Unverständliche Klauseln in Versicherungsbedingungen

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Unverständliche Klauseln in Versicherungsbedingungen
Christian Becker
Versicherungspraxis, Februar 2014
Vertragsgestaltung
Unverständliche Klauseln in
Versicherungsbedingungen
1.
EINLEITUNG
Versicherer beziehen in ihre Versicherungsverträge stets Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) ein. Regelmäßig sind für den Versicherungsnehmer nachteilige Regelungen (Risikoausschlüsse, Obliegenheiten etc.) in Klauseln der AVB enthalten. Versicherungsnehmer verstehen die Klauseln trotz sorgfältigen Lesens oftmals nicht. Dies kann
die Unwirksamkeit der Klauseln indizieren.
Mit den Anforderungen an die Verständlichkeit von Klauseln und den Folgen fehlender
Verständlichkeit beschäftigt sich nachfolgender Beitrag.
2.
ANFORDERUNGEN AN DIE TRANPARENZ VON KLAUSELN IN VERSICHERUNGSBEDINGUNGEN
AVB sind Allgemeine Geschäftsbedingungen. Aufgrund dessen müssen die Klauseln in
AVB die gesetzlichen Anforderungen an Allgemeine Geschäftsbedingungen nach den §§
305 ff. BGB erfüllen.
Unter anderem dürfen Versicherer nach § 307 Absatz 1 Satz 1 BGB ihre Kunden durch
Klauseln in AVB nicht unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung liegt nach § 307 Absatz 1 Satz 2 BGB insbesondere dann vor, wenn eine Klausel
intransparent formuliert ist (Transparenzgebot). Das Transparenzgebot verpflichtet Versicherer, Rechte und Pflichten ihrer Kunden nach den Grundsätzen von Treu und Glauben möglichst klar und verständlich zu formulieren (vgl. Staudinger/Richters in Fachanwaltskommentar Versicherungsrecht, 2013, § 1 Rn. 69).
PARTNERSCHAFT VON RECHTSANWÄLTEN MBB
SITZ: DÜSSELDORF· AG ESSEN PR 1597
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Die Rechtsprechung entwickelte in den zurückliegenden Jahrzehnten Maßstäbe, anhand
derer die Klauseln der Versicherer auf die Beachtung des Transparenzgebotes geprüft
werden können (vgl. 2.1 bis 2.4).
2.1
Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers
Um die Anforderungen des Transparenzgebots zu erfüllen, muss die Klausel für den
Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse verständlich
formuliert sein (vgl. BGH vom 8. Mai 2013, Az. IV ZR 84/12). Abzustellen ist auf den
durchschnittlichen Kunden des Versicherers, der die Klauseln aufmerksam liest, um deren verständige Würdigung bemüht ist und erkennbare Sinnzusammenhänge berücksichtigt (BGH vom 23. Juni 1993, Az. IV ZR 135/92).
Ist die Bedeutung einer Vertragsklausel für diesen durchschnittlichen Versicherungsnehmer trotz Durchsicht der Klausel nicht klar und eindeutig, verstößt die Klausel gegen
das Transparenzgebot.
So hielt der BGH eine Klausel zum Invaliditätsnachweis in der Marktwertversicherung
für Profifußballspieler für unverständlich. Durchschnittliche Versicherungsnehmer (und
auch Lizenzvereine als Versicherungsnehmer) konnten anhand der Formulierung der
Klauseln „nicht ansatzweise“ erkennen, wann die für die Versicherungsleistung erforderlichen Invaliditätsnachweise zu erbringen sind (vgl. BGH vom 16. September 2009,
Az. IV ZR 246/08). Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer konnte seine Pflicht (Invaliditätsnachweise fristgerecht beibringen) anhand der Versicherungsbedingungen
nicht eindeutig ermitteln, so dass der BGH die Klausel als intransparent bewertete.
2.2
Erkennbarkeit wirtschaftlicher Belastungen und Nachteile
Damit Klauseln den Anforderungen des Transparenzgebots genügen, müssen die Klauseln die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen, die aus ihnen folgen, soweit erkennen lassen, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann (vgl. BGH vom 30.
April 2008, IV ZR 241/04). Der Versicherungsnehmer muss finanzielle Auswirkungen im
Zusammenhang mit Bestimmungen des Versicherungsvertrages anhand der Vertragsklauseln ermitteln können. Ist dem Versicherungsnehmer dies nicht möglich, ist die
Klausel intransparent.
Aus diesem Grund hielt der BGH u. a. Klauseln in Kapitallebensversicherungsverträgen
für intransparent (BGHZ 147, 354). Die Klauseln in den damals verwandten Lebensversicherungsverträgen hatten dem Versicherungsnehmer die wirtschaftlichen Nachteile ei-
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ner Beitragsfreistellung, einer Kündigung des Vertrags sowie den Rückkaufswert und die
Abschlusskosten nicht deutlich vor Augen geführt.
2.3
Keine Fachbegriffe ohne fest umrissene Bedeutung
Versicherer sollten auf Fachbegriffe möglichst verzichten, um dem Transparenzgebot zu
entsprechen.
Zwar führt nicht jeder verwendete Fachbegriff zwangsläufig zur Intransparenz einer
Klausel (Präve in Beckmann/Beckmann-Matusche, § 10, Rn. 366). Verwenden Versicherer jedoch Fachbegriffe, die keine fest umrissene Bedeutung haben, gelten diese Begriffe als für Versicherungsnehmer unverständlich, wie folgendes Beispiel zeigt:
Der BGH erkannte in einer Ausschlussklausel eines Rechtsschutzversicherungsvertrages
einen Fachbegriff ohne fest umrissene Bedeutung (vgl. BGH vom 8. Mai 2013, IV ZR
84/12):
„Rechtsschutz besteht nicht für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen im ursächlichen Zusammenhang mit der Anschaffung oder Veräußerung von Effekten
(z. B. Anleihen, Aktien, Investmentanteilen) sowie der Beteiligung an Kapitalanlagemodellen, auf welche die Grundsätze der Prospekthaftung anwendbar sind (z.
B. Abschreibungsgesellschaften, Immobilienfonds).“ [Unterstreichung durch den
Autor dieses Beitrags]
Wann ein Rechtsstreit im Zusammenhang mit den „Grundsätzen der Prospekthaftung“
steht oder nicht – der Ausschlusstatbestand also erfüllt sein soll – ist in der Rechtswissenschaft nicht abschließend geklärt. Den Begriff „Grundsätze der Prospekthaftung“
kann der Versicherungsnehmer somit nicht eindeutig verstehen. Folglich hielt der BGH
die Klausel für intransparent formuliert.
2.4
Besonderheiten bei Versicherungsnehmern der Industrie
Versicherungsnehmer aus der Industrie verfügen häufig über größere Erfahrung mit
Versicherungsverträgen als der durchschnittliche Versicherungsnehmer. Der Kenntnisstand, den durchschnittliche Industrieversicherungsnehmer besitzen, kann bei der Frage der Transparenz einer Klausel ausnahmsweise zu berücksichtigen sein (BGHZ 112,
115; Präve in Beckmann/Beckmann-Matusche, § 10, Rn. 365).
Der objektive Kenntnisstand der Industrieversicherungsnehmer ist nur zu berücksichtigen, wenn eine homogene Gruppe von Empfängern der AVB eine nahezu gleiche
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Kenntnis über die Bedeutung der Klausel hat. Meist ist dies nicht der Fall. So ist zum Beispiel die Gruppe der Versicherungsnehmer in D&O-Versicherungsverträgen dermaßen
inhomogen (Mittelständler bis internationale Konzerne), dass keine einheitliche Kenntnis über die Bedeutung von Klauseln existiert. Folglich ist bei der Prüfung der Transparenz von Klauseln in D&O-Versicherungsverträgen regelmäßig auf den durchschnittlichen Versicherungsnehmer ohne besondere Kenntnis abzustellen.
Ist ausnahmsweise eine homogene Gruppe von Industrieversicherungsnehmern mit
einheitlichem Kenntnisstand über die Bedeutung von Klauseln vorhanden, kann diese
Kenntnis bei der Prüfung der Transparenz relevant sein. Dies führt jedoch nicht dazu,
dass Versicherer mit Industrieversicherungsnehmern unverständliche Klauseln in AVB
vereinbaren und zur Rechtfertigung fehlender Transparenz auf den Erfahrungsschatz
des Versicherungsnehmers verweisen können. Vielmehr gibt es bei der Bewertung der
Transparenz einer Klausel nur in Ausnahmefällen Unterschiede, wenn nicht nur auf das
Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers, sondern auch auf die besonderen Kenntnisse von Industrieversicherungsnehmern abgestellt wird (Präve,
a.a.O.), wie folgendes Beispiel belegt:
Die Klausel in einem Sachversicherungsvertrag eines Industriekunden, wonach „behördliche Wiederherstellungsbeschränkungen bei der Erstattung von Wiederherstellungskosten unberücksichtigt bleiben“, war unverständlich formuliert (vgl. BGH vom 30. April
2008, Az. IV ZR 241/04). Nicht nur der durchschnittliche Versicherungsnehmer, sondern
auch Industrieversicherungsnehmer konnten die Bedeutung der Klausel nicht eindeutig
erkennen. Sie konnten nicht erkennen, dass Mehrkosten, die durch behördliche Anordnungen während der Wiederherstellung einer beschädigten Anlage anfallen, nicht versichert sein sollten. Folglich war die Klausel intransparent formuliert.
3.
RECHTSFOLGE INTRANSPARENT FORMULIERTER VERTRAGSKLAUSELN
Ist eine Klausel intransparent formuliert, liegt eine unangemessene Benachteiligung des
Versicherungsnehmers vor. Klauseln, die Versicherungsnehmer unangemessen benachteiligen, sind nach § 307 Absatz 1 Satz 1 BGB unwirksam. Die unwirksame Vertragsklausel lässt die Wirksamkeit des sonstigen Versicherungsvertrages unberührt (vgl. § 306
Absatz 1 BGB).
Die unwirksame Klausel wird durch gesetzliche Vorschriften ersetzt, wenn eine passende Vorschrift existiert. Ist z.B. in Haftpflichtversicherungsverträgen eine Klausel unwirksam, wonach Abwehrkosten auf die Versicherungssumme anzurechnen sind, tritt an die
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Stelle der unwirksamen Anrechnungsklausel die gesetzliche Regelung nach § 101 Abs. 2
VVG. Nach dieser gesetzlichen Norm werden Abwehrkosten nicht auf die Versicherungssumme angerechnet und schmälern so die Freistellungssumme nicht (vgl. OLG
Frankfurt vom 9. Juni 2011, Az. 7 U 127/09).
Existiert keine gesetzliche Regelung, die an die Stelle der unwirksamen Klausel treten
könnte, fällt die Klausel ersatzlos weg. Die obig (2.3) diskutierte Ausschlussklausel in
Rechtsschutzversicherungsverträgen fällt z.B. wegen ihrer Unwirksamkeit und mangels
alternativer Gesetzesnorm ersatzlos weg. Führt ein Rechtsschutzversicherungsnehmer
einen Rechtsstreit nach den „Grundsätzen der Prospekthaftung“, ist der Rechtsschutzversicherer eintrittspflichtig.
4.
FAZIT
Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an transparent und damit wirksam formulierte Versicherungsbedingungen stellt, sind hoch. Viele Klauseln, die der BGH prüft, fallen als intransparent durch. Aufgrund dessen sollten Versicherungsnehmer Deckungsablehnungen, die Versicherer mit unverständlich formulierten Klauseln begründen, kritisch
hinterfragen.
Der Versicherungsnehmer sollte sich u.a. folgende Kontrollfragen stellen:

Ist die Bedeutung der relevanten Klausel für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer eindeutig erkennbar?

Sind die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen der Klausel deutlich
formuliert?

Verwendet der Versicherer Fachbegriffe, die keine feste Bedeutung haben?

Sind einheitliche Kenntnisse einer homogenen Industrieversicherungsnehmergruppe zu berücksichtigen?
Die Antworten auf vorgenannte Kontrollfragen werden den Versicherungsnehmer oftmals veranlassen, die Deckungsablehnung nicht zu akzeptieren.
Christian Becker
Rechtsanwalt
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Fachanwalt für Versicherungsrecht
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