PRO CONTRA - Kontinente
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PRO CONTRA - Kontinente
HINTERGRUND GENTECHNIK: SEGEN ODER FLUCH? Gentechnik ist keine Antwort auf den weltweiten Hunger: Er trifft paradoxerweise vor allem Menschen auf dem Land. Will man ihn nachhaltig bekämpfen, muss man nachhaltige Landwirtschaft fördern, die den hungernden Kleinbauern direkt, effizient und günstig unterstützt. Gentechnologie bietet hierfür keine Ansätze, ganz im Gegenteil. An der Grünen Gentechnik scheiden sich die Geister: Genmais, transgene Baumwolle oder Pflanzen, aus denen Biodiesel gewonnen wird, gelten den einen als Chance für Schwellenund Entwicklungsländer, den anderen als Gefahr. kontinente bat Experten um ihr Votum. PRO FÜR GENPFLANZEN Professor Bernd MüllerRöber, 45, Uni Potsdam: Die neuen Pflanzen sind genauso sicher wie konventionelle Sorten. Millionen Euro sind in die Sicherheitsforschung geflossen und haben dies bestätigt. GEGEN GENPFLANZEN Gentechnik hat eine Landwirtschaft im Blick, die gar nichts mit Hungerbekämpfung zu tun hat: Der überwiegende Teil der genmanipulierten Pflanzen dient vor allem der Futtermittel- und Textilherstellung! In Brasilien etwa ist Soja mit einem Anteil von zehn Prozent des Gesamtexports das zentrale landwirtschaftliche Produkt. Es wird zu zwei Dritteln mittels Gentechnik produziert. Der größte Teil landet im europäischen Viehfutter und nicht auf den Tellern der Armen! Gentechnik ist eine nützliche Methode, um Nahrungsmittelpflanzen wichtige Eigenschaften zu verleihen, wie zum Beispiel Widerstandsfähigkeit gegen Schädlinge. Dadurch müssen die Bauern deutlich weniger schädliche Pestizide einsetzen. „Hungerbekämpfung“ ist nur ein Verkaufsargument für Gentechnik: Befürworter in Politik, Privatwirtschaft und Wissenschaft nutzen das Argument, Gentechnik könne Armut bekämpfen, um diese Technologie gesellschaftsfähig zu machen. Mit der Realität hat das nicht viel zu tun. der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Gentechnologiebericht der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Gentechnik untergräbt die Entwicklung lokal angepasster Landwirtschaft: Die Erfahrungen Misereors zeigen, dass Kleinbauern selbst lokale Lösungen kennen und entwickeln, die auf dem Schutz und Nutzen der biologischen Vielfalt basieren. Gentechnisch verändertes Saatgut ist durch Patente rechtlich vor dem Nachbau geschützt. Eine Eigenvermehrung ist nicht möglich. Es entstehen Abhängigkeiten an einige wenige Saatguthersteller. Grüne Gentechnik kann im Kampf gegen den in vielen Ländern zunehmenden Wassermangel helfen, wenn die Trockenstress-Toleranz von Pflanzen mittels gentechnischer Verfahren erhöht werden kann. So könnten große Wassermengen gespart werden, die sonst zur künstlichen Bewässerung nötig sind. 28 • kontinente 2-2010 Fotos: getty images; Misereor; privat Für Schwellenländer wird die Grüne Gentechnik immer wichtiger. Das zeigt sich an den wachsenden Anbauflächen, aber auch daran, dass sie verstärkt Geld für die Forschung einsetzen. Die lizenzkostenfreie Bereitstellung etwa des gentechnisch hergestellten Golden Rice kann Kleinbauern wirtschaftliche und gesundheitliche Vorteile bringen. Alle wichtigen Kulturpflanzen sind über Jahrhunderte und Jahrtausende durch Wirken des Menschen entstanden – durch bewusste oder unbewusste Auswahl vorteilhafter Genkombinationen. Heute nutzt man dafür auch – aber nicht ausschließlich – die Gentechnik. Wie früher so gilt heute: Die Pflanze auf dem Acker und das Produkt auf dem Teller müssen bewertet werden, nicht der Weg ihrer Herstellung. Dr. Bernd Bornhorst, 48, Misereor: Leiter der Abteilung Entwicklungspolitik. Das Hilfswerk ist innerkirchlich federführend bei diesem Thema. Molekularbiologe, Mitglied Grüne Gentechnik steht einer Ökologisierung der Landwirtschaft nicht entgegen, ganz im Gegenteil. Um jedoch das volle Potenzial ausschöpfen zu können, brauchen wir eine sachliche und unvoreingenommene Auseinandersetzung mit dem Thema. Wir müssen „traditionelle“ und neue Verfahren der Pflanzenzüchtung sinnvoll miteinander verknüpfen. CONTRA Gentechnik ist für Kleinbauern teuer und unwirtschaftlich und fördert ökonomische Abhängigkeit: Die Entwicklung gentechnisch veränderter Pflanzen ist teuer. Daher werden nur Pflanzen entwickelt, die innerhalb einer industrialisierten Landwirtschaft von Nutzen sind. Für globale Unternehmen lohnen sich Kosten für Forschung und Entwicklung nur, weil die Einführung von Genpflanzen Patentgebühren bringt und den Absatz der von ihnen produzierten Unkraut- und Schädlingsbekämpfungsmittel fördert. Fakten zur Grünen Gentechnik: • Als Grüne Gentechnik wird die Anwendung gentechnischer Verfahren bei der Züchtung und Veränderung von Pflanzen bezeichnet. • Die Gentechnik zielt hier vor allem auf die Widerstandsfähigkeit gegen Schädlinge und widrige Wachstumsbedingungen sowie die Steigerung des Ertrags. • Genpflanzen werden auch gezielt mit Vitaminen, Antikörpern und Antigenen angereichert, als „Beitrag zu besserer Gesundheit“. • Der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen nimmt kontinuierlich zu. 2008 wurden Genpflanzen weltweit in 25 Ländern auf mehr als 125 Millionen Hektar Fläche angebaut. Die größten Anbauländer sind die USA, Argentinien, Brasilien und Indien. • Die Zulassungsbedingungen regelt jedes Land. Entwicklungs- und Schwellenländern fehlen meist die Mittel für die Forschung. • Soja, Mais und Baumwolle sind die Top 3 der gentechnisch veränderten Pflanzen. Produktionssteigerungen durch Gentechnik tragen nicht zur Lösung des Hungerproblems bei: Ein Konzept zur Hungerbekämpfung, das von der Produktionsseite her denkt – wenn mehr produziert wird, könnte mehr gegen den Hunger getan werden – hat sich allenfalls als Teilwahrheit erwiesen. Die Überproduktion in Industriestaaten kann nicht dazu beitragen, den Hunger langfristig zu beseitigen. • Brasilien war bis 2004 gentechnikfrei. Die Gentechnik hat den für den Export wichtigen Markt für Bio-Produkte fast völlig zerstört. 2-2010 kontinente • 29