Mediterranes®

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Mediterranes®
Mediterranes
Ausgabe 1/2012
e 8,50
®
Das EMA-Magazin
Herausgegeben von der Euro-Mediterranean Association for Cooperation and Development e.V.
» Wasser, Umwelt und Erneuerbare Energien
» Investment, Finanzen und R echt
» Frauen in Führung für nachhaltiges
» L ogistik, Infrastruktur und Handel
» Diplomatie, Zivilgesellschaft und Kultur
Wachstum
Grusswort
Grußwort
Was uns bewegt,
ist der Erfolg unserer
Mitglieder.
Prinzessin Sumaya bint El Hassan
Präsidentin der El Hassan Science City
und der Royal Scientfic Society
Prinzessin Sumaya bint El Hassan
Informieren Sie sich auf www.ema-germany.org
Im Dienst der wirtschaftlichen
Entwicklungszusammenarbeit
Die Rolle der Frau kann in der EMA-Region nicht überbewertet werden – erst recht
nicht in dieser ereignisreichen Zeit: Frauen sind festes Bindeglied innerhalb der
Familie und können so dazu beitragen,
auseinanderdriftende Gesellschaften
zusammenzuhalten. Frauen sind in der
Lage, einen großen Beitrag zu Stabilität,
Wohlstand und Hoffnung im Nahen Osten zu leisten – und tun dies bereits. Auf
beiden Seiten des Mittelmeers arbeiten
unsere Freunde und Mitstreiter gemeinsam daran, Frauen in der „Schönen neuen Welt“ der Moderne eine wichtige Rolle
zu geben.
Frauen in allen Gesellschaften besitzen
Eigenschaften, die den männerfokussierten Strukturen fehlen, um das soziale und finanzielle Ungleichgewicht
zu korrigieren. Sie tragen zu Mäßigung
und zu Konzentration in der sozialen und
wirtschaftlichen Entwicklung bei. Und
was vielleicht noch wichtiger ist: Frauen
stellen ein kreatives Humankapital dar,
dessen Wert bisher nicht erkannt wurde.
Sie bieten die Möglichkeit, das Wachstum
für die Gesellschaften anzukurbeln und
Mediterranes 1/2011
stellen ein Sprungbrett für neuartiges
und konstruktives Netzwerken dar.
Ich bin froh, sagen zu können, dass die
arabischen Gesellschaften, die in Bezug
auf Partizipation und Repräsentation von
Frauen meist als konservativ betrachtet
werden, sich mittlerweile bereitwillig und
gewinnbringend verändern. Die Frauen
in unserer Region stehen in Wirtschaft
und Gesellschaft den gleichen Herausforderungen gegenüber wie die Frauen im
Westen: Auch sie haben Schwierigkeiten,
Beruf und Familie in Einklang zu bringen. Und sie sind nicht bereit, ihr Familienleben für ihre Karriere aufzugeben
– und das sollten sie auch nicht müssen.
In diesem essentiellen Bereich sind wir
auf die Hilfe, die Zusammenarbeit und
das Verständnis unseres männlichen Gegenparts in Regierung, Wirtschaft und
Gesellschaft angewiesen. Das gemeinsame Tragen der Verantwortung für die
Familie ist eine unabdingbare Voraussetzung, um eine wirklich gleichberechtigte
Gesellschaft zu schaffen!
Es war mir eine Ehre, die Schirmherrschaft für das thematisch hochaktuelle
1. Deutsch-Arabische Frauennetzwerkforum - Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum auf Einladung der EMA
zu übernehmen. Die EMA ermutigte
bereits zahlrechen zivilgesellschaftliche Akteuren in der gesamten EMARegion und hat soziale, kulturelle und
wirtschaftliche Kooperationen zwischen
verschiedenen Organisationen und Individuen initiiert und ermöglicht. Ihr
kreativer und interdisziplinärer Ansatz
inspiriert diejenigen, die mit ihr zusammenarbeiten.
Heute ändert sich die Lage in der EMARegion sehr schnell und scheinbar fest
verankerte Strukturen werden einfach
hinweggefegt. Ich hoffe, dass wir unsere
gemeinsame Arbeit fortsetzen können,
um die Möglichkeiten, die sich uns eröffnen, in die Tat umzusetzen.
Prinzessin Sumaya bint El Hassan
Präsidentin der El Hassan Science City
und der Royal Scientfic Society
Seite 3
editorial
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Editorial
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Frauen in Führung für Nachhaltigkeit
und Wachstum
Liebe Leserin, lieber Leser,
woran haben Sie gedacht, als Sie das Titelbild dieser Ausgabe von Mediterranes betrachteten? Gingen Ihnen auch so zahlreiche Gedanken durch den Kopf wie mir? In
der Tat fasst es sämtliche Aspekte des neu
gestalteten Magazins und der EMA-Philosophie zusammen. Darüber hinaus bietet
es Einblick in die frühen Tage meiner eigenen Kindheit: Das Foto habe ich kürzlich in der Schule meines Heimatdorfes
aufgenommen, in die ich selbst als Kind
gegangen bin und erwartungsvoll an die
Zukunft tagtäglich durch die Gitterstäbe
in den Himmel blickte.
Die EMA-Cluster
Mediterranes erhält eine neue Kapitelstruktur, analog zu der Fokussierung der
EMA auf folgende Schwerpunkte:
» Wasser, Umwelt und Erneuerbare
Energien;
» Logistik, Infrastruktur und Handel;
» Finanzen, Investment und Recht;
» Zivilgesellschaft, Politik und Kultur.
» Titelthema: innovative, neue Themen
Zugleich achtet die EMA stets auf einen
ausgewogenen, interkulturellen Dialog,
die Zusammenkunft von Wirtschaft und
Wissenschaft, die Förderung von innovativen Ideen, die Achtung von Nachhaltigkeit und den steten Einbezug von Frauen.
Mediterranes 1/2011
Dr. Abdelmajid Layadi
„Frauen in Führung für Nachhaltigkeit
und Wachstum“
Dem letzten Aspekt hat die EMA neben
sämtlichen Kapiteln in Mediterranes
(auch die Clusterkapitel befassen sich ausnahmsweise zusätzlich mit dem Titelthema) nun endlich auch ein eigenes Forum
gewidmet. Das erste Ehrenmitglied der
EMA, Frau Haifa Fahoum al Kaylani,
die als Vorsitzende des Arab International Women’s Forum als eine der einflussreichsten Frauen des arabischen Raums
gilt, spricht der EMA aus der Seele, wenn
sie weniger von einer Frauen- sondern
vielmehr einer Entwicklungsorganisation
spricht, die Frauen als „drivers of change“
versteht. (S. 26)
sämtlichen Aspekten der EMA treibende
Kraft und ihr Einsatz ist exemplarisch für
den (über)menschlichen Einsatz der EMA
für Frieden und nachhaltige Entwicklung.
Ouissal – eine Brücke zwischen den
Menschen der EMA-Region
Das EMA-Team erreicht die Menschen
hier wie dort und wird fortan noch stärker projektorientiert mit lokalen Partnern
arbeiten. Hierüber können Sie künftig
mehr erfahren, wenn Sie unseren neuen englischsprachigen EMA-Newsletter
in den Händen halten: Ouissal bedeutet
sinngemäß „Bindung zweier Seelen“.
In ebendieser Verbundenheit
Persönliche Danksagung
In der Tat hat die EMA sich schon lange
ein solches Forum gewünscht, dessen Ergebnisse maßgeblich in ihre alltägliche
Arbeit einfließen. Kein anderer als der
EMA-Präsident, Prof. Dr. Horst H. Siedentopf, hat die Idee für das Forum geliefert, das allerdings lange ruhte, ehe sich
nicht eine Person fand, die es idealer nicht
hätte initiieren und gleichzeitig auch verkörpern können: Meine ganz persönliche
Schirmherrin des Forums ist Clara Gruitrooy. Die EMA-Geschäftsführerin ist in
Ihr Dr. Abdelmajid Layadi
Hamburg, im Juni 2012
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21
56
38
14
60
32
44
Inhalt 1/2012
Wasser, Umwelt und Erneuerbare Energien
8
11
14
Gender-Sensitive Wasserversorgung
Spezifische Frauenförderung im Aktionsplan des
BMZ
Gudrun Kopp
Der maghrebinische Forstsektor im Wandel
Regionalprojekte für mehr Gleichstellung
Heidrun Ströbert-Beloud, Mounia Achbah,
Zaina Haddad, Wassila Yacoubi
Die Wasserkrise
Die EMA-Region vor den Herausforderungen einer
beispiellosen Wasserknappheit
Madelein MacHarg
Titelthema:
Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
42
26
28
“Die arabische Region im Zentrum der Weltwirtschaft und der internationalen Gemeinschaft“
Interview mit Haifa Fahoum Al Kaylani,
Gründerin und Vorsitzende des Arab International
Women’s Forum (AIWF)
„Der arabische Frühling bringt eine revolutionäre
Brise mit sich“
Interview mit Eva-Maria Welskop-Deffaa, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend, Leiterin der Abteilung Gleichstellung
30
Stimmen zum Forum:
Prof. Dr. Horst H. Siedentopf, Corinna Nienstedt,
Reem Barghouty Damen und Monika Schulz-Strelow
32
Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
Unterschiede und Gemeinsamkeiten in Deutschland und der EMA-Region
Clara Gruitrooy und Anna Wischniewski
Investment, Finanzen und Recht
16
38
19
Wegbereiterinnen der Demokratie
Juristische Impulse aus Marokko
Frank Tetzel
40
22
Wertvoll gestalten – nachhaltig handeln
Risikobewusstes Investment von Frauen
Susanne Kazemieh
Stimmen zum Forum:
Prof. Dr. Dina Shokry, Angelika Pohlenz, Adelheid
Sailer-Schuster, Prof. Dr. h.c. Christa Randzio-Plath
„Saudi Arabien hat eine Geschichte zu erzählen“
Interview mit Samar Fatany, Chefredakteurin bei
Jeddah Broadcasting, Saudi Arabien
54
Armut als größte Unterdrückung
Jordanische Beduininnen im Kurzportrait
Ruth Vischherr Strebel
57
Frauenbewegungen in Ägypten
Der „Arabische Frühling“ und säkular orientierte
Frauenorganisationen
Johanna Block
60
Künstlerinnenportrait
Die ägyptische Fotokünstlerin Marwa Adel
Petra Bogenschneider
62
Medien und die Revolution
Die Förderung von Geschäftsfrauen als
Legitimierung des Regimes
Prof. Dr. Anja Zorob, Amr Hussein, Eva Schmidt
61
Impressum
Logistik, Infrastruktur und Handel
44
47
49
Wie viel Ethik braucht der Markt?
ISO 26000 für ein verantwortliches Handeln im
globalen Maßstab
Dr. Annette Kleinfeld
„In Deutschland muss ein Umdenken stattfinden“
Interview mit Maria Freifrau von Welser, TVJournalistin und Publizistin sowie Vice Chair von
UNICEF Deutschland Hamburg
I nvestitionen für Tourismus und Infrastruktur
Das Haschemitische Königreich Jordanien
Iyad Shraim
Standards beim Im- und Export von Konsumgütern
Einblick in ein global agierendes Prüf-, Inspektionsund Zertifizierungsunternehmen
Irina Baerenwald
Hamburg als Logistikstandort
Die Ladies Logistics Lounge Hamburg als Initiative
für mehr Frauen in der Logistik
Ute Sachau-Böhmert
Zivilgesellschaft, Politik und Kultur
52
Die nächste Phase der Entwicklungspolitik?
Entscheidende Impulse aus dem Arabischen
Frühling
Gabriele Köhler
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Wasser, Umwelt und Erneuerbare Energien
Wasser, Umwelt und Erneuerbare Energien
I
Gender-Sensitive
Wasserversorgung
Spezifische Frauenförderung im Aktionsplan des BMZ
von Gudrun Kopp
m weltweiten Vergleich leidet die
EMA-Region (Nordafrika und
Nahost) unter einer beispiellosen Wasserknappheit. Die Verfügbarkeit von Wasser kann nicht gesteigert
werden. Im Gegenteil: wegen des Klimawandels droht sie, weiter zu sinken.
Laut Arab Human Development Report
2009 wird die Sicherheit der Menschen
in der arabischen Region durch Umweltbelastungen zunehmend bedroht.
Wasserknappheit, belastete Grundwassersysteme, Wüstenbildung, Bevölkerungsdruck und Klimawandel sind
wachsende Herausforderungen bei
der Bewältigung der Probleme. Hinzu
kommen Konkurrenzkämpfe um abnehmende Wasserressourcen, die ein
hohes Potenzial bergen, die Staaten
und ihre Bevölkerung schwer zu belasten, insbesondere im Nachgang der politischen Umbrüche in der Region.
Frauen in der Wasserversorgung
In vielen ländlichen Gebieten sind
Frauen für die Ernährung der Familien sowie Haushalt und Kinderpflege
zuständig und erzeugen einen Großteil
der Lebensmittel. Dadurch sind sie verstärkt abhängig von Wasser. Sie haben
meist jedoch keine Entscheidungsmacht
und einen, aufgrund der diskriminierenden Gesetzeslage, eingeschränkten
Zugang zu Land, Eigentum und somit
auch zu sauberem Wasser. Sind Frauen
beispielsweise von Bodenrechten ausgeschlossen, können sie in der Landwirtschaft die Bewässerungssysteme
nicht nutzen. Die zunehmende Wasserknappheit erhöht sowohl die Arbeitsbelastung als auch die Zeitarmut der ohnehin durch mehrere Rollen belasteten
Frauen. Diese Zeit steht ihnen damit
nicht für Einkommen generierende Tätigkeiten, Bildung oder die Beteiligung
an Entscheidungsprozessen in der Gemeinschaft zur Verfügung.
Die Einbeziehung von Frauen in
Planung, Betrieb und Wasserressourcenmanagement ermöglicht einerseits
eine Stärkung ihrer Rolle (Empowerment). Werden Frauen eingebunden,
kann andererseits die Nachhaltigkeit
der Investitionen im Wassersektor er-
© Frank Ossenbrink
Seite 8
Schwerpunkt: Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
Mediterranes 1/2012
höht werden. Insbesondere durch ihre
Verantwortlichkeit für die Haushaltsführung und die Gesundheit der Familie, ist ihre Beteiligung für die Identifikation angepasster Projektansätze
und deren Umsetzung entscheidend.
So können Fehler in der Planung vermieden und deutlich gemacht werden,
woran es ihnen fehlt.
Traditionen im Wassermanagement
In Jordanien sind Frauen beispielsweise
traditionell für das Wassermanagement
zuständig, insbesondere im Haushalt
sowie auf Gemeindeebene. Wenn eine
Frau jedoch Probleme mit Wasserpumpen oder -leitungen hat, kann sie keinem Klempner Einlass ins Haus gewähren. Denn in vielen Ländern der meist
islamisch geprägten EMA-Region darf
ein fremder Mann das Haus nicht betreten. Deshalb hat sich die Water Wise Women Initiative (WWW) gegründet. Vom
jordanischen Ministerium für Wasser
und Bewässerung ins Leben gerufen
und unterstützt von der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, lernen die
Frauen der WWW, wie sie solche Reparaturen selbstständig erledigen können.
Viel Wasser geht verloren, weil es aus le-
„Somit können Frauen
nicht nur als change
agents eine tragende
Rolle spielen, sondern
auch eine Multiplikatorenfunktion
einnehmen“
cken Rohren tropft oder fließt. Jordanien gilt als eines der wasserärmsten Länder weltweit. Dementsprechend werden
die Frauen auch darin geschult, wie mit
der knappen Ressource Wasser sparsam
umgegangen werden kann. Beispielsweise im Bereich Grauwassernutzung,
wo das Abwasser von Handwasch- und
Spülbecken aufgefangen, auf bereitet
und dann zur Bewässerung von Gärten
und Nutzpflanzen verwendet wird. Das
wirkt sich auch ökonomisch positiv auf
die Haushalte aus, da die Wasserkosten so gesenkt werden. Die erworbenen
Kenntnisse geben die Frauen an Familie, Freunde, Bekannte und Nachbarn
weiter. Einige Frauen üben nun selbst
den Klempnerberuf aus.
Die WWW Initiative erreicht ca.
2000 Haushalte in sieben Gemeinden
Jordaniens und führte dazu, dass in
ganzen Ortsteilen das Bewusstsein in
Bezug auf den Umgang mit der Ressource Wasser angestiegen ist.
Somit können die Frauen hier nicht
nur als change agents eine tragende Rolle
spielen, sondern auch eine Multiplikatorenfunktion einnehmen. Die Teilnehmerinnen der Initiative gewinnen ein
hohes Maß an Selbstbewusstsein und
mehr Achtung in der Familie.
Deutsches Engagement:
Der Gender-Aktionsplan 2009-2012
Internationale Verpflichtungen verdeutlichen die Notwendigkeit des entwicklungspolitischen Engagements in der
gender-sensitiven Wasserversorgung.
In der Frauenrechtskonvention zur
Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW 1979) wird
gefordert, angemessene Lebensbedingungen für Frauen auf dem Land, insbesondere im Hinblick auf Wohnverhältnisse, sanitäre Einrichtungen und
Wasserversorgung, zu gewährleisten
(Artikel 14, Absatz 2h). Im Juli 2010 hat
die UN-Vollversammlung den Zugang
zu Wasser- und Sanitärversorgung zum
Menschenrecht deklariert. Mit dem entwicklungspolitischen Gender-Aktionsplan hat das Bundesministerium für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (BMZ) einen Rahmen geschaffen, um den internationalen politischen Verpflichtungen zur Förderung
der Gleichberechtigung der Geschlechter in der Entwicklungspolitik gezielter
nachzukommen.
Durch den Gender-Aktionsplan werden drei Ebenen miteinander verzahnt:
die Ebene der internationalen politischen Verpflichtungen mit der Ebene
Seite 9
Wasser, Umwelt und Erneuerbare Energien
der deutschen Entwicklungspolitik und
der Umsetzungsebene in den Partnerländern. Darüber hinaus betont der
Aktionsplan die Bedeutung eines zweigleisigen Ansatzes zur Förderung der
Gleichberechtigung der Geschlechter.
Zum einen durch eine kohärente Integration der Geschlechterperspektive in
alle Politik- und Handlungsfelder der
deutschen Entwicklungszusammenarbeit (Gender Mainstreaming). Zum
anderen durch Maßnahmen zugunsten von Frauen, die darauf ausgerichtet
sind, gender-spezifische Benachteiligungen und Diskriminierungen abzubauen und Frauen als Akteurinnen
und Rechtsträgerinnen zu befähigen
und zu stärken (Empowerment). Nur
wenn frauenspezifische Fördermaßnahmen und Gender-Mainstreaming noch
stärker als bisher auf allen Ebenen der
Entwicklungspolitik verfolgt werden,
können wir erreichen, dass die Gleich-
Wasser, Umwelt und Erneuerbare Energien
berechtigung der Geschlechter in unseren Partnerländern immer mehr zur
Realität wird.
Thematisch fokussiert der entwicklungspolitische
Gender-Aktionsplan
vier aktuelle sektorale Herausforderungen: die geschlechtsspezifische Dimension des Klimawandels, die Stärkung
von Frauen in bewaffneten Konflikten
und bei der Konfliktbearbeitung, das
wirtschaftliche Empowerment sowie
sexuelle und reproduktive Gesundheit
und Rechte, u.a. bei der Familienplanung. Diesen inhaltlichen Schwerpunkten widmet sich die deutsche Entwicklungspolitik verstärkt bis Ende 2012.
Unter dem Aspekt der geschlechtsspezifischen Herausforderungen und Antworten auf den Klimawandel wird der
Thematik der Wasserversorgung und
des Wasserressourcen-Managements
verstärkte Bedeutung beigemessen.
Besonderer Förderbedarf kommt den
Frauen zu, die als Ernährerinnen ihrer
Familien, von Ertragsverlusten, Missernten und Wasserknappheit besonders
betroffen sind.
Gudrun Kopp
ist Parlamentarische Staatssekretärin
beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(BMZ). Sie ist deutsche Gouverneurin
bei den regionalen Entwicklungsbanken. Daneben konzentriert sie sich auf
Energie- und Rohstofffragen und legt
einen Fokus auf die Themen Kinder- und
Frauenrechte sowie die Inklusion von
Menschen mit Behinderungen in der
Entwicklungszusammenarbeit.
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Seite 10
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Der maghrebinische
Forstsektor im Wandel
Regionalprojekte für mehr Gleichstellung
von Heidrun Ströbert-Beloud, Mounia Achbah, Zaina Haddad und Wassila Yacoubi
„W
ir haben zu wenig Frauen“.
Das ist die Feststellung des
marokkanischen
Hochkommissariats für Wasser, Wald und
Wüstenbekämpfung. Gemeint ist der
geringe Anteil an Frauen, die in der marokkanischen Forstadministration arbeiten. Vor allem auf den oberen Ebenen
wird das ungleiche Zahlenverhältnis
zwischen den Geschlechtern deutlich:
in 2011 waren in hohen Führungspositionen des Hochkommissariats gerade
mal 12 Frauen vertreten, gegenüber 260
männlichen Kollegen.
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Schwerpunkt: Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
© EMA e.V. 1/2012
Mediterranes
Seite 11
Wasser, Umwelt und Erneuerbare Energien
Das Selbstbild der Forstverwaltung
Die marokkanische Forstverwaltung ist
sich bewusst, wie wichtig es ist, Frauen
als Mitarbeiterinnen für den Forstsektor
zu gewinnen und in die Entscheidungsprozesse einzubinden, damit nachhaltige
Waldwirtschaft noch effektiver und sozialer gestaltet werden kann. In zahlreichen Veröffentlichungen wird vornehmlich Frauen Nachhaltigkeit im Verhalten
gegenüber der Umwelt zugeschrieben,
was gerade bei Wäldern eine wichtige
Rolle spielt. Hier geht es um langfristige Planung und um schonende Bewirtschaftung: der Wald wächst schließlich
über Jahrzehnte. Und es geht um eine
gute Einbindung der Bevölkerung und
einer gendersensiblen Berücksichtigung
ihrer Interessen.
Der Hauptgrund für die weibliche
Unterbesetzung ist sicherlich, dass der
Forstsektor von jeher in alter Militärtradition steht, also einen rein männlich
zu besetzenden Apparat darstellte. Heute dagegen hat sich das (Selbst-)Bild der
Forstverwaltungen gewandelt, ebenso
wie ihre Aufgaben für die Bevölkerung
und die Herausforderungen, z.B. Klimawandel, Globalisierung, Armutsbekämpfung. Heute geht es verstärkt um den Erhalt von Biodiversität, um die Anpassung
an den Klimawandel, um die Green Economy (beispielsweise die Schaffung von
lokalen Arbeitsplätzen in den Wertschöpfungsketten von Waldprodukten (Medi-
Wasser, Umwelt und Erneuerbare Energien
zinal- und Gewürzpflanzen, natürliche
Kosmetika…), um den Erhalt forstlicher
Ökosysteme gegenüber konkurrierenden
Landnutzungsformen, um nachhaltigen
(Öko-)Tourismus und um die Verankerung des hohen Wertes des Waldes und
seiner zahlreichen Umweltdienstleistungen im kollektivem Bewusstsein (Kommunikationsauftrag)).
Entwicklungszusammenarbeit für
mehr „Gender-balance“
Das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in Auftrag gegebene
Regionalprojekt „Anpassung forstpolitischer Rahmenbedingungen an den Klimawandel in der MENA-Region“, das von
der GIZ zusammen mit Partnerfachkräften aus sechs Mittelmeerländern derzeit
umgesetzt wird, trägt u.a. zum gendermainstreaming bei und unterstützt die
Bemühungen der Forstverwaltungen
der sechs Partnerländer, den Frauenanteil auf den Entscheidungsebenen zu
erhöhen. Das gelingt vor allem dann,
wenn sich der Forstsektor zu einem interessanten Arbeitgeber für Studentinnen
entwickelt, also gute Fortbildungs- und
Aufstiegsmöglichkeiten sowie Mitwirkung auf allen Entscheidungsebenen
bietet. Eine erstklassige Hochschulausbildung der Studentinnen ist in diesem
Zusammenhang natürlich eine wichtige
Voraussetzung für eine erfolgreiche Kar-
riere. Mit Blick auf diese beiden Aspekte
arbeitet das Regionalprojekt gegenwärtig
an verschiedenen Maßnahmen: junge
Frauen haben die Möglichkeit, sich um
projektfinanzierte Stipendien für Masterstudiengänge an ausgewählten Universitäten zu bewerben, die Programme
zur nachhaltigen Waldbewirtschaftung
im Mittelmeerraum anbieten. Der geplante Einsatz von Mentoren/innen aus
den Forstverwaltungen wird dazu beitragen, Studentinnen bei ihren Hochschulabschlussarbeiten zu unterstützen
und ihnen gleichzeitig einen Einblick in
die reale Arbeitswelt zu geben. Damit ist
auch die Möglichkeit verbunden, Themen in Verbindung mit angrenzenden
Ressorts zu behandeln, beispielsweise
Abschlussarbeiten zu Wald und Tourismus oder Wald und Wasser; Wald und
Internationale Umweltpolitik; Wald und
Klimawandel; Wald und Green Economy,
etc. Auch an Abiturjahrgänge gerichtete
Informationskampagnen werden helfen, in Gymnasien vermehrt weibliche
Studenten für einen Forststudiengang
zu gewinnen. Begleitend können die
Personalabteilungen der zuständigen
Ministerien, die bei Neueinstellungen
oder Nachbesetzungen freier Positionen
mitwirken, durch Schulungen zum Thema „women at work“ auf die speziellen
Bedarfe von Frauen in verantwortlichen
Positionen vorbereitet werden (Vereinbarkeit von Beruf und Familie im kulturspezifischen Kontext).
Mehrwert durch weibliche Attribute
Bei allen technischen Schulungen, zu denen das GIZ-Regionalprojekt Mitarbeiter
der nationalen Forstsektoren einlädt, wird
systematisch auf ein ausgewogenes Verhältnis männlicher und weiblicher Teilnehmer geachtet. Im kommenden Juni wird in
Tunis eine Konferenz für Forscherinnen
zum Thema „Women making a difference“
stattfinden. Bei dieser vom European Forest
Institut for the Mediterranean (EFIMED)
und der GIZ gemeinsam organisierten
Veranstaltung soll der Mehrwert herausgearbeitet werden, den Frauen durch ihre
weibliche Sicht- und Herangehensweise
für die Forstwissenschaft haben können.
Auch die Teilnahme von Mitarbeiterinnen
des Forst- und Tourismussektors aus den
Projektpartnerländern Marokko, Tunesien
und dem Libanon an dem ersten Forum
des Netzwerkes arabischer und deutscher
Frauen, organisiert von EMA und der
Handelskammer im April in Hamburg,
ist ein Baustein im Prozess: es bestehen
gute Chancen, dass die erwarteten Anre-
gungen, Ideen, Erfahrungen und Vernetzungen mit dazu beitragen werden, dass
im öffentlichen Sektor Mechanismen neu
oder weiter entwickelt werden, die zu einem höheren Frauenteil in Entscheidungs-
positionen führen und somit die Forstverwaltungen und verwandte Sektoren sowie
Forschungseinrichtungen um ein bislang
nicht ausgeschöpftes Potenzial bereichern.
Mounia Achbah
ist Regionalleiterin
des Hohen Kommissariats für Wasser
und Wälder und
Kampf gegen Versteppung in Fes-Boulemane/Marokko.
Zaina Haddad
ist Abteilungsleiterin
im Tourismusministerium Libanon.
Heindrun
Ströbert-Beloud
ist für die Deutsche
Gesellschaft für
Internationale Zusammenarbeit (GIZ)
in Marokko für das
Regionalprojekt Silva
Mediterranea-PCFM tätig.
Wassila Yacoubi
ist Leiterin für
Aufforstung in der
Forstdirektion von
Tunesien.
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Seite 12
Schwerpunkt: Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
Mediterranes 1/2012
Seite 13
Wasser, Umwelt und Erneuerbare Energien
Wasser, Umwelt und Erneuerbare Energien
Die Wasserkrise
Die EMA-Region vor den Herausforderungen
einer beispiellosen Wasserknappheit
von Madelein MacHarg
W
asser ist essentieller Bestandteil allen Lebens. Ohne eine angemessene Wasserversorgung
können Armut, Hunger und Krankheiten
nicht effektiv bekämpft werden. Dennoch
besitzt weltweit eine von acht Personen
keinen Zugang zu sauberem und somit
sicherem Wasser; zwei von fünf Personen haben keinen Zugang zu Abwassersystemen. Dieser Mangel an sauberem
Wasser und Abwasserentsorgung führt
in den Entwicklungsländern zu Krank-
heiten – manchmal sogar zum Tode. Es
wird geschätzt, dass weltweit 80 Prozent
aller Krankheiten durch verunreinigtes
Wasser und mangelhafte Abwassersysteme verursacht werden. 3.5 Millionen
Menschen sterben jedes Jahr durch die-
se Krankheiten. Die höchste Sterberate
ist dabei bei Kindern zu verzeichnen:
an vermeidbaren Krankheiten, wie etwa
Diarrhö, die von verseuchtem Wasser
hervorgerufen werden, sterben pro Tag
240.000 Kinder unter fünf Jahren in Entwicklungsländern. Viele mehr haben ihre
gesamte Kindheit mit Unterernährung
und Krankheiten zu kämpfen.
In der Vergangenheit waren Projekte mit Wasserbezug in internationalen
Hilfsorganisationen und traditionellen
Stiftungen stark unterrepräsentiert. Allerdings muss Wasser ganz oben auf der
Prioritätenliste stehen, wenn man bestrebt ist, Menschen ein besseres Leben
zu ermöglichen. Ohne frisches Wasser
sind alle andere Formen der Hilfe, inklusive Nahrungsmittel, Medizin und
Impfungen, nur von wenig Nutzen. Viele
Mediziner stimmen überein, dass es geimpften Kindern, die weiterhin kontaminiertes Wasser trinken, nicht besser geht
als ohne Impfung.
Der Bedarf an sauberem Wasser und
an funktionierenden Abwassersystemen
steigt exponentiell mit dem Bevölkerungswachstum. Während sich die Weltbevölkerung in den letzten Jahren verdreifacht hat, ist der Bedarf an sauberem
Wasser um ein sechsfaches gestiegen.
Der Wasserverbrauch in der EMA-Region ist besonders stark gewachsen: die
EMA-Region ist bereits jetzt die weltweit
wasserärmste Region. Dabei sind 75 Prozent der Wasserressourcen in der EMARegion im Iran, Irak, Syrien und der Türkei konzentriert und somit stehen den
verbleibenden Ländern der Region noch
viel weniger Ressourcen zur Verfügung.
In den nächsten 50 Jahren wird sich die
Bevölkerung der Region verdoppeln. Dadurch wird sich der Durchschnitt der verfügbaren Wassermenge um 1.100 Kubikmeter pro Jahr verringern.
Frauen und Wasser
Der Zugang zu Trinkwasser ist gerade
in den ländlichen Regionen ein Problem
und besonders Frauen und Mädchen
leiden unter den Folgen dieses Missstands, da sie innerhalb der Familien
für die Wasserversorgung zuständig
sind. So verbringen Frauen in der syriSeite 14
© Global
Water
Schwerpunkt: Frauen in Führung für nachhaltiges
Wachstum
Mediterranes 1/2012
schen Stadt Jebal al Hoss zwischen drei
bis fünf Stunden damit, Trinkwasser zu
beschaffen und in der sudanischen Stadt
El Nahud benötigen einige Familien 50
Prozent ihres Gesamteinkommens, um
Trinkwasser zu erwerben. Sobald Mädchen stark und alt genug sind, werden
sie häufig aus der Schule genommen,
um ihre Mütter bei der Beschaffung von
Wasser zu unterstützen. Damit wird ihnen die Chance auf Bildung und auf ein
besseres Leben außerhalb der Armut genommen. Viele von ihnen müssen weite
Wege von vier oder fünf Stunden mit bis
zu 20 kg schweren Kanistern zurücklegen, während sie gleichzeitig noch Babys
auf dem Rücken tragen. Dieses verlangt
den Frauen Unglaubliches ab und kann
zu Rückenproblemen und Unterernährung führen. In manchen Regionen
Afrikas verbrauchen Frauen 37 Prozent
ihrer Energiezufuhr für die Wasserbeschaffung. Ein Nebeneffekt des Tragens
der Wasserkanister, die zum Tragen an
einem Stirngurt befestigt sind, ist z.B.
die Verformung der Schädeldecke.
Fehlende Abwassersysteme bergen
weitere Schwierigkeiten und Erniedrigungen für Frauen und Mädchen. Ohne
nahegelegene Toiletten ist es für sie oftmals schwierig, einen sicheren Platz für
Intim- und Menstruationshygiene zu
finden – insbesondere nachts, wenn die
Gefahr eines Wildtierangriffs oder einer
Vergewaltigung höher sein kann. Sobald
Mädchen die Pubertät erreichen, stellen
fehlende Sanitäranlagen auch häufig einen Hinderungsgrund für den Schulbesuch dar. Dies nährt wiederum den Teufelskreis aus Analphabetismus, Armut
und schlechter Gesundheit.
Water initiiert werden, können vor allem
als leicht zu erhaltende Wassersysteme
beschrieben werden, welche nachhaltige
Vorteile für die Bewohner der ländlichen
Gegenden mit sich bringen: nach dem
Aufbau eines funktionierenden Wassersystems wird die ganze Gesellschaft gesünder. Kinder sind in der Lage besser
zu lernen und junge Frauen und Männer
können härter arbeiten und so ein größeres Einkommen generieren.
© Global Water
Global Water
Global Water wurde 1982 gegründet und
ist eine internationale, gemeinnützige
Organisation, welche die Wasserversorgung und – Entsorgung in den ländlichen Gebieten von Entwicklungsländern
unterstützt. Die Organisation ist davon
überzeugt, dass mangelndes Trinkwasser und fehlende Sanitäranlagen die
Hauptursachen für Hunger, Krankheit
und Armut in Entwicklungsländern
sind. Die Projekte, welche von Global
Madeleine
MacHarg
ist Direktorin für
Marketing bei Global
Water und hat zuvor
an der Universität
von Kalifornien ihren
Abschluss als MBA
absolviert. Sie lebt in Ventura, Kalifornien.
Seite 15
Investment, Finanzen und Recht
Investment, Finanzen und Recht
D
Wie viel Ethik
braucht der Markt?
ISO 26000 für ein verantwortliches Handeln im
globalen Maßstab
von Dr. Annette Kleinfeld
Seite 16
© Flickr_without
author recognition
Schwerpunkt: Frauen in Führung
für nachhaltiges
Wachstum
ie Vorstellung des „homo oeconomicus“ ist weit entfernt von
der Realität - darüber sind sich
Wissenschaftler und Praktiker weithin
einig. Wer an der Idee vom rationalen,
stets seinen Nutzen maximierenden Modellmenschen zweifelt, muss nicht lange
suchen, um Bestätigung zu finden. Ob
platzende „Internetblasen“, für den guten Zweck freiwillig und kostenlos arbeitende Menschen, sich erst auf lange Sicht
rechnende nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten oder Geschäfte, bei denen korrupte Machenschaften gang und gäbe sind –
all diese Ereignisse sind in der Welt eines
homo oeconomicus nicht vorstellbar.
Über Rationalität und Eigennützigkeit
hinweg erfolgen Marktentscheidungen
im wahren Leben unter Abwägung persönlicher Werthaltungen und Moralvorstellungen. Diese wiederum sind stark
beeinflusst von der Landeskultur, der
Religion und nicht zuletzt von Bildung
und Erfahrungen der Gesellschaft in
den jeweiligen Regionen und Märkten.
Gerade für globale und interkulturell
besetzte Märkte ergeben sich daraus neben den ökonomischen auch soziale und
kulturelle Herausforderungen für die
Wirtschaft. Nicht nur Streben nach Gewinn und Wohlfahrt bestimmen hier das
Verhalten am Markt, sondern in hohem
Maße auch unterschiedliche religiöse,
kulturelle und allgemein gesellschaftliche Prägungen.
Dies eröffnet die Frage nach global anerkannten ethischen Maßstäben: dürfen
Kinder in Schwellen- oder Entwicklungsländern arbeiten? Dürfen Frauen oder
Minderheiten bestimmte Funktionen
bekleiden und Aufgaben wahrnehmen?
Welcher Wert eines Geschenkes oder
einer Einladung ist noch als Gastfreundschaft zu interpretieren – welcher ist Zeichen eines Bestechungsversuchs? Diese
und weitere Fragen zeigen die Bedeutung von Ethik für den Markt auf: gibt
es einen global anerkannten ethischen
Maßstab für den globalen Markt – bzw.
wie viel Ethik braucht der Markt?
Eine Hilfe, um Antworten auf diese Frage zu finden, liefert die DIN ISO
26000: die international entwickelte und
anerkannte Norm zur gesellschaftlichen
Verantwortung von Organisationen. Als
Mediterranes 1/2012
Leitfaden gibt die erstmals 2010 veröffentlichte Norm Empfehlungen für ein
verantwortliches Verhalten für alle Arten
von Organisationen – unabhängig von
deren Standort, Größe und Rechtsform.
Das Verhalten jeder einzelnen Organisation bestimmt wiederum, ob und wenn
ja, welche ethischen Prinzipien sich im
jeweiligen Markt durchsetzen.
Die internationale Norm, die auch in
das deutsche DIN-Normenwerk aufgenommen wurde, unterscheidet sich von
in der Praxis bekannten, vorwiegend
technischen Normen vor allem dahingehend, dass sie nicht zertifizierbar ist. Die
ISO 26000 stellt auf Freiwilligkeit ab und
ist weder Managementsystemnorm noch
für eine Zertifizierung, gesetzliche oder
vertragliche Anwendung vorgesehen.
An der sechsjährigen Entwicklung
waren in nationalen Gremien und internationalen Arbeitsgruppen Vertreter und
Experten aus sechs sog. interessierten
Kreisen beteiligt, welche die verschiedenen Interessen der Gesellschaft und
Umwelt repräsentativ vertreten konnten.
Darunter waren Vertreter der großen internationalen Organisationen, wie etwa der
Vereinten Nationen, Vertreter aus Politik,
Wirtschaft und Verbänden sowie Vertreter
verschiedener Nichtregierungsorganisationen (NRO). Ein ausgewogenes Verhältnis von Teilnehmern aus Industrie- sowie
Schwellen- und Entwicklungsländern
wurde gewährleistet und aktiv gefördert.
Im Resultat bietet die DIN ISO 26000
einen umfassenden Leitfaden und konkrete Handlungsempfehlungen für die
Anerkennung, Bestimmung, Umsetzung und Kommunikation der eigenen
gesellschaftlichen Verantwortung. Sie
beschreibt Grundprinzipien, Kernthemen und Handlungsfelder gesellschaftlicher Verantwortung, die jede Organisation für ihre Entscheidungen und
Handlungen erfassen und umsetzen
sollte. Aufgrund des dahinter stehenden
Ziels, allgemeingültige Normen und
Werte für verantwortliches Entscheiden
und Handeln von Organisationen zu
finden, befasst sich die Norm über den
Begriff der Verantwortung im Kern mit
ethischen Fragestellungen.
Zentrale Elemente des Leitfadens sind
sieben Grundsätze und sieben Kernthe-
men gesellschaftlicher Verantwortung mit
ihren entsprechenden Handlungsfeldern.
Grundsätze Gesellschaftlicher
Verantwortung (ISO 26000)
1. Rechenschaftspflicht
2. Transparenz
3. Ethisches Verhalten
4. Achtung der Interessen der
Anspruchsgruppen
5. Achtung der Rechtsstaatlichkeit
6. Achtung internationaler
Verhaltensstandards
7. Achtung der Menschenrechte
(DIN ISO 26000:2011)
Kernthemen Gesellschaftlicher
Verantwortung (ISO 26000)
1. Organisationsführung
(Corporate Governance)
2. Menschenrechte
3. Arbeitspraktiken
4. Umwelt
5. Faire Betriebs- und
Geschäftspraktiken
6. Konsumentenanliegen
7. Einbindung und Entwicklung
der Gemeinschaft
Neben einer erstmals weithin anerkannten Definition von gesellschaftlicher Verantwortung enthält die Norm konkrete
Empfehlungen, wie Interessen von Anspruchsgruppen (Stakeholder) identifiziert und bewertet werden und schlägt
dabei eine Einbindung dieser Gruppen
vor. Sie verweist ferner auf Methoden
und Vorgehensweisen für die Umsetzung und Kommunikation von CSR. Darüber hinaus weist sie in ihrem Anhang
auf freiwillige CSR-Initaitiven und CSRHilfsmittel hin.
Ob eine Organisation ihrer gesellschaftlichen
Verantwortung
nachkommt, wird künftig von Organisationen
zunehmend unter dem Aspekt unternehmerischer Risiken betrachtet werden
müssen. Im Ernst & Young Business
Risk Report 2010 taucht zum ersten Mal
der Entzug gesellschaftlicher Akzeptanz
und das Verfehlen gesellschaftlicher
Verantwortung als eines der künftigen
Top-10 Risiken für Unternehmen auf.
Seite 17
Investment, Finanzen und Recht
Nachhaltigkeit und die Wahrnehmung
gesellschaftlicher Verantwortung gehören unumstritten zu den großen Handlungsfeldern der primär ökonomisch zusammengewachsenen Weltgesellschaft
unserer Zeit. Im Zuge dessen sind Organisationen mit einer wachsenden Vielfalt
von Erwartungen und Anforderungen
unterschiedlichster Interessens- und Anspruchsgruppen (Stakeholder) konfrontiert, aus deren Nichterfüllung sich neuartige, nämlich gesellschaftliche Risiken
für sie ergeben können.
Die DIN ISO 26000 enthält Empfehlungen, die sich auf die Zusammenarbeit
von deutschen Organisationen mit Organisationen in den arabischen Staaten
bzw. der EMA-Region anwenden lassen.
Das vorgeschlagene systematische Vorgehen hilft, die legalen und legitimen Erwartungen und Ansprüche von Personen
und Gruppen in den jeweiligen Regionen
bzw. auf deren Märkten zu identifizieren
und zu bewerten. Darunter werden Themen wie Gleichstellung der Geschlech-
Investment, Finanzen und Recht
ter, Diversity und Anti-Korruption vor
dem Hintergrund des Kerngeschäfts und
der daraus resultierenden Aktivitäten
eine hohe Beachtung und Berücksichtigung finden. Der empfohlene Dialog mit
den Anspruchsgruppen hilft, die Voraussetzungen und Anliegen der anderen
Seite zu verstehen. So kann und soll der
Norm zufolge der Weg eingeschlagen
werden, zunächst den kulturellen und
religiösen Kontext der Geschäftspartner
und -länder zu erfassen anstatt von vornherein die eigene Moral und die eigenen
Wertmaßstäbe anzulegen.
Die Auseinandersetzung mit Ethik
und Verantwortung in Bezug auf die eigene unternehmerische Tätigkeit und die
verschiedenen Marktaktivitäten unterstützt eine wertschätzende und respektvolle Form der Zusammenarbeit unter
Anerkennung kultureller und religiöser
Unterschiede, soweit diese mit den internationalen Standards, insbesondere der
Achtung von Menschenrechten und der
Schaffung sozialverträglicher Arbeitsbe-
dingungen, übereinstimmen.
Unternehmen üben ihren Zweck verantwortlich aus und steigern die Qualität
ihrer Arbeit nachhaltig. Letztlich leisten
sie damit einen bedeutenden Beitrag zur
nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft – was der übergeordneten Zielsetzung der DIN ISO 26000 entspricht.
Dr. Annette
Kleinfeld
ist geschäftsführende
Gesellschafterin des
Hamburger Beratungsunternehmens
Dr. Kleinfeld CEC
GmbH & Co. KG. Sie
studierte Philosophie, Germanistik und
Theaterwissenschaften und promovierte
über die Grundlagen einer ethisch orientierten Unternehmens- und Personalführung. Als Expertin war sie auf nationaler
und internationaler Ebene umfassend an
der Entwicklung der ISO 26000 beteiligt.
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Wegbereiterinnen der
Demokratie
Juristische Impulse aus Marokko
von Frank Tetzel
S
eit der Thronbesteigung König
Mohammeds VI. vor zwölf Jahren
gibt es immer wieder Reformvorstöße des Königs. Dies wird auch von
führenden Intellektuellen, wie beispielsweise Tahar Ben Jelloun, in seinem Buch
„Der arabisch Frühling“ bestätigt: „Der
König tut sein Bestes. Er ist beliebt und
viele politische Parteien sollten sich an
ihm ein Beispiel nehmen. Der Islamismus wiederum wird von einer im Parlament präsenten Partei vertreten, die
sich für Gewaltfreiheit und Demokratie
einsetzt.“ Die Demokratie, so Ben Jelloun
weiter, sei keine technische Spielerei,
sondern eine Kultur, die sich Marokko
gerade aneigne.
Vor allem bei den Frauenrechten
nimmt das nordafrikanische Land eine
führende Position unter den arabischen
Ländern ein. Mehr als dreißig Frauenorganisationen sind in dem nordafrikanischen Land aktiv, die durch die Liberalisierung der Frauenrechte in Marokko
entstanden sind.
Zu Besuch bei Frauenprojekten in
Marrakesch
Eine schmale Treppe führt in den ersten Stock eines kleinen Eckhauses in
der Derb El Guebesse Syba in Marrakesch. Ein karg ausgestatteter Raum,
ein Tisch, ein paar Stühle, an den
Wänden Plakate, die auf französisch,
Seite 18
Schwerpunkt: Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
Mediterranes 1/2012
Frauenrechtlerin Aicha Chenna im Dialog mit EMA-Gründungsmitglied Dounia Elkorchi-Buchert
© Dounia Elkorchi-Buchert
arabisch, in Berbersprache und vor allem in Bildern über Häusliche Gewalt
gegen Frauen auf klären.
Hier, weitab der Touristenströme, die
wie jeden Tag die Schönheit und die Sehenswürdigkeiten der marokkanischen
Stadt am Fuße des Atlasgebirges bewundern, hier im Stadtviertel Sidi Youssef
Ben Ali hat die „Association El Amanepour le Développment de la Femme“
ihren Sitz, eine Anhörungs- und Bera-
tungsstelle für misshandelte Frauen. Sie
ist eine von mehreren Nichtregierungsorganisationen, die sich in den letzten
Jahren gebildet haben, um die Rechte der
Frauen in Marokko zu stärken.
Neues Familienrecht
Dabei hat Marokko schon jetzt im Vergleich zu allen anderen arabischen Staaten eine der liberalsten FrauenrechtsSeite 19
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Investment, Finanzen und Recht
gesetzgebungen. Kern der Mudawana
al usra, so der Name des seit 2006 eingeführten marokkanischen Familienrechts, sind die gesetzliche Bestimmungen, die Familie, Erbschaft, Heirat, Ehe,
Scheidung und vor allem das Thema
Kinder regeln. Seitdem ist die Ehefähigkeit von Frauen von 15 auf 18 Jahre angehoben worden, Familiengerichte wurden etabliert, die Gehorsamspflicht der
Frau gegenüber ihrem Mann wurde abgeschafft. Zudem können Scheidungen
nur vor Gericht und im gegenseitigen
Einvernehmen ausgesprochen werden.
„Wir sind eine Anlaufstelle für misshandelte Frauen, und zwar der Frauen,
die physische und psychische Gewalt
erlitten haben“, erläutert Halima Oulami, die Präsidentin des Vereins El Amane. Die Frauenrechtlerin kämpft zurzeit
für zwei Ziele: zum einen für staatliche
Sanktionen bei häuslicher Gewalt und
zum anderen für die Einrichtung eines
Frauenhauses in Marrakesch.
Zwar hat das marokkanische Parlament im Jahre 2007 anlässlich des Tages
der Menschenrechte die Misshandlung
von Frauen als gesetzes- und fortschrittswidrig auf die politische Agenda gehoben, doch zwischen den fortschrittlichen Kräften und den Traditionalisten
in Marokko klaffen Welten, die ähnlich
groß sind, wie der Unterschied zwischen
den modernen Großstädten Casablanca,
Marrakesch, Rabat und den ländlichen
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Gebieten des nordafrikanischen Königreichs. Zudem ist die Analphabetenrate,
gerade in den ländlichen Räumen Marokkos sehr hoch.
Planung eines Frauenhauses
Der Bedarf an Plätzen in einem Frauenhaus sei groß – nicht zuletzt durch
die Informationsarbeit der Organisation. Zunehmend mehr Frauen würden
sich melden, die häusliche Gewalt erlebt hätten, erläutert Halima Oulami.
Zurzeit würden Opfer in angemieteten
Zimmern untergebracht. „Das marokkanische Strafrecht kennt nicht den Tatbestand der Vergewaltigung in der Ehe“,
so die Aktivistin. Dies zu ändern ist ein
Ziel, für das sich die Organisation derzeit einsetzt. „El Amane“ betreut jedoch
nicht nur die betroffenen Frauen mit juristischen und praktischen Ratschlägen,
ein Großteil der Arbeit besteht aus der
Aufklärung in Schulen, um jugendliche
Jungen und Mädchen nicht nur für Frauenrechte, sondern auch für das Thema
Menschenrechte zu sensibilisieren.
Reformprozess durch König angestoßen
Ob nun die Vereinigung um Halima
Oulami oder die Organisation „Solidarité Feminine“ um die Aktivistin Aicha
Chenna in Casablanca, sie wären heute
nicht denkbar, ohne die Modernisierung
und Liberalisierung der marokkanischen
Gesetzgebung und der Gesellschaft, die
König Mohammed VI. nach der Thronbesteigung vor elf Jahren eingeleitet hat.
Die sogenannte „bleierne Zeit“ unter Mohammeds Vater Hassan II. wurde damit
endgültig beendet. Der jetzige Monarch,
vom Volk auch kurz M 6 genannt, gilt
als zukunftsorientiert und modern, handelt aber auch heute noch stets unter den
kritischen Augen der fundamentalen islamischen Geistlichkeit im Land, denen
die eingeleiteten Reformen – vor allem
im Familienrecht – viel zu weit gehen.
Der Spannungsbogen in Marokko ist
weit gefasst. Denn andererseits fordern
die gut ausgebildeten Akademiker in den
großen Städten umfassende Demokratisierungen und einigen gehen die Verfas-
sungsreformen noch nicht weit genug.
Auch die Frauenaktivistinnen sprechen
von Veränderungen, die sie anstreben,
jedoch lehnen alle Gewalt strikt ab. Zudem wird die Legitimität des Königs dieser Tage von keinem Gesprächspartner
in Frage gestellt. Marokko scheint hier
nicht unerfolgreich einen dritten Weg zu
gehen, der demokratische Reformen von
oben vorsieht. „Ihr Europäer seid immer
so ungeduldig“, sagt dann auch Kamal,
ein 38-jähriger Taxifahrer. „Der König
ist ein guter Mann, er weiß was er tut“.
Übrigens verurteilt er, wie die überwältigende Mehrheit der Marokkaner, den
Bombenanschlag auf das Café Argana
auf der guten Stube Marrakeschs, dem
Djemaael Fna, bei dem Ende April vergangenen Jahres 14 Menschen starben,
aufs Schärfste. Damals fanden zahlreiche spontane Demonstrationen von
unterschiedlichsten gesellschaftlichen
Gruppen statt, die allesamt ausdrückten,
dass Terrorismus keine Form der politischen Auseinandersetzung ist.
Anfang März vergangenen Jahres hatte nun der marokkanische König in einer
aufsehenerregenden Rede ankündigt,
den eingeschlagenen Weg der Reformen weiter zu gehen und voranzutreiben. Eine 18-köpfige Kommission unter
Leitung von Abdelatif Mennouni soll
nun die Verfassung unter den Gesichtspunkten Stärkung des Rechtstaates, der
Gewaltenteilung und der Justiz sowie die
Verankerung des Prinzips, dass der Premierminister aus den Reihen der stärksten Partei kommt und auf der Basis des
Wahlergebnisses ernannt wird, einer
Revision unterziehen. Am Ende dieses
Prozesses haben nun die Marokkaner in
einem Referendum über die neue Verfassung abgestimmt. Aus den Wahlen, die
am 25. November letzten Jahres stattfanden, ist die moderat islamistische Partei
PJD als stärkste Kraft hervorgegangen,
die auch den Ministerpräsidenten stellt.
Demokratischer Seismograph
Wenn Frauenrechte, speziell in der arabischen Welt, heute ein Gradmesser für
die Demokratisierung sind, dann scheint
es um Marokko im Vergleich zu anderen
arabischen Ländern gut zu stehen. Die
Frauenorganisationen arbeiten politisch
professionell, organisieren Demonstrationen, besuchen Parlamentsabgeordnete und Minister, machen Vorschläge für
Gesetzgebungsverfahren, veranstalten
Pressekonferenzen und Medienkampagnen. Die Lobbyarbeit ist durchaus vergleichbar mit denen westeuropäischer
demokratischer Gesellschaften.
Grundsätzlich ist von vielen Aktivistinnen der Grundtenor zu hören, die Gesetze und die Texte sind gut, es mangelt
an der Ausführung und es gelte, die traditionellen Mentalitäten zu ändern.
Aicha Chenna:
Aktivistin der ersten Stunde
Wenn man sich den Lebensweg von Aicha Ech-Channa anschaut, sieht man
wie weit die marokkanische Gesellschaft
sich in den letzten Jahren entwickelt hat.
Die Frau, die mit dreieinhalb Jahren ihren Vater verlor, erlebte am eigenen Leib,
was Diskriminierung bedeutete. Seitdem
setzt sich die resolute Frau für die Rechte
unverheirateter Frauen und ihrer Kinder ein. Ein uneheliches Kind gilt nach
wie vor in Marokko in vielen Kreisen als
h’chouma, als Schande. Schon Mitte der
achtziger Jahre gründete die Krankenschwester den Verein Solidarité Féminine als Resultat aus der Erfahrung, die
Chenna mit Frauen sammelte, die unverheiratet schwanger wurden und ihre Kinder zur Adoption freigeben wollten.
“Es war und ist falsch zu glauben, dass
diese Frauen selbst Schuld haben“, empört sich Aicha Chenna auch heute noch,
denn es handelte sich Mitte der achtziger
Jahre vor allem um ein soziales Problem.
Die Frauen mussten aus dem Teufelskreis
der Armut und der Schande, ein uneheliches Kinde zu haben, herausgeholt werden. So gründete sie 1986 ihren Verein,
der in einem Armenviertel der Metropole Casablanca errichtet wurde. Ziel: den
ledigen Müttern ein Einkommen und
eine Unterkunft zu schaffen. Die Garküche, die Aicha Chenna einrichtete, war
die erste überhaupt in der islamischen
Welt, die von unverheirateten Müttern
betrieben wurde. Für ihre Arbeit erhielt
die Aktivistin, deren Organisation heute
nicht nur die Garküche, sondern Kioske,
Werkstätten und Kinderkrippen betreibt,
den mit einer Million Dollar dotierten
amerikanischen Opus-Prize verliehen,
eine internationale Auszeichnung für
glaubensbasierte humanitäre Hilfe, für
Menschen, die Lösungen schaffen für die
großen sozialen Probleme wie Armut, Analphabetismus, Hunger, Krankheiten und
Ungerechtigkeit.
Heute hat die streitbare Frau mit dem
beachtenswerten Lebenslauf einen festen
Platz in TV- und Radiosendungen Marokkos, obwohl sie von radikal-islamischen
Kräften der Förderung der Prostitution bezichtigt wird. „Dabei wollen wir den Frauen ihre Würde zurückgeben. Sie sollen
lernen, ihr Kind wieder annehmen zu können,“ so die engagierte Frauenrechtlerin.
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Frauen auf dem Vormarsch
Doch Frauen bewegen mehr in Marokko,
sie sind längst nicht nur Aktivistinnen,
die sich ausschließlich mit Frauenrechten befassen. Frauen sind Abgeordnete
im Parlament oder wie Fatima Mernissi, Soziologie-Professorin in Rabat, Beraterin der UNESCO und Mitglied im
Beraterstab der Weltbank für den Nahen Osten und Nordafrika, oder wie die
35-jährige Fatima Zahra Mansouri von
der Partei für Authentizität und Modernität, die seit zwei Jahren Bürgermeisterin von Marrakesch ist, oder Yasmina
Benkhadra, die das Amt der marokkanischen Energieministerin bis vor kurzem
bekleidete, oder wie die Rechtsprofessorin Aicha El Hajjami oder wie die Verlegerin Layla Chaouni, der Einfluss der
Marokkanerinnen auf Wirtschaft und
Politik wächst ständig.
Frank Tetzel
geboren 1963, ist freier
Journalist und Autor
in Berlin. Neben Themen aus Wirtschaft
und Politik beschäftigt
er sich darüber hinaus
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Seit einigen Jahren beobachtet er die politische Entwicklung in Nordafrika.
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Wertvoll gestalten –
nachhaltig handeln
Risikobewusstes Investment von Frauen
von Susanne Kazemieh
„Hiding“ © Marwa Adel
I
m Vergleich zu arabischen Ländern geht es uns Frauen in diesem
Land verdammt gut. Von Gleichstellung können wir in Deutschland
dennoch nicht reden. Im europäischen
Seite 22
Vergleich gehören wir zu den Schlusslichtern – zumindest was die Angleichung der Gehälter anbetrifft.
Glaubenssätze wie „Geld ist mir nicht
so wichtig“ sind zwar heiligenscheinver-
dächtig, führen jedoch zielstrebig in die
Altersarmut. Als ich vor 25 Jahren meine ersten Fachtagungen für Investmentfonds und Altersvorsorge besuchte, wurde ich als – häufig noch einzige – Frau
milde belächelt. Frauen und Geld – das
passte so gar nicht ins Bild.
Frauen in der Finanz- und Versicherungsbranche sind zwar auch heute noch
deutlich unterrepräsentiert, genießen
jedoch mittlerweile Respekt von Seiten
der männlichen Kollegen. Vorurteile wie
„Frauen verstehen nichts von Geld“ geistern immer noch in einigen Köpfen herum, weichen jedoch mit jeder weiteren
Finanzkrise einer sich geradezu aufdrängenden Frage:
Wäre das alles auch unter weiblicher
Führung passiert? Ist der weibliche Umgang mit Geld nicht von deutlich höherem
Verantwortungsbewusstsein geprägt?
Die immer wieder gern kolportierte
Behauptung, dass Frauen risikoscheuer
seien als Männer, gehört in den Bereich
der Märchen. Denn Frauen sind nicht
risikoscheuer, sie sind risikobewusster!
Ein kleiner Unterschied, den Frau Professor Renate Schubert (Schweiz) vor
einigen Jahren auch wissenschaftlich
untermauern konnte.
Was genau heißt das? Frauen sind
umso risikobereiter, je mehr Informationen sie bekommen. Bei Männern
verhält es sich genau umgekehrt. Bei Investments handeln Männer häufig nur
Schwerpunkt: Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
deshalb spekulativer, weil sie sich des
Risikos gar nicht bewusst sind! Frauen
gehen mit Geld umsichtiger und weitsichtiger um.
Auch Männer suchen Rat bei Frauen
Was bedeutet Risiko eigentlich? Und wie
definiere ich „Sicherheit“? Ist meine Altersvorsorge dann sicher, wenn alle meine Anlagen festverzinslich sind oder aus
Beton bestehen? Haben Aktien ein höheres Risiko als Staatsanleihen? Frauen
haben ein gutes Gespür für Balance. Das
zeigen auch ihre Depots. Sie haben eine
nachhaltig höhere Rendite – nicht zuletzt
deshalb, weil sie nicht so hektisch umschichten. Der Versuch, den Markt durch
schnelles Handeln „out zu performen“,
erweist sich meistens als Schuss in den
Ofen. Unsere Besonnenheit zahlt sich
nicht nur in der Performance der Depots,
sondern auch in der Weiterempfehlungsquote aus. So suchen auch immer mehr
Männer die Beratung und langfristige
Betreuung von Frauen in Finanzfragen
auf. Hin und Her macht Taschen leer –
eine Gleichung, die Banken und andere
Vertriebe zwar kennen, mangels Eigeninteresse aber selten leben!
Wertschätzung ist das Zauberwort,
das zwischen Ratsuchenden und Vermittlern eine zentrale Rolle spielt. Wertschätzung heißt Anerkennung sowie
Vertrauen und sollte auf beiden Seiten
vorhanden sein. Wertschätzung heißt
aber auch „den Marktwert eines Investments einschätzen“ – und darüber, dass
es sich um eine Einschätzung – nicht um
gesichertes Wissen – handelt, sollten sich
beide Seiten im Klaren sein!
Transparenz und Nachhaltigkeit
Viele Anlegerinnen und Anleger wünschen sich Transparenz, wenn es darum
geht, welche Geschäfte mit ihrem Kapital
finanziert werden. Mit ihren Investments
wollen sie sich an Unternehmen beteiligen, die ökologische und soziale Aspekte
berücksichtigen, und nicht etwa an solchen, die mit Atomkraft und Rüstung
verdienen. Neben grundsätzlich nachhaltigen und ethischen Aspekten, ist es möglich, sich auf spezielle Themen wie Neue
Mediterranes 1/2012
Energien, Wasser und CO2-Reduzierung
zu fokussieren. Vor allem in diesem Segment ist es wichtig, genau zu schauen,
dass nicht nur der Titel "grün" ist.
Nachhaltigkeit umfasst aber nicht nur
die Vermittlung ökologischer und sozialverträglicher Investments, sondern auch
die langfristige und stabile Begleitung
der Kunden.
Es gibt einige Investmentgesellschaften, die ökologische und soziale Aspekte
nicht nur berücksichtigen, sondern klare
Ausschlusskriterien entwickelt haben.
Zudem besteht die Möglichkeit, Kleinstunternehmer mit Mikrofinanzierungen
zu unterstützen und somit dafür zu sorgen, dass Menschen sich mit vergleichsweise kleinen Beträgen eine Existenz
aufbauen können.
Über den Tellerrand gucken
Die meisten deutschen Privatanleger
sind leider sehr einseitig investiert. Viele haben ausschließlich deutsche oder
europäische Papiere. Die FrauenFinanz-
Langsam aber sicher
kommt auch die
arabische Region in
den Fokus deutscher
Anleger
Gruppe hat die sog. „Schwellenländer“
schon Anfang der Neunzigerjahre als
Beimischung empfohlen – zu Recht,
wie sich gezeigt hat, denn die Renditen
können sich sehen lassen. Vorbei sind
die Zeiten, in denen man den aufstrebenden Ländern ein erhöhtes Risiko
nachsagte. Während die Industrieländer
unter (hoch)verschuldeten Regierungen
und Konsumenten sowie einem relativ
schwachen Wirtschaftswachstum leiden,
bieten die Schwellenländer attraktives
Wachstumspotential und vielfach solide
Finanzen.
Die demografische, gesellschaftliche
und technologische Entwicklung vor allem in Asien lässt einen langjährigen
Aufschwung erwarten. Die Türkei, lange als „kranker Mann vom Bosporus“
belächelt, übertraf 2011 sogar das Wirtschaftswachstum Chinas. Langsam aber
sicher kommt auch die arabische Region
in den Fokus deutscher Anleger. Sie hat
ihr Gesicht verändert – und geht mit
neuem Mut und einer starken demokratischen Initiative voran. Politisch bedingte
Kursrutsche an den Aktienmärkten – das
haben auch die Entwicklungen nach Ausbruch der Unruhen in Tunesien, Ägypten
und Nachbarn gezeigt – haben immer
„kurze Beine“. Wer hier antizyklisch investiert, dürfte reich belohnt werden.
Interessant ist z.B. auch Marokko.
Casablanca sollte sich nach Meinung vieler Experten in den kommenden Jahren
zur Drehscheibe internationaler Wirtschaftsbeziehungen im nordafrikanischen Raum entwickeln. Grund hierfür
ist nicht nur die geografisch günstige
Lage, sondern auch die – im Vergleich zu
anderen Ländern dieser Region – hohe
politische und soziale Stabilität Marokkos.
Kuwait, Dubai, Ägypten, Katar und
die Vereinigten Emirate stellen in einigen Emerging-Market-Fonds bereits ein
Drittel der Einzelinvestments. Die Titelauswahl sollte hier erfahrenen Fondsmanagern überlassen werden. Empfehlenswert erscheinen vor allem solche
Investmentfonds, die sowohl in Aktien
als auch in Anleihen anlegen dürfen.
Auf einen Fonds, der seinen Fokus auf
nachhaltig arbeitende Firmen in diesen
Regionen setzt, werden wir aber vermutlich noch etwas warten müssen. Leider.
Susanne Kazemieh
ist Finanzberaterin
und hat bereits im Jahr
1989 in Hamburg die
FrauenFinanzGruppe
gegründet. Außerdem
ist sie die Autorin des
ersten in Deutschland
erschienen Finanzratgebers für Frauen und
hat auch weitere Bücher, etwa „Frauen
Sorgen vor“ (dtv-Verlag) publiziert.
Seite 23
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“Die arabische Region im Zentrum der Weltwirtschaft und der
internationalen Gemeinschaft“
Ein Gespräch mit Haifa Fahoum Al Kaylani, Gründerin und Vorsitzende
des Arab International Women’s Forum (AIWF) und EMA-Ehrenmitglied
bin fest davon überzeugt, dass wir – woher wir auch kommen
– viel mehr gemein haben als uns unterschiedet. Vorurteile
erwachsen oft aus Unwissenheit. Mehr Wissen führt zu mehr
Verständnis. Deshalb glaube ich Bildung. Zweitens glaube ich
an Taten: wir müssen das, was wir gelernt haben, mit unserer
Arbeit verbinden. Wir müssen unser Wissen und unsere Fähigkeiten für gute Zwecke einsetzen. Drittens glaube ich daran,
zu geben. Ich bin mit Eltern aufgewachsen, die sehr gebildet
und sehr liebevoll waren und die mir sehr viel gegeben haben.
Sie gingen mit gutem Beispiel voran, und ich habe von ihnen
gelernt. Mein verstorbener Ehemann, mit dem ich das Glück
hatte 41 gemeinsame Jahre zu verbringen, hatte die gleiche Einstellung. Er hat mich unterstützt und inspiriert. Mein Rat an
junge Frauen ist also: verfolgt eure Ausbildung, hört nie auf zu
lernen, verbindet das Gelernte mit eurer Arbeit und versucht in
eurer Gemeinschaft etwas zu bewegen.
um ihre Bedürfnisse zu decken. Daher begannen Väter, Brüder
und Ehemänner zu akzeptieren, dass ihre Töchter, Schwestern
und Frauen einer Arbeit nachgehen müssen.
Vom ersten Tag an verfolgte das AIWF das Ziel, mehr Frauen
aktiv in Unternehmen einzubringen und am gesellschaftlichen
Leben zu beteiligen. Deshalb haben wir arabische Frauen aus
22 Ländern zusammengebracht, um zu sehen, was sie voneinander lernen und wie sie miteinander Geschäfte machen können. Das AIWF wurde aus der Überzeugung heraus aufgebaut,
dass wir in einer Welt ohne Grenzen leben und dass die arabische Region im Zentrum der Weltwirtschaft und der internationalen Gemeinschaft liegt. Deshalb ist es wichtig, Frauen
aus Großbritannien, Europa, den USA und Afrika zusammenzubringen, damit sie Erfahrungen austauschen, Brücken und
Geschäftsbeziehungen aufbauen können, um etwas in der Gemeinschaft zu bewegen.
EMA: Wie haben Männer auf die Gründung des AIWF reagiert
und welche Rolle haben Männer im AIWF seit dessen Errichtung gespielt?
Haifa Al Kaylani im Gespräch mit Maria von Welser © Arne List
EMA: Was war der Hauptgrund für Sie das AIWF zu gründen
und inwiefern haben sich seit Gründung des AIWFs die Chancen von Mädchen und Frauen in der arabischen Welt verändert?
Neues Ehrenmitglied der EMA – eine der 100 einflussreichsten Frauen des arabischen Raums © Arne List
EMA: Viele Frauen in der arabischen Welt sehen Sie als weibliche Vorbildfigur. Sie wurden zu einer der 100 einflussreichsten
arabischen Frauen 2011 gewählt und haben zahlreiche Preise
für die Förderung der Erwerbstätigkeit von Frauen erhalten.
Was ist Ihr Erfolgsrezept und welchen Ratschlag haben Sie für
junge Frauen, um mehr Autonomie zu erreichen?
Seite 26
Haifa Al Kaylani: Ich habe drei Ratschläge für junge Frauen:
Erstens glaube ich, dass mehr Wissen zu mehr Verständnis
führt. Mit meinem Mann, einem Botschafter, habe ich die Welt
bereist und schnell festgestellt, dass ein Bedarf für interkulturellen Austausch besteht. Es gibt Vieles, was wir übereinander
lernen müssen, um über uns selbst Bescheid zu wissen. Ich
Schwerpunkt: Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
Al Kaylani: Das AIWF hat von Beginn an international mit Entscheidungsträgern in Regierungen, NGOs, Unternehmen und
der Wissenschaft zusammengearbeitet, um Frauen in die Lage
zu versetzen vollständig am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. In den letzten 15 Jahren haben wir große Fortschritte
bei den Frauen in der arabischen Region gesehen. In der Politik,
in Unternehmen, der Zivilgesellschaft, in Ingenieursberufen,
im Rechtswesen und in der Medizin haben sich neue Möglichkeiten für Frauen eröffnet. Frauen sind jetzt in allen Bereichen
und Berufen vertreten.
Eine Reihe von Faktoren hat zu diesem Wandel geführt: zum
einen waren da die gestiegenen Investitionen ins Bildungswesen. Zum anderen hat auch ein top-down Ansatz der Regierungen die Agenda von Frauen vorangetrieben. Außerdem hat ein
schwieriges wirtschaftliches Klima in den arabischen Ländern
dazu geführt, dass Familien ein höheres Einkommen brauchten
Mediterranes 1/2012
Al Kaylani: Diese Frage beantworte ich gerne. Das AIWF war
von Anfang an keine feministische Organisation; es war eine
Entwicklungsorganisation. Wir wollten Frauen in der arabischen Welt helfen, ihr volles Potential in Unternehmen, Zivilgesellschaft, Wohltätigkeitsorganisationen und im öffentlichen Leben zu entfalten. Unsere Botschaft an die arabischen
Männer und die Männer im Allgemeinen war, dass wir mit
ihnen und als ihre Partner wirtschaftliche Entwicklung erreichen wollen. Wir brauchen eine Partnerschaft um Erfolg zu
haben; Frauen und Männer müssen zusammenarbeiten, damit die internationale Gemeinschaft die arabische Welt verstehen kann. Nachdem wir diese Botschaft rübergebracht hatten,
haben die arabischen Männer uns ausschließlich Unterstützung entgegen gebracht – im Wirtschaftsleben wie auch in der
Gesellschaft allgemein.
EMA: In Ihrem Beitrag auf dem Frauennetzwerkforum haben
Sie erwähnt, dass es nicht darum geht Traditionen aufzugeben.
Al Kaylani: Ich bin stolz darauf, eine arabische Frau zu sein, ich
bin stolz auf meine Wurzeln. Mit meinem Hintergrund – ich
bin in Palästina geboren, im Libanon aufgewachsen und war
mit einem Jordanier verheiratet – trage ich die gesamte Region
in meinem Herzen. Ich habe jedoch auch 36 Jahre in Großbritannien gelebt und bin europäische Staatsbürgerin. Ein hoher
Beamter der Arabischen Liga hat einmal zu mir gesagt, dass ich
dazu erzogen wurde, das Beste aus moderner Bildung und modernem Wissen mit dem Besten aus Tradition und kulturellem
Erbe zu verbinden und zu schätzen. Ich glaube, dass es wichtig
ist, offen dafür zu sein, Neues zu lernen, ohne dabei unsere
Wurzeln und unser kulturelles Erbe zu vergessen.
© www.mediaserver.hamburg.de/C. Spahrbier
Seite 27
Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
„Der arabische Frühling bringt
eine revolutionäre Brise mit sich“
Ein Gespräch mit Eva-Maria Welskop-Deffaa,
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
Leiterin der Abteilung Gleichstellung
EMA: Und nun, nach dem Forum, welches sind Ihrer Meinung
nach die größten Unterschiede und welches die größten Gemeinsamkeiten zwischen den anwesenden Frauen in Deutschland
und der EMA-Region?
Welskop-Deffaa: Das 1. Deutsch-Arabische Frauennetzwerkforum ist eine wunderbare Initiative zum richtigen Zeitpunkt.
Es macht deutlich: die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen
Deutschland und der EMA-Region können sich nur nachhaltig
erfolgreich entwickeln, wenn sie die Kompetenz und die Bedürfnisse von Frauen umfassend berücksichtigen. Das Forum
hat aber auch deutlich gemacht: Frauen in Deutschland und
in der EMA-Region sind heute exzellent ausgebildet. Sie wollen Entscheidungsverantwortung übernehmen, in Wirtschaft,
Gesellschaft und Politik. Aber sowohl bei uns, als auch in den
EMA-Staaten sind die gläsernen Decken unterhalb des TOP-Managements aus Panzerglas. Vielleicht ist der größte Unterschied
zwischen der EMA-Region und Deutschland, dass der arabische
Frühling eine revolutionäre Brise mit sich bringt - auch in Bezug auf Geschlechterrollenveränderungen. Der Rückenwind, der
durch den Fachkräftemangel in Deutschland für Karrierechancen von Frauen entstanden ist, ist im Vergleich dazu ein eher
laues Lüftchen.
EMA: Sie haben Ihre Ministerin zuletzt auf eine Tunesienreise
begleitet: Können Sie uns ein paar besonders prägende Erfahrungen mit den tunesischen Frauen schildern?
Welskop-Deffaa: Die Tunesienreise am 7. März hat sich mir vor
allem mit zwei Bildern eingeprägt: da war zuerst das Treffen mit
weiblichen Abgeordneten der verfassunggebenden Versammlung. Schon äußerlich war erkennbar, wie unterschiedlich die
Werthaltungen dieser Frauen sind, welch verschiedene Milieus
sie repräsentieren. Aber parteiübergreifend wurde der unverrückbare Wille deutlich, Frauenrechte in der Verfassung ausdrücklich abzusichern und eine Relativierung der Gleichberechtigung
durch kulturelle oder religiöse Normen nicht zulassen zu wollen.
Die Tunesierinnen erinnerten mich darin an die vier Mütter unseres deutschen Grundgesetzes, die – allen voran Elisabeth Selbert von der SPD und Helene Weber von der CDU – die Männer
ihrer Parteien in zähem Ringen davon überzeugten, dass Artikel
3 so und nicht anders lauten und die Grundrechte für Frauen und
Männer uneingeschränkt gewährleisten muss.
Das zweite Bild: das Gespräch mit jungen Bloggerinnen. Sie haben zu einer Zeit, als die Diktatur ihre freie Beweglichkeit im
öffentlichen Raum massiv einschränkte, die neuen Medien als
Zugangsweg in die Öffentlichkeit entdeckt und genutzt. Jetzt ist
der Schritt vom persönlichen systemkritischen Blog zu einer solidarischen Frauenbewegung zu tun und er scheint mir nicht für
alle automatisch leicht zu fallen. Es ist gut, wenn Frauengruppen
und –initiativen, die zum Teil von UN Women gefördert werden,
auf die Bloggerinnen zugehen und neue Wege der virtuellen und
tatsächlichen Vernetzung generationenübergreifend gelingen.
EMA: Inwiefern kann Ihr Ministerium die Stärkung von Frauen
in Führungspositionen auch in der EMA-Region unterstützen?
Welskop-Deffaa: Im Nachgang zur Tunesienreise der Ministerin
sind wir gerade dabei, über diese Frage präziser nachzudenken.
Wir wissen einerseits, dass es im Auswärtigen Amt Förderinitiativen für die Transformationsländer gibt, die bislang für Frauenprojekte noch ganz ungenügend genutzt werden. Hier wollen wir
Türöffner spielen. Wir denken andererseits darüber nach, unser
Helene Weber Kolleg, mit dem wir seit dem letzten Jahr Frauen
in der Kommunalpolitik in Deutschland parteiübergreifend eine
Plattform des Austauschs und der Vernetzung bieten, für Frauen
aus der EMA-Region zu öffnen. Frauen in Entscheidungspositionen in Wirtschaft und Politik zu stärken, bleibt eines der Schwerpunktthemen der Gleichstellungspolitik 2012ff. Ich freue mich
daher schon jetzt auf das 2. Deutsch-Arabische Frauennetzwerkforum in Hamburg.
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Eva-Maria Welskop-Deffaa: 2012 ist für mich ein Aufbruchjahr der internationalen Gleichstellungspolitik. Wir spüren in
Deutschland – stärker als vielleicht vor 5 oder 6 Jahren – wie
sehr die nationale Gleichstellungspolitik geprägt ist von internationalen Entwicklungen und wie groß die Erwartungen sind,
die international an frauen- und gleichstellungspolitische Signale aus Deutschland gerichtet werden. Einige Beispiele: Der
Weltentwicklungsbericht der Weltbank 2012 ist exklusiv der Ge-
schlechtergerechtigkeit gewidmet – Geschlechtergerechtigkeit,
so sein Fazit, ist wesentlicher Motor der wirtschaftlichen Entwicklung weltweit. Weiterhin hat der UN-Generalsekretär am
Internationalen Frauentag 2012 angekündigt, 2015 solle es eine
nächste Weltfrauenkonferenz geben, die erste seit Peking 1995.
Und last but not least: die Chefin von UN-Women, der „kleinen
Schwester von UNICEF“, Michelle Bachelet hat angekündigt,
2012 Bundeskanzlerin Merkel und Bundesministerin Schröder
in Berlin einen Besuch abstatten zu wollen, um über die drängenden Fragen der Gleichstellung zu sprechen. Oben auf ihrer
Agenda steht die Frage nach gleichberechtigter Teilhabe von
Frauen in Entscheidungspositionen.
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EMA: Was war für Sie der ausschlaggebende Grund, am 1.
Deutsch-Arabischen Frauennetzwerkforum teilzunehmen und
welche Erwartungen hatten Sie an das Forum?
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Begeisterung über die kürzlich gesammelten Eindrücke in Tunesien © Arne List
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Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
„Bei einer Vernetzung können alle
gewinnen“
Prof. Dr. Horst H. Siedentopf,
Präsident der EMA und Honorarkonsul für Marokko
EMA: Welches waren für Sie die ausschlaggebenden Gründe
zur Initiierung des Frauennetzwerkforums und wie fühlen Sie
sich nach der erstmaligen Umsetzung?
Prof. Dr. Siedentopf: Ich bin sehr froh, dass wir nach einer langen, intensiven Vorbereitung das Forum realisieren und dabei
einen so großen Zuspruch erreichen konnten. Da ich in meinem Leben viele starke, erfolgreiche Frauen getroffen habe, war
es mir ein großes Anliegen, das Thema auch für unseren Länderverein herauszustellen. Schon vor der Arabellion, aber dann
durch diese noch wesentlich verstärkt, war offensichtlich, dass
die Frauen in der arabischen Welt eine immer bedeutendere
Rolle spielen. Auch in Deutschland wird die Diskussion über
die Rolle der Frauen in den letzten Jahren intensiver geführt.
Bei einer Vernetzung der Protagonistinnen in der EMA-Region
mit denen in Deutschland können alle gewinnen.
EMA: Der EMA-Vorstand hat Frau Al Kaylani kürzlich zum ersten Ehrenmitglied ernannt. Welche Bedeutung hat diese Ehrenmitgliedschaft für die EMA?
Prof. Dr. Siedentopf: Frau Al Kaylani ist eine außerordentlich
beeindruckende, dynamische Frau. Sie verfügt über ein weit
gespanntes Netzwerk und großen Einfluss, deshalb sind wir sicher, dass unsere Arbeit in den arabischen Ländern mit ihrer
Kooperation noch erfolgreicher sein wird. Interessant ist auch,
dass ihre Organisation in vielen europäischen Ländern bereits
vernetzt ist. Davon kann auch die EMA profitieren.
EMA: Wie geht es weiter?
Prof. Dr. Siedentopf: Für die Mitarbeiter der EMA war der Erfolg
dieses Forums eine große Motivation. Dabei hat sich auch die
Zusammenarbeit mit der Handelskammer Hamburg erneut
sehr bewährt. Mit gestärkter Tatkraft werden jetzt die Vorbereitungen für die Foren zu anderen Themen angegangen: als
nächstes steht das 2. Wasser-Forum im September auf dem Programm. Das soll noch bedeutender werden als das schon sehr
gelungene Wasser-Forum vor zwei Jahren. Und dann im nächsten Jahr sicherlich wieder ein Frauennetzwerkforum!
Seite 30
Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
„Das 1. Deutsch-Arabische Frauennetzwerkforum konnte also nur ein
Erfolg werden.“
„Es war das erste Mal, dass ich von
einem Mitglied der Königsfamilie als
Vertreterin ausgewählt wurde“
„Ich war begeistert von der Kraft, dem
Mut, der Zuversicht und dem Selbstverständnis der anwesenden Frauen“
Corinna Nienstedt, Geschäftsführerin und Leiterin des Geschäfts-
Interview mit Reem Barghouty Damen, Vorsitzende des Jordan
Monika Schulz-Strelow, Präsident Fidar Frauen in die
bereichs International der Handelskammer Hamburg
Forum for Businesss and Professional Women
Aufsichtsräte e.V.
EMA: Welches war für Sie der ausschlaggebende Grund, die EMAInitiative als Mitveranstalterin so wohlwollend zu unterstützen?
Nienstedt: Ich war mir absolut sicher, dass die Idee bei deutschen Unternehmerinnen- und Frauenverbänden auf ein sehr
starkes Interesse stoßen würde. Und natürlich hatte ich Vertrauen in die EMA, dass es dieser gelingen würde, interessante Frauen aus der arabischen Region für unsere Veranstaltung
zu gewinnen. Das 1. Deutsch-Arabische Frauennetzwerkforum
konnte also nur ein Erfolg werden.
EMA: Welche Erwartungen hatten Sie an das Forum und was
hat Sie überrascht?
Nienstedt: Ich hatte mir erhofft, dass die arabischen Teilnehmerinnen etwas über die Themen erfahren, welche die deutschen Frauen in Führungspositionen derzeit bewegen. Und wir
deutschen Teilnehmerinnen wollten natürlich mit den arabischen Frauen darüber diskutieren, ob sich im Zuge des Arabischen Frühlings für die Situation der Frauen etwas verbessert
hat. Ich denke, wir alle haben da unglaublich viel voneinander
gelernt.
Überrascht hat mich, dass es eine ganze Reihe von Problemen
gibt, die sowohl Frauen in Arabien als auch uns in Deutschland
betreffen. Überrascht hat mich auch die Offenheit, mit der die
arabischen Teilnehmerinnen über ihre zum Teil sehr schwierige Lage gesprochen haben. Das hat ganz schnell das Eis zu den
deutschen Frauen gebrochen.
EMA: Wie steht Ihre Handelskammer einer verbindlichen Quotenregelung in der Wirtschaft gegenüber?
Nienstedt: Unsere Handelskammer ist der Ansicht, dass Frauen in den Chefetagen der deutschen Unternehmen – gerade der
Großunternehmen – viel zu wenig präsent sind. Hier muss sich,
schon wegen der demographischen Entwicklung, unbedingt etwas ändern. Unserer Ansicht nach ist es nachhaltiger, wenn die
Unternehmen aus eigener Überzeugung mehr Frauen in Führungspositionen bringen, als wenn sie durch eine starre Quote
dazu gezwungen werden. Letztlich geht es um eine Kulturveränderung in den Firmen. Die schaffen wir, wenn wir die Unternehmen „mitnehmen“, nicht aber durch eine starre Quote.
EMA: Warum haben Sie am 1. Deutsch-Arabischen Frauennetzwerkforum teilgenommen?
Barghouty Damen: Der Hautgrund für meine Unterstützung
war die Notwendigkeit, weltweit ein gemeinsames Forum für
Frauen aufzubauen. Ohne ein solches Netzwerk ist es unmöglich zu wissen, was Frauen in anderen Teilen der Welt leisten
und wofür sie arbeiten. Das Netzwerkforum der EMA bietet
eine sehr gute Plattform, um unsere Erfahrungen auszutauschen und voneinander zu lernen. Viele Themen, mit denen wir
uns beschäftigen, sind ähnlich und – auch wenn die Probleme
unterschiedlich groß sein mögen- betreffen sie doch dieselben
Thematiken. Das Forum hilft dabei herauszufinden, wo diese
Gemeinsamkeiten liegen.
EMA: Fördert Ihre Organisation die Einführung einer Frauenquote?
Barghouty Damen: Das übergeordnete Ziel unsere Organisation ist die Besetzung von Führungspositionen durch Frauen.
Wir haben uns bereits für die Erhöhung der Zahl der Frauen im
Parlament stark gemacht und hier lässt sich bereits ein gradueller Fortschritt erkennen. Durch unsere Verbindungen zu allen
möglichen Institutionen können wir zumindest dafür sorgen,
dass unsere Stimme gehört wird.
EMA: Im Rahmen des Netzwerkforums traten Sie als Vertreterin der Schirmherrin auf. Wie haben Sie sich dabei gefühlt,
an Stelle ihrer königlichen Hoheit Prinzessin Sumaya bint el
Hassan zu sprechen?
Barghouty Damen: Es war das erste Mal, dass ich von einem Mitglied der Königsfamilie als Vertreterin ausgewählt wurde und
ich war sehr geehrt die Rede ihrer königlichen Hoheit halten
zu dürfen. Seitdem habe ich sehr viele Glückwunschschreiben
der Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Forums erhalten, in
dem sie ihre Wertschätzung gegenüber ihrer königlichen Hoheit
und auch mir gegenüber ausdrücken. Auch erhielt ich ein Dankschreiben der Prinzessin, in dem sie mir ihre Wertschätzung
für ihre Vertretung auf dem Forum, aber auch für meine Arbeit
als Vorsitzende von Jordan Forum for Business & Professional
Women, aussprach.
EMA: Was waren Ihre Erwartungen hinsichtlich einer Teilnahme
am 1. Deutsch-Arabischen Frauennetzwerkforum?
Schulz-Strelow: Bisher hatte ich sehr wenige Berührungspunkte mit Frauennetzwerken aus dem arabischen Raum. Ich war
begeistert von der Kraft, dem Mut, der Zuversicht und dem
Selbstverständnis der anwesenden Frauen und habe viele, mich
auch teilweise sehr nachdenklich stimmende, Eindrücke mit
nach Hause genommen.
EMA: Von Ihnen wird gesagt, dass Sie wissen wie man mit
männlichen Entscheidern zu reden hat. Was sind hierbei Ihrer Meinung nach die wichtigsten Unterschiede zwischen
Deutschland und dem arabischen Raum?
Schulz-Strelow: Ich bin nach den unterschiedlichen Ausführungen in der Konferenz gar nicht so sicher, ob die Unterschiede zwischen den männlichen Entscheidern in Deutschland und
Arabien so groß sind. Die klassischen Denk- und Handlungsmuster finden Sie in Abstufungen wahrscheinlich in beiden
Kulturen, wobei wir hier ein Land und einen ganzen Kulturraum – bestehend aus vielen unterschiedlichen Kulturen - vergleichen. Die deutschen Entscheider sind insgesamt beunruhigt durch die Diskussionen über eine mögliche Frauenquote
in Aufsichtsräten. Die Themen „Demographischer Wandel“
und „Fachkräftemangel“ erfordern allerdings ein Umdenken
in den Köpfen der handelnden Akteure hier in Deutschland.
Ich glaube, hier liegt einer der großen Unterschiede zwischen
Deutschland und dem arabischen Raum: Unsere Gesellschaft
ist relativ alt und der Fachkräftemangel zeichnet sich immer
stärker ab. Daher ist es wirtschaftlich nicht mehr zu verantworten, die vielen hochqualifizierten Frauen bei der Besetzung der
entsprechenden Positionen nicht zu berücksichtigen.
EMA: Fördern Frauen Frauen?
Schulz-Strelow: Frauen fördern Frauen noch nicht ausreichend.
Doch die Anzahl und das Bewusstsein hierfür wächst: Viele
Frauen nehmen allerdings ihre Vorbildfunktion nicht genug
wahr. Hier wünsche ich mir mehr Unterstützung von Frauen in
Führungspositionen in der Öffentlichkeit. Doch häufig möchten erfolgreiche Frauen nicht mit dem „Frauenthema“ in Verbindung gebracht werden.
Schwerpunkt: Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
Mediterranes 1/2012
Seite 31
Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
„E
Frauen in Führung für
nachhaltiges Wachstum
Unterschiede und Gemeinsamkeiten in Deutschland
und der EMA-Region
von Clara Gruitrooy & Anna Wischniewski
s ist leichter ein Atom zu zertrümmern, als Vorurteile abzubauen.“ Mit diesem Zitat
von Albert Einstein eröffnete Frau Dr.
Stapelfeldt, die Zweite Bürgermeisterin
der Freien und Hansestadt Hamburg
und Senatorin für Wissenschaft und
Forschung, das 1. Deutsch-Arabische
Frauennetzwerkforum, welches auf die
Initiative der EMA zurückgeht. In der
Tat gibt es heute keine Nationalität und
keine Religion zu der keine bestimmten
Stereotype existieren. Insbesondere die
häufig islamisch-geprägten Staaten der
EMA-Region (Nordafrika und Nahost)
werden, trotz der geografischen, historischen sowie kulturellen Nähe zu Europa
und obgleich die europäisch-arabischen
Wirtschaftsbeziehungen stetig ausgebaut werden, in Deutschland häufig mit
Skepsis betrachtet. So wird die EMARegion häufig als homogener Raum angesehen und insbesondere das Bild, welches hierzulande über die Frauen in der
EMA-Region kursiert, ist recht einseitig:
Die arabische Welt, so der in Deutschland vorherrschende Konsens, sei stark
männerdominiert und die Teilhabe von
Frauen in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft werde durch traditionelle Werte und den Islam verhindert.
Arabische Frauen seien somit auf häusliche Tätigkeiten beschränkt. Frauen in
Führung gäbe es dort nicht.
Viele Unterschiede und noch mehr
Gemeinsamkeiten
Das 1. deutsch-arabische Frauennetzwerkforum lieferte jedoch den eindeutigen Gegenbeweis: Es gibt sie, die arabischen Frauen in Führungspositionen!
Dennoch entsprechen auch viele Aspekte des in Deutschland vorherrschenden
Grundtenors der Wahrheit und somit
scheinen die Unterschiede zwischen
deutschen und arabischen Frauen in
Führungspositionen auf den ersten Blick
unüberbrückbar groß. So groß, dass zunächst sogar die Frage aufkam, ob es
überhaupt Gemeinsamkeiten gibt und ob
die Frauen der EMA-Region überhaupt
Verständnis haben für die „nickeligen,
kleinen Gleichstellungsprobleme“ der
Deutschen (Angelika Pohlenz, General-
Begeisterung über die kürzlich gesammelten Eindrücke in Tunesien © Arne List
Seite 32
Arne List
Schwerpunkt: Frauen in Führung für nachhaltiges©
Wachstum
Mediterranes 1/2012
sekretär Internationale Handelskammer
Deutschland e.V., Deutschland).1
Im Laufe des Frauennetzwerkforums
konnte schließlich jedoch ein deutlich
differenzierteres Bild der arabischen
Frau gezeichnet und die mannigfaltigen
Facetten der Region hervorgehoben werden. Gleichzeitig wurde aber auch die
Situation von deutschen Frauen ausgiebig erörtert und die arabischen Teilnehmerinnen waren von vielen erwähnten
Aspekten der deutschen Sprecherinnen
erstaunt: Deutschland mit seiner weiblichen Kanzlerin würde in den arabischen Ländern häufig als Vorreiter für
Gleichberechtigung und Frauen in Führungspositionen betrachtet. Dass es auch
hierzulande weiterhin große Herausforderungen und hitzige Debatten, wie um
Während die Diskussion rund um die
Quote in Deutschland
noch schwelt, zeigen
sich Frauen in der
arabischen Welt dieser
gegenüber weitaus
weniger distanziert
die Quote, gibt, ist unbekannt. Am Ende
der Veranstaltung hoben somit alle hervor, dass sowohl die deutschen als auch
die arabischen Teilnehmerinnen viel
voneinander gelernt haben und dass es
sowohl prägnante Gemeinsamkeiten als
auch Unterschiede gibt.
Eine interessante Weichenstellung
Die wichtigste Voraussetzung für die
erfolgreiche Gleichstellung von Männern und Frauen und für eine weibliche
Erwerbstätigkeit bildet zugleich auch
einen markanten Unterschied zwischen
Deutschland und den arabischen Ländern: die gesetzliche Grundlage für die
Gleichstellung der Frau. In Deutschland
ist diese bereits seit 63 Jahren fest in
Artikel 3 des Grundgesetzes verankert,
während es in vielen arabischen Ländern weiterhin einer soliden gesetzlichen
Grundlage bedarf: Alle arabischen Staaten – bis auf den Libanon – erklären die
shari’a zur primären Quelle der Gesetzgebung und in einigen Ländern konnten
Reformen bereits zur Verbesserung der
Frauenrolle beitragen. Marokko verabschiedete etwa im Februar 2004 ein reformiertes Familienrecht, die sogenannte Moudawana, welches unter anderem
ein progressiveres Ehe- und Scheidungsrecht einführte (siehe Seite 19). Gleichzeitig herrschen aber auch in vielen als
modern geltenden arabischen Staaten,
wie etwa Jordanien, noch immer Missstände vor und verbieten geschiedenen
Müttern auch heute noch die Wahl eines
neuen Ehepartners bis zum 18. Lebensjahr des gemeinsamen Kindes, wenn sie
das Sorgerecht für ihre Kinder behalten
wollen.
Festzuhalten bleibt jedoch, dass die
Entstehung des Grundgesetzes und somit auch die Entstehung des Artikels zur
Gleichstellung der Frau auch in Deutschland noch nicht allzu lange zurück liegt
und sich in der EMA-Region – vor allem
im Nachgang an den sogenannten „arabischen Frühling“ – eine Weichenstellung
erkennen lässt, die sehr an die Entstehung eben dieses Artikels erinnert: So
hob Eva-Maria Welskop-Deffaa, Leiterin
der Abteilung Gleichstellung des Bundesministeriums für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend, hervor, dass Frauen
– insbesondere Elisabeth Selbert von der
SPD und Helene Weber von der CDU –
damals parteiübergreifend für die Formulierung des dritten Artikels gekämpft
haben. Auch im Zuge des arabischen
Frühlings haben sich Frauen wie auch
Männer für ihre Rechte eingesetzt und
gegen die alten Regime demonstriert,
obgleich die Revolutionen nicht gleichstellungspolitisch begründet wurden.
In diesem Zusammenhang heben auch
die Frauen auf der arabischen Seite hervor, dass die deutschen Erfahrungen
sie durch ihren fortwährenden Kampf
für mehr Gleichberechtigung inspiriert
hätten und es zwischen deutschen und
drabischen Frauen eine besondere VerSeite 33
Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
bindung gäbe (Samar Fatany, Chefredakteurin bei Jeddah Broadcasting, Saudi
Arabien).
Familiäre und gesellschaftliche
Hindernisse auf dem Weg zur
Erwerbstätigkeit
Auch der häufig zitierte und in Deutschland oftmals skeptisch beäugte Islam
ändert nichts an dieser Verbindung, da
dieser der Gleichstellung und der weiblichen Erwerbstätigkeit nicht per se entgegen stehe. Vielmehr müsse immer
auch der Zusammenhang zu der familiären Situation hergestellt werden, da die
weibliche Erwerbstätigkeit insbesondere
durch gesellschaftliche Strukturen eingeschränkt werde, wie etwa durch mangelnde Möglichkeiten der Kinderbetreuung, und sich auch innerhalb der Region
stark unterscheide. (Dina Shokry, Mediterranean Academy of Forensic Sciences,
Ägypten). In Tunesien, Libyen, Jemen
und Marokko werden Frauen bereits jetzt
immer stärker repräsentiert und auch
Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
die Jordanierin Reem Barghouty Damen,
Vorsitzende des Jordan Business and Professional Women, verweist auf Frauen als
„Motor der Gesellschaft“ (Barghouty Damen). In Saudi Arabien hingegen werden
Frauen, Samar Fatany zufolge, nach wie
vor als „minderwertig“ betrachtet: Vielfach käme es vor, dass Frauen ohne die
Zustimmung des Mannes nicht arbeiten
und sich nicht frei fortbewegen dürften,
was auch gesetzlich verankert worden sei.
Aber auch dies liege nicht in der Religion begründet, sondern finde seinen Ursprung viel mehr in Gesellschaftsstrukturen, die sich nur langsam und nicht
ohne Proteste von Extremisten abändern
ließen. Dennoch werden Befürchtungen,
dass neue islamisch geprägte Regierungen wie in Tunesien wieder zu einem
„Rückfall“ des als sehr fortschrittlich geltenden Landes führen würden, mit der
Begründung abgewunken, dass Frauen
sich keinerlei Rückschritt gefallen lassen
würden (Shokry).
Dennoch zeichnet der Gender-Gap Index, welcher die Länder weltweit nach der
Schließung der Geschlechterkluft bewertet, ein durchgängig pessimistisches Bild
der EMA-Region: Insgesamt belegen die
Staaten im Nahen und Mittleren Osten
den letzten Platz im weltweiten Vergleich
und tauchen ab Platz 100 (von 135) überhaupt erst in den Rankings auf. Haifa Al
Kaylani, Gründerin und Vorsitzende des
AIWF, hebt allerdings hervor, dass in den
letzten 15 Jahren große Fortschritte in
der Region erzielt wurden, insbesondere
im Bereich der Bildung: In Kuwait, Katar und Saudi Arabien sind inzwischen
jeweils 67, 63 und 57 Prozent aller Universitätsabsolventen weiblich. Auch sind
Frauen verstärkt – in den Vereinigten
Arabischen Emiraten (VAE), im Oman
und in Saudi Arabien mit jeweils 28, 25
und 17 Prozent – in der Arbeitswelt vertreten und immer mehr Frauen, alleine
20.000 in den VAE, entscheiden sich für
das Unternehmertum (Al Kaylani).
Die Betrachtung dieser Zahlen sagt
allerdings noch nichts über den Frauenanteil auf erster und zweiter Führungsebene aus und gebietet gleichermaßen
die Differenzierung der regionalen Gegebenheiten: Insbesondere die Situation
von Frauen auf dem Land und jener,
die in der Stadt leben, unterscheidet sich
drastisch. „Auf dem Land“, so Zaina
Haddad, welche im libanesischen Tourismusministerium arbeitet, „ist die Karriere einfach weiter weg, […] die Situation ist
eine andere als in den Städten“ (Haddad).
In der Tat sind viele Aspekte der Globalisierung auf dem Land noch nicht so stark
ausgeprägt und auch der Bildungsgrad
speziell von Frauen ist häufig prekär. So
liegt die Analphabetismusrate, welche in
den arabischen Ländern mit 30 Prozent
sowieso recht hoch ist, bei Frauen im
Jahr 2000 bei 66.7 Prozent und auch
2004 sind noch rund 2/3 aller Analphabeten weiblich (UNESCO International
Literacy Statistics, 2008:58; UNESCO
Education for All in the Arab World).
Die Quote als Allheilmittel!?
Viel zutun – wenn auch in anderen Bereichen – gibt es auch in Deutschland.
Betrachtet man die Zahl von Frauen in
Führungspositionen in der Bundesrepublik, kann man an der Implementierung
der Forderung des Grundgesetzes seine
Zweifel haben: So hebt die Führungskräftestudie des Instituts für Arbeitsmarktund Berufsforschung (IAB) hervor, dass
in rund 1,9 Mio. analysierten Betrieben
der Privatwirtschaft in Deutschland 45
Prozent der Arbeitnehmer weiblich sind,
wohingegen nur 24 Prozent der Frauen
auf erster Führungsebene vertreten sind.
Die Zahl nimmt jedoch mit Größe der
Betriebe stetig ab, sodass Firmen ab 500
Mitarbeitern auf erster Führungsebene
nur noch einen Frauenanteil von 4 Prozent haben (IAB-Führungskräftestudie,
2004:6:7). So stoßen Frauen noch häufig an die auf dem Forum vielfach metaphorisch beschriebene „gläserne Decke“
(Schulz-Strelow, Präsidentin von Frauen
in die Aufsichtsräte, FidAR). Durch diese unsichtbare, aber für Frauen auf dem
Karriereweg deutlich spürbare Barriere
bedingt, schafften es führende Frauen
nur selten in die Vorstände und Auf-
sichtsräte hinein: von 490 Vorständen
der 30 größten DAX-Unternehmen sind
gerade einmal elf Frauen und in den Aufsichtsräten sind von 500 Posten lediglich
78 durch eine Frau bestückt, was drei
bzw. vier Prozent entspricht. Deutschland liegt in internationalen Rankings
somit auf Augenhöhe mit Indien, allerdings hinter Brasilien, China und Russland (von Welser, TV-Journalistin und
Vize-Chefin von UNICEF Deutschland).
Zudem erhalten Frauen im Schnitt noch
immer rund 25 Prozent weniger Lohn als
ihre männlichen Kollegen. Somit ist es
kaum verwunderlich, dass in Deutschland die Rufe nach einer Quote in der
Wirtschaft immer deutlicher zu vernehmen sind – sei es nach der „Flexi-Quote“,
die von Familienministerin Schröder
propagiert wird oder der von unter anderem der SPD und den Grünen bevorzugten „starren Quote“. Vielfach heißt es, das
Einführen der Quote sei nicht nur gleichstellungspolitisch wünschenswert und
von der demographischen Entwicklung
her unabänderlich, sondern wirke sich
Begeisterung über die kürzlich gesammelten Eindrücke in Tunesien © Arne List
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Arne List
Schwerpunkt: Frauen in Führung für nachhaltiges©
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© Arne List 1/2012
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Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
auch für Unternehmen gewinnbringend
aus. Außerdem sei die Quote mittlerweile eine Grundvoraussetzung für die Erteilung von Aufträgen innerhalb der EU,
da andere europäische Nachbarländer die
Quote bereits eingeführt und dies fest als
Grundvoraussetzung zur Auftragserteilung etabliert hätten. Außerdem hätten
verschiedene wissenschaftliche Studien
unlängst gezeigt, dass gemischte Teams
und eine gemischte Führung gewinnbringender arbeiten als ihre gleichgeschlechtlichen Pendants.
Dennoch steht, neben den oftmals
männlichen Entscheidungsträgern, auch
manch eine Frau der Quote negativ oder
doch zumindest skeptisch gegenüber:
Sowohl die Handelskammer Hamburg
als auch eine Vertreterin der Internationalen Handelskammer Deutschland
hoben hervor, dass die Quote Zweifel
an den Qualifikationen der Frau auslöse
und auch die Legitimität von Frauen un-
Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
tergrabe. Niemand wolle schließlich als
„die Quotenfrau“ abgestempelt werden
(Nienstedt, Geschäftsführerin und Leiterin des Geschäftsbereichs International
der Handelskammer Hamburg; Pohlenz,
Generalsekretär Internationale Handelskammer Deutschland e.V.)
Während die Diskussion rund um
die Quote in Deutschland noch schwelt,
zeigen sich Frauen in der arabischen
Welt dieser gegenüber weitaus weniger
distanziert: Die Ägypterin Dina Shokry
hob etwa hervor, dass der Begriff Quote zunächst zwar negative Assoziationen geweckt habe, es sich aber dennoch
um einen wichtigen und notwendigen
Schritt handele und auch Reem Barghouty Damen, Vorsitzende des Jordan
Forum for Business and Professional Women, unterstützt mit ihrer Organisation
die Einführung einer Quote – sowohl in
der Politik als auch in der der Wirtschaft.
Dieses Engagement habe bereits einige
Erfolge erzielt. Und in diesem Zusammenhang hob auch Ghlana Mint Cheikh,
welche im mauretanischen Ministerium für Energie, Petroleum und Minen
arbeitet, hervor, dass bereits wesentliche Fortschritte für die Beteiligung der
Frauen an der Politik gemacht wurden:
In dem Matriarchat wurde eine Quote
eingeführt und so konnten Frauen 18
Prozent der Sitze im Parlament und 30
Prozent der Sitze in den Stadträten erlangen (Cheikh). Auch Prof. Dr. Siedentopf,
Honorarkonsul Marokkos und EMAPräsident, betonte, dass das Königreich
Marokko sich in der Vergangenheit besonders durch seine Fortschritte in den
Frauenrechten, der „Moudawana“, und
der Quote in politischen Ämtern hervorgetan habe. Er zeigte sich enttäuscht über
die geringe Positionierung von Frauen in
der kürzlich neu gebildeten Regierung
und signalisierte gleichzeitig Zuversicht,
dass Frauen aus dem politischen und
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gesellschaftlichen Leben im Königreich
nicht mehr wegzudenken seien.
Nachhaltige politische Veränderung
macht ein Umdenken erforderlich
Aller verschiedenen Ansichten zum
Trotz herrscht allerdings sowohl in
Deutschland als auch in der EMA-Region weitläufig Einigkeit darüber, dass
eine nachhaltige politische Veränderung
nicht allein durch die Einführung einer Quote herbeigeführt werden kann.
Schließlich liegen die Gründe für die Benachteiligung der Frau in Deutschland
und den arabischen Staaten vor allem in
den vorherrschenden Arbeits- und Familienkulturen: Frauen sehen sich häufig
mit der Hauptverantwortung für Familie
und Kinder konfrontiert. Da inflexible
Arbeitsmodelle und unzureichende Betreuungsangebote noch immer Karriere und Familie nur schwer in Einklang
bringen lassen, schlagen Frauen vielfach
Führungspositionen entweder aus falscher Bescheidenheit oder aber aus familiärer Rücksichtnahme aus.
Um dies zu ändern, bedarf es vielmehr einem Umdenken in den Köpfen
aller. Besonders wichtig hierfür sind neben der Unterstützung der männlichen
Kollegen und Vorgesetzten insbesondere
auch die Initiativen und Netzwerke –wie
etwa der Vereinigung für Frauen im Management e.V. (FIM), Verband deutscher
Unternehmerinnen e.V. (VdU) und dem
European Women’s Management De-
velopment International Network e.V.
(EWMD). Den bereits genannten Ausnahmen zum Trotz, ist es in Deutschland
bislang allerdings noch häufig schlecht
um die Vernetzung von Frauen bestellt.
Während die Forderung nach mehr
Frauennetzwerken in Deutschland erst
langsam aufkommt, sind die arabischen
Länder hier bereits einen Schritt voraus:
Nicht zuletzt die EMA-Veranstaltung
hat – zur Überraschung der deutschen
Teilnehmerinnen – gezeigt, dass in der
EMA-Region viele diverse Frauenvereinigungen bestehen, die essentielle Arbeit
zur Stärkung der Frau leisten und sich
international austauschen.
Das Frauennetzwerkforum der EMA
setzt genau an diesem Punkt an und unterstützt somit, neben dem Abbau von
Stereotypen, den Austausch von führenden Frauen in Deutschland und den
arabischen Ländern. Dieser Austausch
hilft allen teilnehmenden Personen, Meinungen, Erfahrungen und nicht zuletzt
auch Visitenkarten auszutauschen. Hier
möchte das nächste Forum auch ansetzen: Nach einem ersten Kennenlernen
der jeweiligen Gegebenheiten soll der
Austausch bis hin zu Kooperationen und
Zusammenarbeit auf politischer, wissenschaftlicher und unternehmerischer
Ebene voran getrieben werden. Der Ruf
nach einem regelmäßigen Netzwerk – in
Deutschland und der EMA-Region – war
jedenfalls sehr groß und die Schirmherrin des Forums, die jordanische Prinzessin Sumaya bint el Hassan, hob hervor,
dass die EMA mit der Ausrichtung des
Forums eine Fackel entzündet und die
Weichen für eine weiterführende Kooperation gestellt habe.
1
Alle Zitate stammen von Aussagen des 1.
Deutsch-Arabischen Frauennetzwerkforums oder
aus Interviews, die im Zuge der Veranstaltung am
12. und 13. April geführt wurden.
Clara Gruitrooy
ist Geschäftsführerin
der EMA.
Anna
Wischniewski
absolvierte einen Master in Internationale
Beziehungen und ist
Assistentin der EMAGeschäftsführung.
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Calibration, Conformity,
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Public Awareness,
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Enterprise Creation,
& Social Development
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Schwerpunkt: Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
Mediterranes 1/2012
Seite 37
Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
„Leiden ist überall auf der Welt zu finden
– nicht nur in Entwicklungsländern“
„Die Politik sollte sich erst einmal
selbst quotieren!““
„Gerade im arabischen Raum machen
„Sie wollen die Veränderung ihrer
wir uns zum Teil ein falsches Bild.“
Gesellschaft aus eigener Kraft schaffen“
Prof. Dr. Dina Shokry, Mediterranean Academy
Angelika Pohlenz, Generalsekretär Internationale Handelskammer
Adelheid Sailer-Schuster,
Prof. Dr. h.c. Christa Randzio-Plath, Europaabgeordnete a.D.
of Forensic Science, Ägypten
Deutschland e.V. (ICC) und Aufsichtsratsmitglied der MAN SE
Präsidentin der Bundesbank-Hauptverwaltung in Hamburg,
und 1. Vorsitzende Landesfrauenrat Hamburg
Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein
EMA: Warum haben Sie am 1. Deutsch-Arabischen Frauennetzwerkforum teilgenommen?
Prof. Dr. Shokry: Meine Gedanken und Ziele sind denen der
EMA sehr ähnlich. Ich habe mich gefreut am Forum teilzunehmen, um so mehr Kontakte mit Frauen in Deutschland knüpfen
zu können und Erfahrungen zwischen Europa und der Region
Nahost/Nordafrika auszutauschen. Ich denke, es ist sowohl für
meine Karriere als auch mein Land wichtig, dass ich teilgenommen habe. Überraschenderweise fand ich heraus, dass überall
auf der Welt Leiden zu finden ist – es handelt sich hierbei nicht
um ein Problem, dass allein Entwicklungsländer betrifft, sondern auch in den Industrieländern zu finden ist. Diese Veranstaltung lässt mich auf eine bessere Zukunft hoffen, die viele
Gelegenheiten für die Kooperation zwischen Deutschland und
den anderen EMA-Ländern, aber auch zwischen mir persönlich
und deutschen Partnern, bieten wird.
EMA: Worin unterscheidet sich die Lage der Frauen in Deutschland und in Ägypten am meisten?
Prof. Dr. Shokry: Ich glaube nicht, dass die Unterschiede sehr
groß sind. Natürlich gibt es Unterschiede in der Art wie die Regierungen mit dem Problem umgehen. In Deutschland sind
vielleicht einige Maßnahmen vorhanden, die als „fortschrittlicher“ beurteilt werden können. Aber auch in meinem Land
sind viele Fortschritte zu beobachten – auch wenn wir noch
viele weitere benötigen. Was mich erstaunte, war, dass einige
Teilnehmerinnen und Teilnehmer kein tiefergehendes Wissen
über die arabische Welt besitzen, sondern ihre Vorstellungen
von den Medien übernehmen. Diese Vorstellungen entsprechen manchmal nicht der Realität. Ich denke der persönliche
Austausch wird dazu beitragen, die deutsche Gesellschaft näher an uns heranzurücken. Aber auch die ägyptische Seite kann
so mehr über Deutschland erfahren.
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EMA: Was war für Sie der ausschlaggebende Grund am 1.
Deutsch-Arabischen Frauennetzwerkforum teilzunehmen und
was sind Ihre Erwartungen?
EMA: Was war der ausschlaggebende Grund für Sie, am Frauennetzwerkforum teilzunehmen, und welche Erwartungen
haben Sie an das Forum?
EMA: Was war der ausschlaggebende Grund für Sie am Frauennetzwerkforum teilzunehmen und welche Erwartungen haben
Sie an das Forum?
Pohlenz: Ich fand es interessant zu hören, wie Ihr Länderverein und die Kammer Hamburg ein Deutsch-Arabisches Netzwerk etablieren könnten. Auch interessiert es mich zu sehen,
wo Frauen in Deutschland und den arabischen Ländern vor
gleichen und unterschiedlichen Situationen stehen und ob
man für das eine oder andere gemeinsame Lösungen finden
kann.
Sailer-Schuster: Das Thema Frauen in Führungspositionen
interessiert mich persönlich schon seit langem. Aus diesem
Grunde habe ich für den Großraum Hamburg auch das Frauen Finanzforum ins Leben gerufen mit dem Ziel, ein Netzwerk für Frauen in Führungspositionen in Finanzinstituten
aufzubauen.
Prof. Dr. Randzio-Plath: Ich habe in meiner Zeit als Abgeordnete in Brüssel schon derartige Frauennetzwerkforen mitgemacht. Dies waren immer sehr bewegende Diskussionen,
weil die Frage der Gleichstellung und der Diskriminierung
alle Frauen gleichermaßen betrifft – wenn auch manchmal
durchaus auf anderem Niveau. Die heutigen Antworten, dass
man außer Recht und Regeln auch organisierte Frauenpower
braucht, um das Recht in die soziale Wirklichkeit umzusetzen, sind die Ansätze, weswegen ich an vielen internationalen
Konferenzen teilnehme. Für mich ist heute deutlich geworden, dass die Frauen im arabischen Raum ganz klar sagen, sie
wollen die Veränderung ihrer Gesellschaft aus eigener Kraft
schaffen. Ich finde, das ist eine Aufforderung zur Solidarität.
Ich hoffe, dass dieses über das 1. Deutsch-Arabische Frauennetzwerkforum als Botschaft hinausgeht und dann auch für
die nächsten Foren eine Vorlage ist.
EMA: Stichwort Lösungen: Im Moment ist in Deutschland das
Thema Frauenquote sehr aktuell. Inwiefern unterstützt Ihre Initiative eine Quote zur Gleichstellung von Frauen und Männern?
Pohlenz: Ich bin kein Freund der Quote. Ich will sie gar nicht
haben. Zunächst einmal finde ich, dass die Politik sich erst
einmal selbst quotieren sollte – sowohl in den Parlamenten,
als auch durchaus auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene.
Wenn man von der Wirtschaft verlangt eine wirtschaftliche
Entscheidung so zu treffen, wie es die Politiker wollen, geht es
meistens in die Hose: Politiker haben von der Wirtschaft in der
Regel keinerlei Ahnung. Das ist leider die Erfahrung, die ich
über die letzten 30 Jahre gemacht habe.
Außerdem glaube ich, dass Frauen noch an ihrer Einstellung
arbeiten müssen, bevor sie fordern können mit 30%, 40% oder
50% an der Führungsspitze vertreten zu sein. Die Frauen, die
dies fordern, sind in der Regel sowieso nicht diejenigen, die von
der Quote profitieren würden: Sie bringen vielleicht die nötige
Emanzipation mit, nicht aber die nötige Qualifikation. Deswegen halte ich gar nichts von der Quote.
Schwerpunkt: Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
Im Laufe meines beruflichen Lebens, und nicht zuletzt auch
in der Bundesbank, habe ich festgestellt, dass Deutschland
sehr rückständig ist, was Frauen in Führungspositionen anbetrifft, und dies gilt in besonderem Maße im Finanzsektor.
Um hier Abhilfe zu schaffen, lohnt es sich immer, über den
Tellerrand zu blicken. Ich glaube, insbesondere in Bezug auf
die Rolle der Frau in arabischen Ländern ist unser Bild vielfach verzerrt, denn dieses ist weitgehend geprägt von den hier
lebenden Zuwanderern. Dabei sind die Unterschiede innerhalb der arabischen Welt ungeheuer groß. In einigen Ländern
nehmen Frauen bereits hervorragende Führungspositionen
ein - das konnten wir ja auch im Zuge des Frauennetzwerkforums erleben.
EMA: Was sind da Ihrer Meinung nach die größten Gemeinsamkeiten und was die größten Unterschiede zwischen Frauen in Deutschland und Frauen im arabischen Raum?
Sailer-Schuster: Ich kenne die arabische Welt leider noch nicht
ausreichend, aber der Konferenz nach zu urteilen, spielen religiöse, kulturelle und familiäre Aspekte in den arabischen
Staaten eine wesentlich größere Rolle als bei uns, insbesondere auch bei der ländlichen Bevölkerung.
Mediterranes 1/2012
EMA: Was sind Ihrer Meinung nach die größten Gemeinsamkeiten und was die größten Unterschiede zwischen Frauen in
Deutschland und Frauen im arabischen Raum?
Prof. Dr. Randzio-Plath: Bei den Frauen, die aus gebildeten
Schichten stammen, sehe ich keinen großen Unterschied.
Natürlich sind sie an andere Regeln gebunden, aber auch wir
haben eine Religion und Gesetze, die viele Frauen prägen. Die
geringe Frauenerwerbsquote in den arabischen Ländern zeigt
jedoch, wie wenig Frauen dort in die Gesellschaft integriert
sind und dies ist, glaube ich, der größte Unterschied zwischen
Frauen in Deutschland und den arabischen Ländern. Der Zugang zum Arbeitsmarkt sind wichtige Hebel, um die Integration von Frauen in die Gesellschaft voranzubringen. Dies ist in
Europa anders gelungen, als in den arabischen Staaten.
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Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
„Saudi Arabien hat
eine Geschichte zu erzählen“
Samar Fatany, Chefredakteurin bei Jeddah Broadcasting, Saudi Arabien
EMA: Was hat Sie zu der Entscheidung
bewogen, am 1. Deutsch-Arabischen
Frauennetzwerkforum teilzunehmen?
weibliche Mitglieder des Shura-Rates geben und Frauen werden eine Stimme in der Regierung erhalten. Und innerhalb
der nächsten zwei Jahre werden Frauen bei Kommunalwahlen
antreten. Die Präsenz von Frauen im Shura-Rat kann mit Sicherheit einen Wandel herbeiführen!
EMA: In Deutschland wird die Beziehung zwischen Menschenrechten, speziell der Gleichheit der Geschlechter, und
dem Islam oft als kritisch betrachtet. Wie wird diese Beziehung in Saudi-Arabien wahrgenommen?
Fatany: Dem Thema Menschenrechte und Frauenrechte im
Islam wird in Saudi-Arabien und im Ausland hohe Beachtung
geschenkt. Saudische berufstätige Frauen spielen eine große
Rolle im Abbau von Stereotypen der unterdrückten und ungebildeten arabischen Frau. Diese Frauen haben begonnen,
ein neues Frauenbild zu prägen und ihre progressiven muslimischen Identitäten durchzusetzen. Ihre Teilhabe in öffentlichen Delegationen bietet ihnen die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme mit internationalen Institutionen und zum
Auf bau von Partnerschaften, die dazu dienen, an globalen
Zielen und der Bewältigung von globalen Herausforderungen
mitzuarbeiten.
Samar Fatany: Die Einladung zur Teilnahme am 1. Deutsch-Arabischen Frauennetzwerkforum war für mich eine
große Ehre. Saudi-Arabien hat eine Geschichte zu erzählen und die Teilnahme
am Forum war wichtig, um ein richtiges
Bild der saudischen Gesellschaft und der
Rolle der saudischen Frau zu zeichnen.
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Ihr Erfolg ist unser
Anliegen.
EMA: Was beinhaltet das „richtige Bild
der saudischen Gesellschaft und der
saudischen Frau“?
Auf Anhieb sympathisch: Hamburgs Senatorin für Gleichstellung und Justiz empfing das Deutsch-Arabische
Frauennetzwerk im Rathaus © Arne List
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Fatany: Frauen machen in Saudi-Arabien 54 Prozent der Hochschulabsolventen aus. Es gibt viele hochqualifizierte
und talentierte Frauen, die in großen
Unternehmen und bei staatlichen Stellen sehr gefragt sind. Ihr Enthusiasmus
und ihr Einsatz haben zu ihrem Erfolg
und ihrer Integration in die Arbeitswelt
beigetragen. Somit besteht heute weniger Widerstand in konservativen Familien gegenüber Frauen, die arbeiten
gehen wollen und ein großer Anteil der
Bevölkerung begrüßt die Teilhabe von
Frauen in vielen Bereichen, die in der
Vergangenheit für sie tabu waren. Auch
die Führung Saudi-Arabiens lässt die
Inklusion von Frauen in den Entscheidungsfindungsprozess schrittweise zu:
In den kommenden vier Jahren wird es
Schwerpunkt: Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
Saudische Unternehmerinnen besitzen ein großes Potential globale Partner zu werden, die zum interkulturellen Verständnis und zum globalen Wohlstand beitragen. Um einen
besserem Beitrag zur Gesellschaft und zur globalen Wirtschaftsentwicklung leisten zu können, verdienen sie mehr
Aufmerksamkeit und die Chance, neue Ideen, Lösungen und
Perspektiven voranzubringen. Die internationale Gemeinschaft kann die Partizipation saudischer Frauen unterstützen, indem sie Beiträge von ihnen in gemeinsamen Projekten
der verschiedenen Religionen oder in humanitären Organisationen möglich macht. Ihre Mitarbeit in Initiativen, die auf
die Bewältigung globaler Herausforderungen abzielen, kann
einen Beitrag zum internationalen Verständnis muslimischer
Ansichten beitragen. Wenn ihnen die Möglichkeit gegeben
wird, können Frauen eine effektivere Rolle in der Vertrauensbildung spielen und den Abbau von Angst und Misstrauen
mit vorantreiben.
Der neue EMA-Stellenmarkt:
http://jobmarket.ema-germany.org
Im Dienst der wirtschaftlichen
Entwicklungszusammenarbeit
Mediterranes 1/2012
Seite 41
Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
„In Deutschland
muss ein Umdenken stattfinden“
Interview mit Maria von Welser, TV-Journalistin und Publizistin sowie
Vice Chair von UNICEF Deutschland
unseren sicherlich ganz unterschiedlich gearteten Problemen
erzählen. Wie ich in meinem Vortrag erwähnt habe, gibt es
eine Weichenstellung, die mich sehr an die Entstehung des
Paragrafen zur Gleichberechtigung im Grundgesetz erinnert:
Dieser Paragraf wurde unter großem, überparteilichem Druck
der Frauen durchgesetzt. Die Frauen in den arabischen Ländern haben jetzt eine gleiche Situation: Sie müssen sich jetzt
in die Gesetzgebung einbringen und haben diesen ganzen
Weg, den wir schon hinter uns, aber noch nicht vollkommen
bewältigt haben, noch vor sich.
EMA: Sie haben im Zuge des Forums häufiger gefordert, dass
ein Umdenken stattfinden müsse.
von Welser: Ich denke, dass in Deutschland ein Umdenken
stattfinden muss. Wir brauchen einen Kulturwandel in den
Köpfen – auch in den Köpfen der Männer. Es muss aus den
Köpfen raus, dass Frauen, nur weil sie weniger bekommen –
ich sage bewusst nicht verdienen – eher zu Hause bleiben und
15 oder 20 Jahre lang auf die Kinder aufpassen. Wir brauchen
einen Kulturwandel in Deutschland, sonst kommen uns die
gut ausgebildeten Frauen abhanden und gehen ins Ausland,
wo sie leichter Karriere machen können.
EMA: Wie stehen Sie der Quote gegenüber?
von Welser: In den börsennotierten Unternehmen in Deutschland sitzen gerade einmal drei Prozent Frauen in den Vorständen und vier Prozent in den Aufsichtsräten. In realen Zahlen wird dieses Verhältnis noch klarer: von 490 Vorständen
in den 30 größten DAX-Unternehmen sind sage und schreibe
11 Frauen vertreten. Von 500 Aufsichtsräten sind 78 weiblich.
Damit liegt Deutschland im internationalen Ranking schlechter als Brasilien, China und Russland – immerhin aber auf
Augenhöhe mit Indien. Gleichzeitig mangelt es aber nicht an
Frauen mit Qualifikationen: Im ganzen Land schließen mehr
Frauen als Männer ihr Studium ab. Darum brauchen wir eine
Quote! Eine zeitlich begrenzte, qualitative Quote, quer durch
alle Bereiche.
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EMA-Forum für
den Mashrek
und den Golf
am 30. & 31. Oktober 2012
im Europasaal des
Auswärtiges Amts,
Werderscher Markt 1
10117 Berlin
Bedeutsames Fazit von Deutschlands prominentester Publizistin © Arne List
EMA: Was war für Sie der ausschlaggebende Grund am Frauennetzwerkforum teilzunehmen?
folgt haben, gerne wissen: Was passiert mit denen? Schaffen
sie es wirklich in die Regierungen, in die Parlamente?
Maria von Welser: Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir
uns vernetzen müssen! Außerdem möchten wir, mit Blick auf
den arabischen Frühling, wo wir die Frauen alle gesehen und
begeistert in den Blogs, im Internet und im Fernsehen ver-
EMA: …und welche Erwartungen haben Sie an das Forum?
Seite 42
www.ema-germany.org
Im Dienst der wirtschaftlichen
Entwicklungszusammenarbeit
von Welser: Meine Erwartungen an das Forum sind vor allem,
dass wir einander kennen lernen und dass wir einander von
Schwerpunkt: Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
Mediterranes 1/2012
Seite 43
Logistik, Infrastruktur und Handel
Logistik, Infrastruktur und Handel
Investitionen für Tourismus
und Infrastruktur
Das Haschemitische Königreich Jordanien
von Iyad Shraim
J
ordanien ist ein Land, das bemüht
ist, sich einen Platz auf der Karte der
globalisierten Tourismuslandschaft
zu reservieren und einen Ruf als beliebtes Reiseziel zu erlangen. Für Jordanien
© Iyam
Seite
44Shraim
spielt der Tourismus eine wichtige Rolle,
denn er machte im Jahr 2010 gut 12,4
Prozent des BIP aus und gehört damit zu
den bedeutendsten Wirtschaftssektoren
des Landes.
Auf kleiner Fläche vereint Jordanien
eine Vielzahl an einzigartigen Sehenswürdigkeiten, die auf eine lange Kulturgeschichte zurückblicken lassen. Der Bogen spannt sich von Jahrtausende alten
Schwerpunkt: Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
Siedlungen, über Städte der griechischrömischen Antike bis zur altarabischen,
byzantinischen und islamischen Kultur.
Bestens erhaltene römische Ruinen liegen in der Nachbarschaft zu den beeindruckenden Wüstenschlössern der
Umayyden und mächtigen Kreuzritterburgen. In diesem Jahr feiert Jordanien
die Wiederentdeckung der „rosaroten“
Felsenstadt Petra, welche zu den Neuen
Sieben Weltwundern und zum UNESCOWeltkulturerbe zählt. Durchquert man
das Land von Norden nach Süden, zeigen sich dem Besucher die unterschiedlichsten Landschaften: vom grünen und
fruchtbaren Bergland im Norden bis zur
atemberaubenden Wüste von Wadi Rum
im Süden. Im Osten stellt das äußerst
salzhaltige Tote Meer den tiefsten Punkt
der Erde mit einer landschaftlichen Einmaligkeit dar. Auch das bei Aqaba beginnende Rote Meer ist mit seinen Korallen-
© EMA e.V. 1/2012
Mediterranes
riffen ein beliebter Ferienort.
Der Besucher hat allen Grund, sich
in diesem Land wohl zu fühlen. Überall
begegnet ihm die sprichwörtliche Gastfreundschaft der Jordanier. Dazu ist ihm
ein angenehmes und warmes Wetter in
den meisten Monaten des Jahres sicher,
da Jordanien in der Übergangszone vom
Mittelmeerklima, bis hin zum kontinentalen Wüstenklima liegt. Ein weiterer
Vorteil für die europäischen Touristen ist
die relativ kurze Anreise.
Unterschiedliche strukturelle Gegebenheiten erschweren jedoch die Arbeit
im Tourismussektor und mindern dessen Beteiligung an der gesamten Entwicklung des Landes. So konzentrieren
sich die Investitionen im Tourismusbereich im Wesentlichen auf drei Standorte, nämlich Amman (Zentrum), Aqaba
(Süden) und Wadi Musa in der Nähe der
historischen Stadt Petra (Süden). Diese
Tatsache führt zwangsläufig dazu, dass
breite Schichten der Bevölkerung nicht
direkt vom Tourismus profitieren und
dass eine einheitliche Entwicklung der
Infrastruktur in weiten Teilen des Landes nicht sichtbar wird.
Die Lage des Haschemitischen Königreichs von Jordanien ist zugleich ein Segen und ein Fluch. Das Land zählt zwar
zu den sichersten Ländern der Welt, liegt
jedoch in einer von Unruhen geplagten
Region: dem Nahen Osten. Sobald eine
Instabilität am Horizont auftaucht, sinkt
die Zahl der Touristen, die sich für Jordanien als Reiseziel entscheiden und somit
auch die Einnahmen der Devisen durch
den Tourismus. Nach dem sogenannten
„arabischen Frühling“ sind die Besucherzahlen im zweiten Quartal des Jahres 2011 um ca. 26 Prozent und im dritten Quartal um ca. 30 Prozent zurück
gegangen. Die Zahl der Beschäftigten im
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Logistik, Infrastruktur und Handel
Tourismussektor ist zwar seit mehreren
Jahren permanent gestiegen und betrug
im Jahr 2010 knapp 42.000 Personen;
sie ist allerdings seit Herbst des Jahres
2011 ebenfalls rückläufig. Der jordanische Minister für Tourismus sprach vor
wenigen Wochen von Verlusten des Tourismussektors im vergangenen Jahr in
Höhe von einer Milliarde US Dollar. So
ermöglichen die geschilderten Probleme
keine nachhaltige Entwicklung des Tourismus in Jordanien.
Tourismus der Zukunft:
Kooperation und Nachhaltigkeit
durch vier Pfeiler
Mit Blick auf die Zukunft arbeitet die jordanische Regierung in Kooperation mit internationalen Partnern daran, den Nutzen
des Tourismus zu vermehren und seine
negative Wirkung auf die Umwelt und auf
die archäologischen Stätten zu mindern.
Der zweite Anlauf der „Nationalen Strategie für Tourismus 2011-2015“ begann 2011.
Diese fünfjährige Strategie knüpft an vorangegangene Pläne an und stützt sich auf
vier Pfeiler: Der erste Pfeiler fokussiert
eine verbesserte Vermarktung von Jordanien, um mehr Menschen auf das Land
aufmerksam zu machen. Das erstrebte
Ziel für das Jahr 2015 ist es, die Zahl der
Touristen auf 9,4 Millionen zu erhöhen,
die Einnahmen von 4,2 Milliarden jordanische Dinar (Dinar ≈Euro) und damit ein
BIP von 15 Prozent zu erreichen sowie die
die Einnahmen des einheimischen Tourismussektors auf 30 Prozent zu erhöhen.
Der zweite Pfeiler sieht die Verbesserung der Infrastruktur vor: Erweiterung
des Queen Alia International Airport,
mehr Firmen für Reisebusse, mehr Hotels und Restaurants. Das bedeutet auch
die Konzentration auf die kulturellen und
natürlichen Besonderheiten, um vielfältige qualitative Reiseangebote machen zu
können. Lange Zeit galten Kultur- und
Studienreisen sowie biblische Reisen als
die wichtigsten Reisearten in Jordanien.
Jetzt wird geplant, den Tourismus auf
ein breiteres Fundament zu stellen. So
spielt der medizinische Tourismus eine
wachsende Rolle. In diesem Zusammenhang wird das Tote Meer mit seinem heilenden Salzwasser und Mineralien vom
Seite 46
Logistik, Infrastruktur und Handel
Grund des Meeres und wohltuenden
klimatischen Bedingungen beworben.
Für einen Kururlaub eignen sich weiterhin Mineralquellen wie z. B. Hammamat
Main nahe des Toten Meeres. Da das
Gesundheitswesen generell einen guten Ruf genießt, werden darüber hinaus
Patienten aus dem arabischen Raum in
jordanischen medizinischen Einrichtungen behandelt. Zurzeit liegen z.B. viele
Patienten aus Libyen, dem Jemen und
Syrien in den privaten Krankenhäusern.
Ökotourismus, Sport- und Abenteuertourismus, Wellness-Tourismus, Meetings
und Event-Tourismus werden allmählich
neben den klassischen Reisen angeboten.
Der dritte Pfeiler legt das Augenmerk
auf eine gute Ausbildung für die Beschäftigten im Tourismus. Die Zahl der
Beschäftigten soll erhöht werden, um
die Nachfrage des Sektors nach Personal
zu stillen und gleichzeitig 25.000 neue
Arbeitsplätze und entsprechende Ausbildungsinstitute für Tourismusberufe
über die Laufzeit des Plans zu schaffen.
Zuletzt sorgt der vierte Pfeiler für eine
Anpassung und Erneuerung der Gesetze und Vorschriften, um den gesamten
Prozess bezüglich folgender Punkte zu
erleichtern: Formalitäten des Ein- und
Ausreisens, Investitionen und Berufe in
der Tourismusbranche.
Tourismus als Chance für
Arbeitnehmerinnen
Zweifelsohne bildet der Tourismus auch
ein neues Terrain für jordanische Frauen und bietet ihnen zugleich eine weitere Möglichkeit, sich produktiv an diesem
wichtigen Sektor zu beteiligen. Frauen
waren im Jahr 2011 mit 4338 – ein kleiner
Teil sind ausländische Frauen – von insgesamt 41.749 Beschäftigten vertreten. Sie
sind in erster Linie in der Verwaltung von
Reiseagenturen und Hotels, aber auch als
Reiseleiterinnen tätig. Ebenfalls wurden
in einigen weniger entwickelten Regionen
des Landes Projekte gestartet, mit deren
Hilfe Frauen für ihren Lebensunterhalt
aufkommen können. Diese Projekte zielen darauf, neue Arbeitsmöglichkeiten
für Frauen zu schaffen, aber auch traditionelle kunsthandwerkliche Berufe, wie
Teppich- und Textilproduktion und Silber-
verarbeitung, aufrechtzuerhalten. Als Beispiel kann die im Jahre 1985 gegründete
Mit diesen Strategien
wird Jordanien noch
wettbewerbsfähiger und
die Zahl der Touristen
voraussichtlich erhöht,
die Erhaltung der
Umwelt und der
archäologischen Stätten
gleichzeitig geachtet
Bani Hamida Frauen Weberei dienen. Die
nach Mustern der Wüstenstämme handgearbeiteten Produkte werden direkt an
die Touristen verkauft und in zahlreichen
Tourismusmessen weltweit ausgestellt.
Von diesem Projekt profitieren mehrere
Hundert Beduinenfamilien und es wird
zurzeit von Jordan River Foundation unter
der Schirmherrschaft von Königin Rania
betreut.
Mit diesen Strategien wird Jordanien
noch wettbewerbsfähiger und die Zahl
der Touristen voraussichtlich erhöht, die
Erhaltung der Umwelt und der archäologischen Stätten gleichzeitig geachtet.
Durch die Öffnung der Tür für den privaten Sektor bieten sich für jordanische
und ausländische Unternehmen sehr
gute Chancen, in diesem Bereich zu investieren.
Iyad Shraim
promoviert zurzeit
an der Universität
Münster zum Thema
„Klon-Mensch in der
Literatur im Spannungsfeld zweier
Kulturen“. Außerdem
arbeitet er als Fremdenführer für deutschund französischsprachige Reisegruppen im
Königreich Jordanien.
Schwerpunkt: Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
Standards beim Im- und
Export von Konsumgütern
Einblick in ein global agierendes Prüf-, Inspektions- und
Zertifizierungsunternehmen
von Irina Baerenwald
W
er für sich und seine Familie
auf dem stark umkämpften
Fashion-Markt nach Kleidungsstücken sucht, blickt längst nicht
mehr nur auf den Preis. Zunehmend
achten die Kunden darauf, dass sie ihr
Geld in qualitativ hochwertige Artikel investieren, die auch längerfristig nutzbar
bleiben, die nachhaltig sind und hohen
Tragekomfort bieten: so müssen Schuhe
nicht nur hohen Ansprüchen ans Design
genügen. Soll der Kunde eine langfristige Markenpräferenz aufbauen, müssen
sie auch fachlich einwandfrei fabriziert
und frei von Schadstoffen sein. Konsumenten, die Lederwaren kaufen, sind
zunehmend gewillt, einen Aufpreis für
hohe Qualität und langfristige Nutzbarkeit zu zahlen. Tests von Ledergürteln,
Schuhen, Handschuhen und Oberbekleidung werden unerlässlich, um dem
Kundenklientel glaubhaft zu vermitteln,
dass die Waren authentisch und frei von
gesundheitsschädigenden Chemikalien
sind und langfristig den Belastungen des
Alltagsgebrauchs standhalten.
Importregulierungen in Ägypten
In diesem Zusammenhang hat ÄgypMediterranes 1/2012
© Intertek
ten, ein wachsender Markt für die Textilbranche, kürzlich ein Programm zur
Importregulierung von Textilien, Kleidungsstücken, Teppichen, Schuhen und
Taschen eingeführt. Damit soll sichergestellt werden, dass ägyptische Konsumenten hochqualitative Waren kaufen,
die den vorgegebenen Sicherheits- und
Qualitätsstandards genügen. Die Einhaltung dieser Regulierung erfordert
den Erwerb eines Inspektionszertifikates
(Certificate of Inspection = CoI) für jede
Warensendung, die diese regulierten
Produkte beinhaltet. Das CoI können
nur ISO 17020-zertifizierte Inspektionsgesellschaften ausstellen, die bei
der ägyptischen General Organization
for Export and Import Control (GOIEC)
anerkannt und registriert sind. Warensendungen mit regulierten Produkten
müssen auf die Einhaltung ägyptischer
Standards und auf die grundlegenden
Anforderungen hin überprüft und verifiziert werden. Der Überprüfungsprozess
umfasst die physische Wareninspektion
und gegebenenfalls die Probenahme zu
Testungszwecken beziehungsweise die
Vorlage aktueller Testberichte. Intertek
ist von GOIEC anerkannt und registriert,
das CoI auszustellen.
Strikte Anforderungen auch in Saudi
Arabien
Ägypten ist jedoch nicht das einzige Land,
das derartige Regulierungsprogramme
einführt. Eine Vielzahl von Regierungen
hat entsprechend strikte Anforderungen
Seite 47
Logistik, Infrastruktur und Handel
erlassen: So führte das Königreich Saudi Arabien vor 16 Jahren als erstes Land
ein Conformity Assessment Programme
ein. Es bediente sich dabei einer klaren Vorstellung der anzuwendenden
Schutzmaßnahmen für die öffentliche
Gesundheit und den saudischen Konsumenten. Intertek entwickelte seinerzeit
das erste Programm. Seither arbeitet Intertek mit dem saudischen Ministerium
für Handel und Industrie (MoCI) an der
Gewährleistung eines breiten Angebots
qualitativ hochwertiger Produkte für saudische Konsumenten. Das ist vor dem
Hintergrund besonders erwähnenswert,
dass in Saudi Arabien ein beträchtlicher
Markt für alle Arten von Konsumgütern
inklusive Kleidung, Pflegeprodukte und
Kosmetika besteht. Exporteure müssen
ein Konformitätszertifikat (Certificate of
Conformity = CoC) erwerben, um ihre
Waren am saudischen Zoll abwickeln zu
können. Das betrifft alle Produkte mit
Ausnahme von medizinischen Geräten
und Artikeln, Nahrungsmitteln sowie
Waren für den militärischen Gebrauch.
Logistik, Infrastruktur und Handel
Die Anforderungen für das CoC
umfassen qualitative und sicherheitsbezogene Aspekte. Es gibt strikte Regulierungen für die bei der Herstellung
verwendeten Substanzen. So hat zum
Beispiel die Saudi Food & Drug Authority (SFDA) kürzlich veröffentlicht, dass
Mundwasser und ähnliche Produkte, die
Alkohol beinhalten, von der Einfuhr nach
und dem Verkauf in Saudi Arabien ausgeschlossen sind! Darüber hinaus gibt es
Vorschriften bezüglich der Markierung
der Waren. Das betrifft beispielsweise
die Angabe des Herkunftslandes und
sprachliche Anforderungen an die Bedienungsanleitungen. Die Einhaltung der
saudischen Anforderungen ist ein zwingendes Erfordernis.
Weitere Länder der EMA-Region
ziehen nach
Auch das Handelsministerium von Algerien hat im März 2011 alle Importeure erinnert, dass sie für jede Warensendung,
die auf algerisches Territorium einge-
führt werden soll, einen Konformitätsnachweis beim Zoll vorzulegen haben.
Damit wird sichergestellt, dass sie die
betreffenden regulatorischen und gesetzlichen Bestimmungen einhalten. Diese
Anforderungen bestehen für alle Produkte inklusive aller Konsumgüter.
Ähnliche Programme gibt es auch für
weitere arabische Länder, wie beispielsweise Katar und Kuwait. Dieses soll sicherstellen, dass die jeweils lokalen Konsumenten vor Ausschussware, die den
gängigen Qualitätsanforderungen nicht
entspricht, geschützt werden. Unternehmen, die in Länder mit bestehenden
Regulierungsprogrammen exportieren,
müssen sich der jeweiligen Anforderungen bewusst sein. Die Nichteinhaltung
kann zu Kosten und Verspätungen bei
der Zollabwicklung, zu Strafzahlungen
und Retouren von Warensendungen ins
Exportland führen. Intertek hilft den
Exporteuren dabei, die Qualitätsanforderungen einzuhalten und mithilfe der
Inspektionsdienstleistungen das notwendige Konformitätszertifikat zu erwerben. Mit bislang 1,5 Millionen ausgestellten Zertifikaten und Testberichten
ist Intertek ein fachkundiger Partner
für Exporteure und Importeure, um die
an ihre globalen Warenflüsse gestellten
strengen Export- und Importregulierungen einzuhalten.
Hamburg als Logistikstandort
Die Ladies Logistics Lounge Hamburg als Initiative
für mehr Frauen in der Logistik
von Ute Sachau-Böhmert
N
ach einer Umfrage von SCI
Verkehr, die kürzlich von der
Logistik-Initiative
Hamburg
vorgestellt wurde, hat Hamburg seine
Position als Logistikstandort weiter ausgebaut. Zwei Drittel der Unternehmen
der Branche verbuchten 2011 ein ver-
bessertes Geschäftsjahr und ein Drittel
der Firmen will in diesem Jahr Personal einstellen. Es wird für die Unternehmen aber zunehmend schwieriger,
qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen und diese auch zu
halten.
Die Logistik-Initiative Hamburg will
mit ihrem Arbeitsschwerpunkt und Jahresthema „Menschen machen Logistik“
verstärkt Bevölkerungsgruppen ansprechen, die bisher noch nicht so stark in
der Logistikbranche vertreten sind – wie
beispielsweise Frauen. Gemäß dem Ar-
Irina Baerenwald
ist die Managerin
von Intertek Commodities, Government
and Trade Services in
Deutschland. Intertek
ist ein führender Anbieter von Qualitätsund Sicherheitslösungen für eine Vielzahl
an Branchen weltweit, der über langjährige
Erfahrung und ein weltweites Netzwerk aus
mehr als 1.000 Laboren und Büros sowie
33.000 Mitarbeitern in über 100 Ländern
verfügt. Die Intertek-Gruppe (LSE: ITRK)
ist an der Londoner Börse im FTSE 100
Index gelistet.
Qualität hat ihren Preis – wenn man sie nicht ausreichend prüft © Intertek
Seite 48
Schwerpunkt: Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
© Flickr_naturalbornstupid
Mediterranes
1/2012
Seite 49
Logistik, Infrastruktur und Handel
beitskräftemonitoring der Süderelbe AG
(w w w.hamburg-logistik.net/logistikarbeitsmarktmonitoring.html) sind nur
rund 17 Prozent der Beschäftigten in
der Logistikbranche der Metropolregion
Hamburg weiblich – dort besteht also
noch viel Potential. Aus der Studie „Qualifizierung in der Logistik – Anforderungen am Standort Hamburg“, die 2012 von
Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Kersten und
Dr. Meike Schröder vom Institut für Logistik und Unternehmensführung der
TU Hamburg-Harburg erstellte wurde,
ergibt sich, dass die Mehrzahl der Unternehmen Interesse daran hat, ihren Frauenanteil auszubauen. Die Besetzung der
Stelle hängt jedoch einerseits stark von
der zu tätigenden Aufgabe ab. Für viele
potentielle Bewerberinnen sind andererseits familiengerechte Angebote von
zentraler Bedeutung. Ein gutes Beispiel
gibt es in Hamburg-Allermöhe: die dort
ansässigen Unternehmen finanzieren
gemeinsam eine Kita am grünen Rand
Logistik, Infrastruktur und Handel
eines Gewerbegebiets. Die Einrichtung,
die im Herbst 2012 eröffnet werden soll,
hat von vier Uhr morgens bis 22 Uhr geöffnet, so dass die Kinderbetreuung auch
im Schichtbetrieb sichergestellt werden
kann. Ein Leitfaden mit Praxisbeispielen
aus Logistik-Unternehmen in der Metropolregion und Vorträge im Rahmen der
für den 21. Juni geplanten Jahreskonferenz „Menschen machen Logistik“ geben
weitere Anregungen für eine familiengerechte Personalpolitik (www.hamburglogistik.net).
Die Logistics Ladies Lounge
Hamburg
Darüber hinaus werden Frauen zunehmend auch selbst aktiv und vernetzen
sich untereinander: im Juni 2010 fand
in den Räumen der Hamburger Hafen
und Logistik AG die Auftaktveranstaltung für die „Ladies Logistics Lounge
Hamburg“ (LLL) statt. Britta Kahlfuss,
Geschäftsführerin der Beracom GmbH
& Co KG und Sprecherin der Regionalgruppe Hamburg des Bundesverbandes
Logistik (BVL) hatte die Idee für die LLL
und konnte dafür weitere Mitstreiterinnen gewinnen. Die BVL-Vertreterin plant
Es geht nur selten
um frauenspezifische
Fragestellungen
seitdem gemeinsam mit Christine Beine
(Handelskammer Hamburg), Ute Sachau-Böhmert (Behörde für Wirtschaft,
Verkehr und Innovation) und Carmen
Schmidt (Logistik-Initiative Hamburg)
die in der Regel einmal im Quartal stattfindenden Netzwerkveranstaltungen für
weibliche Fach- und Führungskräfte aus
der Logistikbranche. Im Rahmen der
inhaltlichen Diskussionen geht es nur
selten um frauenspezifische Fragestellungen; im Vordergrund stehen Diskussionen zu Fachthemen wie beispielsweise
Marketingkonzepte und Logistikketten.
Ziel der Treffen ist es, über fachliche Themen Ideen für den beruflichen Alltag zu
entwickeln, Kontakte herzustellen und
bisher unbekannte Kompetenzen der
Fachfrauen zu entdecken, die dann beispielsweise im Rahmen größerer Konferenzen auch einem breiten Publikum zu
Gute kommen können.
Die Veranstaltungen der Ladies Logistics Lounge werden auf der Seite der BVL
(www.bvl.de/hamburg/regionalgruppehamburg) angekündigt; die Teilnahme
ist allerdings nicht auf Mitglieder beschränkt. Wer in den speziellen Einladungsverteiler aufgenommen werden
möchte, kann eine formlose E-Mail mit
der Bitte um Aufnahme in den LLL-Verteiler an die Organisatorinnen (z.B. an
[email protected].
de) schreiben und erhält dann zu jeder
Veranstaltung eine gesonderte Mail. Da
die Teilnahme in der Regel auf 50 Personen beschränkt ist, empfiehlt sich
eine frühzeitige Anmeldung. Die LLL
soll aus dem Kreis der Teilnehmerinnen
weiterentwickelt werden, daher sind die
Initiatorinnen für Angebote als Gastgeberinnen und für fachspezifische Themen
sehr offen.
Logistics Ladies:
Auch überregional tätig
Nach der positiven Resonanz in Hamburg gab es in den letzten beiden Jahren
bereits am Rande des Deutschen Logistik-Kongresses in Berlin überregionale
Treffen der Logistics Ladies. Auf dem 29.
Deutschen Logistik-Kongress, der vom
17.-19. Oktober 2012 unter dem Thema
„Exzellent vernetzt“ stattfindet, wird auf
Anregung der Ladies Logistics Lounge
das Thema „Mixed Leadership“ erstmals
in einem Workshop aufgegriffen. Ganz
sicher wird dabei das Thema „Frauen in
der Logistik“ eine zentrale Rolle spielen
– gemeinsam mit nationalen und internationalen Logistics Ladies und Logistics
Gentlemen. Aber auch Frauen aus aller
(Logistik-) Welt sind dazu herzlich willkommen.
Ute SachauBöhmert
ist Referatsleiterin
für Standortpolitik
und Qualifizierungsinitiativen Sonderprojekte in der Behörde für Wirtschaft,
Verkehr und Innovation der Freien und
Hansestadt Hamburg. Ihre besonderen
Schwerpunkte liegen im Bereich der Qualifizierungsinitiativen Logistik und Maritimes sowie dem Querschnitts-Thema
Frauen als Fach- und Führungskräfte.
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Seite 51
Zivilgesellschaft, Politik und Kultur
Zivilgesellschaft, Politik und Kultur
Die nächste Phase der
Entwicklungspolitik?
Entscheidende Impulse aus dem arabischen Frühling
von Gabriele Köhler
Ägyptische Expertin Hoda Salah setzt sich für die UN Frauenrechtskonvention CEDAW ein © Flickr_USAID_Images, EMA e.V.
D
ie Welt ist gespalten: in arm
und reich; in politisch Mächtige und sozial Ausgegrenzte;
in Highflyer, die mit Rohstoffen oder
in der Kreativwirtschaft agieren, und in
Tagelöhner, die trotz härtester Arbeit ein
Leben unter dem Existenzminimum verbringen. Das ist, salopp ausgedrückt, der
Hintergrund für die Millenniumsentwicklungsziele, von der Generalversammlung der Vereinten Nationen im
Jahr 2000 verabschiedet. Es handelt sich
bekanntlich um ein Programm zur sozialen Gerechtigkeit, mit kontrollierbaren
Zielvorgaben zu Hunger, Armut, Mütter- und Kindersterblichkeit, Bildungs-
Seite 52
niveau, HIV-AIDS, Umweltschutz, und
Geschlechtergleichbehandlung, die bis
spätestens 2015 einzulösen wären.
Die Millenniumsentwicklungsziele
der Vereinten Nationen
Je nach sozialpolitischem Standort scheiden sich die Einschätzungen zu den Millenniumsentwicklungszielen – zu zaghaft
und zahm, finden die einen; unrealistisch
und überspannt, oder nicht finanzierbar,
kontern die anderen. Einig sind sich aber
alle – Politiker, Wissenschaftler, UN-Diplomaten, NGOs – dass die meisten Millenniumsentwicklungsziele auf der globa-
len Ebene bis 2015 nicht erreicht werden
können. Zwar ist in manchen Ländern
die absolute Armut gesunken und in den
meisten haben sich die Einschulungsraten verbessert. Trotzdem: chronische
Unterernährung, Mütter- und Kindersterblichkeit liegen im Durchschnitt in
den armen Ländern immer noch bei einem vielfachen der Raten, die man in den
Industriestaaten erreicht. So ist in Teilen
Südasiens oder Afrikas die Wahrscheinlichkeit, dass eine Mutter bei der Entbindung stirbt, immer noch 1 zu 7; in Europa
liegt sie bei 1 zu 7300 (UNICEF).
In der Kritik am schwachen Ergebnis der Millenniumsentwicklungsziele
Schwerpunkt: Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
kristallisiert sich die Meinung heraus,
dass diese zu eindimensional konzipiert
waren: zentrale Politikbereiche wie systematische Beschäftigungspolitik und
grundlegende Prinzipien wie die Wahrung der Menschenrechte oder transparente Regierungsführung fehlen im
Programm. Auch Diskussionen um konkrete Politikmaßnahmen, wie zur Mütter- oder Kindersterblichkeit, fehlen.
Arabische Impulse für neu gestaltete
Entwicklungsziele
Deswegen beginnen nun breit angelegte
Konsultationen, wie die jetzigen Millenniumsziele doch noch erreicht werden
könnten oder wie sie radikal neu zu konzipieren wären. In den nächsten Monaten
werden in rund 50 Entwicklungs- und
Schwellenländern Regierungsvertreter,
Gewerkschaften, Zivilgesellschaft und
Wissenschaftler zusammenkommen, um
über die Entwicklungsziele des Jahres
2000 zu debattieren und progressivere
und ehrgeizigere Ziele zu formulieren,
die dann von der Staatengemeinschaft
für 2015 und danach verabschiedet werden könnten. Es wird darum gehen, die
vielfältigen Herausforderungen klar in einen Zusammenhang zu stellen – Armut
und Hunger zu bekämpfen, Einkommen
umzuverteilen, soziale Inklusion voran
zutreiben, Menschenrechte realiter zu
liefern, der Klimaherausforderung zu begegnen und für die vielen fragilen, sich in
Konflikt befindlichen Staaten Friedenslösungen zu ermöglichen. Die Diskussionen könnten also, wenn gut und partizipativ und mit einem Blick auf soziale
Gerechtigkeit geführt, das ganze Konzept
der Entwicklungszusammenarbeit, und
den Entwicklungsbegriff an sich, umwälzen und neugestalten.
Was hat dieses mit dem mediterranen
Raum und den arabischen Ländern zu
tun? Vieles!
Erstens innenpolitisch: In mindestens
sechs arabischen Ländern organisiert die
UN in den nächsten Monaten Konsultationen zum Design der zukünftigen internationalen Entwicklungspolitik, so dass
diese Debatte direkt vor Ort stattfinden
wird. Damit kann die Debatte aber auch
Einfluss auf Perspektiven und Visionen
Mediterranes 1/2012
für die politische und sozioökonomische
Zukunft dieser Länder nehmen.
Zweitens international: Die mediterrane Welt ist im vergangenen Jahr durch
den arabischen Frühling „avanciert“ zu
einer neuen Hoffnung auf Demokratie
und Gleichberechtigung, und vielleicht
auch größere soziale Gerechtigkeit. Die
Region am Golf und auch die nordafrikanischen Länder sind, gemessen in Bruttosozialprodukt und Prokopfeinkommen
reich; zugleich sind sie gekennzeichnet
von enormer sozialer Ungleichheit und
politischer Unfreiheit. Gerade diese soziale Spannung hatte den „arabischen
Frühling“ ausgelöst. Man hat in der Region begonnen aufzuzeigen, dass man
Was hat dieses mit
dem mediterranen
Raum und den
arabischen Ländern zu
tun? Vieles!
in Fragen der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik umdenken kann und
muss. Von daher könnten internationale
Debatten zu einer neuen Entwicklungspolitik entscheidende Impulse aus dem
arabischen Frühling beziehen. Die neuen
Mitgestaltungsforderungen und –ideen,
die sich herauskristallisieren, können
den Weg weisen für andere Regionen –
und manche Beobachter denken, dass
zum Beispiel die politischen Lockerungen in Burma oder die Proteste in China
vom arabischen Frühling inspiriert sind.
Drittens jugendpolitisch: der Blickwinkel der Jugend ist in dieser Region
besonders signifikant. In den Golfstaaten und den nordafrikanischen Ländern
macht die Jugend – definiert als 15-24
Jährige – ein Fünftel bis zu einem Drittel
der gesamten Bevölkerung aus. Vor allem die Jugend setzte die politische Flut
in Bewegung. Diese Stimmen könnten
neue Akzente in der internationalen Entwicklungsdebatte setzen.
Und viertens auch von den entwicklungspolitischen Konzepten her: Um ein
wirklich umfassendes, sozialpolitisch
progressives Konzept der Entwicklungspolitik zu entfalten, braucht man eine
Begrifflichkeit, die die wirtschaftlichen,
sozialen und politischen Belange zusammenführt. Solch eine Neuorientierung
könnte vom Begriff der menschlichen Sicherheit herrühren, der neun und mehr
Bereiche umfasst, in denen Frauen, Männer und Kinder Bedrohungen ausgesetzt
sind, die entwicklungspolitisch in den
Griff zu bekommen sind. Hierzu schrieben vor zwei Jahren namhafte arabische
Wissenschaftler den Arab Human Security Report1, in dem sie den Begriff
menschliche Sicherheit umreißen und
die Defizite für ihre Region herausarbeiten. Der Bericht, 2009 veröffentlicht,
war fast hellseherisch im Bezug auf die
schwelenden Probleme, die dann 2011
sich gewaltsam Gehör verschafften.
Dank seiner analytischen Kraft kann
das Konzept wichtige Hinweise dafür
geben, wie eine sensibilisierte Entwicklungspolitik alle Bereiche menschlicher
Entfaltung und Gleichberechtigung mit
einbeziehen muss in eine Vision für eine
sozial gerechte, menschenrechtsachtende Zukunft. Auch das könnte ein Beitrag
aus der mediterranen Welt sein.
1 UNDP 2009. Arab Human Development Report
2009.
Challenges to Human Security in the Arab
Countries. New York.
http://www.arab-hdr.org/
publications/contents/2009/intro-en.pdf. Autoren:
Madawi Al-Rasheed, Sabah Benjelloun, Mustapha
El-Sayyid, Walid Khadduri, Bahgat Korany, Khadija
Moalla, Marlene Nasr, Boshra Salem, Yezid Sayigh.
Gabriele Köhler
ist Entwicklungsökonomin, lebt in München und ist Visiting
Fellow am Institute
for Development
Studies, Sussex,
England, wo sie zur
Sozialpolitik Südasien forscht. Sie war
von 1983-2010 in verschiedenen Funktionen bei den Vereinten Nationen tätig und
gehört der Initiativgruppe MDGs post
2015-Human security an.
Seite 53
Zivilgesellschaft, Politik und Kultur
Zivilgesellschaft, Politik und Kultur
Lana: Der Weg einer führenden Frau
Armut als
größte Unterdrückung
Jordanische Beduininnen im Kurzportrait
von Ruth Vischherr Strebel
1996. Ich hatte eben zwei Wochen lang in
jordanischen Krankenhäusern beobachtet,
was das Besondere an der Pflege muslimischer Patienten ist und fuhr nun mit einem
Seite 54
Taxi in die einsame Gegend des Berges der
Bani Hamida, hoch über dem Toten Meer.
Es war schon spät, als wir Lana und ihre
Familie endlich fanden, in einem kleinen
Betonhaus umgeben von jungen Olivenbäumchen und roten Geranien. Dort sollte
ich eine Woche lang Gast sein, um die arabische Welt von innen kennen zu lernen.
EMA e.V.
Schwerpunkt: Frauen in Führung für nachhaltiges©
Wachstum
Seit 16 Jahren kenne ich nun Lana und
ihre Familie und habe ihren Weg mit verfolgt, der sie zu einer „führenden Frau“
werden ließ. Einige Glücksfälle förderten
ihre Entwicklung:
Die Beduinen des Stammes der Bani
Hamida wurden in den 80er Jahren
sesshaft. Lanas Mutter gebar ihre Kinder
noch alle im Zelt. Sie lehrte ihre Tochter das Weben, ein uraltes beduinisches
Handwerk, mit dem die Frauen die Zelte, die Teppiche, die Kameltaschen herstellten, und das durch die Sesshaftigkeit verloren zu gehen drohte. Rebecca
Salti, die Leiterin des Hilfswerkes „Save
the Children Fund“ fing an, das Weben
der Frauen zu fördern und ihnen bei der
Vermarktung zu helfen. In diesem Projekt machte Lana mit. Die Weberinnen
wohnten in weit verstreuten Weilern. Es
war daher nötig, dass jemand Autofahren
konnte. Lanas Vater unterstützte sie und
so war Lana die erste Frau des Berges,
die mit einem Auto herumfuhr und die
Weberinnen anleitete. Lana kann anpacken, Verantwortung übernehmen, sich
Gehör verschaffen. So wurde sie die Leiterin des Teppichwerkes in Mukawir. Die
Teppiche werden in der ganzen Welt verkauft und beschäftigen auf dem Berg der
Bani Hamida oft über 100 Frauen, die
in Heimarbeit weben und spinnen. Das
Werk ist jetzt der „Jordan River Foundation“ angegliedert.
Es wird von Touristen und auch
Staatsmännern besucht als gelungenes
Beispiel der Frauenförderung im ländlichen Gebiet. So kommt Lana ganz selbstverständlich in Kontakt mit führenden
Persönlichkeiten. Der Teppichmarkt ist
von der Weltlage abhängig, ein Krieg im
Nahen Osten kann den Zusammenbruch
bewirken. Lanas Ehemann befürwortet ihre Tätigkeiten. Er arbeitet in einer
entfernten Stadt und kommt ein Mal pro
Woche nach Hause. Mit ihren vier Kindern kann sie auf die Hilfe ihrer vielköpfigen Familie zählen, die sie bei der
Kinderbetreuung unterstützt. Jedoch,
die Arbeitslosigkeit ist gross in den entlegenen Landgebieten Jordaniens und so
leben von einem oder zwei Löhnen viele
Menschen. Vor einigen Jahren ist Lana
Mediterranes 1/2012
Bezirksrätin geworden, auch da als erste
Frau. Anfangs waren die Männer etwas
erstaunt, aber da sie sich zuverlässig für
die Anliegen der Bevölkerung einsetzt,
wurde sie bald akzeptiert und geschätzt.
Vor ein paar Jahren hat sie sich gegen
die Abwanderung engagiert und in langen, sehr mühseligen Initiativen beim
Anfangs waren die Männer
etwas erstaunt, aber da sie
sich zuverlässig für die
Anliegen der Bevölkerung
einsetzt, wurde sie bald
akzeptiert und geschätzt
Transportministerium erreicht, dass
ein kleines Buszentrum mit einigen Läden und einer öffentlichen Bibliothek
gebaut wurde.
Dank Lana habe ich viele Facetten der
arabischen Welt kennengelernt. Ich habe
Arabisch gelernt. Dadurch kann ich mich
jetzt mit der Landbevölkerung verständigen, die kaum Fremdsprachen kennt. Die
älteren Frauen sind nicht alle in die Schule gegangen. Infrastruktur wie Straßen,
Elektrizität, Wasserleitungen, Schulen,
Telefonverbindungen und Ambulatorien
sind erst in den letzten 20 Jahren ausgebaut worden. Die Frauen leben von einer
kargen Viehzucht, ergreifen Berufe wie
Lehrerin, Polizistin, Soldatin, Pflegefachfrau oder Weberin.
Lanas Werdegang ist nur wenigen
Frauen auf dem Lande möglich. Die
Armut ist der größte Unterdrücker. Um
ihnen doch eine Stimme zu geben und
Ihnen als Leserinnen und Lesern eine
Ahnung ihrer Lebensbedingungen zu
geben, beschreibe ich in kurzen Portraits
einige Frauen.
Aja
wohnt allein mit zwei kleinen Kindern.
Sie ist eine schöne, fröhliche Frau. Sie
hat die Schulzeit mit einer sehr guten
Abiturnote abgeschlossen, aber es war
der Familie nicht möglich einen Ausbildungsplatz zu finanzieren. Sie hat früh
geheiratet. Ihr Mann kommt an Wochenenden nach Hause, da er beim Mili-
tär arbeitet. Ihr Haus ist die Urform der
Beduinenbehausung: Zwei Räume, die
für Gäste, zum Schlafen oder zum Kochen benutzt werden. Eine kleine Ecke
ist als „Hamam“ ausgeschieden. Viele
dünne Matratzen sind an der Wand gestapelt und werden zum Schlafen oder
Sitzen gebraucht. An einer Wand steht
der Fernseher. Da er aber nicht mit einer
Satellitenschüssel verbunden ist, kann
Aja nur wenige Stationen sehen, ganz
besonders nicht die beliebten Sender Al
Jazeera und CNN.
Weit entfernt steht das nächste bewohnte Haus. Viele Familien sind schon
weggezogen in grössere Orte. Aja hat
einen kleinen Gemüsegarten, und einmal pro Woche fliesst das Wasser durch
die Leitung und füllt den Tank auf dem
Dach. Ihre Schwester, die auf dem Hügel wohnt, muss das Wasser aus dem
Ziehbrunnen heraufziehen. Kein Buch,
keine Zeitung, kaum Menschen, kein
Laden weit und breit, kein Staubsauger,
vielleicht ein kleiner Eisschrank. Putzen
mit dem Handbesen, keine Waschmaschine, keine Dusche. Der Kochherd
wird mit Butangas gespeist. Kein Kino,
kein Theater, kein Bahnhof, kein Zug,
kein Flugplatz, nicht mal eine Moschee
gibt es in der Nähe. Rundum Steine, Olivenbäume, eine holperige Straße zum
nächsten Dorf und im Sommer brennen gegen 45 Grad Hitze auf die Erde.
Und wenn im Winter kein Regen fällt,
wird der Frühling staubig und dürr sein.
Zweimal im Monat fährt sie mit dem
Bus nach Madaba, der zwei Busstunden
entfernten Bezirksstadt, macht einige
Einkäufe, besucht ihre Verwandten.
Noch nie war sie in einem anderen Land
oder in einer grösseren Stadt. Sie hat
keine Ahnung von Paris, von Rom, von
einem Eis in einem Straßenkaffee. Aber
ihre sechsjährige Tochter kann schon
fliessend Arabisch lesen und kennt die
englischen Buchstaben (unser lateinisches Alphabet). Ich staune.
Umm Bessam
ist etwa 60 Jahre alt. So genau kennt sie
ihr Geburtsdatum nicht. Früher verband
man die Geburt mit einem wichtigen Ereignis wie im Jahr als der König starb. Sie
Seite 55
Zivilgesellschaft, Politik und Kultur
hat ihre 12 Kinder im Zelt geboren. Eine
Tochter ist gestorben und sie ist Witwe
seit wohl 15 Jahren. Sie wohnt im Hause
eines Sohnes zusammen mit ihren drei
Jüngsten. Drei Söhne sorgen für ihren
Schutz und die finanzielle Sicherheit,
die Töchter und Schwiegertöchter führen den Haushalt und helfen bei medizinischen oder sozialen Problemen.
Abends sitzt sie im Sommer unter dem
Feigenbaum und hält Hof. Kommt Besuch, springt eine der Töchter in die Küche und bereitet den Tee zu. Umm Bessam hält ihre Jugendlichen im Zaum
und sie hat mit dem noch ledigen Sohn
abgemacht, dass er das Studium der beiden Schwestern finanziert. Er verzichtet
auf vieles. Er raucht nicht und darf vorläufig nicht heiraten, denn eine Heirat
kostet den Bräutigam viel Geld (Möbel,
das Haus, den Goldschmuck als Mitgift
für die Frau).
Zivilgesellschaft, Politik und Kultur
Nadda und Naäma
die jüngsten Töchter von Umm Bessam
haben ihre Studien an den Hochschulen
begonnen. Sie sind schöne, junge Frauen
geworden, beide schminken sich. Wenn
sie „auf Ausgang“ zu Recht gemacht sind,
erkenne ich sie kaum. „Ausgang“ heißt
fortgehen für kleine Einkäufe, Verwandte besuchen, an die Uni fahren. Disco-,
Kino- oder Kaffeehausbesuche sind unvorstellbar. Beide studieren Informatik.
Sie haben das Glück, dass ihr Bruder mit
seinem kleinen Lehrerlohn diese Studien
unterstützt. Nach dem Studium werden
sie sich für eine Lehrerinnenstelle an einer Dorfschule bewerben und Informatik unterrichten, falls sie bei der hohen
Arbeitslosigkeit eine Stelle erhalten. Die
Schulen haben oft nur einen einzigen
Computer, der im Büro der Schuldirektorin steht. Die Schülerinnen können
kaum etwas anwenden. So lernen sie vor
allem Geschichte des Computers und den
Aufbau, das Funktionieren der Geräte.
Ruth Vischherr
Strebel
ist diplomierte Supervisorin und ausgebildete Fachfrau
in Transkultureller
Kompetenz. Sie war
Dozentin in der Ausbildung von Lehrkräften im Gesundheitsbereich. Seit siebzehn Jahren bereist sie
den Nahen Osten und ist mit Menschen
eines jordanischen Beduinenstammes befreundet. Sie hat über diese Erfahrungen
das Buch "Halima" geschrieben.
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Seite 56
Frauenbewegungen
in Ägypten
i Alle Namen geändert.
Schwerpunkt: Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
Der „Arabische Frühling“ und
säkular orientierte Frauenorganisationen
von Johanna Block
D
ie beeindruckenden Bilder der
ägyptischen Revolution im Zuge
des ‚arabischen Frühlings’ im
Frühjahr des vergangenen Jahres ließen
lange begrabene Hoffnungen auferstehen, auch die innergesellschaftliche Stellung ägyptischer Frauen werde sich nun
Mediterranes 1/2012
endlich nachhaltig verbessern. Nicht wenige Frauen mischten sich unter die Protestierenden auf dem historischen TahrirPlatz und brachten ihre Belange auf die
Tagesordnung der Revolution. Im Auge
westlicher BeobachterInnen handelte
es sich allem Anschein nach um eine
breite Mobilisierung ägyptischer Frauen
aus unterschiedlichen gesellschaftlichen
Kontexten: Das Spektrum reichte von
vollverschleierten bis hin zu westlichmodern gekleideten, jungen wie alten, in
ihrer revolutionären Begeisterung vereinten Ägypterinnen. Der erfolgreiche Sturz
© Flickr_without author recognition
Seite 57
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Zivilgesellschaft, Politik und Kultur
Hosni Mubaraks war demnach auch ein
Sieg mutiger, politisch aktiver Frauen und
weckte große Hoffnungen auf eine mögliche Gleichberechtigung der Geschlechter
in einem neuen Ägypten.
Die ersten freien und demokratischen
Parlamentswahlen im Januar dieses Jahres
haben das Bild von der ägyptischen Frauenbewegung als Teil der Revolution weitge-
Die Parlamentswahlen
haben des Bild der
ägyptischen Frauenbewegung zunichte
gemacht
hend zunichte gemacht. Die islamistischen
Parteien, deren Spektrum von salafistisch
bis moderat islamisch reicht, gingen mit
ca. 70 Prozent Stimmenanteil als klare
Sieger hervor. Höchstens ein Dutzend
weibliche Abgeordnete hat es in das neue
Parlament geschafft. Während die Parteien
unter Mubarak immerhin noch eine Frauenquote von 12 Prozent einzuhalten hatten,
reduzierte sich die nun auf eine Alibi-Frau
pro Liste. Dagegen prägen schockierende
Pressebilder und -berichte von hilflosen,
auf offener Straße von Militärs geprügelten, gefolterten und misshandelten Frauen
die öffentliche Berichterstattung. Die Frauenbewegung der ägyptischen Revolution
scheint sich ebenso spontan und unvorhergesehen formiert zu haben, wie sie im
Nachklang der Aufstände an Wirkung und
Einflusspotenzial verlor.
Gerade westliche BeobachterInnen
versahen den ägyptischen Frauenaktivismus des ‚Arabischen Frühlings’ allzu
unbedarft mit dem Etikett einer ‚Frauenbewegung’, deren führende Kräfte in
den vielen, meist in der Hauptstadt Kairo
ansässigen, frauenpolitisch engagierten
und säkular orientierten Nichtregierungsorganisationen verortet werden. Dabei
dürfte es eigentlich nicht verwundern,
dass es diesen zivilgesellschaftlichen
Akteurinnen letztlich nicht gelang, die
breite Masse der ägyptischen Frauen im
Vorfeld der Wahl für gemeinsame Ziele
zu mobilisieren. Der vorrevolutionäre DisSeite 58
kurs über die Chancen und Hindernisse
einer ägyptischen Frauenbewegung verwies stets auf die mangelnde Fähigkeit
der Aktivistinnen, kollektive Identitäten
hervorzubringen und für eine gemeinsame Agenda Lobbyarbeit zu betreiben. Ihre
aus den Parlamentswahlen ersichtliche
politische Ohnmacht ist vor diesem Hintergrund nicht verwunderlich.
Säkulare Aktivistinnen im Kreuzfeuer der Kritik
Ägyptische Frauenorganisationen kämpfen seit Jahren gegen den Vorwurf der
Komplizenschaft mit ‚dem Westen’
an. Ihre Arbeitsweise orientiert sich
stark an den Vorgaben internationaler
Entwicklungshilfeagenturen. In ihren
Projekten bieten sie sozial schwachen
Frauen finanzielle Unterstützung und
Aufklärungsseminare. Ihre Klientinnen
erhalten gesundheitliche Hilfestellungen
und werden zu Themen wie politische
Partizipation, Scheidungs- oder Staatsbürgerschaftsrechte aufgeklärt. Um ihre
Projekte umsetzen zu können, begeben
sich viele zivilgesellschaftliche Organisationen in Abhängigkeit von ausländischen Geldgebern. Der weit verbreitete
Vorwurf lautet, auf diese Weise würden
Projekte initiiert, die sich allein an den
Vorgaben der jeweils finanzierenden
ausländischen Organisation, wie z.B.
den Vereinten Nationen, der Deutschen
Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) oder der United States
Agency for International Development
(USAID), orientieren. Die Zielgruppen
selbst würden in die Prozesse der Themenfindung nicht einbezogen, sodass
die Projekte nicht selten an deren wirklich drängenden Bedürfnissen vorbeigingen. Der ständige Wettbewerb um die
Gelder internationaler Hilfsorganisationen verhindert außerdem eine intensivere Zusammenarbeit verschiedener Frauenorganisationen untereinander und
schafft Konkurrenz, wo Kooperation im
Sinne der Zielgruppen gefragt wäre.
Soziale Hierarchien statt kollektiver
Identität
Die berufsmäßig notwendige Kommu-
nikation mit ausländischen Agenturen
erfordert einen hohen Bildungsgrad und
weitreichende Kompetenzen im Bereich
der internationalen Zusammenarbeit.
Die große Mehrzahl ägyptischer Frauenaktivistinnen entstammt der gehobenen
Mittelschicht und tritt in ihrem täglichen
Leben mit ihren Klientinnen in keinerlei
Kontakt. Ausgeprägte soziale Ungleichheiten und ein starkes Bewusstsein für
die eigene soziale Stellung haben in
Ägypten nahezu getrennte Lebenswelten
je nach Schichtzugehörigkeit etabliert.
Besonders Programme zur Steigerung des Bewusstseins gegenüber den
eigenen politischen und gesellschaftlichen Beschränkungen (sog. ‚awareness-raising’-Programme), die über die
Wahrnehmung bürgerlicher Rechte
weibliches ‚empowerment’ fördern sollen, offenbaren diese gravierende soziale Kluft zwischen politisch engagierten
Aktivistinnen und ihren Zielgruppen.
Hierarchische, nahezu unüberwindbare
Schülerinnen-Lehrerinnen-Beziehungen
stehen einer aktiven Einbeziehung sozial
schwacher, bildungsferner Frauen in die
Projektauswahl und -arbeit im Weg. Die
Chancen einer – wie auch immer gearteten – kollektiven Identitätsstiftung mit
dem Ziel einer gesellschaftsübergreifenden Frauenbewegung waren und sind
aufgrund dieser elitären Positionierung
zivilgesellschaftlicher Frauenorganisationen nicht absehbar.
Im Kampf um kulturelle Authentizität
In einem stark islamisch geprägten Land
wie Ägypten sind Aktivistinnen, die sich
zum Zwecke ihrer Selbstlegitimation
nicht auf islamische Argumentationsmuster berufen, vielfältigen Angriffen ausgesetzt. In zunehmendem Maße erfährt
ihre Distanzierung von religiösen Handlungsmotiven in der öffentlichen Diskussion scharfe Kritik. Derartige Vorwürfe
werden sowohl von nationalistischen als
auch von islamistischen Stimmen geäußert. Die Betroffenen begegnen diesen
Anschuldigungen ambivalent. Viele Aktivistinnen grenzen sich dezidiert von
einem ‚westlichen’ Feminismus, den der
gesellschaftliche Mainstream in Ägypten
mit absoluter Freizügigkeit, Homosexua-
Schwerpunkt: Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
lität und Gottlosigkeit gleichsetzt, ab. Im
Vergleich zu religiös argumentierenden
‚islamischen Feministinnen’ fällt es ihnen
deshalb jedoch umso schwerer, ihre Arbeit
als kulturell authentisch zu präsentieren.
Angesichts dieses Dilemmas versucht jede
Frauenorganisation für sich, den Drahtseilakt zwischen kultureller Authentizität und Anpassung an die Forderungen
internationaler Geldgeber zu bewerkstelligen. Konsequentes gemeinsames Handeln, geschweige denn eine Koalition mit
islamisch argumentierenden Frauenaktivistinnen, ist deshalb, mit Ausnahme
einzelner, themenspezifischer Aktionen,
wie z.B. bei der Kampagne für ein neues
Scheidungsrecht, kaum zu erwarten.
Rekurs auf islamische Grundwerte?
Noch ein Jahr vor dem Ausbruch des ‚Arabischen Frühlings’ waren sich WissenschaftlerInnen und Aktivistinnen darin
einig, dass die Chancen einer Frauenbewegung in Ägypten nahezu gegen Null
gingen. Als Gründe wurden defizitäre
zivilgesellschaftliche Strukturen und die
äußerst stabile semi-autoritaristische
Staatsführung angeführt. Der Ausnahmezustand in den Monaten der Revolution schien all diese pessimistischen
Einschätzungen zur politischen Wandlungsfähigkeit arabischer Staaten ‚von unten’ zunächst auf den Kopf zu stellen. Im
Nachklang der ersten parlamentarischen
Wahlen treten die Schwächen säkularer
Frauenaktivistinnen jedoch wieder hervor. Die Mobilisierungskraft ihrer eigenen Leute ist durchaus vorhanden, wie die
Bilder von meist jungen Frauen beweisen,
die auf dem Tahrir-Platz ohne Rücksicht
auf die eigene Unversehrtheit der Militärpolizei trotzen. Eine Verbindung zur
großen Mehrheit ägyptischer Frauen, die
um das tägliche Überleben ihrer Familien kämpfen, besteht jedoch nicht. Die
Lebenswelten dieser Frauen stehen sich
diametral gegenüber. Der säkulare Diskurs um Menschenrechte und Gleichberechtigung findet in den gehobenen sozialen Schichten statt. Der überwiegende
Teil der ägyptischen Wählerschaft identifiziert sich eher mit islamisch fundierten
Forderungen und fordert konkrete, materielle Verbesserungen.
Mediterranes 1/2012
Koalitionen sind unumgänglich
Von einer schichtübergreifenden Frauenbewegung kann im ägyptischen Kontext
folglich nicht die Rede sein. Momentan
bleibt höchstens abzuwarten, inwieweit
der sog. ‚islamische Feminismus’ unter
ägyptischen Frauen an Einfluss gewinnt.
Eine Argumentation mittels religiöser
Schriften zugunsten der innergesellschaftlichen Stellung der Frau birgt ein
nicht zu unterschätzendes Mobilisierungspotenzial. Erste Koalitionsbildungen zwischen säkularen und islamisch
orientierten Frauenorganisationen konnten z.B. während der erfolgreichen Kampagne für ein neues Scheidungsrecht der
Frau (‚khul’-Scheidung) im Jahr 2000
beobachtet werden. Die Beteiligten bezogen sich damals auf eine Sure im Koran, nach der eine Scheidung durchaus
auch von der Ehefrau eingeleitet werden
kann. Eine solche Vorgehensweise mag
zwar aus säkularer Sicht rein strategisch
motiviert sein, erfährt jedoch eine breite
Akzeptanz, sowohl von gesellschaftlicher
Seite als auch von islamischen Institutionen, wie der einflussreichen Al-AzharUniversität in Kairo. Um alle sozialen
Schichten zu mobilisieren, ist der Dialog
mit religiös motivierten Aktivistinnen
unausweichlich.
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für Mediterranes-Leser
und EMA-Mitglieder
Literaturhinweise:
Nadje Al-Ali, Secularism, Gender and the State in
the Middle East. The Egyptian Women’s Movement,
Cambridge 2000.
Haideh Moghissi (Hg.), Women and Islam, Bd. 3:
ñ wir lieben wein ó
Women’s Movements in Muslim Societies, London
et al. 2003.
Johanna Block
(M.A.) studierte
Wissenschaftliche
Politik, Geschichte und
Soziologie in Freiburg
und Salamanca.
Momentan arbeitet sie
als wissenschaftliche
Referentin am Centrum für Europäische
Politik (CEP) in Freiburg und promoviert
zu muslimischen Frauenorganisationen in
Deutschland und Großbritannien.
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marokko
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Zivilgesellschaft, Politik und Kultur
impressum
Die ägyptische
Fotokünstlerin
Marwa Adel
Herausgeberin
Euro–Mediterranean Association
for Cooperation and Development e.V. (EMA)
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Homepage: www.ema-germany.org
Vertretungsberechtigter Vorstand
Dr. rer. pol. Abdelmajid Layadi
Registrierung
Vereinsregister Amtsgericht Hamburg
Die 1984 in Kairo geborene Künstlerin besitzt einen Master
in Advertising (Spezialisierung auf Visual Identity) und ist
Dozentin an der Fakultät für Angewandte Künste an der Helwan Universität in Kairo. Sie ist Teil der jungen ägyptischen
Kunstszene, die nach den Ereignissen des arabischen Frühlings vermehrt Aufmerksamkeit genießt. Trotz, oder gerade
wegen, des großen Interesses an der Revolution und ihrer
Verarbeitung in der Kunstszene, will sie den Blick auch auf
andere Gesellschaftsbereiche lenken.
Bis zum 24. Juni 2012 sind Bilder Marwa Adels und Werke
fünf weiterer ägyptischer Künstler, die von der renommierten Safarkhan-Galerie in Kairo zusammengestellt wurden,
in Frankfurt in der Ausstellung "Ägyptische Kunst heute"
zu sehen (Begleitprogramm zu "Tutanchamun – Sein Grab
und die Schätze").
Marwa Adel hat ihre digital bearbeiteten Fotografien schon
in zahlreichen Ausstellungen in Ägypten, dem arabischen
Ausland und darüber hinaus auch in Deutschland und andern europäischen Ländern ausgestellt. Sie gewann für ihre
Fotografien, in die sie oft Grafik- oder Textelemente integriert, zahlreiche Preise. Einige ihrer Werke wurden schon im
Auktionshaus Christie‘s verkauft.
©
Marwa
Seite
60 Adel
Schwerpunkt: Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
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ChefRedaktion
Dr. Abdelmajid Layadi, Clara Gruitrooy
Redaktion
Petra Bogenschneider, Nele Feldmann, Nina Lantzerath, Menno Preuschaft, Pauline Raux-Defossez,
Irina Saal, Gefion Wildermuth, Anna Wischniewski
In ihren Kunstwerken geht es ihr vor allem darum, Emotionen – etwa ferne Wünsche und den Drang nach Freiheit–
darzustellen. Sie verarbeitet darin ihre persönlichen Erfahrungen wie die einer frühen Ehe, der Mutterschaft oder
der Scheidung. Aber es ist ihr auch besonders wichtig, das
konfliktreiche Verhältnis von Frauen und Männern in der
ägyptischen Gesellschaft darzustellen. Sie will die vorhandenen Rollenbilder der beiden Geschlechter und die inneren
Konflikte beleuchten, die durch das Einnehmen, aber auch
dem Nicht-Entsprechen dieser Rollen für das Individuum
entstehen. In ihren Bildern zeigt sie, wie sich die Erfahrungen eines Menschen mithilfe der Abbildung seines Körpers
verdeutlichen lassen.
Mit ihrer Art der Darstellung eckt sie auch im neuen, post-revolutionären Ägypten nach dem Sturz Husni Mubaraks noch
immer an: Denn sie wählt als Medium, das ihre Botschaft
transportieren soll, oftmals den nackten Körper. Und gerade
die Darstellung des Körpers der Frau ist in der ägyptischen
Gesellschaft noch immer ein Tabu.
VR20138
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Mediterranes. Das EMA-Magazin
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Genehmigung der Redaktion. Namentlich gekennzeichnete Artikel geben die Meinung der Autoren wider, nicht
unbedingt die der Redaktion.
Selbstbildnis von Marwa Adel © Marwa Adel
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© EMA, Marwa Adel, Arne List
Ausgabe
1 / 2012
ISSN 1869-263X
Druck
OURDAS druckt!
Die EMA bedankt sich herzlich bei Herrn Fathi Abu Toboul von
der Arab Union of Photographers EU (AUOP) für die Kontaktaufnahme zu der Künstlerin Marwa Adel und die Bereitstellung ihrer Bilder. Weitere Infos zur AUOP unter www.auop.de
Papier
gedruckt auf umweltfreundlichem Circle Silk
Premium White mit FSC-Zertifizierung
Zivilgesellschaft, Politik und Kultur
Zivilgesellschaft, Politik und Kultur
Situation von Unternehmerinnen in
der EMA-Region
Medien und die Revolution
Die Förderung von Geschäftsfrauen
als Legitimierung des Regimes
von Prof. Dr. Anja Zorob, Heba Amr und Eva Schmidt
F
rauen standen in Ägypten und
Tunesien bei den Protesten, die
zum Sturz der Regime Mubarak
und Ben Ali führten, in der vordersten
Reihe. Allerdings machten sich nach
den Umbrüchen schnell Befürchtungen
breit, dass der politische Wandel eine
Erosion der unter dem „Staatsfeminis-
Seite 62
mus“ der früheren Autokraten institutionalisierten Frauenrechte auslösen könnte. Zu diesen Maßnahmen zählten auch
Programme für die Förderung von Unternehmerinnen. Internationale Geber
unterstützten diese Initiativen tatkräftig.
Durch die Entfaltung ihres unternehmerischen Potentials sollten Frauen einen
Beitrag leisten für die Schaffung dringend benötigter Arbeitsplätze im privaten
Sektor und die Diversifizierung der Ökonomien der Region. Daneben entstanden
nationale und regionale Unternehmerinnenverbände, die sich zunehmend untereinander und auf internationaler Ebene
vernetzten.1
Schwerpunkt: Frauen in Führung
für nachhaltiges
© Flickr_without
authorWachstum
recgnition
Bislang allerdings, und daran haben
auch ehrgeizige Ziele zur „Gleichstellung der Geschlechter“ im Rahmen der
Millennium Development Goals (MDGs)
noch nicht viel ändern können, zeichnen sich die arabischen Länder vor allem
dadurch aus, dass der Anteil von Frauen
an den Erwerbstätigen zu den niedrigsten der Welt zählt.2 Ähnliches gilt für
den Anteil der von Frauen geführten
Unternehmen, auch wenn deren Zahl
in den letzten Jahren stetig angestiegen
zu sein scheint.3 Forschungsberichte
bestätigen indes einhellig, dass das unternehmerische Potenzial von Frauen in
den arabischen Staaten vor allem durch
die allgemein-rechtliche Differenzierung
zwischen Frauen und Männern sowie
soziale Normen und eine weit verbreitete ablehnende Einstellung gegenüber
arbeitenden Frauen, insbesondere selbständigen Unternehmerinnen, negativ
beeinflusst wird. Dies gilt offenbar selbst
für Länder wie Tunesien, die als „Vorzeigemodell“ in dem Bemühen um rechtliche Gleichstellung in der Region gelten
und ebenso wie Marokko oder Ägypten
auf eine lange Tradition nationaler Frauenbewegungen zurückblicken.
Vor diesem Hintergrund merkten
einige Autoren kritisch an, dass es für
eine nachhaltige Verbesserung der Rahmenbedingungen nicht nur staatlicher
Fördermaßnahmen für zum Beispiel
einen besseren Zugang zu Kapital und
Krediten bedarf. Darüber hinaus müssten Frauenverbände und insbesondere
die Medien in den arabischen Staaten
Überzeugungsarbeit leisten, indem
sie auf Unternehmerinnen und ihre
Belange aufmerksam machen und die
Bevölkerung für einen Wandel in Einstellungen und Gesetzgebung sensibilisieren. 4 Einen Blick auf die Rolle der
Medien setzt sich dieser Beitrag zur
Aufgabe. Zu ergründen gilt, wie sich
die Darstellung von Unternehmerinnen
als Teil des öffentlichen Diskurses in
den Gesellschaften der beiden Länder
in den letzten Jahren entwickelte und
ob die Unternehmerinnen und ihre
Verbände im Diskurs selbst eine eigeMediterranes 1/2012
ne Position neben den staatlichen Förderern einnahmen. Dabei soll auch der
Frage nachgegangen werden, ob sich
dieser Diskurs veränderte, nachdem
die autokratischen Förderer aus ihren
Ämtern gezwungen wurden. Mittels
einer computergestützten qualitativen
Inhaltsanalyse analysiert dieser Artikel
die Darstellung von arabischen Unternehmerinnen in der ägyptischen und
tunesischen Presse und deren Funktion
im nationalen politischen Kontext.
Unternehmerinnen unter der
Schirmherrschaft der Regierung
Um ein möglichst breit gefächertes
Bild zu erfassen, stützten wir unsere
Analyse für Ägypten auf eine ‚staatlichkontrollierte‘ Tageszeitung (al-Ahram)
und eine private Zeitung (al-Masry alYoum) neben der englischsprachigen
Zeitschrift Daily News. Für Tunesien
wählten wir die arabisch-sprachige alSabah und die französischsprachige ‚La
Presse‘. Alle diese Zeitungen weisen eine
hohe Auflagenstärke auf. Im Zeitraum
In Tunesien wird
Gleichberechtigung
häufig als persönliches
Projekt des Präsidenten
dargestellt
2004-2010 wurde über das Thema ‚Unternehmerinnen‘ regelmäßig berichtet,
zumeist vor, während oder infolge einer
Konferenz oder einer anderen großen
Veranstaltung. Die grundlegende Forderung in den Artikeln ist, dass Unternehmerinnen als ein Motor nationaler
Entwicklung gefördert und dass jegliche
Hemmnisse, die ihrer Tätigkeit im Wege
stehen, abgebaut werden sollen. 2011 gibt
es einen ‚Knick‘: Mit der Revolution wird
das Thema Unternehmerinnen insbesondere in den staatlichen Medien fast
vollständig ausgeblendet.
In Ägypten stehen Suzanne Mubarak und der im Jahr 2000 aus der Taufe
gehobene National Council for Women
(NCW) im Zentrum des nationalen Projekts zur Frauenförderung. Suzanne
Mubarak erscheint als Schirmherrin
von nationalen, regionalen und internationalen Konferenzen zu Unternehmerinnen. Im Unterschied zur staatlichen werden in der privaten Zeitung die
Präsidentengattin und der NCW so weit
wie möglich ignoriert. In Tunesien wird
Gleichberechtigung häufig als persönliches Projekt des Präsidenten dargestellt.
Zwischen privaten und staatlichen Zeitungen lassen sich kaum Unterschiede feststellen. Die „Emanzipation“ der
Frau wird nach einer paternalistischen
Logik verkündet. Frauen qualifizieren
sich nicht selbst, sie werden mit Qualifikationen „ausgestattet“ und auf die Geschäftswelt „vorbereitet“. Entsprechend
wird von Geschäftsfrauen eingefordert,
dass sie ihrerseits der Verantwortung
für die Entwicklung des Landes gerecht
werden. Leila Ben Ali wird als Identifikationsfigur der emanzipierten modernen Frau und auf Grund ihres Vorsitzes
in der Organisation de la Femme Arabe
als Frauenrechtlerin porträtiert.
Lob kommt auch von regionalen und
internationalen Partnern. O-Töne von
NGOs und Organisationen wie der tunesischen Chambre Nationale des Femmes
Chef’s d'Entreprise (CNFCE), Vertreterinnen des NCW, Unternehmerinnen
und regionalen oder internationalen
Führungskräften dienen hauptsächlich
der Bestätigung der staatlichen Politik.
Andere, vor allem kritische Stimmen
kommen in Tunesien kaum zu Wort.
In Ägypten tragen jedoch Unternehmerinnen und Akteure der Entwicklungszusammenarbeit selbst inhaltlich zum
Diskurs bei.
Von der Notwendigkeit Unternehmerinnen zu fördern
In den untersuchten Artikeln wird als
Hauptgrund für die Förderung von Unternehmerinnen die sozio-ökonomische
Entwicklung des Landes benannt. In
Tunesien liegt der Fokus auf ihrem Beitrag zur „Modernisierung des Landes“.
Dies wird jedoch kaum ausgeführt. Der
Groß-teil der Artikel begnügt sich daSeite 63
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Zivilgesellschaft, Politik und Kultur
mit, einen positiven Gesamteindruck zu
beschwören, in dem sie möglichst viele
positiv-besetzte Begriffe – Frauen als Impulsgeber, innovativ, kompetent, effektiv
und verantwortlich – verwenden.
In Ägypten wird der Beitrag von Unternehmerinnen zur sozio-ökonomischen Entwicklung des Landes mit „verbesserten Wettbewerbschancen“, einem
„verbesserten Entwicklungsindex“ und
dem „Kampf gegen Armut und Arbeitslosigkeit“ begründet. An zweiter Stelle
erscheinen Argumente, die durch die
Förderung von Unternehmerinnen ihre
Gleichberechtigung anstreben und hierbei 'Frauenrechte als Menschenrechte'
darstellen. In Tunesien wird häufiger
als in Ägypten beiläufig auf Frauenrechte „als Bestandteil der Menschen- und
Bürgerrechte“ verwiesen, um Tunesien
als demokratisches Land, das die Menschenrechte achtet, darzustellen. In
mehreren Artikeln, besonders in Ägypten, wird auch ein Bezug zur Religion
hergestellt, wobei die Frauenförderung
als ‚im Einklang mit dem Islam‘ verstanden wird. In der englisch-sprachigen
Zeitung ist dieses Argument wesentlich
seltener zu finden.
Tunesien und Ägypten:
Unterschiedliche Darstellungen
Während in Tunesien Emanzipation eher
als gesellschaftlicher Konsens dargestellt
wird, scheint in Ägypten das größte Hindernis für die Unternehmerinnen 'die
hemmenden gesellschaftlichen Konventionen' zu sein. Unternehmerinnen
müssten ‚sich selbst in der Männerwelt
beweisen und ihren Respekt hart erkämpfen'. Daneben werden die mangelnde Vertretung von Unternehmerinnen
in Führungspositionen und der Zugang
zu Finanzierungsmöglichkeiten kritisiert. Inwieweit die Rechtslage verändert
werden soll, bleibt unklar. In einigen
Artikeln ist der Unterton, dass Frauen
in Ägypten ihre Rechte schon erlangt haben, aber diese noch in der Gesellschaft
‚aktiviert‘ werden müssten. Das Bild der
arbeitenden Frau und besonders der Unternehmerin in der Gesellschaft wird von
den interviewten Unternehmerinnen
selbst als eher negativ eingeschätzt. So
heben Unternehmerinnen hervor:
„Selbst die Medien verbreiten in Fernsehserien sehr negative Bilder von Unternehmerinnen in der Gesellschaft. Die
Medien müssten vielmehr Erfolgsmodelle zeigen, um dieses Bild in der Gesellschaft zu verbessern“.5
Tatsächlich dominieren in den untersuchten Zeitungen positive Bilder und
Erfolgsgeschichten von Unternehmerinnen. Oft verwendete Umschreibungen
sind: ambitioniert, kämpferisch, stark,
tapfer, eiserne Frau, Vorreiterin, aber
auch vorsichtig. Entgegen dieser Darstellung von Erfolgsnarrativen werden auch
negative Bilder von Unternehmerinnen
portraitiert, wobei Unternehmerinnen
als ein Teil der korrupten Elite dargestellt
werden. Jedoch treten diese Narrative viel
seltener auf als positive Darstellungen.
Oben:
„An Attempt“ © Marwa Adel
Rechts:
„Dream“© Marwa Adel
Mehr über Marwa Adel
finden Sie auf S. 60
Seite 64
Schwerpunkt: Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
Mediterranes 1/2012
Seite 65
Zivilgesellschaft, Politik und Kultur
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In Tunesien handeln die Zeitungsbeiträge meist von Frauen im Allgemeinen, Geschäftsfrauen dienen nur als
ein Beispiel für „die erfolgreiche tunesische Frau“. Porträts einzelner Unternehmerinnen finden sich nicht. Gesellschaftliche Konventionen werden in den
Artikeln selten, aber dann weitgehend
als bereits „überwunden“ thematisiert:
Probleme finden in Tunesien nur in der
französischsprachigen Presse Erwähnung und werden lediglich in technischen Hemmnissen oder der Mentalität
der Unternehmerinnen selbst gesehen.
So wird gefordert, Unternehmerinnen
dazu zu „ermutigen“, sich der internationalen Konkurrenz zu stellen oder
neue Technologien zu nutzen. Auch in
Ägypten liegt die Lösung offenbar im
persönlichen Weg. Frauen müssten sich
nur entsprechend anstrengen und an
sich glauben, um erfolgreich zu sein.
Private Herausforderungen der Unternehmerinnen werden selten betrachtet.
Nur die negativen gesellschaftlichen
Vorstellungen gegenüber der Arbeit der
Frau müssten bekämpft werden. Die
ägyptische und tunesische Unternehmerin hat offenbar kein Problem, Beruf
und Familie zu vereinbaren.
den staatlichen Medien stark verringerte.
Dies mag mit der übertriebenen Präsenz
und ideologisch aufgeladenen Berichterstattung um Frauen in den Jahren zuvor
zusammenhängen. Es ist nunmehr nicht
mehr nötig, die alten Regime mit solchen
Diskursen zu legitimieren.
Inzwischen werden die bisherige Frauenpolitik und die Rolle der Unternehmerinnen in beiden Ländern, vor allem in
Ägypten, kontrovers diskutiert. Unternehmerinnen und ihre Verbände müssen sich umstrukturieren und neu positionieren. Sie stehen vor einer zweifachen
Herausforderung: In den vergangenen
Jahrzehnten institutionalisierte Frauenrechte verteidigen und gleichzeitig dafür kämpfen, dass das empowerment von
Frauen auch von den neuen Regierungen
weiter voran getrieben wird. Für eine prosperierende Wirtschaft und nachhaltige
Entwicklung indes sind Tunesien und
Ägypten tatsächlich und mehr denn je
auf ein breites Engagement ihrer Frauen
angewiesen.
1 Siehe United Nations Development Programme
(2006): The Arab Human Development Report
2005: Towards the Rise of Women in the Arab
Chancen und Risiken der Revolution
Die Förderung von Geschäftsfrauen in
beiden Ländern erfüllte vor den Revolutionen an erster Stelle die Funktion, die
Regime nach innen wie nach außen zu
legitimieren. In Tunesien trat der Staatsfeminismus dabei noch ausgeprägter zu
Tage als in Ägypten. Der wesentliche
Unterschied lag darin, dass in Ägypten
die Presse selbst eine aktive Rolle in der
Frauenförderung einnahm, während in
Tunesien die Legitimation des Regimes
und nicht die Akzeptanz oder die Verbesserung der Situation von Unternehmerinnen vorherrschendes Ziel der Berichterstattung war. Vertreterinnen von
Unternehmerinnenverbänden kamen im
öffentlichen Diskurs zu Wort, sie bestätigten allerdings zumeist die Regimepolitik und äußerten kaum eine Kritik daran. Mit dem Sturz der Staatschefs vollzog
sich ein ‚Knick‘, weil sich mit der Revolution die Berichterstattung besonders in
Seite 66
World, New York: UNDP, S. 110-111.
2 Der Grad der Erwerbsbeteiligung von Frauen
beläuft sich laut aktueller Daten der Weltbank auf
24% in Ägypten und 28% in Tunesien, siehe World
Bank (2011): Women, Business and the Law: Removing Barriers to Economic Inclusion, Washington,
D.C.: IFC/The World Bank.
3 In Ägypten liegt der Anteil von Unternehmen im
Prof. Dr.
Anja Zorob
ist Juniorprofessorin
an der Arbeitsstelle
Politik des Vorderen
Orients des OttoSuhr-Instituts für
Politikwissenschaft
der Freien Universität Berlin. Zuvor hat
Anja Zorob am Lehrstuhl für Gegenwartsbezogene Orientforschung des Instituts
für Wirtschaftswissenschaft der FriedrichAlexander-Universität Erlangen-Nürnberg
promoviert und zahlreiche Studienreisen in
die EMA-Region absolviert.
Heba Amr Hussein
wurde in Ägypten
geboren und studiert
zurzeit Umweltpolitik
(Master) an der Freien Universität Berlin.
Zuvor hat sie bereits
ein Studium der
Politikwissenschaft mit den Schwerpunkten
Politische Theorie und politische Transformation in der Region des Vorderen Orients
abgeschlossen. Seit August 2011 ist sie
studentische Hilfskraft an der Arbeitsstelle
Politik des Vorderen Orients des Otto-SuhrInstitut für Politikwissenschaft.
Besitz und/oder Führung von Frauen bei 20%, in
arabischen Staaten im Durchschnitt bei 13%, siehe
World Bank (2007): The Environment for Women’s
Entrepreneurship in the Middle East and North Africa Region, Washington, D.C.: The World Bank.
4 Chamlou, Nadereh and Reem Kettaneh Yared
(2005): Women Entrepreneurs in the Middle East
and North Africa: Building on Solid Beginnings, in:
Handoussa, Heba (ed.): Arab Women and Economic
Development, Cairo/New York: The American University in Cairo Press.
5 Alqi‘i, Tahani: Unternehmerinnen nehmen teil
an der nationalen Entwicklung. Sayidat al-a’mal
yuscharikna fi masirat al-tanmiya. Al-Ahram,
20.11.2008. (eigene Übersetzung).
Eva Schmidt
ist seit 2011 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Arbeitsstelle
Politik des Vorderen
Orients des OttoSuhr-Instituts für
Politikwissenschaft
der Freien Universität Berlin. Zuvor hat
sie an der Freien Universität Berlin und
am Institut d’Etudes Politiques in Aix-enProvence Politikwissenschaften studiert.
Schwerpunkt: Frauen in Führung für nachhaltiges Wachstum
Mediterranes 1/2012
Seite 67
Das 2. Hamburger Wasserforum
für die EMA-Region
„Wir machen aus Wasser alles Lebendige“
Themenbereiche:
Arabisch-Deutsche Wasserkooperation für Frieden und Wohlstand
Wassermanagement in urbanen und ruralen Gebieten
Wasser als Quelle für zukunftsweisende Energieerzeugung
Abwasserentsorgung
Wasseraufbereitung
Integriertes Wasserressourcenmanagement (IWRM)
Wasser für die Landwirtschaft – virtuelles Wasser
Maritime Industrie und die Reinhaltung der Meere
© Hamburg Wasser
unter der Schirmherrschaft von SKH Prinz Hassan bin Talal
10.-12. September 2012
in der Handelskammer Hamburg
Konferenz, Messe, Galadinner,
Rathausempfang (tbc), Besichtigungen
Weitere Informationen unter:
www.ema-germany.org/go/wasserforum2012
Telefon: +49 (0) 40 5201 48 89