Die Rechenmaschine von Gottfried Wilhelm Leibniz

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Die Rechenmaschine von Gottfried Wilhelm Leibniz
Seminararbeit
zum Thema:
„Die Rechenmaschine von Gottfried Wilhelm Leibniz“
Vorgelegt bei: Prof. K.D. Graf
Veranstaltung: Hauptseminar Didaktik der Informatik
Autor :
Torsten Brandes
Matrikel Nr.: 151471
Fächerkombination: Mathematik und Informatik
e-mail: [email protected]
Berlin, den 02.01.2003
„In Mathematics und Mechanics
habe ich … einige Dinge erfunden,
die in praxi vitae von nicht
geringer importanz zu achten, und
erstlich in Arithmeticis eine
Maschine, so ich eine Lebendige
Rechenbanck nenne, dieweil
dadurch zu wege gebracht wird,
dass alle Zahlen sich selbst
rechnen, addiren, subtrahiren
multipliciren dividieren…“
Einleitung
Dem großen deutschen Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz verdanken wir
nicht nur die Integral- und Differentialrechnung, das Determinantenkalkül oder die
Infinitesimalrechnung, sondern auch die Erfindung der ersten mechanischen
Rechenmaschine, die in der Lage war, alle vier Grundrechenarten automatisch
auszuführen.
Da diese Maschine zu den Vorläufern des modernen Computers zählt, ist es
vielleicht auch sinnvoll, in der Schule am Rande auf diese und andere
Rechenmaschinen einzugehen. Dabei sollte jedoch meines Erachtens nicht eine
bestimmte Maschine in allen Einzelheiten im Vordergrund stehen. Vielmehr sollte die
grundsätzliche Funktionsweise eines solchen Gerätes vermittelt werden. Dabei
können auch Parallelen zur Funktionsweise moderner Rechenwerke in Computern
aufgezeigt werden.
1. Von der Sache und den verwendeten Begriffen – Allgemeines zu
mechanischen Rechenmaschinen
Eine mechanische Rechenmaschine (Addiermaschine) besteht aus einem Zählwerk
(auch Resultatwerk genannt) und einem Einstellwerk.
Abb.: 1: Schematische Darstellung zweier Stellen eines Zählwerkes
Ziffern werden auf so genannte Zählräder abgebildet. Jedes Zählrad repräsentiert
dabei eine Ziffer. Durch Drehung in positive Richtung kann addiert, durch Drehung in
negative Richtung kann subtrahiert werden.
Wird die Kapazität einer Zählstelle über- oder unterschritten, tritt ein Übertrag auf
(Zehnerübertrag im Dezimalsystem). Der Übertrag muss an die nächst höhere Stelle
weitergegeben werden. Die Grundaufgabe der Rechenmaschinenerfindung ist also
die Schaffung einer in beiden Drehrichtungen, d.h. umkehrbar und sicher
funktionierenden, automatischen Zehnerübertragung. Dies kann mit Hilfe eines so
genannten Einzahnes realisiert werden, der beim Übergang von neun nach null das
links gelegene Zählrad um eine Einheit weiter dreht.
Abb.: 2: Zehnerübertrag zwischen zwei Stellen
Jetzt benötigt man noch einen Mechanismus zum Einstellen des Zählwerkes, das
Einstellwerk.
Abb.: 3: Zwei Stellen einer Addiermaschine
Nun haben wir also die Funktionsweise einer einfachen Addiermaschine
nachvollzogen.
2. Rechenmaschinen vor und nach Leibniz
1623 entwickelte Wilhelm Schickard eine Rechenmaschine für die vier
Grundrechenarten, mit der Berechnungen astronomischer Tafeln und Logarithmen
vorgenommen wurden (unter anderem nutzte Kepler das Gerät). Sie war die erste
urkundlich erwähnte Rechenmaschine.
Multiplikation und Division beruhten auf dem Prinzip der von Napier erfundenen
Rechenstäbchen, die auf Zylindern aufgebracht waren. Zwischen den Zylindern und
dem Addierwerk bestand keine Verbindung. Man kann also nicht im eigentlichen
Sinne von einer Rechenmaschine für die vier Grundrechenarten sprechen.
Das Original der Maschine wurde im 30jährigen Krieg zerstört. Mit Hilfe eines Briefes
von Schickardt, das eine Skizze enthielt war es jedoch möglich, sie zu
rekonstruieren.
Abb.4: Nachbau der Rechenuhr von Schickard
Von 1641 stammt die von Blaise Pascal gebaute Addiermaschine. Pascals Vater war
Steuereintreiber und sollte mit der Maschine bei seinen Berechnungen unterstützt
werden. Die Übertragsrechnung war nicht umkehrbar, so dass die Subtraktionen mit
„Komplementzahlen“ ausgeführt werden musste.
Beispiel:
88 – 52 = 36
Rechne: 88 + 47 = 135 (maschinell)
subtrahiere 100:
35
addiere 1:
36
funktioniert, weil: 88 – 52 = 88 + (99 – 52) – 99
= 36
Abb.: 5: Pascals Rechenmaschine
In die Zeit von 1670 - 1700 ist die vier Spezies – Rechenmaschine (Spezies – lat.
Grundrechenart) von Leibniz einzuordnen um die es im nächsten Kapitel gehen wird.
Sie funktionierte nur eingeschränkt, ist jedoch wegen ihrer revolutionären Technik
(Einsatz der von Leibniz erfundenen Staffelwalze) von Bedeutung.
1774 gelang es Philipp Matthäus Hahn (1739-1790), einem schwäbischen Pfarrer
und Uhrmacher, eine Rechenmaschine zu entwickeln, die erstmals zuverlässig
arbeitete. Sie verwendete Leibniz’ Staffelwalzentechnik, war jedoch sehr viel
einfacher konstruiert. Der Preis war beachtlich.
Abb.: 6: Rechenmaschine von Hahn
3. Die Rechenmaschine von Leibniz
„Die Pascalsche Maschine ist immerhin ein Probestück des
glücklichsten Genies, aber da sie nur Addition und Subtraktion
erleichtert, deren Schwierigkeit ohnehin nicht so groß ist, aber
die Multiplikation und Division der früheren Rechnung
überläßt, so hat sie sich mehr durch ihre Feinheit, bei
Neugierigen als durch praktischen Nutzen bei ernst
beschäftigten Leuten empfohlen.“
Leibniz begann etwa 1670 sich mit dem Bau einer Rechenmaschine zu befassen.
Sein Ziel war es, auch Multiplikation und Division vollständig zu automatisieren. Dass
ihm dies nicht vollständig gelang, ist der mangelnden Fertigkeit der damaligen
Handwerker geschuldet. Leibniz ging von der üblichen schriftlichen Berechnung im
Dezimalsystem aus.
Es gab mehrere (vier?) Maschinen. Eine (die letzte, Beginn ca. 1693) ist im Original
und in mehreren Nachbauten erhalten. Die Entstehung des Gerätes ist dabei als
Prozess zu betrachten. So stellte Leibniz bereits 1673 ein hölzernes Modell während
einer Sitzung der Royal Society vor.
Wichtiges Bauteil der Maschine ist die von Leibniz erfundene Staffelwalze, eine
Anordnung von achsenparallelen Zahnrippen gestaffelter Länge.
Je nach Position des zweiten verschiebbaren Zahnrades wird bei einer Umdrehung
der Staffelwalze dieses um null bis neun Zähne weitergedreht.
Abb. 7: Staffelwalze
Abb. 8: Nachbau der Vier – Spezies – Rechenmaschine von Leibniz
Abb. 9: Original der Vier – Spezies – Rechenmaschine von Leibniz
3.1 Funktionsweise der Rechenmaschine:
Abb. 10: schematische Darstellung, Zeichnung: W. Jordan
H – Handkurbel
K – Kurbel zur Stellenverschiebung
Umdrehungswerk
Die Maschine besteht aus einem Einstellwerk, das verschiebbar gelagert ist, einem
Resultatwerk und einem Umdrehungszähler, der die für die Multiplikation benötigten
Additionen zählt. Durch Drehung der Handkurbel H wird die im Einstellwerk
befindliche Zahl in das Resultatwerk hineinaddiert.
Das Einstellen einer Zahl a in den nur einstellig ausgeführten Umdrehungszähler
bewirkt eine a – malige Addition der im Einstellwerk gespeicherten Zahl in das
Resultatwerk, also die Multiplikation dieser Zahl mit a.
Addition:
Die Addition wird in zwei Hauptphasen (Takte) aufgeteilt.
1. Addition ziffernweise, dabei Speicherung der Zehnerüberträge durch Betätigung
eines jeder Ziffernstelle zugeordneten Speicherelements (Rädchen)
2. Hinzufügen der gespeicherten Überträge zu den zuvor erhaltenen
Zwischensummen
Dazu ein Beispiel:
SWi = Staffelwalzen, unwirksame Zahnrippen gestrichelt, wirkend sind SW3 = 2, SW2 = 5,
SW1 = 4
Sj = Summenrädchen
Ai = Ablesestelle
Üi = Übertrags(fünfhorn)speicher (im Bild: Ü3 = Ü2 = 0, Ü1 = l)
Ei = mit Si verbundene „Einzähne“, schalten beim Übergang von Si = 9 auf Si = 0 den
Übertragsspeicher auf Üi = l
AÜi = Antrieb zur Weiterschaltung der Überträge Üi
ZWi = Zwischenräder zur Übernahme von Überträgen aus Üi-1 in Si
Hi = System gestaffelter Antriebshebel zur aufeinander folgenden Abarbeitung aufgetretener
Überträge
Zi = Kette von miteinander kämmenden Zahnrädern der Übertragung der Kurbel
Zu dem obigen Schaubild schreibt Lehmann:
„Der Mechanismus wir durch die Kurbel K und die damit gekoppelten Zahnräder Z1,
Z2, Z3, … bewegt. In der ersten Phase der Addition haben die Staffelwalzen SW 3,
SW 2, SW 1, … (eingestellt ist 254, nicht wirkende Zahnrippen gestrichelt) die
Summenrädchen S3, S2, S1 auf die Zwischensumme 692 weitergedreht. Zur
Speicherung der Überträge dienen jeweils sogenannte „Fünfhörner“ Ü3, Ü2, Ü1; der
Eintrag in Üi wird beim Übergang der zugehörigen Summenziffer Si von 9 auf 0 durch
den damit verbundenen Einzahn Ei bewirkt.
Im Bild stehen 0 = Ü3 = Ü2 in der Grundstellung, während Ü1 = 1 durch E1 zur
Speicherung des Übertrags um 18° bewegt wurde.
In der anschließenden zweiten Phase der Addition kommen die mit dem Antrieb K
verbundenen Hebel H1, H2, H3 zeitlich nacheinander zur Wirkung. Sofern ein
Übertrag Üi = 1 ist, schaltet Hi mittels der Verbindungskette Hi - AÜi = Üi – Zwi+1 =
Si+11 das folgende Summenrädchen wegen der gewählten Hebelverhältnisse um eine
Einheit weiter. Dabei kann in der damit erreichten Stelle ein neuer (sekundärer)
Übertrag auftreten, der bei richtiger Staffelung der Hebel Hi im nächsten Takt analog
verarbeitet wird. Im Bild wird S2 = 9 durch Ü1 = 1 auf 0 gestellt, so dass E2 den
Übertrag Ü2 = 1 einschaltet, den H2 danach über H2 – AÜ2 = Ü2 – ZW 3 = S3
weiterleitet.“
Für die Subtraktion musste lediglich die Drehrichtung der Kurbel umgedreht werden.
Die Multiplikation wollen wir uns an einem Beispiel veranschaulichen:
32.448*75
Eingabe der Zahl 32.448 in das Einstellwerk
Eingabe der fünf am Umdrehungszähler
Drehung der Handkurbel H. Im Resultatwerk wird die Zahl 162.240 sichtbar.
Drehung der Kurbel K. Das Einstellwerk wird um eine Stelle nach links
verschoben.
5. Eingabe der sieben am Umdrehungszähler.
6. Drehung der Handkurbel H. Im Resultatwerk wird die Zahl 2.433.600 sichtbar.
1.
2.
3.
4.
1
Ein „ - „ kennzeichnet Eingriffe, „ = “ eine gemeinsame Achse.
4. Versuch einer dualen Maschine
…Eine Büchse soll so mit Löchern versehen werden, dass sie geöffnet
und geschlossen werden können. Sie sei offen an den Stellen, die 1
entsprechen und bleibe geschlossen an den Stellen, die 0 entsprechen.
Durch die offenen Stellen lasse sie kleine Würfel oder Kugeln in
kleine Rinnen fallen, durch die anderen nichts…“
(1679)
In einem seiner zahlreichen Briefe beschrieb Leibniz den Aufbau einer möglichen
dualen Rechenmaschine. Die Idee hatte er jedoch, als er die Entwicklung der
dezimalen Maschine schon vorangetrieben hatte. Deshalb wurde die Maschine nie
gebaut. Subtraktion und Division hätten nur im Komplement ausgeführt werden
können.
Das Hauptproblem war natürlich, dass die Menschen an das Dezimalsystem
gewöhnt waren.