Erbe verpflichtet - Jüdische Allgemeine

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Erbe verpflichtet - Jüdische Allgemeine
USA
Erbe verpflichtet
USA: Seit 350 Jahren leben Juden in der Neuen Welt. Und zum
zweiten Mal gibt es einen „Jewish Heritage Month“
10.05.2007 - von Eva C. Schweitzer
von Eva C. Schweitzer
Amerika gedenkt seiner jüdischen Einwanderer – in jedem Mai. US-Präsident George W. Bush
hat diesen Monat zum „Jewish Heritage Month“ erklärt, in dem an die jüdische Tradition erinnert
wird. „Das jüdische Volk hat unsere Kultur bereichert und zu einem anteilnehmenden und
hoffnungsvollen Amerika beigetragen“, erklärte Bush. Die Initiative geht auf zwei Abgeordnete
zurück, Debbie Wasserman, eine Demokratin aus Florida, und Arlen Spector, ein Republikaner
aus Pennsylvania.
Eingeläutet hat den „Heritage Month“ eine Gala im Capitol in Washington. Am 2. Mai wurde
eine Ausstellung der „Jewish Historical Society of Greater Washington“ eröffnet, die die
vergangenen zwei Jahrhunderte umfasst und bei der Einwanderer wie Albert Einstein und Henry
Kissinger geehrt werden. Das Washingtoner „National Museum of American Jewish Military
History“ präsentiert eine Ausstellung über jüdische Soldaten, und die Library of Congress bietet
Veranstaltungen zum Thema „Juden und Medizin“ sowie jüdisches Theater an.
Das Ereignis jährt sich. Zum ersten Mal wurde der „Heritage Month“ 2006 ausgerufen. Aber ein
Programm gibt es erst in diesem Jahr, nicht nur in Washington. So läuft im „National Museum
of American Jewish History“ in Philadelphia seit 6. Mai eine Vortragsreihe zur Rolle der Juden in
der Kultur. In New York, wo mit einer Million Menschen die größte jüdische Gemeinde der USA
lebt, wurde der „Heritage Month“ mit einer Feier im Rathaus von Brooklyn eingeläutet, zu der
Bezirkspräsident Marty Markowitz eingeladen hatte. Aus diesem Anlass wurde eine Karte mit 75
wichtigen jüdischen Orten in New York – Synagogen, Friedhöfen, Häusern von Filmstars –
herausgegeben. Die Idee stammt von dem Anwalt Howard Teich, der sich mit dem Verleger Marc
Miller, dem Präsidenten der „Queens Jewish Historical Society“ Jeff Gottlieb und Rabbiner Joseph
Potasnik zusammengetan hat. Auf dem Cover: Der Star von „Sex and the City“, Sarah Jessica
Parker.
Die Tradition des „Heritage Month“ pflegen die USA schon lange: So ist der Februar der „Black
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History Month“, der November ist der Monat der Indianer und Eski- mos. Den Mai teilen sich die
Juden mit den Ureinwohnern der pazifischen Inseln. So wie Hawaiianer können auch Juden auf
eine lange Geschichte zurückblicken. 1654, vor mehr als 350 Jahren, kamen die ersten
sefardischen Einwanderer, die aus Andalusien vertrieben wurden, in New Amsterdam an, dem
heutigen New York. Nach der gescheiterten Revolution in Deutschland von 1848 wanderten
deutsche Juden nach New York und nach Kalifornien aus.
Der große Schub von askenasischen Juden setzte nach 1880 ein, er war eine Reaktion auf
Pogrome in Russland, die auf die Ermordung von Zar Alexander II. folgten. Von nun an kamen
jährlich Hunderttausende aus Russland, Polen und der Ukraine – zwei bis drei Millionen
insgesamt. Viele davon zogen in die New Yorker Lower East Side, ein Mietskasernenquartier mit
religiösen Buchläden, koscheren Metzgereien und Synagogen, von denen einige heute noch
stehen.
Die deutschen Juden hingegen waren schon etabliert, zu ihnen zählten Adolph Ochs, der die New
York Times kaufte, Banker wie Otto Kahn und Jacob Schiff, Unterhaltungsmogule wie Oscar
Hammerstein und Marcus Loew, die Morgenthaus und die Guggenheims, die Warburgs, die das
Jüdische Museum an der Fifth Avenue gründeten, und die Strauss-Familie, denen Macy’s gehörte.
Aber der protestantischen Mehrheit wurden die jüdischen und auch die katholischen
Immigranten, die in Ellis Island anlandeten, zu viel. Nach vielen Debatten be- schränkte der
US-Senat 1924 die Immigra- tion von Juden, Slawen und Italienern. Damit schloss Amerika
ausgerechnet in der Nazi-Zeit die Pforten – in diesen 12 Jahren hat das Land nicht einmal
200.000 Juden aufgenommen. Das änderte sich nach 1950 wieder. In den 70er-Jahren machte
die US-Regierung sogar Druck auf Moskau, mehr als eine Million Juden ziehen zu lassen.
Heute besteht die jüdische Gemeinde der USA aus sechs bis acht Millionen Menschen, darunter
vielen, die weltweit bekannt sind: Paul Wolfowitz und Madeleine Albright, Barbra Streisand und
Scarlett Johansson, Philip Roth und Norman Mailer, Leonard Nimoy, Larry King und Jon
Stewart, Sergej Brin und Steven Spielberg. Viele sind nicht religiös, gleichwohl ist ihnen ihre
Herkunft wichtig.
Debattenfrei verläuft aber auch der „Heritage Month“ nicht. Wer, zum Beispiel, sollte in der Karte
der jüdischen Orte New Yorks stehen? Natürlich Woody Allen und der Zeitungsbaron Samuel
Newhouse (Vanity Fair), aber Nathan’s Hotdogs? Der berühmte Laden in Coney Island ist nicht
koscher. Auch Sarah Jessica Parker hat nur einen jüdischen Elternteil. Trotzdem: Sie wurde
aufgenommen, der Dichter Allen Ginsberg und die Anarchistin Emma Goldman hingegen nicht:
zu kontrovers, fürchtet Rabbiner Potasnik.
Kathy Krugman von der American Jewish Historical Society, die zu den Veranstaltern zählt, weiß
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allerdings auch von Bedenken. „Die fürchten, dass das Antise- mitismus fördert, weil dann Leute
sagen könnten: Wieso haben die so viel Einfluss?“ Aber letztlich hofft sie, dass der „Heritage
Month“ Juden und Nichtjuden in Amerika ihre gemeinsame Geschichte nahebringt.
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