Arbeitsrehabilitation bei psychotischen Erkrankungen

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Arbeitsrehabilitation bei psychotischen Erkrankungen
Arbeitsrehabilitation bei psychotischen
Erkrankungen
Wolfram Kawohl
Zentrum für Soziale Psychiatrie
Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und
Psychosomatik
Psychiatrische Universitätsklinik Zürich
Interessenskonflikt
• Als Leiter des Zentrums für Soziale Psychiatrie
Vorgesetzter einer Supported Employment-Einheit
gemäss IPS
• Förderung von IPS-Forschungsprojekten durch
das Bundesamt für Sozialversicherung (CH), die
EU und das Zürcher Impulsprogramm zur
nachhaltigen Entwicklung der Psychiatrie
• Vorstandmitglied des Trägervereins einer
Werkstätte für beeinträchtigte Menschen
Agenda
1.
2.
3.
4.
Arbeit und ihre Bedeutung
Berufliche Rehabilitation
Supported Employment
Aktuelle RCTs
Agenda
1.
2.
3.
4.
Arbeit und ihre Bedeutung
Berufliche Rehabilitation
Supported Employment
Aktuelle RCTs
Die protestantische Arbeitsethik
• „daß die Seeligen im Himmel
keine Müßiggänger, kein
müßige Beschauer und
Geniesser der göttlichen
Herrlichkeit seyn, dass sie
mannichfaltige
Beschäftigungen haben
werden“ (Lavater 1773, Aussichten in die
Ewigkeit)
• Arbeit als gottgewollter
Lebenszweck (Himanen 2001)
Johann Caspar Lavater 1741 - 1801
Die Rolle der Arbeit
•
•
•
•
Sicherung des Lebensunterhaltes
Sinnstiftung
Tagesstrukturierung
Soziale Einordnung
Soziale Schichtung
Determinanten Sozialer Schichtung
Meritokratische Triade:
• Bildung
• Stellung im Erwerbsleben
• Einkommen
(Kreckel 1992)
Sinus-Milieus
Sinus-Milieus
© SINUS 2013
Arbeit und psychische Erkrankung
•
•
•
•
•
•
Burn out* (Freudenberger 1974)
Bore out (Rothlin und Werder 2007)
Arbeit kann krank machen
Krankheit kann arbeitslos machen
Arbeitslosigk. kann krank machen
Arbeit kann zur Gesundheit
beitragen
*Burn out-Kriterien (Freudenberger; Maslach)
1.) Emotionale Erschöpfung
2.) zynische Einstellung
3.) negative Wahrnehmung der eigenen Arbeitsleistung
Arbeit und Suizid
Blick, 7. September 2013
12
Arbeitslosigkeit und Suizid
+5’000 in der Krise
45’000 p.a. insgesamt (von
233’000) sind mit
Arbeitslosigkeit assoziiert)
Anstieg Suizide 6
Monate vor Anstieg der
Arbeitslosigkeit (!)
Nordt et al., Lancet Psychiatry 2015
AU-Fälle und Dauer 2010
 Anstieg der AU-Fälle
nicht zwangsläufig
Hinweis auf Zunahme
psychischer
Erkrankungen
180%
Indexdarstellung (1999=100%)
160%
Psyche
Atemwege
Muskel / Skelett
Verdauung
Herz / Kreislauf
Verletzungen
140%
 Ärzte heute eher bereit,
psychiatrische
Diagnosen zu stellen
120%
 Betroffene heute eher
bereit, psychiatrische/
psychotherapeutische
Hilfen in Anspruch zu
nehmen
100%
80%
60%
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
Badura et. al. (2011): Fehlzeiten-Report 2011 – Führung und Gesundheit
Seite 16
26.09.2013, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik
 AOK-Plus Versicherte
 2’868’000 Versicherte in Thüringen und Sachsen
 F31.0 – F34.9 über 3 Jahre
 n = 117’220
Seite 17
26.09.2013, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik
Seite 18
26.09.2013, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik
Nutzung klinischer Angebote
•
•
•
•
Ambulatorium
Akuttagesklinik
Kurzzeitstation
max. stationäre Behandlung
5 Tage
• 650 Eintritt2 pro Jahr
• 5500 ambulante Behandlungen
Auswahl der Therapieform:
Die Erwerbstätigkeit entscheidet (p<.0001)
Krowatschek et al., 2012
Seite
Siehe auch:
26.09.2013, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik
Frühe Betonung
Eugen Bleuler, 1857 – 1939
„Dementia praecox oder Gruppe
der Schizophrenien“, 1911
Verlauf der „Gruppe der Schizophrenien“
Nur eine Krankheitsepisode
Wiederholte Episoden ohne
funktionale Beeinträchtigung
Wiederholte Episoden mit funktionaler
Beeinträchtigung
Chronischer Verlauf
Nach Ciompi et al., 1987
10%
15%



10%
12%



10%



24%
5%
5%
6%
Zeit
Arbeitsmarkt
Agenda
1.
2.
3.
4.
Arbeit und ihre Bedeutung
Berufliche Rehabilitation
Supported Employment
Aktuelle RCTs
Arbeitsmarkt
1. Arbeitsmarkt
2. oder „besonderer“ Arbeitsmarkt
3. Arbeitsmarkt: Freiwilligenarbeit etc.
Stufenleitermodell der Rehabilitation
1. Stufe: Klinik
2. Stufe: Übergangseinrichtung
3. Stufe: Selbständigkeit, vollständige
Wiedereingliederung
Ziel der beruflichen Rehabilitation
Die Teilhabe am Erwerbsleben ist das teilweise sogar
gesetzlich (D, USA) definierte Rehabilitationsziel
Arbeitstherapie
• Form der beruflichen Rehabilitation
• First train, then place
• im Rahmen von Klinikaufenthalten oder auch
teilstationär, seltener auch ambulant
Beschützte Arbeitsplätze
• zunächst an Kliniken entstanden
• früher z.B. Mitarbeit in Landwirtschaft
• heute auch ausserhalb von Kliniken in Form von
beschützten Werkstätten/ sozialen Unternehmen
Agenda
1.
2.
3.
4.
Arbeit und ihre Bedeutung
Berufliche Rehabilitation
Supported Employment
Aktuelle RCTs
Berufliche Rehabilitation
Bisher:
First train, then place
Rehabilitation vor Arbeit
Jetzt zusätzlich:
First place, then train
Arbeit als Rehabilitation
1. Arbeitsmarkt
eingeschränkte
weitere
Unterstützung
Geschützter Arbeitsplatz
TK, Arbeitstherapie
(Gesetzesrang in den USA(!))
Modell: Individual Placement and Support (IPS)
(Becker and Drake 1994, Community Ment Health J )
x
Arbeitslosigkeit
2. Arbeitsmarkt
Supported
Employment
Was ist IPS?
• Ziel: Arbeitsplatz im ersten
Arbeitsmarkt
• Direkte Suche ohne
vorheriges Training
• IPS-Coaches als Teil des
klinischen Teams
• Arbeit als integraler
Bestandteil des
Behandlungsplans
• Arbeitsplatzsuche
abhängig von den
Wünschen des Patienten
Praxis
Arbeitgeber
Klient
Job
Coach
Behandler
Häufige Coachingthemen
Klient
 Wie geht es KlientIn an der Arbeit?
 Positionierung und Förderung am Arbeitsplatz
 Was erwartet der Vorgesetzte?
 Selbstwert, Perfektionsansprüche
 Pünktlichkeit, Pausengestaltung, Umgang mit Kollegen
Behandler
 Medikation
 Kognition, Gesundheit, Arbeitsfähigkeit, Prognose
 Behandlung Ursprung von Perfektionsansprüchen, Selbstwert,
Arbeitgeber:
 Erwartungen an KlientIn?
 Wie ist Leistung?
 Wird Feedback gegeben? Zielvereinbarungen?
Ziel: Verbesserung Arbeitssituation; ggf. Suche nach neuer Stelle
Offenlegen oder nicht?
• Vergleich Offenlegung ggü. Arbeitgeber vs. NichtOffenlegung an 2 Standorten
• 54-59% wollene keine Offenlegung
• Beides kann funktionieren!
Funktioniert das? Studie EQOLISE*
*Enhancing
the quality of life and independence of persons disabled by severe mental illness through supported employment
• Störung aus dem schizophrenen Formenkreis oder bipolar
affektive Störung
• Wunsch nach Tätigkeit in freier Wirtschaft
• Arbeitslosigkeit > 1 Jahr
• Regelmässige medizinische Behandlung
• 4 Interviews à je ca. 3h (Baseline, 6 Mt., 12 Mt., 18 Mt.)
• randomisierte Zuteilung (n=312)
[%] 90
IPS vs. Kontrollpersonen
Lebensqualität
Arbeitszufriedenheit
Psychotische Symptome =
Angst / Depression
Hospitalisationsrate
(signifikant)
(signifikant)
(signifikant)
(signifikant)
*
80
70
60
50
40
30
20
10
0
*
*
*
IPS
controls
London Ulm
Rimini Zurich Groningen Sofia
Burns, Catty, Becker et al. 2007, Lancet
Berner Modell
«Das Job Coach Placement ist eine an
Schweizer Verhältnisse angepasste Form des
in den USA sehr erfolgreichen Supported
Employment.»
Hoffmann, Jäckel, Glauser und Kupper 2012, Acta Psychiatrica Scandinavica
Supported Education
- Alter bei Erkrankungsbeginn im
Übergangsbereich Ausbildung/ Arbeit
- Erfolgreiche Kombination ist möglich
- Zusammenarbeit
Erwachsenenpsychiatrie und KJP ist
erstrebenswert.
Nuechterlein et al 2008
Agenda
1.
2.
3.
4.
Arbeit und ihre Bedeutung
Berufliche Rehabilitation
Supported Employment
Aktuelle RCTs
Aktuelle RCTs
• ZhEPP: Zürcher Eingliederungs Pilot-Projekt
• „Dosisfindungsstudie“ ZInEP TP5
• SEplus (Leuphana Universität Lüneburg)
Aktuelle RCTs
• ZhEPP: Zürcher Eingliederungs Pilot-Projekt
• „Dosisfindungsstudie“ ZInEP TP5
• SEplus (Leuphana Universität Lüneburg)
ZhEPP (Zürcher Eingliederungs-Pilot-Projekt)
•
•
•
•
Wiedereingliederung von IV-Neurentnern
Finanzierung durch das BSV
freiwillige Teilnahme
Frage: Coaching besser als die übliche
Handhabung durch die IV?
Trial register: ISRCTN54951166
ZhEPP (Zürcher Eingliederungs-Pilot-Projekt)
• Wiedereingliederung von IV-Neurentnern
Infoveranstaltung
250 Personen
Zufällige Einteilung
50%
Job Coaching
Datenerhebung:
0 Mt.
6 Mt.
12 Mt.
18 Mt.
•Lebensqualität
•Verlauf der Krankheit
•Kosten
50%
normales
Vorgehen
Aktuelle RCTs
• ZhEPP: Zürcher Eingliederungs Pilot-Projekt
• „Dosisfindungsstudie“ ZInEP TP5
• SEplus (Leuphana Universität Lüneburg)
Trial register: ISRCTN89670872
Stand der Rekrutierung ZInEP TP5
total: n = 116
•
•
•
•
•
59 Frauen, 57 Männer
1.7.2009 – 30.06.2013
25h: 39 (24 job, 19 > 3 Monate)
40h: 38 (21 job, 13> 3 Monate)
55h: 39 (19 job, 13 > 3 Monate)
Soziales Netz und Motivation
Brantschen et al., in press
SEund Selbststigma (ZInEP)
Fragestellung:
Verringert erhöhte soziale Inklusion (in Form erneuter Arbeit) unter SETeilnehmern Selbststigma?
Oder: Wirkt SE auch günstig auf die Bewältigung (in Form von Selbststigma
internalisierter) sozialer Ausgrenzung?
Methoden:
- Daten von 93 SE-Teilnehmern mit psych. Erkrankung über ein Jahr
- Erhebung von Selbststigma, bei Baseline und nach 1 Jahr (ISMI, Internalized
Stigma of Mental Illness Inventory, Ritsher et al 2003)
- Erhebung zum Ausmaß am Arbeitsplatz erfahrener Diskriminierung nach 1 Jahr
(unter den 63 Teilnehmern, die im verg. Jahr zumindest kurz Arbeit hatten;
unveröff. Skala, 5 items, alpha = 0.80)
 n = 25 ohne jede Diskriminierungserfahrung, n=38 Diskr.-Erf. > 0
Aktuelle RCTs
• ZhEPP: Zürcher Eingliederungs Pilot-Projekt
• „Dosisfindungsstudie“ ZInEP TP5
• SEplus (Leuphana Universität Lüneburg)
Der Innovations-Inkubator zielt mit Transferprojekten auf die Entwicklung von neuen
wirtschaftlichen Schwerpunkten in der strukturschwachen Konvergenzregion ab.
Ausrichtung und Finanzierung des Innovations-Inkubators
Der Innovations-Inkubator Lüneburg…
Finanzierung (in Mio. €)
98,0
 … ist ein EU-Großprojekt zur
regionalen Wirtschaftsentwicklung
 … setzt Initialzündungen in zukunftsträchtigen Branchen durch die
Zusammenarbeit von Wissenschaft
und Wirtschaft
Projekteinnahmen
Kofinanzierung
des Landes
Niedersachsen
12,5
Einnahmen
Innovations-Inkubator
22,0
Fördermittel
Innovations-Inkubator
 … ermöglicht die direkte Umsetzung
von visionären Geschäftsideen in die
Praxis
 … wird als Transferprojekt zum Motor
einer starken regionalen Wirtschaftsentwicklung
 … wird durch eine Vielzahl ineinandergreifender Maßnahmen umgesetzt
 … hat eine Laufzeit von 2009-2015
63,5
Fördermittel der
Europäischen Union:
EFRE
Der Innovations-Inkubator fördert die regionale Wirtschaft
durch die Schaffung neuer Branchenschwerpunkte.
53
Unser Projektvorschlag:
Pilotierung Supported Employment PLUS gemeinsam mit Unilever
 Zielsetzung Pilotierung:
 Reduzierung der AU-Quote bei der Unilever durch gezieltes Supported
Employment PLUS für Mitarbeiter mit psychischen Erkrankungen und
Belastungen
 Wissenschaftliche Begleitung und Evaluation der Intervention durch die
Leuphana Universität Lüneburg
 Rahmenbedingungen Pilotierung:
 Dauer 1 Jahr, Start im Herbst 2012
 30 Teilnehmer in Interventionsgruppe, 30 Teilnehmer in Kontrollgruppe
 Beteiligung Unilever an Randomisierung der Teilnehmer sowie Dokumentation
 Intervention Supported Employment PLUS in Pilotierungsphase für Unilever
kostenfrei
54
Das Forschungsprojekt entwickelt und erprobt in Kooperation
mit Unternehmen eine Dienstleistung zur Reduzierung von psychisch
bedingten Ausfallzeiten.
Projektteam
Zeitplan
2012
2013
Ausbildung Job-Coaches
Vorbereitung Pilotierung
Prof. Dr. Wulf Rössler
Wiss. Projektleitung
Gewinnung
Kooperationspartner
Prof. Dr. Wolfram Kawohl
Wiss. Projektleitung
1. Phase Pilotierung:
Gewinnung Klienten
Sandra Heuchert
Operative Projektleitung
Christian Koch
Business Development
Katrin Blanke
Supervision
2. Phase Pilotierung:
Betreuung Klienten
3. Phase Pilotierung:
Nachbetreuung/
Erfolgsmessung
Evaluation Pilotierung
Neele Garbers
Job-Coach
(Dipl.-Soz. Arb./
Soz. Päd (FH), M.A.)
Kathrin Hornung
Job-Coach
(Dipl.-Päd.)
Katrin Leder
Job-Coach
(Dipl.-Wirtschaftspsych. (FH))
Quelle: Projektteam Suppported Employment PLUS
Nicola Niemeyer
Job-Coach
(Dipl.-Psych.)
Projektstart:
2. Juli 2012
55
Fazit
• Arbeit bedeutet mehr als nur die Sicherung der
Lebensgrundlage
• Die Wahl stationärer oder ambulanter Behandlung
wird massgeblich durch die Erwerbstätigkeit
beeinflusst.
• Arbeit als Rehabilitation; „first place, then train“.
• SE ist geeignet für Männer und Frauen
• SE ist diagnoseunabhängig wirksam
• SE wirkt auch bei IV-Rentnern
• Arbeitsplatzerhalt hat sich als wichtige Aufgabe
herauskristallisiert
Herzlichen Dank für Ihre
Aufmerksamkeit!
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