Vorlesungsskript Nephrologie
Transcrição
Vorlesungsskript Nephrologie
Vorlesungsskript Nephrologie 13. Version, Mai 2012 Medizinische Klinik und Poliklinik D Prof. Dr. Pavenstädt in Kooperation mit Frau Prof. Dr. Dr. Brand, Herrn Prof. Dr. Brand, Herrn PD Dr. Büssemaker, Herrn Prof. Dr. Gabriëls, Frau Dr. Otte und Frau Prof. Dr. Suwelack “Es gibt Geschichten von Assistenzärzten, die religiös ungläubig oder Agnostiker waren, bis sie zur Nephrologie kamen und eine Vorstellung davon entwickelten, was in einer Niere wirklich vor sich geht – woraufhin sie mystische Erlebnisse hatten und erkannten, dass nur eine allwissende göttliche Intelligenz so etwas wie eine Niere erfinden könnte. Das hochempfindliche Gleichgewicht von Elektrolyten, Hormonen, Giften, Flüssigkeiten, Gasen in Lösungen, Zucker und Partikeln, die über Membranen in den Nieren ausgetauscht werden, ist für den sterblichen Verstand kaum fassbar. Jemand hat mal bemerkt, dass der heilige Paulus – wenn er heute leben würde – auf dem Weg nach Damaskus nicht wegen eines Blitzstrahls von Pferd gestürzt wäre; er wäre heute ein Assistenzarzt der Nephrologie, der angesichts der unglaublichen Komplexität einer Niere die Sprache verliert. Manche Nierenfachärzte gaben sogar ihre Praxis auf und wurden Fernsehprediger; sie gingen mit einem anatomischen Modell der Niere auf Sendung und verkündigten, das Ewige Leben könne nur durch ein tiefes Verständnis der Niere erlangt werden“ (aus Richard Dooling, Bett Fünf). Inhaltsverzeichnis 1. Die Aufgabe der Niere Seite 3 2. Die Bestimmung der Nierenfunktion 5 3. Die Urinuntersuchung, Abklärung Hämaturie – Proteinurie 7 4. Die Glomerulonephritiden 11 5. Das Management der Ödeme 21 6. Die Elektrolytstörungen: Hypo- und Hypernatriämie 24 7. Die Niere und systemische Erkrankungen 27 I. Die diabetische Nephropathie II. Die Lupus Nephritis III. Die Wegener Granulomatose IV. Das multiple Myelom V. Das hämolytisch-urämische Syndrom VI. Das hepatorenale Syndrom 27 31 33 34 36 38 8. Die Autosomal dominante polyzystische Nierenerkrankung 41 9. Der Patient mit akutem Nierenversagen 42 10. Die chronische Nierenerkrankung (CKD) 51 11. Nierenersatztherapien inkl. Nierentransplantation 54 12. Säure-Basen-Haushalt 65 13. Die Harnwegsinfektion 72 14. Der hypertensive Patient 74 15. Fettstoffwechselstörungen 93 2 1. Aufgaben der Niere: Ansprechpartner: Prof. Dr. Pavenstädt, [email protected] Aufrechterhaltung eines stabilen inneren Milieus Kontrolle der Salz- und Wasserausscheidung Ausscheidung von Endprodukten des Stoffwechsels und Fremdstoffen (Entgiftung) Filter für Proteine Regulation des Säure-Basen-Haushaltes Produktion wichtiger Hormone (Erythropoetin, Kalzitriol) Beteiligung an der Blutdruckkontrolle Die Nierendurchblutung (ca. 1,2 l/min) wird autoreguliert, das heißt, dass sich die glomeruläre Filtrationsrate zwischen einem Blutdruck von 80 – 180 mmHg nur wenig ändert. Ziel der Autoregulation ist es, die Glomerula vor Schäden durch zu hohe Blutdruckwerte zu bewahren bzw. den Abfall der glomerulären Filtrationsrate durch niedrige Blutdruckwerte zu verhindern. Die Autoregulation ist wichtig bei Erkrankungen, die mit einer Verminderung des renalen Blutflusses einhergehen (Exsikkose, Herzinsuffizienz, Leberzirrhose). Bei diesen Erkrankungen können lokal ausgeschüttete Vasodilatatoren, insbesondere Prostaglandine, durch Dilatation des Vas afferens des Glomerulums die glomeruläre Filtrationsrate aufrechterhalten. Unabhängig von der Nierendurchblutung kann die glomeruläre Filtrationsrate durch hormonell induzierte Widerstandsveränderungen der afferenten und efferenten Arterie reguliert werden. Unter bestimmten Umständen können so Hemmer der Prostaglandinsynthese (Cyclooxygenasehemmer), die die Vas afferenz kontrahieren oder Angiotensin-Converting-Enzyme-Hemmer, die die Vas efferenz dilatieren ein akutes Nierenversagen induzieren (siehe Abbildung 1). A B C Abbildung 1: Regulation der glomerulären Durchblutung A. Normal B. Erhöhter Widerstand des Vas afferens: z.B. durch Noradrenalin, Prostaglandinsynthesehemmer. Dadurch werden renaler Blutfluss, Ultrafiltrationskoeffizient und glomeruläre Filtrationsrate reduziert. In bestimmten klinischen Situationen (Herzinsuffizienz, Dehydratation) kann es nach Gabe eines Prostaglandinsynthesehemmers zu einer Vasokonstriktion der Vas afferens und damit zu einem akuten Nierenversagen kommen. C. Erhöhter Widerstand des Vas efferens: z.B. durch Angiotensin II. Dadurch wird der renale Blutfluss reduziert, der Ultrafiltrationskoeffizient und die glomeruläre Filtrationsrate aber erhöht! In bestimmten klinischen Situationen (Nierenarterienstenose) kann es so durch Hemmung der Angiotensin-II-Wirkung (ACE-Hemmer) zu einer Vasodilatation der Vas efferens und damit zu einem akuten Nierenversagen kommen. 3 Jede der 2 Millionen Funktionseinheiten der Niere, das Nephron, besteht aus einem Glomerulum, in dem Plasmaflüssigkeit abfiltriert wird und einem Tubulussystem, dessen Transportsysteme Urin aus dem Primärfiltrat herstellen. Im Glomerulum wird ein Ultrafiltrat des Plasmas gebildet. Die Filtrationsbarriere wird dabei vom Endothel, der glomerulären Basalmembran und den Podozyten gebildet (Abbildung 2). Die Filtrationsbarriere verhindert den Übertritt von Proteinen, die größer als 10 - 50 kDa (Größe von Albumin) sind. Störungen in der Funktion der Filtrationsbarriere führen zur Proteinurie. Abbildung 2: Aufbau des Glomerulum: Die Filtrationsbarriere wird vom Endothel (EN), der glomerulären Basalmembran (BM) und den Podozyten (Synonym: viszerale glomeruläre Epithelzelle, EP) mit seinen Fußfortsätzen (F) gebildet. Zwischen den Kapillaren liegt das Mesangium (M) EA = Afferente Arterie, B = Bowmann Kapsel, PT = Proximaler Tubulus, MD = Macula Densa, BS = Bowmanscher Kapselraum, N = Nervenendigung Das sogenannte tubuloglomeruläre Feedback spielt eine wichtige Rolle bei der Autoregulation der glomerulären Filtrationsrate. Eine Erhöhung des renalen Perfusionsdruckes führt initial zu einer Erhöhung der glomerulären Filtrationsrate (GFR). Durch die Erhöhung der GFR wird mehr Cl an die Macula Densa transportiert. Daraufhin produzieren die Zellen des Juxtaglomerulären Apparates über einen noch nicht genau bekannten Mechanismus vasoaktive Hormone. Diese induzieren eine Kontraktion der afferenten Arterie. Hiedurch wird die glomeruläre Filtrationsrate gesenkt. Im proximalen Tubulus werden ca. 70% des filtrierten Wassers und Kochsalzes, 95% des filtrierten Bicarbonats und 100% der filtrierten Glukose und Aminosäuren wieder aufgenommen. Des Weiteren sezerniert der proximale Tubulus Säuren und Basen. Die Niere resorbiert die gesamte filtrierte + Bicarbonatmenge und scheidet ca. 100 mmol H pro Tag in Form von Puffern aus. Die Konzentrierung bzw. Verdünnung des Urins ist eine Leistung der Henle Schleife und der Wirkung des antidiuretischen Hormons (ADH) am distalen Tubulus und Sammelrohr. Der aufsteigende Teil der Henle Schleife resorbiert NaCl, ohne dass Wasser folgen kann. Durch die dadurch gesteigerte Osmolarität im Interstitium wird dem absteigenden Schenkel der Henle Schleife Wasser entzogen. Des Weiteren entzieht interstitieller Harnstoff dem absteigenden Teil der dünnen Henle Schleife Wasser. Die Wasserresorption im distalen Tubulus und Sammelrohr geschieht über Wasserkanäle, die unter dem Einfluss von ADH in die luminale Zellmembran eingebaut werden. Die Harnkonzentrierung ist eingeschränkt, wenn die Hyperosmolarität des Nierenmarks nicht aufgebaut werden kann oder wenn die Wasserpermeabiliät herabgesetzt ist: z.B. bei Gabe von + + Schleifendiuretika (In der dicken aufsteigenden Henle Schleife liegen Na -K -2Cl -Transporter, + Angriffspunkte für die Schleifendiuretika), Kaliummangel (bei intrazellulärem K -Mangel werden die + + + luminalen K -Kanäle verschlossen, die Aktivität des Na -K -2Cl -Transporters wird dadurch reduziert), proteinarmer Ernährung (durch Verringerung der Harnstoffzufuhr), Nierenentzündungen (Dilatation der Vasa recta, dadurch wird die Hyperosmolarität des Nierenmarks reduziert, osmotische Diurese (Diabetes mellitus), Diabetes insipidus (ADH Mangel oder ADH Resistenz). 4 2. Bestimmung der Nierenfunktion Ansprechpartner: Prof. Dr. Pavenstädt, [email protected] In den meisten klinischen Situationen reicht zur Abschätzung der Nierenfunktion eine Bestimmung der Kreatininkonzentration im Serum aus. Kreatin in Muskulatur nicht-enzymatische Wasserabspaltung ⇒ Kreatinin Bei 70 kg ca. 1 g/Tag Kreatininkonz. 1,0 mg/dl in der Zirkulation Kreatininkonz. 1 g/Tag im Urin Die Kreatininkonzentration eignet sich besonders gut zur Diagnose einer Nierenfunktionsstörung. Kreatinin wird durch einen nicht-enzymatischen Prozess in konstanter Menge aus der Muskulatur freigesetzt (ca. 1g/Tag) und frei filtriert (Abbildung 3). Allerdings muss man aufgrund der Beziehung zwischen Kreatininkonzentration und glomerulärer Filtrationsrate beachten, dass: 1. ein “geringer“ Anstieg der Kreatininkonzentration von 1,0 auf 1,5 mg/dl einen großen Abfall der glomerulären Filtrationsrate von ca. 120 auf 80 ml/min, ein relativ großer Anstieg des Kreatinins von 5 auf 10 mg/dl hingegen “nur“ einen Abfall der glomerulären Filtrationsrate von 24 auf 12 ml/min reflektiert (Abbildung 4). 2. ein alter Mensch mit geringer Muskelmasse bei “normaler Kreatininkonzentration” eine schon deutlich eingeschränkte glomeruläre Filtrationsrate haben kann (Abb. 4). 3. Das Kreatinin i.S. ist kein Frühmarker der renalen Schädigung, es gibt leider kein Troponin der Niere. Abbildung 3: Kreatinin : Synthese und Ausscheidung Kreatinin (mg/dl) Abbildung 4: Beziehung zwischen der glomerulären Filtrationsrate und der Serumkreatinin-Konzentration. Die offenen Kreise zeigen die Beziehung, die bestehen würde, falls Kreatinin ausschließlich durch glomeruläre Filtration sezerniert würde. Gestrichelte Linie: Grenzwert für den normalen Kreatininwert Gefüllte Kreise: Patientendaten Beachte: Variationen der GFR zwischen 60120 ml/min sind manchmal mit grenzwertigen Kreatininwerten assoziiert. Glomeruläre Filtrationsrate (ml/min) Bei Patienten mit einer Nierenerkrankung ist die Abschätzung der glomerulären Filtrationsrate zur Beurteilung der verbleibenden Nierenfunktion und des Krankheitsverlaufs wichtig. Die Bestimmung der Kreatininclearance ist ein guter Parameter zur Beurteilung der glomerulären Filtrationsrate: Kreatinin wird ausschließlich renal eliminiert und frei filtriert. Kreatinin wird zusätzlich im proximalen Tubulus sezerniert, wobei der sezernierte Anteil bei eingeschränkter Nierenfunktion größer wird. Daher weicht bei zunehmender Niereninsuffizienz die Kreatininclearance von der glomerulären Filtrationsrate nach oben ab. Es wird daher im Praxisalltag die Nierenfunktion mit Hilfe von etablierten Formeln berechnet: Besonders wichtig ist dies vor Gabe von Antibiotika: Dosisanpassung! 2 Normwert: > 90 ml/min/1.73 m 5 A. MDRD Formel: Eine neue verkürzte Formel zur Abschätzung der GFR wurde im Rahmen der Studie “Modification of diet in Renal Diseases“ (MDRD-Studie) validiert. Sie bestimmt die GFR aus Serumkreatinin, Alter, Rasse und Geschlecht. Die Abschätzung der GFR mithilfe der verkürzten MDRD-Formel gilt bei GFR Weten unter 60 ml/min als fast ebenso zuverlässig wie die Berechnung 2 der Kreatininclearance aus dem 24-Stunden-Urin. Bei Werten unter 20 ml/min/1,73 m kann es allerdings zu einer Überschätzung der GFR kommen. -1,154 -0,203 MDRD Formel: GFR = 186 x (Serumkreatinin) x (Alter) Bei Frauen wird der errechnete Wert mit 0,742 multipliziert. Im Internet lässt sich die “MDRD-GFR“ rasch berechnen: z.B. unter http://www.kidney.org/professionals/KDOQI/gfr.cfm (Bitte ausprobieren) Am UKM wird z.B. für jeden Patienten automatisch die geschätzte GFR im Labor bestimmt. B. Formel nach Cockroft und Gault: (140 – Alter) x kg (Körpergewicht) ____________________________ Serumkreatinin (mg/dl) x 72 Bei Frauen wird wegen der geringeren Muskelmasse mit dem Faktor 0,85 multipliziert. Welche Nierenfunktion hat eine 100 Jahre alte Frau mit einem Kreatinin von 2,0 mg/dl, die 50 kg wiegt. Bitte berechnen. C. Kreatininclearancebestimmung durch Urinmessungen Urinvolumen (ml/Tag) x Urinkreatininkonz. (mg/dl) ________________________________________ Plasmakreatininkonz. (mg/dl) x 24 x 60 (min/Tag) Nach dem 20. Lebensjahr nimmt pro Dekade die glomeruläre Filtrationsrate um ca. 5% ab! Hohe Proteinzufuhr (rohes Fleisch) erhöht bei Gesunden die Kreatininausscheidung! Limitationen der Kreatininclearance: Unterschätzung der GFR durch inkomplettes Sammeln Überschätzung der glomerulären Filtrationsrate bei eingeschränkter Nierenfunktion Wie sammelt man den Urin? Morgens: Blase entleeren, Sammelperiode beginnt Sammeln jeden Urins in ein Plastikgefäß Vor einem Stuhlgang Urin sammeln Nach genau 24 Stunden wird die Blase vollständig entleert Bestimmung der Kreatininkonzentration im Sammelurin und des Serumkreatinins Die Harnstoffkonzentration ist kein geeigneter Parameter für die Beurteilung der glomerulären Filtrationsrate: Die Harnstoffkonzentration im Serum hängt nicht nur von der glomerulären Filtrationsrate sondern auch von der Produktionsrate und der tubulären Resorptionsrate ab. Die Harnstoffproduktion ist z.B. erhöht bei gesteigerter Proteinzufuhr, Katabolismus und intestinalen Blutungen. 6 3. Die Urinuntersuchung: Ansprechpartner: Prof. Dr. Pavenstädt, [email protected] Die Urinuntersuchung ist eine wichtige Basisuntersuchung, zum Beispiel beim akuten Nierenversagen, glomerulären Erkrankungen und Infektionen. Der Spontanurin wird zunächst mit Hilfe eines Teststreifens untersucht. Zellen und Errgeger im Urin können am besten nach Zentrifugation des Urins im sogenannten Urinsediment beurteilt werden. Urinuntersuchung mittels Urin-Teststreifen und Mikroskopie des Sedimentes 1. 2. 3. 3. 4. 5. Frischen Mittelstrahlurin in ein Plastikgefäß schütten Teststreifen eintauchen und hiernach ablesen 10 ml Urin zentrifugieren: 3000 U/min für 5 Minuten Überstand abkippen, abtropfen lassen Sediment homogenisieren (Mit Pipette aufsaugen und ausblasen) 20 µl mit Pipette vom Sediment abnehmen und auf einen Objektträger bringen, Deckglas auflegen. 6. Mikroskopie mit 40er Objektiv und 10er Okular Teststreifen für die Urinanalytik Reaktionszone des Teststreifens enthält Indoxylester. Dieser wird durch Leukozyten Esterasen der Granulozyten gespalten. Indoxyl oxidiert zu Indigoblau. Erythrozyten Erythrozyten, Hämoglobin, Myoglobin werden nachgewiesen pH Normal zwischen 4,5-8. pH > 8: Infektion? Bei Patienten mit metabolischer Azidose sollte der pH < 5,3 sein. Falls nicht: Renal tubuläre Azidose? Glukose Positiv bei Diabetes mellitus, sehr selten: Defekt im proximalen Tubulus Ketone erhöht bei Ketoazidose Nitrit erhöht bei Harnwegsinfekt Proteinurie Normal bis 150 mg/Tag (darüber Proteinurie) Semiquantitativ (ca. ab einer Proteinurie von 300 mg/Tag, also relativ unsensitiv), detektiert vor allen Dingen Albumin, negativ bei Bence- JonesProtein. Die Albuminkonzentration im Urin ist abhängig von der Menge an Albumin und vom Urinvolumen. Dadurch wird z.B. bei einem Patienten mit erhöhter Proteinurie nach einer größeren Trinkmenge die Urinmenge erhöht und die Proteinkonzentration und damit die Reaktion des Stix reduziert. Mikroalbuminurie < 30 mg/Tag. Mikroalbuminurie: 30 – 300 mg/Tag Weitere Analysenmethoden im Urinüberstand Immunologisch Quantifizierung von Urinproteinen (Albumin, IgG, α1-Mikroglobulin) freie Leichtketten, Transferrin Das Urinsediment (siehe auch Abbildung 5) Erythrozyten Das Auftreten von extraglomerulären (glattwandigen Erythrozyten) deutet auf Blutungen hin. Dysmorphe Erythrozyten, vor allen Dingen Akanthozyten werden bei glomerulären Erkrankungen gesehen. Erythrozytenzylinder Pathognomonisch für akute Glomerulonephritis Leukozyten Weiße Zellen, Leukozytenzylinder: Hinweis auf Harnwegsinfekt Kristalle Treten oft auch bei gesunden Patienten auf. (Cave: Cystin-Kristalle (hexagonal) bei Cystinurie, einer angeborenen Erkrankung mit vermehrter Ausscheidung von Cystin und Bildung von Cystinsteinen). Epithelzellen Treten oft auch bei gesunden Patienten auf. Vermehrt bei einer Vielzahl von tubulären und glomerulären Erkrankungen. 7 Erythrozytenzylinder Eumorphe Erythrozyten Leukozyten Epithelzelle Akanthozyten (dysmorphe Erythrozyten) Epithelzellzylinder Abbildung 5: Befunde im Urinsediment Abklärung Proteinurie – Hämaturie Proteinurie: Unter einer Proteinurie versteht man eine Eiweißausscheidung von mehr als 150 mg Eiweiß pro Tag. Die normale Albuminausscheidung liegt bei unter 30 mg/Tag; eine Mikroalbuminurie liegt vor wenn zwischen 30 mg und 300 mg/Tag Albumin ausgeschieden wird. Dies entspricht einem Albumin/Kreatinin Quotienten (AKQ) von 30-300 mg/g. Zu beachten ist, dass eine Mikroalbuminurie oft in eine Proteinurie übergeht und dass eine Albuminurie ein wichtiger Riskofaktor sowohl für die Progression einer Nierenerkrankung als auch für kardiovaskuläre Ereignisse ist. Glomeruläre Proteinurie: Überlaufproteinurie: Tubuläre Proteinurie: Postrenale Proteinurie: Defekter glomerulärer Filter Vermehrt gebildetes und filtriertes niedermolekulares Protein (monoklonale Leichtketten), die Niere ist intakt. Verminderte Rückresorption im Tubulus (interstitielle Nephropathie, Fanconi Syndrom) Plasmaproteine, z.B. bei Blutung Management einer Proteinurie im Stix: Quantifizierung der Proteinurie im 24-Stunden Sammelurin oder im Spot Urin. Beim letzteren wird der Protein/Kreatinin Quotient im ersten Morgenurin gemessen. Es wird dabei angenommen, dass die tägliche Kreatininausscheidung 1g/Tag beträgt und das Verhältnis der ausgeschiedenen Eiweißmenge zur Kreatininkonzentration konstant ist. In der Tat konnte gezeigt werden, dass die 24-h Proteinausscheidung sehr gut mit der Protein/Kreatinin Ratio im Spoturin korreliert. 24 h Proteinmenge (g) 1 g Kreatinin = Protein im Spoturin (mg/dl) Kreatinin im Spoturin (mg/dl) Falls keine zusätzliche Hämaturie oder Einschränkung der Nierenfunktion vorliegt, spricht man von einer isolierten Proteinurie. Bei Verdacht auf eine primäre glomeruläre Erkrankung wird bei einer isolierten Proteinurie von < 1g/Tag normalerweise keine Nierenbiopsie durchgeführt. Bei erhöhter Proteinurie: Kreatininclearance (eGFR) und Ultraschalluntersuchung der Nieren: • Falls isolierte Proteinurie > 1 g/Tag und unter 1. genannte Umstände und Erkrankungen ausgeschlossen: Nierenbiopsie 8 • Falls isolierte Proteinurie < 1 g/Tag: Immunologische Verfahren zum Nachweis von höhermolekularen Proteinen (glomeruläre Proteinurie, z. B. Albumin, IgG, Transferrin) niedermolekularen Proteinen (tubuläre Proteinurie, z.B. beta2-Mikroglobulin) Normalerweise keine Nierenbiopsie • Falls Proteinurie > 1 g/Tag und/oder Kreatininanstieg Nierenbiopsie Hämaturie: Zunächst wird die Hämaturie im Urin-Stix nachgewiesen. Jeder postive Urin-Stix muss durch eine Urin-Sediment Untersuchung weiter abgeklärt bzw. bestätigt werden. 3 Fragen 1. Gibt es aus der Anamnese und der klinischen Untersuchung Hinweise auf eine Hämaturie? Menstruation, Tropenaufenthalt, Familiäre Nierenerkrankung, Dysurie bei Harnwegsinfekt, Steinanamnese, Prostataerkrankung (Diuresestop, nachlassender Harnstrahl?), Trauma? 2. Ist die Hämaturie extraglomerulär oder glomerulär? Extraglomerulär Glomerulär Urinfarbe Rot oder Rosa Rot, Cola-ähnlich Koagulation Möglich Nein Proteinurie < 500 mg/Tag Oft > 500 mg/Tag Erythrozyten Glatt Dysmorph Erythr.-Zylinder Nein Möglich 3. Ist die Hämaturie transient oder persistierend? Eine transiente Hämaturie kann bei bis zu 13% aller Frauen in der Postmenopause gefunden werden. Die Ätiologie ist unklar. Fieber, starke Anstrengungen und Traumata können eine Hämaturie verursachen. Praktisches Vorgehen Befund: Sediment negativ bei positivem Teststreifen: ⇒ Farbe des Blutserums untersuchen Serumfarbe rot ⇒ Hämoglobinurie, Serumfarbe normal ⇒ Myoglobinurie, rote Beete Auftreten von Dysmorphen Erythrozyten, eventuell mit Erythrozytenzylindern oder erhöhter Proteinurie aber keine Gerinnsel ⇒ Glomeruläre Erkrankung Falls dabei Kreatininkonzentration erhöht oder/und Proteinurie > 1 g/Tag: Nierenbiopsie durchführen Auftreten von eumorphen Erythrozyten ⇒ verschiede Ursachen möglich a. Harnwegsinfekt Procedere: ggf. Urinkultur und antibiotische Therapie b. Gerinnungsstörung Procedere: Thrombozyten, Quick, Partielle Thromboplastinzeit (PTT), Blutungszeit bestimmen c. Stein Procedere: Klinik, Ultraschall, in Verbindung mit Pyelographie, Computertomographie (CT) d. Tumor Procedere: Ultraschall, Zystoskopie, CT 9 Beim Auftreten von eumorphen Erythrozyten liegt wahrscheinlich eine extraglomeruläre Hämaturie vor. Oft wird keine Ursache gefunden. In ca. 13% der Fälle findet sich ein Infekt, in ca. 4% ein Nierensteinleiden, in ca. 13% ein Tumor. Um einen Tumor auszuschließen muss daher die Hämaturie weiter abgeklärt werden. Bei Patienten über 40 Jahren ist, da die Ultraschalluntersuchung oft einen Tumor “übersieht“, eine CT-Untersuchung oder i.v. Pyelographie sinnvoll. Bei Patienten unter 40 Jahren ist, da hier ein Tumor eine Rarität ist, zunächst eine metabolische Abklärung sinnvoll: Hyperkalziurie und Hyperurikosurie können eine Hämaturie induzieren, daher sollte die Calcium- und Uratausscheidung im 24-Sunden-Sammelurin bestimmt werden. Dysmorphe Erythrozyten Akanthozyten Proteinurie Abbildung 6: Glomeruläre versus extraglomeruläre Hämaturie Abklärung Proteinurie > 1g/die Extraglomeruläre Hämaturie und /oder Kreatininanstieg Nierenbiopsie Extraglomeruläre Hämaturie Sonographie abnormal Weitere Abklärung normal < 40 Jahre Hyperkalziurie Hyperurikosurie Alter > 40 Jahre i.v. Urogramm/CT negativ Abbildung 7: Abklärung einer extrarenalen Hämaturie: Jede Hämaturie sollte sonographisch abgeklärt werden. Da aber durch die Sonographie relativ häufig Tumore übersehen werden ist vor allen Dingen bei Patienten über 40 J. eine weitergehende Diagnostik sinnvoll. Bei jüngeren Patienten ist ein Tumor eine Rarität. normal Zystokopie Zytologie 10 4. Die Glomerulonephritiden Ansprechpartner: Prof. Dr. Pavenstädt, [email protected] Glomerulonephritiden sind entzündliche Erkrankungen des Glomerulums, die zum chronischen Nierenversagen führen können. Glomerulonephritiden können nach klinischen oder pathogenetischen Kriterien eingeteilt werden. I. Klinische Einteilung a. Asymptomatisch Der Patient hat eine Proteinurie < 3,5 g/Tag oder/und eine Mikrohämaturie b. Rapid progrediente Glomerulonephritis Der Patient kommt mit Hämaturie, Proteinurie < 3,5 g/Tag, rascher Abnahme der glomerulären Filtrationsrate bzw. Anstieg der Kreatininkonzentration im Serum (Notfall!) c. Nephrotisches Syndrom Der Patient hat Ödeme, Proteinurie > 3,5 g/Tag, Hypoalbuminämie < 3 g/dl, Hypercholesterinämie. Die Nierenfunktion ist oft noch normal. Dem nephrotischen Syndrom liegt eine Schädigung des Podozyten zugrunde. Der Podozyt umgibt mit seinen Fußfortsätzen die Kapillaren. Zwischen den Fußfortsätzen von benachbarten Podozyten bildet sich eine dünne Membran, die Schlitzmembran. Mutationen von Schlitzmembranproteinen führen zu hereditären Formen des nephrotischen Syndroms. Das nephrotische Syndrom ist durch das Verschwinden der Schlitzmembranen und der Verschmelzung der Podozyten-Fußfortsätze gekennzeichnet. Vor allen Dingen führen drei primär glomeruläre Erkrankungen zum Nephrotischen Syndrom: Die Minimal Change-Glomerulonephritis, die membranöse Glomerulonephritis und die fokal segmentale Glomerulosklerose (FSGS). Die primären Erkrankungen sind durch die selektive Schädigung des Podozyten gekennzeichnet. Das Nephrotische Syndrom kann aber auch im Rahmen von Systemerkrankungen auftreten (z.B. Diabetes mellitus, Amyloidose, Lupus Nephritis, usw.). Bei den Systemerkrankungen werden die Podozyten ebenfalls geschädigt; die Erkrankung ist aber nicht auf die Podozyten beschränkt. Zytokinfreisetzung? Unbekannte Mediatoren? Minimal Change FSGS Lokale Immunkomplexe Membranöse GN Abbildung 8: Podozytenschädigung und nephrotisches Syndrom Podozytenschädigung Nephrotisches Syndrom d. Chronische Glomerulonephritis Der Patient hat eine eingeschränkte Nierenfunktion, Hypertonie, Proteinurie und verkleinerte Nieren II. Pathogenetische Einteilung Glomerulonephritiden ohne Immunkomplexablagerungen Bei diesen Erkrankungen kommt es zu einer Schädigung der Podozyten durch noch unbekannte Faktoren. Folge ist eine Retraktion der Fußfortsätze der Podozyten mit daraus entstehender Proteinurie (Haupterkrankungen: Minimal Change Glomerulopathie, Fokal segmentale Glomerulosklerose). Die Patienten präsentieren sich meist mit einem Nephrotischen Syndrom. Glomerulonephritiden mit Immunkomplexablagerungen 11 Bei diesen Erkrankungen kommt es zu Immunkomplexablagerungen im Glomerulus. In Abhängigkeit von Ort bzw. Zelltyp, an denen sich Immunkomplexe ablagern, entstehen unterschiedliche klinische Syndrome (Abbildung 9). Podozyt Abbildung 9: Lokalisation von Immunkomplexen bei glomerulären Erkrankungen Endothel Endoth. 1,2: Subepitheliale Immunkomplexe unterhalb der Podozyten 3: Subendotheliale Immunkomplexe 4: Mesangiale Immunkomplexe 5: Anti-Glomeruläre-BasalmembranAntikörper MC MM = Mesangialzelle = Mesangiale Matrix a. Immunkomplexablagerungen unterhalb der Podozyten, auch als “subepithelial“ bezeichnet Z.B. bei der membranösen Glomerulonephritis: Durch die in situ Immunkomplexablagerungen kommt es zu einer Schädigung der Podozyten mit folgender Retraktion ihrer Fußfortsätze mit daraus entstehender Proteinurie. Die Patienten präsentieren sich meist mit einem Nephrotischen Syndrom. b. Immunkomplexablagerungen im Mesangium und/oder subendothelial Z.B. bei der IgA-Nephritis: Durch Ablagerungen von Immunkomplexen im Mesangium oder unterhalb des Endothels wird eine Entzündung und Proliferation der Mesangialzellen und des Endothels induziert, wodurch es klinisch überwiegend zu einer Hämaturie mit deformierten Erythrozyten, Erythrozytenzylindern (sogenanntes nephritisches Syndrom) kommt. Die Nierenfunktion kann in Abhängigkeit von der Entzündungsreaktion normal oder eingeschränkt sein. c. Autoantikörper gegen die glomeruläre Basalmembran Hierbei kommt es zur Bildung eines Autoantikörpers gegen die alpha-3-Kette des Kollagen-IV der glomerulären Basalmembran mit linearen Ablagerungen des Antikörpers entlang der Membran. Die Antibasalmembran-Antikörper-Glomerulonephritis ist eine Unterform der Rapid Progredienten Glomerulonephritis. Klinisch äußert sie sich in einer Hämaturie, Proteinurie (meist < 3 g/Tag) und einem raschen Abfall der glomerulären Filtrationsrate. Nephritisches Syndrom Nephrotisches Syndrom Klinische Präsentation Grad der glomerulären Entzündung bestimmt die Niereninsuffizienz: von asympt. Hämaturie bis Kreatininerhöhung Kreatininkonzentration evtl. noch normal, „asympt. Proteinurie“ oder Vollbild Urinsediment Aktiv (= Zellen) Inaktiv (wenige Erys, fat bodies, hyaline Zylinder) Proteinurie Gering > 3,5 g/dl Differenzierung: Nephrotisches versus nephritisches Syndrom 12 Im Folgenden werden 6 wichtige primäre Glomerulonephritiden besprochen. I. Die Minimal Change Glomerulonephritis ist histopathologisch durch eine normale Lichtmikroskopie und Immunfluoreszenzmikroskopie charakterisiert. In der Elektronenmikroskopie findet sich eine Retraktion der Fußfortsätze der Podozyten (Abbildung 10). In 20% der Fälle ist die Erkrankung im Erwachsenenalter Ursache eines Nephrotischen Syndroms. Sie kann sekundär im Rahmen von Allergien, Morbus Hodgkin, Lymphomen und nach Einnahme nichtsteroidaler Antirheumatika auftreten. Abbildung 10: Minimal Change GN Lichtmikroskopie: Die Kapillarlumen sind offen, die glomeruläre Basalmembran (langer Pfeil) und die tubuläre Basalmembran (kleiner Pfeil) sind gleich dick. Die Mesangiumzellen (2 Pfeile) sind im Zentrum der Kapillare lokalisiert. Normale Niere Elektronenmikroskopie: Normale Fußfortsätze (FP) Minimal Change GN Elektronenmikroskopie: Einziehung der Fußfortsätze (Pfeil) Pathogenese: Nicht genau geklärt. Es wird vermutet, dass Zytokine, die durch aktivierte Lymphozyten freigesetzt werden, die Podozyten schädigen. Klinik: Nephrotisches Syndrom, selten Hämaturie (10%), sehr selten akutes Nierenversagen. Prognose: Sehr gute Langzeitprognose aber hohe Rezidivrate (ca. 30%) Komplikationen des Nephrotischen Syndroms: Thrombose, Lungenembolie (Mechansimus nicht gut verstanden, Überwiegen der prokoagulatorischen Proteine) Infektionen (Vermehrte Immunglobulinausscheidung, etc.) Hypovolämie (Flüssiggeitsshift ins Interstitium) Akutes Nierenversagen (selten) 13 Therapie: 1. Allgemeine Basis-Therapiemaßnahmen beim Nephrotischen Syndrom: ► Einsatz von Schleifendiuretika bei symptomatischer Überwässerung ► Reduktion der Kochsalzzufuhr (< 5 g NaCl-Zufuhr/Tag) ► Einsatz eines ACE-Hemmer bzw. bei Unverträglichkeit eines Angiotensin-II-Rezeptorblockers ► Zusätzliche antihypertensive Therapie, falls keine normotensive Situation (Ziel-RR 125/75 mmHg) unter der ACE-Hemmertherapie erreicht wird ► Statingabe bei Hyperlipidämie ► Antikoagulation bei Albumin i.S. < 2g/dl ► Nikotinabstinenz 2. Spezifische Therapie der Minimal Change GN: 1. Gabe von Prednison, 1 mg/kg Körpergewicht. 2. Osteoporoseprophylaxe beachten: Calcium 1000 mg/die + Vitamin D 500 IU/die Knochendichtemessung, ggf. Bisphosphonate 3. Nach Remission (Sistieren der Proteinurie): Fortführen der Prednisontherapie über 4 Wochen, dann mit halber Dosierung für 1 - 2 Monate. Beim ersten Rezidiv: Wiederholung der Therapie Bei Steroidresistenz (kein Ansprechen nach 16 Wochen) oder häufigen Rezidiven (> 2 Rezidive /6 Monate): Rebiopsie erwägen. Therapie: Cyclosporin A, initial 5 mg/kg Körpergewicht für 12 Monate oder Cyclophosphamid: 2 mg/kg Körpergewicht für 12 Wochen. Mögliche Nebenwirkungen der Cyclophosphamidtherapie: 3 Leukopenie (cave: Dosierungsanpassung nach Leukozytennadir, nicht unter 3000 Leukozyten/mm ), hämorrhagische Zystitis, Sterilität!, Spätentwicklung von Malignomen. Daher ist eine schriftliche Aufklärung des Patienten notwendig! Bei Patienten sollte Samen asserviert werden. Patientinnen sollten vor der Therapie gynäkologisch untersucht und beraten werden. Ein Therapie mit GnRH Analoga (3.75 mg D-TRP6-GnRH-a i.m. einmal pro Monat) ist zur Prophylaxe der Infertilität indiziert II. Bei der fokal segmentalen Glomerulosklerose (FSGS) kommt es in einzelnen Glomerula (fokal) histopathologisch zu einem entzündlichen Umbau von zunächst einem Teil der Kapillarschlingen (segmental) (Abbildung 11). Es ist zunächst eine deskriptive Diagnose – keine Krankheitsentität Einteilung: Idiopathisch; akutes Nephrotisches Syndrom Familiär/genetisch (Mutationen der Schlitzmembranpoteine) Viral (HIV, Parovirus B-19, CMV) Med./Drogen (Heroin, Interferon α, Litium, Pamidronat, Siroli.) Bei anderen Glomerulonephritisformen Sekundär bzw. Adaptiv (5/6 Nephrektomie, Hypertonie, Adipositas) Meist kein nephrotisches Syndrom Langsam ansteigende Proteinurie Fokale Fußfortsatzverschmelzung Normoalbuminämie (>3.5 g/dl) Abbildung 11: FSGS Initiale Phase: Das linke Glomerulum ist intakt. Das rechte Glomerulum ist vergrößert und zeigt zwei FSGS Herde. 14 Pathogenese: Nicht genau geklärt. Im Blut zirkulierende Faktoren schädigen die Podozyten. Zirkulierende Mediatoren Hypertonie, Gene reversibel Schädigung des Podozyten Albuminurie/Proteinurie Ablösung/Apoptose irrreversibel Missfiltration Kapilläre Expansion FSGS Abbildung 12: Pathogenese der FSGS Klinik: Nephrotisches Syndrom (70%), Hämaturie (30%), Hypertonie (50%), eingeschränkte Nierenfunktion (25%) Prognose: Sie ist abhängig von der Proteinurie: Proteinurie zwischen 3 und 10 g/Tag: 50% der Patienten entwickeln eine Niereninsuffizienz nach 6 - 8 Jahren Proteinurie < 3 g/Tag: Ausreichende Nierenfunktion nach 10 Jahren bei 80% der Patienten Rezidiv nach Nierentransplantation bei ca. 30% der Patienten. Therapie: A. Allgemeine Basis-Therapiemaßnahmen, siehe Seite 14. B. Primäre FSGS: Initiale Therapie mit Prednison, 1 mg/kg Körpergewicht für bis zu 4 Monate. Hiernach: Gabe von Prednison, 0,5 mg/kg Körpergewicht für 2 Monate. Erfolg der Therapie bei nur ca. 60% der Patienten. Bei Nichtansprechen nach 4 Monaten (Steroidresistenz): Gabe von Cyclosporin, 3-4 mg/Tag. Der Therapieeffekt setzt manchmal erst nach 2 - 3 Monaten ein. Alternativen: FK506, Mycophenolat Mofetil, Rituximab ( alle nicht durch Studien gesichert) Bei Steroidabhängigkeit (Wiederauftreten des Nephrotischen Syndroms beim Tappern der Prednisondosis): Cyclosporin oder Cyclophosphamid 2 mg/kg/Tag für 8-12 Wochen. Sekundäre FSGS: Keine immunsuppresive Therapie! Therapie der Grunderkrankung, Blutdrucksenkung, ACE Hemmer III. Die membranöse Glomerulonephritis ist eine Immunkomplexnephritis, bei der es zur lokalen Bildung von Immunkomplexen unterhalb der Podozyten (subepithelial) kommt (Abbildung 13). Sie ist in ca. 30% der Fälle Ursache für ein Nephrotisches Syndrom im Erwachsenenalter. Man unterscheidet eine idiopathische membranöse Glomerulonephritis (80%) von einer sekundären Form (20%), hauptsächliches Auftreten bei Tumoren, Infektionen: Malaria, Hepatitis C u. B., Syphillis, Schistosomiasis Autoimmunerkarnkungen: Sarkoidose, M. Crohn, Lupus erythematodes, rheumatoide Arthritis, Hashimoto-Thyreoiditis, Dermatomyositis, ankylosierende Spondylitis. Medikamente: Captopril, Penicillamin, Gold, NSAR.Toxine: Formaldehyd 15 Abbildung 13: Die membranöse Glomerulonephritis: (Lichtmikroskopie) Verdickung der glomerulären Basalmembran (lange Pfeile) im Vergleich zur tubulären Basalmembran (kurzer Pfeil), Zellzahl normal, Areale mit mesangialer Expansion (Sternchen). Immunfluoreszenz; Granuläre IgG-Ablagerungen entlang der glomerulären Basalmembran sind durch Immunfluoreszenz markiert. Elektronenmikroskopie: Unterhalb des Podozyten sind Immunkomplexe (D = Dense deposit) und eingezogene Fußfortsätze zu erkennen. Pathogenese: Es kommt zu einer lokalen Antigen-Antikörperreaktion unterhalb der Podozyten. Das liegt dabei auf den Podozyten. Kürzlich konnte gezeigt werden, dass ca. 70% der Patienten mit primärer membranöser Glomerulonephritis Autoantikörper gegen den M-Typ Phospholipase A2 Rezeptor haben. Durch die Bildung von Antikörperkomplexen unterhalb der Podozyten wird lokal das Komplementsystem aktiviert, deren Faktoren von den Podozyten aufgenommen werden. Komplementfaktoren, in erster Linie C5b-9, schädigen die Podozyten durch die Freisetzung von Sauerstoffradikalen und Entzündungsmediatoren, die die darunterliegende Basalmembran und den Podozyten selbst schädigen. Es kommt zur Proteinurie. Klinik: Alter der Patienten > 30 Jahre (80 - 95%), Männer (70%) - Frauen (30%), Nephrotisches Syndrom (80%), asymptomatische Proteinurie (20%), Hypertonie (30%), Mikrohämaturie (50%), Kreatinin > 2 mg/dl (10%), normale Komplementspiegel (lokale Bildung), relativ häufig thrombotische Komplikationen (Nierenvenenthrombose). Prognose: Patienten, die nicht nephrotisch sind, haben eine sehr gute Prognose (< 5% entwickeln eine Niereninsuffizienz). ca. 30% der Patienten entickeln nach 1-2 Jahren eine komplette oder partielle Remission des Nephrotischen Syndroms. Von den Patienten mit einem Nephrotischen Syndrom sind aber nach 10 Jahren ca. 40% dialysepflichtig. Daher ergibt sich folgende Herausforderung: Unnötige Behandlung, da 30% Spontanremission versus längerfristige Gefahr der Niereninsuffizienz und Komplikationen ohne Behandlung Therapie: 1. Kein Nephrotisches Syndrom: Kontrollen, keine Therapie aufgrund einer guten Prognose. 2. Nephrotisches Syndrom: 6 Monate Beobachtungsphase, da Spontanremissionen beobachtet werden. Hier nur Allgemeine Basis-Therapiemaßnahmen (S. 14). Falls ein Nephrotisches Syndrom (Eiweißausscheidung > 4 g/Tag) mehr als 6 Monate persistiert und/oder es zu einem Kreatininanstieg kommt (Alarmzeichen) ist eine immunsuppressive Therapie indiziert. Ziel: Rückgang der Proteinurie, Erhalt der Nierenfunktion: Komplette oder partielle Remission (Porteinurie < 3 g/Tag), auch hierunter schon verbesserte renale Prognose. Therapie nach Ponticelli: Für 6 Monate: 1., 3. und 5. Monat: Methylprednisolon i.v., 1 g/Tag für 3 Tage, hiernach Prednison, 0,5 mg/kg/Tag p.o. für 27 Tage. 2., 4. und 6. Monat Cyclophosphamid, 2 mg/kg/Tag oral. Alternativ und bei Nichtansprechen oder schlechter Toleranz: Cyclosporin, 3-4 mg/kg Körpergewicht (Siegel ca. 125 ng/ml), initial mit Prednison, 1 mg/kg alle 2 Tage. 3. Alternative: Rituximab (CD20 Antikörper), 2x1 g über 2 Wochen, Erfolgschance: ca. 50% 16 IV. Die IgA-Nephritis ist die häufigste Glomerulonephritisform. Sie ist erkennbar durch einen immunfluoreszenzoptischen Nachweis von IgA-Ablagerungen im Mesangium (Abbildung 13). Allerdings kann es auch zu Ablagerungen von IgG, IgM und C3 im Mesangium kommen. In der Lichtmikoskopie sieht man eine segmentale oder diffuse mesangiale Hyperzellularität. Segmental betonte Verbreiterung des Mesangiums mit Hyperzellularität (Pfeile) bei der IgA-Nephritis Immunfluoreszenzoptischer Nachweis von IgA-Ablagerungen im Bereich des Mesangiums Abbildung 13: Die IgA Nephritis Pathogenese: Bei der IgA-Nephritis kommt es zu einer gestörten Bildung von IgA1 im Knochenmark und in der Mucosa der Schleimhäute. IgA1 besitzt O- und N-Glykosylierungen. Durch eine falsche Glykosilierung kann IgA1 eine höhere Bindungsaffinität zum Mesangium bekommen und einen Defekt in der Clearance von IgA1 in der Leber auslösen. In der Blutbahn zirkulierende IgA1 enthaltende Immunkomplexe lagern sich dann im Mesangium ab. Bei Bindung von IgA1 an Mesangialzellen kommt es zu Schädigung der Zellen: Entzündungsmediatoren und Zytokine, wie z.B. der „platelet derived growth factor“, werden freigesetzt. Es kann dann mit oder ohne vorausgehender Mesangiolyse zu einer Mesangialzellproliferation kommen. Diese kann wieder ausheilen oder in eine Glomerulosklerose übergehen. Klinik: Sehr variabel. Ca. 40% der Patienten haben eine asymptomatische Mikrohämaturie (Zufallsbefund). Ca. 30 - 40% der Patienten (meist < 40 Jahre) bekommen eine rekurrierende Hämaturie, die vor allen Dingen 2 - 3 Tage nach einer Infektion des oberen Respirationstraktes auftritt. 5% der Patienten präsentieren sich mit einem Nephrotischen Syndrom. 5% der Patienten erscheinen mit einem akuten Nierenversagen. 10 - 20% der Patienten präsentieren sich mit einer chronischen Niereninsuffizienz, vermutlich durch eine länger bestehende IgA-Nephritis. Prognose: Innerhalb von 20 Jahren entwickeln ca. 20 - 30% der Patienten mit IgA-Nephritis eine Niereninsuffizienz. Ein erhöhtes Kreatinin oder/und eine Proteinurie von > 1 g/Tag oder/und eine Hypertonie sind schlechte Prognosefaktoren. Therapie: 1. Normale Nierenfunktion, isolierte Mikrohämaturie, minimale Proteinurie: Keine Therapie, Kontrolle alle 6 Monate Allgemeine Basis-Therapiemaßnahmen: Nikotinabstinenz, Analagetika meiden Proteinurie > 500 mg/Tag: Kochsalzarme Diät, Blutdruckeinstellung, ACE Hemmer, Nikotinabstinenz, Analagetika meiden, Aggressive Blutdruckeinstellung mit einem ACE-Hemmer oder AT1 Antagonisten (Ziel RR: 125/75 mmHg). Bei persistierender Proteinurie > 1 g über 6 Monate trotz ACE Hemmer-Therapie und einer nur moderaten Einschränkung der GFR (Kreatinin ≤ 1,5 mg/dl) ist die Therapie mit Kortikosteroiden nach dem Pozzi-Schema ratsam: Methylprednisolon: 1g i.v. im 1., 3. und 5 Monat Prednison: 0,5 mg/kg jeden 2. Tag für 6 Monate. Die Indikation für diese Therapie wird gerade in Studien geprüft. 2. Akutes Nierenversagen bzw. rascher Anstieg der Kreatininkonzentration: Prednison, 40 mg/Tag und zusätzlich Cyclophosphamid, 1,5 mg/kg Körpergewicht/Tag für 3 Monate, hiernach Azathioprin, 1,5 mg/kg Körpergewicht für 2 Jahre 17 V. Die membranoproliferative Glomerulonephritis (Synonym: mesangiokapilläre Glomerulonephritis) Die MPGN wird nach ihren typischen lichtmikroskopischen Zeichen definiert: Verdickung der glomerulären Basalmembran durch Ablagerung von Immunkomplexen oder mesangialer Matrix zwischen GBM und Endothelzellen („membrano-“) bis hin zu Doppelkonturierungen der GBM („tram tracks“) sowie mesangiale Hyperzellularität („-proliferativ“), die zu einem lobulierten Erscheinungsbild des glomerulären Kapillarknäuels führen kann. Eine MPGN ist mithin grundsätzlich eine biopsiebasierte Diagnose, bei der zur Subspezifizierung immer auch eine elektronenmikroskopische Untersuchung erforderlich ist (Abb. 14). Formen: Die MPGN kann sowohl als primäre, idiopathische als auch als sekundäre GN-Form auftreten. Diese können lichtmikroskopisch nicht voneinander unterschieden werden. Auftreten der primären MPGN vorwiegend im 8.-30. LJ (70% in zweiter Lebensdekade). Sekundäre MPGN-Formen gehen in der Regel auf Erkrankungen zurück, die zur Ablagerung von Immunkomplexen führen. Ursache Infektionen Autoimmunerkrankungen Dysproteinämien Chron. Lebererkrankungen Thrombotische Mikroangiopathien Malignome Genetische Ursachen Beispiele HCV mit Kryoglobulinämie, HBV, Shunt-Infekt, chronische Abszesse, ... SLE, RA, M. Sjögren Kryoglobulinämie, M. Waldenström, Paraproteine jegliche Ätiologie HUS/TTP, Sichelzellanämie, AntiphospholipidAntikörper-Syndrom B-Zell-Lymphome, CLL, Melanome, Nierenzell-Ca α1-Antitrypsinmangel, hereditäre Komplementdefizienz Pathogenese: Nach derzeitiger Vorstellung spielt für die MPGN Typ I die Ablagerung von Immunkomplexen eine wichtige ätiologische Rolle. Diese führen zur Aktivierung von Komplement über den klassischen Weg mit nachfolgender Hypokomplementämie. Komplementaktivierung führt zur Freisetzung von chemotaktischen Faktoren mit nachfolgender Akkumulation von Plättchen und Leukozyten. Zelluläre Aktivierung führt zu lokaler Schädigung, mesangialer Proliferation und Matrixexpansion. Demgegenüber wird die MPGN Typ II (DDD) auf die kontinuierliche Überaktivierung des alternativen Komplementaktivierungsweges zurückgeführt. Hier sind mehrere pathogenetische Faktoren identifiziert worden: u.a. (1) ein C3-Nephritischer Faktor (C3NeF), (2) eine fehlende oder veränderte Aktivität von Faktor H (CFH), der die C3-Convertase des alternativen Komplementwegs blockiert, oder (3) seltenere Ursachen wie eine mutierte Faktor H-Bindungsstelle oder C3Autoantikörper. Für die MPGN Typ III wird eine ähnliche Pathogenese wie für die MPGN Typ I angenommen. Hier führen allerdings weitere, bisher wenig verstandene Faktoren zur zusätzlichen Ablagerung von Immunkomplexen in den subepithelialen Raum. Neuere Untersuchungen weisen zusätzlich auf die Rolle von angeborenen Immunmechanismen wie den toll-like receptors als Regulatoren der Ablagerung von Immunkomplexen hin. Bei den sekundären MPGN-Formen spielen Kryoglobuline vom Typ II oder III eine wichtige Rolle. Abbildung 14: Membranoproliferative Glomerulonephritis, Typ 1: Lichtmikroskopie: Verdickung der Kapillaren mit Doppelkonturen (lange Pfeile) und Arealen mit fokaler Zellproliferation (kurzer Pfeil). (Bitte vergleichen mit Lichtmikroskopie bei Minimal Change Glomerulonephritis) Elektronenmikroskopisches Bild einer Mesangialzelle, die sich zwischen Endothel und glomeruläre Basalmembran geschoben hat. Dadurch kommt es zur Doppelkontur. 18 Klinik: Variabel. Nephrotisches Syndrom (10-20%), asymptomatische Proteinurie (30%), Hämaturie (8-10%), akutes Nierenversagen (15%), Erhöhung der Kreatininkonz. (20%), Hypertonie (20%). Labor: Nicht zuletzt aufgrund der variablen klinischen Präsentation ist die MPGN eine histologische Diagnose. Die weitere Diagnostik gilt dem Ausschluss bzw. der Sicherung sekundärer Formen. Ein wichtiger diagnostischer Hinweis ist der Nachweis einer Komplementaktivierung, die nachfolgenden Laborkonstellationen sollen dabei nur als Anhalt dienen: Bei Typ I findet sich häufig eine Panhypokomplementämie (Erniedrigung von C3, C4, C5), bei Typ II (DDD) meist nur ein erniedrigtes C3 als Hinweis auf die Aktivierung des alternativen Wegs, bei Typ III ein erniedrigtes C3 oder C5 bei meist normalem C4. Neben der Komplementdiagnostik empfiehlt sich bei DDD eine C3NeF-Diagnostik sowie ein Mutationsscreen auf CFH. Therapie: Bei Vorliegen einer sekundären MPGN: Behandlung der Grundkrankheit. Primäre MPGN: Gute kontrollierte Studien fehlen weitgehend. Versuch mit Prednison 2 mg/kg jeden 2. Tag übder 3-4 Monate, danach langsam tappern. Kombinationstherapie. Dipyridamol (75 mg) und Aspirin (500 mg). Bei der DDD haben Prednison und Calcineurin-Inhibitoren keinen günstigen Effekt. Die neueren pathophysiologischen Erkenntnisse zur DDD (vgl. oben) führen zu derzeit noch als © experimentell zu wertenden neuen Therapieansätzen: Eculizumab (Soliris ): Antikörper gegen C5, © Rituximab (Mabthera ): Antikörper gegen CD20 (nur bei Pat. mit Nachweis von C3NeF, C3-Verbrauch und fehlender CFH-Mutation), Plasmapherese (nur bei Pat. mit Nachweis von C3NeF, C3-Verbrauch und fehlender CFH-Mutation), Plasmainfusion: 10-15 ml/kg KG FFP alle 14 Tage (bei inaktivierenden CFH-Mutationen, evtl. auch bei Risikoallelen. Cave Volumenbelastung) Prognose: 5 Jahre nach Diagnosestellung sind 50%, nach 10 Jahren ca. 65% der Patienten entweder verstorben oder benötigen ein Nierenersatzverfahren. Bei MPGN Typ II (DDD) entwickelt sich häufiger eine terminale Niereninsuffizienz. VI. Die Poststreptokokkenglomerulonephritis ist eine akute und meist reversible Immunkomplexglomerulonephritis, die nach einem symptomfreien Intervall ca. 2 - 3 Wochen nach einem Streptokokkeninfekt der Gruppe A auftritt. Abbildung 15: Die Poststreptokokkenglomerulonephritis Lichtmikroskopie: Diffuse, exudativ proliferierende Glomerulonephritis. Die Glomerula sind so zellreich (Pfeil), dass man kaum offene Glomerulalumen sieht (Vergleiche bitte mit normaler Lichtmikroskopie bei der Minimal Change Glomerulonephritis). Elektronenmikroskopie: Unterhalb der Podozyten (subepithelial) sind sogenannte Humps (Immunkomplexe, siehe Pfeil) zu erkennen Pathogenese: Es kann bei der Poststreptokokkenglomerulonephritis zu subepithelialen oder subendothelialen Immunkomplexablagerungen kommen (Abbildung 15). Durch subendotheliale Immunkomplexablagerungen wird das Komplementsystem aktiviert und es wandern Entzündungszellen in das Glomerulum ein. Hierbei werden Mediatoren ausgeschüttet, die eine proliferative Glomerulonephritis induzieren, die zu einer Erythrozyturie (aktives Sediment) und einem variablen Abfall der Nierenfunktion führen. Die subendothelialen Immunkomplexe werden von den Makrophagen rasch wieder abgebaut, wodurch es zur Abheilung kommt. Die subepithelialen Immunkomplexe schädigen die Podozyten, es entsteht eine Proteinurie. Da sich diese Immunkomplexe nicht innerhalb des Blutkreislaufs befinden, dauert es länger, bis sie abgebaut 19 werden. Daher bleibt die Proteinurie auch nach Wiederherstellung der Nierenfunktion noch länger (bis zu 2 Jahren) bestehen. Klinik: Hämaturie, Proteinurie, Hypertonie, variable Einschränkung der Nierenfunktion, Konzentration der Komplementfaktoren erniedrigt, ggf. Enzephalopathie (vor allen Dingen bei Kindern) Serologie: Antistreptolysin-O-Titer und Antidesoxyribonuclease-Titer erhöht. Prognose: Die Poststreptokokkenglomerulonephritis heilt meist aus. Sehr selten kann sich eine rapid progrediente nekrotisierende Glomerulonephritis mit Halbmondbildung entwickeln. Therapie: Konservativ: Ampicillin, 4 x 2 g/Tag über 14 Tage, Blutdruckeinstellung, Diuretika, ggf. vorübergehend Dialysetherapie. Bei Auftreten einer Rapid Progredienten Glomerulonephritis mit einer extrakapillären Proliferation von mehr als 50% der Glomerula: Prednison und Cyclophosphamid. 20 5. Management von Ödemen Ansprechpartner: Prof. Dr. Pavenstädt, [email protected] Ödeme sind palpable Schwellungen, die durch Ausdehnung des interstitiellen Volumens zustande kommen. Erst bei einer Zunahme des interstitiellen Volumens von mehr als 3 Litern kommt es zu einem Ödem. Ursache von Ödemen Erhöhter Kapillardruck Herzinsuffizienz, Leberzirrhose, Nierenerkrankungen Verminderter kolloidosmotischer Druck Nephrotisches Syndrom, Enteropathie, Leberzirrhose Erhöhte KapillarPermeabilität Verbrennung, Trauma, Sepsis, Diabetes mellitus Erhöhter interst. Onkotischer Druck Lymphknotenerkrankungen, Hypothyreose Zunächst Auschluss kardialer, hepatischer, nephrologischer Ursachen Daher zunächst klinische Fragen: Herzinsuffizienz: Belastungsdyspnoe? Flach liegen? Nykturie? Leberzirrhose: Aszites? Ikterus? Hautveränderungen? Gynäkomastie? Labor: Bilirubin, Quick, Thrombozytopenie Nephrotisches Syndrom: Schäumender Urin? Urinstix Proteinurie Hypoalbuminämie Primärtubulärer Defekt Kolloidosm. Druck ↓ Plasmavolumen ↓ ADH ↑ Renin-Angiotensin-System (RAS), Aldosteron↑ ANP↓ Salzretention ↑ Wasserresorpt. ↑ Ödeme Abbildung 16: Pathophysiologie der Ödementstehung 21 Therapie der Ödeme Eine Kochsalzrestriktion (< 6 g/Tag) ist oft sinnvoll und wird oft vergessen. Ödeme beim Nephrotischen Syndrom und Ödeme bei einer fortgeschrittenen Niereninsuffizienz werden initial mit einem Schleifendiuretikum behandelt. Ggf. kann die zusätzliche Gabe eines Thiaziddiuretikums sinnvoll sein: sequenzielle Nephronblockade. Bei einer Leberzirrhose werden Ödeme bei Patienten mit einer Kreatininclearance > 50 ml/min zunächst mit Spironolakton behandelt (einschleichende Dosierung, 50 mg, maximal bis 400 mg/Tag). Ggf. kann ein Thiaziddiuretikum (25 – 50 mg) zusätzlich gegeben werden. Bei einer Kreatininclearance < 50 ml/min sollte mit einem Schleifendiuretikum therapiert werden. Bei einer milden Herzinsuffizienz können Ödeme mit einem Thiaziddiuretikum therapiert werden. Wurde eine schwere Herzinsuffizienz diagnostiziert, ist die Gabe eines Schleifendiuretikums in Kombination mit Spironolakton sinnvoll. Es werden hauptsächlich 3 Diuretikatypen eingesetzt: Schleifendiuretika, Thiaziddiuretika und kaliumsparende Diuretika. Wirkmechanismen der Diuretikahauptgruppen Typ Wirkungsort- und weise % filtriertes Na Schleifendiuretikum Dicke aufsteigende Henlesche Schleife. Inhibierung des Na-K-2Cl-Transportes 30 – 35 Thiaziddiuretikum Distaler Tubulus Inhibierung des Na-Cl-Kotransporters 5 K-sparendes Diuretikum Sammelrohr Hemmung luminaler Na-Kanäle 4 Was ist die Konsequenz einer Diuretikatherapie? Das effektive zirkulierende Volumen wird reduziert. Dies kann in einigen Fällen die Organperfusion signifikant reduzieren, z.B. bei Patienten mit einem sehr niedrigen effektiv zirkulierenden Volumen (z.B. schwere Herzinsuffizienz) oder bei einer Überdosierung von Diuretika. Daher unter der Therapie immer Gewichtskontrollen durchführen! Eine adäquate Gewebeperfusion unter Diuretikatherapie kann z.B. durch Bestimmung der Plasmakreatininkonzentration erfolgen. Ein Anstieg des Kreatininwertes zeigt an, dass weitere Flüssigkeitsauschwemmungen vermieden werden sollten. Unter stationären Bedingungen sollte eine Thromboseprophylaxe erfolgen. Wann und wie schnell müssen Ödeme behandelt werden? Das Lungenödem und das Hirnödem sind die einzigen Ödemformen, die rasch behandelt werden müssen. Bei allen anderen Formen sollte die Ödemausschwemmung langsam erfolgen (ca. 0,5 - 1 l/Tag). Wie werden Schleifendiuretika bei der Ödemtherapie dosiert? Die initiale Furosemiddosis liegt bei Patienten mit normaler Nierenfunktion bei 20 - 40 mg Furosemid i.v. Die Effektivität ist bei Patienten mit Herzinsuffizienz, fortgeschrittener Leberzirrhose, Niereninsuffizienz und Nephrotischem Syndrom erniedrigt (Gründe: Erniedrigte renale Perfusion und damit weniger Diuretikawirkung in der Niere, Natriumretention hormonell erhöht, fehlendes Albumin zur Bindung). Bei einer chronischen Niereninsuffizienz müssen die Dosen in Abhängigkeit von der Kreatininkonzentration verdoppelt bis verdreifacht werden. Bei oraler Gabe von Furosemid muss die Dosis verdoppelt werden, da Furosemid bei oraler Gabe nur eine Bioverfügbarkeit von 50% hat. Im Vergleich zu Furosemid hat Torasemid eine bessere orale Bioverfügbarkeit. 22 i.v. Diuretikadosen Furosemid Torasemid 40 mg 10 - 20 mg Herzinsuffizienz 40 - 80 mg 20 - 50 mg Nephrotisches Syndrom 120 mg 50 mg Leberzirrhose Beachte: Solange die Dosis des Diuretikums konstant ist und die Ernährung nicht verändert wird, stellt sich ein neues und stabiles Flüssigkeitsgleichgewicht ca. 3 Wochen nach Therapiebeginn mit Diuretika ein. Elektrolytstörungen treten meist in den ersten 3 Wochen der Therapie auf. Nebenwirkungen der Diuretika • • • • • • • • • • • • Allergische Reaktion Volumenmangel Ototoxizität (Furosemid) Hypokaliämie Hyponatriämie (Thiazide) Hypomagnesiämie Hyperurikämie Metabolische Alkalose Azotämie Fett/Glucosestoffwechselstörungen Thiazide: Calciumrückresorption Furosemid: Calciumausscheidung Zusammenfassung Management Ödemtherapie ♦ Kochsalzrestriktion < 5 g/Tag ♦ Diuretika: Dosisbeginn (mg/Tag): Spironolakton: 50 mg oral Thiazid: 25 – 50 mg oral Furosemid: 40 mg i.v. (80 mg oral), Dosis verteilen: z.B. 1-1-0 ♦ Bei fehlendem Ansprechen: Schrittweise Erhöhung der Dosis z.B. von Furosemid bis zu 250 mg i.v. (500 mg oral) oder kontinuierlich über Persusor ggf. zusätzliche Gabe eines Thiaziddiuretikums ♦ Verlaufskontrollen: Blutdruck, Puls, Bilanzierung, tägliche Gewichtskontrolle Laborparameter: Elektrolyte, Kreatinin, bei kontinuierlicher Gabe von Diuretika zusätzlich Harnsäure, Blutzucker und Cholesterin einmal pro Jahr kontrollieren ♦ Thromboembolieprophylaxe in der Klinik ♦ Nebenwirkungen beachten 23 6. Elektrolytstörungen: Hypo- und Hypernatriämie Ansprechpartner: Prof. Dr. Pavenstädt, [email protected] I. Hyponatriämie Zustand, bei dem es zu einem relativen Exzess von Wasser kommt (meist zuviel an Wasser, nicht + zuwenig Na ! Die meisten extrazellulären Osmolyte sind Natriumsalze. Die Serumosmolalität + entspricht ungefähr 2 x Serum [Na ]. + + Die Na -Konzentration im Serum (Na i.S.) repräsentiert dabei den Wasserstatus und nicht den + + Salzstatus! Es besteht keine Relation zwischen Na i.S. und Na i.U. + Na i.U. wird reguliert durch das Extrazellularvolumen (bei intakter Nierenfunktion) + Volumendepletion: Na i.U. niedrig, + Volumenüberladung: Na i.U. hoch. Der Wasserhaushalt (Wasseraufnahme und -ausscheidung) wird reguliert durch Durst und ADH: Osmolalität steigt: Durstempfinden plus ADH hoch, Osmolalität sinkt: ADH wird gehemmt. Wasserbelastung S-Osmolal WasserADH Wasserdiurese entzug S-Osmolal ADH Antidiurese, Durst Ursachen der Hyponatriämie: 1. Reduktion des effektiven zirkulierenden Volumens: a. Verlust von Elektrolyten und Flüssigkeit über Thiaziddiurektikum Gastrointestinaltrakt oder Haut. Volumenmangel Distale Na-+ b. Herzinsuffizienz ADH-Sekretion Resorption c. Leberzirrhose 2. Nebenwirkung von Thiaziddiurektika 3. Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion Na-Ausscheidung Wasserabsorption (SIADH) Vorkommen: Bei Tumoren, Lungenerkrankungen, Na+ im Serum ZNS-Störungen, Medikamenten (Carbamazepin, nichtsteroidale Antiphlogistika, Cyclophosphamid), Postoperativ. Klinik und Diagnostik des SIADH: + Keine Ödeme, Na i.U. > 20 mmol/l, Urinosmolalität > 100 mosm/kg ⇒ Konzentrierter Urin trotz Hypoosmolarität, Ausschluss Hypothyreose, NNR Insuffizienz. 4. Fortgeschrittene Niereninsuffizienz 5. selten: Polydipsie Klinik: Verwirrtheit, Koma Diagnostik: Wichtige Schritte! 1. Handelt es sich um eine „echte“ Hyponatriämie? Plasma-Osmolal < 280: Echte Hyponatriämie Plasma-Osmolal > 280: Pseudohyponatriämie (bei Hyperlipidämie, Hyperglykämie, Hyperproteinämie) 2. Urin-Osmolalität Frage: Antwortet die Niere adäquat? Ist ADH adäquat supprimiert? Urin-Osmolal. < 100 mosm/kg: adäquate ADH-Antwort 1. Primäre Polydipsie 2. Malnutrition mit niedriger Ausscheidung von Harnstoff Urin-Osmolal. > 100 mosm/kg: keine adäquate ADH-Suppression 1. SIADH 2. Hypovolämie Linksherzinsuff. 3. Hypothyreose, NNR-Insuffizienz 24 3. Urin-Natriumkonzentration Frage: Liegt eine Hypovolämie vor? U-Na < 15 mmol/l: Volumendepletion (außer bei Diuretika-Gabe) U-Na > 20 mmol/l: SIADH mit Normovolämie oder andere Ursachen 4. Ist die Störung akut oder chronisch? Ist sie symptomatisch? Therapie der Hyponatriämie: 1. Nachdenken! Punkt 1 - 4 der Diagnostik beachten. 2. Bei einer Reduktion des effektiven zirkulierenden Volumens: Therapie der Grundkrankheit 3. SIADH ohne neurologische Symptome: Wasserrestriktion 4. SIADH mit neurol. Symptomen: NaCl-Infusionen (Osmolal. der Infusion muss größer sein als Osmolal. des Urins, z.B. 3% NaCl Lösung) + Abschätzung des Na -Defizits: + + + Na -Defizit = 0,5 x Körpergewicht (kg) x (Na soll – Na ist) z.B. 0,5 x 70 x (120 – 105) = 525 mmol + Unter Therapie: Engmaschige Kontrolle des Na im Serum. Korrekturrate < 0,5 mmol/l/Stunde (12 mmol/l/Tag)!! Beachte: Eine zu schnelle Korrektur einer Hyponatriämie kann zu einer zentralen Demyelinisierung (pontine Myelinose) mit Todesfolge führen. 5. Schleifendiuretika: Ausscheidung eines verdünnten Urins 6. Neben einer Wasserrestriktion und Gabe von konzentrierter Kochsalzlösung steht seit kurzem die V2-Rezeptor Antagonist Therapiealternative zur Verfügung. Die Gabe des V2 Rezeptors Tolvaptan führt zu einer Wasserausscheidung ohne die Kalium- und Natriumausscheidung zu beeinflussen. Nebenwirkung: Durst. II Hypernatriämie Ist in der Regel eine Störung der Wasserbilanz. Das Durstempfinden ist der effektivste Schutzmechanismus gegen eine Hypernatriämie. Deshalb kommt eine Hypernatriämie am häufigsten bei Patienten vor, die nicht in der Lage sind, Wasser zu trinken (Kinder, Patienten im Koma). Eine Hypernatriämie ist eher selten, selbst bei Patienten mit einem Diabetes insipidus, da diese bei einer bestehenden Polyurie mehr trinken. Differentialdiagnose der Hypernatriämie I. Wasserverlust a. Extrarenal (Fieber, Verbrennung) b. Renal Diabetes insipidus (selten) Osmotische Diurese II. Kochsalzzufuhr (z.B. durch Bicarbonat) Anamnese: Neurologie. Bei wachen Patienten oft Störung des Durstempfindens. Gewichtsverlust, Polydypsie? + Diagnostik: Urinosmolarität, Urin-Na -Konzentration bestimmen. Therapie der Hypernatriämie: Berechnung des Wasserdefizits nach der Formel: + Wasserdefizit = Gesamtkörperwasser x [(Serum Na ÷140) –1] Beachte: Eine zu schnelle Korrektur der Hypernatriämie kann zu einem Hirnödem mit Todesfolge führen. 25 z.B. 70 kg schwere Patientin: 0,5 x 70 x [(168÷140)-1] = 7l + z.B. als Infusion von 5% Glukose, Serum-Na -Konzentration engmaschig kontrollieren. + Korrekturrate Na nicht > 0,5 mmol/l/h oder 12 mmol/l/Tag Diabetes insipidus: Ursachen des Diabetes insipidus: I. Zentral: Ausfall der ADH-Produktion durch Tumore, Frakturen, Hypoxie, Medikamente (Phenytoin) oder idiopathisch II. Renal: Ausfall der ADH-Wirkung durch Hypokaliämie, Hyperalciämie, interstitielle Erkrankungen, Medikamente (Lithium) Klinik: Polyurie. Eine Polyurie (Urinausscheidung > 3l/Tag) kann durch eine primäre Polydipsie, einem zentralen Diabetes insipidus oder einem renalem Diabetes insipidus verursacht sein. Dabei wird eine große Menge an verdünntem Urin ausgeschieden. Bei der primären Polydipsie ist die Polyurie eine physiologische Antwort auf die vermehrte Flüssigkeitszufuhr. Bei den beiden Formen des Diabetes insipidus ist dagegen der Wasserverlust unphysiologisch. Bei der primären Polydipsie haben die Patienten daher ein eher niedriges Serumnatrium (< 137 mmol/l), Patienten mit einem Diabetes insipidus haben dagegen eher ein hochnormales Serumnatrium (> 142 mmo/l) (Abb. 17). Diagnostik: ggf. bei V.a. Diabetes insipidus: Durstversuch unter stündlicher Kontrolle von Gewicht, + Serum- und Urinosmolalität (Serum- und Urin-Na ). Bei Diabetes insipidus bleibt die Urinosmolalität < 300 mosm/kg und kann bei einem zentralen Diabetes insipidus durch Gabe von ADH gesteigert werden. Abbildung 17: Differentialdiagnose der Polyurie Uosm < 200 mosm/kg? Ja Nein Steigt Uosm > 250 mosm/kg nach ADH Gabe? Ist die osmolare Ausscheidung > 1 mosm/min? Ja Zentraler Diabetes insipidus Nein Nephrogener Diabetes insipidus Ja Osmotische Diurese Diuretika Nein Partieller Diabetes insipidus Therapie des Diabetes insipidus zentralis: Desmopressin (DDAVP) nasal, initial 5 µg vor dem Schlafengehen, dann Dosiserhöhung in Abhängigkeit von Nykturie und Polyurie, mittlere Dosis 5 - 20 µg ein bis zweimal/Tag. Zur Behandlung der Nykturie möglichst minimale Dosis, da sonst die Gefahr einer Hyponatriämie droht. Diabetes insipidus renalis: Thiaziddiuretikum: Durch die Gabe eines Thiaziddiuretikums, z.B. Hydrochlorthiazid 1 – 2 x 25 mg/Tag, wird eine milde Volumendepletion induziert. Dadurch wird im proximalen Tubulus Salz und Wasser resorbiert und das Volumen an ADH-sensitivem Wasser im Sammelrohr reduziert. Die Folge ist eine um ca. 50% verminderte Ausscheidung. Nichtsteroidale Antiphlogistika, die den Effekt von ADH antagonisieren (z.B. Ibuprofen, 3 x 400 – 800 mg/Tag). 26 7. Die Niere und Systemerkrankungen Ansprechpartner: Prof. Dr. Pavenstädt, [email protected] I. Die diabetische Nephropathie Die diabetische Nephropathie ist eine Komplikation des Diabetes mellitus und die häufigste Ursache für eine terminale Niereninsuffizienz Inzidenz: Nicht jeder Patient mit Diabetes mellitus entwickelt eine diabetische Nephropathie. Die Inzidenz der diabetischen Nephropathie liegt für den Typ 1 und Typ 2 Diabetiker bei ca. 30% Pathogenese: Genetische Prädisposition, Hyperglykämie und Risikofaktoren (Hypertonie, Nikotin, Hypercholesterinämie) führen zu einer Aktivierung von Protein-Kinase C in glomerulären Zellen. Daraufhin werden Zytokine und Wachstumsfaktoren sezerniert. Es kommt zu Ablagerungen von Glykoproteinen im Glomerulum. Bei fehlender Therapie entwickelt sich eine Hyperplasie und Hypertrophie glomerulärer Zellen. Zunächst werden die Podozyten geschädigt, später kommt es zu einer Expansion des Mesangiums und einer Verdickung der glomerulären Basalmembran (Abb. 18). Abbildung 18: Histologisches Bild der diabetischen Nephropathie mit typischer mesangialer Expansion Klinik: Der Verlauf der diabetischen Nephropathie ist beim Typ-1- und Typ-2-Diabetes charakterisiert durch: 1. Veränderungen der Albuminausscheidung im Urin, 2. Abnahme der glomerulären Filtrationsleistung, 3. Entwicklung oder Verstärkung von Hypertonie, 4. Dyslipoproteinämie und weiteren diabetestypischen Komplikationen. Nach dem klinischen Verlauf wird die diabetische Nephropathie in 5 Stadien unterteilt. Nephropathie-Stadien (neue Klassifikation) und assoziierte Begleiterkrankungen Stadium/Beschreibung Albuminaus- KreatininBemerkungen -scheidung Clearance (mg/L) (ml/min) Nierenschädigung mit S-Kreatinin im Normbereich Normaler Nierenfunktion Blutdruck im Normbereich 1a Mikroalbuminurie 20-200 >90 steigend oder Hypertonie 1 b Makroalbuminurie >200 Dyslipidämie, raschere Progression von KHK, AVK, Retinopathie und Neuropathie Nierenschädigung mit S-Kreatinin grenzwertig oder Niereninsuffizienz (NI) erhöht, Hypertonie 2 leichtgradige NI >200 60-89 Dyslipidämie, HypoglykämieZunehmendes kardiovaskuläres 3 mäßiggradige NI abnehmend 30-59 Neigung Risiko 4. hochgradige NI 15-29 rasche Progression von KHK, 5. terminale NI < 15 AVK, Retinopathie u. Neuropathie Anämie-Entwicklung, Störung des Knochenstoffwechsels 27 Screening einmal jährlich durch Bestimmung der Albuminkonzentration im Urin. Wünschenswert ist die jährliche Berechnung der Clearance, da Patienten mit Diabetes auch ohne Albuminurie bereits eine eingeschränkte Nierenfunktion aufweisen können. Die Mikroalbuminurie ist das erste klinische Zeichen der diabetischen Nephropathie. Sie ist ein Alarmsignal, da mit Auftreten der Mikroalbuminurie sich sowohl die Prognose der Nierenerkrankung verschlechtert als auch die Inzidenz für eine koronare Herzkrankheit stark erhöht ist. Eine Mikroalbuminurie kann auch vorliegen, wenn die Protein-Ausscheidung im 24 Stunden-Urin „normal“ ist (Normale Proteinurie: 150 mg/24 Stunden). Ein Urin-Stix wird erst bei einer Proteinurie über 300 bis 500 mg/Tag positiv. Daher sollte bei der Suche nach einer diabetischen Nephropathie ein semiquantitativer Teststreifen (z.B. Micral-Test) oder eine quantitative Messung (mittels ELISA/RIA) durchgeführt werden. Bei Verwendung von Schnelltests/Teststreifen ist die Nachweisempfindlichkeit der Albuminkonzentration zu beachten. Für Albuminkonzentrationen < 200 mg/ l sind geeignet: Micraltest II, Microalbu-Stix. Die Albuminkonzentration kann vorübergehend erhöht sein, z. B. bei körperlicher Anstrengung, akuten fieberhaften Erkrankungen, Harnwegsinfektionen, schlecht eingestelltem Diabetes, unkontrolliertem Hochdruck, Herzinsuffizienz. Zur zweiten Kontrolle sollte eine laborchemische Methode benutzt werden. Sie gestattet bei erhöhter Konzentration eine Graduierung der Albuminurie: Mikroalbuminurie: 20–200 mg/ l, Makroalbuminurie: > 200 mg/l Abb. 19: Untersuchung auf Albuminurie/diabetsische Nephropathie Die Diagnose diabetische Nephropathie ist wahrscheinlich wenn: - seit 10 bis 20 Jahren ein Diabetes mellitus vorliegt, - sich eine Proteinurie oder - ein Nephrotisches Syndrom, - ein progredienter GFR-Verlust bemerkbar gemacht haben, - eine diabetische Retinopathie vorliegt (cave: Eine Retinopathie kann bei 30% der Typ 2-Diabetiker mit Nephropathie fehlen.) Eine nicht durch Diabetes bedingte Nephropathie sollte in Betracht gezogen werden bei: 1. ein pathologisches Harnsediment (insbesondere dysmorphe Erythrozyten, Erythrozytenzylinder oder Leukozyten) 2. eine rasche Zunahme der Proteinurie 3. eine extrem hohe Proteinurie (>6 g/24 h) 4. ein rascher Kreatinin-Anstieg 5. Diabetesdauer unter 5 Jahren bei Typ-1-Diabetes 6. atypische sonografische Veränderungen der Nieren, d. h. insbesondere verkleinerte Nieren oder asymmetrische Nierengröße Bei 1.- 5.: ggf. Nierenbiopsie, bei 6: Duplexsonographie zum Ausschluss Nierenarterienstenose 28 Prognose: Die Prognose der diabetischen Nephropathie ist sehr schlecht: 5-Jahres Überlebensrate von Patienten mit diabetischer Nephropathie und terminaler Niereninsuffizienz: 30%! Einstellung des Diabetes mellitus, Blutdruckeinstellung, Mikroalbuminurie, Rauchen und Cholesterinspiegel sind die wichtigsten Prognosefaktoren. Primärprävention einer diabetischen Nephropathie Vermeidung des Auftretens eines Diabetes mellitus. Gewichtsreduktion und Erhöhung der körperlichen Aktivität. Allein eine Gewichtsabnahme von 5 kg geht mit einer Reduktion des HbA1c um 1 % einher. Eine prospektive finnische Studie zeigte allein durch Veränderung dieser Lebensgewohnheiten an einer Risikogruppe mit metabolischem Syndrom eine Reduktion des relativen Risikos zur Inzidenz von Diabetes mellitus um 43 % während des Beobachtungszeitraums von 7 Jahren im Vergleich zur Kontrollgruppe Therapie der diabetischen Nephropathie: Da Patienten mit diabetischer Nephropathie ein exzessives kardiovaskuläres Risiko besitzen, ist eine optimale Diabetes- und Blutdruckeinstellung und ebenfalls eine konsequente Behandlung der übrigen kardiovaskulären Risikofaktoren, insbesondere der LDL-Cholesterinerhöhung und erhöhten Thrombozytenaggregation erforderlich. 1. Optimale Stoffwechselkontrolle: Zielwert für HbA1c: ≤ 6,5 % Typ I: Intensivierte Insulintherapie früh beginnen Typ II: Gewichtsreduktion, Diät, Sulfonylharnstoffe, Metformin, Insulin Wichtiges Fluss-Diagramm zur Therapie des Typ-2 Diabetes mellitus: Abb. 20: Therapie des Typ2Diabetes Mellitus aus : Evidenzbasierte Leitlinien der DDG http://www.deutsche-diabetesgesellschaft.de/redaktion/mitteilungen/leitlinien/EBL_Dm_Typ2_Update_2008.pdf 29 Dabei ist zu beachten, dass bestimmte orale Antidiabetiker (OADs) bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz nicht mehr eingesetzt werden dürfen: Substanz Therapieempfehlung bei Niereninsuffizienz Metformin Kontraindiziert (GFR <60 ml/min) Glukosidasehemmer Keine Empfehlung wegen fehlender Studien Sulfonylharnstoffe In der Regel Dosisreduktion, Ausnahme Gliquidon Repaglinide Dosisreduktion bei Kreatinin-Clearance <30/min Nateglinide Keine Empfehlung wegen fehlender Studien Rosiglitazon Keine Empfehlung wegen fehlender Studien Pioglitazon Möglich (bis GFR 8 ml/min) Insulin Im Verlauf meist Dosisreduktion 2. Antihypertensive Therapie Neu seit 2010: Zielblutdruckkorridor zwischen 130-139 / 80-85 mm Hg Mittel der ersten Wahl: ACE-Hemmer/AT1 Rezeptor Blocker verlangsamen aufgrund ihres antiproteinurischen Effektes die Progression eines Nierenfunktionsverlustes, reduzieren auch bei normotensiven Typ I Diabetikern im Frühstadium die Mikroalbuminurie und wirken so einem Nierenfunktionsverlust entgegen. Risiken einer ACE-Hemmer/AT1 Rezeptor Blocker-Therapie: Entwicklung einer Hyperkaliämie, inadäquater Kreatininanstieg bei renovaskulären Stenosen, Hypoglykämie durch Verbesserung der Insulinsensitivität Kontraindikationen: Hyperkaliämie, Nierenarterienstenose bds., Schwangerschaft + K und Kreatininkontrolle 3 und 7 Tage nach Therapiebeginn. Ein Kreatininanstieg von 20% wird toleriert („Funktioneller GFR Abfall“ durch Vasodilatation der Vas Efferens) Weitere antihypertensive Therapie: Calciumkanal-Antagonisten: Bei Nicht-Dihydropyridinen ist der antiproteinurische Effekt vergleichbar mit ACE-Hemmern. Diuretika: Als Ergänzung zu ACE-Hemmern u./o. Calciumkanal-Antagonisten (cave: Verschlechterung der Insulinresistenz) ß-Blocker: Reduzieren die Insulinsensitivität, verschleiern eine Hypoglykämie-Symptomatik, neigen zur Kumulation bei Niereninsuffizienz ⇔ aber: vermindern Mortalität bei KHK: 50 - 60 % der Typ II Diabetiker sterben an einer KHK. Weitere präventive Therapiemaßnahmen 1. Rauchen einstellen 2. Sport 3. Thrombozyten-Aggregationshemmung, z. B. mit ASS 100mg/ die 4. LDL-Cholesterin unter 100mg/ dl absenken 5. Normalisierung einer erhöhten Eiweißaufnahme auf 0,8–1,0 g/kg Körpergewicht 6. Bei eingeschränkter Nierenfunktion: Behandlung der Anämie und Ausgleich eines gestörten Phosphat-Kalziumstoffwechsels Monitoring und Langzeitkontrolle (Abb. 21) Folgende Parameter sollten je nach Nephropathie-Stadium 2- bis 4-mal jährlich überprüft werden: 1. HbA1c, Lipide, 2. Monitoring des Blutdrucks (einschließlich Selbstkontrolle und evtl. 24-h-Blutdruckmessung), 30 3. Serum-Kreatinin, Harnstoff und Kalium, 4. Bestimmung der Albuminausscheidung, 5. Berechnung oder Messung der Kreatinin-Clearance Abbildung 21: Übersicht über das Management von Patientinnen und Patienten mit einer diabetischen Nephropathie multidisziplinäre Betreuung Allgemeinarzt, Diabetologe / Endokrinologe, Nephrologe, Augenarzt Gewicht ↓, körperliche Aktivität ↑, Salzkonsum ↓ ICT + Pumpentherapie (HbA1c <7 %) NSAR, KM und Nephrotoxizität vermeiden jährlich Kreatininclearance Albuminurie bestimmen Fundus ansehen RR-Kontrolle Ideal: 120/80 mmHg Ziel: 130/80 mmHg Mikroalbuminurie Proteinurie begrenzen Eiweiß-Konsum normalisieren ACE-I / ARB (Kontrolle von Krea + K+ ! ) plus CalciumAntagonist u/o. Diuretikum Ziel RR < 125/70 mmHg BZ ! ↓ Cholesterin ↓ LDL Chol. < 100 mg/dl Rauchen einstellen Weitere Informationen: www.diabetes-deutschland.de oder Uptodate II. Die Lupusnephritis: Der Lupus erythematodes ist eine Systemerkrankung unklarer Ätiologie, die durch Entzündungsvorgänge in verschiedenen Organen und das Auftreten von Autoantikörpern charakterisiert ist. Klinische Kriterien des systemischen Lupus erythematodes Bei Vorliegen von mindestens 4 Kriterien ist ein systemischer Lupus erythematodes wahrscheinlich. 1. Schmetterlingserythem 2. Diskoider Lupus erythematodes 3. Fotosensibilität 4. Orale oder nasale Schleimhautulzera 5. Nichterosive Arthritis von 2 oder mehr Gelenken 6. Serositis (Pleuritis, Perikarditis) 7. Nierenbeteiligung 8. ZNS-Beteiligung 9. Hämatologische Befunde (Coombs pos. Hämolytische Anämie, Thrombopenie, Leukopenie) 10. Immunologische Befunde (Anti-Doppelstrang-DNS-Antikörper, Antiphospholipid-Antikörper) 11. Antinukleäre Antikörper 31 Pathogenese der Lupusnephritis: Initial scheint beim SLE ein Verlust der Selbsttoleranz aufzutreten. Diese ist normalerweise von der aktiven Kontrolle der immunologischen Funktionen durch T-Lymphozyten abhängig. Autoantikörper werden gebildet mit der Folge von Immunkomplexablagerungen. Sehr viele unterschiedliche Mediatoren, Komplementfaktoren und Chemokine werden im Glomerulus aktiviert und führen hier zu einer unterschiedlich ausgeprägten Entzündungsreaktion. Eine Fehlregulation von Proteinen, die an der Aufnahme und Clearance von apoptotischen Zellen durch Makrophagen beteiligt sind, rückt immer mehr in den Vordergrund der Erklärungen von Autoimmunvorgängen beim Lupus erythematodes. Eine Nierenbeteiligung beim Lupus erythematodes ist häufig (> 80% der Pat.). Sie äußert sich durch: Klinik der Lupusnephritis: Proteinurie Nephrotisches Syndrom Erythrozytenzylinder Mikrohämaturie Makrohämaturie Eingeschränkte Nierenfunktion Rapid progrediente Glomerulonephritis Hypertonie Hyperkaliämie % 100 45 - 65 10 80 1 40 - 80 30 50 15 Als Basisdiagnostik bei Verdacht auf Lupus erythematodes sollten folgende Untersuchungen durchgeführt werden: Basisdiagnostik bei Verdacht auf Lupusnephritis: 1. Mikroskopische Untersuchung des Urinsediments: dysmorphe Erythrozyten, Erythrozytenzylinder? 2. Suche nach einer Proteinurie a. Teststreifen b. Messung der 24-Stunden-Proteinurie 3. Bestimmung der Kreatininclearance Bei pathologischem Befund: Nierenbiopsie Histopathologie der Lupusnephritis: Immunkomplexglomerulonephritis Zusätzlich u.U.: Subendotheliale tubuloretikuläre Ablagerungen, tubulointerstitielle Nephritis, Immunkomplex-Ablagerungen an der tubulären Basalmembran oder in den Gefäßen, mikrovaskuläre Zylinder, thrombotische Mikroangiopathie Das glomeruläre Schädigungsmuster bei der Immunkomplexglomerulonephritis ist abhängig von der Lokalisierung der gebildeten Immunkomplexe. Es werden dabei 6 verschiedene Klassen der Immunkomplexglomerulonephritis unterschieden. Die Immunkomplexe bestehen dabei aus DNA-antiDNA-Antikörperkomplexen, können aber auch Aggregate von Nukleosomen, Chromatin, C1q und Laminin enthalten. WHO Glomeruläre Läsion Häufigkeit Prognose I Minimale mesangiale LN > 1% Sehr gute Prognose II Mesangial proliferierende LN 26% Eher milde renale Beteiligung, gute Prognose III Fokal segmentale LN (weniger als 50% der Glomerula sind betroffen) 18% Variable Prognose, abhängig von der Anzahl der betroffenen Glomerula Klasse 32 IV Diffus proliferierende LN 38% Schlechte Langzeitprognose Nach 10 Jahren sind ca. 60% der Patienten dialysepflichtig V Membranöse LN 16% Variable Prognose VI Sklerosierende LN 1 - 2% Langsamer Verlust der Nierenfunktion Therapie: Generell sind eine abfallende Nierenfunktion, ein nephritisches Sediment, eine ansteigende Proteinurie, steigende Anti-DNS Antikörper und abfallende Komplementfaktoren Indikatoren für eine aggressive Therapie der Lupusnephritis. Bei allen Patienten sollte eine optimale Blutdruckeinstellung erfolgen. Eine Proteinurie sollte durch Gabe von ACE Hemmer reduziert, eine Hypercholesterinämie mit Diät und ggf. mit HMG-CoA Reduktase-Hemmer therapiert werden. Lupusnephritis Klasse I: Keine Therapie Lupusnephritis Klasse II: Meist keine Therapie, ggf. Prednison Lupusnephritis Klasse III: - Die “milde Form“ (<25 % der Glomerula betroffen, fokale Proliferation, kein nephrotisches Syndrom, normale Nierenfunktion) hat eine gute Prognose bzw. die Inzidenz einer terminale Niereninsuffizienz ist in 5 Jahren < 5 %. Daher reicht normalerweise eine Therapie mit Prednison aus. - Die “schwere Form“ (40-50 % der Glomerula betroffen, Nekrosen, Halbmonde, nephrotisches Syndrom, Hypertonie, Kreatininanstieg) hat eine schlechtere Prognose, das heißt, dass nach 5 Jahren: 15-20 % der Patienten niereninsuffizient sind. Daher: Therapie wie Klasse IV Nephritis mit initial Cyclophosphamid und Methylprednisolon. Lupusnephritis Klasse IV: Etablierte Therapie: Induktion: Methylprednisolon 500 mg pro Tag für 3 Tage, dann Prednison 0,5 mg/kg für 4 Wochen, dann langsam tapern auf 10mg/Tag. Vit. D plus Calcium: Sandocal-D 0-0-1 p.o. + 500 mg Cyclophosophamid i.v. alle 2 Wochen für 3 Monate (Kumulativ: 3g). 2 Leukozytennadir < 3000/µl oder Neutrophile < 1500/µl: Dosisreduktion um 0,25 g/m 2 2 Leukozytennadir > 5000/µl und kein Ansprechen: Dosissteigerung um 0,25 g/m (max. 1,0 g/m ) Bei allen CYC-enthaltenden Regimen, insbesondere bei i.v. Gabe, muss an die beträchtliche Blasentoxizität des Medikamentes gedacht werden und eine entsprechende Prophylaxe mit MESNA erfolgen. Unter der relativ niedrigen Kumulativdosis sehr wenig Infertilität. Schriftliche Aufklärung der Nebenwirkungen Blutbildkontrollen bei i.v.-Cyclophosphamidbolustherapie: an Tag 8, 10 und 12 nach der Infusion, abhängig von Leukozytenwerten auch häufiger Remssionstherapie nach 3 Monaten: (Leukozyten sollten > 4000 µl sein): Mycophenolat Mofetil 2x1 g/Tag für 2 Jahre, Dosis im Verlauf tapern. Lupusnephritis Klasse V: Es wird empfohlen, Patienten mit einem schweren nephrotischen Syndrom oder mit einer Nierenfunktionseinschränkung mit Steroiden in Kombination mit zytotoxischen Substanzen (Cyclophosphamid oder Azathioprin) oder mit Cyclosporin A zu behandeln. Prognose: Dialysepflichtigkeit ca. 20%, Mortalität nach 15 Jahren: 36% Nach Nierentransplantation: Im Vergleich zu anderen Erkrankungen ähnliches Patienten- und Transplantatüberleben. III. Nierenbeteiligung beim Morbus Wegener Die Wegener-Granulomatose ist eine nekrotisierende Vaskulitis der kleinen und mittleren Gefäße. Pathogenese: Die ANCA-Zytokin-Sequenz-Theorie wird als Modell zur Pathogenese des M. Wegener favorisiert: Durch eine lokal gesteigerte Bildung proinflammatorischer Zytokine (z.B. TNF-α), wie es unter anderem in Infektsituationen möglich ist, kommt es zu einer Translokation der primär intrazellulär gelegenen ANCA-Zielantigene Proteinase 3 und Myeloperoxidase an die Zelloberfläche von Neutrophilen und Monozyten. Es kommt dann zu einer Bindung der zirkulierenden ANCA an ihre nun zugänglichen Zielantigene auf der Neutrophilenoberfläche und zu einer Adhäsion dieser Zellen an das Endothel. Die ANCA-Bindung führt nun über eine weitere 33 Aktivierung des Granulozyten zur Degranulation und zur Freisetzung lysosomaler Enzyme und freier Sauerstoffradikale und damit zur Endothelschädigung. Die Frage, warum ANCA überhaupt erst entstehen, ist weiterhin nicht geklärt. Kürzlich wurde in Seren von Patienten mit ANCAassoziierter, fokal-nekrotisierender GN zu 90% Autoantikörper gegen Lamp2, einem glykosylierten Membranprotein in Lysosomen, intrazellulären Vesikeln und der äußeren Zellmembran von Endothelzellen und neutrophilen Granulozyten entdeckt. Das Lamp2-Epitop ist zu 100% homolog mit FimH, einem bakteriellen Adhäsin. Antikörper gegen Lamp2 kreuzreagieren mit FimH. Darüber hinaus entwickeln Ratten nach Immunisierung mit FimH Lamp2 Antikörper und eine fokal-nekrotisierende GN. Symptome: 1. Zu Beginn oft unspezifisch (Fieber, Gewichtsverlust, Leistungsknick, Arthralgien) 2. Nasale oder orale Entzündungen 3. Pulmonale Veränderungen 4. Bioptisch nachgewiesene granulomatös-entzündliche Veränderung der Arterienwand 5. Nachweis antineutrophiler zytoplasmatischer Antikörper (cANCA), siehe Abb. 21 6. Nierenbeteiligung Häufig besteht eine Nierenbeteiligung: Nephritisches Urinsediment (Erythrozyturie, Erythrozytenzylinder) Meist Rasch progrediente Glomerulonephritis mit dem histologischen Bild einer extrakapillär proliferativ-nekrotisierenden Glomerulonephritis (siehe Abb. 18) Keine Ablagerungen von Immunglobulinen im Glomerulus in der Immunfluoreszenz Abbildung 22: A: Nachweis von antineutrophilen cytoplasmatischen Antikörpern (c-ANCA) in Leukozyten mit Hilfe der Immunfluoreszenz:. Diese Antikörper sind gegen Proteinase 3 gerichtet. B: Lichtbildmikroskopie der Nierenbiopsie: Segmental nekrotisierende Läsion mit Fibrinablagerungen (Pfeile) Therapie: Schema Cyclophosphamid i.v. 500 – 1000 mg/Monat für 3-6 Monate Dosisreduktion bei Krea-Cl < 30 ml/min oder Alter > 65J. um 30% bei Erstgabe, dann Anpassung nach Nadir + Prednison, 1 mg/kg/Tag, langsam nach 2 Wochen tapern. Zusätzlich Plasmapherese bei: a) initialer Dialysepflichtigkeit; b) pulmonalen Hämorrhagien; c) gleichzeitigem Auftreten von Antibasalmembran-Antikörpern (sehr selten) Remissionserhaltung: Azathioprin 2 mg/kg/Tag für 1-2 Jahre Prognose: Mortalität ohne Therapie: 90%. Mit Therapie: 20-30%. Ca. 25% (50%) der Patienten, die initial nicht dialysepflichtig sind (die dialysepflichtig sind) werden (bleiben) dialysepflichtig. IV. Nierenbeteiligung beim multiplen Myelom Das multiple Myelom ist durch eine maligne Proliferation von Plasmazellen im Knochenmark und durch die Ausscheidung monoklonaler Immunglobuline (IgG oder IgA, seltener IgD, E oder M) oder 34 von Immunglobulinfragmenten (Leichtketten- / Bence-Jones-Proteinurie) im Urin gekennzeichnet. Eine renale Beteiligung beim multiplen Myelom findet sich bei mehr als 50% der Patienten und ist auch prognostisch relevant. Es gibt mehrere unterschiedliche Ursachen der Nierenschädigung beim multiplen Myelom, Abbildung 23: Immunglobuline Plamazellen Calcium↑ Vasokonstriktion Akutes Nierenversagen Ablagerung im Mesangium LCDD Nephrot. Syndrom Filtration Bence Jones Proteinurie Myelomniere Akutes Nierenversagen Ablagerung im Glomerulum Amyloidose Abbildung 23: Renale Beteiligung beim Muliplen Myelom LCDD= light chain deposition disease Nephrot. Syndrom 1. Hypercalcämie Eine Hypercalcämie ist ein relativ häufiges Syndrom bei Patienten mit einem multiplen Myelom. Durch Vasokonstriktion und Ausfällung kann eine Hypercalcämie ein Nierenversagen induzieren. Klinik: Polyurie und Polydipsie, Nierenversagen (prinzipiell reversibel). Bei Patienten mit einem multiplen Myelom, die eine Hypercalcämie oder Dehydration entwickeln, besteht die Gefahr eines Nierenversagens. Dies gilt vor allem für Patienten, die nichtsteroidale Antiphlogistika oder Kontrastmittel bekommen. Daher ist die Gabe nichtsteroidaler Antiphlogistika oder Kontrastmittel bei Patienten mit multiplem Myelom mit einer Nierenbeteiligung relativ kontraindiziert. 2. Ausscheidung von Leichtketten Die Art der Nierenerkrankung läßt sich dabei anhand der biochemischen Charakteristika der individuellen Leichtkette erkennen. 1) Myelomniere (“cast Nephropathie“) Pathophysiologie: Filtration von Leichtketten .Verbindung von Leichtketten mit Tamm-HorsfallProtein → intratubuläre Ausfällung von Proteinzylindern (siehe Abb. 23) und toxische Schädigung der Tubuluszelle → distale tubuläre Obstruktion und/oder Tubulusfunktionsstörungen. Klinik: Akutes Nierenversagen mit oder ohne tubuläre Dysfunktion. Seltener ist die langsame Abnahme der GFR. Die tubuläre Dysfunktion kann sich in einem sogenannten Fanconi-Syndrom äußern: Tubuläre Azidose, Phosphatverlust mit der Folge der Hypophosphatämie und Osteomalazie. Im Labor fällt dabei auch eine Hypourikämie auf. Eine Dehydratation ist ein wichtiger Risikofaktor für die Entwicklung einer Myelomniere. Abbildung 24: Lichtmikroskopisches Bild eines Tubulus bei einer Myelomniere. Der Tubulus ist mit einem geteilten Eiweißzylinder ausgefüllt. Der Pfeil weist auf einen in das Tubuluslumen einwandernden Makrophagen hin. 35 2) Leichtkettennephropathie („Light chain deposition disease (LCDD) Pathogenese und Klinik ähnlich der AL-Amyloidose. Im Gegensatz zur AL-Amyloidose formen aber die Leichtketten bei der Leichtkettennephropathie keine Fibrillen und die Ablagerungen sind nicht mit Kongo-Rot anfärbbar (Kongo-Rot negativ). 3) AL-Amyloidose Pathophysiologie: Bei der AL-Amyloidose werden die zirkulierenden Leichtketten von Makrophagen aufgenommen, metabolisiert und sezerniert. Die dabei entstehenden Fragmente präzipitieren in erster Linie im Glomerulus und lagern sich als charakteristische (mit Kongo-Rot anfärbbare) positive βFibrillen ab (Abb. 24). Klinik: Nephrotisches Syndrom, chronische Niereninsuffizienz Abbildung 25: Glomeruläre Amyloidose: Nodulär amorphes Material, das sich vom Mesangium bis ins Kapillarlumen erstreckt Elektronenmikroskopische Aufnahme der ca. 10 nm großen Fibrillen im Mesangium Therapie: Wichtig ist die Prävention: Gute Hydrierung, keine Kontrastmittel, keine nichsteroidalen Antiphlogistika, Behandlung von Hyperurikämie und Infektionen. Bei Hypercalcämie: Hydrierung + Schleifendiuretika, Prednison, Calcitonin, Bisphosphonate (ab einem Serumcalcium von 4 mmol/l: Hämodialyse) KM Transplantation möglich: 4 Zyklen Lenalidomid und Dexamethason KM Transplantation nicht möglich: 12 Zyklen Melphalan, Prednison, Thalidomid Bei Nierenversagen: Zunächst: Hydratation, ggf. Behandlung der Hypercalcämie Bei Myelomniere: zusätzlich zur Chemotherapie: Entfernung der Leichtketten mit einem speziellen Dialysefilter (“High-Cut-Off”). Dadurch lässt sich der Anteil von chronisch dialysepflichtig bleibenden Patienten reduzieren. Falls notwendig: Dialysetherapie V. Das Hämolytisch-Urämische Syndrom (HUS). Das HUS ist eine Erkrankung, die unbehandelt zu akutem Nierenversagen, chronischer Dialysepflichtigkeit oder Tod führen. Eine frühzeitige Diagnosestellung ist wichtig, da die Erkrankung in der Regel beherrschbar ist. Es bestehen Gemeinsamkeiten zur Thrombotisch-Thrombozytopenischen Purpura (TTP), deren Erstbeschreiber Moschowitz war und die sich vorwiegend durch Symptome des Zentralnervensystems manifestiert. Der zentrale pathologische Befund bei HUS und TTP ist die Thrombotische Mikroangiopathie. Hierbei finden sich Endothelschäden, glomeruläre Mikrothromben, Nekrosen und Leukozyteninfiltrate. In den Nieren sind Glomeruli und Arteriolen betroffen. Subendotheliale Schwellungen entstehen durch Fibrinablagerungen. Diese Veränderungen werden jedoch auch bei Eklampsie, dem AntiphospholipidSyndrom, Sklerodermie, maligner Nephrosklerose und chronischer Transplantatabstoßung sowie selten auch bei Calcineurin-Toxizität beobachtet. Klinik: Kardinalbefunde, die nicht immer alle vorliegen, sind: 1. Thrombozytopenie, 2. Nichtimmunogene hämolytische Anämie, 3. Fragmentozyten (Schistozyten) >1 %), 4. Neurologische Veränderungen, 5. Akutes Nierenversagen. 36 90% der Patienten haben Purpura mit oder ohne Blutungen (z.B. Nasenbluten, Hämoptysis). Oft haben die Patienten transiente neurologische Symptome (Konfusion, Kopfschmerz, Parese, Aphasie, Visusstörungen). Anamnestische Fragen sollten einbeziehen: Blutige Diarrhoe im sozialen Umfeld, Medikamente (Thrombozytenaggregationshemmer, Cytostatika, Ovulationshemmer, Chinin), Tumorerkrankung, Transplantation, Lupus erythematodes und Schwangerschaft. Besondere Sorgfalt gebührt der Chinin-Anamnese. Abbildung 26: Links: Blutausstrich bei HUS: Fragmentozyten (große schwarze Pfeile), Schistozyten (schmale schwarze Pfeile), Mikrosphärozyten (blaue Pfeile). Rechts: Subintimale Fibrin Deposition in einer Interlobulararterie bei HUS. Die Einengung des Lumens führt zur Ischämie und ggf. zur Nekrose. Eine scharfe Trennung von HUS und TTP ist bis heute nicht sicher möglich. Beim Überwiegen neurologischer Symptome findet der Terminus Thrombotisch-Thrombozytopenische Purpura (TTP) Anwendung. Bei der TTP kann oft eine starke Aktivitätsminderung der Metalloproteinase ADAMTS13 nachgewiesen werden, und dies wird zunehmend als führender und charakteristischer Befund bei der TTP genannt. ADAMTS13 steht für A Disintegrin-like And Metalloproteinase With ThromboSpondin Type 1 Repeats. Die TTP kommt angeboren durch Mutationen des ADAMTS13 Gens oder erworben bei Antikörperbildung gegen ADAMTS13 vor. Führend sind neurologische Symptome wie Kopfschmerzen, Benommenheit, epileptische Anfälle oder Koma, seltener fluktuierende fokale Defizite. Aus nephrologischer Sicht wird vom Hämolytisch-Urämischen Syndrom (HUS) gesprochen, wenn eine Nierenfunktionseinschränkung vorliegt. Das Hämolytisch-Urämische Syndrom (HUS) wird üblicherweise eingeteilt in HUS bei Kindern und HUS bei Erwachsenen. Im Kindesalter geht der Erkrankung in der Regel eine Darminfektion mit Diarrhoe voraus; hiervon leitet sich der Zusatz D+ (mit Diarrhoe) ab. Dieser Erkrankung geht auf Infekte mit Verotoxin- (oder Shiga-Toxin-) bildenden Bakterien zurück, wobei Infektionen mit enterohämorrhagischen E. coli (EHEC) Typ 0157:H7 dominieren. Das D+ HUS des Kindesalters, assoziiert mit einer Infektion Shiga-Toxin-bildender Bakterien, wird auch klassisches HUS genannt. Den Gegenpart bildet das atypische HUS (aHUS), das HUS des Erwachsenen, das in der Regel nicht mit Diarrhoe (D-) einhergeht und serologisch keine Hinweise für eine vorausgehende Darminfektion aufweist. Die Erkrankungsgruppe ist inhomogen und ist entweder durch Medikamenteneinnahmen verursacht (Chinin, Ticlopidin, Clopidogrel, orale Antikonzeptiva, Chemotherapeutika, Cyclosporin A, Tacrolimus und andere). Zudem ist das aHUS mit anderen Erkrankungen, mit genetischer Disposition oder mit einer Schwangerschaft assoziiert. HUS und TTP können auch familiär vorkommen. Beschrieben sind autosomal-dominante und autosomal-rezessive Erbgänge. Vier verschiedene Gene sind bis dato identifiziert: Das Gen von Faktor H (FH1, auch Complement factor H (CFH) genannt), das ADAMTS13 Gen, das Membran Cofactor Protein Gen und das Complement Factor I Gen (CFI). Pathogenese: Der Von Willebrand Faktor wird von Endothelzellen produziert und ins Plasma sezerniert, wo Multimere, sog. Ultra Large Von Willebrand Faktor (ULVWF) Multimers, nachweisbar sind. Diese werden durch die spezifische Metalloproteinase ADAMTS13 degradiert. Erniedrigung oder Fehlen der ADAMTS13 Aktivität führt zu Akkumulation von ULVWF Multimeren, mit Aggregation von Thrombozyten und Mikrothrombenbildung. Bei erworbener Reduktion von ADAMTS13 Aktivität liegen inhibierende Autoantikörper vor, die sich im Plasma nachweisen lassen. Patienten mit stark verminderter oder fehlender ADAMTS13 Aktivität zeigen in der Regel das Bild einer TTP. Komplement: Des Weiteren gibt es Hinweise darauf, dass die alternative Komplementaktivierung bei Patienten mit HUS gestört ist (Erhöhung des C3d Serumspiegels, Erniedrigung der Serumspiegel von C3, CH 50 und Faktor B). Der alternative Weg des Komplementsystems wird stetig aktiviert und bedarf einer kontinuierlichen Inhibition, wobei die Komplementregulatoren Faktor H, MCP und Faktor I eine zentrale Rolle spielen. Dem Faktor H (CFH) kommt die Rolle des zentralen Regulators bei der Bildung von C3b zu. Dieses Plasmaprotein reguliert die Stabilität des C3bBb Komplexes (Anlagerung 37 von Faktor B an C3b), agiert gleichzeitig als Kofaktor für die Serin Proteinase Faktor I (CFI) bei der Inaktivierung von C3b zu iC3b. Die Aktivität der C3bBb Konvertase wird reguliert durch das Plasmaprotein Faktor H, das auch an Endothelzellen bindet sowie durch das integrale MembranRegulator-Protein MCP und den Serin-Protease Faktor I. Durch diese komplexe Situation wird verständlich, daß genetische Veränderungen in den Genen für Faktor H, MCP und Faktor I (vgl. Genetik) sowie erworbene Autoimmunantikörper zu einer Deregulation der alternativen KomplementAktivierung führen. Eine lokale Deregulation der Komplementaktivierung führt dann zur Schädigung der Endothelzellen der Niere. Shiga Toxine: Shiga Toxine sind Toxine, die durch E. coli-Stämme (vornehmlich 0157:H7) oder Shigella dysenteriae gebildet werden und beim klassischen (D+) HUS die wesentliche pathophysiologische Komponente sind. Der Mechanismus, der zur Endothelzellschädigung führt, ist nicht ganz geklärt und bezieht direkte Toxinwirkung, Granulozytenakkumulation mit Endothelinfreisetzung sowie die Wirkung anderer Zyto- und Chemokine mit ein. Therapie: Vor Therapiebeginn sollte EDTA-Blut und Serum resp. Plasma für die Bestimmung des Komplementstatus, der ADAMTS13 Aktivität (sofern TTP erwogen), für molekulargenetische Analysen der Kandidaten-Gene und für eine E. coli-Serologie asserviert werden. Die Bestimmung der ADAMTS13 ist aber nicht von zentraler diagnostischer und prognostischer Relevanz. Eine Nierenbiopsie ist in der Regel nicht notwendig und geht mit einem deutlich erhöhten Blutungsrisiko einher. Beim klassischen HUS im Erwachsenenalter, die eine Rarität unter den ohnehin raren HUS Erkrankungen ist, wird ein Plasmaaustausch nicht empfohlen. Eine antibiotische Therapie ist kontraindiziert. Von zentraler Bedeutung für eine erfolgreiche Therapie von TTP und aHUS ist der Plasmaaustausch. Der Plasmaaustausch soll das ein- bis anderthalbfache des Plasmavolumens des Patienten betragen. Tägliche Behandlungen sollten etwa 7 Tage lang erfolgen, mindestens aber zwei Tage nachdem Normalisierung von Blutbild und Hämolyse erzielt worden sind. Nach Einleitung einer Plasmatherapie sollte die diagnostische Differentialdiagnose fortgesetzt werden, da in bis zu 10% der Patienten die Diagnose HUS / TTP revidiert werden muss. Ca. 10-20% der Patienten sprechen aus unklaren Gründen nicht auf eine Plasmaaustauschtherapie an. Eine Erhöhung auf 2 Austauschbehandlungen pro Tag ist in solchen Fällen zu erwägen. Cortison wird unter der Annahme, daß viele HUS / TTP – Erkrankungen durch Autoantikörper vermittelt sind, empfohlen. Die Dosen sind 1-2mg Prednison / kg Körpergewicht bis zur Remission oder initial an 3 Tagen 1g Methylprednisolon. Bei Patienten, die nicht auf eine Plamapherese/Kortison-Therapie ansprechen, ist die Gabe von Rituximab (CD20-Antikörper) möglich. Patienten mit einem genetisch bedingten atypischen HUS können mit dem Eculizumab therapiert werden. Eculizumab wirkt, indem es C5 Komplement bindet und die sog. terminale Aktivierung blockiert. Ca. ein Viertel der Patienten entwickelt eine chronische Nierenerkrankung. Nicht erfolgreich und somit nicht indiziert sind Plasmaaustauschbehandlungen beim HUS nach Zytostatika, Stammzelltransplantationen oder Ganzkörperbestrahlung. Eine Schwangerschafts-assoziierte Thrombopenie sollte differentialdiagnostisch gegenüber Präeklampsie und HELLP Syndrom abgegrenzt werden, bevor die Diagnose HUS und damit die Indikation zur Plasmaaustauschbehandlung gestellt wird. Thrombozytentransfusionen sind nur bei lebensbedrohlichen Blutungen indiziert, da sie das Krankheitsbild dramatisch aktivieren und verschlechtern können. HUS nach Nierentransplantation: Nach Nieren-Transplantation kommt das HUS entweder als Rekurrenz einer Erkrankung der Prädialysephase oder als De Novo Erkrankung vor. Nach Auftreten des HUS wird die Immunsuppression reduziert oder verändert, wobei derzeit Rapamycin favorisiert wird. Plasmaaustauschbehandlungen sind sinnvoll. VI. Das hepatorenale Syndrom Prinzipiell können 3 Krankheitsgruppen differenziert werden, bei denen die Leber und die Niere geschädigt sein können. 1. a. Toxische oder infektbedingte Schädigung von Leber und Niere: Intoxikationen (z.B. Tetrachlorkohlenstoff, Halothan) b. Sepsis bei Cholangitis, Leptospirose, Mononukleose 2. Glomerulopathien durch Immunkomplexablagerungen bei Hepatitis C oder B 3. Das sogenannte Hepatorenale Syndrom 38 Als Hepatorenales Syndrom (HS) wird die bei Patienten mit Leberzirrhose oder fulminant verlaufender Hepatitis auftretende progrediente Abnahme der glomerulären Filtrationsrate bezeichnet. Das HS ist eine Ausschlussdiagnose. Auszuschließen sind andere Ursachen einer GFR-Abnahme wie akute Tubulusnekrose infolge nephrotoxischer Medikamente, gastrointestinale Blutung, Schock und Sepsis (spontan bakterielle Peritonitis) bzw. eine prärenale Niereninsuffizienz infolge einer Hypovolämie. Pathogenese: Unklar. Mit zunehmender Leberdysfunktion fällt der systemische vaskuläre Widerstand im Splanchnikusgebiet. Vasoaktive Hormone werden vermehrt ausgeschüttet mit der Folge einer Erhöhung der renalen Vasokonstriktion mit kortikaler Minderperfusion und einer vermehrten tubulären Natriumrückresorption (Abb. 27). Abb. 27: Pathogenese des hepatorenalen Syndroms: Periphere Vasodilatation ↑ Onkotischer Druck ↓ Portale Hypertension ↑ Reabsorption von Lymphe Splanchnische Extravasion GesamtBlutvolumen ↑ Renale Vasokonstriktion ↑ GFR ↓ + Renale Na -Retention Aszites Effektives Blutvolumen ↓ Hepatorenales Syndrom Refraktärer Aszites Renin-Aldosteron ↑ Sympathikus ↑ Klinik: Sämtliche folgenden Hauptkriterien sollten zur Diagnose eines HS erfüllt sein. Hauptkriterien des HS: 1. Eine verminderte GFR Kreatininkonzentration > 1,5 mg/dl oder Kreatininclearance < 40 ml/min 2. Fehlen von Schocksymptomen Bakterielle Infektion Flüssigkeitsverlust Keine nephrotoxischen Medikamente 3. Keine Verbesserung der GFR nach Absetzen der Diuretika + Expansion des Plasmavolumens mit 1,5 l Plasmaexpander 4. Proteinurie < 500 mg/Tag 5. Sonographie: Normale Nieren Nebenkriterien sind verminderte Diurese (< 500 ml/Tag) und eine Urinnatriumkonz. < 10 mmol/l. Die Nebenkriterien müssen aber nicht erfüllt sein. 39 Abbildung 28: Diagnostisches Vorgehen bei Verdacht auf ein HS: Akute Niereninsuffizienz Differenzialdiagnose: - Prärenale Niereninsuffizienz - Akute Tubulusnekrose - HS Urinnatrium (Spot) < 10 mmol/l Volumenzufuhr Anamnese: Schock, Blutung, nephrotox. Medikamente? > 30 mmol/l Akute Tubulusnekrose Keine Diurese Konservative Therapie ggf. Dialyse Diurese Prärenale Niereninsuff. HS Korrektur der Hypovolämie Prophylaxe: Meidung nephrotoxischer Medikamente, frühzeitige Therapie einer spontan bakteriellen Peritonitis (z. B. mit Cefotaxim) und Albumin (1 g/kg), Vermeidung von Volumendepletion (z.B. keine Diuretika bei nur gering ausgeprägtem Aszites). Therapie: Die Lebertransplantation ist die Therapie der Wahl bei Patienten mit HS (3-Jahres Überleben: 60%) Zur Überbrückung beim HS: A Pharmakologische Therapie: Effizienz nicht vollständig gesichert. Möglicherweise ist eine Kombinationstherapie mit folgenden Substanzen sinnvoll. 1. Midodrin, ein Alpha-1-Rezeptor-Agonist erhöht arteriolären und venösen Tonus, der Blutdruck wird erhöht. Dosierung: 3 x 5 - 10 mg/Tag oral 2. Terlipressin, Somatostatin Analog, 2 – 3 x 2 mg s.c.. Cave: Ischämie, Angina pectoris 3. 50 -100 ml 20% Humanalbumin/Tag für 20 Tage B Transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Shunt (TIPS): Bei Patienten mit therapierefraktärem Aszites ergibt sich damit ein günstiger Einfluss auf die Prognose des HS. Mögliche Komplikationen eines TIPS: Blutung, hepatische Enzephalopathie C ggf. Hämodialyse D MARS (Molecular adsorbents recirculation system). Extrakorporales Verfahren, das Albumin gebundene Substanzen entfernt. Kontrollierte Studien zur Effektivität von MARS werden zurzeit durchgeführt. 40 8. Autosomal dominante polyzystische Nierenerkrankung Ansprechpartner: Prof. Dr. Pavenstädt, [email protected] Nierenzysten sind häufig, ihre Inzidenz nimmt mit dem Alter zu, z. B. haben ca. 30% (14%) aller Menschen, die älter als 70 Jahre sind, einseitige (beidseitige) Nierenzysten. Im Ultraschall imponieren Nierenzysten als runde, scharf begrenzte, echofreie Raumforderungen mit akzentuierten Rückwandreflexen. Normalerweise zeigen sich bei einer Nierenzyste keine Symptome. Autosomal dominante polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD) Inzidenz: Ca. 10% aller Dialysepatienten. Die terminale Niereninsuffizienz tritt typischerweise im Alter von 50 - 60 Jahren auf. Pathogenese: Die Erkrankung wird durch Mutationen im PKD1-Gen (Polycystin-1) (85%) und PKD2-Gen (Polycystin-2) (10 - 15%) hervorgerufen. Patienten mit einer Mutation im PKD2-Gen haben generell einen milderen Verlauf und erkranken meist erst im Alter von 70 Jahren. Pathologie: ADPKD ist eine Systemerkrankung mit Zysten in Nieren, Leber und Pankreas, zerebralen Aneurysmen (4 - 10% aller Patienten), Herzklappenveränderungen (Mitralklappenprolaps, Aorten- und Mitralinsuffizienz), Kolondivertikel, Nabel- und Leistenbruch. Charakteristisch ist eine massive Größenzunahme der Niere (und gelegentlich auch der Leber), welche durch die flüssigkeitsgefüllten Zysten verursacht wird (Abbildung 29). Symptome: Initial Hämaturie, Schmerzen, Blutungen (Zysten), Harnwegsinfektionen, Nephrolithiasis, Hypertonie, Konzentrationsdefekt, mäßige Proteinurie, gelegentlich Polyglobulie. Progrediente Nierenfunktionsverschlechterung (terminale Niereninsuffizienz in der Regel ca. 10 Jahre nach Diagnose), jährlicher GFR-Verlust ca. 5 ml/min. Besonders rasche Progredienz bei früher Diagnose (< 30 Jahre), Männern, schlecht kontrollierter Hypertonie, > 4 Schwangerschaften, Rauchen und Makrohämaturie, Aneurysmenblutung (plötzliche Kopfschmerzen, häufig positive Familienanamnese für zerebrale Blutung). Diagnose: Die Diagnose einer autosomal dominanten polyzystischen Nierenerkrankung (ADPKD) kann einfach gestellt werden bei Patienten mit einer positiven Familienanamnese, Flankenschmerzen oder Niereninsuffizienz und großen Nieren mit multiplen bilateralen Zysten. Ca. 25 - 40% der Patienten mit ADPKD haben keine positive Familienanamnese (Neumutation, Auftreten der Niereninsuffizienz im späten Alter). Differentialdiagnostisch sollte eine ADPKD bei Zutreffen folgender Kriterien erwogen werden: Zwei Zysten (uni- oder bilateral) bei Patienten < 30 Jahre. Zwei Zysten in jeder Niere bei Patienten zwischen dem 30. und 59. Lebensjahr. Vier oder mehr Zysten in jeder Niere bei Patienten > 60 Jahre Ultraschall: Multiple renale Zysten bei einem Patienten mit ADPKD Leber- und Nierenzysten von einem Patienten mit ADPKD J.A. Brown, New Eng J Med, 2002 Abbildung 29: ADPKD-Ultraschall und Pathologie Therapie: Keine kausale Therapie möglich. Hypertonie-Einstellung, rechtzeitige Diagnose von Komplikationen (Zystenblutung bzw. –infektionen) Dialyse bzw. Nierentransplantation bei terminaler Niereninsuffizienz. 41 9. Der Patient mit akutem Nierenversagen (ANV) Ansprechpartner: Prof. Dr. Pavenstädt, [email protected] Das akute Nierenversagen ist sowohl bei stationär behandelten Patienten (Inzidenz: 2 - 5 %) als auch in der ambulanten Patientenversorgung ein häufiges Krankheitsbild. Mehr als 20 % aller internistischen Intensivpatienten entwickeln ein akutes Nierenversagen mit einer Mortalität von bis zu 50 %. Beim akuten Nierenversagen (ANV) handelt es sich um eine abrupte und anhaltende, jedoch prinzipiell reversible Verschlechterung der Nierenfunktion. Dadurch kann sich eine Urämie entwickeln. Bleibt eine direkte Beseitigung bzw. Therapie der potentiell behandelbaren Ursache des akuten Nierenversagens aus (z. B. eine Volumensubstitution, Absetzen der nephrotoxischen Medikation oder Beseitigung der postrenalen Abflussstörung), kommt es zu einer zunehmenden Verschlechterung der Nierenfunktion bis hin zur Dialysepflichtigkeit. Dies hat eine starke Verschlechterung des Patientenüberlebens und eine deutliche Verlängerung der Krankenhausverweildauer zur Folge. 2004 wurden in einer internationalen Konsensuskonferenz die bis dahin bestehenden 30 unterschiedlichen Definitionen des akuten Nierenversagens durch eine einheitliche Definition und Stadieneinteilung ersetzt, die RIFLE-Kriterien. RIFLE ist ein Akronym und steht für Risk – Injury – Failure – Loss - ESRD (End Stage Renal Disease), übersetzt etwa: Risiko – Schädigung – Versagen (der Nieren) – Verlust (der Nierenfunktion) - Terminales Nierenversagen. Um dem breiten Spektrum des Krankheitsbildes gerecht zu werden, wurde 2007 der Begriff akutes Nierenversagen (Acute Renal Failure, abgekürzt ARF) in einer weiteren Konsensuskonferenz durch den Begriff akute Nierenschädigung ersetzt. Entscheidend für die Diagnose des akuten Nierenversagens und das weitere Vorgehen ist der Nachweis eines Anstiegs der Serum-Kreatininkonzentration innerhalb von Stunden bis Tagen. Es werden in der Praxis anurische < 100 ml/Tag, oligurische (< 400 ml/Tag) und nichtoligurische Formen unterschieden. Definition der akuten Nierenschädigung durch das Acute Kidney Injury Network (AKIN-Definition) Abrupte (innerhalb von 48 Stunden) Abnahme der Nierenfunktion, definiert durch • einen absoluten Anstieg des Serum-Kreatinins ≥ 0,3 mg/dl, • einen prozentualen Anstieg des Serum-Kreatinins ≥ 50% (das 1,5-fache des Ausgangswertes) oder • eine Verminderung der Urin-Ausscheidung < 0,5 ml/kg/h über mehr als 6 Stunden. Stadieneinteilung der akuten Nierenschädigung RIFLEStadium Risk AKINStadium 1 Serum-Kreatinin 1,5- bis 2-facher Kreatininanstieg (RIFLE/AKIN) oder Urin-Ausscheidung <0,5 ml/kg/h für 6 h Kreatininanstieg ≥ 0,3 mg/dl (AKIN) Injury 2 2- bis 3-facher Kreatininanstieg <0,5 ml/kg/h für 12 h > 3-facher Kreatininanstieg oder <0,3 ml/kg/h für 24 h oder Serum-Kreatinin > 4 mg/dl mit einem akuten Anstieg ≥ 0,5 mg/dl fehlende Urinausscheidung (Anurie) für 12 h Failure 3 Loss * Dauerhaftes Nierenversagen für > 4 Wochen ESRD * Dauerhaftes Nierenversagen für > 3 Monate 42 Abbildung 30: Ursachen des ANV Sepsis Ischämisch Postrenal Toxine RPGN Prärenal Andere Erste Frage bei einem Patienten mit ANV: Besteht ein akutes oder chronisches Nierenversagen? Akutes Nierenversagen Chronisches Nierenversagen Kreatininverlauf Ultraschall Anstieg rasch Normal große Nieren Konstant, langsam Oft verkleinerte Nieren, verschmälerter Parenchymsaum Anämie Nur im Rahmen der Grunderkrankung Kein HPT Renale Anämie Sek. Hyperparathyreoidismus (HPT) Sek. HPT, Parathormon↑, knöcherne Veränderungen Abbildung 31: Wichtig: Die Einteilung in prä-, intra- und postrenale Schädigungen ist eine gute Orientierungshilfe für den klinischen Alltag. Akute Tubulusnekrose und prärenale Perfusionsstörung sind die Hauptursachen für eine plötzliche Verschlechterung der Nierenfunktion Prärenal Interstitielle Nephritis Intrarenal Postrenal Akute Tubulusnekrose Toxisch Rapid progr. GN Ischämisch Basisdiagnostik beim ANV: Anamnese: Familienanamnese? Vorerkrankungen, insb. KHK, pAVK, Insult, Diabetes mellitus, Hypertonie, Plasmozytom. Schwangerschaft? Frühere Nierenerkrankungen, Kreatininwerte? Gewichtsverlauf? Medikamentenanamnese (NSAR, ACE-Hemmer), Kontrastmittel, Dysurie, Algurie, Flankenschmerz Untersuchung, RR, Puls, Vorhofflimmern, Ödeme, Pleuraergüsse, Herztöne, Perikarderguss, Klopfdolenz Nierenlager; Hautturgor + + Urin: Status mit Stix, Sediment, Kreatinin, Na -Konz., Fraktionelle Na -Exkretion (FENa) 43 Blut: Blutbild (BB), Kreatinin, Harnstoff, Elektrolyte, Blutgase, Calcium, Phosphat, Creatinkinase (CK), Laktatdehydrogenase (LDH), Lipase, Elektrophorese, Blutkultur Ultraschall Abdomen, EKG, Thorax Röntgen Anhand der Klinik und der Urinelektrolyte kann man häufig ein prärenales von einem intrarenalen Nierenversagen unterscheiden. Prärenales ANV < 25 <1 > 1,1 Urinnatrium (mol/l) FE Na (%) Urin/Plasma-Osmol. Intrarenales ANV > 40 >2 < 1,1 Beachten sie bitte, dass es Überlappungsbereiche gibt + Die fraktionelle Natriumexkretion (FENa ): + Reflektiert die prozentuale Menge des filtrierten Na , die ausgeschieden wird. Sie erlaubt die Abschätzung der Natriumausscheidung ohne den störenden Effekt der Wasserreabsorption. + Eine ENa unter 1% besagt, dass mehr als 99% des filtrierten Natriums resorbiert wurde. + Menge an ausgeschiedenem Na FE Na = + x 100 Menge an filtriertem Na UNa x UV = x 100 PNa x (UKrea x UV) / PKrea UNa = Urin Natriumkonz. UV = Urinvolumen PNa = Plasma Natriumkonz. PKrea = Plasma Kreatininkonz. Ukrea = Urin Kreatininkonz. UNa x PKrea = x 100 PNa x UKrea Beim prärenalem ANV liegt ein funktionelles Nierenversagen vor, die Niere ist intakt. Der Tubulus versucht hierbei möglichst viel Wasser und Natrium zu resorbieren. Daher ist die Natriumkonzentration bzw. die fraktionelle Natriumexkretion klein (< 1%). Beim intrarenalen Nierenversagen kommt es zu einer Tubulusschädigung, der Tubulus kann nicht mehr genug Natrium resorbieren. Daher ist die Natriumkonzentration bzw. die fraktionelle Natriumexkretion groß (> 2%). Der Urinteststreifen und das Urinsediment geben weitere Rückschlüsse auf die Ätiologie des ANV: Urinstatus und ANV Proteinurie Hämaturie Prärenales ANV ∅ ∅ Tubuläre Nekrose ∅ ∅ Glomerulonephritis +++ +++ Sediment ∅ granuläre „braune“ Zylinder Erythrozytenzylinder Dysmorphe Ery. 44 I Das prärenale Nierenversagen Ursachen für das prärenale ANV • • • • • • Vermindertes Intravasalvolumen (Verlust von Blut) Verlust von Extrazellulärflüssigkeit (Erbrechen, Schwitzen) Flüssigkeitsverlust in den dritten Raum (Ileus, Peritonitis) Inadäquate Flüssigkeitszufuhr Verminderung des effektiven Blutvolumens (Herzinsuffizienz) Hypoproteinämie Pathophysiologisch steht bei den Erkrankungen eine Verminderung des effektiven Blutvolumens im Vordergrund. Das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System, die Ausschüttung von Catecholaminen und ADH werden dadurch aktiviert. Mit Hilfe dieser Hormone will die Niere Natrium und Wasser retinieren und dadurch das Blutvolumen stabilisieren. Das prärenale ANV ist prinzipiell reversibel, es kann aber bei längerem Fortbestehen auch zu einer Tubulusschädigung und damit zu einem intrarenalen ANV übergehen. Klinik des prärenalen ANV • Erniedrigtes effektives zirkulierendes Volumen Blutdruck ↓, Hautturgor ↓, Schleimhäute trocken • Urinnatrium < 25 mmol/l, FENa+ < 1 % • Quotient Harnstoff- / Kreatininkonz.: normal 10 - 15 : 1, prärenal > 20:1, erhöhte Reabsorption von Harnstoff • Normales Urinsediment Therapie: Volumensubstitution, Therapie der Grunderkrankung II Das intrarenale Nierenversagen a. Die akute Tubulusnekrose (Hauptursache des intrarenalen Nierenversagens) Pathophysiologisch kommt es zu einer Schädigung der proximalen Tubuluszelle durch Ischämie, Medikamente, Toxine und Entzündungsmediatoren. Die Polarität der Zelle geht verloren, es kommt zum Zelltod. Die toten Zellen verlegen das Tubuluslumen. Die übriggebliebenen proximalen Tubuluszellen können sich regenerieren und proliferieren (Abb. 32). Abbildung 32: Urinsediment bei ANV mit Tubulusnekrose: “Braune, schmutzige“ Zylinder 45 Ursachen für eine akute Tubulusnekrose 1. Zirkulatorisch-septisch 2. Toxisch Postischämisches ANV Sepsis Medikamente, Kontrastmittel Mikrozirkulationsstörungen Makrozirkulationsstörungen Hepatorenales Syndrom Medikamente Kontrastmittel Hämolyse, Rhabdomyolyse Hypercalcämie Prognose: Die Mortalität hospitalisierter Patienten steigt nach Auftreten eines ANV mit Tubulusnekrose von 7% auf 34% an! Therapie des ANV mit Tubulusnekrose: Es gibt bisher keine etablierte kausale Therapie des ANV. Daher ist Prophylaxe wichtig. Die Prognose des ANV wird nicht durch Diuretika oder Dopamin beeinflusst! Wichtig ist eine Prophylaxe des ANV vor allen Dingen bei Riskopatienten (ältere Patienten, dehydrierte Patienten, Patienten mit nephrotischen Medikamenten. Vor Antibiotikagabe Nierenfunktion berechnen und Antibiotikadosis bei eingeschränkter Nierenfunktion anpassen). Wichtiges Beispiel für ein ANV mit Tubulustoxizität: Die Kontrastmittelnephropathie: Nach Gabe von Kontrastmittel kann es durch renale Vasokonstriktion und direkte Tubuluszellschädigung innerhalb von 1 - 3 Tagen zu einem ANV mit guter Prognose kommen. Risikofaktoren für das Auftreten einer Kontrastmittelnephropathie sind: • Kreatininkonz. > 1,5 mg/dl • Diabetische Nephropathie • Niedriges intravasales Volumen (z. B. Herzinsuffizienz) • Gleichzeitige Gabe nephrotoxischer Substanzen • Hohe Kontrastmittelmenge > 135 ml • multiples Myelom Bei Patienten mit diesen Risikofaktoren sollten prophylaktisch folgende Maßnahmen getroffen werden: • Strenge Indikationsstellung • Volumendepletion und NSAR vermeiden • 0,9% NaCl, 1 ml/kg/h 2-6 h vor bis 6-12 h nach Untersuchung • Möglichst wenig und iso-osmolares Kontrastmittel • Acetylcystein, 2 x 600 mg, am Tag vor und am Tag der Untersuchung • Bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung im Stadium 3 (GFR: 30 und 59 mL/Min) und 4 (GFR: 15-29 ml/Min): Keine prophylaktische Dialyse nach Kontrastmittelgabe. Bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung im Stadium 5 (GFR < 15 ml/min): Prophylaktische Dialyse nach Kontrastmittelgabe Differentialdiagnostisch kann es nach einer Angiographie zu einem Atheroemboliesyndrom, d.h. subtotaler Okklusion renaler und anderer Arterien, kommen. Ein ANV tritt dabei meist ca. 1 – 4 Wochen nach der Angiographie auf. Begleitsymptome hierbei sind unter Umständen Livedo reticularis und digitale Nekrosen. Die Prognose der Erkrankung ist schlecht, > 70% der Patienten werden dialysepflichtig. 46 b. Die interstitielle Nephritis Die interstitielle Nephritis ist eine entzündliche Erkrankung des Interstitiums und der Tubuli, die durch zahlreiche Noxen und Erkrankungen verursacht werden kann. Sie ist in 10 - 15% Ursache eines akuten Nierenversagens. Ursachen: Pharmaka: Infektionen: Elektrolytst.: Andere: Antibiotika (Methicillin, Ampicillin) Diuretika Nichtsteroidale Antirheumatika Andere: Allopurinol, Cimetidin Protozoen, Bakterien, Rickettsien, Viren Hypercalcämie, Hypokaliämie, Uratnephropathie Sarkoidose, Strahlen Klinik: 1. Akutes Nierenversagen 2-3 Wochen nach Medikamentenexposition 2. Möglicherweise Hypersensitivitätsreaktion: Fieber, Exanthem, Arthralgie, Eosinophilie, Eosinophilurie 3. Ausfall tubulärer Partialfunktionen Labor- und Urinbefunde: 1. Labor: Kreatininanstieg, ggf. Eosinophilie, IgE-Erhöhung Selten: Renal tubuläre Azidose Typ I und II 2. Urinbefunde: Erythrozyten, Leukozyten, Leukozytenzylinder, Eosinophile 24-h-Sammelurin: Tubuläre Proteinurie > 1 - 2 g Glukosurie, Phosphaturie, Aminoazidurie Fraktionelle Natrium Exkretion > 1% Histologie: Interstitielle Infiltrate bestehend aus Lymphozyten, Plasmazellen und Eosinophilen, interstitielles Ödem, normale Glomerula (Abbildung 33). Abbildung 33: Histopathologie der interstitiellen Nephritis mit interstitiellen Infiltraten Therapie der interstitiellen Nephritis Beseitigung der auslösenden Faktoren bzw. Absetzen der Medikamente. Prednison, 1 mg/kg/Tag über 14 Tage (nicht gesichert), Symptomatische Therapie des akuten Nierenversagens c. Die rapid progrediente Glomerulonephritis (RPGN) ist ein klinisches Syndrom, das durch verschiedenste glomeruläre Erkrankungen ausgelöst werden kann. Einteilung der RPGN I. RPGN durch Antibasalmembran-AK (sehr selten, ca. 5%) mit oder ohne Lungenblutung II. RPGN mit Immunkomplexen (40 - 50 %) a. Infektiös (z.B. Poststreptokokken Glomerulonephritis) b. Autoimmun (Lupusnephritis) c. Primäre GN (IgA, membranöse GN, etc.) III. RPGN ohne Immunfluoreszenzoptische Befunde (40 - 50%) (Pauci Immun-GN, meist ANCA positiv) a. systemische Vaskulitiden (z.B. M. Wegener) b. Idiopathisch 47 Ka Abbildung 34: RPGN Lichtmikroskopie: Die zirkulär angeordnete halbmondförmige Nekrose (Pfeil) komprimiert die Kapillare (Ka) Leitsymptome der RPGN sind: • • • • • • Rascher Anstieg der Kreatininkonz., ggf. Hypertonie, Ödeme Nephritisches Sediment: Dysmorphe Erythrozyten, Erythrozytenzylinder, Proteinurie Normal große Nieren ggf. Allgemeinsymptome: Müdigkeit, Gewichtsabnahme, Gelenkbeschwerden, Fieber ggf: Antikörper (ANA, ANCA, Anti-GBM-AK) Histologie: Lichtmikroskopisch erkennbare extrakapilläre Proliferation mit Halbmondbildung (Abb. 33) • Geringe Spontanheilungstendenz: Notfall! Therapie der RPGN: Bei den nicht-infektiösen Formen: Methylprednisolon, 1 g /Tag i.v. für 3 Tage, gefolgt von Prednison, 1 mg/kg Körpergewicht/Tag, nach einem Monat reduzieren auf 0,5 mg/kg Körpergewicht/Tag, sehr langsam über 6 Monate ausschleichen 2 und Cyclophosphamid i.v. 500 – 750 mg/m Körperoberfläche, einmal im Monat für 6 – 12 Monate und bei Lungenblutung oder Antibasalmembran-Glomerulonephritis: Plasmapherese (Austauschmenge: 50 ml/kg Körpergewicht/Tag für 7 Tage ) III Das postrenale Nierenversagen Ursachen: Obstruktion der Urethra, Harnblasenkarzinom, gynäkologische Neoplasien, Obstruktion beider Ureteren durch Steine, Papillennekrosen, Blutung, Kompression beider Ureteren durch Tumore, Entzündungen, Intrarenale Obstruktion: Erhöhte Harnsäurekonzentration (vor allem nach Chemotherapie), Myelom, Calciumphosphat Klinik: Die Obstruktion kann asymptomatisch sein (normales Urinvolumen!) Urinuntersuchung unspezifisch, häufig Leukozyturie oder/und nichtglomeruläre Erythrozyturie. Die Sonographie ist wichtig zum Ausschluss einer Stauung in den Nierenbecken. Therapie: Beseitigung der Obstruktion Verlauf des akuten Nierenversagens: Der klassische Verlauf des akuten Nierenversagens lässt sich in vier Stadien einteilen: Initialphase: der überwiegend tubulären Läsionen kann Minuten bis Tage dauern, abhängig davon wie suffizient die prophylaktischen, diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen erfolgen. Die oligo- bis anurische Phase kann bis zu 6 Wochen dauern und eventuell bei schwerster Schädigung in ein terminales Nierenversagen übergehen. Am Anfang der oligoanurischen Phase steht eine meist eine Reduktion des Harnzeitvolumens mit einer Oligurie oder Anurie, begleitet von einem Anstieg der Serum-Kreatinin- und Serum-Harnstoffkonzentrationen, Störungen des Säure-Basen- und Elektrolyt-Haushaltes bis zum Vollbild der Urämie. In der polyurischen Phase (Dauer 1-2 Wochen), die der Erholungsphase vorausgeht, können die Harnzeitvolumina stark ansteigen, wodurch die Gefahr der Dehydratation und einer Elektrolytstörung für den Patienten besteht. In der Erholungsphase (Dauer einige Monate) erfolgt die Regeneration eines intakten Tubulusepithels und das Wiedererlangen der Fähigkeit Wasser und Salz zu konservieren, die Normalisierung der täglichen Urinmengen, der Anstieg der glomerulären Filtrationsrate und die Verbesserung der Retentionswerte. 48 Die Visite bei einem Patienten mit akutem Nierenversagen: Bei jedem Patienten mit ANV sind zu beachten 1. Reversible Faktoren (Hypovolämie, Nephrotoxine?) 2. Urämiesymptome (Perikarditis, Übelkeit, Somnolenz) 3. Abschätzung des Flüssigkeitsstatus 4. Hyperkaliämie, Azidose, Hyperphosphatämie? 5. Absetzen aller nicht notwendigen Medikamente 6. Dosisanpassung, Antibiotika Management der Komplikationen des ANV Überwässerung Flüssigkeitsbilanz: Einfuhr = Urinmenge + 500 ml/Tag ggf. Furosemid, Hämodialyse Hyperkaliämie Pseudohyperkaliämie? K -Zufuhr? EKG? + 2+ K > 6,5 mmol/l: Ca -Glukonat, 10 ml, 10%ig 50 ml 40% Glucose, hiernach Bolus von 10 Einheiten Insulin Albuterol 20 mg in 4 ml NaCl, vernebelt oder 0,5 mg i.v. Natriumbicarbonat, 50 mmol i.v. Ionenaustauschharz: Einlauf: 50 g in 200 ml, oral 3 x 20 g Furosemid, 40 mg + Hämodialyse bei K > 6 - 6,5 mmol/l Hyperphosphatämie Phosphatarme Diät, Phosphatbinder + Metabolische Azidose Natriumbicarbonat Perikarditis Hämodialyse Enzephalopathie Hämodialyse Gastrointestinal Protonenpumpenblocker Anämie Transfusion Infektionen Hygienische Maßnahmen Kontrolle der Zugänge Indikationen für eine Dialysetherapie beim ANV Urämiesymptome (Perikarditis, Übelkeit, neurolog. Symptome) Hyperkaliämie > 6,0 - 6,5 mmol/l Diuretikaresistente Überwässerung Therapierefraktäre metabolische Azidose Harnstoffkonz. > 150 mg/dl? 49 Zusammenfassung: Management des ANV 1. Anstieg der Kreatininkonz. ≥ 0,3 mg/dl: akutes Nierenversagen 2. Prä- und postrenale Ursachen ausschließen 3. Urinstatus 4. Urinelektrolyte 5. Bilanzierung beachten 6. Hypotonie vermeiden, keine agressive Therapie einer Hypertonie 7. Anpassen der Dosierung der Medikamente, insb. der Antibiotika 8. Dialyseindikation rechtzeitig stellen Weiterführende Literatur: http://www.thieme-connect.com/ejournals/html/dmw/doi/10.1055/s-2007-993100#fg oder UpToDate 50 10. Die chronische Nierenerkrankung Ansprechpartner: Prof Dr. [email protected] Gabriëls, [email protected], Prof. Dr. Brand, Eine Nierenschädigung, die mehr als 3 Monate anhält, wird als chronische Nierenerkrankung bezeichnet. Man unterscheidet 5 Schwere-Stadien. In Abhängigkeit von der Schwere der Niereninsuffizienz treten sekundäre Komplikationen wie sekundärer Hyperparathyreoidismus, renale Anämie, metabolische Azidose und Elektrolyt- und Wasserstörungen auf. Zudem haben ca. 80% der Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz eine Hypertonie. Im Endstadium der chronischen Nierenerkrankung kann es zu Urämiesymptomen kommen. Aufgrund der Komplexität der Erkrankung sollte jeder Patient mit einer Niereninsuffizienz im Stadium 2 einem Nephrologen vorgestellt werden. Wichtig ist die neuere Erkenntnis, dass Patienten mit einer schon leicht eingeschränkten Nierenfunktion ein höheres kardiovaskuläres Risiko haben. Dies liegt nur zum Teil daran, dass viele dieser Patienten Risikofaktoren wie eine Hypertonie, Diabetes oder ein metabolisches Syndrom haben. Eine aggressive Reduktion der Risikofaktoren für kardiovaskuläre Ereignisse bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz sollte daher angestrebt werden (Nikotinabstinenz, RR <130/80 mmHg, LDL- Cholesterin < 100 mg/dl, Therapie der Anämie und des sekundären Hyperparathyreoidismus). Siehe auch: http://www.springerlink.com/content/w8h56675r4822240/fulltext.pdf Stadien der chronischen Nierenerkrankung und geschätzte Häufigkeit in Deutschland Glomeruläre Filtrationsrate 2 ml/min/1.73 m <15 Stadium Prävalenz Geschätzte Anzahl der Patienten 5 - Dialysepflichtig 0.1% 60,000 15-29 4 - schwere Schädigung 0.2% 120,000 30-59 3 - moderate Schädigung 4.3% 2.5 Million 60-89 2 - leichte Schädigung 3.0% 1.9 Million >90 1 - normale GFR und Proteinurie 2.8% 2.1 Million Ursachen der chronischen Niereninsuffizienz sind: Diabetes mellitus (ca. 30%), Glomerulonephritis (20%), renovaskuläre Erkrankungen (13%), polyzystische Nierenerkrankungen (10%), Refluxerkrankungen (10%), chronische Infektionen, andere Ursachen (17%) Klinik: I. Wasser-, Elektrolyt-, Säure-Basen-Haushalt a. Eine gestörte Ausscheidung von NaCl und Wasser tritt meist erst im späten Stadium der Niereninsuffizienz auf und kann dann zu peripheren und zentralen (Lungen-)Ödemen führen. Management: Schleifendiuretika: bis zu 500 mg Furosemid/Tag. Bei Diuretika-resistenter Überwässerung: Hämodialyse. b. Hyperkaliämien. Management: Bei einer Hyperkaliämie sollte eine konservative Therapie angewandt werden: Kaliumarme Kost, Schleifendiuretika, Kaliumentzug durch Ionenaustauschharze: 3 x 15 – 25 g, (NW: Obstipation, dann zusätzliche Therapie mit Sorbitol), eine Azidose wird durch orale Gabe von Bicarbonat korrigiert. Lebensbedrohliche Hyperkaliämien (K> 6.5 mmol/l) werden mittels Hämodialyse behandelt. c. Eine metabolische Azidose tritt mit Abnahme der Bicarbonatkonzentration auf (meist ab einer Kreatininclearance < 59 ml/min). Auswirkung der metabolischen Azidose sind: vermehrte Ammoniumbildung, vermehrter Calciumverlust aus den Knochen und vermehrte Degradation von verzweigtkettigen Aminosäuren mit gesteigertem Proteinabbau. Die Bicarbonattherapie senkt Morbidität und Mortalität bei der chronischen Nierenerkrankung. 51 Management: Sinkt die Serumbicarbonatkonzentration unter 18 mmol/l, sollte mit einer oralen Bicarbonatsubstitution durch Gabe von Puffersubstanzen (v.a. Na-Bicarbonat, Tris-Puffer), 0,5 – 1 mmol/kg, begonnen werden. II. Renale Anämie Ab einer Kreatininclearance < 60 ml/min kann eine sogenannte renale Anämie auftreten. Bereits im Stadium 3 der chronischen Niereninsuffizienz haben ca. 48% der Patienten eine Anämie, die primär durch eine verminderte Bildung von Erythropoetin (EPO) in der Niere verursacht wird. Deshalb: - erst Abklärung der Anämie durch: Blutbild, Erythrozyten-Index, Retikulozytenzahl, Vitamin-B12, Folsäure, Eisen, Transferrin, Ferritin, Stuhl auf okkultes Blut untersuchen (keine ErythropoetinSpiegel bestimmen) - danach Berechnung der Transferrinsättigung (TSAT) ⇒ Eisen / Transferrin x 100 = TSAT [%]. Management: Vor der EPO-Gabe muß der Eisenstatus kontrolliert werden. Ist TSAT < 20 und Ferritin < 100 ng/dl liegt ein Eisenmangel vor (Therapie mit Eisen, p.o. oder i.v.). Ist TSAT > 20 und Ferritin > 100 ng/ml liegt eine ausreichende Eisenversorgung vor. Eine EPO-Therapie wird begonnen, wenn die Hämoglobin (Hb) -Konz.: < 11 g/dl ist. Anfangsdosis der Therapie: 100 U/kg 1x/Woche subkutan (nicht Epoetin alpha, da Gefahr der Erythroblastopenie), abgestimmt auf die Reaktion die Dosis bzw. Frequenz der Gabe steigern. Blutdruck kontrollieren. Ziel Hb: 10-12 g/dl, nicht höher. Fehlendes Ansprechen auf EPO durch: Eisenmangel, Infektionen, Entzündungen, Hyperparathyreoidismus, Aluminium-Intoxikation, Folat/Vitamin B12-Mangel, Malignome (Multiples Myelom, Myelofibrose, -dysplasie), Malnutrition, Hämolyse, Medikamente, Urämie (inadäquate Dialyse), Erythroblastopenie (EPO-Antikörper). III. Hyperphosphatämie / sekundärer Hyperparathyreoidismus (HPT) In den proximalen Tubuluszellen der Niere wird aus 25-Vitamin-D3 durch 25-Hydroxyvitamin-D31alpha-Hydroxylase das biologisch aktive 1,25-Dihydroxyvitamin-D3 (Calcitriol) gebildet. Mit zunehmender Niereninsuffizienz bzw. unter einer Kreatininclearance von ca. 60 ml/Minute wird weniger Calcitriol gebildet (siehe Abbildung 35). Daher sollte bei Patienten mit einer Kreatininclearance von unter 60 ml/Minute die Serumspiegel von Calcium, Phosphat und intaktem Parathormon bestimmt werden. Die Kombination von Hyperphosphatämie, Hypocalciämie und erniedrigtem Calcitriolspiegel führt in der Nebenschilddrüse zur Stimulation der Parathormon (PTH)Bildung. Dabei wird die vermehrte PTH-Bildung durch die Hypocalciämie über den Calcium-SensingRezeptor vermittelt. Erhöhte PTH-Konzentrationen in Kombination mit einer Niereninsuffizienz, Hyperphosphatämie und normal bis niedrige Calciumwerte sprechen für einen sekundären HPT. Die erhöhten PTH-Spiegel führen zu einer kompensatorischen Freisetzung von Calcium aus den Knochen; gleichzeitig wird vermehrt Phosphat mobilisiert, welches nicht mehr in ausreichendem Maße ausgeschieden werden kann. Abbildung 35: Pathogenese des sekundären Hyperparathyreoidismus VDR= Vitamin D-Rezeptor Klinik: 1. Osteoporose 2. Osteomalazie (gleichzeitiger Vitamin-D3-Mangel) 3. Osteitis fibrosis (ausgeprägte Knochenveränderungen beim sekundären HPT) 52 Symptome bei 5 - 10% der Patienten: Progrediente Muskelschwäche, Knochenschmerzen (untere Wirbelsäule, Becken, untere Extremität), Spontanfrakturen (insbes. Rippenfr. bei Osteomalazie), periarthritische Beschwerden (Pseudogicht), Calciphylaxie mit extraossärer Verkalkung der kleinen u. mittleren Arterien (Ulcera), Pruritus. Wahrscheinlich spielt bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz der sekundäre HPT eine Rolle bei der raschen Entwicklung einer Atherosklerose. Management: Der Serum-Phosphatspiegel sollte zwischen 2,7 und 4,6 mg/dl liegen. Das wird bewirkt durch: ♦ Phosphatarme Diät (800 – 1000 mg/Tag, z.B. kein Käse, keine Schokolade, Cola). ♦ Phophatbinder (z.B. Calciumacetat 500 - 1000 mg zu jeder Mahlzeit, nicht mehr als 1500 mg/Tag). Nebenwirkung: Hypercalcämie ♦ Bei Patienten mit vaskulären Calcifikationen, Hypercalcämie oder sehr hohen Phosphatkonz. (> 7 mg/dl) wird die Therapie mit dem calciumfreien Phosphatbinder Sevelamer oder Lanthanumcarbonat (calciumfreie Phosphatbinder) empfohlen. ♦ Kontrolle der Calcium- und Phosphatwerte alle 3 Monate. ♦ Sollte der Serum-Phosphatspiegel im Normbereich liegen, wird bei Patienten mit erhöhten PTHSpiegeln (PTH > 70 pg/mL im Stadium 3 (GFR 30 - 59 ml/min) oder PTH > 110 pg/mL im Stadium 4 (15 -29 ml/min) der Niereninsuffizienz, die Gabe von Vitamin-D empfohlen. z.B. Alfacalcidol (1-Hydroxyvitamin-D, wird in der Leber zu Calcitriol hydroxyliert), 0,25 - 1,0 µg 3x/Wo. Engmaschige Kontrolle vom Serumcalcium nach Einleitung einer Vitamin-D-Therapie. CAVE: keine Vitamin-D-Therapie bei hohem Phosphatwert (Gefahr der CalciumphosphatPräzipitation im Gewebe bei einem Calciumphosphat-Produkt größer 60: (Calcium [mmol/l] x Phosphat [mg/dl] x 4). Zurzeit wird die Therapie mit Vitamin-D allerdings diskutiert, da mit Cinacalcet, ein Medikament, dass die Sensitivität des Calcium-Sensing-Rezeptors für Calcium erhöht (sog. Calcimimetikum), in der Klinik zur Verfügung steht. Cinacalcet supprimiert den PTH Spiegel und erniedrigt sowohl das S-Calcium wie auch das S-Phosphat und ist daher besser als Vitamin D für die Therapie des autonomen Hyperparathyreoidismus geeignet. ♦ ggf. Parathyreoidektomie: Stark erhöhte persistierende PTH-Spiegel mit progressiver Knochenerkrankung, schwerer Hypercalcämie oder extraskelettalen Calcifikationen IV. Urämie Unspezifische und spezifische Urämie-Symptome treten in der Regel bei einer GFR < 10 - 25 ml/min auf. Zu den unspezifischen Symptomen gehören Müdigkeit (aufgehobener Tag-Nacht-Rhythmus), Leistungsknick, Luftnot, Appetitlosigkeit, Übelkeit/Erbrechen, Gewichtsverlust, Juckreiz, metallischer Geschmack, Abneigung gegen Fleisch. Im fortgeschrittenen Stadium kommt es dann zu einer urämischen Gastritis, Perikarditis/-erguss, Pleuritis/Pneumonitis, Enzephalopathie/Polyneuropathie. Untersuchungsbefunde: Anämieanzeichen, Kratzspuren, Überwässerung (Lungenödem, periphere Ödeme), Zeichen der Perikarditis / Perikardtamponade, urämischer Foetor, Hypertonie. Diagnose: Kreatininkonz. häufig > 5 - 10 mg/dl, Harnstoffspiegel > 150 - 250 mg/dl, reduziertes Urinvolumen. In diesem Stadium sind im Ultraschall häufig Schrumpfnieren zu diagnostizieren (Nierengröße < 9 cm). 53 11. Nierenersatztherapien inkl. Nierentransplantation Ansprechpartner: Prof. Dr. Gabriëls, [email protected] und Frau Prof. Dr. Suwelack, [email protected] (Transplantation) In Deutschland gibt es zurzeit ca. 70.000 dialysepflichtige Patienten. Die Kosten für die Behandlung betragen dabei pro Patient ca. 40.000 – 50.000 Euro/Jahr. Der terminalen Niereninsuffizienz liegen verschiedene Ursachen zugrunde: Die Abbildung 36 zeigt die Diagnoseverteilung der in Deutschland im QuaSi-Niere-Register gemeldeten Patienten bei Dialysebeginn im Jahr 2008. Abbildung 36: Diagnoseverteilung der Patienten bei Therapiebeginn im Jahre 2008 (QuaSi-Niere) Haupttodesursache bei Dialysepatienten sind kardiovaskuläre Erkrankungen und Infektionen (Abbildung 37) Abbildung 37: Todesursachen der im Jahr 2004 verstorbenen Dialysepatienten (QuaSi Niere-Bericht 2004/2005) Indikationen zur Dialysetherapie: Bei urämischer Perikarditis, Gastroenteritis, Übelkeit, Erbrechen, diuretikaresistenter Überwässerung, therapierefraktärer Hyperkaliämie oder/und Azidose, rasche Gewichtsabnahme, ist die Einleitung einer Dialysetherapie indiziert. Eine relative Indikation besteht ab einer Kretininclearance von < 15 ml/Minute. Meist wird in der Praxis dieser Wert aber unterschritten, da die Patienten sich oft noch relativ wohl fühlen. 54 Im Prinzip stehen 3 unterschiedliche Arten der Nierenersatztherapie zur Verfügung: Terminale Niereninsuffizienz Hämodialyse Peritonealdialyse Nierentransplantation Aufgaben der Nierenersatztherapie: Entfernung von 1. Wasser (ca. 0.5 - 1.0 l/Tag), 2. Harnstoff (als Marker für Urämie-Gifte; Harnstoff selbst ist nur in höchsten Konzentrationen toxisch und kann dann zu Kopfschmerzen, Erbrechen und Müdigkeit führen), 3. Phosphat (Akkumulierung führt zur Stimulation von PTH und renaler Osteodystrophie, Präzipitation von Calcium bei Überschreiten des Calcium-Phosphat-Löslichkeitsproduktes) 4. Kalium (die tägliche Aufnahme liegt bei ca. 70 mmol/Tag), 5. sog. Mittelmoleküle, (Urämietoxine des Proteinstoffwechsels mit einem Molekulargewicht zwischen 0.5 und 12 kDalton). I. Prinzip der Hämodialyse (HD) Das Standardverfahren, mit dem in Deutschland ca. 90% der Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz behandelt werden, ist die intermittierende Hämodialyse (Abbildung 38). Hierbei wird über eine Kanüle Blut mit einem Blutfluss von ca. 200-300 ml/min über einen Dialysator geleitet. Die Dialysemembran des Dialysators ist die eigentliche „künstliche Niere“. Im Dialysator sind semi-permeable Hohlfasern (1000 - 15000 Einzelkapillaren) in einem Gehäuse parallel angeordnet. Diese Kapillaren werden vom Blut durchströmt. Das sogenannte Dialysat, das im Gegenstrom zum Blut läuft, umfließt die Kapillaren (Zusammensetzung des Dialysats: Natriumchlorid- (130 - 140 mmol/l), Calcium- (z.B. 1,5 mmol/l), Bicarbonat- (z.B. 35 mmol/l), Magnesium(1 mmol/l) und Kaliumkonzentration (z.B. 2 mmol/l). Abbildung 38: Prinzip der Hämodialyse Urämietoxine (einschließlich Harnstoff und Kreatinin) verlassen das Blut und treten per diffusionem entlang eines Konzentrationsgradienten in das Dialysat über, während die Bicarbonat-Konzentration im Blut während der Dialyse-Behandlung ansteigt (= Ausgleich der metabolischen Acidose). Das Blut wird dann über eine Pumpe in die venöse Kanüle zuruckgeleitet. Es kann gleichzeitig eingestellt werden, wieviel Flüssigkeit dem Patienten während der Behandlung entzogen wird (sog. Ultrafiltration). Die typische Behandlung dauert 4 - 5 Stunden und es werden (je nach Flüssigkeitsaufnahme) 2 - 3 l Flüssigkeit entzogen. Damit das Blut nicht gerinnt, wird der Patienten für die Dauer der Dialysesitzung systemsich mit Heparin antikoaguliert. Hämodialyse-Behandlung (typisches Protokoll): Dauer der Behandlung: 4,5 Stunden, 3x/Woche, Blutfluss (beeinflusst die Clearance) 250 - 300 2 ml/min, Dialysatfluss in der Regel 500 ml/min, Dialyse-Membran (Polysulfon mit ca 1,2 – 1,8 m Oberfläche), Heparin z.B. 2000 U Bolus, dann 1000 U/h. Kalium i. Dialysat 2 mmol/l, Ultrafiltration 2 – 3 l. Gefäßzugang: Damit eine ausreichende Clearance erzielt werden kann, sind Blutflüsse zwischen 200 – 300 ml/min notwendig. Hierzu muss ein spezieller Gefäßzugang angelegt werden, z.B. eine End-zu Seit-Anastomose der V. cephalica mit der A. radialis proximal vom Handgelenk oder im Bereich der Ellenbeuge (Cimino-Fistel). Bevor diese Gefäßanlage benutzt werden kann, muss die arterialisierte Vene “reifen” (4 - 6 Wochen), so dass in der Zwischenzeit nicht selten ein zentraler Zugang in die V. jugularis interna als Dialysezugang eingebracht wird. Bei jedem Patienten mit 55 eingeschränkter Niereninsuffizienz sollte der potentielle Shuntarm im Vorfeld geschont werden (keine Venenpunktionen, Blutabnahmen). Praktischer Ablauf: Vor Beginn der Dialyse wird der Patient gewogen. Das Gewicht, das er über dem von seinem Arzt festgelegten Trockengewicht auf die Waage bringt, muss ihm als Wasser während der Dialyse entzogen werden. Der Patient nimmt in einem Krankenstuhl oder im Bett Platz. Eine kurze Anamnese wird erhoben. Der Blutdruck wird gemessen. Die Punktionsstellen werden desinfiziert, die arterielle sowie venöse Kanüle werden eingebracht und durch Pflaster gegen Verrutschen und versehentliches Herausziehen gesichert. Blutproben (Elektrolyte) können jetzt entnommen werden. Die arterielle Kanüle wird mit dem arteriellen Schlauchsystem verbunden, die Blutpumpe mit einem Fluss von zunächst ca. 100 ml/min gestartet. Ist das Blut durch das gesamte Schlauchsystem geflossen, wird das venöse Schlauchsystem mit der venösen Kanüle verbunden; der Kreislauf ist geschlossen. Der Patient bekommt eine Initialdosis Heparin oder Fragmin und die Heparinpumpe wird auf den vorgegebenen Wert eingestellt. Der zu Beginn ermittelte Wert für den Wasserentzug wird am Gerät eingestellt, der Blutfluss auf ca. 200 ml/min. erhöht. Es wird der Blutdruck des Patienten gemessen und in einem Dialyseprotokoll zusammen mit allen anderen Daten, wie Dialysebeginn/ende, Blutfluss, Heparingabe, Gewicht usw. eingetragen. Cave: Die ersten Dialysesitzungen sollten nur 2-2,5 Stunden dauern, da sonst die Gefahr eines Dysäquilibriumsyndroms (Symptome: Unruhe, Erbrechen, Verwirrtheit, cerebrale Krämpfe) durch zu schnellen Harnstoffentzug besteht. Nebenwirkungen/Komplikationen der Dialysetherapie: Hypotension, Krämpfe und Bewusstlosigkeit bei übermäßiger Ultrafiltration, Kopfschmerzen, Juckreiz, Infektionen des Zugangs (Shunt, Diaylsekatheter) mit Fieber und Schüttelfrost; Shuntthrombose 56 II. Die Peritonealdialyse (PD) Prinzip: Austausch von Flüssigkeit und Soluta über das Peritoneum, welches in diesem Fall als semipermeable Dialysemembran dient. Die CAPD ist die Abkürzung für »continuous ambulatory peritoneal dialysis«. Die sterile Dialyseflüssigkeit, die über einen Katheter in den freien Bauchraum eingeführt wird, verbleibt in der Regel 4-6 Stunden in der Bauchhöhle und wird anschließend abgelassen und durch neue Dialyseflüssigkeit ersetzt, so dass sich kontinuierlich (24/7) Flüssigkeit in der Bauchhöhle befindet (Abb. 39). Dabei werden durch Diffusionsvorgänge »harnpflichtige Substanzen« und durch Osmose überschüssiges Wasser aus dem Körper entfernt. Die Therapie wird nach einer Trainingszeit von einigen Tagen durch den Patienten selbst zuhause durchgeführt. Der Patient muss lernen die Beutel steril zu wechseln. Hauptkomplikation der CAPD ist die Peritonitis. Die Diaylsierflüssigkeit enthält als osmotische Substanz Glukose, die durch Ihre Konzentration einen bestimmten "osmotischen Druck" ausübt. Auf diesem Wege wird Wasser aus den Peritonealkapillaren in die Bauchhöhle gezogen. Durch die Wahl der Glukosekonzentration kann der osmotische Druck verändert werden. So wird man bei einem Patienten mit minimaler Urinausscheidung mit höherer Glukosekonzentration oder, als neueste Entwicklung, mit anderen osmotisch wirksamen Zuckerverbindungen (z.B. das Glukosepolymer Icodextrin 7.5%) arbeiten. Abbildung 39A: Prinzip der CAPD: Über einen speziellen Katheter, z.B. Tenckhoff-Katheter, werden ca. 2 Liter Dialysatflüssigkeit (meist glukosehaltige Lösung) in die Bauchhöhle eingelassen. Nach einer Verweildauer von 4 - 6 h wird die Flüssigkeit gegen frische Flüssigkeit ausgetauscht. Subkutane Muffe Muffe der Bauchwandmuskulatur Abbildung 39B: Links: Tenckhoff-Katheter bei einem Patienten. Rechts: Eigenschaften des Katheters Beziehung Molekular-Gewicht (MG) und Clearance Substanz Harnstoff Kreatinin Glukose Inulin ß2-Mikroglobulin Albumin MG(Dalton) 60 113 180 5500 11800 69000 Clearance (ml/min/1,73 qm) 29 23 16,5 2,8 1,3 0,12 57 Das bedeutet: Die Clearance ist umso größer, je kleiner das Molekül ist. Abbildung 40: Diffusionsraten verschiedener Soluta bei PD Verhältnisse der Konzentrationen von Harnstoff, Kreatinin, Inulin und Protein im Dialysat und im Plasma (1 bedeutet komplette Äquilibrierung) während einer 8-stündigen Verweildauer. 1,0 Harnstoff Dialysat / Plasma Konzentrationsverhältnis 0,8 Kreatinin 0,6 0,4 Inulin 0,2 Proteine 0 120 240 360 480 Verweildauer (min) Dialysat-Plasma-Verhältnis Harnstoff Kreatinin Die Harnstoff-Äquilibriertung ist so schnell, dass sich nach 90-120 min ein Diffusionsgleichgewicht einzustellen beginnt, das nach 240 min komplett ist. Also maximieren kurze Verweilzeiten die Rate der Entfernung des kleinen Moleküls Harnstoff. Im Vergleich dazu zeigen größere Moleküle eine progressive Abnahme der Diffusionsraten. Die Inulin-Diffusion nimmt mit der Zeit linear zu, da der limitierende Konzentrationsgradient nicht erreicht wird. Das bedeutet, dass ein Verlängern der Gesamtdialysezeit die Clearancerate dieser größeren Moleküle steigert. 2h 4h 0,70 0,90 0,50 0,65 Abbildung 41: Ultrafiltration in Abhängigkeit von der Glukose-Konzentration (in%) des Dialysats 80 4,25 % 60 40 20 2,3 % 0 2 - 4 6 8 1 Verweilzeit (h) 1 1,5 % Glukose wird in den meisten Fällen als das osmotische Agens im Peritonealdialysat verwandt. Es wird umso mehr Flüssigkeit aus dem Blut in das Peritoneum gelangen, je höher die Glukose-Konzentration des PeritonealDialysates ist. Abbildung 42: Beziehung zwischen Dialysatfluss-Rate und Clearance verschiedener Teilchen bei der PD 30 Clearance (ml/min) Harnstoff Kalium 20 Kreatinin 10 Inulin 0 0 15 30 Die Clearance von Soluta nimmt mit dem Dialysatfluss zu, da das frische Dialysat keine entsprechenden Teilchen enthält und so ein günstiger Konzentrationsgradient für die fortlaufende Diffusion erhalten bleibt. Der Dialysatfluss ist für größere Teilchen wie Insulin weniger wichtig, da die Clearance zu niedrig ist, einen limitierenden Konzentrationsgradienten zu erreichen. 45 Das Peritoneum verschiedener Patienten kann unterschiedliche Eigenschaften aufweisen. Wichtig sind die Transporteigenschaften des Peritoneums. Man differenziert daher die Patienten in „schnelleTransportierer“ und „langsame Transportierer“. Dialysatfluss (ml/min) 58 „schnelle Transportierer“ / hohe Transportkapazität hohe Transportkapazität bedeutet: - schnelle Einstellung des Gleichgewichtes der gelösten Teilchen zwischen Blut- und Dialysat - schnelle Glucoseaufnahme aus dem Dialysat - schnelles Einsetzen der Rückresorption von Wasser aus dem Dialysat ins Plasma Dies hat zur Folge, dass nach langer Verweilzeit in der Summe nur geringe Volumina ultrafiltriert werden. „langsame Transportierer“ / niedrige Transportkapazität niedrige Transportkapazität bedeutet: - langsame Einstellung des Gleichgewichtes der gelösten Teilchen zwischen Blut- und Dialysat - langsame Glucoseaufnahme aus dem Dialysat - kaum Rückresorption von Wasser. Das heißt: mit zunehmender Verweilzeit werden in der Summe größere Volumina ultrafiltratriert. So kann also mit der Variation folgender Faktoren eine Änderung der Ultrafiltration erreicht werden: Häufigkeit der Wechsel Verweildauer Volumina Dialysat-Konzentration Große / schwere Patienten benötigen typischerweise große Dialysatvolumina, vor allem wenn sie “langsame Transportierer” sind und überhaupt keine eigene Nierenfunktion mehr haben. Verfahrenstypen: 1. kontinuierliche ambulante PD (CAPD) (Abb. 43) 2. intermittierende PD (hohe Austauschfrequenz während des Tages, meistens in einem Dialysezentrum) (IPD), 3. nächtliche intermittierende PD (NIPD) mit einem Cycler 4. continuierliche Cycler-gestützte PD (CCPD) mit nächtlichem Cycler und zusätzlichem Austausch während des Tages. Vorteile: gute Clearance von Urämie-Toxinen, peritonealer Zugang, Mobilität und Unabhängigkeit des Patienten, “biokompatibles” Verfahren (Abb 44). Liter Abbildung 43: CAPD Bei CAPD sind die Füllvolumina üblicherweise 2 Liter und einige Patienten benötigen statt vier Beutelwechseln fünf. 2 2,0 l 2,0 l 7.00 2,0 l 17.00 2,0 l 22.00 7.00 Abbildung 44: CCPD Liter Bei der continuierlichen Cyclergestützten PD (CCPD) muss der Patient sich oft 12 bis 14 Stunden mit dem Cycler und großen Dialysatmengen behandeln. Eine Alternative ist eine kürzere Zeit am Cycler (9 bis 11 Stunden) plus 1 bis 2 Dialysat-Wechsel am Tag. 2 2,5 l2,5 l 2,5 l2,5 l2,5 l 2,5 l 2,0 l 7.00 17.00 22.00 7.00 Komplikation der CAPD: Peritonitis (0.23 Episoden pro Patientenjahr). In 80% Bakterien (meist gram-positiv) Klinik: Bauchschmerz. Fieber. Übelkeit. Trüber Beutel. 59 Labor: Leukozytose >100 Zellen /µl in der Peritonealflüssigkeit (ist nicht immer vorhanden!) Diagnostik: Leukozyten und Zelldifferenzierung im Auslauf, Gram Färbung, Kultivierung der Peritoneallösung, Blutkultur. Sammeln: Dialysat (10 ml Spritze) für Kammerzählung 6 Blutkulturflaschen (4x aerob, 2x anaerob) mit je 10 ml Dialysat (Bakteriologie) Raumtemperatur 50 ml Dialysat für Kultivierung und Gram-Direktpräparat (Bakteriologie) Kühlschrank 3 Blutkulturflaschen (2x aerob, 1x anaerob) mit je 10 ml Dialysat (Mikrobiol./Hygiene) RT 50 ml Dialysat für Kultivierung und Gram-Direktpräparat (Mikrobiol. / Hygiene) Kühlschrank 10 ml Dialysat für Zelldifferenzierung (Zytopathologie) Kühlschrank Inspektion des sog. Exit-Points des Katheters Abstrich von der Exit-site, Bestimmung von Amylase (> 50 U/ml sprechen für zusätzliche intraabdominelle Erkrankungen als Ursache der Peritonitis), ggf. Abdomen Übersicht, CT. Therapie: Zunächst empirisch: Vancomycin + Ceftazidim intraperitoneal, bei jedem Beutelwechsel. Ceftazidim (Fortum: Erstdosis: 500 mg/l i.p. Erhaltung: 125 mg/l i.p.) Vancomycin (Erstdosis: 1000 mg/l, Erhaltungsdosis: 15 mg/l i.p.), dann Therapie weiter nach Antibiogramm. Spätestens innerhalb von 1-3 Tagen muss es eine deutliche Besserung der klinischen Symptomatik und ein Rückgang der Zellzahlen geben. Ist dies nicht der Fall: erneute Kulturen gewinnen, Leukozyten erneut differenzieren, Ursache der Peritonitis reevaluieren, z.B. intraabdominelle Pathologie bei multiplen Darmkeimen, Katheterexplantation erwägen Vorteile der CAPD gegenüber der Hämodialyse: Mehr Unabhängigkeit/Mobilität, Restdiurese bleibt länger erhalten, liberalere Trinkmengen, schonenderer Volumenentzug, bessere Kontrolle einer Anämie, weniger Arrhythmien, geringeres Hepatitisrisiko Nachteile der CAPD: geringere Clearance für Harnstoff und Kreatinin (kleine Moleküle), hohes Infektionsrisiko (Peritonitis, Exit-site-Infektionen). Limitierend sind Restausscheidung und Körpergewicht / - größe. Es wurde nachgewiesen, dass unter den Dialysepatienten diejenigen am besten überleben, die zunächst einige Jahre Peritonealdialyse und erst anschließend mit Hämodialyse behandelt werden. Dialysequalität und adäquate Dialyse Basiskriterien für eine adäquate Dialyse sind: Keine Urämiesymptome, Wohlbefinden, guter Ernährungszustand (Serumalbumin > 3,5 g/dl), ausgeglichene Flüssigkeitsbilanz, Normotension, Hämatokritwert > 33%, optimale Behandlung des Hyperparathyreoidismus. Als weiteres Dialysequalitätskriterium kann die wöchentliche Verteilungsvolumen-bezogene Harnstoffelimination herangezogen werden. Die Formel Kt/V ist ein Index für die exponentielle Harnstoffabnahme im Verlauf einer Hämodialysesitzung. K = Harnstoffclearance des Dialysators, t = Behandlungszeit, V = Verteilungsvolumen von Harnstoff. Richtwerte für eine adäquate Hämodialyse sind: Kt/V > 1,3 pro Sitzung bzw. > 3,9 pro Woche Richtwerte für eine adäquate Peritonealdialyse: > 2,0 pro Woche. Das entspricht einem Dialysatvolumen von 50-60 l/Woche. Die wichtigste variierbare Größe ist dabei die Dauer der Dialysebehandlung, dass heißt mit zunehmender Dauer steigt natürlich auch die Effektivität. 60 III. Die Nierentransplantation (Ntx) Zurzeit werden ca. 58.000 Patienten mit einer Hämodialysetherapie (70%), 3000 Patienten mit einer CAPD Therapie (4%) und 21.000 Patienten durch eine Nierentransplantation (26%) behandelt. Etwa 80% aller transplantierten Nieren stammen von hirntoten Spendern und 20% von Lebendspendern (~50% in USA, Schweden). 2010 wurden in Deutschland 2.272 Nieren nach postmortaler Nierenspende und 665 nach Lebendspende transplantiert. Zurzeit warten dennoch mehr als 8.000 Dialysepatienten in Deutschland auf ein Spenderorgan Voraussetzungen: 1. ABO-Blutgruppenkompatibilität (Rhesus-Identität wird nicht berücksichtigt). Neuerdings werden aber auch ABO- Blutgruppeninkompatible Spenden mit vergleichbarem Erfolg i.R.der Lebendnierenspende durchgeführt. 2. HLA-Typisierung 3. % PRA (panel reactive antibodies) Screening – Grad der Immunisierung 4. Cross-match (CDC) HLA-System: Es werden im Wesentlichen drei transplantationsrelevante MHC-Loci auf dem Chromosom-6 berücksichtigt, aus der Klasse I – HLA-A , HLA-B und aus der Klasse II – HLA-DR. Für das HLA A, B und DR existieren jeweils zahreiche Allele, die in der Bevölkerung in unterschiedlicher Häufigkeit vorkommen. Durch die Entwicklung der molekularbiologischen Gewebetypisierung wächst die Zahl der nachgewiesenen Allele und Splits ständig (HLA-A*: 458, HLA-B*: 782, HLA-DR*: 440). Jeder Mensch besitzt zwei Chromosome-6 und vererbt jeweils eines (Haplotyp) weiter. Bei der Lebendspende von Geschwistern besteht damit eine 25%ige Wahrscheinlichkeit für ein “Full House” (beide Haplotypen sind identisch), 50% für einen identischen Haplotyp und in 25% findet sich keine Übereinstimmung. Cross-over und andere Formen der Rekombinationen führen zum Abweichen von diesem Vererbungsmodus. Die HLA-Übereinstimmungen haben einen wichtigen Einfluss auf die Überlebensraten: bei HLA-identischen Lebendspendern beträgt die Halbwertszeit der Nierentransplantate 24 Jahre, bei zufällig gematchten Leichennieren 9 Jahre. % PRA (panel reactive antibodies) es handelt sich um infolge Sensibilisierung gegen fremde Antigene präformierter cytotoxischer HLA- Antikörper der Empfänger gegen ein Panel verschiedener Testlymphozyten. >80% PRA % gilt als hochimmunisiert (hi). Transplantationsvorbereitung: Ca. 36% der nierentransplantierten Patienten versterben mit funktionierendem Transplantat an kardiovaskulären Komplikationen, 18% an einer Infektion und 9% an einem Malignom. Daher müssen im Rahmen der Transplantationsvorbereitung insbesondere diese Risikofaktoren ausgeschlossen werden. Absolute Kontraindikationen: nicht saniertes oder systemisches Tumorleiden, nicht ausgeheilte Infektion, Inoperabilität, schwerste nicht behandelbare Herzerkrankung, Non Compliance, Unfähigkeit zur Kooperation. Liegen die Ergebnisse der Untersuchungen vor und bestehen keine Einwände gegen eine Transplantation, meldet das Transplantationsbüro den Patienten bei Eurotransplant an. Organisation der Lebendspende über die Transplantationszentren. Kriterien für die Zuteilung einer Niere sind: 1. Blutgruppe 2. Grad der Übereinstimmung der HLA-Merkmale 3. Missmatch Wahrscheinlichkeit 4. Wartezeit 5. Entfernung zur Donorregion 6. Hochimmunisierte Patienten 7. Hohe Dringlichkeit 8. Alter (European senior „old for old“ Programm Nieren von Spendern > 65 J für Empfänger >65J) 9. Kinderbonus 61 Untersuchungen vor einer Nierentransplantation Anamnese, körperliche Untersuchung Blutgruppe, HLA-Typisierung, HLA-Antikörper, Cross-Match HIV, Hepatitis-, CMV, EBV-Status, Impfstatus klin. Chemie, Gerinnungsanalysen Röntgen von Thorax, NNH Ultraschall des Abdomens, ggf. Gastroskopie, Koloskopie Fokussuche (HNO, Zahn) Urologische und gynäkologische Untersuchung Kardiovaskuläre Erkrankung? EKG, Echokardiogramm, Ergometrie, z.B.StressEchokardiogramm, ggf. Koronarangiographie (Diabetiker!) Doppler Sonographie, Gefäßstatus, pAVK? Durchführung: Vor der Transplantation müssen spenderspezifische Antikörper durch eine Kreuzprobe (cross match) und Antikörperdiagnostik ausgeschlossen werden. Das Nierentransplantat wird extraperitoneal im Bereich der linken oder rechten Fossa iliaca End-zu-Seit an die A./V. iliaca externa anastomosiert. Immunsuppression: Die Immunsuppression nach Nierentransplantation besteht aus einer Kombination mehrerer Medikamente, die das Immunsystem auf verschiedenen Ebenen beeinflussen. Die zur Prophylaxe d.h. zur Verhinderung einer Abstoßungsreaktion heute eingesetzte Standardimmunsuppression (Tripleimmunsuppression) besteht aus 1.Prednisolon, 2.Cyclosporin A (CsA) oder Tacrolimus (Tac) und 3.Mycophenolat (MMF/MPS) alternativ Azathioprin (Aza). Zusätzlich werden initial bei Transplantation Antikörper gegen den IL-2-Rezeptor (auf T-Zellen) gegeben (sog. Induktionstherapie). Sie reduzieren die Rate der akuten Abstoßung im ersten Jahr. Bei Risikopatienten (z.B. ≥ Zweittransplantation, hohe präformierte Antikörper (PRA%) etc.) werden auch polyklonale TLymphozyten Antiköper (ATG) als Induktionstherapie eingesetzt. Die Langzeitimmunsuppression wird durch eine Kombination aus niedrig dosiertem Prednison, CsA oder Tac und MMF erzielt. Manche Zentren setzen nach einem Jahr nach Transplantation auch auf eine duale Immunsuppression um (z.B. Prednison und Cyclosporin A). Die Immunsuppression soll verhindern, dass T-Zellen aktiviert werden und eine akute Abstoßung auftritt. T-Zellen werden kontinuierlich aus den primären lymphatischen Organen freigesetzt und wandern auf der Suche nach Antigenen zu den sekundären lymphatischen Organen, also Milz und Lymphknoten. Wird ein Organ, beispielsweise eine Niere transplantiert, so treten dendritische Zellen, sog. passagere Leukozyten aus dem Organ aus und treffen in den lymphatischen Organen auf die Empfänger-T-Zellen. Gleichzeitig wandern dendritische Zellen des Empfängers in das Organ ein und nach Beladung mit Antigenen ebenfalls in die sekundären lymphatischen Organe. Hier treffen sie dann im Parakortex des Lymphknotens auf die TZellen. In dieser Region können dendritische Zellen mit einer Vielzahl von T-Zellen in Wechselwirkung treten, bis sie einen T-Zellrezeptor mit einer ausreichenden Affinität gefunden haben. Der T-Zell-Rezeptor bindet das körperfremde Antigen, das in Verbindung mit Molekülen des HauptHistokompatibilitätskomplexes (MHC) auf der Zelloberfläche der dentdritischen Zelle präsentiert wird. Über spezialisierte Venolen, sog. high endothelial venules, können die durch die Erkennung aktivierten T-Zellen das lymphatische Organ verlassen, sich teilen, und durch die Sezernierung von Lymphokinen andere Elemente des Immunsystems aktivieren. Diese Interaktion führt zur Aktivierung verschiedener Proteinkinasen, deren Aktivität u.a. zu einem Calciumeinstrom führt. Die Bindung von Calcium an Calcineurin (und v. a. Calmodulin, einen Aktivator von Calcineurin) führt zu einer Aktivierung der Phosphataseaktivität von Calcineurin. Calcineurin dephosphoryliert den Transkriptionsfaktor NFAT, welcher durch diese Dephosphorylierung in den Zellkern gelangt und unter Mitwirkung anderer Proteine die Transskription der an der T-ZellAktivierung beteiligten Gene initiiert, die für Cytokine kodieren (z. B. Interleukin-2). Die Calcineurininhibitoren (CNI) CsA und Tac binden an Cyclophilin bzw an das FK binding protein (FKBP). Dieser Komplex bindet an den Calcineurin/Calmodulin-Komplex, inhibiert dessen Phosphataseaktivität und verhindert damit die Translokation von NFAT in den Zellkern. Mycophenolat ist ein Antimetabolit, welcher die DNA-Synthese von T –und B- Lymphozyten hemmt. 62 Zu den wichtigsten Nebenwirkungen von CNI gehören: Nephrotoxizität, Neurotoxizität, Hypertonie, Hyperlipidämie, Diabetes, Hepatotoxizität, Leuko-/ Thrombozytopenie, Hyperkaliämie, B-ZellLymphome. CsA Spiegelbestimmungen sollten regelmäßig erfolgen. Gingivahyperplasie, Hirsutismus werden unter CsA, Alopezie unter Tac beobachtet. Diarrhoe, Anämie, Thrombopenie sind typische MMF Nebenwirkungen. Neuere Immunsuppressiva: mTor-Inhibitoren (Sirolimus, Everolimus) können alternativ eingesetzt werden. Die immunsuppressive Wirkung entsteht über Hemmung der Signaltransduktion der Cytokinrezeptoren und infolge Hemmung der cytokinabhängigen T-u. B-Lymphozytenproliferation und der Gefäßmuskelzellen. (NW: Anämie, Magen-Darmprobleme, Ödeme, Hyperlipidämie. Sowie Wundheilungsstörung und Lymphozelenbildung besonders in Kombination mit MPA,) Postoperative Komplikationen: 1. chirurgische Komplikationen (Thrombose der Transplantatarterie bzw. –vene, sekundäre Wundheilung, Ureterundichtigkeiten, Lymphozele, Hämatom) 2. Akute Rejektionen: akute humorale oder zelluläre Rejektion, interstitielle oder vaskuläre Rejektion 3. Infektionen (1. Monat: Harnwegsinfektionen, bakterielle Pneumonie, Wundinfektionen, Legionellen, Pneumocystis Candida; >1. Monat: + CMV, EBV, BKV Aspergillus, Nocardien, Listerien, Tbc, Toxoplasmose, Cryptococcus). Klinik der akuten Abstoßungsreaktion (AR): -Anstieg des Serumkreatinins >20 % -Abnahme der Urinausscheidung -Blutdruckanstieg -Schwellung, Druckschmerz Transplantat -Fieber -alle Symptome nicht spezifisch! Diagnostik: Duplex-Sonographie + Transplantatbiopsie! Histologie verschied. Formen der AR: nach Banff-Kriterien Therapie: richtet sich nach der Histologie ( -primär: hochdosiert Corticosteroide - ggf. polyklonale oder monoklonale Lymphozyten Antikörper -Intensivierung/ Umstellung der Immunsuppression Langzeitkomplikationen: Tumore (Haut, lymphoproliferative Neoplasien, Nierentumore), Infektionen. Hauptursachen für das Transplantatversagen im Langzeitverlauf sind: 1. Tod des Empfängers bei funktionierendem Transplantat (hauptsächlich durch kardiovaskuläre Ereignisse), ca. 50% 2. chronisches Transplantatversgen (ca. 40 %) 3. Rekurrenz oder Neuauftreten einer glomerulären Erkrankung und späte akute Abstoßung (<10%) Ergebnis: Nach einem Jahr sind noch 90% der Transplantate funktionsfähig, nach Lebendspende noch mehr als 95%. Hier wirkt sich die kurze kalte Ischämiezeit zwischen Entnahme und Transplantation günstig aus. Die Compliance der Patienten beeinflusst das Transplantatüberleben. Nach 5 und 10 Jahren funktionieren noch 70 bzw. 50% der Transplantate (~85 bzw 70% nach Lebendspende). Nach Nierentransplantation verbessert sich die Lebensqualität und Lebenserwartung der Patienten im Vergleich zur Dialyse. Unten stehende Tabelle vergleicht die Lebensqualität von Patienten (in %), welche mit einer Hämodialysetherapie, CAPD oder Transplantation behandelt wurden. HD • • • Körperliches Wohlbefinden Zufrieden mit Gesundheit Zufrieden mit Therapie Seelisches Wohlbefinden Soziales Wohlbefinden 67 64 70 63 63 CAPD 69 86 90 71 65 NTX 83 84 96 80 74 63 Lebendspende (LNS) Prinzipiell ist die Nieren Lebendspende aufgrund der Organpaarigkeit möglich. 2010 betrug der Anteil der in 38 Zentren durchgeführten Nierentransplantationen nach Lebendspende ca 23 % Prozent aller Nierentransplantationen. Neben der Lebendspende für Kinder hat v.a. die LNS für (ältere) nicht verwandte Erwachsene (Ehe-/ Lebenspartner) zugenommen. Voraussetzungen für die Lebendspende sind der gute Gesundheitszustand des Spenders und die Freiwilligkeit der Spende, die durch eine unabhängige Lebendspende-Kommission geprüft wird. Als Spender in Frage kommen nahe Verwandte und Personen, die dem Empfänger persönlich eng verbunden sind. Die Lebendspende setzt eine intensive Untersuchung des Spenders vorraus, der lt Gesetz nicht über das mit der OP verbundene Risiko hinaus gefährtdet werden darf. Das Risiko für einen gesunden Spender selbst nach LNS eine terminale Niereninsuffizienz zu erleiden unterscheidet sich nicht von der Normalbevölkerung. Es besteht nach mehreren Jahren ein Langzeitrisiko für die Entwicklung einer art Hypertonie und einer eingeschränkten Nierenfunktion. 64 12. Säure-Basen-Störungen Ansprechpartner: Prof. Dr. Pavenstädt, [email protected] + Der pH-Wert: Die H -Ionen-Konzentration wird aus historischen Gründen als pH (puissance hydrogen) + ausgedrückt. Der pH ist der negative dekadische Logarithmus der H -Ionen-Konzentration und aus diesem Grunde auch für klinische Zwecke denkbar ungeeignet. Klinisch viel praktischer ist die Arbeit + mit der H -Ionen-Konzentration. Daher wird für die Ermittlung von Säure-Basen-Störungen der pH in + der Klinik häufig in eine H -Ionen-Konzentration umgerechnet. Dies kann mit Hilfe von Normogrammen oder mit einfachen Hilfsformeln erfolgen (Abbildung 45). + [H ] (nmol/l) + Abbildung 45: Verhältnis zwischen HIonenkonzentration und pH-Wert. Ein pH-Wert von 7,40 + entspricht einer [H ]-Konzentration von 40 nmol/l. Für pHWerte zwischen 7,20 und 7,50 besteht praktisch eine + lineare Korrelation zwischen pH und H -Konzentration. In + diesem Bereich kann die H -Ionenkonzentration in etwa errechnet werden, indem man die Zahl hinter der + Kommastelle von 80 abzieht. Beispiel: bei pH 7,48 ist [H ] = 80 - 48 = 32 nmol/l pH Zur Bestimmung von Störungen des Säure-Basen-Haushalts benötigen Sie folgende Parameter: 1. Blut pH-Wert 2. CO2-Konzentration 3. Bicarbonatkonzentration 4. Natrium und Chlorid-Konzentration In Einzelfällen werden zusätzliche Parameter (z.B. Urin-Elektrolyte, Urin-pH, Serum-Osmolalität, UrinOsmolalität) benötigt. Aufgrund des dekadischen Logarithmus ist die Henderson-HasselbalchGleichung für den klinischen Gebrauch unbequem zu benutzen, die Henderson-Gleichung (siehe unten) aber hervorragend geeignet. Für sie gilt: [H+] = 24 x pCO2 _________ - [HCO3 ] + Wichtig ist, dass die H -Konzentration durch den Quotienten pCO2 zu [HCO3] bestimmt wird. Es herrscht ein Säure- Basen-Gleichgewicht. Beispiel: Sie haben eine Blutprobe gezogen und wollen im Ionometer eine Säure-Basen-Analyse vornehmen. Sie erhalten folgende Werte: - pH 7.2, pCO2 = 30 mmHg, HCO3 = 12 mEq/l + Sie können nun zunächst die Qualität Ihrer Probe überprüfen. Die Umrechnung des pH in eine H Konzentration ergibt 80-20 ~ 60 mEq Protonen. Demnach muss gemäß der Henderson-Gleichung weiter gelten: 60 = 24 x 30 : 12 , d.h. 60 = 60 Ihre Probe war korrekt entnommen und das Ionometer misst korrektl. Als Faustregel gilt, dass die rechte Seite der Gleichung nicht mehr als 10 % von der linken Seite der Gleichung abweichen sollte. 65 Zusammenspiel von Lungen und Nieren bei Säure-Basen-Störungen: Lunge und Nieren sind die beiden wesentlichen Regulative zur Aufrechterhaltung eines ausgeglichenen Säure-Basen-Haushaltes. Grundsätzlich gilt, dass primär metabolische Störungen (erkennbar an veränderten HCO3 -Konzentrationen) respiratorisch kompensiert werden, primär respiratorische Störungen (erkennbar an veränderten pCO2-Konzentrationen) metabolisch kompensiert werden. Dies veranschaulicht die folgende Abbildung: pH 7,4 [H+] 40 nmol/l Abbildung 46: Gleichgewicht des Säure-BasenHaushalts Beispiel: Ein Anstieg des pCO2 auf 60 mmHg im Rahmen eines akuten Asthmaanfalls führt zu einer respiratorischen Azidose mit pH 7.2. Bei anhaltender respiratorischer Azidose führt die kompensatorisch vermehrte Rückresorption von Bicarbonat durch die Niere zu einer Reduktion der Protonenkonzentration, zur Normalisierung des pH und zum Anstieg der Bicarbonatkonzentration im Blut. pH 7,6 [H+] 20 nmol/l pH 7,2 [H+] 60 nmol/l o o o pCO2 40 mmHg Respiratorische Schale O o o o [HCO3-] 24 mmol/l Metabolische Schale Der respiratorischen Kompensation sind natürliche Grenzen gesetzt. Eine Hyperventilation im Rahmen einer metabolischen Azidose kann nicht beliebig gesteigert werden, da sonst die Totraumventilation unverhältnismäßig zunimmt, der Sauerstoffverbrauch durch die gesteigerte Atemarbeit annähernd exponentiell steigt und bei Atemfrequenzen > 30/min rasch eine muskuläre Erschöpfung der Atemmuskulatur eintritt (Versuchen Sie bitte im Sitzen 1 Minute mit einer Atemfrequenz von 40/min zu atmen). Umgekehrt kann eine metabolische Alkalose nur begrenzt durch Hypoventilation kompensiert werden, da sowohl CO2–Retention als auch Hypoxygenation potente Stimulatoren des Atemantriebs sind. Ähnliches gilt für die metabolische Kompensation einer respiratorischen Störung, da auch die kompensatorischen Möglichkeiten der Niere begrenzt sind. Beispiel: Sie sehen in der Notaufnahme eine Patientin im ketoazidotischen Koma mit einer Atemfrequenz von 40/min. Ihre arterielle Blutgasanalyse ergibt folgende Werte: - pH 7.1, pCO2 = 10 mmHg, HCO3 = 3 mEq/l (Probe korrekt?) Welcher pH würde sich ergeben, wenn das pCO2 aufgrund respiratorischer Erschöpfung auf 20 mmHg ansteigen würde? Gemäß der Henderson-Gleichung gilt: + H = 24 x 20 : 3 = 160 nmol/l ~ pH 6.2 Dies ist mit dem Leben nicht vereinbar. Diese relativ einfachen Berechnungen helfen, um beispielsweise die Intubationspflichtigkeit eines Patienten abschätzen zu können. - Cave: Patienten mit pCO2 <20 mmHg und HCO3 <10 mEq/l dekompensieren rasch Das Prinzip der Anionenlücke Die Anionenlücke (AL) repräsentiert im Blut vorhandene säurewirksame Anionen, die nicht ohne größeren Aufwand messbar sind (nicht-messbare Anionen). Die Anionenlücke spielt bei der Differenzierung von Säure-Basenstörungen eine wichtige Rolle, da sie auch dann sichtbar bleibt, wenn andere Säure-Basenstörungen die HCO3 Konzentration verändern (dies ist einer der wenigen klinischen Gründe ein Serum-Chlorid zu bestimmen und ein echtes Hindernis, wenn dieses zur Blutgasanalyse fehlt). Sie errechnet sich aus: 66 + - - Anionenlücke = [Na – (Cl + HCO3 )] [normal 10 ± 2 mEq/L] Die (nicht-messbaren) Anionen welche die Anionenlücke repräsentieren setzen sich wie folgt zusammen: 1. Anionische Proteine [~ 2.0 mEq/L] hauptsächlich Albumin α-Globuline β-Globuline 2. Organische Anionen 3PO4 [~ 2.0 mEq/L] 2SO4 [~ 1.0 mEq/L] Laktat und Rest [~ 5.0 mEq/L] Summe 10 mEq/L Beispiel: Durch Retention von Urämiegiften entsteht bei den meisten chronisch niereninsuffizienten Patienten eine metabolische Azidose. Eine kleine Laboruntersuchung ergibt beispielsweise folgende Werte: pH 7.3, pCO2 = 32 mmHg, HCO3 = 16 mEq/l + Na 135 mEq/L, Cl 95 mEq/L Die Anionenlücke errechnet sich wie folgt: AL = 135 – (95 + 16) = 24, d.h. es handelt sich um eine AL positive metabolische Azidose. Würde man die Blutprobe aufwändig untersuchen, würde man erhöhte Werte für inorganische Anionen messen können, die für die Vergrösserung der AL veranwortlich sind. Typische säurewirksame Anionen, welche die Anionenlücke vergrössern, sind inorganische Anionen (Phosphat, Sulfat), organische Anionen (Laktat, Ketone, Urämietoxine) und exogene Anionen (Salicylat, Paraldehyd, Ethylenglykol, Methanol). Differentialdiagnose der erhöhten Anionenlücke: 1. Ketoazidose 2. Urämie, Salizylsäure, Methanol, Äthylenglykol, Urämie (zweimal), Lactat. Merkhilfe: KUSSMAUL Abbildung 47: Flussdiagramm zur Diagnostik der metabolischen Azidose - [HCO3 ] niedrig Respiratorische Alkalose? AL normal Renal tubuläre Azidose oder gastrointestinale Verluste AL errechnen AL hoch Prof. Kussmaul fragen I. Ketoazidose Ursachen: Diabetes, Hunger, Alkohol. Hauptanion: Acetoacet-β-hydroxy-butyrat. Klinik: Kussmaul, Atmung, Koma 67 Therapie: z.B. bei Diabetes mellitus: Insulin, Kochsalz, Kaliumsubstitution, nur bei pH > 7,1 Gabe von Bicarbonat II. Urämie Ursachen: Akutes-, chronisches Nierenversagen. Hauptanion: Sulfat, Phosphat, organische Säuren Klinik: Kreatinin ↑, Oligurie? Therapie: Dialyse III. Salizylsäure Ursachen: Intoxikation Klinik: Kinder: Fieber, ZNS-Symptome. Erwachsene: Metabolische Azidose mit großer Anionenlücke + respiratorische Alkalose (starker Abfall von [CO2]). Screening: 1 ml 10% FeCl3-Lösung zu 3 ml Urin ⇒ Lilafäbung. Therapie: Magenentleerung, Aktivkohle, 1,5 l einer Bikarbonatlösung (150 mmol/l) über 4 Stunden. Schwere Vergiftung: Dialyse. IV. Methanol, Äthylenglykol Ursachen: Vergiftung, Hauptanion: Glyoxalsäure Klinik: Methanol: Zerebrale Symptome, Erblindung, Pankreatitis. Äthylenglykol: Einlagerungen von Oxalat im ZNS, Niere und anderen Organen: Zerebrale Symptome, Nierenversagen. Metabolische Azidose mit großer Anionenlücke + Osmotische Lücke: Zwischen gemessenem und errechnetem osmotischen Druck besteht eine Differenz > 10 mosm/kg. Therapie: Ethanolgabe (größere Affinität zur Alkoholdehydrogenase), Dialyse + Bicarbonatgabe V. Laktatazidose: Ursachen: Typ A mit Gewebeischämie und/oder Hypoxie: Kardialer Schock, Embolie. Typ B ohne Hypoxie und ohne Hypotension: Metformin, Leberversagen, Tumore. Therapie: Therapie der Grunderkrankung. Ob die Gabe von Bicarbonat die Prognose verbessert, ist nicht gesichert. 5 einfache diagnostische Schritte zur Analyse von Säure-Basen-Störungen Eine Analyse von Säure-Basen-Störungen ist komplex aber mit einigen einfachen Schritten relativ leicht durchführbar. Die Blutgasanalyse venöser und arterieller Blutgase sollte möglichst sofort durchgeführt werden um Fehler durch Gasdiffusion zu vermeiden. Schritt 1: Schritt 2: Die Unterscheidung von Azidose (pH<7.38) und Alkalose (pH>7.42) ist einfach Die Unterscheidung respiratorische vs. metabolische Störung ist ebenfalls nicht schwer. Bei metabolischen Störungen sind alle Werte gleichsinnig verändert. pH pCO2 HCO3- weitere Analyse bei Resp. Azidose ⇓ ⇑ ⇑ Schritt 3 Resp.Alkalose ⇑ ⇓ ⇓ Schritt 3 Meta. Azidose ⇓ ⇓ ⇓ Schritt 4 Meta. Alkalose ⇑ ⇑ ⇑ Schritt 4 Schritt 3: Determination der metabolischen Kompensation bei primär respirat. Störungen In Abhängigkeit von der Dauer der respiratorischen Störung kommt es zu einer mehr oder minder starken metabolischen Kompensation durch die Niere. Dies kostet Zeit. Daher kann aufgrund des Ausmaßes der Kompensation auf die Dauer der Störung rückgeschlossen werden. Grundsätzlich gilt für respiratorische Störungen, dass Abweichungen vom normalen pH (∆ pH) in Relation zum veränderten pCO2 mit zunehmender renaler Kompensation (Dauer) kleiner werden. Dies kann man bei 68 bekanntem pCO2 abschätzen und mit den gemessenen Werten vergleichen. Für die Abschätzung gilt näherungsweise folgendes: zu erwartendes ∆ pH bei akuter Störung zu erwartendes ∆ pH bei chronischer Störung Respiratorische Azidose: ∆ pH ~ 0.08 x ∆PaCO2/10 ∆ pH ~ 0.03 x ∆PaCO2/10 Respiratorische Alkalose: ∆ pH ~ 0.07 x ∆PaCO2/10 ∆ pH ~ 0.02 x ∆PaCO2/10 Beispiel: Sie sehen in der Notaufnahme einen Patienten mit starker Dyspnoe und vermuten einen akuten Asthmaanfall. Ihre arterielle Blutgasanalyse ergibt folgende Werte: - pH 7.25, pCO2 = 60 mmHg, HCO3 = 28 mEq/l (Probe korrekt?) Sie sehen ein ∆PaCO2 [PaCO2 akut - PaCO2 Standard] von 60 mmHg – 40 mmHg = 20 mmHg. Aufgrund Ihrer Abschätzung erwarten Sie für eine akute Störung ein ∆ pH von 0.16 (0.08 x [20 : 10]), d.h. einen pH von ~ 7.26, für eine chronische Störung ein ∆ pH von 0.06 (0.03 x [20 : 10]). Der gemessene pH Wert von 7.25 zeigt ein ∆ pH von 0.15 (normaler pH von 7.4 – gemessener pH von 7.25) an, d.h. es liegt eine akute (nicht kompensierte) respiratorische Störung im Rahmen eines akuten Asthmaanfalles vor. Jetzt bitte anschnallen: Schritt 4: Determination der respiratorischen Kompensation bei primären metab. Störungen Ähnlich wie unter Schritt 3 gezeigt, erfolgt auch bei metabolischen Störungen eine respiratorische Kompensation. Diese kann analog zu den respiratorischen Störungen durch Bestimmung der pCO2Veränderungen abgeschätzt werden (zur Erinnerung, metabolische Azidosen führen zur Hyperventilation, metabolische Alkalosen zur Hypoventilation). Hierfür gilt näherungsweise: zu erwartendes PaCO2 bei akuter Störung primär metabolische Störung - (1.5 x HCO3 ) + 8 (± 2) zu erwartendes PaCO2 bei chronischer Störung - (0.7 x HCO3 ) + 20 (± 1.5) Beispiel: Sie sehen in der Notaufnahme einen Patienten mit rezidivierendem Erbrechen unklarer Dauer. Bei der klinischen Untersuchung fällt eine Atemfrequenz von 8/min auf. Sie führen eine arterielle Blutgasanalyse durch und erhalten folgende Werte: - pH 7.48, pCO2 = 45 mmHg, HCO3 = 32 mEq/l (Probe korrekt?) Wie erwartet finden Sie eine metabolische Alkalose (pH > 7.42 und alle Werte gleichsinnig verändert). Zur Abschätzung der Dauer der Störung berechnen Sie die zu erwartenden Werte. Für akute Störungen erwarten Sie ein pCO2 von ~ 56 mmHg (1.5 x 32 + 8) für chronische Störungen ein pCO2 von ~ 43 mmHg (0.7 x 32 + 20). Das Erbrechen muss also schon seit einigen Tagen bestehen, es besteht eine kompensierte (chronische) metabolische Alkalose. Gelegentlich findet man gemessene pCO2 Werte, die außerhalb des nach obigen Formeln zu erwartenden Bereiches liegen. Dies bedeutet, dass eine sekundäre respiratorische Störung vorliegen muss. Hierfür gilt: Gemessener PaCO2 > zu erwartender PaCO2: ⇒ zusätzliche respiratorische Azidose Gemessener PaCO2 < zu erwartender PaCO2: ⇒ zusätzliche respiratorische Alkalose Beispiel: Sie sehen auf der Intensivstation einen beatmeten Patienten mit parenteraler Ernährung, Sepsis und hohen Laktatspiegeln. Der Patient wird mit einer Atemfrequenz von 12/min beatmet. Die neue Intensivschwester zeigt Ihnen die letzte arterielle Blutgasanalyse mit folgenden Werten: 69 - pH 7.12, pCO2 = 35 mmHg, HCO3 = 10 mEq/l (Probe korrekt?) Sie finden eine metabolische Azidose (pH < 7.38 und alle Werte gleichsinnig verändert). Zur Abschätzung der Dauer der Störung berechnen Sie auch jetzt die zu erwartenden Werte. Für akute Störungen erwarten Sie ein pCO2 von ~ 23 mmHg (1.5 x 10 + 8) für chronische Störungen ein pCO2 von ~ 27 mmHg (0.7 x 10 + 20). Offensichtlich handelt es sich hier um eine chronische metabolische Azidose, dennoch liegt das gemessene pCO2 über den zu erwartenden Werten einer chronischen metabolischen Azidose. Daraus kann man schließen, dass eine zusätzliche Störung im Sinne einer respiratorischen Azidose vorliegen muss. Der Patient hat eine kombinierte metabolische und respiratorische Azidose. Schritt 5: Determination tertiärer Störungen Wie oben bereits gesagt, spielt die Anionenlücke bei der Differenzierung von Säure-Basen-Störungen eine wichtige Rolle, da sie auch dann sichtbar bleibt, wenn andere Säure-Basen-Störungen pH und HCO3 Konzentration verändern. Demzufolge kann bei vergrößerter Anionenlücke immer auf eine metabolische Azidose geschlossen werden, egal welche Werte Sie für pH oder HCO3 erhalten. Das Prinzip des Delta-Delta hilft bei kombinierten Störungen gelegentlich weiter. Es wird definiert als: - Delta-delta: [(AL – 12) + HCO3 ] [normal: = 24 ± 1] Das Prinzip wird einfach klar, wenn man eine Störung mit normaler Anionenlücke annimmt. In diesem Fall ergibt sich folgendes: [(12 – 12) + HCO3 ] = [0 + HCO3 ]. D.h., dass pH und HCO3 unmittelbar voneinander abhängen. Umgekehrt führen zusätzliche Störungen welche das Verhältnis von AL zu HCO3 beeinflussen zu einer Veränderung des Delta-Delta. Es gilt daher: Anionenlücke > 20 ⇒ zugrundeliegende metabolische Azidose Delta-delta > 30 ⇒ zugrundeliegende metabolische Alkalose Delta-delta < 23 ⇒ zugrundeliegende AL-negative metabolische Azidose Aufgabe: Sie sehen in der Notaufnahme einen chronischen Alkoholiker mit akuter Pneumonie und mehrfachem schweren Erbrechen. Sie führen eine arterielle Blutgasanalyse durch und erhalten folgende Werte: - pH 7.31, HCO3 29 mEq/L, PaCO2 55 mmHg + Na 135 mEq/L, CL 80 mEq/L, K 2.8 mEq/L Analyse nach dem 5-Punkte-Prinzip: 1) Schritt 1: Es handelt sich um eine Azidose (pH<7.38) 2 2) Schritt 2: Es handelt sich um eine respiratorische Störung (pH und pCO gegensinnig verändert) 3) Schritt 3: Determination der metabolischen Kompensation bei primär respiratorischen Störungen: Es errechnet sich hier (wie im Skript dargestellt!) ein zu erwartendes ∆pH bei akuter Störung von: ∆pH ≈ 0.08 x ∆PaCO2/10=0.12, bei chronischer Störung: ∆pH ≈ 0.03 x 2 ∆PaCO /10=0.045 Wenn Sie nun von einem normalen pH-Wert von 7.40 ausgehen und dieser Patient einen pH-Wert von 7.31 hat, so sehen Sie, dass es sich hier um eine akute Störung handelt. Allerdings liegt hier der tatsächliche pH (7.31) etwas höher als für eine chronische Kompensation bei alleiniger, kompensierter respiratorischer Azidose errechnet (pH errechnet: 7.40-0.12=7.28) Sie sollten daher nun an die Möglichkeit einer kombinierten Störung denken! Denken Sie daran, dass ja zusätzlich bei komplexen Krankheitsbildern und Komorbidität (Sie haben die Information, dass der Patient als akute Krankheit eine Pneumonie hat und dass er Alkoholiker ist!) auch kombinierte Störungen vorliegen können. Hier „riecht“ es sozusagen danach! Hier hilft Ihnen nun Schritt 5! 70 4) Schritt 4: Diesen Schritt können Sie sich aktuell sparen! Wir hatten ja gesehen, dass die primär vorliegende Störung die respiratorische Azidose ist. Daher besteht hier keine primär metabolische Störung. 5) Schritt 5: Hier ermitteln Sie das sogenannte Delta-delta für die vorliegende Störung: Deltadelta: [AL – 12) + HCO3]; sie müssen also zunächst die Anionenlücke ermitteln: AL = [Na+ (Cl + HCO3 )] also [135 – (80 + 29)] = 26; damit liegt eine vergrößerte Anionenlücke vor. Diese zeigt (siehe Skript) immer eine beteiligte metabolische Azidose an. Diese ist hier sicher durch den chronischen Alkoholgenuss bedingt. Ethanol macht eine AL-positive metabolische Azidose. Nun können wir zusätzlich das Delta-delta bestimmen: Nach obiger Formel ergibt sich [(26 – 12) + 29] = 43. Wie Sie aus dem Skript ersehen können, deutet ein Delta-delta >30 auf einen zugrundeliegende metabolische Alkalose hin. Hier ist sicher das Erbrechen beteiligt. Denken Sie an die Vorlesung: Erbrechen macht eine hypochlorämische metabolische Alkalose. Sie sehen also, dass dieser Patient eine wirklich komplexe Störung hat! Die Anwendung des 5-Punkte-Prinzips zeigt das Vorliegen von drei Störungen an: 1) respiratorische Azidose (Pneumonie!); 2) metabolische, AL-positive Azidose (Alkohol!), und 3) metabolische Alkalose (Erbrechen!). 71 13. Die Harnwegsinfektionen (HWI) Ansprechpartner: Prof. Dr. Pavenstädt, [email protected] Einteilung: Je nach Lokalisation der Infektion werden Urethritis (Infektion der Urethra), Zystitis (Blaseninfektion) und Pyelonephritis (Infektion des Nierenbeckens mit Invasion von Bakterien in das Interstitium der Niere) unterschieden. Bis zum Schulalter erleiden ca. 1,6% aller Jungen und 7,8% aller Mädchen einen HWI. Dann nimmt die Inzidenz ab, steigt aber bei Mädchen mit beginnender sexueller Aktivität um ca. 0,5% pro Jahr. Bei Männern sind HWI extrem selten (ca. 5 – 8 / 10.000 pro Jahr) und steigen erst in höherem Alter. Klinisch (anhand von Symptomen, Risikofaktoren und Komplikationen) werden häufig die unkomplizierte HWI (Urethritis, Zystitis der jungen Frau), die komplizierte HWI (Zystitis + Risikofaktoren, Pyelonephritis), die rezidivierende HWI (Zystitis) und die asymptomatische Bakteriurie unterschieden. 5 2 Urinbefunde: Leukozyturie, Hämaturie, Bakteriurie (10 Keime/ml, bei Symptomen: 10 Keime/ml). Sterile Leukozyturie bei 1. Nierentuberkulose 2. Tumor, meist vaginal 3. Steinen 4. Interstitieller Nephritis 5. Reiter-Syndrom Unkomplizierter Harnwegsinfekt: Harnwegsinfekt der Frau im gebärfähigen Alter Klinik: Dysurie, Pollakisurie, suprapubischer Schmerz, Hämaturie Erreger: In ca. 80% E. coli. Management: Keine Diagnostik. Unkomplizierter HWI: empirische Therapie (ohne Urinkultur) mit Fosfomycin, 3000 mg einmalig oder Nitrofurantoin, 3x 100 mg für 7 Tage. Alternativ: Ciprofloxacin 2 x 250 mg für 3 Tage. Komplizierter Harnwegsinfekt: Die Wahrscheinlichkeit von Komplikationen beim HWI ist bei folgenden Konstellationen besonders groß: HWI beim Mann HWI beim Kind HWI in der Schwangerschaft HWI bei Diabetes mellitus HWI bei immunsupprimierten Patienten HWI bei Anomalien der Harnwege, Urolithiasis HWI vor operativen Eingriffen der Nieren HWI bei neurogener Blasenentleerungsstörung 5 Diagnostik: Nachweis von 10 Keimen im Mittelstrahlurin (Verwerfen der ersten 100 ml Urin), bei 2 symptomatischen Frauen sind 10 Keime schon signifikant. Eventuell zusätzlich: Prostataexprimat bei Männern, Urinteststreifen, Differentialblutbild (Linksverschiebung), Blutkulturen, Ultraschall zum Ausschluss einer Obstruktion oder von Nierensteinen. Therapie: nach Antibiogramm. Cotrimoxazol, 2 x 1 Tabl., Amoxicillin, 3 x 500 mg oder Norfloxacin, 2 x 400 mg für 10 - 14 Tage Vorgehen beim Harnwegsinfekt des Mannes: 1. Urinkultur: > 3 verschiedene Keime ⇒ Kontamination 3 2. Kultur positiv (>10 Keime/ml): Antibiotische Therapie 2 3. Kultur negativ (< 10 Keime/ml): Urinkultur auf schwer kultivierbare Erreger Urethralabstrich auf Gonorrhoe, Clamydien 4. Weitere Diagnostik: Ultraschall, i.v. Pyelogramm, CT 72 Pyelonephritis: Aszendierende Infektion mit E. coli (70 - 90%), Klebsiellen, Proteus, Pseudomonas, Serratia, Enterokokken, Staphylokokken Klinik: Fieber, Schüttelfrost, Flankenschmerzen (fakultativ: Dysurie, Algurie, Pollakisurie, suprapubischer Schmerz, Hämaturie) Management: Bei Patienten mit Übelkeit, Erbrechen, Dehydratation und schweren Allgemeinsymptomen ⇒ Stationäre Aufnahme Sonst wie bei kompliziertem Harnwegsinfekt Komplikationen: Urosepsis, paranephritischer Niereninsuffizienz bei rezidivierenden Infektionen Abszess, Hydronephrose, progressive Therapie: Ciprofoxacin: 2x 750 mg für 7 – 10 Tage Asymptomatische Bakteriurie: Screeningbefund, Bakteriurie ohne Symptome Management: Nur bei folgenden Konstellationen ist eine antibiotische Therapie erforderlich: - Schwangerschaft - Patienten vor urologischen Eingriffen und Nierenbiopsie - Kinder mit vesikoureteralem Reflux - Patienten mit Nierensteinen - Patienten nach Nierentransplantation Therapie: wie bei unkompliziertem HWI. Bei Schwangerschaft: Amoxicillin (3 x 500 mg) Rezidivierender HWI: Ungefähr 20% der jungen Frauen erleiden ein Rezidiv der HWI. Rezidivierende Zystitis Abbildung 48: Vorgehen bei rez. Harnwegsinfekten Bei Gebrauch eines Diaphragmas oder Spermizids: Alternative Antikonzeption? Urinsediment, Urinkultur ≥3 HWI/Jahr ≤3 HWI/Jahr Postkoitale Häufung? Selbsttherapie wie bei unkompliziertem HWI Nein Ja Tägliche Dauerprophylaxe, z.B. Cotriomoxazol 200 mg/Tag Postkoitale Prophylaxe, z.B. Cotrimoxazol 200 mg/Tag 73 14. Der hypertensive Patient Ansprechpartner/in: Frau Prof. Dr. Dr. Brand, [email protected] Primäre (essentielle) Hypertonie 1. Epidemiologie In einer erst kürzlich veröffentlichten groß angelegten multinationalen Studie konnte gezeigt werden, dass 44% der Bevölkerung aus 6 europäischen Ländern an Bluthochdruck (Hypertonie) leidet, wobei Deutschland – 55% aller 35- bis 64-Jährigen hatten eine Hypertonie – den höchsten Anteil an Hypertonikern im Gesamt-Ländervergleich hatte [Wolf-Maier et al, JAMA 2003;289:2363-2369]. Ab dem 65. Lebensjahr sind 60-80% der Bevölkerung hyperton. Ca. 30% der erwachsenen deutschen Bevölkerung sind Prähypertoniker (s.u.). Es zeigt sich, dass der Bluthochdruck nur bei ca. 50% der Betroffenen bekannt ist, nur bei ca. 25% behandelt wird und letztlich nur bei 10% auch ausreichend kontrolliert ist (Prugger et al, Herz 2006;4: 287-293; Kotseva et al, Lancet 2009;373:929-940)! Fatale Folgeerkrankungen erhöhter Blutdruckwerte, welche erheblich zur Gesamt-Morbidität und Mortalität in Deutschland beitragen, sind Schlaganfall, Herzinfarkt, Nieren-/Herzinsuffizienz, progressive Atherosklerose und vaskuläre Demenz. Blutdruck-Höhe und Hypertonie-Dauer korrelieren linear mit dem kardiovaskulären Risiko, was durch eine rechtzeitige und gezielte Behandlung erheblich verringert werden könnte; dennoch bleibt die Hypertonie-Behandlung in Deutschland bislang insgesamt defizitär [Gasse et al, J Clin Epidemiol 1999; 52:695-703]. 2. Definition und Klassifikation der Hypertonie Sowohl systolisch (SBD) als auch diastolisch (DBD) erhöhte Blutdruckwerte gehen mit einem steigenden kardiovaskulären Risiko für Schlaganfall und koronare Herzkrankheit einher [MacMahon et al, Lancet 1990; 335:765-774; Prospective Studies Collaboration, Lancet 2002; 360:1903-1913]. Es konnte gezeigt werden, dass der Pulsdruck als erhöhte Blutdruckamplitude (SBD minus DBD) ein besserer Prädiktor des kardiovaskulären Risikos darstellt als SBD oder DBD allein [Millar et al, J Hypertens 1999; 17:1065-1072]. Die amerikanischen Leitlinien fassen die normalen und hoch-normalen Blutdruckwerte als Prähypertonie zusammen, um zu verdeutlichen, dass Patienten mit diesen Blutdruckwerten verglichen mit Patienten, die optimale Blutdruckwerte haben - bereits ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko aufweisen. Innerhalb von 10 Jahren werden 60% der Prähypertoniker zu Hypertonikern (Vasan et al, N Engl J Med 2001; 345:1291-1297; Schunkert H. N Engl J Med 2006; 354:1742-1744). Die lineare Beziehung zwischen Blutdruckhöhe und kardiovaskulärem Risiko macht jede numerische Klassifikation der Hypertonie willkürlich. Die praxisgerechten Leitlinien betrachten die Schwellenwerte (Tablelle 1) als flexible Richtwerte, die je nach vorliegendem Gesamtrisiko des Patienten adaptiert werden sollten. Tabelle 1. Klassifikation von Blutdruckwerten Kategorie SBD (mmHg) DBD (mmHg) Optimal <120 <80 Normal 120-129 80-84 Hoch-normal 130-139 85-89 Hypertonie Grad 1 (leicht) 140-159 90-99 Hypertonie Grad 2 (mittel) 160-179 100-109 Hypertonie Grad 3 (stark) ≥180 ≥110 Isolierte systolische Hypertonie ≥140 <90 SBD, systolischer Blutdruck; DBD, diastolischer Blutdruck. Wenn der SBD und DBD in unterschiedliche Kategorien fällt, so gilt die höhere Kategorie. Der systolische Blutdruck entspricht dem maximalen arteriellen Druck in der Systole und wird hauptsächlich durch die linksventrikuläre Pumpleistung und die Elastizität der großen, arteriellen Gefäße bestimmt. Der diastolische Blutdruck entspricht dem minimalen arteriellen Druck in der Diastole und wird von der Abflussgeschwindigkeit des Blutes, mithin vom total peripheren Widerstand bestimmt, zu dem die Arteriolen zu ca. 50% 74 beitragen (Widerstandsgefäße). Mit Pulsdruck wird der Unterschied zwischen systolischem und diastolischem Blutdruck (z. B. 120 mmHg – 80 mmHg = Pulsdruck 40 mmHg) bezeichnet. Hypertensive Krise: Krisenhafter Blutdruckanstieg in Stunden bis Tagen auf Werte >230/130 mmHg ohne erkennbaren Organschäden. Hypertensiver Notfall: Krisenhafter Blutdruckanstieg auf Werte z.B. >230/130 mmHg mit erkennbaren Organschäden bzw. vitaler Bedrohung. Der Begriff „hypertensive Krise“ beinhaltet keine Information über die Geschwindigkeit des Blutdruckanstiegs (z.B. paroxysmaler plötzlicher RR-Anstieg vs. chronischer, rapid akzeleriert verlaufende Hochdruckerkrankung). In der Akutsituation ist nicht die absolute Blutdruckhöhe entscheidend, der Notfallcharakter ergibt sich vielmehr aus dem Vorhandensein gefährdender Symptome, Komplikationen oder Begleiterkrankungen: Hier können z.B. Anzeichen einer Hochdruckenzephalopathie (Sehstörungen, Schwindel, Bewusstseinsstörungen, neurologische Ausfallserscheinungen [die Differentialdiagnostik zu Schlaganfall ist nicht immer einfach]), intrakranielle Blutungen, frische Blutungen, Papillenödem, Lungenödem, instabile Angina pectoris, Myokardinfarkt oder ein disseziierendes Aortenaneurysma vorliegen. 3. Pathogenese Beim Bluthochdruck unterscheidet man zwischen der primären bzw. essentiellen Hypertonie (ca. 90% der Fälle) und der sekundären Hypertonie (ca. 10% der Fälle). Die primäre Hypertonie ist multifaktorieller Genese. Prädisponierende genetische Faktoren spielen ebenso eine Rolle wie Umweltfaktoren bzw. individueller Lebensstil, insuffiziente BlutdruckKontrollmechanismen oder funktionelle bzw. strukturelle Gefäßveränderungen (z.B. Endotheldysfunktion, Atherosklerose). Bis zu 50% aller Hypertoniker (25-33% aller Normotoniker) sind salzsensitiv, d.h. eine erhöhte Kochsalzzufuhr führt zu einer deutlichen Blutdruckerhöhung. Übergewicht stellt einen wesentlichen Risikofaktor dar, da es zu einer gesteigerten Sympathikusaktivität, zu einer Erhöhung des Plasma- Aldosterons, zu Strukturveränderungen der Widerstandsgefäße sowie zu einer erhöhten Salzsensitivität führen kann. Stress führt u.a. durch Katecholaminfreisetzung über noradrenerge Aktivierung von postsynaptischen alpha1-Rezeptoren zur Vasokonstriktion. Bei etwa 10% der Hypertoniker ist ein Alkoholkonsum >30-40 g/Tag Ursache des Bluthochdrucks. Der zugrunde liegende Mechanismus ist derzeit noch nicht klar. Bewegungsmangel kann auf verschiedenen Ebenen zur Entwicklung oder Aufrechterhaltung einer arteriellen Hypertonie beitragen. Diese pathogenetischen Aspekte ergeben Ansatzpunkte für wirksame Allgemeinmaßnahmen. Die Frühphase der primären Hypertonie ist gekennzeichnet durch funktionelle Aspekte, es folgen Strukturveränderungen mit Fixierung der Hypertonie, die dann in der Schädigung von Endorganen münden. Den sekundären Hypertonieformen liegen isolierte, identifizierbare Ursachen zugrunde (wird später in diesem Kapitel behandelt). 4. Folgeerkrankungen Die arterielle Hypertonie ist ein wichtiger Morbiditäts- und Mortalitätsfaktor. Das kardiovaskuläre Risiko steigt mit dem syst. und diast. Blutdruck nahezu linear an. Folgende Komplikationen der Hypertonie sind im Verlauf zu erwarten: 75 Organ Herz Arteriosklerotische Komplikationen Angina pectoris Herzinfarkt Rhythmusstörungen Direkte Hypertoniefolge Linksherzhypertrophie Herzinsuffizienz Niere Sek. Arteriosklerose der Nierengfäße Gehirn TIA Hirninfarkt Hämorrhagie Enzephalopathie Augen Sklerose der Arterien Retinopathie, Papillenödem Gefäße Verschlusskrankheit Nephrosklerose Aneurysmen Einen Schwellenwert im engeren Sinn gibt es nicht. Folgeerkrankungen führen zu einer deutlichen Verkürzung der Lebenserwartung, die bei jüngeren Patienten mit längerer Lebenserwartung entsprechend stärker ausgeprägt ist. Während etwa bei einem 55jährigen Pat. ein art. Blutdruck von 150/100 vs. 120/80 mmHg zu einer Verkürzung der Lebenserwartung um ca. 6 Jahre führt, beträgt diese bei einem 35jährigen Pat. bei gleichem Blutdruckunterschied ca. 17 Jahre! Häufige Todesursachen bei unbehandelter Hypertonie sind Herzinsuffizienz (30%), Schlaganfall (20%), Herzinfarkt (15%) und Nierenversagen (10%). Einer adäquaten Blutdruckeinstellung kommt damit eine herausragende Bedeutung zu. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Pat. noch an weiteren Erkrankungen wie z.B. Diabetes mellitus leidet. Klinische Symptomatik: Abgesehen von Beschwerden bei fortgeschrittener Erkrankung bieten Patienten mit primärer Hypertonie selten Symptome. Hypertoniker fühlen sich stattdessen i.d.R. gesund. Wenn Symptome auftreten, sind diese zudem unspezifisch und wenig diagnoseweisend (Kopfschmerz, Belastungsdyspnoe, Nervosität, Schwindel, Nasenbluten). Entsprechend besitzt die Blutdruckmessung eine hohe Wertigkeit. 5. Risikostratifizierung zur Abschätzung des kardiovaskulären Gesamtrisikos Die hier beschriebenen Empfehlungen zur Diagnostik und nicht-medikamentösen Therapie der essentiellen Hypertonie basieren auf den aktuellen Leitlinien der European Society of Hypertension (ESH) / European Society of Cardiology (ESC) [Mancia et al, J Hypertens. 2007;25:1105-1187] und ® der Deutschen Hochdruckliga e.V. DHL Deutschen Hypertonie Gesellschaft [www.hochdruckliga.de]. Die Stratifizierung des kardiovaskulären Gesamtrisikos erfolgt anhand der nachfolgenden Tabelle 2. Die Gruppierungen in leicht erhöhtes, mäßig erhöhtes, stark erhöhtes oder sehr stark erhöhtes Risiko werden verwendet, um ein ungefähres absolutes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen über die folgenden 10 Jahre von <15%, 15-20%, 20-30% bzw. >30% (Kriterien der Framingham-Studie) [Anderson et al, Circulation 1991;83:356-362] oder ein absolutes Risiko für eine tödliche kardiovaskuläre Erkrankung von <4%, 4-5%, 5-8% bzw. >8% (SCORE-Projekt) abzuschätzen [Conroy et al, Eur Heart J 2003;24:987-1003]. 76 Tabelle 2. Risikostratifizierung zur Beurteilung von Prognose und Therapieindikation Blutdruck (mmHg) Risikofaktoren (RF) Begleiterkrankungen Endorganschäden Normal SBD 120-129 oder DBD 80-84 Durchschnittliches Risiko Hoch-normal SBD 130-139 oder DBD 85-89 Durchschnittliches Risiko HT Grad 1 SBD 140-159 oder DBD 90-99 Leicht erhöhtes Risiko HT Grad 2 SBD 160-179 oder DBD 100-109 Mäßig erhöhtes Risiko Keine anderen RF Stark erhöhtes Risiko 1-2 RF Leicht erhöhtes Risiko Leicht erhöhtes Risiko Mäßig erhöhtes Risiko Mäßig erhöhtes Risiko Sehr stark erhöhtes Risiko ≥3 RF oder Endorganschäden oder DM oder MS Mäßig erhöhtes Risiko Stark erhöhtes Risiko Stark erhöhtes Risiko Stark erhöhtes Risiko Sehr stark erhöhtes Risiko Sehr stark erhöhtes Risiko Sehr stark erhöhtes Risiko Sehr stark erhöhtes Risiko Sehr stark erhöhtes Risiko Klinisch manifeste Sehr stark erhöhtes kardiovaskuläre/renale Risiko Erkrankung HT Grad 3 SBD ≥180 oder DBD ≥110 SBD, systolischer Blutdruck; DBD, diastolischer Blutdruck; HT, Hypertonie; DM, Diabetes mellitus; MS, Metabolisches Syndrom. Berücksichtigung eines Metabolischen Syndroms: Mindestens 3 von 5 Kriterien (NCEP-ATP-III) Taillenumfang ♂ ≥102 cm, ♀ ≥88 cm Blutdruck SBD ≥130 mmHg oder DBD ≥85 mmHg* Triglyzeride nü. ≥150 mg/dl (1,7 mmol/l)* HDL-C ♂ <40 mg/dl (1 mmol/l), ♀ < 50 mg/dl (1,3 mmol/l)* Glukose nü. ≥100 mg/dl (5,6 mmol/l)* *oder medikamentöse Therapie NCEP-ATP-III National Cholesterol Education Programm – Adult Treatment Panel III Grundy SM et al. Circulation 2005;112:2735-2752 Die der Risikostratifizierung zugrunde liegenden Begleiterkrankungen sind in Tabelle 3 zusammengefasst. Risikofaktoren, Endorganschäden und 77 Tabelle 3. Prognose-beeinflussende Faktoren Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen Endorganschäden Diabetes mellitus Klinisch manifeste kardiovaskuläre/renale Erkrankung Höhe des SBD und DBD Linksventrikuläre Hypertrophie (EKG: Sokolow-Lyons >38 mm, Cornell >2440 mm* ms, Echokardiographie: LVMI M ≥125, W ≥110 g/m2) Nüchtern-Blutzucker >7 mmol/l (126 mg/dl) Zerebrovaskuläre Erkrankungen: ischämischer Schlaganfall, zerebrale Blutung, transitorisch ischämische Attacke Erhöhter Pulsdruck (bei älteren Patienten) Männer >55 Jahre Frauen >65 Jahre Rauchen Dyslipidämie (Gesamtcholesterin >5.0 mmol/l, >190 mg/dl oder LDL-Cholesterin >3.0 mmol/l, >115 mg/dl oder HDL-Cholesterin M <1.0, W <1.2 mmol/l, M <40, W <48 mg/dl oder Triglyceride >1.7 mmol/l, >150 mg/dl) Karotis IMD ≥0.9 mm oder atherosklerotischer Plaque Serum-Kreatinin leicht erhöht ( M 115-133, W 107124 µmol/l, M 1.3-1.5, W 1.2-1.4 mg/dl) Mikroalbuminurie (30-300 mg/24h; Albumin-KreatininQuotient M ≥22, W ≥31 mg/g; M ≥2.5, W ≥3.5 mg/mmol Familienanamnese frühzeitiger kardiovaskulärer Erkrankungen (M <55 Jahre, W <65 Jahre) Erniedrigte Kreatininclearance (<60 ml/min) oder erniedrigte glomeruläre Filtrationsrate (<60 ml/min/1.73 m2)* Adipositas (Bauchumfang M ≥102 cm, W ≥88 cm) Erhöhte Pulswellengeschwindigkeit (A. carotis – A. femoralis >12 m/s) Plasmaglucose nüchtern 5.6-6.9 mmol/l (102-125 mg/dl) oder pathologische Glucosetoleranz Postprandialer Blutzucker >11.1 mmol/l (198 mg/dl) Herzerkrankungen: Myokardinfarkt, Angina pectoris, chronische Herzinsuffizienz Nierenerkrankung: diabetische Nephropathie, chronische Niereninsuffizienz (SerumKreatinin M >133, W >124 µmol/l, M >1.5, W >1.4 mg/dl), Proteinurie (>300 mg/24h) Periphere Gefäßerkrankungen Fortgeschrittene Retinopathie: Hämorrhagie oder Exsudate, Papillenödem Verminderter Knöchel-ArmBD-Index <0.9 Beachten: Ein metabolisches Syndrom liegt vor, wenn drei oder mehr der folgenden Risikofaktoren nachgewiesen wurden: Bauchfettleibigkeit, pathologischer Wert für Plasmaglucose, Blutdruck >130/85 mmHg, erniedrigtes HDL-Cholesterin, erhöhte Triglyceride. *mittels Cockroft-Gault-Formel berechnete Kreatininclearance, mittels MDRD-Formel berechnete glomeruläre Filtrationsrate M, Männer; W, Frauen; LDL, Low Density Lipoprotein; HDL, High Density Lipoprotein; LVMI, linksventrikulärer Massenindex; IMD, Intima-Media-Dicke. 6. Diagnostik der essentiellen Hypertonie Die Diagnostik der Hypertonie umfasst (a) die Bestimmung der Blutdruckhöhe (Tabelle 1), (b) den Ausschluss sekundärer Formen der Hypertonie (s. Thema sekundäre Hypertonie) und (c) die Festlegung des kardiovaskulären Gesamtrisikos durch die Determinierung weiterer Risikofaktoren, Endorganschäden und Begleiterkrankungen (Tabelle 2, Tabelle 3). Der Ablauf wird bestimmt durch (a) wiederholte Blutdruckmessungen, (b) Anamnese, (c) körperliche Untersuchung, (d) Laboruntersuchungen und (e) apparative Diagnostik. 78 6.1. Blutdruckmessung Die Diagnose Hypertonie basiert auf mehreren Blutdruckmessungen. Die konventionelle Messung sollte nach einigen Minuten Ruhe im Sitzen mit einer Standardmanschette (12-13 cm breit, 35 cm lang; für dickere bzw. dünnere Arme größere bzw. kleinere Manschette), die auf Herzhöhe angelegt wird, durchgeführt werden. Beim ersten Besuch sollte der Blutdruck an beiden Armen gemessen werden und zusätzlich 1 und 5 Minuten nach dem Aufstehen des Patienten in aufrechter Position, um orthostatische Reaktionen zu erkennen. Die Selbstmessung und das Führen eines Blutdruckpasses durch den Patienten etabliert die Bedeutung der Hypertonie für den Patienten und erhöht seine Compliance. Abbildung 49: Die korrekte Blutdruckmessung ♥ Erste Messung an beiden Armen: Weitere Messungen am Arm mit dem höheren Wert ♥ Arm in Höhe des Herzens ♥ Kein Kaffee oder Nikotin 30 min vor der Messung ♥ 5 Minuten Ruhe vor der Messung ♥ Geeignete Blutdruckmanschette ♥ 30 mmHg höher als Radiuspuls aufpumpen ♥ Langsames Ablassen der Luft (2-3 mmHg/Sek) ♥ 2 Messungen im Abstand von 2 Minuten mitteln Die 24-Stunden-Blutdruckmessung ist als zusätzliche diagnostische Maßnahme einzustufen, die besser mit dem Ausmaß der Endorganschäden korreliert und besser das kardiovaskuläre Risiko abschätzen lässt als die konventionelle Blutdruckmessung [Mancia et al, Circulation 1997;95:14641470; Staessen et al, JAMA 1999;282:539-546]. Ausserdem können Weißkittel-Effekte (Praxishypertonie) vermieden und fehlende Nachtabsenkung als möglicher Hinweis auf das Vorliegen einer sekundären Form der Hypertonie determiniert werden (normaler Blutdruckabfall während des Nachtschlafs: ↓ SBD 10%-15%, ↓ DBD 15-20%; <10% abklärungswürdig mit Frage nach Vorliegen einer sekundären Hypertonie). Ein fehlender Blutdruckabfall oder ein Blutdruckanstieg während des Nachtschlafs (sog. „Non-Dipping“) und therapeutische Wirkung antihypertensiver Maßnahmen können besser erfasst werden. Ein Praxisblutdruck von 140/90 mmHg entspricht ungefähr einem 24-Stunden-Mittelwert von 130/80 mmHg. Als Richtwert für die Tagphase gilt ein Mitteldruck von <135/85 mmHg und für die Nachtphase von <120/70-75 mmHg (Tabelle 4). Tabelle 4. Blutdruckgrenzwerte (mmHg) zur Definition von Hypertonie mit unterschiedlichen Messverfahren Praxis / Klinik 24-Stunden (MW, gesamt) Tagphase (MW) Nachtphase (MW) Selbstmessung (zu Hause) SBD 140 130 135 120 135 DBD 90 80 85 70 85 SBD, systolischer Blutdruck; DBD, diastolischer Blutdruck; MW, Mittelwert 6.2. Anamnese und Familienanamnese Bei der Anamneseerhebung spielt auch die Familienanamnese, die das Auftreten einer Hypertonie, Diabetes mellitus, Dyslipidämie, koronare Herzkrankheit, Schlaganfall und Nierenerkrankungen umfasst, eine besondere Rolle. Dabei sehen die Leitlinien folgende Erhebungen vor: 1. Dauer und Höhe des Bluthochdrucks 2. Hinweise für das Vorliegen einer sekundären Form der Hypertonie: • familiäre Belastung für Nierenerkrankungen (polyzystische Nierenerkrankung) • andere Nierenerkrankungen, Harnwegsinfekte, Hämaturie, Analgetika-Missbrauch 79 • 3. 4. 5. 6. Einnahme von Blutdruck-steigernden Medikamenten: orale Kontrazeptiva, Lakritze, Nasentropfen, Kokain, Amphetamine, Steroide, nicht-steroidale antiinflammatorische Medikamente, Erythropoietin, Cyclosporin • Schweißausbrüche, Kopfschmerzen, Angstzustände, Herzrasen (Phäochromozytom) • Muskelschwäche, Tetanie (Hyperaldosteronismus) • Symptome der Schlafapnoe: Schnarchen, Atempausen, Tagesmüdigkeit Risikofaktoren: • Familienanamnese und persönliche Anamnese zur Hypertonie, kardiovaskulären Ereignissen, Hyperlipidämie, Diabetes mellitus • Nikotinabusus • Ernährung (tierische Fette, Salz, Alkoholkonsum) • Adipositas, Gewichtsverlauf, körperliche Aktivität • Persönlichkeitsstruktur Symptome der Endorganschädigung: • Gehirn und Augen: Kopfschmerzen, Schwindel, Sehstörung, transitorisch ischämische Attacke, sensorische oder motorische Defizite • Herz: Herzrasen, Brustschmerz, Kurzatmigkeit • Niere: Durst, Polyurie, Nykturie, Hämaturie • periphere Arterien: kalte Extremitäten, Claudicatio intermittens Bisherige antihypertensive Therapie • Tabletteneinnahme, Wirksamkeit, Nebenwirkungen Persönliche, familiäre und Umweltfaktoren (Schichtarbeit, anhaltende Konflikte) 6.3. Körperliche Untersuchung Die körperliche Untersuchung umfasst (a) die Blutdruckmessung, (b) die Suche nach zusätzlichen Risikofaktoren und (c) Hinweisen einer sekundären Form der Hypertonie sowie (d) Zeichen der Endorganschädigung. Hinweise für das Vorliegen einer sekundären Form der Hypertonie: • Phänotyp des Cushing-Syndroms • Kutane Zeichen einer Neurofibromatose (Phäochromozytom) • Palpatorischer Nachweis vergrößerter Nieren (polyzystische Nierenerkrankung) • Auskultatorischer Nachweis eines abdominellen Strömungsgeräusches (Nierenarterienstenose) • Auskultatorischer Nachweis eines präkordialen oder thorakalen Geräusches (Aortakoarktation, Herzklappenfehler) Hinweise für Endorganschäden: • Gehirn: Strömungsgeräusch über den Carotiden, motorische/sensorische Defekte • Retina: auffälliger funduskopischer Befund • Herz: Verlagerung des Herzspitzenstoßes, Herzrhythmusstörung, pulmonale Rasselgeräusche, Ödeme • Periphere Arterien: abgeschwächter/fehlender Puls, kalte Extremitäten, ischämische Hautläsionen Abdominelle Adipositas: • Gewicht • Erhöhter Bauchumfang (Messung in stehender Position), M >102 cm, F >88 cm 2 2 • Erhöhter BMI, Übergewicht ≥25 kg/m , Adipositas ≥30 kg/m 6.4. Labor und apparative Untersuchungen Folgende Routineuntersuchungen sollten durchgeführt werden: • Blutzucker (nüchtern) • Lipidstatus: Serum-Cholesterin, HDL- und LDL-Cholesterin, Triglyceride • Kalium • Kreatinin, Harnsäure, Hämoglobin/Hämatokrit • Urinanalyse: Teststreifen, möglichst Sediment • Mittels Cockroft-Gault-Formel berechnete Kreatininclearance oder mittels MDRD-Formel berechnete glomeruläre Filtrationsrate • Elektrokardiogramm 80 MDRD-Formel: 2 -1.154 -0.203 GFR (mL/min/1.73 m ) = 186 X (SKrea) X (Alter) X 0.742 [falls weiblich]; X 1.210 [falls Afroamerikaner] Cockcroft-Gault-Formel: CCr: Kreatinin-Clearance (ml/min); SCr: Serum-Kreatinin in mg/dl; Alter: Alter in Jahren; Gewicht: Körpergewicht in kg. Nachfolgende weitere Untersuchungen werden empfohlen: • Echokardiogramm • Abdomensonographie • Dopplersonographie der Carotiden (Intima-Media-Dicke) • CRP • Mikroalbuminurie (insbesondere bei Diabetikern) • Quantitativer Eiweißnachweis im Urin (falls positiver Sticksnachweis) • Funduskopie bei schwerer Hypertonie • Pulswellengeschwindigkeits-Messung (falls möglich) • Knöchel-Arm-BD-Index • 24h-BD-Messung Weiterführende Untersuchungen durch Spezialisten: • Bei komplizierter Hypertonie: zusätzliche Bildgebung/Funktionstests von Gehirn, Herz, Niere • Abklärung sekundärer Formen der Hypertonie: Renin, Aldosteron, Kortikosteroide, Katecholamine, Arteriographie, Ultraschall der Nebennieren, CT, NMR-Untersuchung des Gehirns 6.5. Abklärung von Endorganschäden Die Determinierung von Endorganschäden ist für die Evaluierung des kardiovaskulären Risikos von entscheidender Bedeutung (Tabelle 2, Tabelle 3). Ohne eine sonographische Abklärung des Herzens und der Gefäße wird das kardiovaskuläre Risiko von ca. 50% der Hypertoniker als zu niedrig eingeschätzt [Cuspidi et al, J Hypertens 2002; 20:1307-1314.]. Eine Echokardiographie (Determinierung einer linksventrikulären Hypertrophie u.a.) und sonographische Untersuchung der A. carotis (Determinierung der Intima-Media-Dicke u.a) sowie Untersuchung des Urins auf das Vorliegen einer Mikroalbuminurie (sensitiver Marker für die Schädigung der renalen Mikrozirkulation) wird empfohlen. Neu in die Leitlinien aufgenommen wurde die Pulswellengeschindigkeits-Messung, die Bestimmung des Knöchel-Arm-BD-Index und der Kreatininclearance bzw. der glomerulären Filtrationsrate. Kardialer Endorganschaden. Bei allen Hypertonikern sollte ein Routine-EKG durchgeführt werden. Ziel ist die Erfassung von Ischämien, Rhythmusstörungen und der linksventrikulären Hypertrophie (LVH). Die LVH gilt als unabhängiger kardiovaskulärer Risikoprädiktor. Bei vergleichbarer Spezifität (95%) ist die Sensitivität (21% vs. 93%) des EKGs vs Echokardiographie zur Entdeckung einer LVH niedrig [Reichek et al, Circulation 1981;63:1391-1398]. Dabei gilt ein positiver Sokolow-Lyons (SV1 + RV5-6 >38 mm) oder ein modifizierter positiver Cornell-Index (>2440 mm *ms) als positiver LVHNachweis. Die Echokardiographie erlaubt die Messung des interventrikulären Septums, der Hinterwanddicke und des enddiastolischen linksventrikulären Durchmessers. Außerdem sollte die linksventrikuläre Masse berechnet werden. Obwohl eine lineare Beziehung zwischen linksventrikulärem Massenindex (LVMI) und kardiovaskulärem Risiko besteht, geht man erst bei einem 2 2 LVMI ≥125 g/m (Männer) bzw. ≥110 g/m (Frauen) von dem Vorliegen einer LVH aus. Vaskulärer Endorganschaden. Die sonographische Determinierung einer zunehmenden IntimaMedia-Dicke und der Nachweis von Gefäßplaques geht mit einem erhöhten Risiko für das Auftreten von Schlaganfall und Myokardinfarkt einher [Bots et al, Circulation 1997;96:1432-1437] und ermöglicht neben der durchgeführten echokardiographischen Untersuchung eine präzisere Risikostratifizierung des Hypertonikers [Cuspidi et al, J Hypertens 2002; 20:1307-1314]. Obwohl eine lineare Beziehung zwischen der Intima-Media-Dicke und dem kardiovaskulären Risiko besteht, gilt eine Intima-MediaDicke von 0.9 mm der A. carotis (Messpunkt 2 cm unterhalb der A. carotis communis Bifurkation) als pathologisch. Der Nachweis von Plaques ist von wesentlich höherer prognostischer Bedeutung. Zur Bestimmung der arteriellen Steifigkeit wird die Messung der Pulswellengeschwindigkeit (pathologisch erhöhte Pulswellengeschwindigkeit (A. carotis – A. femoralis) >12 m/s) empfohlen [Laurent et al, Hypertension 2001;37:1236-1241]. 81 Renaler Endorganschaden. Eine erniedrigte (gemessen oder errechnet) glomeruläre Filtrationsrate (GFR), ein erhöhtes Serum-Kreatinin und/oder eine erhöhte Eiweißexkretion im Urin sind Nachweise einer Hypertonie-induzierten Nierenschädigung. Dabei wird eine “leichte” Nierenschädigung angezeigt durch Serum-Kreatinin-Werte von 115-133 µmol/l (1.3-1.5 mg/dl, Mann) bzw. 107-124 µmol/l (1.2-1.4 mg/dl, Frau). Die GFR kann ohne eine 24-Stunden Sammelurin-Analyse durch eine validierte -1,154 -0,203 Kalkulationsmethode abgeschätzt werden: MDRD-Formel: eGFR = 186 x Cr x Alter x (0,742 falls weiblich) x (1,210 falls Schwarzamerikaner) [Levey et al, Ann Intern Med 1999;130:461-470]. Als 2 Endorganschaden wird eine erniedrigte glomeruläre Filtrationsrate <60 ml/min/1.73 m in die Risikostratifizierung des Patienten aufgenommen. Neuere Studien zeigen, dass fallende GFR mit einem steigenden kardiovaskulären Risiko einhergeht [Anavekar et al, N Engl J Med 2004;351:12851295; Go et al, N Engl J Med 2004;351:1296-1305]. Im Falle einer Eiweißexkretion im Urin wird die Mikroalbuminurie (30-300 mg/24h) von der Makroalbuminurie (>300 mg/24h) abgegrenzt. Die verstärkte Albumin- bzw. Eiweißausscheidung ist Hinweis auf eine Störung der glomerulären Filtrationsbarriere. Die Mikroalbuminurie ist ein wesentlicher Prädiktor der diabetischen Nephropathie bzw. kardiovaskulärer Ereignisse [Gerstein et al, JAMA 2001;286:421-426]. Daher gilt die Empfehlung bei jedem Hypertoniker das Serum-Kreatinin mit nachfolgender Abschätzung der GFR und die Albumin-/Eiweißexkretion im Urin zu bestimmen. Retinaler Endorganschaden. Es existieren 4 Grade der hypertensiven Retinopathie, wobei Grad I und II bei ca. 75% aller Hypertoniker nachgewiesen werden und es zweifelhaft ist, ob diese beiden Grade als Kriterien eines Endorganschadens zur Risikostratifizierung genutzt werden können. Grad III und IV weisen einen schweren Endorganschaden nach. Zerebraler Endorganschaden. Die Computertomographie (CT) ist das Standardverfahren zur dignostischen Abklärung eines Schlaganfalls. Mittels Magnetresonanztomographie (MRT) können stumme Hirninfarkte (insbesondere kleine, tief gelegene Läsionen, sog. lakunäre Infarkte) besser nachgewiesen werden [Price et al, Stroke 1997;28:1158-1164]. Es wird empfohlen Hypertoniker mit neurologischen Funktionsstörungen, insbesondere Störungen der Merkfähigkeit, mittels MRT zu untersuchen. Außerdem sollten bei älteren Hypertonikern häufiger kognitive Funktionstests (z.B. MiniMental-Status-Test) zur frühzeitigen Erfassung zerebraler Hypertonie-bedingter Schädigungen durchgeführt werden. Anhand der dargestellten Risikostratifizierung zur Beurteilung der kardiovaskulären Prognose des Patienten erfolgt die Einleitung einer individuellen Risiko-adaptierten Therapie (siehe Therapie). 7. Empfehlungen zum Zielblutdruck Das Hauptziel bei der Behandlung von Hypertonikern ist die Reduktion des kardiovaskulären Gesamtrisikos. Dies erfordert sowohl die Senkung des Blutdrucks als auch die Therapie aller zusätzlichen Risikofaktoren. Bei allen Hypertonikern sollte der Blutdruck mindestens auf Werte unter 140/90 mmHg gesenkt werden. Der Zielblutdruck sollte kleiner als 130/80 mmHg sein bei Hypertonikern mit hohem oder sehr hohem kardiovaskulären Risiko (Schlaganfall, Myokardinfarkt, renaler Dysfunktion, Proteinurie). Bei Diabetikern gilt der Zielkorridor von 130-139/80-85 mmHg (ACCORD-Studie). Bei Patienten mit Niereninsuffizienz und einer Proteinurie >1 g/Tag wird ein Zielblutdruck von kleiner als 125/75 mmHg als erforderlich angesehen. 8. Therapie Am Anfang einer dauerhaft erfolgreichen antihypertensiven Therapie steht eine intensive Aufklärung des Patienten bezüglich der Erkrankung, der sich bei Nichtbehandlung ergebenden ernsten gesundheitlichen Konsequenzen sowie des Ziels therapeutischer Maßnahmen. Wichtigstes therapeutisches Ziel ist die Reduktion der kardiovaskulären Morbidität und Mortalität. Einsicht ist eine wesentliche Basis für die unabdingbar notwendige Patienten-Compliance. Das Therapieziel kann nur in vertrauensvoller Zusammenarbeit von Arzt und Patient erreicht werden. Die nachfolgenden Aspekte können nur allgemeine Prinzipien vermitteln. Die Einzelmaßnahmen der antihypertensiven Therapie werden durch das kardiovaskuläre Gesamtrisiko bestimmt. Eine adäquate Blutdruckeinstellung kann i.d.R. nur durch eine Kombination verschiedener therapeutischer Ansätze erreicht werden. Die Einschätzung des Gesamtrisikos erfolgt auf der Basis besonders bedeutsamer Risikofaktoren und hängt zusätzlich vom Vorliegen von Endorganschäden ab. Basierend auf der Risikostratifizierung wird z.B. entweder zunächst mit nichtmedikamentösen Allgemeinmaßnahmen 82 oder direkt mit einer Pharmakotherapie begonnen. Folgende nichtmedikamentöse Maßnahmen werden empfohlen: Nicht-medikamentöse Therapieansätze Der Veränderung des Lebensstils kommt als Grundlage der antihypertensiven Therapie eine wichtige Rolle zu. Dieses betrifft nicht nur Patienten vor dem Beginn der medikamentösen Therapie, sondern auch Patienten, die bereits antihypertensive Medikamente erhalten. Das Ziel der Lebensstilveränderungen ist es, den Blutdruck zu senken und andere Risikofaktoren günstig zu beeinflussen. Veränderungen des Lebensstils, welche den Blutdruck senken und das kardiovaskuläre Risiko beeinflussen, sind: 1. Beendigung des Rauchens 2. Gewichtsreduktion bei Übergewicht (ca. bis 2,5 / 1,5 mmHg pro kg erreichte Gewichtsabnahme) 3. Verminderung des Alkoholkonsums; ≤20-30 g/Tag (Mann) bzw. ≤10-20 g/Tag (Frau) 4. Körperliche Bewegung und Sport; 30-45 Min mindestens 3 x/Woche; besser täglich, mittlere Intensität. Ausdauersport wird empfohlen. Kraftsport darf - wenn überhaupt - nur in leichter Intensität betrieben werden; Kraftsport in maximaler Intensität ist kontraproduktiv. 5. Reduktion des Kochsalzkonsums; <5g/Tag NaCl (<85 mmol/Tag) + Die aktuelle Kochsalzzufuhr kann aus der Na -Ausscheidung im Urin approximiert werden: + [Na ] mmol/l x Urinvolumen im 24 h x 58 / 100. Bsp: 102 mmol/l x 2,6 l x 0,058 = 15,38 g/Tag 6. Eine Ernährung reich an Obst und Gemüse und wenig tierischen und gesättigten Fetten. 7. Weitere nicht-medikamentöse Therapieoptionen liegen im Stressmanagement. Eine gesunde Ernährung sollte immer Teil der Therapie sein. Einschränkend muss gesagt werden, dass bislang keine prospektiven Studien zur Wirkung von Lebensstiländerungen auf die kardiovaskulären Komplikationen durchgeführt wurden. Veränderungen des Lebensstils können deshalb eine frühzeitige medikamentöse Therapie (s. Thema „medikamentöse Therapie“) insbesondere bei Patienten mit höherem Risiko nicht ersetzen [www.hochdruckliga.de]. Medikamentöse Therapie Unten sind die Empfehlungen der Deutschen Hochdruckliga für die medikamentöse Therapie der arteriellen Hypertonie aufgeführt. Prinzipiell sind zu Beginn der Therapie eine Monotherapie oder eine niedrig dosierte Kombinationstherapie mit 2 Medikamenten möglich. Zu den Monotherapeutika der ersten Wahl zählen: ACE-Hemmer, AT1-Antagonisten, Beta-Blocker, Kalzium-Antagonisten und Diuretika. Nicht jedes bei einem Patienten zuerst angewandte Präparat ist auch das für ihn wirksamste. In der Initialphase der medikamentösen Einstellung macht es daher Sinn, unterschiedliche Stoffklassen auf ihre individuelle Wirksamkeit hin zu überprüfen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die maximale Wirkung erst nach 2-6 Wochen erreicht wird. Ca. 25-30% der Patienten sprechen andererseits auf eine Monotherapie nicht ausreichend an. Bei vielen Patienten ergibt sich aufgrund von Begleiterkrankungen oder Zusatzkriterien ein bevorzugter Einsatz bestimmter Substanzgruppen, die sogenannte „Differenzialtherapie“. Zusätzlich zu den oben aufgeführten Aspekten zeigen entsprechende Untersuchungen, dass Betablocker und ACE-Hemmer eine deutlichere Blutdrucksenkung bei Jüngeren, Diuretika und Calciumantagonisten eine deutlichere Blutdrucksenkung bei Älteren bewirken. ACE-Hemmer und AT1-Rezeptor-Antagonisten besitzen besondere Bedeutung für die Prävention und Behandlung der diabetischen Nephropathie. 83 Differenzialtherapie der Hypertonie Pro Kontra Asthma AV Block Diabetes pAVK Beta Blocker KHK, LVH nach Herzinfarkt Tachyarrhythmien Migräne Diuretikum Herzinsuffizienz systolische Hypertonie > 60 Jahre Myokardinf. < 4 Wo. Instabile AP AV - Block Herzinsuffizienz CalciumAntagonist Systolische Hypertonie > 60 Jahre Schwangerschaft Nierenarterienstenose ( beidseits) Hyperkaliämie ACE Hemmer Herzinsuffizienz nach Myokardinfarkt Niereninsuffizienz Diabetische Nephropa. Gicht Unten ist das praktische Vorgehen bei der Einstellung einer arteriellen Hypertonie und einige Beispiele für Antihypertensiva aufgeführt. Praktisches Vorgehen bei der Einstellung eines Hypertonus ♦ Beginn der Hypertoniebehandlung mit einer niedrigen Dosis eines Präparates oder eines Kombinationspräparates. Nach 1 Monat ggf. Erhöhung der Dosis. ♦ ♦ Wenn der Blutdruck nicht gesunken ist oder es Nebenwirkungen gibt: Absetzen des Präparates und Gabe eines Antihypertensivums einer anderen Klasse. ♦ ♦ Wenn der Blutdruck unter der Monotherapie etwas gesunken ist aber noch nicht im Zielbereich (< 140/90) liegt und das Medikament gut vertragen wird: Zusätzliche Gabe eines Antihypertensivums einer anderen Klasse. ♦ Falls der Blutdruck unter einer dualen Therapie noch nicht im Zielbereich liegt: Zusätzliche Gabe eines Antihypertonikums einer anderen Klasse und Suche nach sekundären Ursachen der Hypertonie. Beispiele von Antihypertensiva mit Dosierungen Medikament Thiaziddiuretikum z.B. Hydrochlorothiazid ACE-Hemmer z.B. Enalapril AT1-Rezeptor-Antagonist z.B. Losartan Dosis 12,5 – 25 mg 5 – 40 mg 50 – 100 mg Calciumkanal-Antagonist z.B. Amlodipin 5 – 10 mg Beta-Blocker z.B. Bisoprolol 5 - 10 mg Zum Erreichen der Zielblutdruckwerte benötigen die meisten Hypertoniker mehr als ein Antihypertensivum. Zahlreiche wirksame und gut verträgliche Kombinationen stehen zur Verfügung. 84 Kombinationen unterschiedlicher Gruppen von Antihypertensiva. Synergistische Kombinationen sind mit Hilfe grüner Linien, mögliche Kombinationen durch rote Linien gekennzeichnet. * Nur sinnvoll für Dihydropyridin-Calciumantagonisten Bei manchen Patienten gelingt es auch mit Hilfe von Zweierkombinationen von Antihypertensiva nicht, den Zielblutdruck zu erreichen. Dies trifft insbesondere für Hypertoniker mit Nierenerkrankungen zu. Dann müssen Kombinationen von drei oder mehr Antihypertensiva eingesetzt werden. Für Dreierkombinationen kommen insbesondere in Frage: - Diuretikum + ACE-Inhibitor + Calciumantagonist - Diuretikum + AT1-Antagonist + Calciumantagonist - Diuretikum + Beta-Blocker + Vasodilatator* - Diuretikum + zentrales Antisympathotonikum + Vasodilatator* * hier subsummiert: Calciumantagonisten, ACE-Hemmer, AT1-Antagonisten, Alpha 1-Blocker, Dihydralazin Neuere Studien zeigen, dass auch ältere Patienten >80 Jahre von einer antihypertensiven Therapie profitieren (HYVET-Studie; Beckett et al, N Engl J Med. 2008;358:1-12). Die isoliert systolische Form der Hypertonie, die häufig gerade bei älteren Patienten (erhöhte Gefäßsteifigkeit, erhöhter Pulsdruck) vorliegt, sollte genauso streng wie die kombiniert systolisch-diastolische Form der Hypertonie eingestellt werden. Die hypertensive Krise Therapieziel ist hier das Erreichen von Blutdruckwerten um 160 - 180 mmHg systolisch und 90 - 105 mmHg diastolisch innerhalb von 24 h. Dies kann bei Fehlen von Organsymptomen durchaus erreicht werden durch orale Gabe eines längerwirksamen Antihypertensivums in üblicher Dosierung unter regelmässigen RR-Kontrollen. Der hypertensive Notfall Bei deutlich hypertensiven Werten und klinischen Zeichen für einen hypertensiven Notfall (vgl. oben) muss die Behandlung umgehend außerhalb der Klinik begonnen werden und eine unverzügliche Klinikeinweisung erfolgen. Primäres Therapieziel ist das Absenken des Blutdrucks um maximal 25%. In der Anfangsphase sollte der Blutdruck nicht unter 160/100 mmHg abgesenkt werden. Wenn der Blutdruck über 240/120 mmHg liegt, ist in den ersten 6 h eine i.v.-Therapie angezeigt. Generell geeignete Pharmaka für den hypertensiven Notfall sind 0,4-1,2 mg Glyceroltrinitrat, 25 mg Urapidil oder 0,075 mg Clonidin, kurz wirksame Dihydropyridine sind ungeeignet. 85 Hausarzt Klinik Nitroglycerin-Spray /-Kapsel 1,2 mg Mittel der Wahl bei Lungenödem, instabiler Angina pectoris, MI ! Urapidil (Ebrantil®) 5-25 mg/h Nitroglycerin 1-5 mg/h Furosemid (Lasix®) 20-40-500 mg Clonidin (Catapresan®) 0,05-0,2 mg/h Dihydralazin (Nepresol®) 6,25-25 mg/h Urapidil 25 mg i.v. Clonidin 0,075 mg langsam i.v. Cave: Antihypertensive Therapie nach einem Apoplex: In 50% der Fälle ist der Blutdruck reaktiv erhöht und normalisiert sich bei 2/3 der Patienten innerhalb von 24-48h. Vorsichtige Blutdrucksenkung da ansonsten Gefahr der Vergrößerung des Ischämieareals mit Prognose-Verschlechterung ! Am ersten Tag erfolgt hier nur bei Blutdruckwerten > 200/110 mmHg eine antihypertensive Therapie. Am 2. und 3. Tag liegt das Blutdruckziel bei 180/100 mmHg. 10. Hypertonie in der Schangerschaft 10% aller Schwangeren, bes. jüngere Erstgeb.; 1% Präeklampsie; 0.1% Eklampsie Man unterscheidet folgende Formen: Schwangerschaftsbedingte Hypertonie: a. Gestationshypertonie: Hypertonie ohne Proteinurie im 3. Trimenon. Remission 12 Wochen postpartal b. Präeklampsie: Hypertonie und Proteinurie >300 mg/die, meistens nach 20. SSW Komplikation: HELLP-Syndrom (hemolysis, elevated liver enzymes, low platelet count) Eklampsie mit neurologischen Symptomen (Augenflimmern, Krämpfe) Schwangerschaftsunabhängige Hypertonie: RR >140/90 mmHg vor der 20. SSW und Persistenz der Hypertonie >20 Wochen postnatal Indikationen zur antihypertensiven Therapie in der Schwangerschaft generelle Behandlungsindikation ≥170/110 mmHg bei vorbestehender Hypertonie, Diabetes, Nierenerkrankung ≥160/100 mmHg Endorganschäden, LV-Hypertrophie, Niereninsuffizienz, Hypertensive Krise/Notfall, Präeklampsie/Eklampsie, HELLP-Syndrom Ziel-RR 140-160 / 90-100 mmHg Ziel der Behandlung ist die Blutdrucksenkung auf Werte zwischen 140-160/90-100 mmHg. Zur Langzeittherapie kann Alpha-Methyldopa als Mittel der Wahl eingesetzt werden. Bei der weiterhin möglichen Anwendung von selektiven Beta-Blockern (Mittel der Wahl Metoprolol) ist allerdings zu beachten, dass unter Atenolol Wachstumsstörungen beschrieben worden sind, wahrscheinlich bedingt durch eine hoch dosierte Beta-Rezeptorenblockade mit Beeinträchtigung der in der Schwangerschaft physiologischen Hyperzirkulation. Calciumantagonisten werden international ebenfalls häufig eingesetzt, obwohl ihr Einsatz nicht unumstritten ist. Einerseits sind für Nifedipin und andere Dihydropyridin-Calciumantagonisten embryotoxische und teratogene Effekte im Tierversuch beschrieben worden, so dass diese Wirkstoffe im 1.Trimenon nicht indiziert sind. Andererseits wird Verapamil seit langem bei Schwangeren mit tachykarden supraventrikulären Herzrhythmusstörungen ohne Bekanntwerden von fetalen Schädigungen eingesetzt. Allerdings ist bei der gleichzeitigen Verabreichung von Calciumantagonisten und Magnesiumsulfat zu beachten, dass es aufgrund eines Synergismus in seltenen Fällen zu einer abrupten schweren Hypotonie kommen kann. ACE-Hemmer und AT1-Antagonisten sind in der Schwangerschaft aufgrund embryo- und fetotoxischer Effekte kontraindiziert! Bei Präeklampsie ist das Plasmavolumen reduziert, so dass Diuretika nicht angewandt werden sollten. Die intravenöse Applikation von Magnesiumsulfat hat sich bei einer 86 Präeklampsie zur Prävention und Behandlung von Krampfanfällen als effektiv erwiesen. Insbesondere nach der 32. Schwangerschaftswoche ist bei einer Präeklampsie und zusätzlichen Warnsymptomen für die Entwicklung einer Eklampsie oder eines HELLP-Syndroms wie Sehstörungen, Gerinnungsstörungen und Gefährdung des Kindes die vorzeitige Entbindung häufig die kausale Therapie der Wahl. Antihypertensiva in der Schwangerschaft (Deutsche Hochdruckliga): geeignet eingeschränkt geeignet Medikament α-Methyldopa (Presinol®) Besonderheiten Mittel der 1. Wahl selektive β-1-Blocker Metoprolol (Beloc®) Atenolol (Tenormin®) potentielle Verstärkung einer intrauterinen Wachstumsretardierung Dihydralazin (Nepresol®) Reflextachykardie, Kopfschmerzen Nifedipin (Adalat®) nicht indiziert im 1. Trimenon aufgrund embryotoxischer / teratogener Effekte im Tierversuch; keine ausreichenden Langzeiterfahrungen bei Mutter und Kind Verapamil keine ausreichenden Erfahrungen in der Hypertonie-Behandlung; Anwendung bei tachykarden supraventrikulären HRST, Begleitmedikation für Tokolysebehandlung ohne fetale Schäden Prinzipiell gelangen alle von der Stillenden eingenommenen Antihypertensiva abhängig von ihrer Plasmaproteinbindung und Lipidlöslichkeit in die Muttermilch, wobei die Konzentrationen der meisten Substanzen gering sind. Alpha-Methyldopa und Dihydralazin gelten als Mittel der Wahl in der Stillzeit. Ebenso ist die Anwendung von Nifedipin und Metoprolol möglich. Frauen mit einer Präeklampsie in der Anamnese haben ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. In kausalem Zusammenhang damit stehen wahrscheinlich Veränderungen der Endothelfunktion sowie Kohlehydrat- und Fettstoffwechselstörungen. 87 Sekundäre Hypertonie Definition: Arterielle Hypertonieform bei der im Gegensatz zur primären bzw. essentiellen Hypertonie eine auslösende Ursache zugrunde liegt. Inzidenz: selten, 5 - 10% der Patienten mit arterieller Hypertonie. Nur bei Patienten mit begründetem Verdacht auf eine sekundäre Hypertonieform ist eine umfangreiche Abklärung sinnvoll. Bei ca. 18 Millionen Hypertonikern in der BRD und einem Anteil von 90% mit essentieller Hypertonie ist dieses Vorgehen aus ökonomischer Sicht erforderlich. Andererseits ist es erforderlich, die klinischen Zeichen einer sekundären Hypertonie frühzeitig zu erkennen, da in vielen Fällen durch eine spezifische Therapie oder Intervention der arterielle Hypertonus geheilt oder zumindest deutlich gebessert werden kann. Indikationen zum Ausschluss einer sekundären Hypertonie ♦ ♦ ♦ ♦ ♦ ♦ ♦ Therapierefraktäre Hypertonie Hypertonie ≥ 180/110 Schwere hypertensive Endorganschäden Erstmanifestation Hypertonie < 30. LJ Progression einer bekannten Hypertonie Fehlende nächtliche Blutdruckabsenkung in 24h-RR Messung („non-dipper“) Klinische und laborchemische Hinweise auf das Vorliegen einer sekundären Hypertonie Renovaskuläre Hypertonie Die Nierenarterienstenose (NAST) stellt die häufigste Ursache der sekundären Hypertonie dar. Die Prävalenz im Gesamtkollektiv der Hypertoniker beträgt 1 - 3%. Aufgrund der geringen Häufigkeit ist eine bildgebende Screening-Diagnostik zum Nachweis einer Nierenarterienstenose nur bei Patienten sinnvoll, die klinische Zeichen für eine NAST aufweisen. Klinische Zeichen für eine NAST - atherosklerotische Begleiterkrankungen (KHK, pAVK, cerebrale Atherosklerose) - Hypercholesterinämie - Unklarer Kreatininanstieg (bilaterale NAST !) - Kreatininanstieg (> 20%) nach ACE-Hemmer / Angiotensin-II-Blocker - Größendifferenz der Nieren ( > 1 cm) - paraumbilikales Strömungsgeräusch (diastolisch / systolisch) - rezidivierendes Lungenödem Man unterscheidet 2 Formen der Nierenarterienstenose, die atherosklerotische Nierenarterienstenose (ANAS) (Abb. 51) und die Nierenarterienstenose vom Typ der fibromuskulären Dysplasie (FMD). Beide Formen gehen meist mit einer schweren arteriellen Hypertonie einher, unterscheiden sich aber in einigen Punkten grundlegend. Formen der Nierenarterienstenose: Neben der Entstehung einer renovaskulären Hypertonie kann eine Nierenarterienstenose zu einer progredienten ischämischen Nephropathie führen. In solchen Fällen liegt meist eine ANAS mit bilateraler Lokalisation, funktioneller Einzelniere oder vorbestehender Niereninsuffizienz vor. Formen der Nierenarterienstenose Atherosklerotisch Fibromuskuläre Dysplasie Pathogenese Gefäßsklerose, Plaques Angeborene Gefäßdysplasie Lokalisation Ostial (1 - 2 cm) Postostial bis peripher Epidemiologie Hohes Alter Jüngere Patienten, oft Frauen Gefäßbeteiligung KHK, pAVK usw. Aorta, Iliakal, Carotis Therapieerfolg Heilung: 15% Besserung: 60 % Heilung: 50% Besserung: 90% (PTA +/- Stent) 88 Ab einem Stenosegrad > 50% kommt es zu hämodynamischen Veränderungen, der Perfusionsdruck fällt ab, es kommt zu einer relativen Ischämie. Dies führt zu einer Freisetzung von Renin aus der Macula densa. Das Renin-Angiotensin-II-System wird aktiviert. Via Aldosteron und Angiotensin II werden Kochsalz und Flüssigkeit retiniert, Angiotensin II induziert eine Vasokonstriktion. Die Folge ist ein schwer einstellbarer Hypertonus (Abbildung 50). Ab einem Stenosegrad von ≥70% kann es auf Dauer zu einer ischämischen Nephropathie mit Nierenparenchymschädigung / Schrumpfniere kommen. Abbildung 50: Pathophysiologie der Nierenarterienstenose Nierenarterienstenose Progressive Lumeneinengung Renovaskuläre Hypertonie Ischämische Nephropathie Progrediente Niereninsuffizienz kontralaterale Niere stenosierte Niere Ischämie Langzeiteffekte: Aktiviertes sympathisches Nervensystem Gestörte NO-Synthese Gesteigerte Endothelinfreisetzung Renin Angiotensin II Aldosteron Vasokonstriktion Intrarenale Hämodynamik Natrium-Retention Diagnose: Bei begründetem Verdacht auf eine Nierenarterienstenose empfiehlt sich die Durchführung einer nicht-invasiven bildgebenden Diagnostik mit der Farbduplexsonographie. Nur falls eine Intervention durchgeführt werden soll, ist eine Angiographie sinnvoll (Abbildung 50). Therapie: Die renovaskuläre Hypertonie wird meistens medikamentös (ACE-Hemmer, Diuretikum, Calcium-Antagonist) oder durch eine interventionell-radiologische Revaskularisation (Dilatation mit / ohne Stent) therapiert. Mögliche Indikationen für die Dilatation sind: Stenosegrad > 70%. Schwer medikamentös einstellbare Hypertonie, progrediente Nierenfunktionseinschränkung, rez. pulmonales Ödem, Alter < 60 Jahre. Die Entscheidung, welche Therapieform angezeigt ist, hängt aber von der klinischen Gesamtsituation des Patienten ab (Blutdruck einstellbar? Nierenfunktion stabil? Interventionsrisiko hoch?). Eine im 2010 publizierte große Studie kommt zu dem Schluss, dass Patienten mit einem kontrollierten Blutdruck und stabiler Nierenfunktion nicht von einer Dilatation profitieren. Abb. 51: Angiographie mit Stenose der linken Nierenarterie (Pfeil) 89 Die Therapieziele stabile Blutdruckeinstellung, Stabilisierung der Nierenfunktion und Minimierung von Nebenwirkungen stehen dabei im Vordergrund. Primärer Hyperaldosteronismus Definition: sekundäre Hypertonieform bedingt durch unkontrollierte, autonome Freisetzung von Aldosteron aus der Nebennierenrinde mit Entwicklung eines meist schweren volumenabhängigen Hypertonus. Inzidenz: 1 - 5% im Gesamtkollektiv der Hypertoniker. Ein primärer Hyperaldosteronismus wird in mehr als 99 Prozent durch ein Aldosteron-produzierendes Adenom oder durch eine idiopathische beidseitige Nebennierenrindenhyperplasie ausgelöst. Davon abgegrenzt werden die seltenen monogenetischen Hypertonieformen mit tatsächlichem (GSH) bzw. augenscheinlichem (AME) Hyperaldosteronismus (siehe Tabelle). Typ Conn Adenom Ätiologie Aldosteron produzierendes NN-Adenom Bilaterale idiopathische Hyperplasie Gesteigerte Aldosteronfreisetzung ohne NN-Pathologie Adrenales Karzinom Maligner Aldosteron produzierender Tumor Glucocorticoid supprimierbarer Hyperaldosteronismus Genetischer Enzymdefekt Aldosteron / Cortisolsynthese Apparenter Mineralcorticoid Exzess Genetischer Enzymdefekt Konversion Cortisol → Cortison vermindert Klinik: Typische klinische Hinweise fehlen meist, in machen Fällen berichten die Hypertoniker über Muskelschwäche und Müdigkeit (Hypokaliämie), Polyurie, Nykturie und vermehrten Durst. Labor: Hypokaliämie (aber nur 50%), Hyperkaliurie (> 30 mmol/Tag) trotz niedrigem Serum-Kalium, metabolische Alkalose. Endokrinologische Befunde: Die Diagnose eines primären Hyperaldosteronismus wird endokrinologisch gestellt. Die bildgebende Diagnostik (Suche nach NN-Adenom, NN-Hyperplasie oder NN-Karzinom) erfolgt sekundär. Eine gesteigerte autonome Aldosteronfreisetzung führt zur Suppression der Reninsynthese. Als valides diagnostisches Kriterium hat sich der Aldosteron/Renin Quotient (AR-Ratio) bewährt. Dieser Parameter wird nur gering durch Antihypertensiva verfälscht. Allerdings sollte Spironolacton (4 Wochen vorher), Thiaziddiuretika (1 Woche vorher) und Beta-Blocker (1 Woche vorher) vor dem Test abgesetzt werden. Eine AR-Ratio > 300 in Kombination mit erhöhten Aldosteronwerten spricht für einen primären Hyperaldosteronismus. Weitere Kriterien sind eine pathologisch erhöhte Ausscheidung von Aldosteronmetaboliten im 24h- Sammelurin. Primärer Hyperaldosteronismus: Endokrinologische Befunde Renin (PRA) Aldosteron (PA) PA / PRA Ratio Aldosteron- Metabolite 24h-Urin Eine inadäquate Aldosteronsekretion sollte durch Funktionstests bestätigt werden: 1. Orthostasetest: Unter Orthostasebedingungen scheinbar paradoxer Abfall des Aldosterons, erklärt durch eine ACTH-Abhängigkeit der Aldosteronsekretion 90 2. NaCl-Belastungstest: Nach Infusion von 2 Litern isotonischer Kochsalzlösung über 4 Stunden sollte sich der Plasmaaldosteronspiegel beim Gesunden absenken. Erhöhte Werte sprechen für einen primären Hyperaldosteronismus. Beim Verdacht auf einen primären Hyperaldosterinismus ist eine weitere Bildgebung (Ultraschall, auf jeden Fall auch CT oder MR) zur weiteren Differenzierung eines Adenoms von einer Hyperplasie notwendig (Abbildung 52). Abb. 52: Adenom im CT des Abdomen: Ca. 1,5 cm grosse hypodense Raumforderung in der rechten Nebennierenrinde. Das Adenom war Aldosteron produzierend. Wenn bei der Diagnostik diskordante Befunde auftreten (Kein Tumor im CT, pathologische Funktionstests, Tumor im CT, normale Funktionstests), ist es manchmal sinnvoll, Aldosteronkonzentrationen in der Nebennierenvene zu bestimmen. Therapie: 1) Adrenalektomie bzw. Adenomresektion bei Conn-Adenom, unilateraler PAH, Karzinom. 2) ACE-Hemmer, AT1-Blocker, Kalzium-Antagonisten, Aldosteronantagonist (Aldactone) oder Amilorid bei bilateraler PAH oder IHA. 3) Eplerenon (Inspra), in Deutschland noch off label use. Glucocorticoid supprimierbarer Hyperaldosteronismus (GSH) Ätiologie: Sehr seltene monogenetische (autosomal dominante) Hypertonieform. Defekt auf Chromosom 8 im Bereich der Gene, die für Enzyme aus dem Glucocorticoid-(11-desoxycortisol) und Mineralocorticoidstoffwechsel (Aldosteron-Synthetase) kodieren. Die Folge ist ein chimäres Genprodukt (Enzym), das durch Corticotropin (ACTH) reguliert wird und Aldosteron synthetisiert. Daraus resultiert eine falsch regulierte (durch ACTH) und gesteigerte Aldosteronsynthese. Klinik: Schwerer Hypertonus bereits im Jugendalter, evtl. mit positiver Familienanamnese, früh hypertensive Komplikationen. Labor: Wie primärer Hyperaldosteronismus, zusätzlich erhöhte Konzentrationen von 18-OH-Cortisol / 18-Oxo-Corticosteron im 24h-Sammelurin. Nachweis mit Genanalyse möglich. Therapie: Dexamethason (= Suppression der ACTH-Freisetzung)! Apparenter Mineralocorticoid Exzess (AME) Ätiologie: Seltene monogenetische (autosomal rezessive) Hypertonieform mit verminderter Aktivität bzw. Aktivitätsverlust der 11-ß-Hydroxysteroid-dehydrogenase Typ II. Durch den Aktivitätsverlust kommt es zur verzögerten Umwandlung von Cortisol in Cortison. Da Cortisol unselektiv den Aldosteronrezeptor aktivieren kann, wird hierdurch ein Aldosteronexzess imitiert (siehe auch Abschnitt Hintergrund). Klinik: Klinische Zeichen des Aldosteronexzesses ab 50%-iger Verminderung der Enzymaktivität. Labor: wie Hyperaldosteronismus, aber erniedrigte Spiegel von Renin, Aldosteron und Aldosteronmetaboliten! Erhöhte Spiegel von Tetrahydrocortisol, Tetrahydrocortison Therapie: Spironolacton (= Aldosteron-Rezeptorblockade) oder Amilorid (= Hemmung der + Na -Rückresorption im distalen Tubulus), Dexamethason (= Suppression der endogenen CortisolProduktion). Phäochromozytom Katecholaminproduzierender Tumor mit meist krisenhafter sekundärer Hypertonie. Inzidenz: selten, ca. 0.2 % aller Hypertoniker Phäochromozytome sind zu 95% abdominell und zu 90% im Nebennierenmark lokalisiert. Selten findet man Phäochromozytome auch extraadrenal (paraaortal, Becken, Harnblase) und gelegentlich 91 auch extraabdominell (Thorax, Kopf, Hals). Bei klassischen Leitsymptomen erfolgt primär eine endokrinologische Diagnostik mit Bestimmung der Katecholamine im angesäuerten 24h-Sammelurin (Adrenalin, Noradrenalin, Vanillinmandelsäure, Metanephrine). Klinik des Phäochromozytoms Episodischer Kopfschmerz (80 - 96%) Schweißausbruch (67 - 74%) Tachykardie Hypertonie labil (63%), persistierend (33%) Da 50% der Phäochromozytome symptomlos auftreten und klinisch nicht von einem essentiellen Hypertonus zu differenzieren sind, ist eine endokrinologische Abklärung zum Ausschluss eines Phäochromozytoms bei allen Patienten mit komplizierter oder therapierefraktärer Hypertonie indiziert. Der Nachweis erhöhter Katecholamine (Adrenalin und Noradrenalin mind. 2-fach erhöht, Vanillinmandelsäure und Metanephrine mind. 2-3-fach erhöht) spricht für ein Phäochromozytom; auch diskrete Erhöhungen schließen dies nicht aus, daher ggf. Clonidin-Suppressionstest durchführen. Bei Nachweis von pathologisch erhöhten Katecholaminen erfolgt die bildgebende Diagnostik mit Kernspintomographie (hyperintense RF in T2-Gewichtung). Mit Hilfe der MIBG-Szintigraphie (Meta-Iodo-Benzyl-Guanidine) können stoffwechselaktive katecholaminproduzierende Raumforderungen auch extraadrenal oder extraabdominell lokalisiert werden. Diagnostik des Phäochromozytoms Im angesäuerten 24h-Urin: - Adrenalin (> 2-fach) - Noradrenalin (> 2-fach) - Vanillinmandelsäure (> 2-3-fach) - Metanephrine (> 2-3-fach) - MRT - MIBG-Szintigraphie Als weitere mögliche Bildgebung sind 18F-DOPA-PET sowie Octreotid-Scintigraphie (letzteres v.a. bei V.a. malignes metastasierendes Phäochromozytom) zu nennen. Phäochromozytome kommen gehäuft bei hereditären Erkrankungen wie der von-Hippel-LindauErkrankung (Phäochromozytom, retinale Angiome, Pankreas- / Nierenzysten, Nierenzellkarzinom) und der Multiplen Endokrinen Neoplasie (MEN) 2 (Phäochromozytom, medulläres Schilddrüsenkarzinom, primärer Hyperparathyreoidismus) vor. Bei klinischem Verdacht oder positiver Familienanamnese ist eine genetische Diagnostik erforderlich. Therapie: Adrenalektomie, präoperativ pharmakologische Blockade von alpha- und beta-Rezeptoren, postoperative Volumengabe und Glukoseinfusion. 92 15. Fettstoffwechselstörungen Ansprechpartner/in: Frau Dr. Otte, [email protected] Unter dem Begriff Fettstoffwechselstörungen finden sich Störungen mit Erhöhung des Gesamtcholesterins und/oder der Triglyzeride sowie Störungen mit verändertem Lipoproteinmuster. Da Lipide wasserunlöslich sind, werden sie zum Transport in Blut und Lymphe in mizelläre Strukturen, sog. Lipoproteine, verpackt, die sich aus Phospholipiden und anderen Lipiden (Cholesterin/ester und Triglyzeride) sowie Proteinen zusammensetzen. Die Lipoproteine können durch Austausch ihrer Zusammensetzung in ihrer Dichte stark variieren (s. Tabelle 1). Zur Strukturbildung der Lipoproteine dienen sogenannte Apolipoproteine, die auch als Liganden für Rezeptoren (z.B. Apo B 100 und Apo E für LDL-Rezeptor) und als Cofaktoren für lipolytische Enzyme (z.B. Apo C-II für Lipoproteinlipase) dienen. Freie Fettsäuren werden zum Transport an Albumin gebunden. Lipoprotein HDL HauptCholesteringehalt t½ im Plasma Apoproteine Apo B 48, 5% wenige Min. CI-III, Apo A I+IV Apo B 100, Apo E, 10% 8h CI-III Apo A I 20% 4d IDL Apo B 100, Apo E 30 % 2-6 h LDL Apo B 100 50% 1,5-7 d Chylomikronen VLDL Lipidstoffwechsel (grob vereinfacht) In Chylomikronen werden die resorbierten Cholesterine und Triglyzeride über die Lymphe – im sogenannten exogenen Lipidstoffwechsel - in das Blut transportiert und weiter verarbeitet. Der endogene Stoffwechsel wird über die in der Leber synthetisierten VLDL eingeleitet, die über IDL in LDL verstoffwechselt werden. Hierüber wird dem Körper Cholesterin zur Produktion von Hormonen, Membranaufbau von Zellen zur Verfügung gestellt. LDL-Cholesterin wird zu ca. 2/3 über den LDLRezeptor abgebaut, der in unterschiedlicher Zahl auf fast allen Zelltypen, jedoch vor allem der Leber vorhanden ist. Ca. 20% wird über den sog. Scavenger-Pathway von den Makrophagen in den Blutgefäßen abgebaut. Dieser Pathway wird insbesondere bei LDL-Cholesterinwerten über 200 mg/dl verstärkt genutzt und führt bei unvollständigem Abbau des „gealterten“ oxidierten LDL‘s zur Schaumzellbildung und damit zur Atherogenese. Das HDL-Cholesterin dient zum Rücktransport des Cholesterins zur Leber, es gilt damit als gefäßprotektiv. Laborbestimmung: Für die Beurteilung eines Lipidprofils sollte eine Nüchternkontrolle (12h vorher keine kalorienhaltige Nahrung oder Getränk wegen der sehr nahrungsabhängigen Triglyzeride) erfolgen: Gesamtcholesterin, LDL-Cholesterin, HDL-Cholesterin, Triglyzeride und nur bei Pat. mit mittl. bis hohem Risiko zusätzlich Lp(a) (siehe unten) Das LDL-Cholesterin wird überwiegend nach Kenntnis der anderen 3 o.g. Parameter nach der Friedewald-Formel errechnet. LDL-Cholesterin = Gesamtcholesterin - HDL-Cholesterin - (Triglyzeridwert : 5). Diese Formel ist aber nur bei Triglyzeriden unter 400 mg/dl anzuwenden, ansonsten muss wegen Ungenauigkeit der Methode das LDL direkt gemessen werden. Warum muss neben dem HDL noch ein Anteil (Triglyzeridwert : 5) vom Gesamtcholesterin abgezogen werden? Hiermit wird überwiegend das VLDL-Cholesterin, das bei gesunden Probanden einem Anteil am Gesamtcholesterin von < 30 mg/dl entspricht, berücksichtigt. Bei hohen Triglyzeridwerten steigt dieser Anteil, im Gegensatz dazu fällt der HDL-Cholesterinanteil. Weiterhin verschlechtern sich die LDL-Untergruppen hin zu oxidierten sog. small dense LDL-Partikeln, die besonders „gefäßaggressiv“, somit atherosklerosefördernd sind (typisches Beispiel: Pat. mit Diabetes mellitus II). Hierdurch wird deutlich, dass alle Lipidparameter im Normbereich liegen sollten. 93 Optimale Werte in der Normalbevölkerung wären ein Gesamtcholesterin unter 200 mg/dl, ein LDL unter 130 mg/dl, ein HDL bei Frauen > 50 und bei Männern > 40 mg/dl, ein Restcholesterin (überwiegend VLDL) < 30 mg/dl und Triglyzeride < 150 mg/dl. Da diese Werte aber von vielen Teilen der Bevölkerung nicht erreicht werden, werden in den Leitlinien unter einer Nutzen-Risikoabwägung LDL-Werte bis 160 mg/dl unter bestimmten Bedingungen als Normwert akzeptiert, um eine Übertherapie mit Medikamenten zu verhindern. LDL-Cholesterin ist der Hauptrisikofaktor In großen epidemiologischen Studien und prospektiven Interventionsstudien konnte das LDLCholesterin als bedeutendster Risikofaktor für kardiovaskuläre Ereignisse belegt werden, das HDL hingegen bei hohen Werten als schützender Faktor. Weiterhin zeigte auch das Verhältnis aller potentiell atherogenen Lipide, die mit der Bestimmung des Apo B 100 erfasst werden (also auch IDL und VLDL) zu Apo A-I (Marker für das gefäßprotektive HDL), also Apo B/Apo A-I in Studien eine signifikante Korrelation zu kardiov. Erkrankungen. Kostengünstiger aber nicht direkt vergleichbar ist die Menge aller Apo B haltigen potentiell atherogenen Lipide auch durch die Bestimmung des NonHDL-Choletsterins erfasst, indem vom Gesamtcholesterin das HDL abgezogen wird. Es besteht ein linearer Zusammenhang zwischen LDL-Konzentration und dem relativen KHK-Risiko. Eine Risikominderung ist umso effektiver, je höher das individuelle Ausgangsrisiko ist. Die Sekundärpräventionsstudien mit Pat. nach Herzinfarkt zeigten sowohl eine Verringerung der kardiovaskulären Ereignisse/Todesfälle als auch eine Verringerung der Gesamtsterblichkeit (im Mittel liegt die relative Risikoreduktion bei ca. 25%). Da das LDL-Cholesterin als wichtigster Parameter für die Entstehung einer vorzeitigen Atherosklerose bei kardiovaskulären Erkrankungen identifiziert wurde und mit steigender Tendenz der kardiovaskuläre Tod weltweit die Haupttodesursache ist (lt. Schätzung der Weltgesundheitsorganisation werden 75% der Todesursachen im Jahr 2030 kardiovaskulärer Genese sein), ist es wichitg, atherogene Lipidstörungen frühzeitig zu erkennen und leitliniengerechte Zielwerte zu erreichen. Dabei geben die Leitlinien (National Education Program-Adult Treatment Panel) von 2004 (die neueste Version ist in Arbeit) klare Zielvorgaben: Niedriges Risiko Mittleres Risiko Hohes Risiko Ziel-LDL < 160 mg/dl Ziel-LDL < 130 mg/dl 0-1 kardiov. Risikofaktor, 10Jahresrisiko < 10% ≥ 2 kardiov. Risikofaktoren, 10Jahresrisiko 10-20% Ziel-LDL < 100 mg/dl (70 mg/dl) KHK- oder KHK-Äquivalent, 10-Jahresrisiko ≥ 20% Erläuterungen: Das 10 Jahres Risiko, ein kardiov. Ereignis zu erleiden, wird durch die Einführung von Risikoscores (z.B. PROCAM-. Framingham-Score) errechnet. Dabei werden z.B. beim deutschen PROCAM-Score konventionelle Risikofaktoren wie Alter, Geschlecht, LDL, HDL, Triglyzeride, Rauchverhalten, Diabetes mellitus, vorzeitige Familienanamnese für kardiov. Ereignisse und der systolische Blutdruck berücksichtigt. Der European Score schätzt dagegen das prozentuale Risiko eines tödlichen Ausgang eines kardiov. Ereignisses. Die Spezifität dieser Scores ist sehr hoch bei jedoch geringer Sensitivität, so dass das individuelle Risiko nicht gut abgebildet werden kann. Die meisten Infarkte (2/3) treten bei Pat. aus der mittleren Risikogruppe auf. Deshalb ist es sinnvoll alle bekannten Risikofaktoren des Pat. mit in die Risikoeinschätzung einzubeziehen und eine Risikostratifizierung mittels Sonographie der Carotis- und Aortenbifurkation sowie kardiolog. Untersuchung durchzuführen. Weitere bekannte Risikofaktoren sind auch der diastolische Blutdruck, der Bauchumfang (Frauen < 88 cm, Männer < 102 cm), Bewegungsarmut, der Body-Mass-Index (BMI, Norm < 25 kg/m²), ein verminderter Gemüse/Obstkonsum, ein erhöhtes Non-HDL-Cholesterin, das Lipoprotein(a). Ein KHK-Äquivalent ist eine Erkrankung, die ein gleichwertig hohes Risiko für einen fatalen Ausgang besitzt wie die koronare Herzerkrankung. Dies sind die pAVK, der Diabetes mellitus, höhergradige Carotisstenosen, ein Apoplex, der Diabetes mellitus und nach den nephrologischen Leitlinien (KDOQI) auch die chronische Nierenerkrankung. Ein LDL < 70 mg/dl wird bei denjenigen Pat. angestrebt, die trotz des Erreichens eines LDL-Wertes < 100 mg/dl einen weiteren Gefäßprogress aufzeigten oder so schwere Gefäßprozesse haben, dass dieser Wert von vorneherein sinnvoll ist oder z.B. eine KHK und ein KHK-Äquivalent haben. 94 Lipidstörungen Dabei seien zunächst die Sekundären Lipidstörungen zu nennen, die alle weiteren genannten zusätzlich ungünstig beeinflussen können: Adipositas, Alkohol, Diabetes mellitus, Schwangerschaft, Hypothyreose, Nephrotisches Syndrom, Chronische Nierenerkrankung, Cholestatische Lebererkrankungen Medikamente (z.B. Thiaziddiuretika, ß-Blocker, Oestrogene, Steroide, Immunsuprressiva wie Cyclosporin A, Tacrolimus, Everolimus), Porphyrie, Anorexie Primäre Lipidstörungen • Cholesterin erhöht Polygene Hypercholesterinämie Familiäre Hypercholesterinämie Familiärer Defekt im Apolipoprotein B-100 PCSK-9 Mutation (3% der FH-Fälle) autosomal rezessive Hypercholesterinämie (ARH-Gen auf Chromosom 1) • Triglyzeride erhöht Familäre Hypertriglyzeridämie Mangel an Apolipoprotein C II (autosomal rezessiv) Mangel an Lipoproteinlipase (autosomal rezessiv, 1: 1 Mio) • Cholesterin und Triglyzeride erhöht Familiär kombinierte Hyperlipidämie Typ III oder Remnant-Hyperlipidämie • HDL-Erniedrigung (Apolipoprotein A-Polymorphismus) • Lipoprotein(a)-Erhöhung • Hypercholesterinämien Mit einem Vorkommen von ca. 20% in der Bevölkerung ist die polygene Hypercholesterinämie die häufigste atherogene Lipidstörung. Sie betrifft ca. 70-80% aller Lipidstörungen (letzte deutsche Erhebung im Bundesgesundheitssurvey 2000). Wie bei der essentiellen Hypertonie manifestiert sie sich meistens erst im mittleren Lebensalter (multifaktorielle Genese, sog. Gen-Umwelt-Mutation), begünstigt durch Trigger wie Übergewicht, Bewegungsarmut, zu hohe Zufuhr gesättigter Fette. In der Familie treten in der Regel keine vorzeitigen kardiovaskulären Ereignisse auf. Die Atherogenität ist hoch. Im Vordergrund der Therapie steht primär ein konsequent guter Lebensstil. Beispiel: Mann, 70 Jahre, Adipositas I° (BMI 31 kg/m²) erhöhter Bauchumfang 105 cm, Nichtraucher, art. Hypertonie seit 35 Jahren, 3 x die Woche Radfahren ca. 10 km. Keine positive Familienanamnese für vorzeitige kardiov. Ereignisse, „Cholesterin sei im Erwaschsenenalter immer über 250 mg/dl gewesen“. Mit 67 Jahren Angina pectoris: 80%-ige RIVA-Stenose, PTCA (spätestens jetzt ist eine Statintherapie indiziert). Die Familiäre Hypercholesterinämie ist die häufigste monogenetische Lipidstörung. Sie beruht auf Mutationen im LDL-Rezeptorgen (> 1000 Mutationen bekannt) und wird autosomal dominant vererbt. Die heterozygote Anlage ist mit 1:500 in der Bevölkerung vertreten, das LDL variiert um 190-350 mg/dl, das Risiko für eine koronare Herzerkrankung ist sehr hoch und liegt nach den britischen NICEGuidelines bei Männern bis 50 Jahre bei ca. 50%, bei Frauen bis 60 Jahre bei ca. 30%. Eine Statintherapie ist deshalb neben der Lebensstiltherapie zur Primärprävention indiziert. Homozygote Träger kommen in einer Häufigkeit von 1:1 Mio. in der Bevölkerung vor, sie haben immer einen Arcus lipoides corneae und zeigen häufig Xanthome der Sehnen und Haut. Die LDL-Werte liegen um 600-1000 mg/dl. Unbehandelt kommt es zu meist tödlichen kardiov. Ereignissen vor dem 20. Lebensjahr. Hier ist eine Lipidapherese (ab dem 6. Lebensjahr und einem Gewicht von ca. 30 kg) indiziert. Klinisch ist der familiäre Defekt im Apolipoprotein B 100-Gen nicht von der heterozygoten Form der familiären Hypercholesterinämie zu unterscheiden. Er wird ebenfalls autosomal dominant vererbt und kommt in Deutschland in einer Häufigkeit von 1:750 vor. Er sollte wie eine familiäre Hypercholesterinämie behandelt werden. Weiterhin klinisch nicht zu unterscheiden, aber sehr selten vorkommend ist die PCSK-9-Mutation, durch Mutation einer Protease wird der LDL-Rezeptor schneller abgebaut. Beispiel: 38-jährige Patientin, positive Familienanamnese (Mutter 70 J., unter Statintherapie, unbehandelt LDL 250 mg/dl, Onkel mütterl. mit 54 J. Herzinfarkt, Tante mütterl. mit 70 J. ACVB-OP, 95 Schwester mit 46 J. Herzinfarkt), Arcus lipoides corneae, Hypercholesterinämie seit dem 13. Lebensjahr, damals Labor: Gesamt-C 350 mg/dl, LDL 258 mg/dl, HDL 73 mg/dl, Triglyzeride 113 mg/dl, humangenetischer Nachweis einer typ. LDL-Rezeptorgenmutation, unter gutem Lebensstil und Simvastatin 40 mg /Ezetrol 10 mg (siehe unten) LDL mit 129 mg/dl im Zielbereich unter 130 mg/dl. Bei dieser Pat. wurde eine genetische Sicherung der Diagnose durchgeführt, die über 2000 Euro kostet (ApoB100 und ApoE ca. 200 Euro). Dagegen ist eine klinische Diagnostik meistens ausreichend. Nach dem „Simon Broome Register“ (unter Verwaltung der Oxford University) liegt eine familiäre Hypercholesterinämie vor, wenn Gesamt-C LDL-C Kind < 16 J. > 259 >155 Erwachsener > 290 > 189 plus Xanthome oder positive Genetik vorliegen. Eine Familiäre Hypercholesterinämie ist wahrscheinlich, wenn: o.g. Labor zusätzlich bei Angehörigen oder eine positive Familienamnese vorliegt. • Hypertriglyzeridämie Die familiäre Hypertriglyzeridämie ist primär nicht atherogen. Sie wird autosomal dominant vererbt, der Genort ist nicht bekannt und kommt in einer Häufigkeit von 1:500 in der Bevölkerung vor und zeigt im Normalfall eine mäßige Hypertriglyzeridämie, das Gesamt- und LDL-Cholesterin sind meist normal, das HDL erniedrigt, in der Familie zeigen alle Betroffenen diese Lipidstörung. Beispiel: 30-jähriger Pat., schlank, keine Risikofaktoren, bei Routineuntersuchung: Gesamtcholesterin 301 mg/dl, LDL-Cholesterin 113 mg/dl, HDL 35 mg/dl, Triglyzeride 1200 mg/dl, „Zucker bedeute für ihn 80% seiner Lebensqualität“, in der Familie keine vorzeitigen kardiov. Ereignisse, Vater 57 J., lebt sehr gesund, Triathlonläufer, außer Trilgyzeride von 240 mg/dl keine Auffälligkeiten Extreme Hypertriglyzeridämien zeigen sich sehr selten bei Pat. mit Lipoproteinlipase oder – Apo CIIMangel (primär nicht atherogen), häufig aber auch bei o.g. Pat. mit lebensstilgetriggerter Entgleisung. Dabei besteht die Gefahr eines Chylomikronämiesyndroms bei Triglyzeriden > 1000 mg/dl mit möglicher Pankreatitis, aber auch Ischämie des Darms und des Herzens sowie Gedächtnisstörungen. Häufig zeigen sich erhöhte Triglyzeride als Vorläufer einer beginnenden Insulinresistenz, so dass insbesondere bei erhöhten Triglyzeriden immer ein Oraler Glukosetoleranztest mit 1h Wert (< 155 mg/dl) und 2 h-Wert (<140 mg/dl) durchgeführt werden sollte. Pat. mit rezidiv. Pankreatitiden können sekundär durch Verlust der Inselzellen einen Diabetes mellitus entwickeln. • Gemischte Hyperlipidämie Die familiär kombinierte Hyperlipidämie betrifft etwa 1 % der Bevölkerung (Penetranz 30% = prozentuale Wahrscheinlichkeit, mit der ein bestimmter Genotyp den ihm zugehörigen Phänotyp ausbildet), es kommt zur Überproduktion Apo-B-haltiger Partikel, vor allem kleiner dichter VLDLPartikel, positive Familienanamnese, häufigste Ursache für Herzinfarkt, typisch ist ein wechselnder Phänotyp intra- und interindividuell (HC, HT, gem. HLP) Für die familiär kombinierte Hyperlipidämie gibt es noch keine sicheren Gentests, trotz des pirmär autosomal dominant erscheinenden Erbgangs finden sich zunehmend Hinweise für eine polygene Vererbung. Beispiel: Patientin 46 Jahre, LDL-Cholesterin 161 mg/dl, sonst o.B., schlank, keine weiteren Risikofaktoren, jedoch schon beginnende Atherosklerose im Bereich der Carotiden, Vater 69 J. Hypercholesterinämie, Herzinfarkt mit 59 J., 2 von 4 Kindern unter 20 Jahren haben eine gemischte Hyperlipidämie mit Triglyzeriden um 250 mg/dl. (Pat. und Vater LDL-Phänotyp, Kinder gem. HL) Die Remnant- Hyperlipidämie oder familiäre Dysbetalipoproteinämie ist eine sehr seltene Form der atherogenen Lipidstörung, mit einer Häufigkeit von 1:10.000 in der Bevölkerung, die durch Mutation im ApoE-Gen in Kombination mit Umwelfaktoren auftritt. Beim ApoE-Genotyp gibt es die Normvariante E3, weiterhin E2, die normalerweise eher ein niedriges LDL begünstigt sowie die Variante E4, die eher eine Hypercholesterinämie wegen besserer Resorption des LDL‘s aus dem Darm begünstigt. Ca. 2 % der Träger der homozygoten Form des sog. ApoE2 Genotyps können unter 96 bestimmten Bedingungen (a.e. lebensstilgetriggert z.B. Adipositas, hohe Zufuhr gesättigter Fette und kurzkettiger Kohlenhydrate) eine vorzeitige Atherosklerose entwickeln. Typisch sind eine negative Familienanamnese (autosomal rezessiv), ein Quotient von Gesamtcholesterin zu Triglyzeriden (mg/dl) von ca. 0,8-1,3, vermehrte VLDL-Remnants (entspricht den IDL) und Chylomikronen-Remnants (Remnants = Restpartikel), Handlinienxanthome. Hier hilft ausnahmsweise die Lipidelektrophorese nach Fredrickson bei Nachweis eines Typ III, beweisend wäre eine Genuntersuchung. Beispiel: 55-jähriger Pat., Übergewicht, Bauchumfang 106 cm, art. Hypertonie, Raucher, Eltern (ca. 75 J.), 2 Brüder 57 und 59 J. gesund, Neudiagnose Hinterwandinfarkt bei Gesamt-C 661 mg/dl, Triglyceride 1618 mg/dl, vor 10 Jahren 10 kg weniger gewogen, viel Sport: Gesamtcholesterin 271 mg/dl, Triglyceride 265 mg/dl (Verhältnis 1.0), HDL 38 mg/dl, LDL 172 mg/dl, Restcholesterin 271-38172=61 mg/dl (s.o. Zielwert Restcholesterin < 30 mg/dl, überwiegend VLDL). Beim Genotyp E4 ist das kardiov. Risiko ebenfalls insbesondere bei homozygoter Form deutlich erhöht. Da dieser Genotyp jedoch mit einem vermehrten Auftreten von Alzheimererkrankungen assoziiert ist, sollten die Pat. über die Tragweite der genetischen Diagnostik gut aufgeklärt werden. • Lipoprotein(a)-Erhöhung (Lp(a)-Erhöhung) Das Lp(a) ist ein dem LDL verwandtes Molekül, dessen ApoB-100-Anteil mit einem dem Plasminogen ähnlichen Glykoprotein, dem Apolipoprotein(a) verbunden ist. Damit ist das Lp(a) sowohl atherogen (LDL-Anteil) als auch thrombogen (Plasminogenähnlicher Anteil). Es besteht ein autosomal dominanter Erbgang. Leider bestehen keine Endpunktstudien für das Lp(a), jedoch konnte in den epidemiologischen Präventionsstudien gezeigt werden, dass die meisten Pat. von einer Senkung des LDL unter 100 mg/dl profitierten. Das Lp(a) ist häufig mit anderen sehr atherogenen Lipidstörungen wie der familiären Hypercholesterinämie assoziiert. Typischerweise findet man bei diesen Pat. häufiger kurzfristige Stentverschlüsse nach Coronareingriffen, obwohl das LDL unter 100 mg/dl gesenkt wurde, so dass dies auf die zusätzliche Wirkung des Lp(a) zurückzuführen ist. Als einziges Medikament kann das Lp(a) um ca. 20-50% durch die Nikotinsäure gesenkt werden. Ansonsten kann nur eine Lipidapherese die Werte ausreichend senken (siehe unten). Beispiel: 64-jährige Pat., Eltern im Krieg verstorben, Bruder mit 65 J. ACVB, früh behandelte, gut eingestellte Hypertonie, Zufallsbefund bds. ca. 50%ige Carotisstenosen bei fehlenden weiteren Risikofaktoren, (Lipidprofil unauffällig), Ursache a.e. Lp(a) bei 85 mg/dl (Norm < 30 mg/dl) Therapie Die wichtigste Primärtherapie bei jeglicher Lipidstörung ist das Einhalten eines gesunden Lebensstils. Bei reinen Cholesterinstörungen scheint hierdurch in der Regel eine Senkung des LDL-Cholesterins um 30 mg/dl möglich (nach eigenen Erfahrungen sind manchmal sogar 80 mg/dl möglich), Triglyzeridstörungen sprechen wesentlich besser auf Ernährung an, bei sehr konsequentem Lebensstil kann unter unten empfohlener Ernährung möglichst in Kombination mit sportlicher Aktivität eine Normalisierung der Triglyzeride erreicht werden (meiner Erfahrung nach auch bei Pat. mit Triglyzeriden über 1800 mg/dl (ca. 20 mmol/l)). Innerhalb eines Tages ist eine 50%ige Trigl.-Senkung bei Vermeidung von Triggerstoffen (kurzkettige Kohlenydrate, Alkohol, gesättigte Fette) möglich. o o o o o o o o o o o o Strukturiertes Essen (in der Regel 3 Mahlzeiten, max. 4 Mahlzeiten/Tag) Vollkornprodukte in Form von Brot, Nudeln, Reis Streichfett aufs Brot mit viel ein- und mehrfach ungesättigten Fettsäuren viel Gemüse (ohne Sauce, nicht als Auflauf) mit geringer Menge Beilagen (2 mittelgroße Kartoffeln, 1 flacher Teller Nudeln oder Reis) Max. 3x/Wo. Fleisch, 150 g = 1 Portion, Geflügel>Lamm>Rind>Schwein 2 Milchprodukte pro Tag 1,5% Fettanteil (z.B. 200 ml Milch, 1 Joghurt, möglichst <48% Käse) Max. 2 Obstportionen/d, lieber festes Obst als Saft (1 Port.= 200 ml) Keine kohlenhydrathaltigen Getränke (Alkohol, Apfelschorle, Limonade,...) Süßigkeiten in Maßen, am ehesten Lakritz, Gummibärchen, Salzstangen, Bitterschokolade Verwendung von Omega-3 Fettsäuren, tägl. 1 Essl. Rapsöl, 25 g Walnüsse, Fettfisch 12x/Wo. Fastfood und Fertigprodukte möglichst nur 1 mal pro Monat, Kalorienzahl sollte dem anzustrebenden Gewicht entsprechen z.B. 70 kg x 25 – 30 kcal, entsprechend 1750 bis 2100 kcal/Tag Sport: wetterunabhängig, mindestens 3x pro Woche 30 min. 97 Falls dies nach 3-6 Monaten nicht zu den gewünschten Zielwerten geführt hat, sollte eine medikamentöse Zusatztherapie erwogen werden. Hierfür ist die Einschätzung der Atherogenität anhand der Familienanamnese und Screeninguntersuchung der Pat. und bei jungen Pat. auch der betroffenen Angehörigen (Sonographie Carotis-/Aortenbifurkation, Belastungs-EKG unter Ausbelastung) wichtig. Bei Hochrisikopatienten (z.B. Pat. mit familiärer Hypercholesterinämie, KHK oder -Äquivalenten) wird die medikamentöse Therapie sofort begonnen. Medikamentenklasse LDL ↓ HDL ↑ Triglyzeride ↓ Statine 20-60 % 5-10 % 10-33 % Goldstandard bei hohem AtheroskleroseRisiko Ezetimib 20 % 0 0 Nikotinsäure* 10-25 % 15-35% 25-30 % OmegaIII-Fettsäuren 0 ca. 20% >30 % Gallensäurebinder 15-30 % 0 Fibrat 6-20 % 18-33 % zur Kombination zum Erreichen von Zielwerten (Monotherapie Kinder ab 10 J.) zur Kombination zum Erreichen von Zielwerten, einziges Medikament zur Senkung des Lp(a) Bei schweren Hypertriglyzeridämien zur Verhinderung einer Pankreatitis, bei Hochrisikopatienten zum Erreichen aller Lipidzielwerte zur Kombination zum Erreichen von Zielwerten, Monotherapie bei Kindern und Schwangeren Zur Verhinderung einer Pankreatitis 0 – moderat 41-53 % Große Endpunkstudien zur Belegung eines Vorteils der Kombinationstherapie von Ezetrol oder Nikotinsäure zu einem Statin laufen, sind aber noch nicht vollendet. Fibrate konnten sich in größeren Studien in Kombination mit Statinen zur Verhinderung kardiovaskulärer Ereignisse bisher nicht bewähren. Häufigste Nebenwirkungen von Statinen, Ezetimib, Fibraten sind Muskelschmerzen vor allem im Schulter-Arm- und Beinbereich mit möglicher CK-Erhöhung (in seltenen Fällen bis hin zur Rhabdomyolyse, das Risiko steigt bei zugrundeliegender Hypothyreose, bei Kombination der genannten Präparate und mit Dosissteigerung) sowie Leberwerterhöhungen. Bei der Nikotinsäure ist eine durch Prostaglandinfreisetzung typische Nebenwirkung der Flush, der sich mit Einnahmedauer und Kombination des Wirkstoffes mit einem selektiven ProstaglandinD2-Hemmer (Laropiprant) fast immer beherrschen lässt. Weiterhin treten häufiger Leber- und Harnsäurewerterhöhungen auf. Bei den Gallensäurebindern und höherdosierten Omega-III-Fettsäuren zeigen sich vor allem gastrointestinale Beschwerden. Die Gallensäurebinder führen häufiger zu einer leichten Triglyzeriderhöhung. Sie müssen entweder 1 h vor oder 4 h nach anderen Medikamenten eingenommen werden, um diese nicht durch Bindung an der Resorption zu hindern (Sie sind die einzigen zugelassenen Medikamente bei Kindern unter 10 Jahren und während der Schwangerschaft und Stillzeit). Es gibt keine grundsätzliche Statinunverträglichkeit. Deshalb sollten bei Nebenwirkungen ggf. alle 6 bekannten Statine (Simva-, Prava-, Lova-, Fluva-, Atorva- und Rosuvastatin) in primär niedrigster Dosierung ausprobiert werden, um eine optimale Therapie zur Verhinderung kardiovaskulärer Ereignisse zu finden. Die Wahrscheinlichkeit für Unverträglichkeiten steigt mit der Dosis. Die stärkste LDL-Senkung wird mit der niedrigsten Dosis erzeugt, jede Verdoppelung der Dosis führt nur zu einer weiteren Senkung des LDL um 6% („rule of six“). Eine Kombinationstherapie mit Ezetimib oder Nikotinsäure sollte in diesem Fall schon bei niedriger Statindosis erfolgen. Liegt eine homozygote familiäre Hypercholesterinämie vor oder sollte die oben genannte Therapie bei Pat. mit bekannten kardiov. Ereignissen das LDL nicht in den Zielbereich unter 100 mg/dl (das Lp(a) nicht unter 60 mg/dl) bringen und eine Progredienz dokumentiert sein, bleibt nur noch die Möglichkeit das LDL- und/oder das Lp(a) durch eine „selektive Blutwäsche“, die Lipidapherese, zu senken. Da 98 dieses Verfahren bei den Pat. alle 7-14 Tage lebenslang durchgeführt werden muss und über 1000 Euro pro Anwendung kostet, bleibt es wirklich nur als letzte Möglichkeit der Therapie. Bei Chylomikronämiesyndrom mit Triglyzeriden > 1000 mg/dl ist einmalig eine Plasmapherese zur akuten Senkung der Triglyzeride indiziert. 99