Verhalten von TA Luft zertifizierten Dichtungswerkstoffen

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Verhalten von TA Luft zertifizierten Dichtungswerkstoffen
FACHBERICHTE
Verhalten von TA Luft zertifizierten
Dichtungswerkstoffen bei praxisnahen
Bedingungen
Seit Oktober 2002 müssen sich Anlagenbetreiber an die drastisch verschärften
Grenzwerte bezüglich diffuser Emissionen halten – so will es die novellierte Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA Luft), die damit an die neuen
europäischen Vorgaben sowie an neue Umwelt- und Technikstandards angepasst
wurde.
Die Praxis zeigt jedoch: Es reicht nicht aus, sich blind auf vorgezeigte Zertifikate zu
verlassen. Diese bestätigen zwar die Einhaltung des wichtigen Leckagekriteriums.
Eine allgemeine Aussage über Temperaturbeständigkeit, Medienbeständigkeit
oder Fehlerverzeihlichkeit des verwendeten Dichtungswerkstoffes ist aus diesen
Zertifikaten jedoch nicht abzuleiten.
Die wichtigen VDI-Richtlinien 2440
(Emissionsminderung Mineralölraffinerien) sowie die in Kürze im Gründruck erscheinende VDI Richtlinie 2200 (Arbeitstitel: Dichte Flanschverbindungen)
schreiben einerseits ein strenges Leckagekriterium von 10-4 mbar l/(s · m) in einem Bauteilversuch bei einem Differenzdruck von 1 bar Helium nach Temperaturauslagerung vor, andererseits die
Gewährleistung der Ausblassicherheit.
Parallel gibt es Bestrebungen die Umsetzung der TA-Luft-Bestimmungen zu
erleichtern.
Hierzu erschien im Februar 2005 die
PAS 1050 „Leitfaden zur Umsetzung der
TA Luft in der chemisch-pharmazeutischen Industrie“. PAS ist die Abkürzung
für Publicly Available Specification. Diese nicht bindende Spezifikation hat jedoch nur empfehlenden Charakter.
Hier wird eine andere Prüfmethodik
definiert, die die Erfüllung des Leckagekriteriums erleichtert. Dem eigentlichen
Anspruch, die Schwächen der bestehenden Regelwerke (VDI 2440 und VDI
2200 Entwurf) auszugleichen, wird die
PAS 1050 jedoch nicht gerecht. So werden auch wichtige praxisrelevante Eigenschaften wie beispielsweise das Verhalten bei unsachgemäßer Montage
oder die Anpassungsfähigkeit an
Flansch-Unebenheiten, wie sie insbesondere in Altanlagen alltäglich sind,
nicht abgebildet.
Experten weisen mit Nachdruck darauf hin, dass die Prüfanforderungen
nach VDI 2440 speziell in den hochsensiblen Verantwortungsbereichen der
Chemie, der Petrochemie und des Anlagenbaus nicht ausreichen, um ein maxiDichtungstechnik · Heft 1 · Mai 2005
males Maß an Sicherheit und Verfügbarkeit zu gewährleisten: So können zum
Beispiel die mangelhafte Montage der
Dichtung, die fehlende Wartung der entsprechenden Werkzeuge, nicht ausreichend geschultes Personal oder die zu
niedrige Fehlerverzeihlichkeit des verwendeten Dichtungswerkstoffes die
Funktionalität eines hochmodernen
Dichtungssystems ebenso negativ beeinflussen wie ungenügend gereinigte
oder unverhältnismäßig beschädigte
Flanschflächen. Gerade der durch das
Outsourcing von lohnkostenintensiven
Servicearbeiten steigende Anteil an
Fremdmontagen lässt diese Punkte immer gewichtiger erscheinen.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die
Frage: Wie verhalten sich neu entwickelte Dichtungswerkstoffe in der Praxis
tatsächlich?
Dipl.-Ing.
Andreas Schmiedel
Leiter Entwicklung Materialprüfung, Frenzelit-Werke
GmbH & Co. KG,
Bad Berneck;
Tel. +49 9273 72-0,
[email protected]
Vergleichstest zweier nach TA Luft
zertifizierter Dichtungswerkstoffe
Zum Vergleichstest wurden herangezogen: novaphit® SSTCTA-L sowie ein
zweites, marktübliches Material. Beide
Werkstoffe sind TA Luft zertifiziert und
bestehen aus expandiertem Graphit mit
Metallverstärkung.
Die Frage lautete: Wie steht es um die
Anpassungsfähigkeit der beiden Kandidaten unter praxisnahen Prüfbedingungen?
Um dies zu untersuchen, wurden in
Prüfflansche mit einer Rauhigkeit von Rz
< 5 µm definierte Flanschriefen in radialer Richtung eingebracht: einmal eingefräst (exakte Einstellung von Tiefe und
Breite) und einmal eingeritzt – wie es in
der Praxis von Anlagenflanschen häufig
vorkommt. Ergebnis: Während die gefrästen Riefen gleichmäßige Vertiefungen
Bild 1:
Riefengeometrie
1
FACHBERICHTE
Bild 2: Riefe mit einer Tiefe von 95 µm und
einer Breite von 150 µm
über den Flansch darstellen, weisen die
Kratzer links und rechts der Vertiefung
zusätzlich einen Grat auf (Bild 1) – eine
Herausforderung für jeden Dichtungswerkstoff.
Die Test-Bedingungen:
Vier Flansche mit eingefrästen radialen Riefen verschiedener Breite und
Tiefe (Bild 2)
Montage der Dichtungen mit einer
Flächenpressung von 30 MPa
Demontage der Dichtungen nach 5
Minuten
Vermessung der bleibenden Verformung des Dichtwerkstoffes über der
Riefe mittels 2D-Messmaschine
Das Ergebnis: novaphit® SSTCTA-L
drang deutlich tiefer in die Flanschbeschädigung ein als das Vergleichsmaterial (Bild 3).
Bild 4: Leckagemessung am Riefenflansch
Wie wirkt sich diese unterschiedliche
Anpassungsfähigkeit auf die Leckage
in einem realen Flanschmodul aus?
Die Test-Kandidaten:
novaphit® SSTCTA-L ohne Innenbördel
novaphit® SSTCTA-L mit einem Innenbördel aus 1.4571
ein ebenfalls TA Luft zertifiziertes Graphitmaterial mit modifiziertem Innenbördel
Die Test-Bedingungen beim LeckageVersuch:
Prüfmethode in Anlehnung an DIN
28090-2: Verbauung der Dichtung mit
einer Flächenpressung von 30 MPa
mittels kalibrierter Messschrauben
Auslagerung des Flanschmoduls 24 h
bei 300 °C
Bestimmung der Leckagerate nach
Abkühlung bei einem Innendruck von
40 bar Stickstoff mittels Druckabfallmethode
Ergebnis
Im glatten Flansch zeigen alle Dichtungen Leckagen unterhalb der Messgrenze. Auch die 60 µm tiefe und 115 µm
breite Riefe stellt kein Problem dar. Bei
der dritten Messung (Tiefe 95 µm, Breite
150 µm) zeigen die gebördelten Varian-
Bild 3: Anpassung an Flanschriefen
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FACHBERICHTE
Bild 5: Aufbau des Materials
ten jedoch deutliche Schwächen.
Während die novaphit® SSTCTA-L nur eine sehr geringe Leckageerhöhung aufweist, zeigt die gebördelte novaphit®
SSTCT-AL schon eine signifikante Erhöhung der Leckagerate. Negativ dagegen das Ergebnis beim Vergleichsmaterial: Die Leckagerate war in der Höhe
kaum messbar. Doch damit nicht genug:
Über die Hälfte der Messungen dieses
Typs bliesen aus (Bild 4).
Die Materialien im Vergleich
Für die Überlegenheit der novaphit®
SSTCTA-L gibt es folgende Gründe:
Erstens, die Streckmetalleinlage aus
säurebeständigem
Chrom-NickelStahl – die Basis für niedrige Leckageraten. Millionenfach bewährt im
Schwesterprodukt novaphit® SSTC.
Zweitens besteht eine erhöhte Graphitdichte im Kern des Werkstoffs.
Dies erhöht die Quer-schnittsdichtheit
um ein beträchtliches Maß. Die Rohdichte der Außenschichten bleibt auf
graphit-typischem Niveau – für eine
maximale Anpassungsfähigkeit.
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Drittens die Innenimprägnierung, die
in dem noch vorhandenen Restporenvolumen des Graphits gekapselt wird
und somit die Querschnittsdichtigkeit
weiter erhöht.
Bei Kontrahenten soll ein modifizierter
Innenbördel für erhöhte Querschnittsdichtheit sorgen. Wie Bild 5 anschaulich
zeigt, besteht die Oberfläche dieses Materials jedoch im Wesentlichen aus dünnen Graphitfolien auf Glattblecheinlagen
– der Anpassungsfähigkeit des Materials
im realen Betrieb sind damit deutliche
Grenzen gesetzt.
Zahlreiche Erfahrungen zeigen, dass
die oben konstruierten Fälle in der Praxis
keine Seltenheit darstellen. Trotz ausdrücklichen Verbotes werden immer
wieder scharfe Gegenstände für die Reinigung der Flanschflächen benutzt. Die
flächendeckende Kontrolle aller Dichtflächen ist praktisch nicht durchführbar.
Betrachtet man dieses Ergebnis losgelöst von Flanschverletzungen unter
praxisnahen Gesichtspunkten einer in
der DIN 2526 angegeben Flanschrauhigkeit Rz von bis zu 160 µm (Form B und
C) und spiralförmig eingedrehter Flanschrillen, so wird deutlich, dass das geprüfte Vergleichsmaterial auch hier nicht
bis in die Flanschrillen vordringen kann.
Eine übermäßig hohe Leckage wird die
Folge sein. Es zeigt sich, dass ein solcher Dichtwerkstoff trotz einer Zertifizierung nach TA Luft in der Praxis keine
Vorteile bringen kann. Unter realen Verhältnissen ist eine ungünstigere Oberflächenanpassungsfähigkeit mit einer Erhöhung der diffusen Emissionen in den
Anlagen gleichzusetzen.
Fazit: Trotz Zertifizierung nach TA Luft
weist das getestete Vergleichsmaterial
eine übermäßig hohe Leckagerate aus –
und kann damit in der Praxis keine Vorteile bringen.
Wirtschaftliche Vorteile auch bei
den Lagerkosten
Für Anwender und Verarbeiter bringt
novaphit® SSTCTA-L aber noch weitere,
entscheidende Vorteile: So können aus
einem Plattenmaterial beliebige sowohl
genormte als auch ungenormte Dichtungen hergestellt werden. Zusätzliches
Plus: Die Verarbeitbarkeit von novaphit®
SSTCTA-L mittels Schneidplotter, Wasserstrahlschneider, elektrischen Handgeräten und sogar manuellen Schneidwerkzeugen machen Weiterverarbeitungsschritte wie Bördelung möglich –
aber nicht zwingend notwendig.
Ein maximales Maß an Flexibilität bietet novaphit® SSTCTA-L auch beim Thema Lager- und Logistikkosten: Als Allround-Graphitdichtungswerkstoff kann er
je nach Einsatzgebiet sämtliche bisher
vom Kunden eingesetzten klassischen
Flachdichtungen ersetzen.
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