen zurechtzukommen. »Das hält oft ein Leben lang«, fügt Elke Mauren hinzu. Das dokumentieren auch die Bil der, die sie mittlerweile aus ihrem Fotokarton herausge zogen hat, und die sie als junge Rettungsassistentin zeigen. Vorbereitung ist alles »Beim ersten Einsatz gab es keine Vorbereitung durch die Organisation, da habe ich mich selbst über das Land und die Situation informiert. Beim zweiten Einsatz gab es eine dreistündige Einweisung in Kultur, politische Lage sowie klare Verhaltensregeln«, erzählt Elke Mauren weiter. Mitt 11 titelthem a: P ost tr aum atis che bel a stungsstörung m d k forum 2/10 lerweile haben viele Organisationen dazugelernt und bieten den Helfern vorab Trainingseinheiten für ris kante Situationen in Krisengebieten an. Ebenfalls gibt es jetzt auch bei den NonGovernmental Organizations (ngos) während des Einsatzes und danach psychologi sche oder seelsorgerische Betreuung. Viele Hilfsorgani sationen wählen ihre Helfer sehr genau aus. Im Fokus stehen neben Bewerbungsbögen und psychologischen Tests auch persönliche Gespräche. Allerdings ist dies von Organisation zu Organisation verschieden. Ohne persön liche und professionelle Vorbereitung kann der Einsatz im Krisengebiet oft ins Gegenteil schlagen und seelische Folgen haben. Nachsorge ist essenziell Das Telefon klingelt. Der Ehemann erkundigt sich nach dem Wohlbefinden. Elke Mauren erwartet ihr drittes Kind. Sie sagt, »ich habe sicherlich großes Glück, ich habe einen verständnisvollen Partner an meiner Seite. Dies ist ent scheidend, wenn man zurückkommt und keiner die Er fahrungen mit einem teilen kann. Nur wer einen Hilfs einsatz erlebt hat, versteht, was in einem vorgeht und wo rüber man gerade spricht oder nicht sprechen kann«, er zählt sie weiter. Da können Lebenspartner, die Familie oder Freunde oft nicht weiterhelfen beim Umschalten zur alten Tagesordnung. Neben einer guten Vorbereitung sei daher auch die psy chologische Betreuung nach Hilfseinsätzen von großer Bedeutung, denn »allein das Miterleben menschlichen Leidens kann bei Helfern psychische Reaktionen hervor rufen, als seien sie selbst betroffen«, sagt Dr. Dirk Winde muth, Arbeitspsychologe am Berufsgenossenschaftlichen Institut Arbeit und Gesundheit in Dresden. Als Folge könne eine posttraumatische Belastungsstö rung auftreten, verbunden mit Schlafstörungen und so genannten Flashbacks. »Dabei erlebt der Betroffene die auslösende Situation immer wieder. Er erinnert sich nicht nur einfach, sondern zeigt auch dieselben körperlichen Reaktionen.« Windemuth geht davon aus, dass 25 % aller Fälle ohne psychosoziale Unterstützung chronische Schä den davontragen können. Die ngos haben mittlerweile Fachkräfte, die den Helfern nach Hilfseinsätzen psycho logisch zur Seite stehen. Die Fachkräfte werden im welt weit bewährten Critical Incident Stress Management (cism) ausgebildet. Im deutschen Sprachgebrauch wird überwiegend der Begriff Stress bearbeitung nach belastenden Betreuung vor und nach Ereignissen (sbe) benutzt. Die dem Einsatz sbeBundesvereinigung ist die älteste und größte EinsatznachsorgeOrganisation im deutschsprachigen Bereich. Sie wurde 1996 gegründet und hat in den ersten 13 Jahren etwa 3000 psychosoziale Fachkräfte und Einsatzkräfte in über 400 Kursen in der sbeMethode geschult. Die Ausbildung und Arbeit werden wissenschaftlich von der LudwigMaximiliansUniversi tät München im Department Psychologie begleitet. Wichtige Erfahrungen »Wenn ich jetzt Meldungen aus Haiti oder anderen Gebie ten sehe, dann sehe ich sie immer mit den Augen eines Helfers vor Ort, der dem Elend unmittelbar ausgesetzt ist. Aber Wieder zu Hause, ist ich habe inzwischen eine Fami Verständnis gefragt lie und ich bin hier verankert, sonst würde ich wahrscheinlich versuchen, das Leid vor Ort zu lindern. Auch wenn die Zeit nach den Einsätzen schwer ist. Es ist wohl doch das Helfersyndrom mit einer Prise Abenteuerdrang«, begründet Elke Mauren ihren Traum vom Helfen. tanja wenzel istReferentin Kommunikationbeim MDKBayern. [email protected] 12 titelthem a: P ost tr aum atis che bel a stungsstörung m d k forum 2/10 Therapiemöglichkeiten bei PTBS Ein Ziel und viele Wege K a u M e i n p s y c h O l O G i s c h e s G e B i e t stand in den letzten zwei Jahrzehnten so im Fokus des wissenschaftlichen Interesses wie die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Deshalb gilt ihre Therapie auch als eines der bestevaluierten Gebiete der Psychotherapie. Zahlreiche unterschiedliche Behandlungsoptionen stehen zur Wahl; in diesem Beitrag sollen die verschiedenen Ansätze skizzenhaft vorgestellt und auf ihre Wirksamkeit hin diskutiert werden. Es gibt klinische Hinweise, dass traumaspezifische Fakto ren die Wahl des therapeutischen Rahmens und der The rapiemethode beeinflussen sollten. Empirisch untersucht wurde, ob komorbide Störungen einen Einfluss auf die Wahl der Therapiemethode haben sollten. Es deutete sich z. B. bei komorbiden Suchterkrankungen als sinnvoll an, diese Störungen simultan zu behandeln. Klinische Er fahrungen legen darüber hinaus nahe, dass das Alter zur Zeit der Traumatisierung(en) und auch der Behandlung ausschlaggebend dafür ist, welche Therapieform ange wandt wird. Diese Hinweise Noch immer unklar: müssen noch empirisch unter mauert werden. Welche Faktoren bestimmen Anders bei der Häufigkeit des die Therapie? verursachenden Traumas. Tritt ein Trauma wiederholt auf, so hat dies zwar gravierende Folgen für die Ausprägung, die Komplexität und die Schwere der Symptomatik. Allerdings reichen die vorlie genden Studien nicht aus, um daraus Schlussfolgerungen für eine Therapiegestaltung herleiten zu können. Ebenso wenig lässt sich aus der Art des Traumas ableiten, welche Therapie eingesetzt werden sollte. Für Patienten mit aus geprägter Psychopathologie gibt es jedoch Hinweise auf einen geringeren Erfolg bei Gruppentherapien. Therapieablauf in drei Phasen In Deutschland wird weitgehend unabhängig von Thera pieschulen die Therapie der ptbs in drei Phasen einge teilt: — Stabilisierung und Affektregulation — Traumasynthese / Traumaexposition — Integration und Neuorientierung Einen wissenschaftlichen Beleg für die Relevanz eines festgelegten zeitlichen Ablaufs bei den einzelnen Trauma typen, ptbsPräsentationen und SettingFormen (statio när / ambulant) gibt es aktuell nicht. Die Therapiephasen beschreiben pragmatisch unterschiedliche Schwerpunkt setzungen, die nach Bedarf zum Einsatz kommen und deren Dauer variieren kann. Fokussierung auf das Trauma oder breites therapeutisches Vorgehen? Steht ausschließlich das Trauma im Mittelpunkt der The rapie oder ist die Therapie breiter angelegt? Mit dieser Frage beginnt der therapeutische Prozess. Traumafokussierte Ansätze finden sich in allen großen therapeutischen Schulen. Im Mittelpunkt des Therapie ansatzes traumafokussierter Verfahren steht die Reduktion der ptbsSymptomatik. Ein evidenzbasierter Wirksam keitsnachweis findet sich für einige verhaltenstherapeuti sche Ansätze und für das Eye Movement Desensitization and Reprocessing (emdr). Im Rahmen des breiten therapeutischen Vorgehens werden neben der Behandlung der ptbsSymptomatik auch Symptome, die mit der ptbs einhergehen, bei der Planung berücksichtigt, so z. B. Depressionen, Ärger, Scham, Schuldgefühle und BorderlineSymptomatik. Unterstützend werden hier auch sogenannte körperbezo Literaturtipp Auch die Frage, ob die Kombination von Psychothera pie und Psychopharmakotherapie bei ptbs den Betroffe nen wirkungsvoll hilft, ist trotz wissenschaftlicher Unter suchungen nicht sicher zu beantworten. Hierzu sind in der Zukunft aussagekräftigere Studien zu erwarten. A N D R E A S M A E R C K E R [Hrsg.]: Posttraumatische Belastungsstörungen. Dritte,vollständigneubearbeitete underweiterteAusgabe. Berlin,Heidelberg2009 titelthem a: P ost tr aum atis che bel a stungsstörung m d k forum 2/10 gene Therapien eingesetzt. Ein derartiges Vorgehen lässt sich bevorzugt in stationären Behandlungskonzepten, sozial rehabilitativen und auch komplementär therapeutischen Ansätzen verwirklichen. Nebenrolle für Psychopharmakotherapie Psychopharmaka werden zur Behandlung der ptbs zumeist nur unterstützend eingesetzt. In Deutschland ist dazu nur der selektive Serotoninwiederaufnahme-Hemmer (ssri) Paroxetin zugelassen. Alle weiteren Medikamente werden »off-label« angewendet. Einige wenige systematische Studien für die Kombination von Psycho- und Pharmakotherapie zeigen für die ptbstypischen Symptomcluster (Übererregbarkeit, Panikattacken und depressive Symptomatik) tendenziell positive Effekte für die Substanzgruppen ssri, trizyklische Antidepressiva, mao-Hemmer und atypische Neuroleptika. Fazit Auch wenn zurzeit viele Wege eine erfolgreiche Therapie verheißen, hängt es aktuell überwiegend von der klinischen Erfahrung des Therapeuten und dessen therapeutischer Ausrichtung ab, welcher letztlich beschritten wird. Ein Wirksamkeit nur für einige belastbarer WirksamkeitsnachTherapieansätze wissenweis konnte bisher lediglich für schaftlich nachgewiesen einige verhaltenstherapeutische Ansätze und für das Eye Movement Desensitization and Reprocessing erbracht werden. Nicht endgültig geklärt ist, ob traumaspezifische Faktoren Einfluss auf die Wahl des Settings und der Methode haben sollten. Dr. med. Wiebke Martinsohn-Schittkowski, Mitarbeiterin des KompetenzCentrums Psychiatrie und Psycho therapie. w.martinsohn-schittkowski@ mdk-mv.de Dr. med. Christoph Tolzin, Leiter des KompetenzCentrums Psychiatrie und Psycho therapie. [email protected] Dr. phil. Ulrike SühlfleischThurau, Dipl. Psych. an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Uni Rostock. ulrike.suehlfleisch@ med.uni-rostock.de 13 traumafokussierte Ansätze: drei Konzepte Verhaltenstherapeutische Ansätze Die Wirksamkeit kognitiv-verhaltenstherapeutischer Methoden konnte in zahlreichen Studien nachgewiesen werden. Sie zeichnen sich durch ein sehr strukturiertes Vorgehen und eine vergleichsweise kurze Behandlungsdauer aus. Die Prolonged Exposure (Foa) ist eine sogenannte expositionsfokussierte Therapiemethode. Durch mehrmaliges Wiedererleben des Traumas in der Vorstellung oder durch Aufsuchen von Situationen / Orten / Personen wird eine Gewöhnung (Habituation) an die traumatischen Erfahrungen herbeigeführt. Die kognitionsfokussierte Therapie (Ehlers u. Clark) setzt an den Bedeutungen des Traumas für den Patienten an. Negative Interpretationen der traumatischen Erfahrung sollen verändert werden. Hierbei kommen spezielle Interventionen zur Veränderung des Traumagedächtnisses (z. B. Aktualisierung, Erkennen der Auslöser traumatischer Erinnerungen, aufrechterhaltendes Verhalten) zum Einsatz. Die kognitive Verarbeitungstherapie ( c P T / Resick) geht von übergeneralisierten Grundannahmen des Traumatisierten aus. Durch sokratischen Dialog und durch Veränderungen der Gedanken über traumatische Ereignisse sollen ausgewogene Grundüberzeugungen gefördert und dem Patienten Sicherheit und Kontrolle wiedergegeben werden. Die c P T wurde als 12-stündiges Gruppenprogramm entwickelt, kann aber auch einzeltherapeutisch angewendet werden. Psychodynamische Ansätze Psychodynamisch-imaginativeTherapie P i t t (Reddemann). Nur für die Imagination als Aspekt dieser Methode konnten signifikante Erfolge nachgewiesen werden – und das lediglich in einer Studie. Mittels Imagination sollen dem Patienten sogenannte dosierte Erinnerungen ohne traumatische Reizüberflutung ermöglicht werden, um die Fähigkeit zur Selbstregulation und -beruhigung zu fördern. Für die Wirksamkeit der P i T T als Gesamtkonzept liegen keine Studien vor. Die psychodynamische Traumatherapie nach Horowitz geht davon aus, dass traumatische Ereignisse bei pathologischer Verarbeitung zu einer Überlastung mit Kognitionen und Emotionen führen. Deshalb müssen zunächst die Symptome reduziert werden, bevor es zur Integration der Erinnerungen kommen kann. Bestehende Weltsichten (Schemata) des Patienten werden dabei überprüft und verändert. Bisher gibt nur eine randomisierte Studie Hinweise auf Wirksamkeit dieser Therapie. Kombinierte Methoden Das Eye Movement Desensitization and Reprocessing e M d r (Shapiro) wurde eigens für die Therapie von Traumafolgestörungen entwickelt. Der Patient konzentriert sich auf Anteile seiner traumatischen Erinnerung und erlebt gleichzeitig eine »bilaterale Stimulation« durch den Therapeuten (Fingerbewegungen, rhythmisches Berühren beider Hände usw.). Dadurch wird ein assoziativer Verarbeitungsprozess ausgelöst, der meist zu einer raschen Entlastung führt. Die überzeugende Studienlage führte im Jahr 2009 zu einer Anerkennung als Behandlungsmethode der P T b s bei Erwachsenen durch den wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie ( w P b ). 14 titelthem a: P ost tr aum atis che bel a stungsstörung m d k forum 2/10 Suchterkrankungen nach Traumatisierung Die Erinnerung löschen M e n s c h e n M i t t R a u M a t i s c h e n e R F a h R u n G e n entwickeln in der Folge häufig eine Suchterkrankung. In der Biografie vieler Suchtpatienten sind häufig traumatische Erlebnisse nachweisbar. Suchtmittel helfen, das Geschehene vorübergehend zu vergessen oder negative Gefühle zu betäuben. Doch erst in den vergangenen Jahren haben Experten damit begonnen, den Zusammenhang zwischen Traumatisierung und Suchterkrankung genauer zu untersuchen. Seit fast drei Monaten wohnt Jörg P. (Name von der Redak tion geändert) in der Beusingser Mühle, einem Thera piezentrum für Suchterkrankungen der Diakonie Ruhr Hellweg im westfälischen Bad Sassendorf. Es ist nicht der erste Therapieanlauf, den der 33Jährige unternimmt. Mittlerweile kann er über die Geschehnisse, die ihn in die Sucht geführt haben, sprechen. Bis dahin war es je doch ein langer Weg. Mit sechs Jahren wird Jörg P. vom Lebensgefährten seiner Mutter sexuell missbraucht. Er spricht mit niemandem darüber, doch die Erinnerungen lassen ihn nicht los. Mit 15 Jah ren beginnt er, Cannabis zu rau Trauma und Sucht: chen. Es folgen Amphetamine Eine simul tane Therapie und Ecstasy. »Die Drogen haben ist sinnvoll mir dabei geholfen, die Erinne rung und Gefühle daran zu verdrängen«, sagt er heute. Jahrelang gehört der Drogenkonsum zu seinem Alltag und verstärkt sich zunehmend. Sein Hungergefühl nimmt ab, er verliert immer mehr an Gewicht. Als er mit 25 Jahren gerade noch 43 Kilo wiegt, begibt er sich zum ersten Mal in Behandlung. »Nicht wenige Suchtpatienten haben chronische Trau matisierungen erlitten und nutzen die Drogen, um mit den Auswirkungen des Erlebten umgehen zu können«, erklärt Sybille Teunißen, Leiterin des Therapiezentrums. »Wenn man Cannabis nimmt, schläft man häufig besser, Heroin und Alkohol fördern ein Gefühl der Gleichgültig keit und Amphetamine können die Stimmung positiv be einflussen. So lassen sich viele Folgeerscheinungen eines Traumas wie Schlafstörungen, Flashbacks, Anspannung und Schreckhaftigkeit sowie Betäubungszustände ›be kämpfen.‹« Suchtpatienten, die unter einer Traumafolgestörung leiden, benötigen eine spezielle Therapie, bei der auf die Sucht und die Auswirkungen, die Traumatisierungen haben, gleichzeitig eingegangen wird. »Bevor Betroffene an einer Rehabilitation teilnehmen können, müssen sie in den Entzug. Danach befinden sie sich meist in einem sehr labilen Zustand«, erklärt Teunißen. Konfrontation vermeiden Die Beusingser Mühle hat ein spezielles Konzept entwi ckelt, nach dem Patienten, die sowohl von Sucht als auch von Traumafolgen betroffen sind, behandelt werden. »Das erste Ziel ist es, dass die betroffenen Personen erleben, dass sie den Alltag wieder bewältigen können und sich auch clean gut fühlen können.« Für Männer und Frauen gibt es auch geschlechtsspezifische Angebote, da sie häufig zunächst die Gewalterfahrungen unterschiedlich ver arbeiten. Da Männer oft external, d. h. mit aggressivem Verhalten auf ein Trauma reagieren und Frauen eher in ternal, also die erfahrene Gewalt gegen sich selbst wen den, hält die Klinik sowohl geschlechtsbezogene Projekte zum Umgang mit Agressivität und Gewalt als auch Selbst behauptungs und Selbstverteidigungskurse bereit. Bessere Vernetzung nötig Bei der Versorgung von Suchtpatienten, die häufig wie derholt Traumatisierungen in der frühen Kindheit und Jugend erlebt haben, gibt es noch Verbesserungsbedarf. Zwar erkennen immer mehr Einrichtungen diese Proble matik und spezialisieren sich auf diese Gruppe, meistens findet man jedoch Angebote, die sich entweder an Sucht kranke oder an Traumatisierte richten. »Viele psychoso matische Kliniken und Einrichtungen nehmen keine Pa tientinnen und Patienten auf, die suchtkrank sind, selbst wenn sie aktuell abstinent sind. Auch viele niedergelasse ne Therapeutinnen und Therapeuten sind nicht bereit, traumatisierte suchtkranke Personen anzunehmen. Was das angeht, würde ich mir eine bessere Vernetzung wün schen«, sagt Teunißen. Jörg P. ist mittlerweile zuversichtlich. Sein Ziel ist es, wieder arbeiten zu gehen und natürlich, clean zu bleiben. In der Therapie in der Beusingser Mühle hat er Fortschrit te gemacht und will seinen Aufenthalt nun um einige Wochen verlängern. »Ich merke, dass es Frühling wird. Das war früher nicht so.« friederike Geisler, StabsstelleKommunikationbeimMDK Niedersachsen. [email protected] 15 m d k forum 2/10 mdk | wissen und standpunk te Reha vor und bei Pflegebedürftigkeit Rüstiger durch Rehabilitation? K ö n n e n r e h a b i l i t a t i v e l e i s t u n g e n zur Vermeidung und Minderung von Pflegebedürftigkeit beitragen? Und: Wie ist zu gewährleisten, dass diese Leistungen die Pflegebedürftigen auch erreichen? Über diese Fragen diskutierten die Teilnehmer der Tagung »Rehabilitation vor und bei Pflegebedürftigkeit« der Sozialmedizinischen Expertengruppen 1 »Leistungsbedarf / Teilhabe« und 2 »Pflege / Hilfebedarf« der MDK-Gemeinschaft am 28. April in Dortmund. Die Zahl der multimorbiden Menschen mit komplexem Hilfebedarf nimmt zu und damit auch ihr Risiko, eine dauernde Behinderung zu entwickeln und von fremder Hilfe abhängig zu werden. Mit dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz 2008 hat der Gesetzgeber den Anspruch pflegebedürftiger Menschen auf Rehabilitationsleistungen noch einmal bestärkt: Leistungen zur medizinischen Rehabilitation müssen auch für pflegebedürftige Menschen bereitgestellt werden, sofern eine Rehabilitationsindikation besteht. Bei einer Indikation zu mobiler Rehabilitation kann das Rehateam auch direkt ins »häusliche Umfeld« kommen. Alltagsrelevante Rehabilitationsziele definieren Um einen Zugewinn an Selbstständigkeit und die Reduzierung der Abhängigkeit von fremder Hilfe zu erreichen, ist die Benennung von konkreten alltagsrelevanten Rehabilitationszielen entscheidend. Das machte Dr. Barbara Gansweid, Leiterin der seg 2 und zuständig für das Fachreferat Pflege beim mdk Westfalen-Lippe, in ihrem Vortrag deutlich. »Aus Sicht der Pflegebedürftigen müssen realistische alltagsrelevante Rehabilitationsziele definiert werden. Das sind zum Beispiel das Wiedererlangen der Stehfähigkeit oder die Verbesserung des Transfers vom Bett in den Rollstuhl.« Dabei müssten auch die Kontextfaktoren vor Ort berücksichtigt werden. Mobile Reha: Angebot für geriatrische Patienten Für einige der betroffenen Pflegebedürftigen mit erheblichen funktionellen Beeinträchtigungen und komplexem Hilfebedarf kann die mobile Rehabilitation ein passgenau auf ihren Bedarf zugeschnittenes Rehabilitationsangebot machen. Nach einer ersten Auswertung hatten 70 % der Rehabilitanden in der mobilen Rehabilitation bereits eine Pflegestufe, davon rund ein Drittel (35,4 %) die Pflegestufe 1, 22,9 % die Pflegestufe 2 und 11,5 % die Pflegestufe 3. »Ein Hinweis auf die Notwendigkeit einer mobilen Rehabilitation ist in der Regel, dass erhebliche kognitive Einschränkungen vorliegen, die in fremder Umgebung zunehmen«, betonte Anja Niedling, Mitarbeiterin der Abteilung Medizin beim gkv-Spitzenverband. Problematisch ist die derzeit noch sehr geringe Verfügbarkeit mobiler Rehabilitationsangebote. Trotzdem sollten bei der Pflegebegutachtung in entsprechenden Fällen Empfehlungen zur mobilen Rehabilitation gegeben werden, so die Meinung der Teilnehmer, damit kein falsches Bild über den Bedarf entsteht. Heilmittel oder mobile Reha? Die mobile Rehabilitation wird von einem interdisziplinär besetzten Team erbracht, in dem Ärzte und Pflegefachkräfte mit Physio- und Ergotherapeuten, aber auch mit Stimm-, Sprech- und Sprachtherapeuten, Sozialarbeitern und klinischen Psychologen zusammenarbeiten. »Eine besondere Rolle für den Erfolg der Es gibt noch nicht genügend mobilen Rehabilitation spielt die Einbindung der Angehörigen mobile Rehabilitationsbzw. Bezugspersonen der ReAngebote habilitanden. Sie müssen in die Behandlung des Patienten einbezogen werden und brauchen auch eine entsprechende Schulung«, betonte Dr. Thomas Hagen vom mdk Bayern. Aber auch die mobile Rehabilitation stellt Anforderungen an die Belastungsfähigkeit, die nicht von allen Rehabilitanden erfüllt werden können. Das stellte Dr. Dietmar Rohland vom mdk Niedersachsen heraus. Als niedrigschwellige Alternative bietet sich die Verordnung von Heilmitteln an. Die Möglichkeiten, Heilmittel mit rehabilitativer Zielsetzung, ggf. auch in Kombination, anzuwenden, würden oft nicht ausreichend genutzt, so Rohland. Multiresistente Keime kein K.-o.-Kriterium Ein seit Jahren relevantes Problem für viele Rehabilitanden ist die Besiedelung mit mrsa. Dennoch muss dies kein Ausschlusskriterium sein, so pd Dr. Iris F. Chaberny von der Medizinischen Hochschule. Sie machte deutlich, dass insbesondere bei ausschließlicher Besiedelung mit mrsa oft ein regelrechter Rehabilitationsablauf ohne strikte Isolierung möglich sei. Dabei müssten allerdings die Voraussetzungen stimmen. Dazu gehörten u. a. ein Aufnahmescreening, Einhaltung der Hygienestandards, die Beteiligung an einem Überwachungssystem (surveillance) und eine rationale Antibiotikatherapie. Noch viele Fragen offen Besonders bei den Themen Rehabilitationsziele, mobile Rehabilitation und Stellenwert von Heilmitteln wurde in der Veranstaltung deutlich, an welchen Stellen Verbesserungen für die Rehabilitation Pflegebedürftiger ansetzen müssen. Klar wurde aber auch, dass bei der konkreten Umsetzung noch viele Fragen offen sind. Bernhard Fleer ist Mitarbeiter im Fachgebiet »Pflegerische Versorgung« des M DS . b. f l e e r @ m ds - ev. de 16 mdk | wissen und standpunk te m d k forum 2/10 Symposium Behandlungsfehler Im Cockpit geht man auf Nummer sicher E i n O P u n d E i n F l u g z E u g - C O C k P i t – zwei Arbeitsplätze, an denen menschliches Versagen fatale Folgen haben kann. Die Luftfahrt hat kontinuierlich hohe Standards zur Fehlervermeidung entwickelt. Kann die Medizin davon profitieren? Dies war eine der Fragen des Symposiums »Behandlungsfehler erkennen und vermeiden« der Akademie für Sozial medizin und des MDK Niedersachsen am 17. März mit rund 100 Teilnehmern und renommierten Experten in Hannover. »Ein Operationssaal ist so komplex, ich würde daran scheitern«, gab Flugkapitän Hans Härting von Austrian Airlines zu, obwohl er selbst es bei seiner täglichen Arbeit im Cockpit mit mehreren hundert Bedien- und Kontrollelementen zu tun hat. Härting arbeitet halbtags bei seiner Airline. In der anderen Zeit berät er seit einigen Jahren Krankenhäuser, wie sie die Patientensicherheit verbessern können. »Selbst bei McDonalds wird ihre Bestellung am Counter wiederholt, damit keine Missverständnisse auftreten. Aber da geht es ja auch um so wesentliche Dinge wie Hamburger.« Flugkapitän Hans Härting bringt auf den Punkt, was viele längst wissen: In vielen Branchen, nicht nur im Hochsicherheitsbereich, sind Standards zur Fehlerreduzierung längst etabliert. Viele Krankenhäuser haben hier noch Nachholbedarf. Es herrschen teilweise enorme Defizite zum Beispiel in der Kommunikation im Operationssaal oder bei den Abläufen im Notfall. So kommt es immer wieder zu Patientenverwechslungen, Verwendung der falschen Medikamente oder Zurücklassen eines Fremdkörpers im Bauchraum des op-Patienten. Personal braucht Rückmeldungen Prof. Matthias Rothmund, Dekan des Fachbereichs Medizin an der Philipps-Universität Marburg, beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Patientensicherheit. Als einer mdk | wissen und standPunk te m d k forum 2/10 der ersten Mediziner in Deutschland hat er mit dem ano nymen Fehlermeldesystem cirs (Critical Incident Re porting System) gearbeitet. Viele Krankenhäuser haben das System seitdem eingeführt. »Es ist schön zu sehen, dass das Thema auf der Agenda des Gesundheitswesens platziert ist, jedoch muss noch viel getan werden«, sagt Rothmund. »Wichtig ist zum Beispiel, dass es immer einen Ansprechpartner für solche Meldesysteme gibt und dass das Personal auch eine Rückmeldung erhält. Eine Schwes ter, die viermal etwas meldet und niemals hört, was daraus geworden ist, wird es wahrscheinlich kein fünftes Mal tun.« WHO-Richtlinien Standard im Bangkok Hospital Die weiteste Anfahrt an diesem Tag hatte Virginia Maris polsky, Qualitätsmanagerin der Bangkok Hospital Group. Sie nahm den Weg von Bangkok nach Hannover auf sich, um über die Umsetzung der whoPatientensicherheits ziele an ihrem Haus zu berichten. Die Anwesenden waren überrascht von den zahlreichen Patientensicherheits maßnahmen in dem thailändischen Krankenhaus. Das Bangkok Hospital ist nach der Joint Commission Inter national (jci) akkreditiert. Patientensicherheits-Projekt in RTL aktuell Patienten haben mehr Möglichkeiten Juristen betrachten das Feld der Behandlungsfehler aus einer anderen Perspektive. Sie vertreten einerseits die ge schädigten Patienten, können aber auch den angeklagten Medizinern zur Seite stehen. Als Vertreter der Ärzte unter stützen sie die Mediziner schon im Vorfeld, um einem möglichen juristischen Konflikt vorzubeugen. Als Justiziar des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen beschäftigt sich Dr. Jörg Heberer alltäglich mit Behandlungsfehler Fällen. Dabei stellt er unter anderem fest, dass den Patien ten immer mehr Möglichkeiten geboten werden, ihr Recht einzuklagen. »Die zahlreichen Anlaufstellen wie zum Bei spiel die Krankenkassen oder Ärztekammern bieten den Patienten eine hilfreiche Unterstützung an. Auch das Recht auf Einsicht in die Akten kommt den Patienten zugute.« Dr. Elisabeth SiegmundSchultze, Abteilungsleiterin Ver sorgungsmanagement bei der kkhAllianz, präsentierte ein PatientensicherheitsProgramm, das die Kasse zusam men mit dem mdk Niedersachsen entwickelt hat. Kern punkt ist die Anwendung von Sicherheitsprinzipien aus der Luftfahrt in ausgewählten opBereichen. rtl aktuell berichtete in seinen Hauptnachrichten am 8. Mai über das Projekt. Wer mehr zu diesem Projekt wissen möchte, kann sich unter der EMailAdresse [email protected] melden. Vorträge der Veranstaltung finden Sie auf der Homepage der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin unter www.gesundheitnds.de (unter »Arbeitsbereiche afs«; »Dokumentationen afs« Martin Dutschek und Friederike Geisler Gekauftes Renommee? Ghostwriter in der Medizin M a n c h e v e R ö F F e n t l i c h u n G e n i n M e D i z i n i s c h e n F a c h z e i t s c h R i F t e n glänzen mit Autoren, die sich in der Wissenschaft einen Namen gemacht haben. Doch nicht immer ist der genannte Autor auch der tatsächliche Verfasser. Im vergangenen Jahr hat der Fall des US-Pharmaherstellers Wyeth Wellen geschlagen: Er gab einen Artikel über die Hormonersatztherapie in Auftrag und ließ ihn unter den Namen renommierter Wissenschaftler veröffentlichen. Der weltweit tätige Pharmahersteller Wyeth erzielte noch im Jahr 2001 Milliardenumsätze mit Hormonersatzprä paraten. Eingesetzt werden die Hormone u. a. bei Frauen in den Wechseljahren, um Hitzewallungen, Herzrasen und Schweißausbrüche zu lindern. Auch wurden Hoff nungen geweckt, gesünder und länger zu leben. Doch Hormonersatzpräparate gerieten in die Kritik, als die amerikanische Langzeitstudie »Womens Health Initiative« im Jahr 2002 abgebrochen wurde. Bei den Stu dienteilnehmerinnen zeigte sich, dass die Hormone das Risiko für Brustkrebs, Herzinfarkt und Schlaganfall deut lich erhöhen. In der Folge gingen die Umsätze mit Hormon präparaten stetig zurück. Im Jahr 2003 – zu einem Zeitpunkt, als die Risiken der Hormonersatztherapie bereits bekannt waren – beauf tragte Wyeth die prAgentur Design Write mit der Anferti gung einer Publikation, die die positiven Wirkungen von Hormonpräparaten herausstellt. Design Write erhielt dafür von Wyeth 25 000 us$ und sandte die Entwurfsfassung an Pharmahersteller Gloria Bachmann, Professorin für verschleiern ihre Rolle Geburtshilfe, Gynäkologie und Medizin an der Universität für Medizin und Zahnmedizin des Bundesstaates New Jersey. Das Konzept ging auf: Bachmann nahm den Beitrag bis auf eine kleine Änderung an. Der Artikel wurde unter ihrem Namen veröffentlicht und im Jahr 2005 mit einigen kleinen Änderungen im Journal of Reproductive Medicine 17 m d k forum 2/10 18 mdk | wissen und standpunk te publiziert. Die Rolle des Pharmakonzerns Wyeth als Auf traggeber des Artikels und gleichzeitig Hersteller von Hor monersatzpräparaten wurde in dem Artikel nicht ausge wiesen. Schädigung durch Hormonersatzpräparate Im Rahmen von Gerichtsverfahren ist dies im vergange nen Sommer öffentlich geworden. Laut New York Times sind mittlerweile 8400 Gerichtsfälle in den usa anhängig, in denen Frauen die Auffassung vertreten, dass sie durch die Einnahme von Hormonersatzpräparaten in der Post menopause geschädigt worden seien. Solche GhostwriterVeröffentlichungen sind auch in der medizinischen Wissenschaft keine Einzelfälle mehr. Sergio Sismondo von der Queen’s University im kanadischen Kingston berichtete 2007 in der amerikanischen Online Zeitschrift PLoS Medicine über die Veröffentlichung der Studie zum Antirheumatikum Vioxx, das die Firma Merck letztlich wegen Nebenwirkungen vom Markt genommen hat. Der Autor der maßgeblichen Studie, Jeffrey Lisse, hat in einem Interview ausgeführt, dass Merck selbst diese Studie konzipiert, bezahlt und durchgeführt habe. Nach dem die Studie abgeschlossen war, sei die Firma auf Wis senschaftler zugekommen und habe um deren Hilfe bei der Veröffentlichung gebeten. Lisse gab zu, dass die ini tiale Veröffentlichung von Merck geschrieben wurde und anschließend ihm als Erstautor lediglich zum Editieren gegeben wurde. In einer anderen Publikation von 2007 vergleichen Exper ten um Peter C. Gøtzsche, Direktor des Nordic Cochrane Center, Studienprotokolle, die den Ethikkommissionen in Kopenhagen und Frederiksberg von 1994 bis 1995 vor gelegt wurden, mit den nachfolgenden Publikationen von industrieinitiierten Studien. Es fanden sich Hinweise auf »ghost authorship« in 75 % der Veröffentlichungen. Auch die Pharmafirma SmithKline Beecham hat sich nicht allein auf die wissenschaftlichen Daten für ihr Psy chopharmakon »Paxil« verlassen. Laut einer Broschüre für die Außendienstmitarbeiter sollten mit dem Programm caspperÄrzte bei der Veröffentlichung von Artikeln um fangreich unterstützt werden. caspper (Case Study for Publications Peer Review) sah die Entwicklung eines The mas bis zur Einreichung des Manuskripts beim Verlag vor. Ziel war es, die guten Umsatzzahlen von Paxil fortzusetzen. Das Budget war für 50 Artikel im Jahr 2000 bemessen. Werbung bedroht Unabhängigkeit der Verlage Die Veröffentlichung dieser Übersichtsartikel sollte zu einer Erweiterung der veröffentlichten Daten führen. Über den konkreten finanziellen Nutzen des Plans hinaus soll ten die Beziehungen zu wichtigen Ärzten und Meinungs machern im psychiatrischen Bereich etabliert und /oder gestärkt werden. Man ging davon aus, dass Ärzte aus zwei erlei Gründen gerne teilnehmen würden: entweder um ihren bereits bestehende Einfluss auszubauen oder aber um sich eine Reputation durch weitere Veröffentlichun gen zu verschaffen. Neben industrieinduzierten GhostwriterPublikationen stellen auch die seitenweise geschalteten Werbeanzeigen für Arzneimittel in medizinischen Zeitschriften ein Pro blem dar. Es droht damit eine Abhängigkeit der Verlage von der pharmazeutischen Industrie. Hinzu kommt, dass die Autoren nicht immer das Copyright für ihre Zeitschrif tenartikel behalten. Die hier dargestellten Beispiele sind keine Einzelfälle. Wie also sollen sich Ärzte ein unabhängiges Bild über For schungsergebnisse verschaffen? Auch für die Herausge ber von Zeitschriften ist es oft nicht leicht zu erkennen, ob eine Scheinautorenschaft vorliegt oder nicht, obgleich in letzter Zeit Anstrengungen unternommen wurden, dies aufzudecken. Als einer der Haupthinweise auf einen »Ghostwriter« bei Studien gilt die Nichtbenennung des Statistikers. Dar über hinaus wird immer wieder gefordert, dass Ärzte, die sich in der klinischen Forschung engagieren, die Autoren schaft behalten und vollen Datenzugang in den Verträgen mit der Pharmaindustrie vereinbaren sollen. Unabhängige und qualitätsgesicherte Informationen Fraglich bleibt für den Leser, wie verlässlich auch in hoch angesehenen medizinischen Zeitschriften die Informati onen zum Autor sind. Wer statt Übersichtsartikeln (nur) Studien im Original liest und bewertet, braucht sich von »großen Namen« nicht leiten zu lassen und hat kein Pro blem mit Ghostwritern. Allerdings erfordert die Bewer tung der Studienqualität ihrerseits wieder spezielle Kennt nisse und vor allem Zeit. Eine Antwort der evidenz basierten Medizin (ebm) auf die Evidenz- statt Eminenzses Dilemma sind systematische basierte Medizin Übersichtsartikel, wie sie z. B. von der Cochrane Collaboration in umfassenden Datenbanken zur Verfügung gestellt werden. In diesen ebmReviews fin den praktizierende, aber auch gutachterlich tätige Medi ziner zu vielen therapeutischen Fragen die wissenschaft lich am besten abgesicherte Behandlungsmethode. Der mdk WestfalenLippe ermöglicht bereits seit 2009 allen seinen Gutachtern über eine professionelle Recherche plattform OnlineZugriff auf die international anerkann ten Datenbanken Medline (Schwerpunkt usa), Embase (Schwerpunkt Europa) und Cochrane (sowie auf weitere qualitätsgesicherte ebmDatenbanken). Der Umgang mit diesen Datenbanken ist leicht zu erlernen, bedarf aber der permanenten Übung. Der Einsatz unabhängiger und qualitätsgesicherter Informationsquellen in der Medizin wird in Zukunft deutlich zunehmen. Dr. med. Martin Rieger, Dr. med. Lili Grell, Referent für Medizinische Leiterin der SEG 6»Arznei- Grundsatzangelegenheiten mittelversorgung« der beim MDK Westfalen-Lippe. MDK-Gemeinschaft beim [email protected] MDK Westfalen-Lippe. [email protected] weitblick m d k forum 2/10 Menschen mit Down-Syndrom als Autoren Ohrenkuss – das etwas andere Magazin e i n B O n n e R R e D a K t i O n s B ü R O : 14-tägig trifft sich hier die Redaktion des Magazins »Ohrenkuss«. Leben, Liebe, Arbeit, Kinderkriegen und natürlich Mode – darum geht es. Die Autoren planen, recherchieren, führen Interviews, schreiben oder diktieren. Eine ganz normale Redaktion? Alle Journalisten haben Trisomie 21, das sogenannte Down- Foto:LukeGolobitsh Syndrom. Das gibt dem Magazin einen ganz besonderen Charakter – macht die Arbeit aber auch etwas chaotischer. Beginn der Redaktionssitzung ist um 17.30 Uhr. Bereits um 17.15 Uhr hat sich der Großteil der Teilnehmer in den Bonner Räumlichkeiten eingefunden und schaut erwar tungsfroh der anstehenden Besprechung entgegen. In der einen Ecke wird noch getuschelt, auf der anderen Seite be schäftigen sich einige mit dem Verschönern einer Arbeits mappe. Redaktionsleiterin Dr. Katja de Bragança läutet den Beginn der Besprechung ein und bittet die Anwesenden um Konzentration. Um den Überblick zu behalten und die Arbeit voranzubringen, legt sie Wert auf Disziplin und Höflichkeit. Alle stellen sich zunächst vor und üben dabei den Blickkontakt beim Reden. Die Profis, die bereits Le sungen gehalten haben, stechen dabei heraus. Das Thema steht in Großbuchstaben auf einem Zettel an der Wand: »Oma Opa«. Der 16jährige Paul hat schon DieOhrenkuss-RedaktionbeiderArbeit:etwas chaotischeralsinanderenRedaktionen,abernicht wenigerkreativ Erfahrung in der Redaktion und beginnt sofort, ein Dia gramm auf sein Blatt zu zeichnen. Bei schwierigeren Themen nutzen die Autoren das Brainstorming, um ihre Texte zu schreiben. So kommen sie vom Begriff »Alter« über »Haut« und »Falten« bis hin zu »Oma« und »Opa«. Nebenan im Café sitzt eine weitere Arbeitsgruppe. Svenja Giesler hat sich zum Thema »Alter« schon einige Gedanken gemacht und kurze Texte verfasst. Einen präsentiert sie vorab der Öffentlichkeit: »Aber es gibt ja auch noch das Todesalter. Mit 80 und 90 gehört man zum alten Eisen. Da wird man tatterig und zitterig.« 19 m d k forum 2/10 20 weitblick »Lesen und Schreiben wird ihnen nicht zugetraut« Den Kontakt zu Menschen mit DownSyndrom bekam Katja de Bragança über ihren Beruf. Zehn Jahre lang be schäftigte sich die Humangenetikerin mit vorgeburtlicher Diagnostik und den Entscheidungen, die daraus resultie ren. »Viele haben ein etwas eingeschränktes Bild vor Augen, wenn sie Menschen mit DownSyndrom sehen«, erklärt de Bragança. »Die gängigen Vorurteile sind dann, dass diese Menschen nicht älter als 30 Jahre werden, an ihrem Syn drom leiden und so behindert sind, dass sie gar nicht wissen, dass sie es sind. Auch Lesen und Schreiben wird ihnen nicht zugetraut.« Durch diese Überlegungen kam sie auf die Idee, ein Magazin zu produzieren, das von Men schen mit DownSyndrom hergestellt wird und diese auch präsentiert. »Die Optik war mir dabei sehr wichtig. Natür lich sieht ein Mensch ›doof‹ aus, wenn er einen ausgewa schenen Kinderpulli trägt und die Haare zu allen Seiten abstehen. Wir zeigen die Autoren von einer anderen Seite, die der Öffentlichkeit nicht so bekannt ist.« De Bragança wollte mit dem Magazin zeigen, wozu Men schen mit DownSyndrom fähig sind, was sie beschäftigt und wie sie sich mit verschiedenen Themen auseinander setzen. »Natürlich wollte ich nicht mit dem erhobenen Zeigefinger dastehen. Es geht eher darum, dass die Auto ren ein interessantes Produkt herstellen, das von einem breiten Publikum gelesen wird und nicht einzig und allein von der Behinderung handelt.« Zum 3000 Abonnenten umfassenden Leserkreis gehö »Die hätten mich weg ren heute auch Ärzte, Pflege ge nom men, weil Hitler keine fachkräfte, Journalisten, Germa behinderten Kinder mochte« nisten, Grafikdesigner und Foto grafen. Die Hefte liegen in War tezimmern von Arztpraxen aus. »Wenn eine Frau ein Kind mit Trisomie 21 erwartet oder gerade geboren hat, wird sie wahrscheinlich anders darüber denken, wenn sie den Ohrenkuss gelesen hat. Sie wird nicht so viel Angst davor haben, dass ihr Kind krank oder behindert sein könnte, sondern wissen, dass Menschen mit DownSyndrom mit etwas Hilfe ein weitgehend normales Leben führen kön nen.« Wie eine Fremdsprache Das Brainstorming bei den gemeinsamen Treffen hilft dem OhrenkussTeam bei der Erstellung der Texte. »Na türlich brauchen sie länger, um über etwas nachzuden ken. Es ist vergleichbar mit einer fremden Sprache, die man noch nicht so gut beherrscht. Man weiß, was man sagen will, aber muss es erst einmal im Kopf sortieren«, erklärt de Bragança. »Schwierigkeiten haben sie mit abstrakten Zusammenhängen. Sie verstehen die meisten Witze nicht, weil man sich bei der Pointe vieles selbst den ken muss. Trotzdem finden sie viele Sachen wahnsinnig lustig.« Für die Autoren, von denen die meisten tagsüber einer Arbeit nachgehen, ist die Arbeit für das Magazin sehr wichtig. »Viele können sich nicht vorstellen, dass auch Menschen mit DownSyndrom intellektuell unter fordert sein können. In der Redaktion können sie sich so entfalten, wie es bei ihrer Arbeit meist nicht möglich ist.« Auf Spurensuche in der Mongolei Die 50 OhrenkussRedakteure zeichnen sich dadurch aus, dass sie 47 statt 46 Chromosomen haben. Das 21. Chro mosom ist bei ihnen dreimal vorhanden. Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit, sich körperlich und geistig langsa mer zu entwickeln, bei ihnen deutlich höher als bei der restlichen Bevölkerung. Nicht zuletzt aus diesem Grund entscheiden sich 90 % der Paare, die in der Schwanger schaft eine entsprechende Diagnose erhalten, gegen die Geburt. Aufgrund ihres Äußeren verglich sie der englische Arzt und Namensgeber des Syndroms, John Langdon Down, vor 100 Jahren mit den Einwohnern der Mongolei, was dazu führte, dass Menschen mit DownSyndrom oft mals als »mongoloid« bezeichnet und abfällig als »Mon gos« beschimpft wurden. Die OhrenkussRedaktion ist diesem Phänomen nach gegangen und im Sommer 2005 in die Mongolei gereist. Herausgekommen sind dabei ein Bericht im Magazin Geo, ein Fotokalender und selbstverständlich einige Arti kel im Ohrenkuss. Eine Ähnlichkeit mit den Einwohnern der Mongolei konnte übrigens nicht festgestellt werden. Friederike Geisler Besuch im Konzentrationslager Beim Themenspektrum gibt es keine Tabus. Die Palette reicht von Tod über Gewalt, Leidenschaft, Liebe bis hin zu Sex. Themen, bei denen so mancher meinen könnte, Menschen mit dieser Behinderung würden sie nicht ein mal kennen. So besuchten die Redakteure vor fünf Jahren das ehemalige Konzentrationslager Buchenwald. Die 30 jährige Veronika Hammel schreibt dazu: »Wenn ich da mals gelebt hätte, dann hätten die mich auch weggenom men, weil der Hitler keine behinderten Kinder gemocht hätte. Der hätte mich dann auch getötet.« Hilfestellung von Katja de Bragança und ihren Assis tentinnen erhalten die Autoren bei der Organisation ihrer Termine und Interviews ebenso wie beim Verfassen der Texte. Diese werden genauso gedruckt, wie die Autoren sie ausgesprochen oder niedergeschrieben haben – samt Rechtschreibfehlern oder GrammatikUnstimmigkeiten. Was ist ein Ohrenkuss? Ohrenkuss-AutorinSvenjaGieslererklärtdieEntstehung desMagazin-Namens:»VielesgehtzumeinenOhrreinund zumanderenwiederraus.DasWichtigstebleibtund dasistdanneinOhrenkuss.« MehrzumProjekt,vieleFotosundBerichteundselbstverständlichdasMagazingibtesunter:www.ohrenkuss.de undwww.ohrenkuss-mongolei.de weitblick m d k forum 2/10 Vom kleinen Sonnenschein zum Mondscheinkind X e R O D e R M a p i G M e n t O s u M (XP) ist eine seltene Erkrankung, die bei etwa einem von einer Million Menschen auftritt. In Deutschland leben ca. 50 Betroffene. Ihr Hautkrebsrisiko liegt über 1000 Mal höher als bei anderen. Sonnenstrahlung verursacht bei ihnen irreparable Schäden des Erbmaterials. Die Folge sind unkontrollierte Zellmutationen, also Krebs. Ein normales Leben scheint für die Erkrankten unmöglich. Die Geschichte von Markus Prenting zeigt das Gegenteil. Als Markus ein Jahr alt ist, erfahren seine Eltern Moni und Dirk Prenting, dass ihr Sohn ein sogenanntes Mond scheinkind ist. Er leidet unter xp und hat bereits Haut krebs. Für die Familie eine Diagnose, an der sie zu zerbre chen droht. Zu schwer war der Eingriff in den Alltag und Hilfe von Ärzten war keine zu erwarten – außer den Anwei sungen, tagsüber zu schlafen und das Kind nicht mehr uvStrahlen auszusetzen. »Die Nacht zum Tag machen ist nahezu unmöglich, gerade auch wenn Sie noch eine ge sunde Tochter haben«, erinnert sich Moni Prenting. »Wir haben uns aufgeteilt. Einer bei dem einen Kind, der andere bei dem anderen. Familienleben war das keines mehr.« Richtlinien für Verhaltensweisen bei der Erkran kung waren nirgends zu finden. Die Forschung steht erst am Anfang Im Jahr 1997 weiß niemand wirklich viel über Xeroderma pigmentosum und so dauert es fast ein dreiviertel Jahr, bis Familie Prenting auf einen Experten stößt. »Das haben wir der Ehrlichkeit eines Arztes zu verdanken, der offen zugab, keine Ahnung von xp zu haben, aber Prof. Mark Berneburg aus Tübingen kannte, bei dem sich zwischen zeitlich 32 von den 50 Betroffenen in Deutschland haben behandeln lassen«, sagt Dirk Prenting. Von ihm erfahren sie, welche speziellen Sonnenschutzcremes (Lichtschutz faktor 50+) sie auftragen müssen und dass ihr Sohn eine Sonnenbrille tragen muss, die damals schon 150 dm kostete. Die Familie schöpft neuen Mut und recherchiert in der ganzen Welt nach Herstellern für Spezialfolie, die keine uvStrahlen durch die Fenster lässt, uvundurch lässiger Kleidung und schafft ein Messgerät an, das stets anzeigt, wie viel Strahlung wo vorkommt. Die Kosten da für musste die Familie selbst tragen. Nur durch unermüdliche Initiative hat sich Familie Prenting innerhalb eines Jahres wieder zurück in ein halbwegs normales Leben gekämpft. »Wir wollten die Ärzte eines Besseren belehren und nicht akzeptieren, dass unser Sohn ein einsames Leben in der Nacht führt. Wir ha ben Schutzfolien aus England im Kindergarten und später in der Schule angebracht und unseren Sohn beim Fußball verein angemeldet«, erzählt Dirk Prenting. An unzählige Gespräche mit den zuständigen Menschen kann er sich 21 m d k forum 2/10 22 weitblick erinnern, auch mit der örtlichen Krankenkasse. »Wir ha ben gehofft, auf die Problematik aufmerksam machen und die Kasse dazu bewegen zu können, zumindest einen Teil der Ausgaben zu übernehmen, aber leider ist Sonnen schutz ein kosmetischer Artikel und keine medizinische Hilfe. Selbst ein persönliches Gespräch mit der dama ligen Patientenbeauftragten der Bundesregierung hat zu nichts geführt.« Die Einschränkungen sind belastend Markus soll einen Alltag führen, der so normal wie mög lich ist. Doch wie normal kann das sein, wenn ein 14Jäh Was ist XP? Xerodermapigmentosumisteineselteneautosomal-rezessive Krankheit,diesichanderHautundSchleimhautmanifestiert undzueinerÜberempfindlichkeitgegenüberultravioletten( U V ) Strahlenführt.DieErkrankungberuhtaufeinemgenetischen Defektdes D N A -Reparatursystems,welchesbeigesunden Menschenständig D N A -Schädenkorrigiert,diedurchden U V AnteildesLichtsandermenschlichenErbsubstanzverursacht werden. Daessichumeineautosomal-rezessiveErkrankunghandelt, erkrankennurdiePersonen,diedenGendefektvonbeiden ElterngeerbthabenunddamitinbeidenKopiendesentsprechendenGensdieMutationtragen. CharakteristischfürdieErkrankungistdasAuftretenvon SonnenbrändenschonnachsehrkurzemSonnenlichtkontakt. DieHautwirdbuntscheckig,trockenundzeigtSchrumpfungen. AufgrunddesReparaturdefektskanndarüberhinausbereits imKindesalterHautkrebsentstehen.DadieKinderjeden KontaktmitSonnenlichtmeidenmüssenundandererseits vomMondlichtkeineGefährdungausgeht,sodassdieBetroffenenzumindestnachSonnenunterganginsFreiekönnen, sprichtmanauchvonMondscheinkindern.EineHeilungder Erkrankungistbishernichtmöglich.DieTherapiemaßnahmen beschränkensichaufdieVermeidungvonSonneneinwirkung sowieeinefrühzeitigeDiagnoseundTherapiebösartiger Tumoren.BeimehralszweiDrittelnderBetroffenenverläuft dieErkrankungunbehandeltbereitsimKindesaltertödlich. MitgutemSchutzvorder U V -Strahlungisteinnahezu normalesAltererreichbar. ObspezielleSonnenschutzproduktewiez.B.Sonnenschutzcremes,Fensterfolienoder U V -Schutzbekleidungals Kassenleistunganzusehensind,mussdieeinzelneKrankenkasseentscheiden.Der M D K mussggf.imEinzelfallprüfen, obdiemedizinischenVoraussetzungenzurVersorgungmit Schutzproduktengegebensind.Das B M G gehtgrundsätzlich voneinerLeistungspflichtder G K V aus,wennessichbei denSchutzproduktennichtumGebrauchsgegenständedes täglichenLebenshandelt.Dieszuprüfenobliegtderjeweils zuständigenKrankenkasse. riger im Sommer mit langen Ärmeln und einer Kappe mit Schutzfolie vor dem Gesicht mit seiner Mannschaft Fußball spielt? »Er kommt im Grunde gut zurecht, aber natür »Muss ich mein Kind 100 % lich gibt es immer wieder auch vor der Sonne schützen schwierige Phasen. In der Pu oder reichen 99 %?« bertät zum Beispiel ist Cool sein äußerst wichtig. Und da die Schutzfolie vor dem Gesicht so gar nicht cool ist, nimmt er sie häufig zu früh runter. Dann, wenn die Sonne noch nicht untergegangen ist. Wir müssen ständig auf ihn einwirken, aber auch Kompromisse schließen zwischen Lebensqualität und Gesundheit«, macht Moni Prenting deutlich. Zu Hause in seiner Stadt geht Markus selbst einkaufen. Wenn die Fa milie aber nach München fährt, verzichtet er häufig dar auf. Zu peinlich ist ihm das Gegaffe der Menschen, und die Angst vor dummen Kommentaren hält ihn zusätzlich davon ab, sich aus seinem vertrauten Umfeld zu bewegen. »Wir lassen ihn selbst entscheiden, wie häufig er sich mit diesen Reaktionen konfrontiert. Mehr Verständnis der Menschen wäre allerdings sehr hilfreich«, seufzt Moni Prenting. Mit der Gefahr Krebs leben »Wir schützen ihn gut und sind wachsam. Bei der kleins ten Veränderung reagieren wir sofort«, beschreibt Dirk Prenting das Leben mit der Hautkrebsgefahr. Denn Haut tumoren zeigen sich erst nach ein paar Monaten. Betrof fene, die lange nichts von der xpErkrankung wussten, haben durch die Vorschädigung durch die uvStrahlen mehr Tumoren. »Wir stehen mit den amerikanischen und britischen xpSelbsthilfegruppen im ständigen Kontakt. Vor einigen Jahren haben wir gemeinsam bei einer Firma die tausend Kilo der Spezialfolie für die Kopfbedeckung herstellen lassen und dann länderübergreifend aufgeteilt. Auch die Patienten mit Vorschädigungen haben davon pro fitiert. Bei ihnen ist die Anzahl von Tumoren von 50 auf 10 im Jahr zurückgegangen.« Zukunftsaussichten könnten positiv sein Markus Prenting war in diesem Jahr mit seiner Schulklasse im Skiurlaub. Das hat seinen Eltern wieder einen Batzen Erfindungsgeist abverlangt, aber mit einer Art Sturmhaube als Intensivgesichtsschutz haben sie es möglich gemacht. »Schwierig und teuer macht es die Tatsache, dass die Spe zialkleidung aus Amerika kommt und zumeist nur spe zielle Bademoden für Kleinkinder hergestellt werden. Die trägt man als 14Jähriger recht ungern«, sagt der Vater schmunzelnd. »Aber generell ist ein Leben mit xp mög lich – auch ein langes Leben. Wir würden uns wünschen, dass die Forschung in der Gentherapie für diese Zwecke vorangetrieben würde, auch wenn das viele anders se hen.« Burga Torges Selbsthilfegruppe X P Freu(n)deMondscheinkinder Überlingerweg2,81243München,Tel.089.89669333 www.xerodermapigmentosum.de weitblick m d k forum 2/10 23 Eine Zirkusschule im südafrikanischen Township Flic Flac im Zirkus Zip Zap v O R D e n t O R e n K a p s t a D t s leben ca. 1,5 Millionen Menschen in Townships wie dem Khayelitsha. Die WellblechhüttenSiedlungen in den Cape Flats erstrecken sich über Kilometer entlang der Autobahn. Wenige der Bewohner haben es zu bedingtem Wohlstand gebracht. Schon früh werden hier Kinder mit Drogen, Gewalt, Armut, Aids und Tod konfrontiert. HIV und Aids allgegenwärtig 16 Jahren nach Ende der Apartheid hat sich die Lebens situation für zahlreiche schwarze Südafrikaner nicht we sentlich verbessert. Laut unaids leben 5,7 Millionen Menschen in Südafrika mit hiv. Das ist weltweit die höchste Rate. 18 % der südafrikanischen Erwachsenen sind mit dem Virus infiziert. Wer in Khayelitsha aufwächst, hat nicht viele Möglich keiten. Viele Kinder leben im drittgrößten Township Süd afrikas nur noch mit ihren Müttern zusammen. Ihre Väter haben sich schon früh aus dem Staub gemacht. Einige von ihnen sind selbst mit dem Virus infiziert oder an Aids erkrankt. Fast alle haben Familienangehörige, denen es ähnlich geht. Gesunde Ernährung und regelmäßige me dizinische Betreuung kennen sie oft nicht. Lebensfreude durch Zirkustraining Jeden Mittwochnachmittag können die Kinder aus Khaye litsha ihrer schweren Lebenssituation entfliehen. Dann nämlich kommt der bunte Bus der Zirkusschule Zip Zap. Der vom Kindermissionswerk »Die Sternsinger« und der dfbStiftung Egidius Braun finanzierte Bus startet zu seiner Tour vom Kapstadter Zentrum und fährt eine gute Dreiviertelstunde raus ins Township. Denn die Wege zum nagelneuen Gemeindezentrum am Rand des Townships sind lang und die teuren Minibusse können sich die Fa milien der Kinder nicht leisten. Wer also kein Fahrrad hat oder zu klein ist, um alleine zu kommen, wird abgeholt und nach dem Training wieder nach Hause gebracht. Südafrika im Fußball-Fieber Vom11.Junibis11.Juli2010findetdieFußballweltmeisterschafterstmalsinSüdafrikastatt.AlsLandderArmutsfalleund boomendeÖkonomiezugleich,istSüdafrikaHochburg desVerbrechensundcharmantesUrlaubsparadiesineinem. DieArbeitslosenquoteliegtoffiziellbei23%.NachSchätzungen derWeltgesundheitsorganisationwaren2008etwa5,7MillionenMenscheninSüdafrika H I V -positiv.Miteinerlandesweiten Infektionsratevon13,6%istinersterLiniedieschwarze Armutsbevölkerungbetroffen.DasElendimLandistauch nachderAufhebungderApartheideindrängendesProblem geblieben,dasdieRegierungzwaranpackt,dennochwird dieKluftzwischenArmundReichgrößer.Soentlädtsich FrustrationinbrutalerGewalt.Täglichgeschehen50Morde, 150Vergewaltigungen,535Raubüberfälleund868Einbrüche. EingesteigertesRisikofürFußballerundFanssollabernicht bestehen. WiejedesGastgeberlandgibtSüdafrikavielGeldfürdie W M aus.NebenneuenStadienwurdeauchdieInfrastruktur wieFlughäfenundSchienennetzimLandausgebaut.DieFans vonheutesinddieTouristenvonmorgen–sohofftdie Regierung,langfristigmehrGeldindasLandzubringen.Ob sichdieseHoffnungerfülltundauchdieArmeninSüdafrika davoneinenNutzenhabenwerden,wirdsichzeigen.Von gezieltenProjektenwiejenemdesDeutschenFußballbundes ( D F B )unddesKindermissionswerkesprofitierendieKinder ausdemTownshipKhayelitshadagegenschonheute. 24 weitblick m d k forum 2/10 Mit den Aufgaben (heran)wachsen Als der Zirkus vor sechs Jahre mit dem Training begann, war ihr Gründer Brent van Rensburg überzeugt, dass die Freude, die die Kinder durch das Training haben, ebenso wichtig für ihre Gesundheit ist wie gesunde Ernährung und medizinische Versorgung. Und wirklich – vielen Kin dern hier sieht man zwar an, dass sie krank sind, aber sie trainieren mit der gleichen Energie und Ausdauer wie die gesunden Altersgenossen. »Es ist wichtig, dass alle Kinder gemeinsam trainieren«, erklärt Shannon (25), Trai nerin aus Minnesota in den usa, die seit mehreren Jahren bei Zip Zap arbeitet. »Das fördert den Zusammenhalt und die Akzeptanz der Krankheit«, fügt sie hinzu. Wie das Beispiel Alitha (13) und ihrer Tante Nedeka (12) zeigt. Sie trainieren gemeinsam für die nächste Show zum Weltaidstag. Nedeka ist hivpositiv, aber sie zeigt keinerlei Zeichen von Anstrengung beim Training. Ihre Nichte Alitha ist zum Glück gesund. Alithas Großmutter war gleichzeitig Nedekas Mutter und starb an Aids. Alithas Mutter ist Tante von Nedeka und hat sie nach dem Tod der Großmutter aufgenommen. Keine ungewöhnlichen Ver wandtschaftsverhältnisse und auch keine ungewöhnliche Situation, was die hivInfektion betrifft. Aufklärung und gesunde Ernährung Im Gemeindezentrum trainieren ältere Jugendliche der Zirkusschule Zip Zap mit 35 Kindern. In dieser Zeit kön nen sie sich austoben, tanzen, artistische Elemente ein studieren und jonglieren. Und, ebenso wichtig: Hier ist es möglich, für zwei Stunden Krankheit und Sorgen zu vergessen. Egidius Braun-Stiftung und Kindermissionswerk Wichtig ist auch die Zusammenarbeit mit Sozialarbeiter Brian, der die Kinder bei einem gesunden Snack nach dem Training kindgerecht über den hiVirus und die Krankheit Aids aufklärt. Brian macht ihnen so verständ lich, wie wichtig es ist, die antiretroviralen Medikamente regelmäßig zu nehmen. Die bekommen sie in der nahege legenen Klinik, die von »Ärzte ohne Grenzen« unterstützt wird. Was der Spaß am Training, die Medikamente und die gesunde Ernährung bewirken können, erklärt Brent van Rensburg so: »Als wir anfingen, hatten die Kinder keine Kondition, vieles war für sie zu anstrengend. Im ersten Jahr starben auch noch vier Kinder an Aids, seit andert halb Jahren ist keins mehr gestorben. Das macht uns sehr stolz und glücklich.« Unter dem Motto »Nationalspieler und Sternsinger bauen Brücken zu Kindern in Not« fördern die D F B -Stiftung Egidius Braun und das Kindermissionswerk »Die Sternsinger« seit 1996 gemeinsam Projekte für Not leidende Kinder in der Welt. Mehr Infos unter: www.sternsinger.de, www.dfb-stiftung-egidius-braun.de Hedi Becker, Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Kinder missionswerk »Die Sternsinger«. [email protected] 25 weitblick m d k forum 2/10 Interview mit Dr. Wolfgang Mayrhofer Rückflug im Krankenbett U r l a U b s z e i t i s t r e i s e z e i t . Doch wenn die schönsten Tage des Jahres mit Unfall oder schwerer Krankheit enden, organisiert das Malteser Service Center bei Bedarf den Rücktransport. Dr. Wolfgang Mayrhofer koordiniert die Medizinische Assistance Ausland beim Malteser Service Center in Köln. MDK Forum sprach mit ihm über Details des Rücktransports. MDK Forum Herr Dr. Mayrhofer, unter dem Dach der Malteser finden sich viele Abteilungen, wie ist der Rückholdienst integriert? Dr. Wolfgang Mayrhofer Angefangen bei 12 Krankenhäusern in Deutsch land unterhält der Malteser Hilfs dienst als gGmbH viele eigenstän dige Abteilungen, darunter auch den Rückholdienst, der sich speziell um den Rücktransport von Menschen kümmert, die im Ausland krank geworden sind und vor Ort keine ausreichende Hilfe erhalten können. Zu unseren Auftraggebern zählen u. a. Privatpersonen, Reiseveran stalter, Automobilclubs und private Krankenversicherungen. Und natürlich erhalten auch unsere Mitglieder diesen Service. Nicht zu verwechseln ist dieser Rückholdienst mit dem Malteser Auslandsdienst, der zumeist im Auftrag der Bundes regierung Entwicklungshilfeprojekte betreut MDK Forum In welchen Fällen kommt der Rückholdienst zum Einsatz? Mayrhofer Generell gibt es zwei Arten von Rückholungen: die eine bei medizinischer Notwendigkeit, wenn vor Ort eine Unterversorgung besteht. Die andere nach Primär versorgung vor Ort zur Weiter behandlung in Deutschland. Grund bedingung ist aber, dass wir Patienten mit dem Flug nicht zu viel zumuten. Rein medizinisch haben wir das ganze Spektrum von der Frühgeburt bis zur Netzhaut ablösung, vom Schlaganfall bis zum Polytrauma, mit zunehmender Häufigkeit auch psychiatrische Indikationen. MDK Forum Wie wird die Ver sorgungskette in Gang gesetzt? Mayrhofer Dazu gibt es verschiedene Wege. Wir werden über unsere Notrufzentrale alarmiert, entweder durch den Patienten selbst, über seine Angehörigen, die Reiseleitung, Kliniken am Urlaubsort oder mitreisende Angehörige. Der Notruf wird vom Disponenten aufgenom men. Der diensthabende Arzt bekommt ihn umgehend auf den Tisch und damit beginnt die eigentliche Aufgabe im medizi nischen Bereich: sich hier in Köln durch Gespräche mit den behan delnden Ärzten vor Ort ein möglichst objektives Bild von dem Patienten zu machen. Was ist passiert? Wie geht es dem Patienten? Wie ist er dort versorgt? Was müssen wir tun und wie schnell? Das ist wie ein Puzzle, wo man auch nicht alle Teile gleich hat. Man braucht viel Erfah rung, um mit wenigen Informationen eine Entscheidung zu treffen. Wichtig ist auch, zu diesem Zeitpunkt bereits zu entscheiden, wie der Patient transportiert und wohin er gebracht werden soll. Es macht wenig Sinn, einen in Nordvietnam verunglückten Urlauber mit einem Polytrauma im Langstreckenjet nach Frankfurt zu fliegen. Aber er kann natürlich in optimale Versorgungsstrukturen in ein anderes Land, z. B. Thailand, verlegt werden. MDK Forum Welche Voraussetzun gen brauchen die Ärzte in Ihrer Leitstelle, um diese Entscheidungen treffen zu können? Mayrhofer Alle brauchen eine hervorragende klinische Grundaus bildung und sehr viel Erfahrung. Daneben sind auch Sprachkennt nisse extrem wichtig. Eine unserer Kolleginnen spricht fließend vier Sprachen. Die Mehrsprachigkeit ist wichtig, um von den Ärzten vor Ort wirklich alle Informationen zu erhalten, die wir zur Vorbereitung des Fluges brauchen. MDK Forum Wie viele Einsätze fliegen Sie pro Jahr? Mayrhofer Rund 3000 Flüge pro Jahr. Mit unseren LearJets haben wir gut 100 Einsätze im Jahr, mit der Linie sind es inzwischen über 1500, der Rest sind Auftragsbesetzungen von Ambulanzflugzeugen. Dies bedeutet, dass ständig 15 Kollegen unterwegs sind – auf dem Hinflug zum Ort, wo sich der Patient aufhält, und auf dem Versorgungsflug zurück. MDK Forum Wie sieht die Logistik aus, die dahintersteckt? Mayrhofer Festangestellt hat das Malteser Service Center rund 100 Mitarbeiter: Ärzte, Personal für die Leitstellen, Disponenten und selbstverständlich Verwaltungs angestellte. Zusätzlich haben wir viele externe Ärzte und auch Rettungssanitäter in der ganzen Bundesrepublik, die nach Bedarf für Rückholungen abgerufen werden. Inzwischen sind alle wichtigen Fachrichtungen vertreten: Chirurgen, Internisten, Anästhesisten, sogar Kinderärzte und eine Neonatologin. Insgesamt derzeit ca. 300 Ärzte und 200 Flugsanitäter. So weit zur Manpower. Nun zur Technik: Unsere Vertragsambulanzflugzeuge sind mit sämtlichen wichtigen Überwa chungsinstrumenten einschließlich Klinikbeatmungsgeräte ausgestattet. Die Jets können vier bis fünf Stunden ohne aufzutanken fliegen, dies reicht für den größten Teil der europäi schen Rückholflüge. Für Lang strecken sind die Jets jedoch nicht sinnvoll, da wir dann mehrfach zwischenlanden müssten. Deswegen gibt es speziell bei der Lufthansa mit den Patient Transport Compart ments (ptc) einzigartige fliegende 26 m d k forum 2/10 weitblick Intensivstationen. Ein kompletter Container kann in ganz kurzer Zeit in die Kabine eines Linienjets eingebaut werden und bietet wirklich alle Möglichkeiten einer modernen Intensivstation. Damit können wir dann unseren Service auf die ganze Welt ausdehnen. MDK Forum Wie läuft die Koordi nierung mit den Luftfahrtgesell schaften? Mayrhofer Wir arbeiten hier eng mit dem Medical Helpdesk der Lufthansa zusammen, das die kon zerninterne Koordination über nimmt. Wir stellen das Personal, die Lufthansa das technische Equipment. Dann müssen in den entsprechenden Maschinen 3–4 Sitzreihen heraus genommen und der Container eingebaut werden. Wir reisen in der Zwischenzeit mit unserem Personal an. MDK Forum Wie sieht die Koopera tion mit anderen Rückholdiensten aus? Eher Konkurrenz zueinander oder tauscht man sich aus? Mayrhofer Alles. Natürlich sind wir unter den fünf größeren Unterneh men in Deutschland Konkurrenten, aber auf der anderen Seite arbeiten wir auch eng zusammen, z. B. im Ambulanzflugzeug. Wir können in unseren LearJets zwei Patienten transportieren und sehen natürlich zu, dass wir durch Mitnahme eines zweiten Patienten die Kosten reduzieren können. Also bieten wir freie Kapazität an. Inzwischen gibt es dazu eine »Börse«, speziell mit dem adac, mit dem wir sehr eng zusammenarbeiten. MDK Forum Wie ist der finanzielle Aspekt? Was kostet ein Einsatz? Mayrhofer Da müssen wir unter scheiden zwischen einem Linienflug und dem Flug mit dem LearJet. Abgerechnet wird beim LearJet nach Flugstunde, d. h. ein Rückflug von Gran Canaria kostet ca. 25 000 €, von Palma de Mallorca 15 000 €. Lang streckentransporte mit Linie, auf denen wir nur eine eingebaute Liege für den Patienten benötigen, kosten z. B. von Hongkong nach Deutsch land gut 20 000 €. Dazu kommen die Transportkosten für den Patienten bis zum Flughafen und evtl. weitere Kosten. Mit der kompletten ptc Unit sind es gut 50 000 € alleine für den Flug, zuzüglich An und Ab transport am Boden, Anschlussflüge und Ähnliches, so dass man im Schnitt beim ptc mit 70 000 € rechnen muss. MDK Forum Wer kommt für diese Kosten auf? Mayrhofer Generell arbeiten wir mit privaten Krankenversicherungen zusammen, die unter anderem auch Auslandspolicen haben. Das sind unsere Hauptauftraggeber. Dann natürlich unsere eigenen 600 000 MalteserMitglieder, die mit ihrer Mitgliedschaft automatisch eine Rückholversicherung abgeschlossen haben. Und dann gibt es eine große Zahl von Zusatzversicherern, die den Rückholflug in ihrem Angebot haben. MDK Forum Gab es besondere »Schmankerl« auf den Transporten? Mayrhofer Ich selbst habe über 1000 Rücktransporte begleitet und sehr viele Schmankerl erlebt. Spontan fällt mir eine Rückholung aus Costa Rica ein, wo der behan delnde Kollege auf der Begleichung der Rechnung durch uns bestand. Zur Untermauerung der Ernsthaftig keit seiner Forderung hatte er einen Colt deutlich sichtbar in den Hosenbund gesteckt. Oder ein psychiatrischer Patient, der in 12 000 Metern Höhe das Flugzeug verlassen wollte. Trotz aller medikamentöser Behandlung war er von diesem Vorhaben nur dadurch abzubringen, dass wir ihm glaubhaft versicherten, dass es außerhalb der Flugzeugtür so voll sei, dass er warten müsse, bis jemand in den Flieger käme, dann erst könne er raus. Dieses »Argument« hat ihn überzeugt. Die Fragen stellte Dr. Uwe Sackmann weitblick m d k forum 2/10 Erlebniswald für Blinde und Sehende Nasenkino und Orakelkraut a u F e i n e M G u t a u s G e B a u t e n w a l D - e R l e B n i s - p F a D können Besucher in Gerolsbach (Bayern) die Natur mit allen Sinnen wahrnehmen. Zwischen riesigen Spinnennetzen finden sich wegweisende Waldgestalten aus Holz; ein Barfußpfad mit Erlebnisstationen führt durch den Wald. Der Rundweg ist ein spannendes Ausflugsziel für Kinder, Erwachsene, Rollstuhlfahrer, Blinde und auch für demenzkranke Menschen, die sehend und fühlend den Wald neu entdecken möchten. Als Projektleiterin Frauke Albuszies vor sechs Jahren im Staatsforst Gröber Forst begann, das Konzept für den Er lebniswald auszuarbeiten, gab es eine Menge Skeptiker. Denn viele glaubten nicht daran, dass aus dem einst als Kinderprojekt gestarteten Vorhaben ein attraktives Frei zeitangebot entstehen könnte. »Als wir begonnen haben, Fühlelemente und kleine Kunstwerke fantasievoll in den Wald zu integrieren, hat sich das schnell rumgesprochen«, erinnert sich Frauke Albuszies. »Viele Begeisterte wollten sich in die Arbeit mit einbringen und so entstanden innerhalb von sieben Monaten mehr als 50 Stationen, an denen sich der Wald spielerisch entdecken lässt.« Der Erlebnispfad bietet ins besondere Kindern und Jugendlichen eine spannende Alternative zur virtuellen Computerwelt, in der sie sich heute zumeist bewegen. Mittlerweise ist aus dem Kinderprojekt der »Wald mit allen Sinnen für Sehende und Blinde« entstanden. Ein ambitioniertes Unternehmen, das bereits jetzt über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist. Warum kriegt der Specht kein Kopfweh? Welcher Schmetterling ist violett? Wer hinterlässt welche Spuren im Wald? Mit kleinen Fragen am Rande des Weges wird die Aufmerksamkeit des Besuchers immer wieder erneut stimuliert. »Mit einer Mischung aus Lernen und Aktivität möchte ich die Menschen nicht mit Informati onen zuschütten, sondern Erlebnisse in ihren Köpfen erzeugen, die sie mit nach Hause nehmen«, erklärt die Projektleiterin. Für sie ist es besonders wichtig, dass sie Besuchen + mitmachen + unterstützen GruppenführungendurchdenErlebnispfadwerden ganzjährigangeboten.InformationenzudemProjekt,BesuchsterminefürSchul-,Kindergarten-undandereGruppen sowieAnfahrtsinformationenunter:WaldmitallenSinnene.V. FraukeAlbuszies,Gerolsbach,Telefon:08445.928644, Mail:[email protected] mit der Erlebnispädagogik des Pfades einen wesentlichen Beitrag dazu leisten kann, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene Natur erfahren und lernen, verantwortungs voll mit sich und ihrer Umwelt umzugehen. Einsicht und Wissen über komplexe Wirkungszusammenhänge des Ökosystems Wald, Kooperations und Kommunikations fähigkeit sollen deshalb an methodisch vielfältigen Sta tionen dieses Umweltbildungsstandortes ermöglicht werden. 27 28 weitblick Integration statt nur Besucher »Wer partizipiert, fühlt sich verbunden. Deshalb möchten wir, dass unsere Besucher sich intensiv an der Gestaltung und Weiterentwicklung des Erlebniswaldes beteiligen«, betont die engagierte Naturliebhaberin. So wurden bei spielsweise die Stationen in rollstuhlgerechter Höhe ge plant und zukünftig sollen Duft und Kräuterbeete gemein sam mit blinden Menschen angelegt werden. Viele Statio nen sind darüber hinaus bereits mit Brailletext für Blinde beschriftet, so wie beispielswei se das Nasenkino. Hier können In der grünen Universität verschiedene Düfte des Waldes lernen Besucher mit Spaß erschnuppert werden. Die Be und Fantasie schriftung löst auf, ob auch der richtige Duft erkannt wurde. »Wir wollen nach und nach alle Stationen für Menschen mit Behinderungen oder auch Demenz erlebbar machen, so dass ein Sinnespro gramm für alle Menschen entsteht«, verrät die Initiatorin des Erlebniswaldes. rindenTaststraße und der Waldteppich aus Blättern, Grä sern und Blüten. An Wissensstationen erfahren die Besu cher, dass der Breitwegerich auch Orakelkraut genannt wird. Geräumige Sitzgelegenheiten sollen zur ausgiebigen Rast einladen. In Zusammenarbeit mit Schulen und Kin dergärten werden zukünftig immer neue Ideen und Pro jekte entwickelt. Für ihr Engagement und das Projekt »Wald mit allen Sinnen für Sehende und Blinde« wurde Frauke Albuszies im Dezember 2009 mit dem Bürgerpreis ausgezeichnet. Die Initiative »für mich, für uns, für alle« verlieh der Ge rolsbacherin den zweiten Platz des bundesweiten Ehren amtspreises in der Kategorie Alltagshelden. Bürgerpreis für Projekt ohne Stillstand Der Erlebnispfad soll zukünftig den Bedürfnissen der Besucher und auch den natürlichen Gegebenheiten vor Ort stets angepasst und weiterentwickelt werden. Neue AktionsStationen entstehen wie beispielsweise die Baum burga torgesist Mitarbeiterinim FachgebietPresse-und Öffentlichkeitsarbeit desMDS. [email protected] gesundheit und Pflege Personenortungssysteme in der Pflege Wenn die Armbanduhr den Alarm auslöst a n F a n G D e s J a h R e s sorgte der tragische Unfall einer 93-jährigen demenzkranken Patientin im Klinikum Offenbach für Schlagzeilen. Die Frau war in einen Schacht gefallen und wurde erst 24 Stunden später tot aufgefunden. Das hätte mit einem GPS-gestützten Ortungssystem wahrscheinlich verhindert werden können. Doch der Einsatz dieser Systeme ist umstritten. Rund-um-die-Uhr-Überwachung und Freiheitseinschränkung sind die Argumente der Kritiker. So fallen die Entscheidungen der Gerichte zu GPS-gestützten Ortungssystemen in Deutschland unterschiedlich aus. Das Pflegeheim am Nollen im badischen Gengenbach arbeitet bereits seit 2007 mit einem Ortungssystem für Menschen mit einer erhöhten Weglauftendenz. Nach meh reren Fällen, in denen sich Bewohner verirrt hatten, ent schloss sich Heimleiter Heinz Litterst, die für die Ortung notwendige Hard und Software anzuschaffen. Überwacht werden Pflegebedürftige, die durch ihren erhöhten Bewe gungsdrang besonders gefährdet sind, orientierungslos in der Umgebung herumzuirren. Sie tragen einen Sender in Form einer Armbanduhr am Handgelenk. Sobald sie einen definierten Bereich rund um das Gebäude verlas sen, erhalten die Pflegekräfte ein Signal auf ihren Emp fänger und können sich um den »Flüchtling« kümmern. »Wir wollen kein geschlossenes Haus, in dem die Bewoh ner eingesperrt sind«, erklärt Pflegedienstleiter Wolfgang Granzow. »An bestimmen ›Meeting Points‹ haben die Pfle gebedürftigen die Möglichkeit, zusammenzukommen, und diese Treffpunkte gibt es auch außerhalb des Hauses. Das Sicherheitssystem sorgt dafür, dass die Bewohner diesen Bereich nicht unbemerkt verlassen.« Uneinheitliche Rechtsprechung Um ein Personenortungssystem in der Pflegeeinrichtung installieren zu dürfen, muss die Heimleitung die Geneh migung eines Betreuungsgerichtes einholen, da es sich um einen Eingriff in die Freiheitsrechte des Betroffenen handelt. Hier reicht die Zustimmung eines Betreuers oder Bevollmächtigten nicht aus. Außerdem muss eine kon krete, unmittelbar drohende Gesundheitsgefährdung vor liegen. Die Gerichte urteilen sehr unterschiedlich über die Systeme. »Einige Gerichte haben das System genehmigt, weil sie darin ein Beaufsichtigungsinstrument zum Schutz der Bewohner sehen. Andere sehen darin eindeutig eine sogenannte freiheitsentziehende Maßnahme – eine Kate gorie, in die zum Beispiel auch die Fixierung des Bewoh ners am Bett fällt. Diese Gerichte sehen keinen großen Unterschied darin, ob man alle Türen abschließt oder den Bewohner am Verlassen des Gebäudes hindert, weil das gpsSystem einen Warnton von sich gegeben hat«, sagt Bärbel Schönhof von der Alzheimer Gesellschaft. Den Bewohner begleiten Ursachen für Bewegungsdrang finden Bärbel Schönhof, Fachanwältin für Sozialrecht und zweite Vorsitzende der Deutschen Alzheimer Gesellschaft, sieht den Einsatz der Personenortungssysteme nicht ganz un kritisch. »Wichtig ist, die Ursachen für eine Weglauften denz zu betrachten. Vielleicht sucht der Patient etwas, weil er sich in seiner Umgebung nicht zurechtfindet. Oft fehlt Demenzkranken auch das Zeitgefühl. Sie denken, dass sie zur Arbeit müssen oder abgeholt werden. Viele haben einen großen Bewegungsdrang, da lohnt sich auch der Blick in die Biografie des Bewohners. Wenn er leiden schaftlich gerne im Garten gearbeitet hat, hat er viel leicht nicht so viel Spaß daran, Bastelarbeiten im Haus zu machen, sondern möchte sich Beaufsichtigung oder draußen aufhalten. Wenn der Bewegungsdrang der Patienten Freiheitsentzug? gestillt ist, lassen sich auch Schlafstörungen vermeiden und nächtliche ›Ausflüge‹ ver hindern.« Das Gengenbacher Gericht hat dem Pflegeheim am Nollen grünes Licht für die Maßnahme gegeben. »Im Gegenteil, der Richter hat darin sogar eine freiheitsgebende Maß nahme gesehen«, berichtet Pflegedienstleiter Wolfgang Granzow. »Wichtig ist, dass man den Bewohner, der das Signal ausgelöst hat, nicht gleich festhält und zwingt, wieder ins Haus zu gehen. Die Pflegekräfte beobachten zunächst, was derjenige vorhat. Möchte er sich ein wenig die Beine vertreten, begleitet ihn eine Schwester. Wenn sie dann wieder zu Hause angekommen sind, hat sich der Bewegungsdrang vielleicht sogar schon gelegt.« Auch die 88jährige Maria S. trägt ein Armband. Zwar sitzt sie im Rollstuhl, doch hindert sie das nicht am »Aus büchsen«. »Besonders in den Abendstunden ist sie sehr un ruhig«, berichtet ihre Nichte Lioba Eberhardt. »Hin und wieder macht sie sich auch allein auf den Weg – so schnell kann man gar nicht gucken.« Aufgrund der vielen Allein gänge, bzw. fahrten, willigte die Krankenschwester gleich ein, als Wolfgang Granzow ihr vorschlug, ihre Tante in das Ortungssystem mit aufzunehmen. »Es ist ja eine Frage der 29 30 m d k forum 2/10 gesundheit und Pflege Sicherheit, sie ist dadurch etwas freier in der Bewegung. Jetzt muss ich mir keine Sorgen mehr machen, dass etwas passieren kann.« Bärbel Schönhof schätzt die Gefahr für die demenz kranken Bewohner nicht allzu groß ein: »Natürlich war der Fall in Offenbach sehr dramatisch. Das war jedoch ein Extremfall, wie er so nicht oft vorkommt. Die Bewohner sind in den Heimen und Kliniken unter Aufsicht. Wenn sie sich tatsächlich mal verlaufen oder ungesehen das Heim verlassen, melden sich in den meisten Fällen die Anwohner oder die Polizei bei der Einrichtung.« Entlastung des Personals kein Grund Den Einsatz eines Ortungssystems hält die Anwältin des halb nicht für unbedingt notwendig. »Die Frage ist, war um eine Pflegeeinrichtung ein Ortungssystem einsetzt. Die Betreuung von Demenz kranken ist sehr personalauf Patientenwohl sollte wendig und zeitintensiv. Da liegt einziger Überwachungses nahe, solch ein System einzu grund sein richten, um sich die Arbeit zu erleichtern. Das ist der falsche Weg. Die Freiheit des Be wohners darf dabei nicht eingeschränkt werden. Wenn das System dazu genutzt wird, einen Demenzkranken, der sich verirrt hat, wiederzufinden, macht das Sinn.« Wolfgang Granzow ist sehr zufrieden mit der Ortungs edv. Sie trage maßgeblich zum Schutz der Bewohner bei. »Wir sind in der Pflicht, die Sicherheit der Bewohner zu schützen. Natürlich wird dadurch auch das Personal ent lastet – hinter jedem Bewohner herzulaufen wäre ja gar nicht möglich. Auf diese Weise haben die Pflegekräfte die Möglichkeit, sich intensiver um einzelne Bewohner zu kümmern.« Für die Zukunft könnte sich Granzow vorstellen, das System noch weiter auszubauen und auch gps für die Ortung zu nutzen. Auf diese Weise wäre es den Mitarbei tern des Heims möglich, jederzeit nachprüfen zu können, wo sich welcher Bewohner gerade aufhält. »An dieser Stelle könnte es auch datenschutzrechtliche Probleme geben«, warnt Bärbel Schönhof. »Ein Bewegungsprofil dürfte zum Beispiel nicht angefertigt werden. Außerdem darf das Heim die Daten des Systems nicht speichern. Nutzt die Einrichtung das System nur zur Überwachung des aktuellen Geschehens, gibt es datenschutzrechtlich keine Einwände.« Friederike Geisler 31 gesundheit und Pflege m d k forum 2/10 Interview mit Prof. Dr. Dr. h. c. Friedhelm Beyersdorf Weniger arbeiten – mehr erreichen F ü R v i e l e K R a n K e n h ä u s e R bedeutet Qualitätsmanagement primär eine gesetzlich verordnete Pflichtaufgabe. Dass es auch anders geht, beweist Prof. Dr. Dr. h. c. Friedhelm Beyersdorf, Leiter der Abteilung Herz- und Gefäßchirurgie am Universitätsklinikum Freiburg. »Weniger arbeiten – mehr erreichen« – so sein Fazit der Folgen aus der Beratung. MDK Forum Herr Professor Dr. Beyersdorf, Sie sind mit Ihrer Abteilung hinsichtlich Qualitäts sicherung schon immer weit über die gesetzlichen Vorgaben hinaus gegangen. Vor gut drei Jahren hatten Sie die Beratungsgesellschaft Porsche Consult im Haus. Wie sehen Sie dieses Projekt drei Jahre danach? prof. Friedhelm Beyersdorf Ich sehe es auch nach drei Jahren als einen ganz großen Gewinn für unsere Mitar beiter und Patienten. Wir haben sehr viel gelernt und unsere Einstellung zur Arbeit geändert. MDK Forum Worin bestand dieser große Gewinn? Beyersdorf Wir haben erstmalig gelernt, dass es möglich ist, mit weniger Arbeit mehr zu erreichen. Dies klingt zunächst einmal kontra produktiv. Es ist aber tatsächlich so, dass wir durch die Neustrukturierung der Arbeitsorganisation weniger und gleichzeitig sehr viel effektiver arbeiten als früher. Diese Erkenntnis hat dem gesamten Team so viel Spaß gemacht, dass wir in den Jahren danach viele Veränderungen nach demselben Prinzip auf den Weg gebracht haben. MDK Forum Welche Veränderungen Prof.Dr.Dr.h.c.FriedhelmBeyersdorf sind das zum Beispiel? Beyersdorf Wir hatten schon immer unsere Clinical Pathways in den Schubladen liegen. Ins Leben gerufen und konsequent umgesetzt haben wir sie erst in der Kooperation mit Porsche Consult und McKinsey. Die wichtigste Veränderung besteht aber darin, dass wir genauer hinter fragt haben, was wirkliche und was vergeudete Zeit für unsere Patienten ist. Man macht unbewusst viele Dinge, die entweder gar nicht oder nicht zu diesem Zeitpunkt not wendig sind. Warum muss man beispielsweise für eine Visite der ganzen Abteilung die Zeit rauben, wenn man Fragen auch in einem kleinen Kreis fachlich, kurz und problemlösend klären kann? Dieses Bewusstsein lebt bis heute fort. MDK Forum Sie haben vor Jahren immer wieder darauf hingewiesen, dass mit der konsequenten Um setzung von Clinical Pathways ein wirtschaftliches Einsparpotenzial zu erzielen ist. Trifft dies heute noch zu? Beyersdorf Auf jeden Fall. Wir kön nen uns heute nicht mehr vorstellen, ohne die Pathways zu arbeiten. Wir haben sie regelmäßig weiterent wickelt und sobald wir etwas Neues umsetzen, machen wir das nach einem festen Schema, völlig transpa rent für die Mitarbeiter. Alle Fragen und Anmerkungen werden mit eingebracht und dies ist, neben dem Einsparpotenzial, einer der Gründe, weswegen wir weiterhin so positiv zu den Clinical Pathways stehen. MDK Forum Gab es in der Koopera tion mit Porsche Consult und McKinsey und der Zeit danach auch Dinge, die Sie im Nachhinein als Fehlentwicklung bezeichnen? Beyersdorf Nein, definitiv nicht. Was wir in den vergangenen Jahren angegangen sind, hat zu erheblichen Verbesserungen geführt und hat uns geholfen, wesentliche Zeit einzu sparen. Darüber hinaus gibt es aber auch noch viele Projekte, die ich mir vorstellen kann. MDK Forum Haben Sie neue Projekte in der Pipeline? Beyersdorf Theoretisch sehr viele und wichtige. Aber analog zur Lufthansa: Die Lufthansa hat einen zukunftsweisenden Qualitäts standard. Diesen aufrechtzuerhalten kostet viel Personal und unglaublich viel Geld. Außer dass wir die Kosten nicht auf die Preise umlegen können, geht es uns wie der Airline: Wir könnten noch viel mehr machen, nur mit den heutigen Rahmen bedingungen, so wie beispielsweise dem kleinen Personalstamm, schaffen wir das nicht. MDK Forum War die Kooperation mit Porsche Consult damals ein Glücksgriff? Beyersdorf Wie alle Kliniken in Deutschland hatten wir hier in Freiburg unzählige Berater, so dass wir gar nicht auf die Idee gekommen wären, jemanden zusätzlich ins Haus zu holen. Dies ist mehr aus Neugierde und aus persönlicher Freundschaft zum damaligen Porsche Chef Dr. Wiedeking entstanden. Am Anfang war es mehr ein »Auspro bieren«, denn damals hatte Porsche Consult noch keine Erfahrung im Krankenhaus. Deswegen auch die Mitarbeit von McKinsey. Das machte die Kooperation aber auch so inter essant. Die Arbeit war spannend, hat Spaß gemacht und es kamen tolle Ergebnisse dabei heraus. Die Fragen stellte Dr. Uwe Sackmann 32 die Politische kolumne m d k forum 2/10 Ein Kommentar von Steffen Habit Röslers geplatzte Träume D e R t R a u M von der ganz großen Gesundheitsreform währte wenige Monate. Mit der Niederlage für Schwarz-Gelb in NRW und dem Verlust der Bundesratsmehrheit steht auch die geplante Kopfpauschale vor dem Aus. Für Krankenkassen und Versicherte allerdings kein Grund zum Aufatmen: Die Gesundheitspolitik droht, im Parteienstreit zu versinken. Die Enttäuschung war Gesundheitsminister Philipp Rös ler (fdp) anzusehen. Mit versteinerter Miene stand der fdpJungstar am Wahlabend hinter Parteichef Guido Westerwelle, der sich bemühte, das miserable Ergebnis schönzureden. Da half es auch wenig, dass Rösler wenige Tage nach der nrwPleite auf dem Deutschen Ärztetag in Dresden betont kämpferisch auftrat. Eine schlechte Re form würde auch bei den heutigen Mehrheitsverhältnis sen in der Länderkammer keine Zustimmung erhalten, rief der Rösler muss sein Projekt 37Jährige den Kritikern ent stutzen gegen. »Eine gute Reform hat dagegen immer eine Chance im Bundesrat.« Trotz der Durchhalteparolen – Rösler wird sein PrestigeProjekt kräftig stutzen müssen. Skepsis aus der Union »Die können die Kopfpauschale beerdigen. Wir stimmen im Bundesrat nicht zu«, verkündete GrünenGesundheits expertin Biggi Bender selbstbewusst nach der nrwWahl. Auch die Sozialdemokraten ließen keinen Zweifel, was sie vom PrämienModell halten – nämlich überhaupt nichts. Mehr als 100 000 Unterschriften gegen die Kopfpauschale hat die spd bereits gesammelt. Die Genossen instrumen talisierten damit den nrwWahlkampf zur Abstimmung über die Gesundheitsreform. Aber nicht nur die Opposi tion macht mobil gegen Röslers Lieblingsprojekt. Auch innerhalb der Union wachsen die Zweifel. »Evolution statt Revolution ist die Maxime. Den allein seligmachenden Totalumbau gibt es nicht«, betonte jüngst der gesund heitspolitische Sprecher der cdu, Jens Spahn, im taz Interview. Er rückte damit dezent vom einstigen Reform Kurs ab. Seine skeptischen Worte sind umso erstaunli cher, als bisher vor allem die csu gegen die umstrittene Kopfpauschale wetterte. Aus Bayern kommen seit der nrwWahl dagegen gera dezu staatstragende Töne. »Der gesetzlichen Krankenver sicherung steht das Wasser bis zum Hals«, erklärte Uni onsfraktionsvize Johannes Singhammer (csu). Für lange ReformDebatten bleibe keine Zeit, sonst drohe eine »Kaskade von Insolvenzen« bei den Kassen, warnte Sing hammer. Die csuStrategie ist eindeutig: Warum weiter hin öffentlich gegen die Kopfpauschale schießen, wenn die Reform sowieso kaum noch eine Chance hat? Die Zahlen geben Singhammer recht. Die Finanzlage der Krankenkassen wird sich spätestens 2011 dramatisch zuspitzen. Schätzungen des Bundesversicherungsamtes gehen von einem Minus von 6 bis 15 Milliarden Euro aus. Schuld sind vor allem die steigenden Ausgaben. Zugleich wird der Bundeszuschuss im nächsten Jahr von 15,7 auf 13,3 Milliarden Euro sinken. Zurückzahlen müssen die Kassen auch das Darlehen aus dem Jahr 2009 in Höhe von 2,3 Milliarden Euro. Angesichts der MilliardenLücke wirkt das ArzneimittelSparpaket, das Rösler medien wirksam geschnürt hat, lediglich wie ein Tropfen auf dem heißen Stein. 18,40 Euro Zusatzbeitrag? Woher sollen also die Milliarden kommen, um das Loch zu stopfen? Höhere Zusatzbeiträge? Der Verband der Ersatzkassen in Bayern hat jüngst berechnet, dass bei einem Defizit von elf Milliar den Euro im nächsten Jahr im Arzneimittel-Sparpaket nur Schnitt Zusatzbeiträge von 18,40 Tropfen auf dem heißen Euro im Monat fällig wären. Stein Eine Alternative wäre, den bun desweit einheitlichen Beitragssatz von derzeit 14,9 % an zuheben. Die Gesundheitsexperten in der Union sehen dies jedoch als letzten Ausweg. Denn höhere Beiträge be deuten auch höhere Lohnnebenkosten für die Unterneh men. Sicher ist nur: Eine Anhebung des Staatszuschusses gilt als ausgeschlossen. Um die Schuldenbremse einzu halten, muss die Bundesregierung in den nächsten Jahren Milliarden sparen. Statt mehr wird es daher eher weniger Geld für den Gesundheitsfonds geben. Der Handlungsspielraum für den ambitionierten Ge sundheitsminister ist massiv geschrumpft. Sein selbst ge stecktes Ziel – der schrittweise Umstieg auf eine einkom mensunabhängige Prämie mit Sozialausgleich – ist in weite Ferne gerückt. Dabei hat sich der fdpHoffnungs träger stets bemüht, alles richtig zu machen. Wochenlang schloss sich Rösler nach Amtsantritt im Ministerium in Berlin ein. Keine Interviews, keine Talkshows. Der Minis ter wolle sich erst einarbeiten, ließ der 37Jährige mittei len. Angeblich übernachtete der zweifache Vater sogar im Ministerium, um nachts noch Akten zu studieren. Dann ging es Schlag auf Schlag: Erst verkündete Rösler ein strik tes ArzneimittelSparpaket, dann forderte er eine Landarzt Quote, um die medizinische Versorgung auf dem Land zu verbessern. Dies alles sollte jedoch nur der Startschuss für die gro ße Reform sein. Im Frühjahr bildete Rösler eine neue Ge sundheitskommission – in ungewöhnlicher Zusammen setzung: Statt Experten berief der Minister das halbe Bun die politische kolumne m d k forum 2/10 deskabinett in das Gremium. Bevor die Kommission ihre Arbeit aufnehmen konnte, war sie quasi schon wieder beendet. Die Eckpunkte für eine Reform sollen zunächst mit den Partei- und Fraktionsspitzen von cdu / csu und fdp abgestimmt werden, hieß es überraschend nach der nrw-Wahl. Die Kommission wird die Ergebnisse später wohl nur noch abnicken. Ursprünglich wollte Rösler Mitte Mai dem Gremium seine Vorschläge präsentieren. Angeblich hat Kanzlerin Angela Merkel (cdu) ihren Gesundheitsminister in letzter Minute zurückgepfiffen, um neuen Krach in der schwarz-gelben Koalition zu vermeiden. Wie die regierungsinternen Verhandlungen auch ausgehen – Rösler muss die Sozialdemokraten ins Boot holen. Ohne die Stimmen der Genossen wird sein Prestige-Projekt in der Länderkammer scheitern. Zwar beteuert das Gesundheitsministerium, es arbeite seit Monaten an einer Reform-Variante, die ohne Zustimmung des Bundesrates auskommt. Angesichts des geplanten Sozialausgleichs aus Steuermitteln erscheint dies jedoch unrealistisch. Denn bei Steuerfragen haben die Länder ein Wort mitzureden. Selbst ein Sozialausgleich über die Krankenkassen wäre keine Lösung. Schließlich unterstehen die Ortskrankenkassen der Aufsicht der Länder. Selbst wenn Röslers JurisRösler muss die Sozial ten einen Weg finden, irgenddemokraten ins Boot holen wie am Bundesrat vorbeizukommen – es wäre politisch unklug: Die Bürger würden ihm solche Tricksereien übelnehmen. Zwischen Diplomatie und Machtpolitik Rösler hat sein politisches Schicksal mit der Einführung einer Prämie verknüpft. »Wenn es nicht gelingt, ein vernünftiges Gesundheitsversicherungssystem auf den Weg zu bringen, dann will mich keiner mehr als Gesundheitsminister haben«, sagte der fdp-Politiker Anfang Februar in der ard-Sendung »Beckmann«. Schon damals spottete spd-Fraktionsvize Elke Ferner, Rösler könne schon mal seine Koffer packen. Damit es so weit nicht kommt, muss der Gesundheitsminister rasch zum Befreiungsschlag ansetzen. Die heikle Mission: Erst die widerspenstige csu bändigen, dann die Opposition überzeugen. Dafür braucht Rösler die richtige Mischung aus diplomatischem Fingerspitzengefühl und knallhartem Verhandlungsgeschick. Es bleibt jedoch zu befürchten, dass der Drahtseilakt misslingt. Dann droht die Gesundheitspolitik endgültig zum Spielball der Machtpolitik zu verkommen. Jede Partei wird der anderen vorwerfen, die entscheidenden Reformen zu blockieren. Die Leidtragenden wären die Versicherten: Über kräftig steigende Zusatzbeiträge müssten sie den Preis dafür zahlen, dass der Politik die Kraft für dringend nötige Korrekturen fehlt. Steffen Habit istWirtschaftsredakteur beimMünchner Merkur. IMPRESSUM MDK Forum. Das Magazin der Medizinischen Dienste der Krankenversicherung Herausgegeben vom Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e. V. (MDS) Verantwortlicher Redakteur Dr. Ulf Sengebusch REdaktIon Martin Dutschek Leiter Unternehmens kommunikation beim MDK Niedersachsen [ [email protected] ] Christiane Grote Fachgebietsleiterin »Presse und Öffentlichkeitsarbeit« beim MDS [ c.grote@mdsev.de ] Elke Grünhagen Mitarbeiterin im Bereich »Allgemeine Grundsatzfragen« beim MDS [ e.gruenhagen@mdsev.de ] Dr. Uwe Sackmann Qualitätsmanagement beauftragter beim MDK BadenWürttemberg [ [email protected] ] Dr. Ulf Sengebusch Geschäftsführer des MDK im Freistaat Sachsen [ ulf.sengebusch@mdksachsen.de ] REdaktIonSbüRo MDS e. V., Martina Knop Lützowstraße 53, 45141 Essen Telefon +49.201.8327111 Telefax +49.201.83273111 m.knop@mdsev.de Gestaltung und Layout de Jong Typografie, Essen Druck Memminger MedienCentrum bIldnachwEIS Titelmotiv: Dan Kuta / photocase.com; S. 2 memfilm.de / photocase.com; S. 4 JoeEsco / photocase.com; S. 16 carlitos / photocase.com; S. 19 Luke Golobitsh; S. 21 alex2.0 / photocase.com; S. 22 berndbernd / photocase.com; S. 24 Alice Smeets, Kindermissionswerk; S. 26 complize / photocase.com; S. 27, 28 Wald mit allen Sinnen e. V.; S. 30 mathias the dread / photocase.com. Fotos der Autoren und Gesprächspartner wurden uns, sofern nicht anders gekennzeichnet, privat zur Verfügung gestellt. I S S n 1610-5346 33 anschriften und kontak tinformationen MDK Baden-Württemberg Ahornweg2,77933Lahr Geschäftsführer Karl-Heinz Plaumann Telefon 07821.938-0 Telefax 07821.938-1200 E - Mail [email protected] MDK Nord Hammerbrookstraße5,20097Hamburg Geschäftsführer Peter Zimmermann Telefon 040.25169-0 Telefax 040.25169-509 E - Mail [email protected] Knappschaft Pieperstraße14–18,44789Bochum Geschäftsführer Dr. Georg Greve Telefon 0234.304-0 Telefax 0234.304-8004 E - Mail [email protected] MDK Bayern PutzbrunnerStraße73,81739München Geschäftsführer Reiner Kasperbauer Telefon 089.67008-0 Telefax 089.67008-444 E - Mail [email protected] MDK Nordrhein Bismarckstraße43,40210Düsseldorf Geschäftsführer Wolfgang Machnik Telefon 0211.1382-0 Telefax 0211.1382-330 E - Mail [email protected] MDS e.V. Lützowstraße53,45141Essen Geschäftsführer Dr. Peter Pick Telefon 0201.8327-0 Telefax 0201.8327-100 E - Mail [email protected] MDK Berlin-Brandenburg e.V. 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BürohausMitte–AmSchießhaus1 01067Dresden Geschäftsführer Dr. Ulf Sengebusch Telefon 0351.4985-30 Telefax 0351.4963-157 E - Mail [email protected] MDK Sachsen-Anhalt Allee-Center,BreiterWeg19c 39104Magdeburg Geschäftsführer Rudolf Sickel Telefon 0391.5661-0 Telefax 0391.5661-160 E - Mail [email protected] MDK Thüringen e.V. Richard-Wagner-Straße2a,99423Weimar Geschäftsführer Kai-Uwe Herber Telefon 03643.553-0 Telefax 03643.553-120 E - Mail [email protected] MDK Westfalen-Lippe Roddestraße12,48153Münster Geschäftsführer Dr. Ulrich Heine Telefon 0251.5354-0 Telefax 0251.5354-299 E - Mail [email protected] MD Bundeseisenbahnvermögen Kurt-Georg-Kiesinger-Allee2,53175Bonn Geschäftsführerin Carole Schollmeier-Höfer Telefon 0228.3077-0 Telefax 0228.3077-160 E - Mail [email protected]