Albanische Gastfreundschaft

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Albanische Gastfreundschaft
Mit diesen erfreulichen Aussichten warte ich auf der Passhöhe auf
Andrea. Ich nütze diese Zeit, um unsere Kamera auf einem kleinen
Felsen für ein Bild mit dem Selbstauslöser zu positionieren. Andrea
kommt früher als erwartet nach. Ich vermute, weil ihr niemand zugehört hatte, dürfte sie ihre Energie doch mehr zum Radfahren als zum
Schimpfen verwendet haben.
Das Bild, das hier entsteht, sagt wahrlich mehr als tausend Worte.
Zwei abgekämpfte Radfahrer stehen schweißgebadet mit staubigen
Beinen und ebenso staubigen Rädern vor der Kulisse einer märchenhaft schönen Bergwelt.
Albanische Gastfreundschaft
Auf dem Hochplateau kommen wir mit unseren Rädern wieder richtig
in Schwung und beschließen noch bis auf das Niveau des Shkoder
Sees, albanisch Liqeni i Shkodrës, abzufahren.
Nach nur 78 Tageskilometern treffen wir kurz vor der kleinen Ortschaft Hot ein Paar mittleren Alters, das sich auf der Straße vor ihrem
Haus mit anderen Leuten unterhält. Wir fragen, ob wir in ihrem Garten
unser Zelt aufstellen dürfen. Beim Anblick der staubigen Gestalten
überlegen sie ein Weilchen, ehe sie ihr Einverständnis geben.
Im Garten kommen wir nicht einmal zum Auspacken des Zeltes, da
werden wir schon in das Haus eingeladen. Zu unserem Erstaunen ist
das Gebäude ziemlich neu und nicht ganz fertig. Wir dürfen duschen
und unsere Radbekleidung waschen. Unsere Gastgeber Luan und Drita
sind sehr um uns bemüht. Sie zeigen uns ein einfach eingerichtetes
Zimmer im Obergeschoß, wo wir die Nacht verbringen dürfen. Drita
hängt sogar unsere Wäsche auf.
An den Bildern im Haus merken wir, dass die beiden Christen sind.
Mit Hilfe unseres Übersetzungszettels können wir uns ein wenig mit
ihnen unterhalten. Als Katholiken freuen sie sich, dass sie Katholiken
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beherbergen dürfen. Wir erfahren, welch großen Wert die freie Religionsausübung in Albanien hat. Die Kirche im Dorf ist erst zehn Jahre
alt und Luan und Drita haben beim Bau kräftig mitgeholfen. Zur Zeit
Enver Hoxhas war es lebensgefährlich, seinen Glauben zu zeigen.
Albanien galt als einziges, völlig atheistisches Land der Welt.
Drita und Luan decken für uns den Tisch in der schönen Küche und
verwöhnen uns mit kühlem Bier, Tomaten und Käse. Da ihr Sohn in
Mailand studiert, sprechen sie ein wenig Italienisch. Um besser kommunizieren zu können, rufen wir Fatima aus Steyr an. Die gebürtige
Kosovo-Albanerin arbeitet als Dolmetscherin für die Hilfsorganisation
von Dr. Schodermayr und war uns bei der Erstellung unseres Übersetzungszettels behilflich. Mit einer speziellen SIM-Karte kann sie uns
gratis in Albanien zurückrufen. Unsere Unterhaltung gewinnt dadurch
noch mehr an Herzlichkeit.
Als Drita gerade einmal nicht im Raum ist, fragen wir Luan nach einem Foto, das auf dem Fernsehgerät steht. Luan bekommt feuchte
Augen. Er gibt uns zu verstehen, dass das Bild ihren zweiten Sohn
zeigt, der zur Zeit des Enver-Hoxha-Regimes verschleppt und vermutlich ermordet wurde. Wir sollen es Drita gegenüber nicht erwähnen,
weil sie sonst wieder weinen würde.
Bei der großen Gastfreundschaft bekommen wir ein schlechtes Gewissen. Die beiden Leute haben selbst nur das Nötigste zum Leben
und wir werden so reich beschenkt. Wir beschließen, ihnen zehn Euro
für die Nächtigung und Verpflegung zu geben. Das ist alles andere als
einfach. Drita wagt nicht, das Geld anzunehmen. Erst nach Rücksprache mit Luan können wir die beiden überreden, das Geld zu nehmen.
Vor dem Schlafengehen bringt uns Drita sogar noch warme Milch
und noch vor Mitternacht ziehen wir uns in unser Gästezimmer zurück.
Es war von Luan und Drita sicher gut gemeint, aber wir haben wieder
einmal dazu gelernt. Die Betten waren so weich, dass wir beide nicht
gut schlafen konnten und Andrea schmerzt jetzt der Rücken. Wir hät48
ten doch auf unsere bewährten Therm-A-Rest-Unterlagen vertrauen
sollen.
Selbstverständlich lassen wir uns nichts anmerken. Eine Tasse Kaffee lässt Andrea die Rückenschmerzen bald vergessen. So wie beim
Abendessen werden wir auch beim Frühstück reichlich bewirtet. Alles
was wir nicht aufessen, packt Drita für uns ein. Ich bespreche noch mit
Luan die weitere Route und mit einem Selbstauslöser-Gruppenfoto
verabschieden wir uns.
Als wir vom Haus wegrollen, verspüren wir ein eigenartiges Gefühl,
das wir im weiteren Verlauf unserer Reise noch öfter erleben sollten.
Es wird uns bewusst, dass wir diese einzigartigen Menschen wahrscheinlich nie mehr sehen werden.
Von Shkoder bis zum Koman-Stausee
Leicht bergab bis flach führt eine gut asphaltierte Straße Richtung
Shkoder. Trotz einiger langer Baustellen kommen wir auf der ziemlich
geradlinig verlaufenden Straße gut voran, da zumindest zwei asphaltierte Fahrstreifen für den Verkehr übrig bleiben.
Die Absicherung mit 20-km/h–Tafeln erscheint mir völlig übertrieben. Das wäre ein Paradies für österreichische Verkehrspolizisten.
Meine Berufskollegen könnten innerhalb weniger Minuten ganze
Blocks ausschreiben und bis auf ein paar Esel- und Pferdefuhrwerke
alle Verkehrsteilnehmer bestrafen.
Am Stadtrand von Shkoder ändert sich fast schlagartig unser Bild von
Albanien. Am Straßenrand drängen sich die Menschen zwischen armseligen Hütten und der Rauch von brennendem Müll hüllt die Landschaft in einen grauen Schleier. Neben Karren, die von Menschen gezogen und geschoben werden, sind hier Esel- und Pferdefuhrwerke die
wichtigsten Transportmittel.
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