Episodenfilme - Club Passage

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Episodenfilme - Club Passage
CLUB PASSAGE
PROGRAMMKINO
Episodenfilme
stimmen, der Tabakladen existiert und es gibt
sogar Paul Benjamin, Austers alter ego, das in
vielen seiner Bücher auftaucht und unter dessen
Namen der Autor auch einen Kriminalroman
verfasste.
"Smoke"
gehörte
zu
den
Publikumslieblingen der Berlinale 1995 und
wurde mit dem Spezialpreis der Jury
ausgezeichnet.
Schon während der Dreharbeiten zu "Smoke",
so erzählt man sich, stand fest, dass die vielen
kaleidoskopartigen Geschichten und Ideen,
welche die Regisseure und Darsteller im Kopf
hatten, nach einem zweiten Film verlangten. Es
gelang ihnen, den Produzenten einige weitere
Drehtage abzuschwatzen und Paul Auster
schrieb für die Schauspieler (zu den "Smoke"Darstellern, die noch keine anderweitigen
Verpflichtungen hatten, gesellten sich Gaststars
wie Michael J. Fox, Lou Reed, Jim Jarmusch, Lily
Tomlin, Madonna u. a.) einige szenische Skizzen,
die als Ausgangsmaterial für ihr Spiel dienen
sollten. Jede Spielszene wurde dann solange
gedreht, bis das Filmmaterial in der Kamera zu
Ende war - in der Zwischenzeit (so der Wunsch
der Regisseure) sollten die Darsteller spielen,
improvisieren und reden, bis sie "blau im Gesicht"
würden - womit der halbdokumentarische Film,
dessen umfangreiches Rohmaterial mittels
ebenso geschickter wie gewitzter Montage auf
Spielfilmlänge gekürzt wurde, auch seinen Titel
hatte: "Blue In The Face" (USA 1994).
Dreh- und Angelpunkt ist wie schon in "Smoke"
der Tabakladen an der Ecke mit seinem
Verkäufer Auggie (H. Keitel). Als er einen jungen
Handtaschendieb fängt, veranlasst ihn die Milde
der bestohlenen Passantin, die den Jungen nicht
anzeigen will, ihr seine Auffassung von Recht und
Unrecht sowie vom Leben in New York zu
erklären. Letzteres ist direkt oder indirekt auch
das Ansinnen aller auftretenden Personen: Lou
Reed redet über sich und N. Y., Leute "von der
Straße" reflektieren über das Leben in Brooklyn,
Regisseur Jim Jarmusch meditiert bei der
Einnahme seiner letzten Zigarette über das
Rauchen an sich...
Der Autor Paul Auster ("Die New York Trilogie",
"Leviathan") schrieb 1990 für die "New York
Times" eine kurze Erzählung, die den Titel
"Auggie Wrens Weihnachtsgeschichte" trug. In
San Francisco las sie der Regisseur Wayne
Wang ("Slam Dance", "Töchter des Himmels"),
dem sie gut gefiel, weshalb er alsbald Kontakt zu
Auster aufnahm und beide 1994 - nach der
Überwindung etlicher Widerstände - einen
gemeinsamen Film mit dem Titel "Smoke"
(USA, R.: W. Wang/P. Auster) realisierten. Im
Mittelpunkt des mit minimalem Budget gedrehten
Episodenfilms steht - politisch ganz und gar nicht
korrekt - der blaue Dunst samt seinen Jüngern;
Ort der Handlung ist Vinnies Tabakladen im New
Yorker Stadtteil Brooklyn, Ecke 3rd Street und 7th
Avenue. Aus dessen Tür tritt jeden Morgen
pünktlich 7 Uhr Verkäufer Auggie (Harvey Keitel),
um das Haus, in dem er wohnt, zu fotografieren immer aus dem gleichen Blickwinkel. Die Kunden
des Eckladens beschränken sich nicht darauf,
ihre Tabakwaren zu erwerben: Hier trifft man sich,
redet miteinander; hier kann sich Auggie, der ein
weiches Herz und für jeden ein offenes Ohr hat,
um den debilen Jimmy kümmern. Da ist der
Schriftsteller Paul Benjamin (William Hurt), der
versucht, eine durch das Trauma des
gewaltsamen Todes seiner Frau und seiner
Tochter
ausgelöste
Schreibblockade
zu
überwinden. Paul wiederum versucht dem jungen
Rashid zu helfen, der den Vater sucht. Ruby
(Stockard Channing),
Auggies Ex-Freundin,
erzählt, dass beider gemeinsame Tochter Felicity
Drogen nimmt und in Schwierigkeiten steckt. Und
als Paul auf einem der über 4.000 Fotos, die
Auggie ihm eines Tages zeigt, überraschend
seine tote Frau sieht, erkennt er die Poesie, die
im Lebenswerk des Tabakverkäufers steckt. Und
während der ganzen Zeit wechselt eine mit 5.000
$ gefüllte Papiertüte ständig den Besitzer...
Das hervorragend gespielte und bis zur letzten
Minute
spannende
Kiez-Porträt
über
Schicksalsschläge,
Freundschaft
und
die
heilende Kraft des Erzählens ist ein sehr
autobiografisch gefärbter Film: Viele Details
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Auggie und seine Geliebte sowie Ladenbesitzer
Vinnie und seine Frau verwickeln sich in
Altagsszenen um Liebe und Eifersucht, es geht
um die skurrilen Dauergäste des Tabakladens
und um das "Geheimnis" belgischer Waffeln, ein
"singendes Telegramm" in Gestalt der Sängerin
Madonna tritt auf - und es geht immer wieder um
die Musik von John Lurie, der mit seinen
Musikern manchmal im und manchmal vor dem
Laden sitzt. "Blue In The Face" mit seinem
Kaleidoskop Brooklynscher Mentalitäten ist eine
kurzweilige,
verspielte
Phantasie
über
Freundschaft, Liebe, Heimat - und darüber, dass
so etwas wie Nachbarschaft möglich ist.
Helden der Handlung: Eine gescheiterte Sängerin
treibt ihre sensible Tochter mit ihrem Egoismus in
den Suizid, ein Polizist spielt sich als
Ordnungshüter auf, betrügt aber seine Frau. Ein
paar Anglerfreunde finden eine Frauenleiche im
Fluss, binden sie am Ufer fest und angeln einfach
um sie herum; eine mehrfache Mutter verdient
beim Stillen per Telefonsex Geld für das
Auskommen der Familie - sie und alle anderen
Menschen, in deren Leben der Zuschauer
Einblick gewinnt, sind geprägt durch die Stadt, in
der es in jeder Sekunde zu einem todbringenden
Erdbeben kommen kann - ein Tanz auf dem
Vulkan. All ihr Handeln ist mehr oder weniger von
Katastrophen
bestimmt,
die
sie
selbst
herbeigeführt haben; das den Film beschließende
Erdbeben erscheint hier fast wie eine Drohung
Gottes - die am Kleinkrieg der Menschen
untereinander dennoch nichts ändern wird... Für
seinen 1993 in Venedig mit dem GOLDENEN
LÖWEN geehrten Film gewann der Regisseur
eine beeindruckende prominente Besetzung: Die
zahlreichen Charaktere werden verkörpert von
Andie MacDowell, Jack Lemmon, Julianne
Moore, Matthew Modine, Anne Archer, Madeleine
Stowe, Tom Waits, Jennifer Jason Leigh, Tim
Robbins, Lyle Lovett u. v. a.
Im Alter von 81 Jahren verstarb am 20.
November 2006 in Los Angeles der 1925 in
Kansas
City
geborene
US-amerikanische
Regisseur, Autorenfilmer und Filmproduzent
Robert B. Altman. Der Künstler, der noch im März
des gleichen Jahres mit dem Ehren-OSCAR für
sein Lebenswerk ausgezeichnet worden war, gilt
neben Stanley Kubrick als einer der wichtigsten
Vertreter der Anti-Hollywood-Ästhetik. In den
meisten seiner Filme wies er sich als scharfer
Kritiker des "American Way Of Live" aus.
Während seiner 55-jährigen beruflichen Laufbahn
schrieb er 37 Drehbücher, produzierte 39 Filme
und führte bei 86 Filmen Regie. Fünf seiner
Spielfilme waren für den OSCAR nominiert,
darunter "M-A-S-H", "Nashville", "The Player",
"Gosford Park" und "Short Cuts" (USA
1993). Letzterer Film - der Titel ist übersetzbar
mit "Abkürzung" und "kurze/heftige (Ab-)Schnitte"
- erzählt die Geschichte der amerikanischen
Gesellschaft am Rande des 20. Jahrhunderts und nach Robert Altmans Meinung wohl auch am
Rande des Abgrundes. Bereits die Romanvorlage
von Raymond Carver verflocht auf kunstvolle
Weise die Lebensläufe von neun Paaren,
allerdings verlegte Altman den Schauplatz der
Geschichten vom Mittelwesten nach Los Angeles,
weil "nirgendwo in Amerika die Kontraste und
Widersprüche der Gesellschaft so krass
aufeinander treffen". In seinem dreistündigen Film
beschreibt Altman den fortschreitenden Verfall
der Werte in allen Lebenslagen und den Verlust
zwischenmenschlicher Beziehungen mit der
distanzierten Genauigkeit eines Beobachters, der,
die Kamera als Mikroskop nutzend, dem
Verhalten der Spezies "Los-Angeles-Mensch" auf
die Spur zu kommen versucht: Über der Stadt
kreisen Helikopter, die über den Wohnvierteln von
LA Insektizide gegen die "Medfly" versprühen ein Alptraum, dem auch nicht Einhalt geboten
wurde, als Gerüchte aufkamen, die Insektizide
würden bei Menschen Krebs erregen... Die Opfer
der nächtlichen Sprühaktion sind im Film die 22
In "Coffee & Cigarettes" (USA/I), einer
Kollektion von Kurzfilmen, die zwischen 1986 und
2003 gedreht wurden, versammelte Jim
Jarmusch einen skurrilen Clan von Kaffee- und
Nikotin-Junkies und ließ sie in 11 entspannten
Episoden in Cafés, Lounges und Kneipen quer
durch die USA über Gott und die Welt, das Leben
und die kleinen Abhängigkeiten philosophieren.
Bestimmendes Thema sind die Schwierigkeiten
mit der Kommunikation, die in Jarmuschs Film
zum Kampf wird: Meist nur "bewaffnet" mit Kaffee
und Zigaretten, umlauern die Figuren einander
beinahe: Im Bewusstsein, unbedingt etwas sagen
zu müssen, dem Gesprächspartner aber
möglichst nichts Persönliches preiszugeben, wird
der banale small talk zum Duell und das
Gegenüber zum Gegner, den es misstrauisch zu
beobachten gilt: Wie beim Schachspiel wird jeder
Zug genau überlegt, um der anderen Seite keine
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Angriffsfläche zu bieten. Da ist der aufdringliche
Kellner, der seinen beiden mehr als skeptischen
farbigen Gästen einzureden versucht, dass Elvis
noch am Leben ist, da glaubt der Junge mit der
seltsamen elektronischen Maschine in Form
eines Staubsaugers seiner Liebsten spannende
Geschichten über die Funktionsweise der TeslaSpule erzählen zu müssen; ein junger Mann
versucht aus seinem Gesprächspartner ein
Problem, das dieser seiner Meinung nach hat,
herauszulocken und lässt nicht locker, bis sein
Gegenüber schier verzweifelt... Zwischen Angriff
und Verteidigung liegen auch zwei nervöse
Nichtstuer, zwei Rockmusiker, eine Filmdiva und
ihre erfolglose Cousine, zwei eitle Schauspieler
sowie ein Rapper und ein Komiker auf der Lauer,
während zwei alte Italiener und zwei betagte
Hausmeister offenbar Probleme damit haben,
überhaupt noch aufeinander einzugehen. Die
Episoden und ihre Darsteller: "Strange To Meet
You" (Roberto Benigni, Steven Wright), "Twins"
(Cinque Lee, Joie Lee), "Somewhere In
California" (Tom Waits, Iggy Pop), "Those
Things Kill Ya" (Joe Rigano, Vinny Vella, Vinnie
Vella jr.), "Renée" (Renée French, E. J.
Rodriguez), "No Problem" (Isaach de Bankole,
Alex Descas), "Cousins" (Cate Blanchett in einer
Doppelrolle), "Jack Shows Meg His Tesla Coil"
(Jack White, Cinque Lee), "Cousins?" (Alfred
Molina, Steve Coogan), "Delirium" (GZA, RZA,
Bill Murray), "Champagne" (Taylor Mead, Bill
Rice).
Bis
auf
Cate
Blanchetts
Doppelrollen"partnerin" in "Cousins" tragen alle
Darsteller ihre wirklichen Namen und spielen
somit auch ein bisschen sich selbst. Vor allem die
älteren Beiträge sind als Nebenprodukte der
Langfilme entstanden, die Stars der neuen Filme
waren schlicht Jarmuschs Wunschdarsteller - wie
Cate Blanchett, Alfred Molina und Bill Murray.
Und da ihnen allen ein gewisses Image zu eigen
ist, lässt Jarmusch zu jeder der Episoden ein
passendes Lied aus der Musicbox ertönen; von
Iggy Pop und den Stooges oder von Tom Waits Rock, Blues, Ska, Funk oder Jazz.
passieren lässt; Motto: Da es schon schwierig ist,
im eigenen Land die nationale Identität zu
definieren, wie schwer muss es dann sein, sich
eine europäische vorzustellen? Das Spiel selbst
ist nicht zu sehen, dafür erzählt der Regisseur in
vier
gleichzeitig
stattfindenden
Episoden
Geschichten von Menschen, die sich an ihnen
gänzlich unvertrauten Plätzen bewegen, die
jeweilige Landessprache nicht beherrschen - und
überdies an Fußball gänzlich uninteressiert sind.
Im mit Fans überfüllten Moskau gerät die
englische Kunsthändlerin Kate (Megan Gay) in
eine Falle und wird ihres Koffers beraubt. Ohne
die Hilfe einer wackeren Rentnerin, die Kate hilft
und zur Polizei begleitet, wäre die Fremde
verloren. Auf dem Revier gibt es jedoch
Prioritäten,
man
muss
vor
allem
die
randalierenden Fans unter Kontrolle halten - und
das Fußballspiel verfolgen. In Istanbul, wo zu
Hause gebliebene türkische Fans mit ihrem Club
mitfiebern, versucht ein deutscher Student
(Florian Lukas), einen Überfall zu fingieren, um zu
Hause den Schadenersatz der Versicherung zu
kassieren. Ein türkischer Taxifahrer hilft ihm bei
der Polizei, deren Chef den Betrug schnell zu
durchschauen scheint. Zur gleichen Zeit hat auch
ein ungarischer Pilger (Peter Scherer), dem vor
der Kathedrale des spanischen Wallfahrtsortes
Santiago de Compostela eine teure Kamera
abhanden kam, seine Probleme mit der Polizei,
denn die versteht ihn schlecht und hat aus
naheliegenden Gründen anderes zu tun. Und in
Berlin versucht ein junges Paar aus Frankreich
(Rachida Brakni, Boris Arquier) vergeblich, einen
Überfall vorzutäuschen, weil die Erlöse aus der
Tätigkeit als Straßenkünstler nicht einmal die
Reparatur des Autos finanzieren können. Bald
sind die beiden in einem gestohlenen
Streifenwagen auf der Flucht. Das Fußballspiel
steht inzwischen 16:16 und man ist beim
Elfmeterschießen angelangt. Das Ergebnis des
Matchs ist am Ende des Films ebenso offen, wie
das Ende der vier Episoden - wie die Zukunft des
geeinten Europa.
Der Titel von Hannes Stöhrs 2006 gedrehtem
Film "One Day In Europe" (D/Sp.) ist
doppeldeutig; "An einem Tag in Europa" oder
"Eines Tages in Europa". Der Regisseur ("Berlin
Is In Germany") zeigt Geschehnisse während
eines (fiktiven) Champions-League-Spiels, bei
welchem an einem Sommertag in Moskau die
Mannschaften von Galatasaray Istanbul und
Deportivo La Coruna beim Kampf um die Krone
des europäischen Vereinsfußballs aufeinander
treffen. Im Film ein Ereignis, das die
verschiedenen Mentalitäten des geeinten Europa
– oder die Klischees darüber - humorvoll Revue
B.R.
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