muslim polo
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Auch wenn es das moderne Schlagwort von der Scientific Community suggeriert – der Austausch wissenschaftlicher Erkenntnisse über Ländergrenzen und Kontinente hinweg ist keine Erfindung unserer Zeit. Bereits im Mittelalter existierten rege Kontakte zwischen Orient, Asien und Europa. Ein durch LMUexcellent gefördertes Projekt spürt diesem vielfältigen Wissenstransfer nach. Der Mathematiker Dr. Benno van Dalen nimmt dabei insbesondere die Verbindungen muslimischer Astronomen mit chinesischen Wissenschaftlern im 13. Jahrhundert ins Visier. O rtrun H uber islamische sternenkunde im reich der mitte A ls Marco Polo im Jahr 1275 am Ziel seiner Reise demütig vor dem mongolischen Großfürsten Kublai Khan niederkniete, hatte er auf seinem beschwerlichen Weg von Venedig nach China mehr als 12.000 Kilometer zurückgelegt. Kublai Khan – immer durch berittene Boten über das Herannahen des Europäers und seiner Begleiter informiert – empfing den Fremden in Peking freundlich und mit allen Ehren. Der Enkel des legendären Mongolenführers Dschingis Khan hatte 1260 den Thron bestiegen und herrschte über ein Staatsgebiet, das sich über den gesamten Eurasischen Kontinent erstreckte. Weit mehr als 60 Millionen Einwohner lebten zu Zeiten der Yuan-Dynastie in China, viele davon in Ruhe und Wohlstand. Der Handel mit Gewürzen, Porzellan und anderen exotischen Gütern warf genügend Gewinn ab, um die Staatskasse gut zu füllen. Und die blühenden Geschäfte führten zu vielfältigen kulturellen Kontakten zwischen West und Ost. Kublai Khan suchte und fand seine Verwaltungsfachleute ebenso wie Künstler und Gelehrte in den verschiedenen Ländern und Kulturen seines Reiches. So zog es nicht nur Marco Polo, sondern auch zehntausende Muslime nach China. „Die ausgezeichneten Verbindungen zwischen den verschiedenen Teilen des Herrschaftsgebietes ermöglichten einen regen Austausch chinesischer und muslimischer Wissenschaftler, darunter vieler Astronomen“, erklärt Dr. Benno van Dalen, Mathematiker und Wissenschaftshistoriker am Lehrstuhl für Geschichte der Naturwissenschaften der LMU. So gründete Kublai Khan 1271 ein Islamisches Astronomisches Büro in seiner Hauptstadt Peking, das parallel zum Chinesischen Astronomischen Büro arbeitete. Gründungsdirektor des Islamischen Observatoriums in Peking war Zhamaluding (Jamal al-Din), ein persischer Astronom, den Kublai Khan einige Jahre später zum Direktor jenes Amtes beförderte, das beide astronomischen Büros beaufsichtigte. „Leider sind die ursprünglichen Arbeiten der muslimischen Astronomen in Peking verloren gegangen. Sie können jedoch aus erhaltenen, aber nicht veröffentlichten arabischen und persischen Handschriften sowie chinesischen Werken rekonstruiert werden“, sagt Benno van Dalen. Der aus den Niederlanden stammende Wissenschaftler nimmt derzeit eine solche Rekonstruktion vor. Sein Ziel ist es, in einer Monografie die Quellenlage und die historischen Hintergründe des Austausches der astronomischen Kenntnisse der meist aus dem persischen Raum stammenden Muslime und der chinesischen Sternenkundler während der Yuan-Dynastie zu beleuchten. „Die Astronomie hat in China große Tradition und eine immense Bedeutung“, so Benno van Dalen. Der Kosmos galt im alten China als Einheit. Das Einzelne war Teil des Ganzen, und das Ganze war im Einzelnen zu finden. Katastrophen, Dürren oder Überschwemmungen wurden nicht als singuläres Ereignis betrachtet, sondern galten als Ergebnis himmlischer Vorgänge. Das Mandat des Kaisers, der als „Sohn des Himmels“ regierte, wurde durch den Kalender 18 geistes - und kulturwissenschaften 3 Kublai Khan (1215-1294) war der Enkel des legendären Mongolenführers Dschingis Khan. Der mongolische Herrscher wurde Kaiser von China und begründete die Yuan-Dynastie. bestätigt. So ließ auch der mächtige Mongolenfürst Kublai Khan den „rechten Augenblick“ für seine wichtigen Entscheidungen durch seine chinesischen und islamischen Astronomen bestimmen. Sternen- und Planetenkonstellationen sowie Mond- oder Sonnenfinsternisse flossen in seine Beurteilung politischer Belange ein und dienten auch der Abwehr beziehungsweise der Vorkehr drohender Gefahren. ISLAMISCHE FORSCHER BEOBACHTEN DIE STERNE üBER PEKING Benno van Dalens Untersuchung ist Teil des LMUexcellent-Projektes „Der Wissenstransfer zwischen Orient und Okzident“ am Lehrstuhl für Geschichte der Naturwissenschaften. Gemeinsam mit den beiden Gastwissenschaftlern Professor Charles S. F. Burnett vom Warburg Institut in London und Dr. Sonja Brentjes von der Universität Sevilla versucht der Wissenschaftshistoriker herauszufinden, wie wissenschaftliche Erkenntnisse in der Geschichte von Epoche zu Epoche beziehungsweise von Region zu Region gelangten und welchen Einflüssen dieses Wissen dabei unterlag. „Nur die detaillierte Untersuchung der Frage, wie wissenschaftliche Erkenntnisse übermittelt wurden, hilft uns nachzuvollziehen, wie beispielsweise astronomisches Wissen aus dem 6. Jahrhundert in Indien ins England des 15. Jahrhunderts gelangen konnte“, sagt Benno van Dalen. Er beschäftigt sich vor allem mit der Frage, inwiefern wissenschaftliche Erkenntnisse durch ihre Überlieferung im Laufe der Geschichte verändert wurden – insbesondere im Hinblick auf die Unterschiede zwischen der Wissen erzeugenden und der Wissen aneignenden Kultur. Unter diesem Blickwinkel betrachtet er die Verbindungen zwischen muslimischen und chinesischen Gelehrten. In der Islamischen Sternwarte in Peking waren circa 40 Mitarbeiter tätig, darunter Astronomen, Lehrer und einfaches Verwaltungspersonal. Sie arbeiteten mit astronomischen Instrumenten, die aus dem fernen Iran herbeigeschafft oder anhand iranischer Modelle oder Abbildungen angefertigt worden waren. Auf Grund einiger Eintragungen in den offiziellen Annalen der Yuan-Dynastie kann angenommen werden, dass die muslimischen Gelehrten systematische astronomische Beobachtungen und Berechnungen durchführten und diese schriftlich niederlegten. Heute existieren davon allerdings keinerlei Originalhandschriften oder Werke mehr. Jedoch wurden nach dem Ende der Mongolenherrschaft im Verlauf der nachfolgenden Ming-Dynastie (1368-1644) einige arabische und persische astronomische Werke ins Chinesische übersetzt. Für sein Forschungsprojekt analysiert Benno van Dalen im Wesentlichen drei Hauptquellen. Das wohl wichtigste Werk ist das Huihui lifa aus dem Jahre 1383, die chinesische Übersetzung eines vermutlich persischen astronomischen Handbuches mit Tafeln, sogenannter z s (gesprochen: „siedsch“), die in der 19 G E I ST E S - U N D K U LT U RW I S S E N S C H A F T E N 7 Es galt nach dem Brand der Bibliothek der Pulkowo-Sternwarte im Jahr 1997 als verloren: Die Handschrift, die ein russischer Botschafter aus China mitbrachte, fand Benno van Dalen nach einem Hinweis russischer Kollegen in der Petersburger Akademie der Wissenschaften. chinesischen Hauptstadt der Ming-Dynastie Nanjing erstellt wurde. Die Zahlenreihen der z s ermöglichen die Berechnung von Planetenpositionen und die Voraussage von Zeitpunkt und Helligkeit von Sonnen- und Mondfinsternissen auf der Grundlage von nur sehr wenigen einfachen arithmetischen Berechnungen. Zudem enthält der Text der z s Anleitungen, wie die Tafeln zu benutzen sind, und manchmal auch Erklärungen und Beweise für die grundlegenden Rechenmodelle. Mehr als 250 verschiedene z s wurden von muslimischen Astronomen zwischen dem 8. und dem 19. Jahrhundert in Arabisch, Persisch und anderen Sprachen verfasst. Die meisten behandeln Themen wie Chronologie, Trigonometrie und sphärische Astronomie, also die zweidimensionale Vermessung des Sternhimmels und die dazugehörenden Berechnungen, planetare Längen- und Breitengrade, Mond- und Sonnenfinsternisse sowie mathematische Astrologie. Häufig sind Aufstellungen von geographischen Koordinaten und Sternenpositionen zu finden. Nahezu alle islamischen Tafelwerke basieren auf dem geozentrischen, geometrischen Modell für Planetenbewegungen, wie es der hellenistische Gelehrte Claudius Ptolemäus in der Darstellung seines astronomischen Systems im Almagest ausführte. Das Huihui lifa, so Benno van Dalen, war nachweislich bis zum Ende der Mongolenherrschaft im Islamischen Astronomischen Büro in China verfügbar. Zwar ist die Originalversion des Handbuches verschollen, doch sind heute noch mehrere Kopien der Bearbeitung der chinesischen Übersetzung, die 1477 von Bei Lin, dem Vize-Direktor des Astronomischen Büros der Ming-Dynastie erstellt wurde, existent – etwa in der Chinesischen Nationalbibliothek in Peking und im Japanischen Nationalarchiv in Tokio. SCHWIERIGE qUELLENSUCHE Eine weitere Quelle, anhand derer Benno van Dalen das Wissen der islamischen und chinesischen Astronomen der Mongolenzeit vergleicht, ist das Sanjufini Z . Dieses arabische astronomische Handbuch wurde von dem weitgehend unbekannten Astronomen al-Sanjufini für den Vizekönig der Mongolen in Tibet im Jahr 1366 verfasst. Das Tafelwerk, das bibliothekarische Notizen auf Chinesisch, tibetische Transkriptionen der Monatsnamen und mongolische Übersetzungen der Tabellenüberschriften enthält, befindet sich heute in der Bibliothèque Nationale de France in Paris. Darüber hinaus gelangte durch reinen Zufall noch eine, bis vor wenigen Jahren völlig unbekannte astronomische Quelle der Ming-Zeit in die Hand Benno van Dalens: Ein Kollege wies den niederländischen Wissenschaftler auf einen Artikel in der Zeitschrift Copernicus hin, den ein Forscher der russischen Pulkowo-Sternwarte bei St. Petersburg 1868 verfasst hatte. Der Petersburger Astronom beschrieb darin eine Handschrift, die von einem russischen Botschafter von China aus in die Heimat geschickt und in der Bibliothek der Sternwarte aufbewahrt worden war. „Die arabische Handschrift war in so vielen Einzelheiten beschrieben, dass man ohne Schwierigkeiten sagen konnte, dass hier die gleichen Tafeln vorliegen mussten, wie sie in der Huihui lifa zu finden sind, von der aber bislang nur die chinesische Version vorlag“, erklärt Benno van Dalen. Der Wissenschaftler versuchte umgehend, die Handschrift zu finden. Doch kurz vor der Jahrtausendwende brannte die Bibliothek der Pulkowo-Sternwarte ab. Das Manuskript schien verloren. Van Dalens Kollegen in St. Petersburg suchten dennoch weiter. „Schließlich stellte 20 G E I ST E S - U N D K U LT U RW I S S E N S C H A F T E N sich heraus, dass das Manuskript schon vor dem Zweiten Weltkrieg vom Pulkowo-Observatorium in die Petersburger Akademie der Wissenschaften gebracht worden war“, erklärt der Wissenschaftshistoriker. In den Handschriftenkatalogen der Sammlungen der Akademie stieß der Niederländer tatsächlich auf die Beschreibung der Handschrift: „24 Folien astronomischer Tafeln“. Um die umfangreichen chinesischen und arabischen Quellen mit ihren vielfältigen astronomischen Parametern und Berechnungsmethoden analysieren zu können, hat der LMU-Mathematiker Computerprogramme entwickelt, mit deren Hilfe er belegen kann, welche Astronomen sich gegenseitig beeinflussten und welche komplett eigenständige Ergebnisse vorlegten. „Die mathematische Analyse von Huihui lifa und Sanjufini Z zeigt beispielsweise, dass bei- de Handbücher zwar komplett unterschiedliche Werke sind, dass ihnen jedoch eine gemeinsame Quelle zugrunde liegt“, erklärt er. „Beide Handbücher geben dieselben Parameter für die Planetenbewegungen an, welche jedoch in arabischen oder persischen astronomischen Handbüchern nicht zu finden sind. Daher liegt die Vermutung nahe, dass das gemeinsame Vorgängerwerk von einem muslimischen Astronomen zusammengestellt wurde, der am Islamischen Astronomischen Büro in Peking unter Kublai Khan gearbeitet haben muss.“ Dass in einer der überlieferten Huihui lifa-Versionen unabhängig von Ptolemäus Sternentafel in Almagest eine große Sternen-Tabelle enthalten ist, zeugt ebenso von neuartigen Beobachtungen, die Zhamaludings Astronomen in der Islamischen Sternwarte machten. Denn vergleichbare astronomische Parameter sind in keiner anderen islamischen Quelle bis zu dieser Zeit zu finden. Das Manuskript aus St. Petersburg, so zeigen Benno van Dalens Analysen, scheint hingegen vor allem als Hilfsdokument bei der Übersetzung des Huihui lifa ins Chinesische erstellt worden zu sein. Die Welt, die sich Marco Polo im Reich Kubalai Khans eröffnete, war völlig fremd und sehr aufregend. Er sah dort Dinge, von denen er nie zuvor gehört hatte. Dazu gehört auch das chinesische Observatorium, das auf einem Hügel gebaut und mit den modernsten Instrumenten der damaligen Zeit, darunter den in China schon lange gebräuchlichen Armillarsphären und verschiedensten Sonnenuhren, ausgerüstet war. In seinen Reisebeschreibungen berichtete Marco Polo von den imponierenden Geräten der Pekinger Astronomen. Er beschrieb eine hochzivilisierte Kultur im Fernen Osten, die dem Abendland ebenbürtig oder sogar überlegen war, was viele Menschen in Europa sich jedoch hartnäckig weigerten zu glauben. Für Benno van Dalen liegt hier eine Parallele zu seiner eigenen Forschungsarbeit über die muslimischen Astronomen: „Heutzutage herrscht im Westen ein mangelndes Verständnis für die arabische Welt und ihre Leistungen“, so der Wissenschaftler. Die Rolle des Islam bei der Entwicklung der europäischen Kultur und Wissenschaften werde heute völlig unterschätzt. „Unser Forschungsprojekt kann hier vielleicht einen Beitrag leisten, den hohen Stellenwert der islamischen Kultur und ihrer Wissenschaftler für den Fortschritt wieder neu zu entdecken.“ Dr. Benno van Dalen ist seit 2007 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Geschichte der Naturwissenschaften. Seit 2004 gibt er die Zeitschrift Historia Mathematica. International journal of history of mathematics heraus. [email protected] http://www.gn.geschichte.uni-muenchen.de/personen/mitarbeiter/dalen_van_benno/index.html 21 geistes - und kulturwissenschaften