Glamour war gestern

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Glamour war gestern
Glamour war gestern
Wolfgang Joop
in: Der Spiegel Nr. 31 vom 30.07.2001 Seite 156
Seit dem Absturz der Börsenkurse ist es mit dem Konsumrausch vorbei. Nun
zeichnet sich eine Suche nach dem Echten ab. Das Glück liegt in der Beschränkung.
Von Wolfgang Joop
Joop, 56, ist einer der erfolgreichsten deutschen Modedesigner. Er lebt in Monte
Carlo, New York und Potsdam. Weg mit dem Prunk, mit dem Protz und allem, was nur ein Schnörkel über dem
Eigentlichen ist: ausräumen, wegwerfen, damit in der Leere allein das wirklich
Wichtige zurückbleibt. Im Jahr 2001 beginnt Freiheit mit der Befreiung von all dem,
was jahrelang bei Shopping-Beutezügen zusammengetragen wurde.
So sorgte die New Yorker Designerin Norma Kamali, in den Siebzigern berühmt und
reich geworden mit schon legendären drapierten Badeanzügen und
"Schlafsack"-Mänteln, mit einer Verkaufsaktion für Aufruhr: Sie trennte sich von ihrer
riesigen "Vintage"-Couture-Kleider-Sammlung, ausserdem von Kunst,
Kristallkronleuchtern, Antiquitäten und ihrer Luxus-Triplex-Wohnung in der Nähe der
Fifth Avenü.
Kamali zog in ein spartanisches Loft in New Yorks Lower Westside, einer BohemeWohngegend. Sie war nicht etwa pleite; sie wollte einfach "wieder atmen können".
"Fangen bestimmte Leute an, die Tretmühle zu verlassen, fühlen auf einmal alle,
dass sie das auch können", sagt der New Yorker Architekt und Yale-Professor
Steven Harris. "Heute möchte niemand mehr einen Lichtschalter für 5000 Dollar
einbaün lassen. Die Stimmung ist umgeschlagen."
"The Real Thing", das Echte also, ist auch ein neues Schönheitsideal bei Fraün und
Männern: "Americans Get Real", beschreibt das US-Magazin "Talk" den
Sinneswandel. Authentizität ist das neue Ding.
"Echte Männer brauchen kein Botox", heisst es im Heft. Botox ist ein
muskellähmendes Gift, das kosmetisch und genau platziert gespritzt wird und so der
Faltenbildung vorbeugt. Die rund 700 Mark pro Anwendung können eingespart und
getrost festverzinslich angelegt werden. Dazu zeigt "Talk" attraktive
Gesichtsknautschzonen der männlichen Stars aus Filmen wie "Gladiator" oder
"Traffic".
Auf der Kinoleinwand selbst erscheint die neue Botschaft sechs Meter gross: Die
düstere Angelina Jolie, die mopsige Drew Barrymore lassen die zerbrechliche
Patrizier-Perfektion einer Gwyneth Paltrow verblassen, im wahren Sinn des Wortes.
Alternde Baby-Boys wie Leonardo DiCaprio und Matt Damon werden abgelöst vom
Pearl-Harbor-Star Josh Hartnett, dessen schwarze Augen erst zum Leuchten
kommen im Schein von Schiffsexplosionen.
Das allzu Artifizielle, das dekadente Raffinement der neunziger Jahre wird ausgebuht
vom "Geburtsschrei nach Einfachheit" ("Talk"). Kaum einer schaut sich noch nach
den beiden auffällig gestylten "Bombshell"-Hilton-Erbinnen um, wenn sie ins "Mr.
Chow's"-Restaurant an New Yorks Midtown East Side einfallen. Allenfalls zischt
jemand abfällig.
Gourmettempel sind nur noch Treffpunkt für jene, die noch nicht verstanden haben,
dass es nicht mehr um Schau, sondern um Nabelschau geht. Danny Meyer,
Mitbesitzer mehrerer New Yorker Nobellokale wie des Union Square Cafe und der
Gramercy Tavern, plant als nächstes Projekt einen Barbecü-Schuppen. Kühlt sich die
Wirtschaft ab, geht es eben mehr ums Essen als ums Dinieren.
Auch am Zeitungskiosk wird der Trend zum Realen offensichtlich: Der phänomenale
Erfolg des ernsthaft antiglamourösen Magazins "O" der schwarzen Talk-Qüen Oprah
Winfrey und die eher schlichte jüngste Ausgabe der "New York Times
Magazine"-Beilage "Home Design" zeigen, dass Leser genug haben von illusionären
Trips zum Unerreichbaren. War das Auftischen und Vorführen, das Inszenieren und
Ausstaffieren der letzten Jahre nicht sowieso vor allem Resultat von aufgeblähtem
Ego und von Neid? Das ständige Sich-Vergleichen-Müssen mit denen, die mehr
haben, besser, schneller sind, gleicht im Rückblick einem absurden Rennen.
Die Güterstürmer sind da. ähnlich wie jene Bilderstürmer, die im Laufe der
Jahrhunderte immer wieder Götzendarstellungen und Abbilder angeblich falscher
Heiliger in geistiger oder politischer Erneuerungswut zerstörten, rechnet nun die
ästhetik radikal mit Vergangenem ab: Nach den Jahren des Kaufrauschs, des
unversiegbar scheinenden Cashflows aus zahllosen Börsengängen, nach dem
Triumph der Devise "Mehr ist mehr" gilt nun die Abwesenheit von Dingen als Luxus.
Schon die Bilderstürmer produzierten oft nur karge Langeweile. Im historischen
Abstand erscheinen deshalb manche Aktionen der Befreiung wie Vandalismus. Zum
Beispiel mussten Stuck und Schnörkel aus der Architektur der Gründerzeit in den
zwanziger Jahren dem klaren Gedanken der Bauhaus-Jünger weichen: Heute sind
stuckverzierte Jugendstilwohnungen das Ideal vieler Grossstädter.
Waren die neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts eine Episode der
Kompensationen, welche die menschliche Neigung zum Sammeln und Anhäufen von
vermeintlichen Schätzen und Souvenirs befriedigte, so folgt nun auf die grosse Party
der grosse Hangover.
Am radikalsten vollzogen die Avantgarde-Magazine "Dutch" und "Purple" die
Kehrtwende hin zur Reduktion. Sie brachen mit der Tradition von Mode- und
Lifestyle-Magazinen wie "Harper's Bazaar", "Vogü" und "Elle" und ersetzten Fülle
durch Leere. "Dutch" druckte eine gesamte Modestrecke ohne Mode. Nackte
Mädchen in Schwarzweiss - das war alles. Trotzdem gab es auf jeder Seite einen
kleinen Hinweis auf die Hersteller des Nicht-Gezeigten: Armani, Calvin Klein, Fendi,
Versace. Das Heft war ein riesiger Erfolg, schon deshalb, weil kein einziger
Anzeigenkunde sich von dem Konzept hatte abschrecken lassen.
Das Gespenst der Jetztzeit heisst Stagnation, nicht Rezession. Trotz aller
spektakulären Abstürze und neuverarmten Börsenspekulanten leben die westlichen
Gesellschaften in einer beqümen Situation beispiellos stabilen Friedens und
Wohlstands. Stagnation ist anders als Rezession kein Grund für existenzielle ängste,
aber doch für Schaudern und Zittern - und für Defensivmassnahmen, die den
Lebensstil verändern.
"Man kann nicht behaupten, dass die metaphysischen Wandlungen in erster Linie
geschwächte Gesellschaften befallen, die bereits im Niedergang begriffen sind",
schrieb der französische Schriftsteller Michel Hoüllebecq vor drei Jahren in seinem
Bestseller "Elementarteilchen": "Als das Christentum aufkam, befand sich das
Römische Reich auf dem Gipfel seiner Macht; perfekt organisiert, beherrschte es die
bekannte Welt; seine technische und militärische überlegenheit war unübertroffen;
und dennoch hatte es keine Chance."
Den wirtschaftlichen und ideologischen Absturz vor Augen, ersetzen die Menschen
die Lust an der materiellen Sammlung heute durch die Suche nach der inneren
Sammlung, nach Konzentration.
Weg mit Nichtigkeiten aller Art, nur das Wichtige hat ein Bleiberecht: Das ist der NoNonsense-Trend. Anders als der Minimalismus früherer Jahre, der jeweils nur eine
Designer-Antwort auf einen modischen Overkill war, spiegelt dieser No-NonsenseTrend ein echtes Bedürfnis nach spartanischer Strenge und Sammlung, die letztlich
Stärkung verheisst.
Es geht nicht um totalen Verzicht im Stil von Sokrates, der für seinen Platz an der
Sonne noch nicht mal einen Sunblocker brauchte, sondern es geht um "The Real
Thing", um das Eigentliche.
Das zu bekommen ist in einer Welt der Süchte und Abhängigkeiten kein leichtes
Unterfangen. Die Mode, sonst verlässlicher Illustrator des Zeitgeistes, ist heute kein
adäquater Ratgeber mehr. Stilbrüche und ein mit Accessoires überschwemmtes
Mode-Deja-vu, wie John Galliano es beispielsweise für Dior alljährlich neu erfindet,
führen genau das vor, was man eben nicht mehr braucht.
Heute wird Couture nur noch geliehen und auf keinen Fall bezahlt. Besitz beschränkt
die Beweglichkeit.
In der Kunst und Fotografie sieht man schon länger die Zeichen neuer Authentizität.
Die Bilder Gerhard Richters, die Fotos Wolfgang Tillmans' zeigen eine überraschende
Schlichtheit und romantische Ruhe. Die Entwürfe des Schweizer Architekten Peter
Zumthor offenbaren in ihrer Einfachheit eine tief pragmatische Spiritualität.
Auch in Anzeigenkampagnen für Mode und Kosmetik offenbart sich ein neuer
Spartanismus. Liz Hurley, Exklusiv-Model der Estee-Lauder-Kosmetik, hat sich für
ihre neuen Fotostrecken um- und gleichzeitig optisch zurückgezogen. Statt wie in den
Neunzigern im Ballkleid oder exhibitionistisch im Versace-Fummel sitzt sie, auf
ungeschminkt geschminkt, die Lippen geschlossen, in einfachem Rock und Pullover
in einem Bali-Holzsessel oder auf einem Sperrholzstuhl im Office-Space. Sie ist das
ehrlich arbeitende Mädchen und nicht der verführerische Vamp.
Die Modedesignerin Donna Karan präsentiert als ihren Image-Träger den
Schauspieler Jeremy Irons - und zeigt ihn so alt, wie er tatsächlich ist. Die Botschaft
lautet: Dieser Mann lebt nicht nur im Jetzt, er hat auch schon einiges an Leben hinter
sich.
Dabei sollen die ernsten Gesichter der Werbeprotagonisten nicht verschrecken:
Jeder weiss, dass die Lage zwar für viele hoffnungslos, aber noch lange nicht ernst
ist. Trotz der Talfahrt der Wirtschaft ist das ökonomische Fundament stabil. Deshalb
ist das Resultat auch keine Depression, sondern eine Neuorientierung - das
Zurückschrauben der Bedürfnisse wird als Befreiung empfunden.
Vielleicht ist die meditative Ruhe in Zeiten der Stagnation auch nur die Ruhe vor dem
Sturm - nämlich wenn aus dem drohenden Ein-Prozent-Wirtschaftswachstum doch
noch eine Rezession wird. Manche konzentrieren sich schon jetzt auf das Einzige,
was wirklich bleibt. Die amerikanische Fotografin Annie Leibovitz, 51, die die Zeiten
von Jugend-, Konsum- und Selbstverwirklichungstrips erfolgreich hinter sich gebracht
hat, hat einen Weg zum dauerhaften Glück gefunden: das späte Mutterglück.
Windelnwechseln ist unzweifelhaft etwas ganz Reales.