Schön, dass Du geboren bist
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Schön, dass Du geboren bist
LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 1 C M Y CM MY CY CMY K Nr. 95 | 3. Quartal 2010 | ISSN 0945-4586 | Einzelpreis 4,– € B 42890 LEBENSFORUM Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA) Titel CDU-Parteitag: Debatte zur PID Gesellschaft Marsch für das Leben Gesellschaft Gefährliche Sprachspiele Präimplantationsdiagnostik Schön, dass Du geboren bist ... 1949 1958 1976 In Kooperation mit Ärzte für das Leben e.V. und Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen e.V. (TCLG) Probedruck LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 2 C M Y CM MY CY CMY K I N H A LT EDITORIAL Gefahr im Verzug Dr. med. Claudia Kaminski 3 TITEL »Leute, passt mal auf!« Stefan Rehder 4 Nico, Chiara und Daniela* Prof. Dr. Holm Schneider 9 Juristische Glanzleistung Stefan Rehder 11 DANIEL RENNEN / REHDER MEDIENAGENTUR LEBENSFORUM 95 4 - 11 1949 1958 POLITIK Gewissen bleiben frei Stefan Rehder 12 1976 GESELLSCHAFT Wessen Irrtum? Dr. Maria Overdick-Gulden 20 Tod ohne Sterben Matthias Lochner 22 Modell Grevenbroich Prof. Dr. Axel W. Bauer 25 4-8 Die Präimplantationsdiagnostik (PID) war das einzige kontrovers diskutierte Thema auf dem ansonsten harmonischen Parteitag der CDU in Karlsruhe. »LebensForum« war vor Ort. Eine Reportage. DOKUMENTATION Guck mal, wer da schreibt! 18 Offener Brief von Abtreibungsbefürwortern Gefährliche Sprachspiele Dr. Maria Overdick-Gulden 27 BÜCHERFORUM 30 KURZ VOR SCHLUSS 32 LESERBRIEFE 34 IMPRESSUM 35 2 Probedruck LEO MAASBURG ESSAY 14 - 17 Noch nie haben so viele Menschen am »Marsch für das Leben« in Berlin teilgenommen wie in diesem Jahr. »LebensForum« hat den Marsch durch die Bundeshauptstadt begleitet. LebensForum 95 MONTAGE TITELBILD: DANIEL RENNEN /REHDER MEDIENAGENTUR · PORTRAITS: WWW.PETER-HINTZE.DE, WWW. URSULA-VON-DER-LEYEN.DE, WWW.KRISTINASCHROEDER.DE 14 DANIEL RENNEN / REHDER MEDIENAGENTUR Zeichen für Humanität und Solidarität Matthias Lochner Wir wissen nicht, welche Anlagen für Krankheiten im Genom von Peter Hintze, Ursula von der Leyen und Kristina Schröder schlummern. Was wir wissen: Die drei fordern laut, was viele denken: Behindert? Das muss doch nicht mehr sein. LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 3 C M Y CM MY CY CMY K E D I TO R I A L Gefahr im Verzug 27 - 29 ESSAY Gefährliche Sprachspiele Für Wilhelm von Humboldt (1767-1835) war die Sprache noch ein Mittel zur Wahrheitsfindung. In den aktuellen bioethischen Debatten werden mit Hilfe der Sprache Wahrheiten zunehmend verschleiert oder gar unkenntlich gemacht. So gesehen ist Biopolitik immer auch Sprachpolitik. Der nachfolgende Essay erhellt einige besonders perfide Sprachspiele und Wort-Brüche. Von Dr. med. Dr. theol. hc. Maria Overdick-Gulden »Wer abgetrieben wird, kommt nicht zur Sprache.« Beschönigende, verbrämende, verhüllende Ausdrucksweisen lassen sich im militärischen, noch mehr im ideologiepolitischen Feld ausmachen. Das wurde anlässlich des Ausdrucks »Kollateralschaden« offensichtlich, als damit die Tötung von Zivilisten während eines militärischen Angriffs beschrieben wurde. Ein neues ARCHIV W as etwas »schönfärben« oder »schönreden« meint, wissen wir alle. Wir neigen dazu, unangenehme Botschaften, zu Bedauerndes mit Einfühlungsvermögen, eben sym-pathisch weiterzugeben, wir wollen »vermitteln«. Das bedeutet zum Beispiel in einem Sterbefall vom »Scheiden« und vom »Abschiednehmen« statt vom Tod und vom Beerdigen zu sprechen. Die Wortwahl geschieht aus Rücksichtnahme und bedeutet Milderung, Schonung, Stil und mitmenschliche Nähe. Schönreden lässt sich aber auch in anderer Absicht, nämlich etwas Schlimmes, sogar Böses zu verbrämen, und so erfolgreich an den Mann zu bringen. Das ist auf den ersten Seiten der Bibel belegt: im Bild vom Baum der Erkenntnis. Nach dessen Früchten sollen wir bekanntermaßen nicht ehrfurchtslos greifen, nicht räuberisch. Unseren Wunschträumen wird Disziplin, das heißt Ordnung, auferlegt. Doch immer wieder überreden wir uns und andere, indem wir allerlei Früchte entdecken, ausmalen und voll Eifer und Leidenschaft als unwiderstehlich, zuletzt als überlebensnotwendig schildern und darstellen. Nach denen wir in selbstgefälliger Autonomie »unweigerlich« verlangen! Wie hatten uns doch die Atomkräfte einmal fasziniert – und wir sollten sie ausprobieren in Hiroshima und Nagasaki, dachten auch ihre Entdecker. Seit der Antike gehört die Rhetorik zum politischen Tagwerk. Sie verfügt seit jeher auch über wohlklingend eingängige Floskeln und verführerische Wortfiguren. Heute werden die Würde des Menschen, seine Freiheit und Selbstbestimmung oft zitiert. Immer wieder wird mehr Gerechtigkeit, Gleichheit und vor allem Solidarität eingefordert. Trotzdem ist es noch nicht lange her, dass wir uns über das »sozialverträgliche Frühableben« ausgelassen haben. Zwar wurde der darin enthaltende Zynismus erkannt und das Logo 1998 zum Unwort erklärt, doch es verblieb de facto in unserem »Wortschatz«. »Der Begriff Bioethik ist heute mehrdeutig.« Wilhelm von Humboldt so genanntes Unwort war geboren! Dennoch hat es sich trotz oder gerade wegen seines Sarkasmus zwischenzeitlich zur Alltagsvokabel entwickelt und ist keineswegs »gestorben«. Im politisch totalitären Regime wurde zuvor das Verb »liquidieren« (= verflüssigen) für das »Umbringen« von Menschen verwandt, und die ethnische »Säuberung« beschrieb die Ausgrenzung von Menschen »fremder Rasse«. Diese »Anderen« wurden »konzentriert« und danach zur »Endlösung« geschickt. Inhaltlich geht es um die Debatte, dass mit Eintritt ins Rentenalter der Mensch volkswirtschaftlich und kassentechnisch mehr Kosten als volkswirtschaftlichen Nutzen bringt; dass daher bestimmte medizinische Maßnahmen bei Patienten ab einer bestimmten Altersgrenze »folglich« nicht mehr durchzuführen sind. In diesem Zusammenhang fielen Begriffe wie »Generationengerechtigkeit« und »Allgemeinwohl«. Wie vielschichtig aber kann wieder das Wort »Generation« verstanden werden! Von dem Begriff »Gerechtigkeit« ganz zu schweigen: meine ich wirklich die gleiche Justiz und Sozialregelung für mich und alle anderen? Dennoch scheint folgender Definitionsversuch ziemlich einleuchtend: »Generationengerechtigkeit ist erreicht, wenn die Chancen zukünftiger (nachrückender) Generationen auf Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse mindestens so groß sind wie die der heutigen Generation (ihnen vorangegangenen Generationen).« LebensForum 95 27 Zunehmend werden mit Hilfe der Sprache Wahrheiten verschleiert oder sogar unkenntlich gemacht. Der Essay von Dr. Maria Overdick-Gulden erhellt einige besonders perfide Sprachspiele. MONTAGE TITELBILD: DANIEL RENNEN /REHDER MEDIENAGENTUR · PORTRAITS: WWW.PETER-HINTZE.DE, WWW. URSULA-VON-DER-LEYEN.DE, WWW.KRISTINASCHROEDER.DE 25 - 26 GESELLSCHAFT Modell Grevenbroich Muss man sich die viel zitierte »Autonomie von Patienten« so vorstellen? Ein vom Bundesforschungsministerium gefördertes Modellprojekt zeigt: Aus dem im Bundestag gegen vielfachen Widerstand durchgesetzten Recht, mittels einer Patientenverfügung im Voraus verbindlich festlegen zu können, wie man im Falle schwerer Erkrankungen behandelt werden will, droht offenbar eine Pflicht zu werden. Von Prof. Dr. med. Axel W. Bauer D ie Stadt Grevenbroich am Niederrhein mit ihren 64.000 Einwohnern hat dank des von Hape Kerkeling verkörperten fiktiven stellvertretenden Chefredakteurs Horst Schlämmer in den letzten Jahren einen er- zumindest dessen, was als solche firmiert und seit 2009 mit Steuermitteln aus dem Topf des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert wird. Das Modellprojekt mit dem mittlerweile vom Deutschen Patentamt markenrechtlich folgt, möglichst viele Altenheimbewohner zum Ausfüllen einer Patientenverfügung zu bewegen. Gegenüber dem Förderer wird das Verbundprojekt weiterhin »RESPEKT« genannt, womit nicht etwa der Respekt vor den betagten Menschen ge- Hat Grevenbroich auf sympathische Weise bundesweit bekannt gemacht: Horst Schlämmer alias Hape Kerkeling. heblichen Bekanntheitsgrad in Sachen Satire erreicht. Nun sind Grevenbroichs Altenheime dabei, überregionale Resonanz zu erzeugen, allerdings nicht auf dem Gebiet des Humors, sondern im Bereich der medizinischen Forschung oder geschützten Titel »beizeiten begleiten« ist eine von Medizinern, Juristen und Ethikern der Universitäten Düsseldorf, Augsburg, Hamburg, Tübingen und Kassel erdachte kontrollierte Interventionsstudie, die das scheinbar hehre Ziel ver- meint ist, sondern »Respekt für vorausverfügte Entscheidungen und Präferenzen für den Fall von Krankheit und Tod«. Es geht den Forschern um die prozessund systemorientierte Implementierung von Patienten-Vorausverfügungen in Al- LebensForum 95 25 Die »Autonomie des Patienten« ist in aller Munde. Welch’ gefährliche Formen sie annehmen kann, zeigt der Medizinethiker Axel W. Bauer in diesem Beitrag. LebensForum 95 Probedruck Die Wurzel allen Übels aber ist und bleibt die hunderttausendfache Tötung unschuldiger, wehrloser Kinder im Mutterleib. Ohne sie Liebe Leserin, lieber Leser, müssten wir uns heute weder Gedanken auf ihrem diesjährigen Parteitag hat über die Zukunft des die CDU auch über ein gesetzliches VerEmbryonenschutzes bot der Präimplantationsdiagnostik (PID) noch über eine drodebattiert. »LebensForum« war vor Ort hende Legalisierung und hat die Debatte aufmerksam verfolgt. der Euthanasie machen. Wie gewaltsam Was in Karlsruhe für die arg ramponierte Teile unserer Gesellschaft diesen Rückfall Seele der Partei von Angela Merkel wie in die Barbarei verteidigen, wie geistlos Balsam gewirkt haben mag, sollte niemanAbtreibung hierzulande nach wie vor als den verführen, sich in falscher Sicherheit »Errungenschaft« gefeiert wird, das konnzu wiegen. Im Gegenteil: Lebensrechtler ten Lebensrechtler beim diesjährigen haben allen Grund, alarmiert zu sein. »Marsch für das Leben« in der BundesDenn wenn sogar in einer Partei, die das hauptstadt hautnah erleben. Wer nicht »C« im Namen trägt, ernsthaft die Ledabei sein konnte, dem vermag die Regalisierung von Gentests erwogen wird, portage in dieser Ausgabe sicher die Auderen Ergebnis über gen zu öffnen. Leben und Tod von Es gibt jedoch – Menschen im Frühauch das gehört zur »Lebensschutz stadium ihrer EntKenntnis gebracht – wicklung entscheiden, nicht nur Grund zur ist unteilbar« dann ist Gefahr im Klage. So nahmen am Verzug. Robert Spae»Marsch für das Lemann, einer der groben« in diesem Jahr ßen Philosophen unserer Zeit, bringt sie mehr Menschen teil als jemals zuvor. auf den Punkt, wenn er im Interview mit Offensichtlich trägt die mühsame Aufder Online-Ausgabe des Magazins »Ciklärungsarbeit, der sich Lebensschutzorcero« zu Protokoll gibt, mit der PID ganisationen wie die ALfA verschrieben »sollen nicht Krankheiten, sondern die haben – allen Versuchen zum Trotz, sie Kranken selbst eliminiert werden«. zu diskreditieren oder gar totzuschweigen Die Solidarität mit den Kranken und –, Früchte und treibt Menschen auf die Schwachen schwindet spürbar. Dass viele Straße. Im Europarat konnte – mit UnterMenschen darin heute nichts Verwerflistützung von Lebensrechtlern – eine ches mehr erblicken, belegt auch eine Entschließung verhindert werden, die Umfrage, die das Institut für Demoskosich die Abschaffung der Gewissensfreipie Allensbach bereits im vergangenen heit von Ärzten und Hebammen zum Jahr im Auftrag der Bundesärztekammer Ziel gesetzt hatte. Dies und viele andere durchgeführt hat. Zwar mag man auch kleine Zeichen zeigen wieder einmal, dass hier begrüßen, dass die Mehrheit der Ärzes keineswegs vergeblich ist, sich für das te die Tötung auf Verlangen sowie den Recht auf Leben jedes Menschen einzuärztlich assistierten Suizid weiterhin absetzen. Und zwar an allen Fronten: denn lehnt. Und doch muss es eine Gesellschaft Lebensschutz ist unteilbar. alarmieren, wenn sich in ihr inzwischen jeder vierte Arzt vorstellen kann, das LeEine erhellende Lektüre wünscht Ihnen ben von Patienten aktiv zu beenden. Das sieht wohl auch die Bundesärztekammer so, die die Allensbach-Studie lange unter Verschluss hielt. »LebensForum« hat sie Claudia Kaminski in dieser Ausgabe unter die Lupe genomBundesvorsitzende der ALfA men. 3 LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 4 C M Y CM MY CY CMY K T I T EL »Leute, passt mal auf!« Die Präimplantationsdiagnostik war das einzig wirklich kontrovers diskutierte Thema des diesjährigen CDU-Parteitags in Karlsruhe. Von Lebensrechtlern wie von den Medien war die Debatte über Gentests an menschlichen Embryonen mit Spannung erwartet worden, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Sieger wie Unterlegene sprachen hinterher von einer »Sternstunde«. Dabei war es vor allem Angela Merkel, die – aus welchen Gründen auch immer – ihre Partei vor einem weiteren biopolitischen Fiasko bewahrte. Eine Reportage. Von Stefan Rehder K 4 Probedruck Papst Benedikt XVI. für viele dann der Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen brachte. Es hagelte Parteiaustritte. Unter Merkels Führung habe die CDU im Vergleich zur ersten gesamtdeutschen Wahl wählten, hätten 2009 Merkel nicht gewählt, schrieb Steingart mit Blick auf den Parteitag. Mittlerweile seien es 36 Prozent der damaligen CDU-Wähler, die von der Merkel-CDU nichts mehr wissen wollten. DANIEL RENNEN / REHDER MEDIENAGENTUR arlsruhe. Montag, 15. November. Die Uhr zeigt 20.30 Uhr. Eine halbe Stunde noch, dann – so sieht es das offizielle Programm vor – soll in Halle 2 der Karlsruher Messehalle mit dem »Baden-Württemberg-Abend« der gesellige Teil des 23. CDU-Parteitags beginnen. Hoher Besuch hat sich angekündigt. Altkanzler Helmut Kohl, seit einem Schlaganfall an den Rollstuhl gefesselt, hat sich angekündigt. Doch in der gegenüber gelegenen Halle 1, wo die fast 1.000 Delegierten seit geschlagenen elf Stunden Reden lauschen und applaudieren, unterbrochen nur von Wahlen zu den Parteiämtern, deutet noch gar nichts auf einen baldigen Aufbruch hin. Die Parteiführung hat dazugelernt. Ein Skandal wie der, der sich im Jahr 2007 ereignete, soll diesmal unter allen Umständen vermieden werden. Damals tagte die CDU in Hannover. Ein Teil der Delegierten feierte bereits ausgelassen auf dem »Niedersachsen-Abend«, als die Parteitagsregie im Plenarsaal zu später Stunde das strittige Thema der embryonalen Stammzellforschung aufrief und Bundesforschungsministerin Annette Schavan, unterstützt von Bundeskanzlerin Angela Merkel, für eine Verlegung des Stichtags im Stammzellgesetz warb. Merkels Intervention hatte ebenso wie der Umstand, dass ein Teil der Delegierten nicht mehr rechtzeitig zur Abstimmung erschien, nachhaltige Folgen. Mit hauchdünner Mehrheit folgten die verbliebenen Parteitagsdelegierten damals dem Wunsch ihrer Parteivorsitzenden. Dies und das Abstimmungsverhalten vieler Unionsabgeordneter bei der späteren Abstimmung im deutschen Bundestag hat die CDU später viele Stammwähler gekostet und andere vehement verärgert. So sehr, dass Merkels spätere Kritik an 1949 1958 1976 im Jahr 2000 rund 30 Prozent ihrer Wähler verloren, rechnet Chefredakteur Gabor Steingart im »Handelsblatt« vor. 5,2 Millionen Menschen, die damals Kohl Merkel scheint das verstanden zu haben. In ihrer großen Parteitagsrede streichelt sie die Seele der Partei in einem bislang nie gekannten Ausmaß. Papst JoLebensForum 95 LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 5 C LebensForum 95 Probedruck Y CM MY um den vielfältigen Anforderungen gerecht zu werden, die eine solch komplexe Frage des Lebensschutzes aufwirft.« Röwekamp erläutert das Verfahren. Erst wenn dieser Vorschlag keine Mehrheit findet, soll auch über die beiden anderen Anträge abgestimmt werden. Die Antragskommission, so viel wird deutlich, fürchtet die bioethische Debatte und will sie möglichst schnell vom Tisch haben. CY CMY K Hälfte des Parteitages sitzen. Ich weiß, wovon ich rede«, erklärt sie und fügt hinzu: »Das ist mein Vorschlag, und das wird jetzt so gemacht.« Erneutes Raunen im Saal. Hier und da wird Gegenrede verlangt. Georg Freiherr von Weichs, Delegierter des Hochsauerlandkreises, bekommt den Zuschlag. Angetan mit Hemd und Wildlederweste stellt sich der Siegelringträger dem Par- WWW.BILDER.CDU.DE hannes Paul II. wird gleich im zweiten Absatz ihrer Rede positiv hervorgehoben, Adenauer und Kohl werden zitiert. Gleich zweimal erwähnt Merkel den Lebensschutz. Da sagt sie dann Sätze wie: »Jeder Mensch ist einmalig, vom Anfang seines Lebens bis zum Ende seines Lebens.« Oder auch: »Das Zusammenleben, der Zusammenhalt und das Vertrauen in unsere Gesellschaft gründen sich auf die Unantastbarkeit der Würde des Menschen. Das gilt für den Schutz des Lebens an seinem Anfang und an seinem Ende.« Der »Baden-Württemberg-Abend« beginnt nicht, bevor das Thema »Präimplantationsdiagnostik« (PID) nicht zu Ende debattiert wurde, lautet die Losung, die CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe für den Karlsruher Parteitag ausgegeben hatte. Und dennoch fehlte nicht viel, und es wäre auch diesmal zu einem echten Eklat gekommen. Denn als Thomas Röwekamp, Vorsitzender der CDUFraktion der Bremerschen Bürgerschaft und Mitglied des Karlsruher Parteitagpräsidiums, um 20.33 Uhr verkündet, ihm lägen zu der noch nicht einmal begonnenen PID-Debatte bereits 21 Wortmeldungen vor, geht ein Raunen durch den Saal. Damit nicht genug: Im Laufe Tages hatte die Antragskommission zusätzlich zu den den Delegierten längst bekannten Anträgen – der Parteitag möge seinen im Grundsatzprogramm der Partei niedergelegten Beschluss von 2007 bestätigen und erneut für ein gesetzliches Verbot der PID votieren sowie einem weiteren, mit dem prominente Christdemokraten um die Bundesministerinnen Kristina Schröder und Ursula von der Leyen erreichen wollen, dass sich die CDU erstmals für eine begrenzte Zulassung der PID ausspricht – noch einen dritten hinzugefügt. Der sieht vor, eine Beschlussfassung auf unbestimmte Zeit zu vertagen. Zu diesem Zweck hatte die Kommission eilig ein gesondertes Blatt verfasst und im Saal verteilen lassen. Es umfasst neun Punkte. Acht davon sind so allgemein gehalten, dass sie von Gegnern wie von Befürwortern der PID gleichermaßen unterschrieben werden können; jedenfalls dann, wenn man nicht jedes Wort auf die Goldwaage legt (siehe Kasten S. 6). Dazwischen steht ein Text, der drei Varianten für die eigentliche Beschlussfassung enthält. Neu und den Delegierten gänzlich unbekannt ist nur die Variante 1. Sie lautet: »Geleitet von den hier festgestellten Grundüberzeugungen sind wir der Auffassung, dass es vor einer gesetzlichen Regelung der PID einer ausführlichen Analyse und Diskussion bedarf, M Gut gefüllt: Die Karlsruher Messehalle beim 23. Bundesparteitag der CDU. Röwekamp schlägt den Delegierten vor, die Schließung der Rednerliste und eine Begrenzung der Redezeit auf drei Minuten pro Beitrag zu beschließen. »Ich komme aus Bremen. Ich habe nichts zu verlieren. Ich klingele nach drei Minuten ab«, umwirbt der protestantische Rechtsanwalt die Stimmberechtigten. Erneut rumort es im Saal. Doch diesmal kommt das Raunen aus einer anderen Ecke. An- »Das ist mein Vorschlag und das wird jetzt so gemacht.« gela Merkel, die sich bereits im Vorfeld des Parteitages für ein gesetzliches Verbot der PID ausgesprochen hatte, reagiert am schnellsten, tritt ans Rednerpult und erklärt resolut: »Ich möchte, dass dieses Thema umfassend und ausführlich diskutiert wird.« Sie schlägt vor, das Thema deshalb erst am Dienstagmorgen zu behandeln. »Ich möchte dann aber auch, dass wir dann nicht morgen hier mit der teitag als »einfacher Waldarbeiter« vor und erklärt der »Frau Vorsitzenden«, dass sie all das zwar wünschen könne. Wenn sie jedoch wolle, dass der Parteitag ihrem Wunsch auch nachkomme, müsse sie einen Antrag stellen. Die über die Geschäftsordnung Belehrte schreitet erneut zum Mikrofon und ruft: »Leute, passt mal auf! Das ist ein Thema, das wir diskutieren wollen, und das geht nicht auf Zuruf.« Weil jedoch weder das Hochhalten der Stimmkarten noch das Sich-Erheben der Delegierten von ihren Plätzen ein eindeutiges Stimmungsbild ergibt, beantragt Merkel eine schriftliche Abstimmung. Niemand soll hinterher sagen können, in Karlsruhe sei es nicht mit rechten Dingen zugegangen. Stimmzettel werden ausgeteilt. Der Parteitag fährt mit der normalen Antragsberatung fort. Um kurz vor 21.00 Uhr verkündet Röwekamp das Ergebnis der Auszählung: 786 gültige Stimmen. 580 Delegierte stimmten für die von Merkel gewünschte Verschiebung der Debatte, 206 dagegen. Der Skandal ist gebannt, zumindest für diesen Tag. In Halle 2 wird man später CDU-Gene5 LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 6 C M Y CM MY CY CMY K T I T EL ralsekretär Hermann Gröhe, Jürgen Rüttgers, Ex-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, und Philipp Mißfelder, Vorsitzender der Jungen Union, am Tisch von Helmut Kohl und dessen zweiter Frau sitzen sehen. Dienstag, 16. November, 9.00 Uhr. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe tritt ans Rednerpult und eröffnet die Debatte zur PID. Obwohl die Karlsruher Messehalle ihre Tore für die Parteitagsgäste erst um 3.00 Uhr schloss, sind die Reihen der Delegierten gut gefüllt. Größere Lücken klaffen nur in den Tischreihen, die für die Vertreter der Medien reserviert worden sind. Der Synodale der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) wirbt offensiv für ein PID-Verbot, da etwas anderes seiner Überzeugung nach mit der »Heiligkeit des Lebens« nicht vereinbar sei. Auch das ist eine kleine Überraschung. Denn obwohl der CDU-General nie ernsthaft zu den PIDBefürwortern gerechnet werden konnte, schien er sich doch lange Zeit nicht jenen in den Weg stellen zu wollen, die das Urteil des Bundesgerichtshofes zum Anlass nehmen, um den Embryonenschutz in Deutschland weiter aufzuweichen. Po- litiker trügen »nicht nur Verantwortung für stramme Forderungen, sondern auch für das Ergebnis eines politischen Prozesses«, begründete der 51-jährige Jurist Ende September gegenüber der katholischen Tageszeitung »Die Tagespost« Gedankenspiele über eine begrenzte Zulassung der PID. »Das ist ein Thema, das wir diskutieren wollen.« Acht Wochen später liegt er ebenso wie der Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Volker Kauder und Bundesforschungsministerin Annette Schavan ganz auf Merkels Linie. Die hatte sich bereits Wochen vor dem Parteitag für ein gesetzliches Verbot der PID ausgesprochen. Ihre Begründung: »Ich bin für ein Verbot der PID, weil ich einfach Sorge habe, dass wir die Grenzen nicht richtig definieren.« Ein Satz, der reichlich Raum für Spekulation lässt. Nur, dass Merkel grundsätzlich gegen die Selektion künst- lich erzeugter Menschen im Reagenzglas sei, lässt sich aus ihm mit Sicherheit nicht herauslesen. Die Erste, die bei den Delegierten dafür wirbt, der Parteitag möge sich für eine begrenzte Zulassung der PID aussprechen, ist Katharina Reiche. Die 37-jährige Chemikerin aus Brandenburg, deren Stern am Himmel der Partei aufging, als der damalige Kanzlerkandidat Edmund Stoiber (CSU) noch eine Frau aus dem Osten für sein Kompetenzteam suchte und die erklärte Befürworterin der embryonalen Stammzellforschung mit der Familienpolitik betraute, legt sich gleich mächtig ins Zeug. »Als dreifache Mutter kann ich mir nichts Schlimmeres vorstellen als den Tod des eigenen Kindes«, beginnt Reiche ihren Redebeitrag. »Ja«, räumt sie später ein, »es gibt kein Recht auf ein gesundes Kind. Aber es gibt den Wunsch.« Politiker, will Reiche wohl sagen, sollten Wünsche genauso ernst nehmen wie Rechte. Denn schließlich wollen sie gewählt werden. Ein Wink mit dem ganzen Gartenzaun statt mit einem einzelnen Pfahl. Ausdrücklich lobt Reiche, die gegenwärtig als Parlamentarische Staatssekretärin in dem von Norbert Rött- Vorschlag der Antragskommission zur Präimplantationsdiagnostik (PID) 1. Das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 6. Juli 2010, die Präimplantationsdiagnostik (PID) zur Entdeckung schwerer genetischer Schäden straffrei zu lassen, wirft die Frage auf, ob ein PID-Verbot oder eine PID-Zulassung für die vom BGH genannten Situationen die angemessene Antwort der Politik ist. Die mit dieser ethischen Grundsatzfrage verbundenen rechtlichen Regelungen hat die Politik zu entscheiden. 2. Die unantastbare Würde des Menschen als Geschöpf Gottes ist menschlicher Verfügung nicht zugänglich. Unsere, von diesem Grundwert geprägte Rechtsordnung muss deshalb gewissenhaft abwägen, wie dem Schutz des Lebens am besten entsprochen werden kann. 3. Für uns gilt: Jeder Mensch ist gleich wertvoll. Es gibt keine Unterscheidung zwischen lebenswertem und nicht lebenswertem Leben. Wir stehen dafür, dass Behinderte an unserer Gesellschaft gleichberechtigt teilhaben. Das Miteinander von Menschen mit Behinderungen und Nichtbehinderten, Förderung und helfende Begleitung sind für uns ein zentrales Anliegen. Wir wissen, dass hier noch viel getan werden muss. 6 Probedruck 4. Für den Schutz des Lebens ungeborener Kinder nach Feststellung einer Behinderung haben wir mit der Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes deutliche Verbesserungen erreicht. Das neue Gesetz beinhaltet eine Beratungspflicht für Ärzte und Hilfe für Schwangere in existentiellen Konfliktsituationen, um das Ja zum Kind zu erleichtern. 8. Variante 1 Geleitet von den hier festgestellten Grundüberzeugungen sind wir der Auffassung, dass es vor einer gesetzlichen Regelung der PID einer ausführlichen Analyse und Diskussion bedarf, um den vielfältigen Anforderungen gerecht zu werden, die eine solch komplexe Frage des Lebensschutzes aufwirft. 5. Zugleich ist uns das menschliche Leid von Paaren bewusst, die ein hohes Risiko zur Vererbung schwerwiegender Erbkrankheiten tragen. Wir wollen sie nicht alleine lassen, sondern nach besten Kräften unterstützen. 8. Variante 2 Deshalb hält die CDU, wie im Grundsatzprogramm verankert, am Verbot der PID fest. 6. Wir anerkennen den Wunsch jedes Menschen auf ein Kind und wissen um die schwere seelische und körperliche Belastung der Frauen, die sich für eine extrakorporale Befruchtung entscheiden. 7. Wir tragen Verantwortung für den politischen Prozess, für eine verfassungsfeste mehrheitsfähige Lösung. Wir fordern daher alle Bundestagsabgeordneten, insbesondere die Angehörigen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, auf, alle ethischen, menschlichen und rechtlichen Aspekte sehr gründlich abzuwägen und sich bei ihrer Entscheidung an den obigen Prinzipien zu orientieren. 8. Variante 3 Deshalb setzt sich die CDU für die Möglichkeit der PID in engen Grenzen für Paare mit schwerer genetischer Vorbelastung ein. 9. Die Entscheidung zur Präimplantationsdiagnostik ist eine persönliche Gewissensentscheidung jedes einzelnen Abgeordneten. Uns eint der Wille, dem Lebensschutz und der Würde allen menschlichen Lebens bestmöglich gerecht zu werden. Im persönlichen Ringen kann dies aber zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Gerade unter Christen dürfen wir uns gegenseitig nicht den Respekt vor einer persönlichen Gewissensentscheidung absprechen. LebensForum 95 LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 7 C Y CM MY Bundesminister für Wirtschaft und Technologie lässt keine Zweifel daran, dass er einen Unterschied zwischen einer befruchteten Eizelle in einer Glasschale und WWW.BILDER.CDU.DE gen geleiteten Bundesumweltministerium fungiert, einen Aufsatz von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, den dieser vor fast zehn Jahren unter dem Titel M Sorgte in Karlsruhe dafür, dass alles mit rechten Dingen zuging: Angela Merkel. »Vergesst die Mutter nicht« im Feuilleton der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« veröffentlicht hatte. Was Reiche freilich verschweigt, ist, dass Wolfgang Schäuble in eben jenem Beitrag vorschlägt, als Menschen nur noch denjenigen zu definieren, der auch von einer Mutter geboren wurde. Sie wisse nicht, sagt Reiche, die sich auf das Spiel mit den Emotionen der Delegierten bestens versteht, ob ein Verbot der PID »christlich« sei. Um gleich darauf hinterherzuschicken: »Für mich ist das unbarmherzig.« Ähnlich emotional argumentieren im weiteren Verlauf der Debatte auch Peter Hintze, Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen und Bundesfamilienministerin Kristina Schröder, die in der Fraktion wegen ihres Rehblicks auch gerne »Bambi« genannt wird. Geschickt bringen sie immer wieder ins Spiel, dass der Embryo im Mutterleib weniger gut geschützt ist, als er es bei einem PID-Verbot im Reagenzglas wäre, verweisen auf die Spirale, die die Einnistung befruchteter Eizellen verhindert und hierzulande ebenfalls nicht verboten ist. Das unterschiedliche Schutzniveau und der daraus abgeleitete Wertungswiderspruch zeigt, dem Applaus nach zu urteilen, Wirkung und verschleiert, dass viele der PID-Befürworter, die in Karlsruhe das Wort ergreifen, in der befruchteten Eizelle keinen Menschen, sondern bloß einen Zellhaufen erblicken. Ehrlicher ist da schon Peter Hintze. Der Parlamentarische Staatssekretär beim LebensForum 95 Probedruck dem im Mutterleib heranwachsenden Kind macht. In der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« (Ausgabe vom 21. November) legt Hintze nach. »Die Auffassung, die Zygote in der Petrischale sei schon ein Mensch«, halte er, verrät der ehemalige protestantische Pfarrer, für einen »biologistischen Fehlschluss«. Wie aus der Zygote ein Mensch wird, erklärt er freilich nicht. Die Redner, die für ein PID-Verbot werben, haben, obwohl sie fast dreimal so viele sind wie ihre Gegner, Mühe dagegenzuhalten. Der Europaparlamentarier Peter Liese, promovierter Humangenetiker, berichtet von Patienten, die er als Arzt täglich behandelt habe, darunter »Es gibt kein Recht auf ein gesundes Kind, aber den Wunsch.« eine erfolgreiche Anwältin, die an Mukoviszidose leidet. Liese erklärt, dass sich weder die Ausprägung einer genetisch bedingten Krankheit noch das Leid, das diese bei den Betroffenen verursache, mittels PID vorhersagen lassen. Und er kritisiert, dass die Befürworter stets von »engen Grenzen« sprächen, aber noch keiner diese bisher definiert habe. »Ich möchte, dass einer sich hier an das Rednerpult stellt und sagt: Mukoviszidose: ja oder nein. Down-Syndrom: ja oder nein. CY CMY K Dann wissen wir, woran wir sind.« Eine Forderung, der auch im weiteren Verlauf der Debatte keiner nachkommt, der für die Zulassung der PID wirbt. Hubert Hüppe, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, bringt die »Lebenshilfe« ins Spiel. Der größte Verband, der sich für Menschen mit Behinderungen einsetzt, drängt seit langem auf ein gesetzliches Verbot der PID: »Das sind doch die Leute, die es wissen«, sagt Hüppe. Als einziger Redner präsentiert er den Delegierten Zahlen aktueller Studien, die das Ausmaß der gewaltigen Selektion verdeutlichen, die mit der PID in den Ländern verbunden sind, die sie bereits zugelassen haben. Danach kommen umgerechnet auf jedes nach Durchführung einer PID geborene Kind 32 getötete Embryonen. Dem Argument des Wertungswiderspruchs hält Hüppe entgegen: »Man darf nicht mit einem Übel, das man selbst geschaffen hat, werben, um ein weiteres Übel zuzulassen.« Der Bundestagsabgeordnete Patrick Sensburg, der ein Verbot der PID im Gendiagnostikgesetz festschreiben will, informiert die Delegierten über die so genannte Polkörperchen-Diagnostik. Mit ihr ließen sich bereits heute rund 80 Prozent der Krankheiten, die mittels PID festgestellt werden, diagnostizieren. Und dies ohne, dass Embryonen verworfen würden. Der Grund: Bei der Polkörperchen-Diagnostik wird nicht der Embryo, sondern die Eizelle vor Abschluss der Befruchtung untersucht. Ein Verbot der PID würde auch die Fortentwicklung dieser Methode fördern, wirbt Sensburg. Auch die Spitzenkandidatin für die Landtagswahl in Rheinland-Pfalz im März 2011, Beck-Herausforderin Julia Klöckner, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Staatsministerin Maria Böhmer, die Kirchenbeauftragte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Maria Flachsbarth, das geschäftsführende Vorstandsmitglied der IG-Metall Regina Görner und viele bitten die Delegierten in leidenschaftlichen Redebeiträgen, für ein Verbot der PID zu stimmen. 11.39 Uhr: Erstmals verlässt Angela Merkel an diesem Tag den Plenarsaal, nur um kurz darauf mit dem Bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Parteichef Horst Seehofer zurückzukehren. Parteitagspräside, Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus, begrüßt Seehofer, der nur einen mäßigen Applaus erhält und verkündet, dass nun noch neun Redebeiträge ausstünden. Mappus, der sich gern als Konservativer feiern lässt, will ein Ende der Debatte herbeiführen 7 LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 8 C M Y CM MY CY CMY K T I T EL INFO CDU-Grundsatzprogramm Auszug: »Die Würde des Menschen schützen – Vom Beginn bis zum Ende des Lebens« Die unantastbare Würde des Menschen als Geschöpf Gottes ist menschlicher Verfügung nicht zugänglich und ist zu schützen. Der Mensch ist immer Subjekt, er darf niemals Objekt sein. Die Würde des Menschen ist auch für die Bewertung bioethischer Herausforderungen Ausgangs- und Orientierungspunkt. Sie erfordert Achtung und Schutz des menschlichen Lebens in allen Phasen. Das noch nicht geborene Leben bedarf beginnend mit der Verschmelzung von Samen und Eizelle unseres besonderen Schutzes und unseres kritischen Umgangs mit den sich weiter entwickelnden Möglichkeiten der Pränataldiagnostik. Wir treten für ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik (PID) ein. Mit den hohen Abtreibungszahlen, die sich auch aus Spätabtreibungen ergeben, finden wir uns nicht ab. Wir müssen Frauen und Männern dabei helfen, sich für das Leben zu entscheiden. 8 Probedruck schluss fassen, lehnen diese die von der Antragskommission favorisierte Variante mit einer überdeutlichen Mehrheit ab. DANIEL RENNEN / REHDER MEDIENAGENTUR ARCHIV land ein gesetzliches Verbot der PID geben wird. Das kann nur der Deutsche Bundestag. Und dessen Abgeordnete sind ARCHIV und fragt die Delegierten, ob sie sich nach der nun fast drei Stunden andauernden Diskussion in der Lage sähen, gemäß dem von der Antragskommission entwickelten Verfahren abzustimmen. Volker Kauder, der noch nicht gesprochen hat, erhebt Gegenrede. Der Parteitag entscheidet sich für die Fortführung der Debatte. Seehofer muss warten. Eine geschlagene Dreiviertelstunde sollte das dauern. Denn zunächst zeigt Unionsfraktionschef Volker Kauder in seiner Rede auf, wie die Zulassung der Abtreibung die medizinische Praxis verändert hat. Obwohl eine Behinderung per Gesetz kein Grund für eine Abtreibung sei, seien Ärzteverbände nach einigen Jahren an die Politik herangetreten, mit dem Wunsch, die Regelung der Spätabtreibung zu überarbeiten. Auch die PID habe das Potential, die »Praxis radikal zu verändern«. »Wir machen eine Tür auf und wissen nicht, was danach kommt«, gibt Kauder zu bedenken und mahnt: »Wenn wir nicht mit dem Leben experimentieren wollen, dann dürfen wir die PID heute nicht zulassen.« Und obwohl am Schluss sowohl Saarlands Ministerpräsident Peter Müller als auch Bundestagspräsident Norbert Lammert vehement dafür werben, dass die Delegierten an diesem Tag keinen Be- Hubert Hüppe, CDU Katharina Reiche, CDU Sowohl Müller als auch Lammert sprechen sich in ihren Redebeiträgen zudem für einen Verzicht auf Strafe aus. Während sich Müller aber immerhin zu einem Verbot der PID bekennt, sagt Lammert: »Ich weiß noch nicht, wie ich am Ende des Gesetzesvorhabens abstimmen werde, weil ich noch gar nicht weiß, was zur Abstimmung stehen wird.« Und fügt dann an: Je länger er aber darüber nachdenke, desto eher tendiere er dafür, die PID begrenzt zuzulassen. Als die Rednerliste »abgearbeitet« ist, lässt Mappus Stimmzettel verteilen und anschließend wieder einsammeln. Noch während der Rede Seehofers sickert das Ergebnis durch. Mit der Stimmauszählung betraute Delegierte informieren Journalisten per SMS. Danach entfielen von den 814 abgegebenen Stimmen 408 Stimmen auf ein PID-Verbot. 391 Delegierte stimmten für eine nicht näher definierte begrenzte Zulassung der PID. 15 enthielten sich. Weil die Parteitagsregie ungültige Stimmen und Enthaltungen jedoch stets herausrechnet, entfallen auf das PIDVerbot am Ende 51,06 Prozent und für die begrenzte Zulassung 48,94 Prozent. Als nach Seehofers Rede das Ergebnis der Abstimmung dann auch dem Saal offiziell verkündet wird und klar ist, dass sich der Parteitag mehrheitlich knapp für ein PIDVerbot ausgesprochen hat, sehen die Delegierten eine strahlende und applaudierende Parteichefin. Angela Merkel ist über das Votum des Parteitags glücklich. Gewonnen ist damit in der Sache freilich nicht viel. Denn nicht der CDUParteitag entscheidet, ob es in Deutsch- nur ihrem Gewissen verpflichtet. Wie immer, wenn bioethische Fragen zur Entscheidung anstehen, wird dann auch der Fraktionszwang aufgehoben sein. Was bleibt, ist die dürre Erkenntnis, dass der Schutz menschlichen Lebens in einer sehr speziellen Frage nach vielen Jahren in der CDU erstmals wieder mehrheitsfähig ist. Warum – ob aus Einsicht in den Sachverhalt, aus Treue zum eigenen Grundsatzprogramm oder aber aus purer Taktik – wird, weil niemand die Gedanken der Delegierten noch die der Kanzlerin und CDU-Parteivorsitzenden lesen kann, wohl ein Geheimnis bleiben. Hinten, in der letzten Reihe des Saals, sitzt Pater Stefan und beobachtet das Treiben. Die komplette Debatte hat das Mitglied der »Brüder vom gemeinsamen Leben«, die einen nahe Karlsruhe gelegenen Wallfahrtsort betreuen, Rosenkranz betend begleitet. Haften geblieben sei ihm vor allem das Bild von der »Offenen Tür«, sagt der Priester, der als solcher auch an seinem römischen Kragen zu erkennen ist. Was eine Parteitagsdelegierte jedoch nicht davon abhielt, ihn wegen der Rosenkranzperlen, die durch seine Finger glitten, mit einem Muslim zu verwechseln. Dafür, dass sich der CDU-Parteitag mehrheitlich für ein PIDVerbot ausgesprochen hat, sei er »dankbar«, sagt Pater Stefan, der sich sicher ist, dass dies »auch ein Stück weit das Verdienst von Angela Merkel ist«. »Offene Türen«, fährt er fort, müsse man dann »durchschreiten, wenn der Weg zu Gott führt«. »Wenn es aber zieht«, dann müsse man »die Tür bloß schließen«. LebensForum 95 LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 9 C M Y CM MY CY CMY K DANIEL RENNEN / REHDER MEDIENAGENTUR T I T EL Nico, Chiara und Daniela* Immer wieder wird in der Debatte über die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PID) das Leid von Eltern in den Mittelpunkt gestellt, die Gefahr laufen, schwere Krankheiten auf ihre Kinder zu vererben. So wenig, wie dieses Leiden verharmlost werden darf, so wenig darf es jedoch pauschalisiert werden. In seinem Beitrag zeigt der Kinderarzt Holm Schneider, dass auch ein Leben mit schweren Behinderungen ein glückliches sein kann. Für die Kinder ebenso wie für ihre Eltern. Von Prof. Dr. med. Holm Schneider N ico stürmt in sein Zimmer, holt die Spielzeugkamera aus dem Schrank. Begeistert erklärt er, dass er jetzt Fotos machen wolle, und die große Wunde am Ellbogen scheint vergessen … Wäre vor sieben Jahren in Deutschland die Präimplantationsdiagnostik erlaubt gewesen, dann gäbe es Nico heute nicht. Der Sechsjährige hat einen seltenen Gendefekt, der bewirkt, dass seine Haut bei geringster Belastung Blasen bildet und reißt. Epidermolysis bullosa junctionalis heißt diese Erbkrankheit, ein Leiden, das schon im Säuglingsalter zum Tode führen kann und meistens ein Leben voller Schmerzen und Einschränkungen mit sich bringt. Ob die Anlage zu dieser unheilbaren Krankheit vorliegt, lässt sich vorgeburtlich feststellen - anhand einer einzigen Körperzelle. Die Beschreibung LebensForum 95 Probedruck als »schwerwiegender genetischer Schaden«, der nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs die selektive Präimplantationsdiagnostik (PID) rechtfertigen soll, trifft auf Nicos Fall zu. Wenn ihr ein solcher Test damals angeboten worden wäre, hätte Nicos Mutter ihn durchführen lassen, denn für ein Das Testergebnis war korrekt. Die Prognose nicht. schwerkrankes Kind zu sorgen, das hätte sie sich früher nicht zugetraut. Heute denkt sie anders. Nicos Eltern haben mit der Krankheit ihres Jungen leben gelernt und fühlen sich inzwischen auch extremen Herausforderungen gewachsen. Ein Schicksal, das sie sich nie ausgesucht hätten, hat die Eheleute zusammengeschweißt und stark gemacht. Denn was kann es für Eltern Schlimmeres geben als die Aussage von Ärzten, ihr Kind leide an einer tödlichen Krankheitsvariante und werde wahrscheinlich nicht mehr lange leben? Wer dann den Alltag aushält und sich die Hoffnung nicht nehmen lässt, den kann nicht mehr viel erschüttern. Die Aussage der Ärzte stützte sich auf einen Gentest. Das Testergebnis war korrekt. Die Prognose nicht. Nico geht seit September zur Schule, und die Ärzte *Der Beitrag erschien zuerst am 19. Oktober als »Fremde Feder« in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Die Namen wurden von der Redaktion nicht geändert. 9 LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 10 C M Y CM MY CY CMY K T I T EL betrachten ihn als ganz besonderen Fall. Chiara schwingt auf der Schaukel, dass die bunten Kirschbaumblätter auf sie herabregnen, und strahlt übers ganze Ge- und singt, tanzt zum Mundharmonikaspiel eines Straßenmusikanten, grüßt jeden, dem sie begegnet. Einer Fremden, die ihr eine kleine Freude macht, gibt sie un- Bereichern unser Leben trotz Handicap: Menschen mit Behinderungen. sicht. Auch sie hat eine genetische Besonderheit: das Down-Syndrom. Zu leiden scheint sie darunter nicht. Im Gegenteil: Sie ist ein fröhliches, quicklebendiges Mädchen. Chiara weiß nicht, dass Kinder wie sie »heute gar nicht mehr zur Welt kommen müssten«, wie man so sagt, weil Die meisten Behinderungen entstehen nach der Geburt. man sie bei pränatalen Ultraschalluntersuchungen bereits an ihrer dicken Nackenfalte erkennen und anhand einer Fruchtwasserprobe aufspüren kann. Nur jedes Zwanzigste der so »Entdeckten« erblickt das Licht der Welt. Alle anderen werden abgetrieben. Chiaras Fröhlichkeit steckt an. Auf dem Weg durch die Stadt plappert sie 10 Probedruck gehemmt einen Kuss. Nein, das ist nicht peinlich; Chiara versprüht einen Charme, der andere aus eigener Trübsal reißt. Ihre Eltern finden klare Worte. Sie seien mit ihrer Tochter »ganz bestimmt nicht weniger glücklich als mit einem gesunden Kind«. Chiara sei »die größte Bereicherung in ihrem Leben«. Daniela ist gehbehindert, weil sie kurz nach der Geburt eine Gehirnhautentzündung bekam, die nicht folgenlos ausheilte. Doch Mitleid braucht sie nicht. Die attraktive junge Frau im Rollstuhl ist heute glücklich verheiratet, als Beraterin im Zentrum für Selbstbestimmtes Leben Behinderter tätig und bekräftigt, dass sie ihre Behinderung selbst nie als besonders schlimm empfunden habe: »Ich kenne mich ja nicht anders.« Ihrer Tochter den Weg freikämpfen zu müssen, waren Danielas Eltern gewohnt. Sie nahmen es gefasst, dass das Mädchen, um die Erlaubnis zum Besuch der Regelschule zu erhalten, in einem speziellen Test seine Intelligenz nachweisen musste. Immer wieder machten sie die Erfahrung, dass man Daniela aufgrund ihrer Gehbehinderung nicht viel zutraute. Die Skepsis der Gesunden reichte über das Abitur hinaus, bis zum Abschluss des Studiums. Trotz aller Schwierigkeiten haben Danielas Eltern ihr einen einprägsamen Satz mit auf den Weg gegeben: »Du bist das Beste, was wir bekommen konnten.« Das Gleiche sagt ihr Mann. Warum denken und sprechen die Eltern von Nico, Chiara und Daniela so positiv über ihr Leben mit einem behinderten Kind? Weshalb steht ihr Empfinden im Gegensatz zu dem der PIDBefürworter? Ganz einfach: PID sondert nicht Gendefekte aus, sondern Menschen – Kinder im frühesten Stadium ihrer Entwicklung. Und diese Kinder bringen alles mit, was es zum Leben braucht. Eltern, die ein behindertes Kind lieben gelernt haben, wissen das. Wenn unsere Gesellschaft irgendwann einmal eine Entwicklungsstufe erreichen sollte, in der das Leben mit solchen Kindern keinen grenzwertigen Kraftaufwand mehr erfordert, dann würden sich Diskussionen um die vorgeburtliche Selektion erübrigen. Denn zum Verschwinden bringen lassen sich Behinderungen durch solche Eingriffe nicht; die meisten entstehen nach der Geburt. Nico, Chiara und Daniela sind behindert, doch lebensfroh wie gesunde junge Menschen. Ihre Eltern hatten sich das Leben anders vorgestellt, doch eintauschen würden sie diese Kinder um keinen Preis. Wer um jeden Preis ausschließlich gesunden Nachwuchs haben möchte, der sollte Erwachsene adoptieren, denn Schwangerschaft, Geburt und Kindheit werden – allem medizinischen Fortschritt zum Trotz – immer mit hohen Risiken verbunden bleiben. IM PORTRAIT Prof. Dr. med. Holm Schneider Der Autor, Jahrgang 1969, ist Mitglied des Bundesvorstands der »Aktion Lebensrecht für Alle e. V.« (ALfA) und arbeitet als Kinderarzt und Leiter der Abteilung für Molekulare Pädiatrie am Universitätsklinikum Erlangen. Er ist verheiratet und Vater von fünf Kindern. LebensForum 95 LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 11 C M Y CM MY CY CMY K T I T EL Juristische Glanzleistung Der CDU-Bundestagsabgeordnete Patrick Sensburg hat einen Gesetzesentwurf für ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik vorgelegt. Festgeschrieben werden soll dieses nicht im Embryonenschutzgesetz, sondern – eine Überraschung – im Gendiagnostikgesetz. Von Stefan Rehder LebensForum 95 Probedruck des Gesetzes bislang auf genetische UnSensburg begründet das Verbot damit, tersuchungen und Analysen beschränkt, dass die PID »bei bekannter elterlicher die »bei geborenen Menschen sowie bei Veranlagung« an Embryonen durchgeEmbryonen und Föten während der führt würde, »die eigens zur Ermöglichung Schwangerschaft« durchgeführt werden, von PID extrakorporal erzeugt wurden«. will Sensburg den Anwendungsbereich Da die Eltern »in der Regel auf natürdes Gesetzes ausdehnen. Künftig soll es lichem Wege fortpflanzungsfähig« seien, auch genetische Untersuchungen und sei auch »nur die Ermöglichung der PID Analysen regeln, die an Anlass für eine künstliche künstlich erzeugten EmBefruchtung«. Da »manbryonen durchgeführt gels therapeutischer Mögwerden können, bevor lichkeiten« die »einzige diese in den Uterus einer durch PID angestrebte Frau transferiert werden. Handlungsoption« im Um dies zu erreichen, Falle eines entsprechensieht der Entwurf des Juden Befundes im »Verristen, der nicht nur hier werfen« beziehungsweise zeigt, dass er sein Hand»Abtöten« oder »Sterbenwerk meisterlich versteht, lassen des Embryos« bedie Streichung der Worte stehe, werden die »Würde »während der Schwan- Professor Patrick Sensburg, CDU des Menschen und das gerschaft« vor. Die durch Recht auf Leben, welche die Ausweitung des Anwendungsbereiches auch dem Embryo in seinen frühesten notwendig werdende juristische DefiniErscheinungsformen zukommen«, misstion des Embryos in vitro übernimmt der achtet. Dies stelle »eine Diskriminierung Entwurf kurzerhand aus dem Stammzellaller Menschen dar, die mit solchen Begesetz. Danach gilt als Embryo »jede hinderungen und Krankheiten leben«. bereits menschliche totipotente Zelle, die Auch taktisch spricht für den Gesetzessich beim Vorliegen der dafür erforderlientwurf einiges. Würde nämlich ein Verbot chen weiteren Voraussetzungen zu teilen der PID tatsächlich im GenDG verankert und zu einem Individuum zu entwickeln und nicht – wie genauso nahe liegend – vermag«. Bei der dritten und vorletzten im Embryonenschutzgesetz (ESchG), Änderung, die der Gesetzesentwurf vorkönnte nicht nur die PID verboten, sonsieht, geht es um die Aufnahme des exdern auch eine andere Gefahr vermieden pliziten Verbots der PID. Die entsprewerden. Die besteht darin, dass das ESchG chende Passage lautet: »Eine vorgeburtvielen Abgeordneten – allen voran denen liche Untersuchung an einem extrakorder FDP – seit langem ein Dorn im Auge poralen Embryo, die darauf abzielt, geist. Sie liebäugeln deshalb damit, es durch netische oder morphologische Eigenein neues Fortpflanzungsmedizingesetz schaften oder das Geschlecht des Embryos zu ersetzen und darin dann auch Praktiken festzustellen (Präimplantationsdiagnoswie die Leihmutterschaft und die Eizelltik), darf nicht vorgenommen werden« spende anders als durch ein striktes Verbot und soll in § 15 GenDG eingefügt werzu regeln. Allerdings hätte die Aufnahme den. Abschließend sieht der Entwurf vor, eines Verbots der PID im GenDG auch die Missachtung des PID-Verbots wie einen Nachteil. Das Gesetz bedarf nämlich die allermeisten anderen Verstöße gegen der Zustimmung des Bundesrates. Eine das GenDG »mit Freiheitsstrafe bis zu Mehrheit im Bundestag, die derzeit alles einem Jahr oder mit Geldstrafe« zu ahnandere als sicher, wenn auch nicht ausgeden. schlossen ist, wäre dann nur die halbe Miete. ARCHIV D er CDU-Parteitag in Karlsruhe – genauer, die Debatte, die sich dort zur Präimplantationsdiagnostik (PID) entspannte – bildet, so eindrucksvoll sie war, lediglich die Overtüre zu einem Mehrakter, dessen letzter Teil im Bundestag aufgeführt werden wird. Dafür fehlt derzeit noch sowohl das Drehbuch als auch ein Zeitplan. Wie bei einer Laienschauspieltruppe entwickelt sich das Stück »im Prozess«; während und aus der Arbeit seiner Akteure. Selbst wann es aufgeführt werden soll, ist strittig. Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) will, dass der letzte Akt erst im Frühjahr 2011 gegeben wird. In einer Fraktionssitzung sagte Kauder, Befürworter wie Gegner eines gesetzlichen Verbots der PID sollten Gelegenheit bekommen, Expertenanhörungen durchzuführen. Dabei sind wesentliche Arbeiten längst erledigt. Nachdem prominente PIDBefürworter aus den Reihen der CDU einen Gesetzesentwurf vorgestellt hatten, der sicherstellen will, dass die PID von Eltern genutzt werden kann, die Gefahr laufen, genetisch bedingte Krankheiten auf ihre Kinder zu vererben, liegt nun auch ein Entwurf für ein PID-Verbot vor. Entworfen hat ihn der CDU-Parlamentarier Patrick Sensburg. Der Professor sitzt für den Hochsauerlandkreis im Deutschen Bundestag. Sensburg will ein strafbewehrtes PID-Verbot im Gendiagnostikgesetz (GenDG) festschreiben, das im Februar 2010 in Kraft trat. Das macht insofern Sinn, als zu den Zielen des Gesetzes nicht nur zählt, »die Voraussetzungen für genetische Untersuchungen« und »Analysen« zu regeln sowie »die Verwendung genetischer Daten und Proben« zu bestimmen, sondern auch »eine Benachteiligung auf Grund genetischer Eigenschaften zu verhindern«, um »insbesondere die staatliche Verpflichtung zur Achtung und zum Schutz der Würde des Menschen und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zu wahren.« Weil sich jedoch der Anwendungsbereich 11 LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 12 C M Y CM MY CY CMY K PO LI T I K Gewissen bleiben frei Es hätte böse ins Auge gehen können. Im Oktober hätte der Europarat um ein Haar einen Bericht der britischen Parlamentarierin Christine McCafferty durchgewunken. Nicht zuletzt aufmerksamen Lebensrechtlern, darunter auch der ALfA, ist es zu verdanken, dass der weitreichende Anschlag auf die Freiheit des Gewissens am Ende erfolgreich abgewehrt werden konnte. Von Stefan Rehder D 12 Probedruck und Familie des Europarates. Federführend war dabei die britische Abgeordnete Christine McCafferty. Nach einer kontrovers geführten Debatte stimmten die Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung des EuropaARCHIV er Appell hätte kaum eindringlicher sein können als der, mit dem sich die Bundesvorsitzende der »Aktion Lebensrecht für Alle e. V.« (ALfA), Claudia Kaminski, einen Tag vor der entscheidenden Abstimmung an die Mitglieder der deutschen Delegation der Parlamentarischen Versammlung des Europarates wandte. »Hier geht es nicht um die Durchsetzung christlicher Moralvorstellungen, sondern um den Erhalt eines Grundrechtes«, stellte die Ärztin klar. Und weiter: »In pluralen Gesellschaften, die über eine Vielzahl unterschiedlicher Anbieter medizinischer Leistungen verfügen, gibt es keinerlei Anlass, Einrichtungen zu zwingen, alle gesetzlich erlaubten Leistungen auch anbieten und durchführen zu müssen.« Wer medizinische Leistungen wünsche, die Christen aus Gewissengründen ablehnen müssten, habe heute viele Möglichkeiten, diese auch zu erhalten. »Reichen Sie Ihre Hand nicht denen, die eine uniforme Gesellschaft anstreben und aus ideologischen Gründen die Freiheit der Gewissen einschränken oder gar abschaffen wollen. Versagen Sie daher dem McCafferty-Bericht morgen ihre Stimme«, appellierte Kaminski an die 18 deutschen Delegierten. Was war passiert? Anfang Oktober sollte die Parlamentarische Versammlung des Europarates über einen Bericht der britischen Sozialistin Christine McCafferty abstimmen. Erklärtes Ziel des Berichtes, dessen eigentlicher Titel »Der Zugang von Frauen zu rechtmäßiger medizinischer Versorgung – Das Problem der nicht geregelten Inanspruchnahme des Rechts auf Ablehnung bestimmter Behandlungen aus Gewissengründen« lautet, war es, »ein Gleichgewicht zwischen dem persönlichen Recht auf Gewissensentscheidungen und dem Recht der Patienten auf die gesetzlich zulässige Versorgung« zu schaffen. Verfasst wurde er vom Komitee für Soziales, Gesundheit Christine McCafferty rates mehrheitlich für einen Änderungsantrag, der das ursprünglich angestrebte Ziel nicht nur zunichtemachte, sondern auch ins Positive wendete. Wo der McCafferty-Bericht Einrichtungen zwingen wollte, gesetzlich erlaubte Eingriffe wie Abtreibungen, künstliche Befruchtungen und Euthanasie auch dann durchzuführen, wenn diese dem Selbstverständnis der Einrichtung diametral zuwiderliefen, heißt es nun: »Kein Arzt oder Krankenhaus, die eine Abtreibung oder Sterbehilfe ablehnen, sollen dafür zur Verantwortung gezogen werden.« Die Sozialistin Christine McCafferty sprach nach der Abstimmung von einer »Schande für Europa«. Andere, so etwa auch die Bundesvorsitzende der ALfA, sahen dies jedoch ganz anders. »Lebensrechtler in ganz Europa können mit dem erreichten Ergebnis sehr zufrieden sein«, strahlte Kaminski. Das Votum der Delegierten sei »ein Sieg der Vernunft über eine die Freiheit missachtende Ideologie«. Tatsächlich kann die Wende, welche die Proteste bewirkten, gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Obwohl der Europarat, dem 47 Staaten Europas und Asiens angehören, anders als das Europäische Parlament über keinerlei gesetzgebende Kompetenz verfügt, finden die von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates angenommenen Texte jedoch nicht selten als so genanntes »soft law« Beachtung in den nationalen Parlamenten der Mitgliedsstaaten, die, abhängig von der Größe ihrer Bevölkerung, Abgeordnete als Delegierte nach Straßburg entsenden. Die Relevanz, die auch das »weiche Recht« besitzen kann, sollte von niemandem unterschätzt werden. Ein Beispiel: Obwohl das angebliche »Recht auf reproduktive Gesundheit«, das 1994 auf der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo erfunden wurde und vorgeburtliche Kindstötungen einschließt, bislang in kein ordentliches Gesetz Eingang fand, dominiert es heute auf vielfältige Weise die Entwicklungspolitik der Industrieländer. So gesehen wunderte es keineswegs, dass sich im Vorfeld der Abstimmung in vielen Ländern zahlreiche Organisationen schriftlich an die Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung des Europarates wandten und an diese appellierten, einer Annahme des McCafferty-Berichts ihre Stimme zu versagen. Denn wäre der McCafferty-Bericht vom Europarat angenommen worden, hätte er die mit gesetzgeberischer Kompetenz ausgestatteten Parlamente der Mitgliedsstaaten sicherlich zu ähnlichen Initiativen animiert. Damit aber wäre die Zukunft von Krankenhäusern und Pflegeheimen in LebensForum 95 LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 13 C christlicher Trägerschaft ernsthaft gefährdet gewesen. Der wichtigste Grund: Der McCafferty-Bericht sah vor, dass medizinische Einrichtungen künftig prinzipiell M Y CM MY ARCHIV ARCHIV katholische Krankenhäuser und Pflegeheime auch die Tötung von Patienten auf deren Verlangen organisieren. Darüber hinaus wollte der McCafferty-Bericht er- Claudia Kaminski Klaus Küng sämtliche Leistungen anbieten müssen, die in einem Land nicht ausdrücklich per Gesetz verboten sind. Zwar hätten sich einzelne Angestellte auch dann noch an der Mitwirkung einer solchen »legalen« Leistung unter Berufung auf ihr persönliches Gewissen entziehen können. Allerdings hätte der Arbeitgeber in einem solchen Fall sicherzustellen gehabt, dass der Patient die gewünschte Leistung in dieser Einrichtung dennoch erhält. Da der Kostendruck im Gesundheitswesen enorm ist, hätte dies in der Praxis vermutlich dazu geführt, dass Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger in vielen Einrichtungen bereits vor einer Einstellung darauf hin geprüft worden wären, ob ihr Gewissen hinreichend flexibel ist. Der Grund hier: Ist ein Krankenhaus verpflichtet, sämtliche gesetzlich erlaubten Leistungen auch zu erbringen, muss der Angestellte, der sich aus Gewissensgründen weigert, an einer bestimmten Leistung mitzuwirken, durch einen anderen ersetzt werden, was unweigerlich ein höheres Personalaufkommen erforderlich machen würde und betriebswirtschaftlich zu erheblichen Probleme führen könnte. Damit nicht genug: Sofern sich etwa der Deutsche Bundestag den Inhalt des McCafferty-Berichts zu eigen machte, wären etwa katholische Krankenhäuser verpflichtet, Patientinnen, die das wünschen, eine Abtreibung, Paaren eine künstliche Befruchtung oder auch eine Sterilisation in ihrem Haus zu ermöglichen. In Belgien oder den Niederlanden müssten reichen, dass alle medizinischen Einrichtungen künftig ein Verzeichnis führen, in dem alle Mitarbeiter verzeichnet und einer staatlichen Stelle gemeldet werden, die sich unter Berufung auf ihr Gewissen LebensForum 95 Probedruck CY CMY K Zu den Organisationen, die sich in Deutschland schriftlich gegen die Annahme des McCafferty-Berichtes an die 18 Mitglieder der deutschen Delegation gewandt haben, gehörten unter anderem die Malteser, die in Deutschland zahlreiche Krankenhäuser unterhalten, die Deutsche Evangelische Allianz, die Ärzte für das Leben und die Christdemokraten für das Leben (CDL). So heißt es etwa in dem Schreiben der Malteser: »Den Maltesern, als katholischer Krankenhausträger in Deutschland, würde die Annahme des Berichtes erhebliche Schwierigkeiten bereiten, in der Konsequenz wahrscheinlich die Arbeit in diesem Bereich unmöglich machen.« In Österreich hat sich der Bischof von Sankt Pölten, Klaus Küng, »als ReferatsVerantwortlicher der österreichischen Bischofskonferenz für katholische Krankenanstalten« per SMS an die Delegierten gewandt. In der Kurznachricht, die alle Mitglieder der österreichischen Delegation auf ihr Handy erhielten, erinnert Küng daran, dass die Gewissensfreiheit »zu den Grundrechten des Menschen« gehöre. Niemand dürfe gezwungen werden, »etwas zu tun, was seinem Gewissen – und den in der Schöpfung selbst verankerten Geboten – widerspricht.« Oft werde »in unserer Gesellschaft der Wert der Die »Softlaw«-Schmiede: Der Europarat in Straßburg. weigern, an gesetzlich erlaubten medizinischen Leistungen mitzuwirken. Diese schwarze Liste sollte offenbar genutzt werden, um es Angestellten mit sensiblen Gewissen zu erschweren, bei einem Wechsel andernorts angestellt zu werden. Freiheit als wichtigstes Gut angepriesen.« »Ich appelliere an Sie, in diesem richtigen Sinn von Ihrer Freiheit Gebrauch zu machen und es anderen zu ermöglichen, ihre Gewissensfreiheit auch weiterhin zu wahren«, so Küng weiter. 13 LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 14 C M Y CM MY CY CMY K GESELLSCHAFT Zeichen für Humanität und Solidarität 1.800 Menschen – so viele wie noch nie – nahmen in diesem Jahr am »Marsch für das Leben« durch die Bundeshauptstadt teil. Schweigend und in Begleitung der Polizei. Doch auch diesmal störten Abtreibungsbefürworter mit vielfältigen Aktionen die ansonsten friedliche Demonstration. Eine Reportage. Von Matthias Lochner N och ist es trocken. Der Wind pfeift kalt. Ab und an durchbrechen vereinzelte Sonnenstrahlen die Wolkendecke. Ein typischer Herbsttag. Es ist Samstag, der 18. September, 13.00 Uhr. Vor dem Neptunbrunnen nahe des Roten Rathauses in Berlin haben sich Menschen aus ganz Deutschland vor einer kleinen Bühne versammelt. Frauen der deutschen Lebensschutzgruppen, hat zum »Marsch für das Leben« geladen. Wie jedes Jahr beginnt die Veranstaltung mit einer Kundgebung. »Herzlich willkommen, liebe Freunde des Lebens. Wir sind hier heute zusammengekommen, um friedlich für das Recht jedes Menschen, ob geboren oder noch nicht, ob gesund oder krank, ob jung oder alt, zu gruppen zu Wort. Die stellvertretende ALfA-Bundesvorsitzende Alexandra Maria Linder etwa berichtet von ihren erschreckenden Recherchen, die sie im Buch »Geschäft Abtreibung« zusammengetragen hat. Ulrike und Thomas Schührer vom »Durchblick e. V.« stellen ihre erfolgreiche »Embryonenoffensive« vor, in der sie Kunststoffmodelle, die eine 1:1Abbildung eines Embryos in der zehnten Schwangerschaftswoche darstellen, an tausende Haushalte verteilen und überwiegend auf positive Resonanz stoßen. Auch Vertreter von Lebensschutzgruppen aus dem Ausland sind gekommen, darunter der Gründer von »Rock For Life« und Vorsitzende der christlichen Lebens- »Jedes Kind hat das Recht geboren zu werden.« Ein Heer aus weißen Kreuzen: der diesjährige Marsch für das Leben. und Männer, Kinder und Jugendliche, Erwachsene jeden Alters – sie alle sind in die Hauptstadt gekommen, um hier für das Leben zu demonstrieren. Der Bundesverband Lebensrecht (BVL), der von der »Aktion Lebensrecht für Alle« (ALfA) e. V. mit gegründete Dachverband 14 Probedruck demonstrieren. Wir setzen ein Zeichen für Humanität und Solidarität in unserer Gesellschaft«, begrüßt der Bonner Publizist und BVL-Vorsitzende Martin Lohmann die Menschenmenge. Während der Kundgebung kommen Vertreter verschiedener Lebensrechts- schutzorganisation »Stand True Ministries«, Brian Kemper aus den USA, eine Gruppe junger Pro-Lifer aus Belgien, die den Pro-life-Marsch in Brüssel organisiert, sowie das Ehepaar Dorenbos von der Organisation »Schreeuw om Leven« aus den Niederlanden. »Möge in jeder europäischen Hauptstadt ein Marsch für das Leben als starkes Signal für das Recht auf Leben in Europa stattfinden«, ruft Bert Dorenbos von der Bühne. Dazwischen werden Grußworte verlesen, von denen der BVL dieses Jahr mehr als je zuvor erhalten hat. Zahlreiche Unionspolitiker haben geschrieben, darunter die Bundesminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) und Annette Schavan (CDU), der Vorsitzende der Unions-BunLebensForum 95 LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 15 C destagsfraktion, Volker Kauder (CDU), der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU), der Beauftragte der Bundesregierung für Menschen mit Behinderung, Hubert Hüppe, der InnenausschussVorsitzende des Deutschen Bundestages, Wolfgang Bosbach (CDU), die Vorsitzende des Bundes Katholischer Unternehmer (BKU) und CDU-Abgeordnete MarieLuise Dött, die stellvertretende UnionsFraktionsvorsitzende Ingrid Fischbach (CDU), der CSU-Abgeordnete Johannes Singhammer sowie der Europaparlamentarier Martin Kastler (CSU). Der Vorsitzende der Senioren-Union, Otto Wulff, M Y CM MY wichtiges Signal an Politik, Gesellschaft und Forschung senden: »Die Würde des Menschen ist unantastbar und benötigt den ihm gebührenden Schutz. Dies gilt auch für das ungeborene Leben!« Der EU-Parlamentarier Martin Kastler bezeichnet die Abtreibung in seinem Gruß- CY CMY K tionsdiagnostik (PID) gesetzlich zu verbieten, die geltenden Abtreibungsgesetze und ihre Praxis einer gründlichen und umfassenden Prüfung und Korrektur zu unterziehen, dem erneuten Aufkommen von Sterbehilfe/Euthanasie Einhalt zu gebieten sowie die Finanzierung der Ab- »Hätt’ Maria abgetrieben, wärt ihr uns erspart geblieben.« und der Vorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder, haben ein gemeinsames Grußwort gesandt. »Unsere Pflicht als Christ ist es, allen gegenüber deutlich zu machen, dass das Leben ein Geschenk Gottes ist und nicht zur Disposition Dritter steht. Jedes Kind hat das Recht, geboren zu werden«, ermutigt etwa Verteidigungsminister KarlTheodor zu Guttenberg die Lebensschützer. Wolfgang Bosbach betont in seinem Grußwort die Menschenwürdegarantie jedes Embryos: »Jeder Embryo hat von Anfang an das im Grundgesetz verankerte Recht auf Leben und Schutz. Ihm kommt die gleiche, volle Menschenwürde zu wie jedem schon geborenen Menschen«, so der CDU-Politiker. Bildungs- und Forschungsministerin Annette Schavan dankt in ihrem Grußwort allen, »die sich mit unermüdlichem Engagement für den Schutz des Lebens und die Unantastbarkeit der menschlichen Würde einsetzen«. Otto Wulff und Philipp Mißfelder bekunden in ihrem Brief den Lebensrechtlern ihre Sympathie und heben hervor, dass sich die Senioren-Union und die Junge Union »generationsübergreifend zum Schutz des Lebens« bekennen. »Das Recht auf Leben, insbesondere das Recht ungeborener Kinder, ist ein Grundrecht, das Menschen nicht in Frage stellen dürfen«, ermahnt Marie-Luise Dött. Das Engagement des BVL, »das sich gegen die immer noch andauernde Praxis des Tötens ungeborener Kinder wendet, ist ein wichtiger Beitrag, um auf diesen Missstand aufmerksam zu machen und ihn zu bekämpfen«, so die BKU-Vorsitzende. Ingrid Fischbach schreibt den Lebensrechtlern, dass sie mit dem Marsch ein LebensForum 95 Probedruck 44 dieser Kreuze fischte die Polizei anschließend aus der Spree. wort als »Geißel«, die jeden Tag unzähligen ungeborenen Menschen das Leben koste, und bestärkt die Marschteilnehmer: »Lasst uns alle gemeinsam, jeder an seinem Ort, immer wieder für echte Menschenwürde und das Ja zum Leben streiten!« Der Bitte nach einem Grußwort konnte Bundeskanzlerin Angela Merkel »aus Gründen der Gleichbehandlung« nicht nachkommen, so Kanzleramtsminister Ronald Pofalla in einem Schreiben. Der Schutz des ungeborenen Lebens sei ihr jedoch wichtig und ihr liege sehr viel daran, »dass sich jedes Kind in unserem Land willkommen fühlt und in einer kinderfreundlichen Umgebung aufwachsen »Gott ist scheiße, ihr seid die Beweise.« kann«. Während die anderen Grußworte mit Applaus bedacht werden, bleibt es an dieser Stelle merklich leise. Auch die »Berliner Erklärung zum Schutz des menschlichen Lebens« wird verlesen. Darin fordert der BVL u. a. die Präimplanta- treibung durch den Staat zu stoppen und die damit freiwerdenden jährlich mehr als 40 Millionen Euro Schwangeren und Familien zukommen zu lassen. Es fällt auf, dass viele junge Menschen zum Marsch gekommen sind. Ein Grund dafür: Die Jungen Christdemokraten für das Leben (CDL) und die ALfA-Jugendorganisation Jugend für das Leben (JfdL), haben ein Rahmenprogramm mit Stadtführung und Party organisiert, an dem allein 50 junge Erwachsene teilnehmen. Sophia Kuby spricht als Vertreterin der jungen Lebensschutz-Generation auf der Kundgebung: Man wünsche erstens eine offene und ehrliche Diskussion um alle Themen des Lebensrechts. Zweitens müssten die Politiker alles daran setzen, die Beratung zu verbessern, damit sich mehr Frauen im Konfliktfall für ein Kind entscheiden. Drittens solle sich die Bundesregierung klar zum Grundgesetz bekennen; die Legalisierung der PID etwa sei mit der Menschenwürde unvereinbar. Auf die Frage, welche Botschaft sie konkret für Bundeskanzlerin Merkel habe, antwortet Kuby: »Den Worten, dass sich jedes Kind in Deutschland willkommen und geschätzt fühlen könne, müssen endlich konkrete politische Taten folgen.« 15 LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 16 C M Y CM MY CY CMY K GESELLSCHAFT Immer wieder wird die Kundgebung durch laute Pfiffe und Zwischenrufe gestört. Wie im vergangenen Jahr haben sich Gegendemonstranten unter dem tun, dass ihn die Lebensschützer »ankotzen«. Der Hass der Gegendemonstranten richtet sich gegen den Marsch, aber auch zu tragen«. Der Marsch sei ein ausgezeichnetes Mittel, »die Sensibilität der Öffentlichkeit für die Fragen des Lebensschutzes zu schärfen«, so der päpstliche Botschafter Jean-Claude Périsset. Georg Kardinal Sterzinsky, der später am Gottesdienst teilnimmt, wünscht dem Marsch Erfolg und öffentliche Beachtung. Um kurz nach 14.00 Uhr setzen sich die Lebensrechtler langsam in Bewegung. Jeder erhält eines der 1.000 weißen Holzkreuze, ein Banner mit lebensbejahenden Slogans oder ein Plakat mit Fotos von »Das Anliegen des Lebens auf die Straßen tragen.« Die Marschteilnehmer ließen sich trotz militanter Gegendemonstranten nicht aus der Ruhe bringen. Motto »1.000 Kreuze in die Spree« versammelt. Sie sind eine Mischung aus Feministen, Abtreibungsbefürwortern, Homosexuellen-Gruppen, so genannten Antifaschisten und linksextremen Autonomen. Einer hält ein schwarzes Holzkreuz »Die Sensibilität der Öffentlichkeit für den Lebensschutz schärfen.« in die Höhe, an das eine Babypuppe genagelt ist. Andere winken mit aufgeblasenen Kondomen oder so genannten Sexspielzeugen. Wechselnde Sprechchöre sind zu vernehmen: »Hätt‘ Maria abgetrieben, wärt‘ Ihr uns erspart geblieben.« – »Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat.« – »Gott ist scheiße, Ihr seid die Beweise.« – »Hölle, Hölle, Hölle, wir sehen uns in der Hölle.« Auch Papst Benedikt XVI. wird mehrfach beschimpft; ein Plakat stellt ihn gar als pädophil dar. Ein Gegendemonstrant hat sich eine Priestersoutane übergestreift, steht für alle gut sichtbar auf einer Bank und küsst wild einen anderen Mann. Später, während des ökumenischen Gottesdienstes, wird ein als Frau verkleideter Mann halbnackt durch die St. Hedwigs-Kathedrale laufen; ein anderer am Mikrofon kund16 Probedruck gegen alles Christliche. Die Pfiffe werden lauter, als die Berliner Weihbischöfe Wolfgang Weider und Matthias Heinrich spontan die Bühne betreten. Heinrich ist nur schwer zu verstehen, als er betont: »Unsere Gesellschaft kann es sich nicht leisten, gegen das Leben zu sein.« Weitere Bischöfe sind nicht anwesend, haben aber Grußworte geschickt, so etwa der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Robert Zollitsch, der Apostolische Nuntius in Deutschland, Jean-Claude Périsset, die Erzbischöfe Joachim Meisner aus Köln, Georg Sterzinsky aus Berlin und Ludwig Schick aus Bamberg sowie die Bischöfe Heinz-Josef Algermissen (Fulda) und Gregor Maria Hanke (Eichstätt). Erfolg bei ihrem Einsatz für das gemeinsame Ziel, »den Schutz des menschlichen Lebens in unserem Land zu fördern«, wünscht der DBK-Vorsitzende Erzbischof Robert Zollitsch. Joa- »Können es uns nicht leisten, gegen das Leben zu sein.« chim Kardinal Meisner ist froh und dankbar, dass sich die Lebensschützer entschlossen haben, »das Anliegen des Lebens auf die Straßen unserer Hauptstadt Frauen und Kindern. Während ein plötzlicher und starker Platzregen einsetzt, folgen sie schweigend der Polizei an der Spitze des Zuges. Über die Karl-Liebknecht-Straße, vorbei am Berliner Dom, dem Lustgarten und dem Deutschen Historischen Museum, geht es zur St. Hedwigs-Kathedrale. Mehrere Gegendemonstranten mischen sich unter und stören den Schweigemarsch mit Pfiffen und lauten Rufen. Einige werfen Eier und Wasserbomben. Andere bedrängen Lebensrechtler, etwa indem sie ihnen so genannte Sexspielzeuge ins Gesicht halten. Wieder anderen gelingt es, Holzkreuze zu entwenden und sie unter großem Jubel der Gegendemonstranten in die Spree zu werfen. 44 Kreuze wird die Polizei später herausfischen. Sie lässt die Marschgegner weitgehend gewähren, denn sie ist unterbesetzt. Mit so vielen Lebensschützern hat offenbar keiner gerechnet und weitaus mehr Einsatzkräfte werden bei der zeitgleich stattfindenden Anti-Atom-Demo am Brandenburger Tor benötigt. Die Marschteilnehmer lassen sich durch die vielen Provokationen jedoch nicht aus der Ruhe bringen und gehen ruhig weiter. Eine Frau Mitte 50 verteilt am Straßenrand Flyer an die Demogegner und sagt ihnen, dass Jesus sie liebe. Ein jüngerer Mann berichtet später, dass er während des Marsches für die Gegendemonstranten gebetet habe. 15.20 Uhr vor dem Haupteingang der St. Hedwigs-Kathedrale: Die Gesichtszüge des Einsatzleiters sind entspannt. Er ist kaum von den anderen Polizisten zu unterscheiden. Einzig der vertikale Balken anstelle von horizontal nebeneinander angeordneten Punkten auf dem Rücken der Uniform macht ihn als Leiter des Einsatzes kenntlich. Der Mittvierziger LebensForum 95 LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 17 C Y CM MY CY CMY KURZ & BÜNDIG zum Mikrofon schreitet, sich bei der Berliner Polizei bedankt und die Zahl von mindestens 1.800 Teilnehmern mit einem Lächeln verkündet, erschallt lang andau- Weniger Abtreibungen Wiesbaden. Die Zahl der vorgeburtlichen Kindstötungen ist im dritten Quartal dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahreszeitraum leicht gesunken. Wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mitteilte, wurden im Juli, August und September 2010 rund 26.500 Abtreibungen in Deutschland gemeldet. Das waren 100 weniger als im dritten Quartal 2009. Knapp drei Viertel (74 Prozent) der »Nächstes Jahr sollte jeder noch einen Freund mitbringen.« ernder starker Applaus. Die Lebensschützer freuen sich über die Rekordteilnehmerzahl, hier und da ist leiser Jubel zu vernehmen. »Nächstes Jahr«, so der BVL-Vorsitzende, »sollte jeder noch einen Freund mitbringen. Dann ist unser Zeichen für den Lebensschutz in Deutschland wirklich nicht mehr zu übersehen.« K DANIEL RENNEN / REHDER MEDIENAGENTUR mit kurzen braunen Haaren und rahmenloser Brille beantwortet die Nachfragen freundlich: 1.800 Marschteilnehmer habe man gezählt; zwischen 200 und 250 Gegendemonstranten, wobei ihre Zahl schwer zu schätzen sei, da sie häufig den Standort wechselten. Zwischen 15 und 20 von ihnen mussten zwischenzeitlich in Gewahrsam genommen werden, weil sie den Schweigemarsch »massiv« störten. In der Kirche hat derweil der ökumenische Gottesdienst begonnen. Die Bänke sind voll besetzt, einige setzen sich auf den Boden oder Treppenstufen, andere stehen im hinteren Teil der Kirche. Die ersten drei Strophen von »Großer Gott wir loben Dich« tönen durch die Kirche; alle singen lautstark mit. Den Menschen ist Erschöpfung und Erleichterung anzusehen. Als Martin Lohmann abschließend M ANZEIGE Schwangerschaftsabbruch mittels Sauger Frauen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen ließen, waren zwischen 18 und 34 Jahren alt. 97 Prozent der Schwangerschaftsabbrüche wurden nach der Beratungsregelung vorgenommen. Danach ist eine Abtreibung in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft straffrei, wenn sich die Schwangere zuvor bei einer anerkannten Stelle beraten reh ließ. Abtreibung ist männlich Montevideo. Der typische Abtreibungsbefürworter ist männlich, jünger als 40 Jahre alt, verfügt über einen hohen Bildungsabschluss und ein vergleichsweise hohes Einkommen. Das ist das erstaunliche Ergebnis einer Studie, für die Forscher der Universidad de Montevideo in Uruguay und 17 weiteren Ländern Lateinamerikas mehr als 20.000 Menschen befragt haben. Die Forscher baten die Teilnehmer der Studie ihre Zustimmung zur Abtreibung mittels einer Skala von eins (»niemals«) und zehn (»immer«) zu dokumentieren. Erstaunlich ist das Ergebnis, weil Abtreibungslobbyisten Abtreibung meist als Frauenrecht bewerben. Ein weiterer überraschender Befund: Mit einem Durchschnittswert von 2,1 – möglich waren 10,0 – ist die Zustimmung zur Abtreibung in allen untersuchten Ländern vergleichsweise gering. Am geringsten fiel sie in Guatemala (1,31), am höchsten in Uruguay (4,13) aus. In Brasilien und Kolumbien, die zusammen mehr als die Hälfte der lateinamerikanischen Bevölkerung stellen, lag die gemessene Zustimmung zur Abtreibung bei 2,27 beziehungsreh weise 1,80. LebensForum 95 Probedruck 17 LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 18 C M Y CM MY CY CMY K D O K U M E N TAT I O N Guck mal, wer da schreibt! Auch die Abtreibungslobby zeigt sich beeindruckt von dem »Marsch für das Leben«, mit dem rund 1.800 Bürgerinnen und Bürger Mitte September in Berlin für das Recht ungeborener Kinder auf Leben demonstrierten. »LebensForum« dokumentiert einen Offenen Brief, mit dem sich Abtreibungsbefürworter Mitte Oktober an die Bundesgeschäftsstelle der CDU und die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wandten. Darin fordern sie die Partei auf, sich von Organisationen wie dem Bundesverband Lebensrecht e.V. zu distanzieren. schaftsabbrüchen – auch bei Schwangerschaften, die durch Vergewaltigung und Inzest ausgelöst wurden oder die Gesundheit der Frau beeinträchtigen. Wir sind der Auffassung, dass die Ziele des »Bundesverbands Lebensrecht« zutiefst undemokratisch sind. Ein Abtreibungsverbot stellt in keiner Weise eine Lösung für die vielschichtigen Probleme der Frauen und ihrer Familien dar, sondern ist nur ein angenehmes Werkzeug, mit dem sich Konservative durch die Idealisierung des Ungeborenen als »Lebensschützer« inszenieren – ohne tatsächliche Lösungsansätze für soziale Probleme bieten zu müssen. Familienorientierung muss man nicht damit demonstrieren, dass man sich gegen Abtreibungen ausspricht, die für viele Frauen eine medizinische und soziale Notwendigkeit darstellen. Frauen und Männer haben trotz vielfältiger Verhütungsmethoden niemals eine 100 %ige Kontrolle über die Wirksamkeit von Verhütung. Ungewollte Schwangerschaften sind nie auszuschließen. Ein »Gebärzwang« würde fundamentalen Menschenrechten auf se- An die Bundesgeschäftsstelle der CDU Klingelhöferstraße 8 10785 Berlin und an Deutscher Bundestag Fraktion der CDU/CSU Platz der Republik 1 11011 Berlin mit der Bitte um Weitergabe an die Fraktionsmitglieder und Fachreferate Berlin, 11. Oktober 2010 Am 18. September 2010 fand in Berlin der »Marsch für das Leben« statt, der vom »Bundesverband Lebensrecht« organisiert wurde. Bei dieser Demonstration wurden verschiedene Grußworte von prominenten Mitgliedern der CDU und CSU verlesen, unter anderem von Annette Schavan (Bundesministerin für Bildung und Forschung), Karl-Theodor zu Guttenberg (Bundesverteidigungsminister), Volker Kauder (Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion), Wolfgang Bosbach (InnenausschussVorsitzender des Deutschen Bundestages), Peter Müller (Ministerpräsident des Saarlands), Martin Kastler (CSU-Europaabgeordneter), Johannes Singhammer (CSU-Abgeordneter), Philipp Mißfelder (Bundesvorsitzender der Jungen Union). Die im »Bundesverband Lebensrecht« organisierten Abtreibungsgegner vertreten ein fundamentalistisch-christliches Weltbild, das auch vielen Wählern und Mitgliedern der CDU zu weit gehen dürfte, u. a. verfolgen sie das Ziel des ausnahmslosen Verbots von Schwanger18 Probedruck ARCHIV Offener Brief gegen die Unterstützung fundamentalistischer Abtreibungsgegner durch die CDU/CSU xuelle und reproduktive Gesundheit widersprechen. Wir fordern daher die Streichung des § 218 aus dem Strafgesetzbuch, denn mit einer strafgesetzrechtlichen Bedrohung ist das Menschenrecht auf Selbstbestimmung unmöglich. Abtreibungsgegner schüchtern Frauen vor Kliniken, an Schulen und im Internet mit wissentlich falschen Informationen über Schwangerschaftsverlauf, Entwicklung des Embryos und gesundheitliche Risiken ein. Durch ihre Aktionen erhöhen sie das Stigma des Abbruchs in der Allgemeinheit, so dass zunehmend weniger Ärzte Abbrüche anbieten und Krankenhaus- und Krankenkassenpersonal den Frauen feindselig begegnen. Gerade in katholisch geprägten Regionen ist dadurch der Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch erschwert. Eine solche Vorgehensweise, die religiöse Demagogie wissenschaftlichen und sozialen Fakten vorzieht, darf von der Politik nicht unterstützt werden! Statt tendenziell fundamentalistische Gruppen zu unterstützen, sollten die Vertreter und Vertreterinnen der CDU/CSU Nicht jedem gefielen die während der Kundgebung verlesenen Grußworte von C-Politikern. LebensForum 95 LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 19 mit ihren Äußerungen und Aktivitäten unmissverständlich für das Grundgesetz der BRD eintreten, in dem festgeschrieben steht: »Männer und Frauen sind gleichberechtigt« (Artikel 3), Frauen haben ein Recht auf »freie Entfaltung« ihrer Persönlichkeit (Artikel 2), ihre »Würde« ist »unantastbar« (Artikel 1). Sexuelle Aufklärung in Schulen und Familienberatungsstellen sowie kostenloser Zugang zu Verhütungsmitteln sind wirkungsvolle Mittel, um ungewollte Schwangerschaften zu verhindern. Aus ungewollten Schwangerschaften werden keine gewollten, wenn man Frauen den Abbruch erschwert. Kriminalisierte (und dadurch selbst durchgeführte) Abtreibungen führen laut WHO weltweit zu etwa 78.000 Todesfällen und 5 Millionen schwer kranken Frauen jährlich. Dieser Realität verschließen sich die christlichen »Lebensschützer«. Die Regelung in Deutschland wurde nach der deutschen Einigung mühsam parteiübergreifend errungen. Dahinter dürfen wir nicht zurückfallen! Zudem sind wir der Auffassung, dass sich die CDU/CSU von Organisationen wie dem »Bundesverband Lebensrecht« distanzieren sollte, die offenkundig Verbindungen zu rechtsextremen Organen wie der »Jungen Freiheit« unterhalten. Unterzeichnerinnen und Unterzeichner dieses offenen Briefes: Institutionen/Organisationen/Vereine • Pro Choice Berlin • TERRE DES FEMMES • Familienplanungszentrum Berlin e.V. – BALANCE • Verband alleinerziehender Mütter und Väter • Bundesverband e.V., Berlin • Frau und Familie e.V. Berlin • Humanistischer Verband Deutschlands – Bundesverband • pro familia e.V. – Landesverband Baden-Württemberg • pro familia e.V. – Landesverband Brandenburg • pro familia e.V. – Landesverband Berlin • pro familia e.V. – Landesverband RheinlandPfalz • pro familia e.V. – Landesverband Saarland • pro familia e.V. – Landesverband Sachsen • pro familia e.V. – Landesverband Thüringen • Frauen helfen Frauen e.V. Rostock • Wildwasser e.V. Berlin • Giordano-Bruno-Stiftung • Gender@Wiki e.V. • Aufbruch Neukölln e.V. • Landesarbeitsgemeinschaft der Frauennotrufe Rheinland-Pfalz • Notruf und Beratung für vergewaltigte Frauen und Mädchen e.V. • Fachstelle zu sexualisierter Gewalt, Mainz LebensForum 95 Probedruck M Y CM MY CY CMY K ARCHIV C Wem gute Argumente fehlen, der muss Druck erzeugen: mit militanten Demos oder per Offenem Brief. • LIFE e.V. Bildung Umwelt Chancengleichheit • Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V. • faq Infoladen • AStA AlleFrauen-Referat, Uni Mainz • Frauen*referat des AStA der TU Berlin • queer Referat des AStA der TU Berlin • Gleichstellungsreferat des StuRa der Universität Jena Personen • Prof. Dr. Ulrike Busch, Professorin an der Hochschule Merseburg für den Studiengang Sexuelle und reproduktive Rechte • Sabine Wienholz, Institut für Arbeits- und Sozialmedizin, Universität Leipzig • Dr. Andrea Blumtritt, Zentrale Frauenbeauftragte der TU Berlin • Jana Schmidt-Frielinghaus, Redakteurin Junge Welt • Sibylle Spoo, Rechtsanwältin und Gewerkschaftssekretärin, Berlin • Dr. Gisela Notz, Sozialwissenschaftlerin, Berlin • Ricarda Fröhlich, Politologin und Journalistin • Sarah Diehl, Autorin und Filmemacherin • Dipl.-Psych. Stefanie Rösch, Trauma-Informations-Zentrum • Daniela Kühling, Dipl.-Sozialpädagogin/Sozialarbeiterin und Sexualpädagogin, Berlin • Elke Bräuer, Mitglied des Verdi-Bezirksfrauenrates, Trier • Jenny Warnecke, Autorin, Uni Freiburg/Basel Gender Studies • Kornelia Dubbel, Betriebsrätin Deutsche Telekom, Gewerkschaftsrat ver.di • Miriam Wohlfahrt, Philipps-Universität Marburg • Daniela Hrzán, Universität Konstanz • Dr. Elisabeth von Duecker, Historikerin, Hamburg • Christiane Pachalski, Betriebsrätin, Bochum • Birgit Stock, Betriebsrätin • Nursen Aktas, Sozialarbeiterin • Prof. Ulrike Busch, Sozialwissenschaftlerin • Susanna Ganarin, Psychologin • Andreas Goosses, Psychologe • Gisela Gröschl, Ärztin • Christiane Hoffmann-Kuhn • Dr. Claudia Iserhot, Neurophysiologin • Nurdan Klinge, Sozialarbeiterin • Dr. Regina Lutterbeck, Gynäkologin • Frauke Petras, Psychologin • Katja Brandt, Friedrich-Schiller-Universität Jena • Anna Lena Schnaars, MA Science Public Health • Birgit de Wall, Betriebswirtin/Sozialarbeiterin • Dr. Ulrike Hänsch, Sozialwissenschaftlerin, Berlin • Diana Fischer, Universität Giessen • Jan Wetzel, Universität Marburg • Bettina Gerhardt, Sozialarbeiterin, Berlin • Sarah Eckhardt, Diplom-Psychologin • Anna Böcker, Politikwissenschaftlerin, Universität Wien • Christina Schneider, Ärztin • Sybille Siebert, Psychologin • Yori Gagarim, TROUBLE X, Berlin • Yvonne Konradi, Hamburg • Sandra Prophet, Studentin der FSU Jena • Timm Köhler, Berlin • Maren Hilse, Berlin • Saskia Sell, M.A. • Anne Wieser, Bochum • S. Bergsiek. • Heinz Krämer • Helmut Lembach • Birgit Marth • Ilona Mixtacka • Christine Regitz • Brigitte Schwarz • Helga Strässer • Martina Zilezinski • Rita Eichelkraut • Dr. Katrin Berndt • Helene Könau • Susann Rumplecker • Niklas Amani Schäfer • Leonie Louisa Kapfer • Stefanie Kosmalski • Magali Castan 19 LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 20 C M Y CM MY CY CMY K GESELLSCHAFT Wessen Irrtum? Im »Rheinischen Merkur«, Ausgabe vom 21. Oktober, hat der Jurist und Journalist Friedrich Graf von Westphalen einen groß angelegten und in vielerlei Hinsicht bemerkenswerten Beitrag unter der Überschrift »Der Irrtum der Lebensschützer« veröffentlicht. »LebensForum«-Autorin Dr. Maria Overdick-Gulden hat sich mit diesem Beitrag kritisch auseinandergesetzt. Von Dr. med. Dr. theol. hc. Maria Overdick-Gulden V generalisierte Vorwurf gegen »die Lebensschützer« festzumachen? Galt nicht grundgesetzlich ein »Lebensrecht für Alle«: für den menschlichen Embryo im Reagenzglas, das Kind im Mutterleib, den Schwerkranken, den Sterbenden, den man vor assistiertem Suizid und aktiver Euthanasie schützt, haben wir uns nicht DANIEL RENNEN / REHDER MEDIENAGENTUR or einigen Tagen wischte man sich beim Durchblättern des »Rheinischen Merkur« die Augen. Da stand in großen Lettern der Titel »Der Irrtum der Lebensschützer«. Als jahrelanges Mitglied der ALfA e.V., der Ärzte für das Leben e.V., der Juristenvereinigung Lebensrecht e.V. und der Sollen christliche Lebensrechtler ausschließlich so die Nächstenliebe buchstabieren? IGSL Bingen e.V. mit Verbindung zur Lebenshilfe e.V., zur Fraternität, zu den Foren der Familien von Kindern mit Down-Syndrom, zum »provokanten« »Durchblick e. V.« wollte ich schon wissen, ob, wo und welchem Irrtum ich selbst unterlegen war. Errare humanum est: Irren ist ganz und gar menschlich. Dem stimme ich aus umfangreicher eigener Lebenserfahrung zu. Aber wo war dieser 20 Probedruck für die Integration behinderter Kinder und Erwachsener eingesetzt, überwiegend ehrenamtlich? Beim Weiterlesen erfuhr man von weithin bekannten Abtreibungszahlen. Schließlich dann das resignierende Resümee: »Alle appellativen Bemühungen, die Rechte des Lebensschutzes ins Bewusstsein der Bevölkerung zu heben, haben offenbar nichts genutzt.« »Das gilt für die Vertreter der Kirche wie für die engagierten Laien.« Nur die »intensive, feinfühlige und auch kundige Beratung kann helfen«, nicht der Appell von der Kanzel oder aus dem Mund »der« Lebensschützer! Für Beraterinnen der »Birke e. V.«, von Esperanza, von Caritas oder aus den Reihen der ALfA e. V. ist dies keine Neuigkeit. Sie helfen seit Jahren ohne »Appell«. Die verallgemeinernde Überschrift des Essays lässt Informationslücken bezüglich der Themenbreite des Lebensschutzes vermuten. Persönlich wurde ich an einen ähnlichen Vorwurf des Sprechers der Giordano-Bruno-Stiftung Dr. Schmidt-Salomon (Trier 1991) erinnert: »Allen Lebensschutzorganisationen gemeinsam ist das Eintreten für ein generelles Abtreibungsverbot bei Strafandrohung.« Doch weder gibt es »die Lebensschützer« noch eine Einheitswelt der Schwangeren. Das Leben zeigt eben Vielfalt, und seine Probleme sind vieldimensional. Ärzte zum Beispiel sehen sich mittels des Wissens moderner Embryologie vorwiegend zur Darstellung dessen, was bei einer Abtreibung faktisch geschieht, motiviert. Denn erst allmählich dringt in die gesellschaftliche Wahrnehmung ein, dass hier nicht »Schwangerschaftsgewebe« entfernt wird, sondern der ungeborene Mensch, der sich naturgemäß von seiner Zeugung an kontinuierlich als Mensch mit seiner je eigenen Befähigung entwickeln soll. Man sollte daher nicht mehr das blasse Wort vom »ungeborenen Leben« wählen, sondern den »ungeborenen Menschen« mit seinem durch unser Grundgesetz verbürgten Recht auf Leben zum Thema seiner Protektion machen. Ärzte und Psychotherapeuten kennen die möglichen physischen und psychischen Abtreibungs-Folgen der Frau und ihrer Familie, sie sprechen über das Postabortion-Syndrom. Dass Abtreibung »gesetzLebensForum 95 LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 21 C widrig« ist, sollte der Jurist clare et distincte – jedenfalls klarer als bislang – darlegen! Was dies für die Qualität der vorgeschriebenen Beratung bedeuten muss, lässt sich inhaltlich vertiefen und weiter verdeutlichen, damit die »Gesetzwidrigkeit« der Kindestötung nicht zur bloßen Floskel degeneriert, um sich am Ende doch noch zum »Recht auf Abtreibung« umzudefinieren. Der Theologe spricht vom 5. SinaiGebot und von Vergebung. M Y CM MY Dass die Gesellschaft vorwiegend in der Nächstenliebe gefordert ist, um eine Änderung im Lebensschutz zu erreichen, ist unbestritten. Geldmittel für Frauen und Kinder in sozialen Notlagen über Spenden einzuwerben, steht in den Programmen vieler Organisationen. Wenn sich konfessionelle Gemeinschaften hier in verstärktem Maß anschließen, wird dies eindeutig begrüßt. In Lebensrechtsbewegungen wie ALfA e.V. sind grund- CY CMY K sätzlich Frau und Kind im Blick: dort wird kein »Finger« erhoben, sondern finanzielle Hilfe vermittelt, individuelle Lebens-Beratung angeboten, der Mut zum Leben gestärkt. Andere Organisationen verweisen auf Hilfsangebote (unter anderem »Die Birke e. V.«).Die Abtreibungszahlen sind leider nicht gesunken. Liegt die Lösung wirklich allein im Finanzressort, wie der Autor schreibt? »Der Irrtum der Lebensschützer« (Auszüge) (...) Alle appellativen Bemühungen, die Rechte des Lebensschutzes ins Bewusstsein der Bevölkerung zu heben, haben offenbar – jedenfalls im tatsächlichen Ergebnis – nichts genutzt und waren daher trotz unendlich vielseitiger Bemühungen nicht geeignet, eine Wende zum Besseren herbeizuführen. Das gilt für die Vertreter der Kirche wie für die engagierten Laien. (...) Das Einfordern des unverzichtbaren Schutzes des menschlichen Lebens erreicht offensichtlich nicht diejenigen, die es angeht. Das aber ist kaum verwunderlich. Denn immer kann der Schutz des menschlichen Lebens nur mit der Mutter, nie gegen sie erreicht werden. Lehnt sie das Kind in ihrem Schoß ab, helfen Appelle nichts. (...) Nie oder fast nie kann der Appell etwas bewirken, sondern nur die intensive, feinfühlige und auch kundige Beratung der Schwangeren kann helfen. Nur sie kann einen Umschwung erreichen, den Vorsatz der Tötung des Kindes umzukehren in eine Haltung, die das Kind als willkommenes, geliebtes Geschenk annimmt. Genau das ist es, was der Gesetzgeber seit der grundlegenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Mai 1993 als Maßgabe für den Gesetzgeber verbindlich vorgeschlagen hat: die Beratung. Sicherlich, sie hat ihre je eigenen Schwächen, was nicht zu verschweigen ist. (...) Dass der freiheitliche Rechtsstaat keine vornehmere und auch keine wichtigere Aufgabe zu erfüllen hat, als menschliches Leben zu schützen, ist sicherlich unverzichtbarer Teil der verfassungsrechtlichen Grammatik. Doch wenn dem Staat das Attribut, Rechtsstaat zu sein, immer wieder wegen der angeblichen Duldung der Abtreibung abgesprochen wird, wenn gar gesagt wird, der »Staat tötet«, dann ist dies nur dann legitim, wenn damit nicht nur eine Beschreibung eines nicht hinzunehmenden Befundes geliefert wird. Es muss auch die Antwort bereitgehalten werden, wie denn dieser Schutz tatsächlich auf der Ebene des Staates verbessert werden soll. Alle Appelle, alle Attacken gegen den Staat und gegen seine Funktion als Rechtsstaat sind kaum noch hilfreich, wenn sie nicht LebensForum 95 Probedruck sogleich eine klare Aussage darüber bereithalten, was denn effektiv und politisch durchsetzbar zu geschehen hat, um ebendieses Ziel eines wesentlich verbesserten Lebensschutzes auch zu erreichen. Unausgesprochen meinen viele immer noch, dass es das scharfe Schwert des Strafrechts sein müsse, um dieses wichtige Ziel zu erreichen. Weil der Embryo in seiner Arg- und Wehrlosigkeit angegriffen und mithilfe medizinischer Techniken getötet werde, sagen sogar einige, dies sei ein Sachverhalt, der dem Tatbestand des Mordes zuzuordnen sei. (...) Es ist im Wesentlichen gleichgültig, ob es sich um eine – strafbewehrte – Indikationslösung oder um das Modell handelt, das gegenwärtig gilt: Rechtswidrigkeit, aber Straffreiheit. Und es macht auch keinen signifikanten Unterschied, ob der Staat die Abtreibung mit oder ohne vorherige Beratung sanktioniert oder praktisch freigibt. Es ist aber auch statistisch nicht nachweisbar, dass die Straffreiheit der Abtreibung dazu führt, dass das Bewusstsein vom Schutz des menschlichen Lebens nachlässt und folglich die Abtreibungsziffern in die Höhe schnellen ließe. In den letzten zehn Jahren ist dieser Nachweis nicht zu führen. Andererseits ist damit aber auch nicht der Nachweis zu führen, dass – wie das Bundesverfassungsgericht gefordert hat – das »Beratungskonzept« menschliches Leben in der Tat so – also: effektiver – schützt, wie dies dem grundgesetzlichen Auftrag entspricht. Nachbesserung hat das Gericht daher eingefordert und die politischen Parteien als demokratischen Gesetzgeber in die Pflicht genommen. Geschehen ist nichts. Gerade das wird von zahlreichen Christen, die sich in der Regel auch konservativ nennen, der CDU und CSU auf das Nachhaltigste angelastet. Doch auch auf dieser Ebene wird die Frage nicht beantwortet, wie dies in der politischen Wirklichkeit geschehen sollte. Dass gleichwohl – gerade auch aus diesem Grund – der Union vielfach nahegelegt wird, das C in ihrem Namen ersatzlos zu streichen, sei nicht verschwiegen. Aber die Antwort wird eben nicht mitgeliefert, was im Einzelnen konkret und in der laufenden Legislaturperiode geschehen soll. Aus der Sicht der Politiker, die sich noch dem C verpflichtet fühlen und die sich redlich darum mühen, den Dialog mit politisch und auch weltanschaulich Andersdenkenden zu gestalten, ist eine solche Attacke wenig ermutigend. (...) Wenn aber – ein letzter Gedanke – erkennbar ist, dass der Staat nicht in der Lage ist, mit seinen Mitteln, vor allem nicht mit den Mitteln des Strafrechts, einen effektiveren Lebensschutz zu erreichen, dann ist entsprechend der gerade auf dem Deutschen Juristentag von einem Bonner Pfarrer – in seiner Funktion als katholischer Gesellschaftswissenschaftler referierend – vertretenen Grundthese nicht der Staat, sondern allein die Gesellschaft gefordert. Nicht nur der je Einzelne, sondern vor allem die Kirche in mannigfachen Aufgabenfeldern. Es geht nämlich um eine neue, höchst innovative Form kirchlicher Aktivitäten: von Christen initiiert, vom Bürger aber, auch dem Nichtchristen, nachhaltig im Sinn der Freiheit und der Nächstenliebe unterstützt. Sie müssten für den Lebensschutz mit reichlich Geldmitteln ausgestattet innerhalb der Gesellschaft – abseits des Staates – umgesetzt werden. (...) Die Kirche sollte ihr Geld für den Lebensschutz – wesentlich mehr als bisher – einsetzen. Sie sollte der Politik ein Beispiel geben, wie Nächstenliebe gegenüber den bedrängten Schwangeren zu buchstabieren ist. Sicherlich, das geschieht schon und soll, auch was private Initiativen angeht, nicht kleingeredet werden. (...) Der Finger vieler Katholiken, der gegenwärtig belehrend auf die Politik und auch auf die Bundeskanzlerin mit reichlich viel Unmut und Verdruss zeigt, sollte nicht mehr erhoben werden. Vielmehr sollte wagemutig und unternehmerisch-missionarisch die eigene Sendung von Kirche – zusammen mit den Laien im „Dialog“ – neu buchstabiert werden, als eine Sendung für den Menschen in dieser Gesellschaft und in dieser Welt. Das ungeborene Leben muss in diese Mission eingeschlossen werden, sie darf auch die Todesstunde der Sterbenden nicht vernachlässigen. 21 LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 22 C M Y CM MY CY CMY K GESELLSCHAFT Tod ohne Sterben Lange hielt die Bundesärztekammer eine Umfrage des Instituts für Demoskopie in Allensbach über die Einstellung von Ärzten zum ärztlich assistierten Suizid und zur Tötung auf Verlangen unter Verschluss. Nun wurde sie veröffentlicht. Das Ergebnis: Obwohl die große Mehrheit der Ärzte nach wie vor beides für falsch erachtet, bröckelt die Ablehnung inzwischen spürbar. Von Matthias Lochner E in ärztlich begleiteter Suizid ist in Deutschland nicht erlaubt. Zwar ist Beihilfe zur Selbsttötung nicht strafbar, doch verbietet das ärztliche Berufsrecht deutschen Medizinern einen solchen assistierten Suizid. Immer häufiger wird gefordert, dieses Verbot im Berufsrecht aufzuheben und die ärztliche Suizidbeihilfe zu legalisieren. Doch wie stehen eigentlich die Mediziner selbst, die ja dann den Patientenwunsch erfüllen sollen, zu einer begleiteten Selbsttötung? Aufschlüsse darüber gibt die Studie »Ärztlich begleiteter Suizid und aktive Sterbehilfe aus Sicht der deutschen Ärzteschaft«, die das Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Bundesärztekammer (BÄK) durchgeführt und im Juli dieses Jahres publiziert hat. Im Zuge der repräsentativen Umfrage wurden 527 Personen, darunter 266 im ambulanten und 261 im stationären Bereich tätige Ärzte, zufällig nach verschiedenen Arztgruppen und Bundesländern ermittelt und im Zeitraum vom 14. August bis 7. September 2009 telefonisch befragt – mit zum Teil eindeutigen Ergebnissen. So lehnt mit 62 Prozent die große Mehrheit der Ärzteschaft eine ärztliche Suizidbeihilfe ab. 30 Prozent befürworten die Legalisierung einer ärztlich begleiteten Selbsttötung, acht Prozent sind unentschieden. Die ablehnende Haltung gegenüber einer medizinischen Suizidbeihilfe überwiegt in allen Ärztegruppen: Die niedergelassenen Mediziner lehnen den ärztlich assistierten Suizid zu 60 Prozent, die Krankenhausärzte zu 65 Prozent ab. In der Altersgruppe der unter 45 Jahre alten Mediziner sprechen sich 68 Prozent, in der Gruppe der 45- bis 54-Jährigen 56 Prozent sowie in der Gruppe 55 Jahre und älter 63 Prozent der Befragten gegen eine ärztliche Suizidbeihilfe aus. Die Gründe für diese ablehnende Haltung der Ärzteschaft zur begleiteten Selbsttötung lassen sich aus ihrer Zustim22 Probedruck mung zu wichtigen »Contra«-Argumenten ablesen, die das Institut Allensbach in der Befragung in fünf Aussagen verpackt hat. Demnach stimmen 89 Prozent der befragten Mediziner der Aussage zu, dass eine Legalisierung der Suizidbeihilfe leicht dazu führen könne, dass sich Menschen um ärztliche Hilfe beim Suizid bemühen, weil sie sich als Belastung für Familie und Gesellschaft fühlen. Dass es fast unmöglich sei, einzuschätzen, ob der Sterbewunsch eines Patienten endgültig aus religiösen Gründen verbiete es sich, einen Suizid zu unterstützen, stimmen 44 Prozent der befragten Ärzte zu. Doch auch häufig in der Diskussion vorgetragene »Pro«-Argumente, die ebenfalls in Aussagen verpackt wurden, stoßen auf Zustimmung der Ärzteschaft. Die Auffassung etwa, dass es zum Selbstbestimmungsrecht eines Patienten gehöre, den Zeitpunkt seines Todes selbst zu bestimmen, bejahten 64 Prozent der Mediziner. 58 Prozent der Befragten stimmen ist oder sich doch noch ändert, bejahten 69 Prozent der Befragten. Fast zwei Drittel (65 Prozent) vertreten die Ansicht, es verstoße gegen den hippokratischen Eid, wenn Ärzte Patienten beim Suizid unterstützen. Nicht ganz die Hälfte der Ärzteschaft (48 Prozent) ist der Auffassung, niemand könne genau sagen, wann der Gesundheitszustand eines Patienten so hoffnungslos ist, dass ein begleiteter Suizid gerechtfertigt wäre. Der Aussage, schon der Aussage zu, dass ein Arzt besonders gut geeignet sei, Patienten beim Suizid zu unterstützen, weil er wisse, wie man Medikamente richtig dosiert. 54 Prozent meinen, durch den ärztlich begleiteten Suizid werde verhindert, dass ein Patient unnötig lange Schmerzen erleiden muss. Die jeweilige Zustimmung der Ärzte zu den drei »Pro«- und fünf »Contra«Aussagen macht deutlich, dass die Mehrheit der Ärzteschaft einer Suizidbeihilfe LebensForum 95 LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 23 C M Y CM MY CY CMY K GESELLSCHAFT sehr kritisch gegenübersteht, da sie gegen den hippokratischen Eid verstoße, Menschen auf Druck den Suizid wünschen könnten und vor allem eine große Ungewissheit darüber besteht, ob ein Patientenwunsch endgültig sein kann. Gleichzeitig achten die Mediziner aber auch mehrheitlich das Selbstbestimmungsrecht der Patienten – bis hin zur Wahl des Todeszeitpunktes – sehr hoch, halten sich selbst für geeignet, Suizidbeihilfe zu leisten und meinen, dadurch könnte eine unnötig lange Leidenszeit verhindert werden. Noch deutlicher als in der Frage eines ärztlich begleiteten Suizids fällt das Votum der Ärzteschaft bezüglich »aktiver Sterbehilfe« aus, etwa durch Injektion eines tödlichen Medikamentes: 78 Prozent lehnen eine Legalisierung aktiver Sterbehilfe ab, 17 Prozent befürworten eine gesetzliche Regelung, die aktive Sterbehilfe ermöglicht, fünf Prozent sind hier unentschieden. Als meistgenannte Gründe, die aus Sicht der Mediziner gegen eine Legalisierung aktiver Sterbehilfe sprechen, wurden Verstoß gegen das Berufsethos/ den hippokratischen Eid (29 Prozent), zu große Missbrauchsgefahren (24 Prozent), Verstoß gegen allgemeine ethische Werte (17 Prozent) und Verstoß gegen persönliche Werte/das Gewissen (16 Prozent) genannt, wobei Mehrfachnennungen möglich waren. Auffällig ist, dass diese breite Ablehnung sowohl gegen eine Legalisierung der ärztlichen Suizidbeihilfe als auch gegen aktive ärztliche Sterbehilfe etwas schwindet, wenn es um den Einzelfall geht: So käme für mehr als jeden dritten Arzt (37 Prozent) ein begleiteter Suizid Ethos und Missbrauch sprechen gegen eine Legalisierung unter bestimmten Bedingungen in Frage. Deutlich höher liegt dieser Wert mit 45 Prozent bei denjenigen, die schon einmal um Hilfe bei einer Selbsttötung gebeten wurden. Die drei am häufigsten genannten Bedingungen, die diejenigen Ärzte angaben, für die eine Unterstützung unter bestimmten Umständen in Betracht käme, sind eine medizinisch eindeutige (hoffnungslose) Prognose (48 Prozent), die gute Kenntnis des Patienten und seiner Krankheitsgeschichte (34 Prozent) sowie ein hoher Leidensdruck/extreme Schmerzbelastung (29 Prozent), wobei auch hier Mehrfachnennungen möglich LebensForum 95 Probedruck waren. Jeder vierte Arzt kann sich sogar vorstellen, aktive Sterbehilfe zu leisten. Für 70 Prozent käme dies auf keinen Fall in Frage, ebenfalls fünf Prozent sind in dieser Frage unentschieden. Ein interessantes Detail der Umfrage ist, dass 21 Prozent derjenigen Ärzte, für die eine Unterstützung bei einer Selbst- erfüllen sollen.« Es sei wichtig, so der BÄK-Präsident, klar darauf hinzuweisen, dass das Mitwirken des Arztes bei der Selbsttötung dem ärztlichen Ethos widerspreche. »Kranke Menschen haben einen Anspruch darauf, dass Ärzte ihnen in ihrer Not beistehen und ihr Leiden lindern«, so Hoppe weiter. tötung in Frage käme, dennoch eine Legalisierung ablehnen. Und 35 Prozent derjenigen, für die sogar eine aktive Sterbehilfe in Frage käme, lehnen ebenfalls eine Legalisierung derselben ab. Im Klartext: Die Bereitschaft einiger Mediziner zur Hilfe beim Suizid oder aktiven Sterbehilfe bedeutet nicht automatisch, dass sie auch einer generellen Legalisierung des ärztlich begleiteten Suizids beziehungsweise aktiver ärztlicher Sterbehilfe zustimmen. Diese Ergebnisse lassen vermuten, dass Mediziner teilweise eine Unterstützung vom konkreten Einzelfall abhängig machen würden, generelle gesetzliche Regelungen aber ablehnen; mithin in der Ärzteschaft eine Unsicherheit in Fragen der Sterbehilfe besteht. In einem Interview mit dem Deutschen Ärzteblatt zu den Ergebnissen der Studie äußerte der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK) denn auch die Vermutung, »dass der schleichende Paradigmenwechsel in unserer Gesellschaft unter Ärzten für Verunsicherung sorgt«. Sterben und Tod würden in den Konsumgesellschaften der Moderne zunehmend tabuisiert. Macht und Materialismus würden dagegen glorifiziert, kritisierte Hoppe. »Wir Ärzte sind es dann, die den Wunsch des Patienten oder seiner Angehörigen nach einem Tod ohne Sterben Einen wichtigen Beitrag dazu leistet seit Jahren die Palliativmedizin, die nach Ansicht der befragten Ärzte in Deutschland allerdings noch unzureichend verbreitet ist. So gab mit 73 Prozent eine breite Mehrheit an, dass die vorhandenen Kapazitäten für eine palliativmedizinische Versorgung in Deutschland ungenügend sind. Nur 17 Prozent meinen, dass die Kapazitäten für die palliativmedizinische Versorgung ausreichen, jeder zehnte Arzt ist in dieser Frage unentschieden. Nahezu Konsens herrscht auch in der Frage, ob ein Ausbau der Palliativmedizin die Wünsche nach Sterbehilfe verringern würde: Fast vier Fünftel (79 Prozent) der Ärzte sind der Meinung, dass bei einem Ausbau der palliativmedizinischen Versorgung weniger Patienten den Wunsch nach Sterbehilfe äußern würden. Diese Mehrheitsmeinung besteht unabhängig davon, ob die Ärzte stationär oder ambulant tätig sind, ob sie schon einmal um Hilfe beim Suizid gefragt wurden oder nicht und ob sie die Legalisierung einer ärztlich begleiteten Selbsttötung befürworten oder ablehnen. Diese Auffassung teilt auch BÄKPräsident Hoppe: »Der flächendeckende Ausbau palliativmedizinischer Versorgungsstrukturen und eine bessere Information der Menschen über die Möglich23 LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 24 C M Y CM MY CY CMY K GESELLSCHAFT keiten der Palliativmedizin würden sicher dazu beitragen, dass der Ruf nach aktiver Sterbehilfe bald verhallt«, so Hoppe in dem Interview. Dafür, dass Hoppe Recht hat, spricht auch, dass Palliativmediziner, also Fachärzte, die tagtäglich mit unheilbaren, schwere Schmerzen erleidenden und sterbenden Patienten zu tun haben, im Vergleich zur gesamten Ärzteschaft eine noch deutlich kritischere Haltung gegenüber jeder Form von Sterbehilfe einnehmen. So sind lediglich elf Prozent der Palliativmediziner für die Legalisierung des ärztlich begleiteten Suizids. Eine Unterstützung bei einer Selbsttötung käme unter bestimmten Bedingungen nur für 14 Prozent der in der Palliativmedizin Tätigen in Frage, aktive Sterbehilfe lediglich für drei Prozent. Auch bei der Zustimmung zu den in Aussagen verpackten »Pro«- und »Contra«-Argumenten weichen die Palliativmediziner jeweils von der gesamten Ärzteschaft zum Teil erheblich ab, und zwar mit der Tendenz, den »Contra«-Argumenten gegen einen ärztlich assistierten Suizid mehr und den »Pro«-Argumenten deutlich weniger zuzustimmen. Am krassesten fällt dabei die Abweichung bei der Aussage aus: »Durch den ärztlich begleiteten Suizid wird verhindert, dass ein Patient unnötig lange Schmerzen erleiden muss.« Während 54 Prozent der Ärzte insgesamt dieser Aussage zustimmen, sind es unter Palliativmedizinern lediglich acht Prozent. Dies legt den Schluss nahe, dass Palliativmediziner als Experten im Bereich der Schmerztherapie offenbar die Erfahrung machen, dass Patienten keine »unnötig langen Schmerzen« erleiden müssen, wenn sie denn richtig behandelt werden. Konsens herrscht wiederum in der Ärzteschaft darüber, dass lebensverlängernde Maßnahmen eingestellt werden sollen, wenn ein Patient das zuvor ausdrücklich erklärt hat. Fast drei Viertel Jeder vierte Arzt kann sich vorstellen, Sterbehilfe zu leisten. der Befragten (74 Prozent) vertreten diese Ansicht. Lediglich fünf Prozent sind dagegen, für 21 Prozent kommt es auf die Umstände an. Der Umfrage zufolge sind Patientenwünsche nach einem begleiteten Suizid Ausnahmefälle, wie drei Viertel der Mediziner angeben. Nur 16 Prozent geben an, dass solche Patientenwünsche häufiger vorkommen – bei Ärzten, die 24 Probedruck mit unheilbar Kranken häufiger zu tun haben, sind es 21 Prozent. Ein gutes Drittel der Befragten (34 Prozent) gab aber an, schon um Hilfe beim Suizid gebeten worden zu sein. Bei niedergelassenen Ärzten lag der Wert etwas höher (36 Prozent), bei Krankenhausärzten etwas niedriger (31 Prozent). Unter den niedergelassenen Ärzten wurden jeder zweite Hausarzt und 27 Prozent der Fachärzte schon um Unterstützung Professor Dr. Jörg-Dietrich Hoppe bei einer Selbsttötung gebeten. Bemerkenswert ist, dass in beiden Gruppen (A: Schon um Suizidbeihilfe gebeten worden, B: Noch nicht gebeten worden) ein Verständnis für den Patientenwunsch bestand bzw. bestehen würde. So konnten 85 Prozent der Ärzte, die schon Erfahrungen mit solchen Patientenwünschen hatten, die Gründe nachvollziehen. Immerhin 62 Prozent der Mediziner ohne eine solche Erfahrung hätten grundsätzlich Verständnis dafür und 32 Prozent machen ihr Verständnis für den Patientenwunsch vom Einzelfall abhängig. Lediglich neun Prozent (Gruppe A) beziehungsweise zehn Prozent (Gruppe B) hatten grundsätzlich kein Verständnis für den Wunsch nach ärztlicher Begleitung bei einer Selbsttötung. Das Urteil in der Ärzteschaft über die Verbindlichkeit eines solchen Patientenwunsches nach Sterbehilfe ist hingegen gespalten. Während 38 Prozent der Ansicht sind, der Sterbewunsch des Patienten »mit einer schweren, unheilbaren Krankheit« sollte verbindlich sein, meinen 47 Prozent, der Arzt sollte nicht gebunden sein. Interessant ist schließlich, dass sich diese Werte leicht verschieben, wenn sie nach den Gruppen A und B differenziert werden. In der Gruppe der Ärzte, die schon um Hilfe beim Suizid gebeten wurden, liegen die Werte bei 34 (pro Verbindlichkeit) und 53 Prozent (contra Verbindlichkeit). In der Gruppe der Ärzte, die noch nicht um Suizidbeihilfe gebeten wurden, liegen Mehrheit will sich nicht an den Patientenwunsch binden. die Werte bei 40 (pro Verbindlichkeit) und 45 Prozent (contra Verbindlichkeit). Dies zeigt, dass diejenigen Ärzte, die Erfahrungen mit Sterbewünschen ihrer Patienten haben, deutlich reservierter gegenüber einer Verbindlichkeit des Arztes sind. Sie kennen diese schweren Situationen und sicher auch alle Zweifel und Fragen, die einem Arzt kommen, wenn einmal ein Patient einen solchen Wunsch äußert. Ob ein Mediziner, ja überhaupt jemand solch eine Entscheidung gewissenhaft treffen kann, bleibt auch in der Umfrage fraglich. Ein Ergebnis der Studie ist hingegen sicher: Sollen die Patientenwünsche nach einer ärztlich assistierten Selbsttötung und aktiven Sterbehilfe abnehmen oder gar »verhallen«, soll also Menschen hierzulande tatsächlich ein menschenwürdiges Sterben ermöglicht werden, dann ist Folgendes zu tun: Zum einen müssen die angehenden und bereits tätigen Ärzte besser über die Möglichkeiten der Palliativmedizin unterrichtet und entsprechend ausgebildet werden; zum anderen muss der flächen- und bedarfsdeckende Ausbau der palliativmedizinischen Versorgung in Deutschland intensiv vorangetrieben werden. IM PORTRAIT Matthias Lochner Der Autor, Jahrgang 1984, studierte Deutsch, Geschichte und Katholische Theologie für das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen an der Universität zu Köln. Er ist seit 2001 Mitglied der ALfA und seit Mai 2007 Vorsitzender der »Jugend für das Leben« (JfdL), der Jugendorganisation der ALfA. Als freier Journalist publiziert Matthias Lochner regelmäßig auch in »LebensForum«. LebensForum 95 LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 25 C M Y CM MY CY CMY K GESELLSCHAFT Modell Grevenbroich Muss man sich die viel zitierte »Autonomie von Patienten« so vorstellen? Ein vom Bundesforschungsministerium gefördertes Modellprojekt zeigt: Aus dem im Bundestag gegen vielfachen Widerstand durchgesetzten Recht, mittels einer Patientenverfügung im Voraus verbindlich festlegen zu können, wie man im Falle schwerer Erkrankungen behandelt werden will, droht offenbar eine Pflicht zu werden. Von Prof. Dr. med. Axel W. Bauer D ie Stadt Grevenbroich am Niederrhein mit ihren 64.000 Einwohnern hat dank des von Hape Kerkeling verkörperten fiktiven stellvertretenden Chefredakteurs Horst Schlämmer in den letzten Jahren einen er- zumindest dessen, was als solche firmiert und seit 2009 mit Steuermitteln aus dem Topf des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert wird. Das Modellprojekt mit dem mittlerweile vom Deutschen Patentamt markenrechtlich folgt, möglichst viele Altenheimbewohner zum Ausfüllen einer Patientenverfügung zu bewegen. Gegenüber dem Förderer wird das Verbundprojekt weiterhin »RESPEKT« genannt, womit nicht etwa der Respekt vor den betagten Menschen ge- Hat Grevenbroich auf sympathische Weise bundesweit bekannt gemacht: Horst Schlämmer alias Hape Kerkeling. heblichen Bekanntheitsgrad in Sachen Satire erreicht. Nun sind Grevenbroichs Altenheime dabei, überregionale Resonanz zu erzeugen, allerdings nicht auf dem Gebiet des Humors, sondern im Bereich der medizinischen Forschung oder LebensForum 95 Probedruck geschützten Titel »beizeiten begleiten« ist eine von Medizinern, Juristen und Ethikern der Universitäten Düsseldorf, Augsburg, Hamburg, Tübingen und Kassel erdachte kontrollierte Interventionsstudie, die das scheinbar hehre Ziel ver- meint ist, sondern »Respekt für vorausverfügte Entscheidungen und Präferenzen für den Fall von Krankheit und Tod«. Es geht den Forschern um die prozessund systemorientierte Implementierung von Patienten-Vorausverfügungen in Al25 LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 26 C M Y CM MY CY CMY K GESELLSCHAFT tenheimen und den relevanten Versorgungsstrukturen der Modellregion. Zu »Begleitern« geschulte Pflegekräfte sollen den Interessenten (»die vulnerable und benachteiligte Gruppe alter Menschen in Altenheimen«) Vorsorgevollmachten und Vorausverfügungen erklären, geschulte Hausärzte den Prozess be- wählen die Probanden für den Fall »dauerhafter Unfähigkeit, selbst zu entscheiden«, offenbar weit häufiger den Ausschluss jeglicher lebensverlängernden Klare Botschaft zum Nichthandeln gleiten und dadurch das Verstehen der medizinischen Implikationen und die Wirksamkeit der Schriftstücke gewährleisten. Gleichzeitig soll eine vielfältige kommunale Intervention bewirken, dass Vorausverfügungen gesehen und respektiert werden, auch von der Nachtschwester, im Notdienst und im Krankenhaus. Das Ziel der ersten Studienphase ist äußerst bescheiden, ja geradezu trivial: Es soll untersucht werden, ob durch die rhetorische Beeinflussung der Altenheimbewohner seitens der professionellen Begleiter die Rate qualifizierter Vorausverfügungen in der Region Grevenbroich ansteigt. »Qualifiziert« ist eine Vorausverfügung vor allem dann, wenn sie im Fall der Einwilligungsunfähigkeit des Verfügenden eindeutige Anweisungen für die INFO Das Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert das Modellprojekt »beizeiten begleiten« mit rund 500.000 Euro. Beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) haben die beteiligten Universitäten den Namen »beizeiten begleiten« sowie das entsprechende Logo unter der Nummer 302009008497 markenrechtlich schützen lassen. Der Schutz der Marke reicht zunächst bis März 2019. dann stellvertretend Handelnden gibt. Angesichts des massiven Einsatzes von speziell ausgebildeten »Begleitern« wäre es wahrlich ein Wunder, wenn dieses Studienziel verfehlt würde. Die eingesetzten Musterverfügungen beschreiben Behandlungsszenarien und Krankheitsverläufe, sie geben sodann Antwortalternativen zum Ankreuzen vor. Zwar können sich die Verfügenden durchaus für eine »uneingeschränkte Notfallund Intensivtherapie mit dem Ziel der Lebensverlängerung« entscheiden, doch 26 Probedruck unter Umständen das letzte Wort des alten Menschen in eigener Sache. Derzeit plant die Bundesärztekammer (BÄK) außerdem eine Änderung des Berufsrechts für Mediziner. Der Präsident der BÄK, Jörg-Dietrich Hoppe, stellt sich eine Formulierung vor, wonach ein Arzt künftig Menschen beim Suizid helfen dürfe, wenn er das »mit seinem Gewissen vereinbaren könne«. Damit wäre der Hippokratische Eid endgültig Makulatur, denn schon im Jahre 2008 hatten 35 Prozent der vom Institut TNS Healthcare befragten 483 Mediziner eine Regelung befürwortet, die es Ärzten ermöglichen würde, Patienten mit schwerer, unheilbarer Krankheit beim Suizid zu unterstützen. 16 Prozent der Befragten sprachen sich sogar für eine Legalisierung der bisher strafbaren Tötung auf Verlangen aus. Das letzte Wort in eigener Sache Annette Schavan, CDU Behandlung einschließlich künstlicher Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr. Ein weiteres Schriftstück, die »Hausärztliche Anordnung für den Notfall« (HAnNo) enthält eine »klare Botschaft« für den Rettungsdienst, den ärztlichen Bereitschaftsdienst oder die Nachtschwester – in der Regel zum Nichthandeln. Ohne Zweifel befinden sich Menschen im Altenheim in einer vulnerablen und benachteiligten Lebensphase. Man darf aber gerade deshalb mit Fug und Recht bezweifeln, dass es keine wichtigeren und der Förderung würdigeren Forschungsprojekte im Bereich der Allgemeinmedizin und der Medizinethik gäbe als solche, die ein für Ärzte, Pflegemitarbeiter oder Angehörige möglichst bequemes, weil »selbst bestimmtes« Sterben der beizeiten Begleiteten modellhaft in die Wege leiten sollen. Die körperliche und seelische Verletzlichkeit der Heimbewohner müsste es unter dem Aspekt der Humanität eigentlich als moralisch inakzeptabel erscheinen lassen, dass ihnen rhetorisch geübte »Experten« subtil die Antizipation eines Behandlungsverzichts schmackhaft machen. Angesichts der seit der Reform des Betreuungsrechts im Jahre 2009 vorgesehenen Verbindlichkeit einer »qualifizierten« Patientenverfügung ist deren Abgabe Insofern liegt »beizeiten begleiten« ganz im Trend der modernen opportunistischen Medizinethik, die ihre Forschungsprojekte exakt dort ansiedelt, wo sie die unausgesprochenen Wünsche ihrer Sponsoren zu erahnen glaubt: Im Namen der angeblichen Liberalität sollen Menschen, die selbst keinen aktiven Beitrag mehr zum ökonomischen Nutzen der Volkswirtschaft leisten können, dazu motiviert werden, sich möglichst »sozialverträglich« aus dem irdischen Dasein zu verabschieden. Wer nicht mehr lebt, spart Rentenversicherungen, Kranken- und Pflegekassen viel Geld. Redakteur Horst Schlämmer vom Grevenbroicher Tagblatt würde dazu wohl sagen: »Da wisst ihr Bescheid.« IM PORTRAIT Prof. Dr. med. Axel W. Bauer Der Autor, Jahrgang 1955, studierte Medizin in Freiburg, 1980 Promotion und Approbation als Arzt; 1981-1986 Hochschulassistent in Heidelberg; 1986 dort Habilitation und Privatdozent für Geschichte der Medizin; seit 2004 Professor für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin an der Universität Heidelberg. LebensForum 95 LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 27 C M Y CM MY CY CMY K ESSAY Gefährliche Sprachspiele Für Wilhelm von Humboldt (1767-1835) war die Sprache noch ein Mittel zur Wahrheitsfindung. In den aktuellen bioethischen Debatten werden mit Hilfe der Sprache Wahrheiten zunehmend verschleiert oder gar unkenntlich gemacht. So gesehen ist Biopolitik immer auch Sprachpolitik. Der nachfolgende Essay erhellt einige besonders perfide Sprachspiele und Wort-Brüche. Von Dr. med. Dr. theol. hc. Maria Overdick-Gulden »Wer abgetrieben wird, kommt nicht zur Sprache.« Beschönigende, verbrämende, verhüllende Ausdrucksweisen lassen sich im militärischen, noch mehr im ideologiepolitischen Feld ausmachen. Das wurde LebensForum 95 Probedruck anlässlich des Ausdrucks »Kollateralschaden« offensichtlich, als damit die Tötung von Zivilisten während eines militärischen Angriffs beschrieben wurde. Ein neues ARCHIV W as etwas »schönfärben« oder »schönreden« meint, wissen wir alle. Wir neigen dazu, unangenehme Botschaften, zu Bedauerndes mit Einfühlungsvermögen, eben sym-pathisch weiterzugeben, wir wollen »vermitteln«. Das bedeutet zum Beispiel in einem Sterbefall vom »Scheiden« und vom »Abschiednehmen« statt vom Tod und vom Beerdigen zu sprechen. Die Wortwahl geschieht aus Rücksichtnahme und bedeutet Milderung, Schonung, Stil und mitmenschliche Nähe. Schönreden lässt sich aber auch in anderer Absicht, nämlich etwas Schlimmes, sogar Böses zu verbrämen, und so erfolgreich an den Mann zu bringen. Das ist auf den ersten Seiten der Bibel belegt: im Bild vom Baum der Erkenntnis. Nach dessen Früchten sollen wir bekanntermaßen nicht ehrfurchtslos greifen, nicht räuberisch. Unseren Wunschträumen wird Disziplin, das heißt Ordnung, auferlegt. Doch immer wieder überreden wir uns und andere, indem wir allerlei Früchte entdecken, ausmalen und voll Eifer und Leidenschaft als unwiderstehlich, zuletzt als überlebensnotwendig schildern und darstellen. Nach denen wir in selbstgefälliger Autonomie »unweigerlich« verlangen! Wie hatten uns doch die Atomkräfte einmal fasziniert – und wir sollten sie ausprobieren in Hiroshima und Nagasaki, dachten auch ihre Entdecker. Seit der Antike gehört die Rhetorik zum politischen Tagwerk. Sie verfügt seit jeher auch über wohlklingend eingängige Floskeln und verführerische Wortfiguren. Heute werden die Würde des Menschen, seine Freiheit und Selbstbestimmung oft zitiert. Immer wieder wird mehr Gerechtigkeit, Gleichheit und vor allem Solidarität eingefordert. Trotzdem ist es noch nicht lange her, dass wir uns über das »sozialverträgliche Frühableben« ausgelassen haben. Zwar wurde der darin enthaltende Zynismus erkannt und das Logo 1998 zum Unwort erklärt, doch es verblieb de facto in unserem »Wortschatz«. »Der Begriff Bioethik ist heute mehrdeutig.« Wilhelm von Humboldt so genanntes Unwort war geboren! Dennoch hat es sich trotz oder gerade wegen seines Sarkasmus zwischenzeitlich zur Alltagsvokabel entwickelt und ist keineswegs »gestorben«. Im politisch totalitären Regime wurde zuvor das Verb »liquidieren« (= verflüssigen) für das »Umbringen« von Menschen verwandt, und die ethnische »Säuberung« beschrieb die Ausgrenzung von Menschen »fremder Rasse«. Diese »Anderen« wurden »konzentriert« und danach zur »Endlösung« geschickt. Inhaltlich geht es um die Debatte, dass mit Eintritt ins Rentenalter der Mensch volkswirtschaftlich und kassentechnisch mehr Kosten als volkswirtschaftlichen Nutzen bringt; dass daher bestimmte medizinische Maßnahmen bei Patienten ab einer bestimmten Altersgrenze »folglich« nicht mehr durchzuführen sind. In diesem Zusammenhang fielen Begriffe wie »Generationengerechtigkeit« und »Allgemeinwohl«. Wie vielschichtig aber kann wieder das Wort »Generation« verstanden werden! Von dem Begriff »Gerechtigkeit« ganz zu schweigen: meine ich wirklich die gleiche Justiz und Sozialregelung für mich und alle anderen? Dennoch scheint folgender Definitionsversuch ziemlich einleuchtend: »Generationengerechtigkeit ist erreicht, wenn die Chancen zukünftiger (nachrückender) Generationen auf Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse mindestens so groß sind wie die der heutigen Generation (ihnen vorangegangenen Generationen).« 27 LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 28 C M Y CM MY CY CMY K ESSAY Etikettenschindel: Aus »Selektion« wird »Elektion«. tes« verstehen. Doch »Wahrheit wird« – nicht nur im Alltag, sondern zumal – »in den Naturwissenschaften abgewertet. Man ist heutzutage lediglich nur noch einem technischen Erkenntnisinteresse verpflichtet«, bemerkte Jürgen Habermas schon 1968 kritisch. Ähnlich führte die Zeitschrift »Pflege aktuell« (4/2002) zur Bioethik aus, dass sie »die Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft und Technik als gegeben« betrachte und sie »also nicht 28 Probedruck grundsätzlich in Frage« stelle, sondern »häufig nachträglich ethische Begründungen für das technisch bereits Machbare« liefere. Wie läuft das ab? Der Begriff Bioethik ist heute mehrdeutig. Zum einen umreißt er ein Forschungsgebiet der angewandten Ethik. Zum andern behandelt er ein höchst kontroverses Feld der Politik, indem beispielsweise über die Zulässigkeit von Präimplantationsdiagnostik (PID), embryonaler Stammzellforschung, Patentierung von Lebewesen oder aktiver SterbeARCHIV Aber so könnte man nachhaken: was meint hier »Chancen« und was »Bedürfnisse«? Sind diese nicht auch wieder unterschieden, weil sich die Zeit verändert und wir alle mit ihr? Tempora mutantur … Keineswegs ist unser heutiges Sprechen frei vom »Blendwerk« der Euphemismen, der beschönigenden Umschreibung für ein unangenehmes oder anstößiges Wort. Statt von »dick« spricht man von »vollschlank« oder von XXXL-Größe. Der »alte Knabe« ist weiter im Umlauf, und die »ältere Dame« auch, selbst wenn sie über 80 Jahre und also »alt« ist! Erweist sich eine öffentliche Ausgabe als teuer, soll sie als »kostenintensiv« schmackhafter werden. Und was ethisch eindeutig falsch ist, das Töten von Menschen nämlich, wird unter »ethisch fragwürdig« neu zur Diskussion gestellt. Statt von vorgeburtlicher Kindestötung sprechen wir von Abtreibung; und weit neutralisierender vom »Schwangerschaftsabbruch«, also von der Beendigung eines zeitweiligen Zustands der gebärfähigen Frau. Was abgebrochen und vernichtet wird – das Leben des sich entwickelnden Kindes – wird unterschlagen; wer abgetrieben wird, kommt nicht zur Sprache. Obwohl man ihn, den kleinen Menschen, heute bildhaft vor sich sehen kann! Es existiert kein Gesetz zur »Kindestötung« aus diesen und jenen Gründen und mit diesen und jenen Folgen. Es geht plakativ um »Abtreibungsgesetze« oder versachlicht um die »gesetzliche Abtreibungsregelung«. Der Humanist Wilhelm von Humboldt hat im 19. Jahrhundert das Phänomen Sprache und Ausdrucksweise mit einem lebendigen Organismus verglichen. Er wollte ihren Zusammenhang mit dem Erkenntnisprozess aufzeigen und Sprache als Mittel zur Erlangung von Wahrheit und »Ausdruck des menschlichen Geis- durchsetzen. Nach der Definition des Aktionsprogramms der UN-Weltbevölkerungskonferenz von Kairo 1994 bedeutet reproduktive Gesundheit, dass »Menschen ein befriedigendes und ungefährliches Sexualleben haben können und dass sie die Fähigkeit zur Fortpflanzung und die freie Entscheidung darüber haben, ob, wann und wie oft sie hiervon Gebrauch machen wollen«. Nach amtlichen Aussagen geht es darum, Mädchen und Frauen den Zugang zu Informationen zu ermöglichen und sie zu befähigen, ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ebenso einzufordern wie die Möglichkeit, über Zeitpunkt und Anzahl von Schwangerschaften selbstbestimmt und informiert zu entscheiden. Was zunächst plausibel und menschenrechtlich angemessen klingt, bedeutet indessen mehr und anderes. Eine englische Journalistin führt dazu erläuternd aus, in ihrem Land stehe bereits jeder Frau ein legaler und sicherer Schwangerschaftsabbruch offen, wenn sie ihr Kind nicht bekommen wolle! Sie berichtet dies in aller »Selbstverständlichkeit«. Und was sagt das »Recht auf sexuelle Selbstbestimmung« im Gender Mainstreaming? Es geht nicht nur um eine MITMACHEN Konfuzius hilfe gestritten wird. Wie geht Bioethik dabei in der sprachlichen Vermittlung vor? Wenn das Embryonenschutzgesetz geändert werden soll, spricht man von Aktualisierung – wenn PID zugelassen werden soll, von »Optimierung der artifiziellen Reproduktion«. Die Juristin Monika Frommel verschönt das Vorhaben der tötenden Embryonenauslese weiter mittels Umschreibung als »elektive Identifikation entwicklungsfähiger Embryonen«. Doch was heißt das? Elektion ist Latein und heißt »Auswahl«! Entpuppt sich da »Jäger-Latein«? Offenbar soll der Begriff durch das Vermeiden des S an verbaler Schärfe verlieren und die real tödliche Selektion phonetisch-diplomatisch verpacken. Der siegreiche Eine in der Reihe von etwa 35 »unwerten« Embryonen wird »elektiv identifiziert«! Wenn dies kein Superstart ins Leben ist!? Man sagt etwas, aber man sagt es bewusst nicht so, wie man es meint, weil man offensichtlich anders verstanden werden möchte. So verwirrend können Sprachspiele sein. In internationalen Beschlüssen schreibt und redet man von »reproduktiver Gesundheit« und will damit die Freiheit zur Abtreibung weltweit Einladung An dieser Stelle lädt »LebensForum« seine Leserinnen und Leser ein, auch selbst die Augen offen zu halten und Begriffentstellung, Sprachspiele und Wortbrüche im Bereich der Bioethik zu sammeln und der Redaktion zukommen zu lassen. Geplant ist, diese dann zu gegebener Zeit und in geeigneter Form, zum Beispiel in Form eines Glossars, im »LebensForum« zu veröffentlichen. Die Anschrift der Redaktion lautet: Aktion Lebensrecht für Alle Redaktion LebensForum Ottmarsgässchen 8 86152 Augsburg E-Mail: [email protected]. Verbesserung von Bildungschancen, um gesellschaftspolitische Gleichstellung von Mädchen und Frauen, sondern auch um die Freiheit, die Geschlechterrolle in Hetero-, Homo- oder Bi-Sexualität zu »verwirklichen«. Liegt dies aber unter dem Gesichtspunkt unterschiedener kultureller Traditionen nicht auf anderem Feld als die eingeforderte Freiheit und Gleichheit in zwischenmenschlicher »fraternité«? Werden solche »westlichen« LebensForum 95 LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 29 C Forderungen nicht viel mehr weltweit unüberschaubare psychische, normative und kulturelle Verletzungen setzen? Sprachspielerische Tricks, ja WortBrüche ergeben sich bereits aus der täglichen medialen Information. Da wird nicht unterschieden zwischen natürlichen Eizellen und solchen, die befruchtet sind, »Wort-Brüche ergeben sich bereits aus der medialen Information.« also ein eigenes Menschenleben umschreiben. Klonen wird verharmlost zum »Zellkerntransfer«, obwohl auf diese Weise frühes Menschenleben entsteht und zu Therapiezwecken »verbraucht« werden soll. Beabsichtigt man, das Embryonenschutzgesetz umzuschreiben, geht es angeblich um »Reformbedarf«. Die so genannten Präembryonen im Reagenzglas sollen ihren Dienst tun, indem sie zu »embryonalen Stammzellen« zerteilt, »verwendet« und verbraucht werden. Bei der In-vitro-Fertilisation (IVF) fallen »überzählige« Embryonen an – wie viele es in deutschen Praxen sind, bleibt unkontrolliert. Bei der wieder neu angedachten PID wird eine große Anzahl von ihnen aussortiert; laut Angaben der Europäischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin und Embryologie kommen auf eine Geburt bis zu 35 verworfene Embryonen. Trotz ihrer »Reproduktion« durch Medizinerhand redet man sich damit heraus, man habe »sie doch nicht beabsichtigt«! Man »legt sie zur Seite«. Man »kultiviert« sie nicht weiter. »Man lässt sie absterben«. Ja, was denn?! Man tötet sie! Sie werden einer »Sonderbehandlung« oder einer Sonder-Nichtbehandlung zugeführt mit dem Effekt, wie er einst von Hermann Göring gegenüber Geborenen, Kindern und Erwachsenen realisiert wurde: sie »verschwinden« im tödlichen Ende – unter irgendeiner erfundenen Diagnose oder eben in Anonymität! Diese Rede vom Absterbenlassen möchte sich vor den Vorwürfen des eigenen Gewissens schützen. Mag sie auch einen momentanen psychologischen Schutzwall bilden, wird dieser kaum von Dauer sein. Wo bliebe nach einer tatsächlichen gesetzlichen Zulassung der PID der vom Grundgesetz gewährte Schutz des Lebensrechts und der Menschenwürde beim reproduzierten Menschen? Sind Menschenwürde und Grundgesetz wirklich nur »Fiktion«, wie ein Jurist unlängst in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« LebensForum 95 Probedruck M Y CM MY formulierte? Eine Utopie von Gerechtigkeit, ein solcher Un-Ort, fern aller Realität im aufgeklärten 21. Jahrhundert n. Chr.? »Menschenwürde« – ein täuschendes Etikett für Labore der Forschungsfreiheit, für die Beliebigkeit einer nutzenoptimierten Bioethik, die sich öffentlich einer Ethik des Heilens verschreibt, de facto aber eine Ethik der Interessen betreibt? Leerformeln, Verallgemeinerungen, bewusste Auslassungen, Verbrämungen und Umdeutungen lassen normative Grundforderungen zu Sprechblasen werden und solidarische Pflichten außer Sicht. Das ist »Wortbruch« par excellence! Hier werden Sprachspiele allgemeingefährlich! Solche Torheit lässt sich nicht mehr loben. »Engelmacherin« nannte man bis in die Neuzeit hinein aufwertend und vertuschend eine Frau, die außerhalb des Rechts ungeborene Kinder tötete. Engelmacher finden sich heute unter Medizinern, die vom hippokratischen Eid zumindest irgendwann während ihres Studiums gehört haben, aber aufgrund gesetzlicher Regelungen tödlichen Wünschen nachgeben und mancher so genannten Indi- »Die Würde des Menschen wird seit Kant personal gedacht.« kation zu entsprechen bereit sind. Euthanasie, der angeblich »gute Tod« durch eigene oder fremde Hand, ist keine gereifte Frucht am Baum der Lebens-Erkenntnis, sie ist »Abbruch«. Der »Freitod« ist Selbstmord. All das lehrt die Philosophie der Auf-Klärung. Immanuel Kant wusste nicht nur dies, für ihn ist auch der Menschenembryo keine Sache, kein »Gemächsel«. Er ist Person, ein Jemand. Auch in kirchlichen Texten ist Präzision gefordert. Sie sollten gemäß aktuellem Wissensstand nicht mehr von »werdendem Leben« reden, wenn sie den ungeborenen Menschen meinen, den Menschen in seinem, unser aller, personalen Anfang. Biblisch heißt es: »Ich habe dich bei deinem Namen gerufen!« Der »Tag des ungeborenen Lebens« ist zu präzisieren als Tag des »ungeborenen Menschen« und seiner Rechte. Gedenkstätten des »ungeborenen Lebens« sind Friedensorte für fehlgeborene Kinder und solche, die im Mutterleib getötet wurden. Sprechen sollten wir nicht von der »dignitas connata«, der angeborenen Menschenwürde, die bereits Cicero in der Antike erwähnt hatte. Von ihr spricht die UNO auch und CY CMY K kann sich doch mit einer »selbstbestimmten Abtreibung« abfinden. Die Würde des Menschen wird seit Kant personal gedacht: sie beginnt mit der Zeugung des Menschen! Sie wird ihm nicht zugesprochen. Er ist ihr Träger – von Natur aus. Das muss lateinisch und in allen Sprachen – katholon – verdeutlicht bleiben. Bioethik erfordert klares Denken und redliches Sprechen, will sie ihre Verantwortung ernsthaft wahrnehmen. Man muss ihr nicht von vornherein ablehnend gegenüberstehen wie etwa der Forscher Erwin Chargaff, der in ihr den Ausweg sah, alles zuzulassen, was ethisch nicht erlaubt sei. Leider äußert sie sich aber heute immer öfter als zynischer Euphemismus. »Irritierend wirkt, wie weit sich einige durch öffentliche Mittel finanzierte Professoren und ›Ethikspezialisten‹ mit philosophischem Hintergrund von den Menschenrechten als Grundlage unseres Miteinanders entfernt haben. Offenkundig geht das Empfinden dafür verloren, dass jeder Mensch das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit hat und diese eben nicht für das Wohl anderer zu opfern braucht. Und sie lehren damit eine ›Ethik‹, die ganz offensichtlich den Maßstab, aus dem heraus sich Ethik überhaupt erst entwickeln kann, längst verloren hat.« (Michael Stoeter, Berlin, in Bezug auf Transplantationsmedizin). Verkommt Bio-Ethik zu einer »Fiktion« und beginnt sie, sich in babylonischem Sprachgewirr aufzulösen? Die Sprache verrät uns. Daher sei die Rede Ja oder Nein: Ja zum Leben und Nein zur Tötung des Mitmenschen. IM PORTRAIT Dr. med. Dr. theol. h.c. Maria Overdick-Gulden Jahrgang 1931, ist Ärztin. Sie war im Fach Innere Medizin als klinische Oberärztin und in freier Praxis tätig. Sie beschäftigt sich eingehend mit der wissenschaftlichen Thematik der Bioethik, hält Vorträge und publiziert, unter anderem im »LebensForum«, zu verschiedenen Lebensrechtsthemen. Für eines ihrer Bücher erhielt sie die Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät der Universität Trier. Seit dem Jahr 2000 ist sie Mitglied des Bundesvorstands der »Aktion Lebensrecht für Alle« (ALfA) e.V. 29 LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 30 C M Y CM MY CY CMY K BÜCHERFORUM F risch, gelegentlich salopp, weniger systematisch als motivierend führt die in verschiedenen Bereichen der Bioforschung erfahrene und derzeit in Madison, der Metropole der Stammzellenforschung tätige Autorin Edith Breburda den Leser in die Problematik von Züchten, Klonen, Selektion bis zu geplanten Transgenic Pets ein. Die ersten Kapitel des Buchs reflektieren Entwicklungen und Fehlsteuerungen im Bereich der genetischen »Aufbesserung« von Mais, Baumwolle und Nutztieren. Hat Genraps letztlich nicht das Bienensterben verursacht und erhoffte Mehrerträge vermissen lassen? Müssen nach dem Auftreten der durch Tiermehlverfütterung verursachten BSE-Seuche und der durch Prionen ausgelösten Parallelerkrankung am Menschen, der Creutzfeldt-JakobKrankheit, nicht Fragen nach dem definitiven Nutzwert von Bioexperimenten aufkommen? Ist versprochener Nutzen nicht rein ökonomisch schon gegen schädliche Nebenwirkungen, die Kosten zur Schadensbegrenzung eingeschlossen, abzuwägen? Nicht selten unterbleiben Toxizitätsstudien vor Einführung genmanipulierter Organismen im Pflanzen- und Tierbereich. In der öffentlichen Darstellung und Wahrnehmung von »Kulturrevolutionen« überwiege der »gute Zweck«, das erlege auch Ver-Schweigegebote auf. Gilt hier Goethes Faust: »Allein der Vortrag macht des Redners Glück«? Dass tierische Zuchtmanagements durch Embryotransfer (Klonen) mit Genmanipulation letztlich in Inzucht enden können, Bt-Toxine des Genmaises und -reises die Resistenz von Insekten fördern, biotechnische Produkte als Gifte in Böden, Wasser eindringen und beim Menschen unter anderem Allergien und Sterilität verursachen, sollte doch zur Frage führen: Was wissen wir eigentlich vom Genom, Epigenom, von Natur, Leben, vom Menschen? Lässt uns freies Forschen und Kreieren, das auf Ruhm und Gewinn setzt, nicht oft als Verlierer zurück? Welche Rolle spielt die Moral bei »kreativer Forschung«? Dieser Frage kommt besondere Relevanz am Beispiel der öffentlich so horrend geförderten raffiniert-riskanten Forschung an und mit embryonalen Stammzellen zu. Sind sie das versprochene »Gold der Medizin«? Warum aber wurde mit ihnen nach 20 Jahren kein einziges Behandlungsverfahren entwickelt, geschweige denn ein einsatzfähiges? Letztlich will sich die »Ethik des Heilens« doch zum rechtfertigenden Argument für tötende Eingriffe an einer unüberschaubaren Zahl von Menschenembryonen gerieren! Nach deren Lebensrecht keiner fragt! Dabei werden Eizellspenden unter Inkaufnahme belastender Hormonbehandlung von Frauen, EizellenTauschbörsen, die Erzeugung von MenschTierwesen, die Lagerung von Millionen so genannter überzähliger »Nitrogen-Kinder«, die kostspielige Entwicklung von und Versuche mit iPS-Zellen (rückprogrammierte adulte Stammzellen) gemanagt. Wo verbleibt der Heilerfolg so verwirklichter Freiheit im Zeichen der »Verheißung«? Indes vollbringen adulte Stammzellen – in der Praxis bereits langjährig und vielfältig therapeutisch bewährt – längst das, was Forscher erst »herausfinden« möchten (Lord Alton 2008). Wäre es nicht im übergreifenden Sinn kostengünstiger, Forschung mit Zellen zu betreiben, die schon die Differenzierungseigenschaft zu 220 Zellarten besitzen und das von Natur aus mitbringen, was man im ärztlichen Tun braucht? Oder geht es doch mehr um Anspruchsdenken, Wunschbedienung mit DesignerBabys, um erträumte Ziele, um preiswerten Erfolg? Bestätigt sich gar William Faulkners Einsicht: »Vieles wäre völlig uninteressant, wenn es nicht verboten wäre« – so auch am Baum des Lebens? Dieser Frage hatte sich das Buch Genesis bereits gestellt. Lesenswert. Verheißungen 30 Probedruck Dr. Maria Overdick-Gulden Edith Breburda, Verheißungen der neuesten Biotechnologien, Stein am Rhein 2010, 160 Seiten. 39,80 EUR. Im Schaufenster Zwischen Mensch und Maschine Mittels des Einsatzes von Technik gestaltet der Mensch nicht nur seine Umwelt nach seinen Wünschen, sondern längst auch sich selbst. Neben der Manipulation des menschlichen Genoms mit Hilfe der Biotechnologie sind es zunehmend Neurotechnologien, mit denen Menschen ihr eigenes Selbst verändern und neu modellieren wollen. In dem vorliegenden Essay erläutert der Freiburger Philosoph Oliver Müller anhand der neuesten Möglichkeiten, Zugriff auf das Gehirn zu erlangen, den Stand der Technik und zeigt auf, welche Folgen die Selbsttechnisierung des Menschen für sein Selbstverständnis bereits besitzt und welche sie in Zukunft noch entfalten könnte. Im Zentrum seiner Überlegungen stehen dabei Formen der Selbstinstrumentalisierung, der Selbstverdinglichung und der »Selbstcyborgisierung«. Weit entfernt davon, Technik als solche zu kritisieren, zeigt der Autor die Schattenseiten der Effizienzsteigerung mit Hilfe der Technik auf, die in zunehmendem Maße mit Erfahrungsschwund, Beschleunigung und Kontrollverlustängsten einhergeht. Fazit: Differenziert, allgemeinverständlich und reh daher absolut lesenswert. Oliver Müller: Zwischen Mensch und Maschine. Vom Glück und Unglück des Homo faber. Edition Unseld. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 218 Seiten. 12,00 EUR. Bioethik in theologischer Perspektive Bioethik meint nichts anderes als das Nachdenken darüber, wie Menschen mit der sie umgebenden belebten Welt und mit den Menschen, die sie bevölkern, umgehen sollen. Bioethische Fragen sind daher immer zugleich auch gesellschaftliche, soziale und politische Fragen und zählen somit zu jenen, die alle angehen. LebensForum 95 LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 31 C »Bioethik in theologischer Perspektive« ist dennoch ein Buch für Experten. In ihm versammelt der Autor, Lehr- und Forschungsrat für Moraltheologie und Ethik der Universität Fribourg und Vize-Präsident der Zentralen Ethikkommission der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften, Beiträge zu den Grundlagen und Methoden theologischer Bioethik sowie zu einzelnen aktuellen Problemfeldern wie etwa der Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen, dem ärztlich assistierten Suizid und der Tötung auf Verlangen oder dem Umgang mit WachkomaPatienten. Lesenwert ist auch der Ausblick, in welchem der Autor vor den Gefahren einer Politisierung der Bioethik warnt. Fazit: Das Buch enthält eine ganze Menge Bedenkenswertes, was aber nichts daran ändert, dass es sich bei ihm um teure Fachlitereh ratur handelt. Markus Zimmermann-Acklin: Bioethik in theologischer Perspektive. Grundlagen, Methoden, Bereiche. Studien zur Theologischen Ethik, Band 126. 2. erweiterte Auflage. Herder Verlag, Freiburg i. Br. 2010. 352 Seiten. 52,00 EUR. Der Appell des Humanen Der Band basiert auf Vorträgen, die die Autoren im Verlauf eines gleichnamigen interdisziplinären Colloquiums des Kölner LindenthalInstituts gehalten haben. In ihm beschäftigen sich Juristen, Philosophen, Sozialethiker und Theologen mit den Begründungen von Naturrecht und der Kritik, die es vor allem in liberalen Demokratien erfährt. So unterschiedlich angelegt die überaus lesenswerten und aufschlussreichen Beiträge auch sind, so verschieden die Aspekte, die sie erhellen, in einem sind sich alle Autoren einig. Ohne universelle Normen stellt die Rede von der Menschenwürde eine bloße Fiktion dar und verbietet es sich, von Menschenrechten zu sprechen. Die Autoren des Bandes sind (in alphabethischer Reihenfolge): Christoph Böhr, Johannes Hattler, Josef Isensee, Stefan Mückl, Tilman Repgen, Manfred Spieker, Martin Rhonheimer und Berthold Wald. Fazit: Ein Muss für Lebensrechtler und solche, reh die es werden wollen. Hans Thomas/Johannes Hattler (Hrsg.): Der Appell des Humanen. Zum Streit um Naturrecht. Ontos Verlag, Heusenstamm, 2010. 242 Seiten. 24,90 EUR. LebensForum 95 Probedruck G M Y CM MY ene prägen nicht nur unsere äußere Erscheinung, sondern auch das Innerste des Menschen bis hin zur vollständigen Determination von Verhaltensweisen. Dieser Irrtum findet immer mehr Anhänger. In den Medien firmieren derart vermeintlich mächtige Erbanlagen nicht selten als »Mathe-«, »Glücks-«, »Krieger-« oder gar »Schwulen-Gen«. Alles Mythen, behauptet der Biologe und »Spiegel“-Redakteur Jörg Blech in seinem neuesten Buch. Mit empirischen Mitteln zeigt er darin, warum das so ist. Flott und für Laien verständlich geschrieben, erklärt er, warum die Gene das Leben der Spezies homo sapiens weit weniger bestimmen, als viele Forscher glauben machen wollen. Bisweilen geht das ganz plastisch: So berichtet Blech etwa von dem US-Schriftsteller Richard Powers. Nachdem dieser einen Roman veröffentlicht hatte, der auf einem »Glücks-Gen« basierte, bot ihm eine Zeitschrift an, für die Entschlüsselung seines Erbgutes aufzukommen, wenn er anschließend darüber für sie berichte. Der Schriftsteller willigte ein. »Doch kaum erhielt Powers erste Informationen zu seinem Genom, kam er an Widersprüchen und Ungereimtheiten gar nicht mehr vorbei.« Auf Powers DNA fanden sich »mehr als ein Dutzend genetischer Assoziationen, die angeblich die Wahrscheinlichkeit für Fettleibigkeit erhöhen«. Powers schrieb daraufhin: »Mein ganzes Leben lang habe ich einen Body-Mass-Index von um die 19 gehabt, gerade an der Grenze zum Untergewicht, und ich kann essen, so viel ich will, und werde trotzdem nicht dick. In meiner Familie haben sie mich immer das Strichmännchen genannt. Offenbar steckt die Untersuchung der Rolle von Umwelteinflüssen noch ganz in den Anfängen.« Genauso ist es. Wie Blech darlegt, ist das, was »in den Genen geschrieben steht«, zwar nicht völlig bedeutungslos, wohl aber alles andere als entscheidend. Ausschlaggebend ist vielmehr, welche Gene abgelesen werden, und das sei beeinflussbar. So fördere etwa regelmäßiges Meditieren sogar die physische Gesund- CY CMY K heit. Überhaupt prägten Umwelteinflüsse den Menschen viel stärker als seine Gene. So könnten »geringfügige genetische Vorteile« bei entsprechenden Umwelteinflüssen »zu großen Vorsprüngen« führen. Blech demonstriert das am Beispiel Basketball: »Ein Kind, das überdurchschnittlich groß ist, wird wahrscheinlich besonders gerne Basketball spielen, weil es im Schulsport viele Körbe erzielt und Erfolg hat. Seine Eltern stellen in der Garageneinfahrt einen Korb auf. Durch die Spielpraxis verbessert es sich und fällt dem Sportlehrer auf, der es einer Vereinsmannschaft empfiehlt. Das Training und die Spiele am Wochenende führen zu einem verbesserten Ballgefühl. Jetzt hat das Kind nicht nur einen Größenvorteil, sondern es kann inzwischen viel besser den Ball fangen und werfen als seine Klassenkameraden. Dieses Ballgefühl geht aber allein auf die Umweltreize zurück und nicht etwa auf die Gene.« Ähnlich sei es bei der Intelligenz: So würden vergleichsweise neugierige Kinder von Lehrern und Eltern häufig »besonders gefördert« und »für ihre Geistesanstrengungen gelobt«. Das mache das Kind schlauer als Kinder, die sich als weniger neugierig zeigten und weniger gefördert würden. Viele Genforscher – kritisiert Blech mit dem US-Psychologen Richard Nisbett – schlügen derart ausschlaggebende »Verstärker-Effekte« irrigerweise den Genen zu und unterschätzten so »die Rolle der Umwelt«. Blech leistet jedoch weit mehr, als das Zusammenspiel von Genen und Umwelteinflüssen anschaulich darzustellen. Anhand zahlreicher Studien weist er nach, wie Korrelationen fälschlicherweise oft in Kausalitäten umgemünzt werden. Sehr empfehlenswert. Gene sind kein Schicksal Stefan Rehder Jörg Blech: Gene sind kein Schicksal. Wie wir unsere Erbanlagen und unser Leben steuern können. S. Fischer Verlag. Frankfurt am Main 2010. 288 Seiten. Gebunden. 18,95 EUR. 31 LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 32 C M Y CM MY CY CMY K K U R Z V O R S C H LU S S » » Gut, die Argumentation der Katholiken ist absolut in sich stimmig, und da kann ich auch nichts dagegen sagen, wenn ich von deren Basis ausgehe. Nur leben wir nicht in einem Staat, der so eine Art katholische Scharia zum Fundament hat, sondern in einem aufgeklärten, säkularen Staat.« Der Reproduktionsmediziner Matthias Bloechle, der in seiner Praxis die Präimplantationsdiagnostik (PID) praktiziert, sich anschließend selbst angezeigt und so das Urteil des Bundesgerichtshofs zur Strafbarkeit der PID provoziert hat, im Interview mit dem Online-Portal des Magazins »Cicero«. Es sollen ja eben im Ernstfall nicht die Krankheiten, sondern die kranken ungeborenen Kinder eliminiert werden.« Der Philosoph Robert Spaemann in einem weiteren Interview zum selben Thema an gleicher Stelle. » Was soll ich einer Frau denn sagen: ›Wir probieren es mal, wir setzen die befruchteten Eizellen ein, und in der 12. oder 14. Schwangerschaftswoche gucken wir dann mal, was los ist, wegmachen lassen können Sie das Kind immer noch.‹ Das halte ich für unbarmherzig. Wir sollten einer Frau diese Prozedur nicht zumuten.« Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) gegenüber der »Leipziger Volksstimme« zur Präimplantationsdiagnostik. » bitte schon! seine heiligkeit, der herr professor, erwartet sie! Ich bin für ein Verbot der PID, weil ich einfach Sorge habe, dass wir die Grenzen nicht richtig definieren.« Wir wollen Abtreibung undenkbar machen.« Frank Pavone, Vorsitzender der US-amerikanischen Lebensschutzinitiative »Priests for Life«, bei einem Vortrag in Wien. » Selbst »Bild«, die um reißerische Schlagzeilen nur selten verlegene Zeitung mit den großen Buchstaben, ringt nach Worten. Verständlich. Denn im Internet lässt derzeit das Ehepaar Pete und Alisha Arnold aus dem US-Bundesstaat Minnesota die Besucher ihrer Webseite www.birthornot.com darüber abstimmen, ob Alisha das gemeinsame Kind zur Welt bringen oder es abtreiben soll. »Ich fürchte den Spagat zwischen Kind und Karriere«, zitiert »Bild« die 30-jährige Frau, die für eine kleine SoftwareFirma arbeitet und Pete und Alisha Arnold bereits zwei Kinder abgetrieben und eine Fehlgeburt erlitten haben will. Am 9. Dezember endete die Frist, bis zu der Alisha in Minnesota straffrei abtreiben kann. Und beinah genauso heftig: Bei Redaktionsschluss hatten bereits mehr als zwei Millionen Internetnutzer von der Möglichkeit der Abstimmung auch tatsächlich Gebrauch gemacht. Demnach votierten 77,63 Prozent für: »Have an abortion«. Nur 22,37 Prozent für: »Give birth«. Auf der Webseite hat das Paar sogar Ultraschallbilder eingestellt, die das ungeborene Kind zeigen sollen. reh .. Die Bundeskanzlerin und CDU-Parteivorsitzende Angela Merkel zum selben Thema. » Der Freiburger Medizinethiker Giovanni Maio hat sich gegen eine Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PID) ausgesprochen. In einem Beitrag für die Zeitung »Das Parlament« fordert er, dass weite Teile der Gesellschaft die PID befürworteten, müsse »hellhörig« machen und die Frage aufwerfen, wie es sein könne, »dass der moderne Mensch glaubt, es sei sein gutes Recht, das vorgeburtliche Leben erst zu testen, bevor man sich seiner annimmt«. Die Antwort liefert er gleich mit: »Wir leben in einer Zeit, die für das Unge- Giovanni Maio plante keinen Sinn mehr zu haben scheint. Das einfach Gegebene darf nicht mehr sein; alles möchte der moderne Mensch selbst planen bis hin zu seinen Nachkommen. Dieses Denken ist am Ende infiltriert durch einen ökonomisch-rationalistischen Blick. Fast scheint es, als würde ein Qualitätsmanagementdenken, das ursprünglich aus den Wirtschaftswissenschaften kommt, auch auf den innersten Bereich des Menschen übertragen – nämlich dort, wo zwei Menschen sich für einen neuen Menschen entscheiden.« reh ARCHIV » ARCHIV Tops & Flops Expressis verbis • Kloning • Künstliche Befruchtung • Reproduktionsmedizin • genetische Beratung Wir sind alle potentielle Träger von Erbkrankheiten.« Richard Klein, Vorsitzender der Initiative Hilfe zum Leben Pforzheim e.V. 32 Probedruck LebensForum 95 LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 33 C M Y CM MY Aus dem Netz gefischt www.stoppt-pid.de Passend zur Debatte um die Präimplantationsdiagnostik (PID) ist die Webseite www.stoppt-pid.de neu aufgelegt worden. Auf ihr werben jetzt Prominente in Wort und Bild für ein gesetzliches Verbot todbringender Gentests an im Labor erzeugten Menschen. Darüber hinaus bietet die Webseite viel Wissenswertes rund um die PID. In einem gut sortierten Download-Bereich stoßen Interessierte auf Gesetzestexte, das BGH-Urteil, das die neue gesetzliche Regelung erst notwendig gemacht hat, Stellungnahmen von Gremien und Verbänden und sogar wissenschaftliche Studien, die sich mit der Präimplantationsdiagnostik beschäftigen. Lesenswerte Beiträge namhafter Autoren, die offenbar eigens für die Seite verfasst wurden, finden sich hier ebenso wie Zusammenfassungen und Links zu andernorts erschienenen Beiträgen. Darüber hinaus besticht das Portal durch seine Übersichtlichkeit und ein ansprechendes, zeitgemäßes Layout. Ein weiteres Plus stellen die Möglichkeiten dar, mit denen Nutzer der Seite selbst für ein gesetzliches Verbot der PID werben können und die unter dem Button »Mitmachen« kinderleicht aufbereitet wurden. Wie andernorts auch, so lassen sich auch auf dieser Seite noch einige Dinge finden, die optimiert werden könnten. Das ändert jedoch nichts daran, dass diese Seite, die ohne eine Kooperation von Lebensrechtsorganisationen wie der ALfA mit anderen nicht zustande gekommen wäre, inhaltlich wie optisch neue Maßstäbe bei der Vermittlung von Informationen im Internet setzt. san »Die Welt. Die von morgen« (7) Es war einmal eine Bundesfamilienministerin. Die war von so zierlicher Gestalt und hatte einen derart scheuen Blick, dass sie in ihrer eigenen Partei kurzerhand »Bambi« genannt wurde. Eines Tages fand Bambi heraus, dass in ihrem Land viel zu wenige Kinder geboren wurden. Da war Bambi gar fürchterlich erschrocken. Zusammen mit ihrem Mann, der als Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesinnenminister diente, analysierte Bambi die Lage. Beide stellten fest, dass in ihrem Land jedes Jahr hunderttausende Kinder im Mutterleib getötet wurden. Kämen diese zur Welt, gäbe es zwar immer noch zu wenige Kinder im Land, doch wäre das Problem bereits deutlich geringer. Leider fehlte es der zierlichen Bambi mit dem scheuen Blick und ihrem Mann an Mut, dagegen etwas zu unternehmen. Sie fürchteten sich vor dem Skandal, den die Medien in ihrem Land herbeischreiben würden. Als sie LebensForum 95 Probedruck hörten, dass es Paare gab, die zwar Kinder wollten, aber genetisch bedingte Krankheiten besaßen, bei denen die Wahrscheinlichkeit bestand, dass sie diese Krankheiten an ihre Kinder vererbten, hatten sie Mitleid mit diesen Menschen und beschlossen, ihnen zu helfen. Gemeinsam setzten sie sich dafür ein, dass Reproduktionsmediziner ihnen dabei halfen, Kinder zu bekommen, die keine genetisch bedingten Krankheiten besaßen. Nun wurden noch mehr Kinder in dem Land getötet. Und als die anderen Menschen im Land forderten, auch ihnen müsse nun dabei geholfen werden, nur die Kinder zu bekommen, die sie auch akzeptieren konnten, da hatten Bambi und ihr Mann wieder Angst vor dem Skandal, den die Medien diesmal herbeischreiben würden. Und wenn sie nicht bereits ausgestorben sind, dann töten die Menschen in diesem Land mehr Kinder als jemals zuvor. Stefan Rehder CY CMY K KURZ & BÜNDIG LIS-Patientin erhielt Staatsorden Paris. Frankreich hat den höchsten Orden der Republik – die Légion d'honneur – einer 56jährigen Französin verliehen, die seit 26 Jahren am Locked-in-Syndrom (LIS) leidet. Maryannick Pavageau erhielt die Auszeichnung für ihre Verdienste im Kampf gegen Euthanasie. Patienten mit Lockedin-Syndrom sind genauso aufnahmefähig wie Gesunde, können alles in ihrer Umgebung hören und verstehen, sich jedoch selbst nur schwer oder gar nicht mitteilen. Als die Französin als 30-Jährige 1984 nach einem Schlaganfall am LIS erkrankte, war die Krankheit noch kaum erforscht und wenig bekannt. Erst »Légion d'honneur« mit dem vom JeanDominique Bauby verfassten Bestseller »Schmetterling und Taucherglocke« (1997) gelangte das Schicksal von LIS-Patienten an eine größere Öffentlichkeit. Pavageau wachte nach drei Monaten aus dem Koma auf und war bei vollem Bewusstsein. Dank intensiver Therapie und fast eineinhalb Jahren Spitalsaufenthalt lernte sie wieder zu sprechen. Sie ist an den Rollstuhl gefesselt und braucht eine Rundum-Pflege. Als Mitglied der Association of Locked-in-Syndrome (ALIS) trug sie wesentlich zum verfassten »Leonetti-Bericht« bei. Dieser sorgte mit dafür, dass die so genannte aktive Sterbehilfe in Frankreich eine reh Straftat blieb. Streit um Ethikbeirat Berlin. Der Forschungsausschuss des Deutschen Bundestags hat sich gegen die Wiedererrichtung eines Ethikbeirates ausgesprochen. Anfang Dezember lehnte der Ausschuss mit den Stimmen von Union und FDP einen entsprechenden, von 241 Abgeordneten unterzeichneten Gruppenantrag ab. Die Oppositionsparteien votierten für den Antrag. Die Arbeit des früheren, von Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder ins Leben gerufenen Nationalen Ethikrats war von einem parlamentarischen Ethikbeirat begleitet worden. Nachdem das Expertengremium von der Regierung Merkel in Deutscher Ethikrat umbenannt und vom Parlament legitimiert worden war, wurde der aus Abgeordneten bestehende Beirat abgeschafft. Seitdem bemühen sich zahlreiche Parlamentarier um desreh sen Wiedereinsetzung. 33 LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 34 C M Y CM MY CY CMY K LESERFORUM Das LebensForum 2/2010 gefällt mir in der Qualität der Beiträge außerordentlich!!! Ihnen allen mein großes Lob und vielen Dank. Martin Hillemeyer, Rietberg Verschwiegene Fakten Reden statt Schweigen Zunächst einmal möchte ich Ihnen sehr herzlich danken für Ihre in meinen Augen ausgezeichnete Arbeit in der Herausgabe des »LebensForums«. Es informiert umfassend und gediegen über den Lebens- und insbesondere den Kinderschutz. Die Artikel sind gründlich recherchiert und bringen auch viele Fakten zur Sprache, die in den dominierenden Medien verschwiegen werden. Mir selbst tut es gut, regelmäßig von neuem in so schnörkelloser und unverbrauchter Weise das brennend dringliche Anliegen des Kinderschutzes in Erinnerung gerufen zu bekommen, wie es »LebensForum« tut. Ganz besonders erfreulich ist auch das durchgehend sehr hohe sprachliche Niveau der Zeitschrift. Zwar ist die »Aktion Lebensrecht für Alle« überkonfessionell, ganz so wie es ja auch ihre Anliegen sind oder zumindest sein sollten, aber eine deutliche Affinität zu Lehren der katholischen Kirche ist dem »LebensForum« natürlich leicht zu entnehmen. Gewissermaßen liegt das auch einfach in der Natur der Sache begründet, insofern die katholische Kirche die im Wesentlichen einzige Institution ist, die die Unerlaubtheit etwa der Abtreibung klar benennt. Dass etwa der Papst immer wieder das Wort für die Ungeborenen erhebt, wird vom »LebensForum« ja auch gut dokumentiert. In der aktuellen Ausgabe freut mich ganz besonders der Artikel zu Mutter Teresa, die in klaren Worten der Weltöffentlichkeit den Skandal der Abtreibung in Erinnerung rief. Mein besonderer Dank gilt diesmal dem hervorragenden Beitrag »Alltagsaufgabe Leben« von Dr. Georg Paul Hefty. Es ist wirklich höchste Zeit, wachsam zu sein und zu handeln. Reden statt Schweigen und wo nötig, Sünde beim Namen zu nennen. Gabriele Sell, Bad Salzuflen Widerspruch Ihre Zeitschrift ist nicht nur sehr informativ, sondern für ein Periodika, das (nur) vier Mal im Jahr erscheint, auch extrem aktuell, wie gerade auch die letzte Ausgabe zeigt, in der die beiden Urteile des Bundesgerichtshofs zur PID und zur »passiven Sterbehilfe« kritisch gewürdigt werden. Was Letzteres betrifft, so muss ich ihrem Autor Rainer Beckmann jedoch in einem Punkt widersprechen. Ausdrücklich möchte ich Herrn Beckmann zustimmen, wenn er schreibt, dass die Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe irreführend sei. Auch eine bewusste Unterlassung ist eine Handlung. Anders als Herr Beckmann halte ich es aber daher durchaus für problematisch, dass ein Arzt eine Behandlung, die nach seinem professionellen Urteil der Erhaltung des Lebens des Patienten dient, nur dann auch durchführen können soll, wenn der Patient dies wünscht. Ist der Arzt ein bloßer Gesundheitsdienstleister, aus dessen Angebot der Patient sich das aussuchen kann, was ihm zusagt? Oder ist der Arzt nicht doch neben seinem Patienten auch noch anderen verpflichtet. Dem ärztlichen Ethos, dem Leben als solchem oder gar Gott, als dem Herrn des Lebens? Ich erwarte sogar von meinem Friseur, dass er sich weigert mir eine Glatze zu schneiden, wenn ich auf die Idee käme, danach zu verlangen. Und wissen Sie, was mein Friseur – ich habe ihn gefragt – sagen würde, wenn ich diesen Wunsch an ihn herantrüge: »Gute Frau, verlassen Sie bitte mein Geschäft! Ich bin Friseur für’s Haareschneiden, nicht für’s Haarenehmen geworden.« Wenn ich also schon meinen Friseur nicht zwingen kann, mir alle Haare zu nehmen, wieso soll ich dann von meinem Arzt verlangen dürfen, mich vor der Zeit durch Unterlassen sterben zu lassen? Hildegard Püllen, Stolberg ANZEIGE Prof. Dr. Elmar Grosse-Klönne, Berlin 34 Probedruck LebensForum 95 LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 35 C M Y CM MY CY CMY K IMPRESSUM IMPRESSUM LEBENSFORUM Ausgabe Nr. 95, 3. Quartal 2010 ISSN 0945-4586 Verlag Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V. Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg Tel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07 www.alfa-ev.de, Email: [email protected] Herausgeber Aktion Lebensrecht für Alle e.V. Bundesvorsitzende Dr. med. Claudia Kaminski (V.i.S.d.P.) Kooperation Ärzte für das Leben e.V. – Geschäftsstelle z.H. Frau Dr. Bärbel Dirksen Ludwig-Schüsselerstr. 29, 64678 Lindenfels Tel.: 0 62 54 / 4 30, E-Mail: [email protected] www.aerzte-fuer-das-leben.de Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen Stitzenburgstraße 7, 70182 Stuttgart Tel.: 0711 - 232232, Fax: 0711 - 2364600 E-Mail: [email protected], Internet: www.tclrg.de Redaktionsleitung Stefan Rehder, M.A. Redaktion Veronika Blasel, M.A., Alexandra Linder, M.A., Dr. med. Maria Overdick-Gulden, Prof. Dr. med. Ingolf SchmidTannwald (Ärzte für das Leben e.V.) Bankverbindung Augusta-Bank Konto Nr. 50 40 990 - BLZ 720 900 00 Spenden erwünscht Anzeigenverwaltung Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V. Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg Tel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07 www.alfa-ev.de, E-Mail: [email protected] Druck Reiner Winters GmbH Wiesenstraße 11, 57537 Wissen www.rewi.de Titelbild Dipl.-Des. Daniel Rennen / Rehder Medienagentur www.rehder-agentur.de Satz / Layout Rehder Medienagentur, Aachen www.rehder-agentur.de Auflage 6.500 Exemplare Das Lebensforum ist auf umweltfreundlichem chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Anzeigen Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 6 vom 1.06.2005 Mit vollem Namen gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder der ALfA wieder und stehen in der Verantwortung des jeweiligen Autors. Erscheinungweise Vierteljährlich, Lebensforum Nr. 96 erscheint am 15.01.2011, Redaktionsschluss ist der 18.12.2010 Jahresbezugspreis 16,– EUR (für ordentliche Mitglieder der ALfA und der Ärzte für das Leben im Beitrag enthalten) Fotomechanische Wiedergabe und Nachdruck – auch auszugsweise – nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. Für unverlangt eingesandte Beiträge können wir keine Haftung übernehmen. Unverlangt eingesandte Rezensionsexemplare werden nicht zurückgesandt. Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe zu kürzen. Helfen Sie Leben retten! Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V. Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg Telefon (08 21) 51 20 31,Fax (08 21) 156407, http://www.alfa-ev.de Spendenkonto: Augusta-Bank eG (BLZ 720 900 00), Konto Nr. 50 40 990 Ja, ich abonniere die Zeitschrift Lebensforum für 16,– € pro Jahr. Herzlich laden wir Sie ein, unsere ALfA-Arbeit durch Ihre Mitgliedschaft zu unterstützen. Ja, ich unterstütze die Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V. als ordentliches Mitglied mit einem festen Monatsbeitrag. Der Bezug des Lebensforums ist im Beitrag schon enthalten. Die Höhe des Beitrages, die ich leisten möchte, habe ich angekreuzt: 12,– € jährlich für Schüler, Studenten und Arbeitslose 24,– € jährlich Mindestbeitrag _________ € jährlich freiwilliger Beitrag. Mitgliedsbeiträge und Spenden sind steuerlich abzugsfähig! Meine Adresse Freiwillige Angaben Name Geboren am Straße, Nr. Telefon PLZ, Ort Religion Beruf Um Verwaltungskosten zu sparen und weil es für mich bequemer ist, bitte ich Sie, meine Beiträge jährlich von meinem Konto einzuziehen: Institut Datum, Unterschrift Probedruck Konto.-Nr. BLZ LF_95.fh11 13.12.2010 15:25 Uhr Seite 36 C M Y CM MY CY CMY K LETZTE SEITE Nobelpreis: Eine Farce Warum die Verleihung des Medizinnobelpreises in diesem Jahr wieder ein echter Skandal ist Von Stefan Rehder I m Jahr 2007 erhielt der Genetiker bis in die Details beschrieben. Von ExpeMario Capecchi den Nobelpreis für rimenten mit menschlichen Eizellen in Medizin für seine Arbeiten mit Tieren, die Edwards mit seinem eigenen Knockout-Mäusen, die gezielte Eingriffe Sperma befruchtete, ist dort ebenso die in das Genom möglich machten. Der USRede wie von Patientinnen, denen die Amerikaner befürwortet auch die ManiGebärmutter entnommen werden musste pulation der menschlichen Keimbahn. und die Steptoe auf Drängen von Edwards Einer seiner Träume: Die Schaffung bat, am Abend vor der Operation noch künstlicher Chromosomen zwecks gemit ihrem Partner geschlechtlich zu vernetischer Verbesserung von Menschen. In diesem Jahr ging der Medizin-Nobelpreis an den Briten Robert Edwards. Selbst derjenige, der die Zeugung von Menschen im Labor nicht bereits aufgrund prinzipieller Erwägungen ablehnt, darf auch die diesjährige Verleihung des Medizin-Nobelpreises für einen waschechten Skandal halten. Denn die Forschungen, die Edwards, geboren 1925 in Leeds, ab dem Jahr 1960 anstellte und die ihn 18 Jahre später, genau am 25. Juli 1978, zum Schöpfer des weltweit ersten Retortenbabys werden ließen, verliefen derart unethisch und abstoßend, dass man ernsthaft fragen muss, welche Medizin sich das Karolinska-Institut in Stockholm eigentlich wünscht. Ganz sicher keine, in der das »menschliche Maß«, das, so Alt-Bundespräsident Johannes Rau in seiner »Berliner Rede« 2001, auch den medizinischen Fortschritt bestimmen müsse, noch irgendeine Rolle spielt. In dem 1980 erschienenen Buch: »A Matter of Life. The Robert Edwards Story of a Medical Breakthrough«, das Edwards zusammen mit seikehren. Die Mutter von Luise Brown – nem Kollegen, dem 1988 verstorbenen die als erstes künstlich erzeugtes Kind zu Gynäkologen Patrick Steptoe, verfasste, verzichtbarem Ruhm gelangte – litt an haben beide Forscher den Weg zur ersten einem Verschluss der Eilleiter. Beide erfolgreichen Reagenzglasbefruchtung Forscher ließen sie im Glauben, sie un- Probedruck Postvertriebsstück B 42890 Entgelt bezahlt Deutsche Post AG (DPAG) Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA) Ottmarsgässchen 8, 86152 Ausgburg terziehe sich einer etablierten Therapie, mit der schon hunderte Babys erzeugt worden seien. Dass Edwards und Steptoe zuvor nur Fehlversuche produziert hatten – seriöse Schätzungen sprechen von »mindestens 60« – erfuhr Lesley Brown erst später. Insofern ist es allenfalls ein Teil der Wahrheit, wenn das Nobel-Komitee in seiner gestern veröffentlichten Preisbegründung nun davon spricht, Edwards »arbeitete systematisch, um sein Ziel zu erreichen, entdeckte wichtige Prinzipien der menschlichen Befruchtung und brachte es schließlich fertig, eine menschliche Eizelle im Reagenzglas zu befruchten«. Verschwiegen, wohl kaum übersehen, wird ferner, dass Edwards, der heute 85-jährig in einem Seniorenheim in Großbritannien lebt, zusammen mit seiner Frau Ruth Fowler bereits 1970 einen Beitrag im »Scientific American« veröffentlichte. Darin empfahl das Paar, das nun zehn Millionen schwedische Kronen (1,058 Mio. Euro) erhält, die künstliche Befruchtung auch als Methode zur Vermeidung von Menschen mit Behinderungen sowie zur Geschlechtswahl. Beides wird heute in vielen Ländern der Welt – vor allem mittels Präimplantationsdiagnostik (PID) – auch längst praktiziert; womöglich demnächst auch in Deutschland. Es mag sein, dass Edwards – wie Komitee-Sprecher Christer Höög lobte – vor rund 40 Jahren »den starken Widerstand des Establishments überwinden« musste. Nur ist das heute nicht anders. Geändert hat sich lediglich die Richtung.